J. Walther
Roman
Über das Buch
Eigentlich soll Phillip eine Ausbildung zum Fotografen bei seinem Vater beginnen. Er würde zwar lieber studieren – aber reicht sein Talent dafür? Er geht der Entscheidung aus dem Weg und macht es sich bei Freunden in der Hängematte bequem. Dort trifft er den attraktiven, ungezwungenen Seth.
Phillip stürzt sich in eine leidenschaftliche Affäre, aber Seth bewahrt lieber seine Geheimnisse. Und dann sind da noch seine Gastgeber Benjamin und David, die auf Phillip schon lange eine starke Anziehungskraft ausüben.
„Phillips Bilder“ kehrt zurück in die Welt von „Benjamins Gärten“, erzählt aber eine eigenständige Geschichte.
Table of Contents
Title Page
Inhalt
Motto
Züge
Morgenlicht
Gärten
Seth
Warten
Im Sucher
Schwimmbadfotos
Gäste
Berührungen
Bilder
Sommerregen
Meer
Feuer
Anna
Vergrößerungen
Wiedersehen
Nachwort
Impressum
Buchtipp
Buchtipp2
In seinen Träumen kaufen Roy und er Pferde, schöne Tiere mit dunklem Fell, und reiten durch Gärten voller Goldrute, Wegwarte und Eisenkraut, in der Ferne blau verhangene Berge.
Dream Boy, Jim Grimsley
Wenn wir uns fragen, warum der Sommer in der Erinnerung einmalig erscheint und endlos, fällt es uns schwer, den nüchternen Ton zu treffen ...
Sommerstück, Christa Wolf
Züge
Der Zug wird langsamer, rumpelt über Weichen. Vor dem Fenster zieht eine Fabrikruine vorbei, Dachfenster ohne Glas, verwitterte Schriftzüge, Birken auf dem Dach. Ich sinke tiefer in meinen Sitz, versuche mich zu entspannen.
Dann nimmt der Zug Fahrt auf. Die Stadt draußen bleibt schmutzig, Lagerhallen, Werkstätten, mit Graffiti überzogene Wände. Ich greife in meine Tasche und hole meine Digitalkamera heraus. Das LCD-Feld leuchtet auf. Ich halte die Kamera höher, visiere die vorbeirauschenden Wände an. Betrachte die Wirkung im Display. Der verwischte Effekt durch die Zugbewegung könnte reizvoll sein, aber das Nachmittagslicht ist platt und uninteressant. Ich lasse die Kamera sinken. Außerdem habe ich schon eine ganze Serie von Graffitiaufnahmen, nachts aufgenommen und mit Scheinwerfern betont oder mit digitalen Effekten verfremdet. Bilder von in S-Bahnfenster geritzten Schriftzügen, die untergehende Sonne leuchtet in den breiten Kratzern. Mein Laptop quillt über von solchen Bildern.
Der Zug fährt in einen Tunnel ein. Ich betrachte mein Gesicht in der Scheibe. Es scheint zu schweben, meine dunklen Locken und mein schwarzes T-Shirt verschwinden vor der schwarzen Wand. Ich schaue zu ernst, versuche meine Züge zu entspannen. Die Bahn verlässt den Tunnel, das Tageslicht löscht meine Bemühungen aus. Der Zug wird langsamer, Schilder fliegen unleserlich vorbei, ein Bahnhof bleibt stehen. Ein paar Leute steigen ein, niemand aus.
Einige Reihen weiter, aber mir zugewandt, nimmt ein blonder junger Mann Platz. Er zieht meinen Blick an, er hat blaue ernste Augen und schöne Gesichtszüge. Er trägt ein Wakiki-Shirt, silberne Ketten verschwinden darunter. Dazu ein breiter silberner Ring am Finger.
Ich zupfe an dem Ring in meiner Augenbraue. Ich bin immer noch angespannt, schaue wieder aus dem Fenster. Die Landschaft ist flach, Felder, Kiefern, kleine, gedrungene Häuschen. Das Getreide ist fahlgrün, am Bahndamm explodieren rote Farbflecke, werden weniger, vereinzeln. Melden sich als geballte Invasion zurück. Ein backsteinernes Trafohäuschen ist von Holunderbüschen umzingelt. Der Zug rast dahin, durchschneidet die Landschaft.
Ich schaue wieder zu dem blonden Mann, er erwidert meinen Blick kurz, dann legt er seine Jacke auf den Sitz vor sich und die Füße hoch. Er holt eine Spiegelreflexkamera aus seiner Tasche. Interessiert versuche ich zu sehen, was für ein Modell es ist. Seine feingliedrigen Hände drehen kundig am Objektiv der Kamera herum. Schließlich packt er sie weg, beginnt Zigaretten zu drehen. Unsere Blicke begegnen sich, er sieht mich ohne zu lächeln an und ich habe keine Ahnung, ob Interesse in seinem Blick liegt.
Ich hole meine Kamera wieder heraus, mache sie an. Die letzten Aufnahmen zeigen leere U-Bahn-Unterführungen, dreckige Bahnsteige, kaltes Neonlicht. Jetzt ärgere ich mich doch, dass ich den Laptop nicht mitgenommen habe. Ich könnte ein bisschen an den Bildern herumbasteln, aber wahrscheinlich würden sie davon auch nicht besser. Ich klicke immer schneller, aus den Bildern wird fast ein Film, ein modernes Daumenkino, es gibt ihnen Reiz.
Ein Bahnhof wird durchgesagt und ich packe meine Sachen zusammen, stehe auf. Ich gehe nach vorn, an dem blonden Mann vorbei, obwohl der andere Ausgang näher wäre. Noch einmal suche ich seinen Blick, präge mir sein Bild ein, dann hält der Zug quietschend und ich steige aus. Hitze schlägt mir entgegen. Ich gehe hinüber zum anderen Bahnsteig. Es gibt keine Anzeige, aber ich weiß, von welchem Gleis mein Zug fährt, es ist seit Jahren dasselbe.
Das Abendlicht bringt das Bahnhofsgebäude zum Leuchten, zeichnet die Details der gusseisernen Säulen. Auf der anderen Seite überwuchert Unkraut die Gleise des alten Güterbahnhofs, Birken haben sich durch die hölzerne Rampe vor den Lagergebäuden gestoßen. Ein Waggon ohne Räder rostet vor sich hin.
Es ist nicht mehr weit bis nach Hause. Vielleicht könnte ich einfach den Zug verpassen. Ein Lautsprecher knackt, sagt etwas Unverständliches an. Der Zug taucht in der Kurve auf, fährt unter der Brücke durch. Ich trete zurück. Vielleicht ist es ja ein anderer Zug. Aber er fährt auf dem Gleis vor mir ein, bremst. Eine Tür öffnet sich, zwei alte Männer steigen aus. Ich hebe meinen Rucksack auf den Rücken, blicke mich kurz um, dann steige ich ein, suche mir einen einsamen Platz.
Der Zug zieht an, gewinnt an Geschwindigkeit. Fährt an Mietshäusern vorbei, ein paar Villen, dann vereinzeln die Häuser schnell, Schrebergärten, Felder. Im Hintergrund Berge, Wiesen, alte Sträßchen, von krummen Bäumen gesäumt. Das Zugfenster ist schmutzig.
Wir halten an einem kleinen Bahnhof, das Gebäude ist leer, die Fenster verrammelt. Über die Wand zieht sich ein einsames Graffiti. Noch vier Stationen bis nach Hause. Vielleicht gibt es ja eine Panne. Zwei ältere, dicke Frauen schieben sich durch den Gang, nehmen eine Reihe vor mir Platz.
Der Zug fährt über ein Viadukt. Ich blicke hinab auf ein Dorf, das sich im Tal um einen Bach windet. Eine alte Fabrik, tief unten, mit leeren Fenstern, düster und feucht. Ich taste nach meiner Kamera, ziehe sie hervor, aber da ist das Motiv schon verschwunden.
Ein Bahnhof, noch drei Stationen bis zu meinem Ziel. Ich spanne mich an. Die alten Frauen unterhalten sich intensiv, seit sie eingestiegen sind. Jetzt dringen einzelne Fetzen ihres Gesprächs zu mir.
»… hat er das dahin gebaut.«
»Scheußlich. Das soll Kunst …«
»… sind bestimmt nicht von ihm. Vier davon rothaarig.«
»Die geraten aber nach dem. Keiner was Vernünftiges.«
Der Zug bremst ab. Ich nehme ein Stationsschild wahr, springe auf. Überlege nicht, raffe nur meinen Rucksack und meine Jacke, hetze durch den Gang. Ich reiße die Tür auf und springe auf den Bahnsteig. Etwas fällt klirrend zu Boden, der Zug fährt an. Ich hebe meinen Rucksack auf, daneben liegt meine Kamera, sie muss aus der Seitentasche gerutscht sein. Ich nehme sie, drücke auf Power. Sie macht keinen Pieps mehr, das LCD-Feld bleibt leer. Fluchend stecke ich sie weg.
Auf dem Bahnsteig ist niemand. Neben dem verödeten Bahnhofsgebäude beginnt ein Trampelpfad. Er führt durch eine Wiese, hohes Gras streift mich. Über den Baumwipfeln steht rötlich die Sonne. Es ist immer noch warm, von irgendwo zieht rauchiger Grillgeruch herüber. Ich springe über einen kleinen Bach, der fast zwischen dem hohen Gras verschwindet, aber ich weiß, dass er da ist.
Schließlich gehe ich eine Böschung hinauf, überquere einen Feldweg und dann sehe ich sie. Die Villa hebt sich vor dem blasser werdenden Himmel ab, ist von Grün umhüllt. Auf dem Dach thront ein verschnörkeltes Gitter, zwischen dem Türmchen und einem Dachfenster schwingt sich eine Brücke. Neben der Spitze des Türmchens schwebt ein Ballon, durch den das Abendlicht leuchtet. Mein Herz setzt einen Moment aus, so sehr rührt es mich an. Es ist wie nach Hause kommen, an den Ort meiner Kindheit, meiner Träume. Wieso kann es nicht mein Zuhause sein?
Ich gehe über die Wiese auf das Haus zu, zwischen Obstbäumen hindurch, deren Zweige bis auf den Boden hängen. Die Tür auf der Gartenseite, die wie immer offen ist, führt direkt in die Küche. Ich gewöhne mich an das spärliche Licht. Am Herd steht jemand. Er dreht sich herum, starrt mich an: »Hey Phillip, was machst du denn hier?«
David trägt seine rotblonden Haare wieder so lang wie früher, vielleicht noch länger. Ich mustere ihn. Er ist etwas stämmiger geworden und er sieht immer noch gut aus.
»Wollte zu Moritz …« Ich nehme meinen Rucksack ab.
»Der ist doch auf Kreta. Wusstest du das nicht?«
»Nein.« Ich lasse mich auf einen Stuhl sinken. Seit ich in Berlin bin, sehe ich Moritz kaum noch, höre selten von ihm.
»Willst du was trinken?«
Ich schüttle den Kopf. David entzündet ein Streichholz, macht den Herd an. Die Gasflamme beleuchtet sein Gesicht bläulich. Früher, als Moritz und ich erst dreizehn waren, war er schon siebzehn, wirkte unnahbar und selbstbewusst. Hochgewachsen, der Älteste der Geschwister.
David stellt einen Wasserkessel auf den Herd. »Doch ’nen Kaffee?«
Die Tür geht auf und Benjamin kommt herein, bleibt auf der Schwelle stehen, als er mich sieht. »Hallo, wo kommst du denn her?«
»Hi.«
Benjamin sieht mich erstaunt an. »Moritz ist gar nicht da.«
»Weiß.«
David nimmt zwei Tassen vom Bord, füllt Kaffeepulver ein. Der Wasserkessel beginnt zu zischen. Benjamin schaut mich immer noch verwirrt an, ich wende den Blick ab. Ich habe ihn seit drei Jahren nicht gesehen. Da saß ich mit Moritz hier in dieser Küche und er kam herein und wollte zu David. Moritz und ich sahen uns nur an und grinsten.
»Wir sind nur kurz hier, meine Eltern sind auch weggefahren«, sagt David.
»Scheiße.«
»Was ist denn los?«, fragt Benjamin.
»Nichts. Hab keinen Bock auf zu Hause.«
Benjamin und David tauschen einen Blick. David gießt die Kaffeetassen auf. »Du wirklich nicht?«
Ich schüttle nicht mal den Kopf, starre vor mich hin. Was bin ich auch für ein Idiot, einfach aus dem Zug zu springen. David und Benjamin setzen sich, rühren in ihren Tassen. Ich spüre, dass beide mich anblicken.
»Willst du mit zu uns kommen?«, fragt Benjamin.
Ich blicke hoch. »Echt?«
Benjamin nickt, ich schaue David an, er schenkt mir einen freundlichen Blick und ein knappes Nicken. Die beiden trinken ihren Kaffee aus, dann gehen wir nach draußen und steigen in einen roten Käfer. Ich setze mich hinten in die Mitte, während der Fahrt beobachte ich Benjamin im Rückspiegel. Auch er trägt seine Haare ein bisschen länger, braune Strähnen fallen ihm ins Gesicht. Früher fand ich ihn unauffällig, er verblasste neben der aufregenden Ausstrahlung von David für mich völlig, aber jetzt sehe ich, dass er hübscher ist, als ich ihn in Erinnerung hatte. Er lächelt mich durch den Rückspiegel an und ich schaue weg.
Wir fahren über eine schmale, von Obstbäumen gesäumte Landstraße, durch ein Dorf, dann eine alte Kastanienallee entlang. Schließlich erreichen wir ein größeres Dorf, Gehöfte und eine Kirche thronen auf Hängen. Eine Brücke führt über den Bach, dann biegt Benjamin in einen Weg ein.
»Da sind wir«, sagt er. Er hält neben einem schmalen, alten Haus. Ein Weinspalier, oben Fachwerk, kleine Fenster. Benjamin beobachtet mich im Rückspiegel.
»Das ist eures?«
»Benjamins«, sagt David.
»Unseres«, sagt Benjamin und steigt aus. Wir gehen ins Haus, der Flur ist dunkel und kühl, ich stelle meinen Rucksack in eine Ecke.
»Hunger?«, fragt mich Benjamin.
»Ich mach mal was«, sagt David.
Ich folge Benjamin durch die Hintertür in den Garten. Zwischen Obstbäumen steht das Gras hoch, ein Pfad windet sich hindurch bis zu einem wackligen Küchentisch unter einem Birnbaum. Daneben eine Hängematte zwischen zwei Bäumen. Ich höre den Dorfbach plätschern und gehe ein paar Schritte über die sanft abfallende Wiese Richtung Bach. Dieser Garten gefällt mir auf Anhieb, denn er erinnert mich an den Garten meiner Kindheit. Nicht an den ordentlichen, sterilen Garten am Haus meiner Eltern, sondern an den Garten von Moritz’ Familie.
Ich drehe mich um, Benjamin, der sich hingesetzt hat, beobachtet mich.
»Schön hier.«
»Ja«, er lächelt und er sagt es mit einer Zufriedenheit, die mich neidisch macht. Ich kann mich nicht erinnern, dass er früher so viel gelächelt hat.
»Bald muss ich es sensen. Ich liebe es, wenn das Gras so hoch steht. Ich weiß auch nicht, ich bin ein bisschen komisch.«
»Is’ doch nichts dabei.«
»Frag die Nachbarn.«
Ich setze mich zu ihm, sehe ihn fragend an, aber Benjamin winkt nur ab.
»Du studierst Fotografie? Hat Moritz erwähnt.«
»Nein, noch nicht. Hab mich erst beworben. Weiß noch nicht mal, ob es klappt.« Ich zögere. Ich weiß noch nicht einmal, ob ich es will.
David kommt mit einem Tablett heraus und wir helfen ihm, den Tisch zu decken. Es raschelt unten am Bach und eine rote Katze stolziert durch die Gräser auf uns zu.
»War ja klar. Das ist Jurek«, sagt Benjamin. Die Katze springt auf den freien Stuhl. Wir beginnen zu essen, während Jurek uns mit großen Augen aufmerksam ansieht. Es gibt Käse, undefinierbare Pasten, Salat und nur ein bisschen Salami.
Benjamin schiebt sie mir zu. »Halt dich ran, davon gibt es nicht viel.«
»Er wird schon nicht verhungern.« David grinst.
»David ist Vegetarier, weißt du.«
»Und du?«
»Nicht. Aber ich esse nur Biofleisch.«
»Wir essen überhaupt nur Bio«, sagt David.
Ich finde das ein bisschen übertrieben, aber ich sage nichts. Die Hitze des Tages ist vorbei, im Garten ist es jetzt angenehm kühl. Als wir mit dem Essen fertig sind, frage ich: »Wo ist’n das Klo?«
»Durch die Tür und dann links.«
Ich gehe pinkeln, dann bleibe ich unschlüssig im Flur stehen. Neugierig trete ich tiefer ins Haus, steige die Treppe nach oben. Dort herrscht eine stickige Wärme, die Zimmertüren stehen auf. Ich schaue in ein Zimmer, das kaum möbliert ist. Auf die Wände sind überlebensgroße Gräser gemalt, auf dem Boden liegt eine Matratze und eine Hängematte ist über Eck gespannt. Ich gehe durch den Raum bis zum offenen Fenster. Der Garten breitet sich vor mir aus und zwischen den Bäumen kann ich David und Benjamin mehr erahnen als sehen. Ich stütze mich auf der Fensterbank ab.
»… Mutter vor einem Jahr gestorben ist?«, höre ich David.
»Warum hast du mir das nicht erzählt?«, fragt Benjamin.
Ich umklammere das Fensterbrett und bleibe ganz still stehen.
»Weiß nicht. Ihr kennt euch ja kaum. Und ich kenne Phillip eigentlich auch nur durch Moritz.«
»Er wusste wohl schon, dass wir zusammen sind“, sagt Benjamin.
»Scheint aber kein Problem damit zu haben.«
»Was war mit seiner Mutter?«, fragt Benjamin.
David zögert, bevor er ›Krebs‹ sagt. Ich verstehe das Wort nur, weil ich es weiß. Ich löse mich vom Fenster und gehe leise wieder nach unten. Im dunklen Flur kommt mir Benjamin entgegen. »Suchst du was?«
»Nein.« Ich gehe zu meinem Rucksack, hole einen Pullover raus.
»Komm, ich zeige dir mal das Zimmer, wo du schlafen kannst.« Er führt mich die Treppe hinauf.
»Hier.« Er zeigt mir ein kleines Zimmer. Die Decken hier oben sind so niedrig, dass ich nicht einmal den Arm nach oben ausstrecken könnte.
»Ist das heiß hier.« Ich habe das Gefühl, die Hitze des Tages hat sich im Obergeschoss gestaut. Obwohl das kleine Fenster und die Tür offen stehen, verirrt sich kein Lüftchen rein. Ich trete ans Fenster. Die Dämmerung hat sich über den Garten gesenkt.
»Kann ich nicht draußen schlafen? In der Hängematte?«
»Hm, wenn du willst. Schlafsäcke haben wir.«
»Cool.«
Wir gehen wieder in den Garten, David hat den Tisch inzwischen abgeräumt.
»Auch ein Bier?«
Ich nicke und David öffnet noch zwei Flaschen.
»Phillip will im Garten schlafen.«
»Gute Idee.«
Ich trinke von meinem kühlen Bier.
»Also, warum willst du nicht nach Hause?«, fragt mich David unvermittelt.
Ich verschlucke mich an meinem Bier und huste. Angesichts ihrer Gastfreundschaft haben sie wohl ein Recht auf diese Frage.
»Mein Vater will, dass ich bei ihm eine Ausbildung mache und dann den Laden übernehme.«
»Und du willst das nicht?«
»Na ja.« Das weiß ich noch gar nicht so genau. Das Angebot meines Vaters ist nicht schlecht. Ein gutgehender Laden. Fotografieren können. Und ich müsste nicht stets und ständig kreativ sein. Und ich weiß nicht, ob ich überhaupt einen Studienplatz bekomme. Ob mein Vater mich dann noch unterstützt.
»Weiß nicht«, sage ich.
»Hast ja noch Zeit«, beruhigt mich Benjamin.
Ja, eigentlich habe ich das. Aber mein Vater drängt mich. Und er hat nächstes Wochenende Geburtstag, seinen fünfzigsten. Er plant eine große Feier, deswegen sollte ich kommen. Ich nippe an meinem Bier. Es wird jetzt schnell dunkel und David macht ein Windlicht an.
Ich drehe meine Bierflasche in der Hand, lese das Etikett. »Das Bier ist aber nicht Bio.«
»Nein, das Biobier schmeckt nicht«, sagt David.
Wir lachen und ich bin froh, dass die beiden es nicht so verbissen sehen. Als das Bier alle ist, holt David einen Schlafsack.
»Brauchst du noch was?«, fragt mich Benjamin.
»Fällt mir nichts ein.«
»Ich lass die Hintertür offen.«
»Ist das nicht leichtsinnig?«
Benjamin grinst. »Da machen wir uns nichts draus. Schlaf gut, ja?«
»Ihr auch. Und danke.« Als die beiden gegangen sind, rolle ich den Schlafsack in der Hängematte aus. Sie ist breit und aus dichtgewebtem Stoff. Es ist kühl geworden und das Gras ist feucht, ich weiß nicht, woher das kommt. Ich lege mich in die Hängematte und schließe den Schlafsack. Es ist unglaublich still hier draußen. Am Schuppen steht ein großer Holunder. Seine weißen Blüten leuchten im letzten Licht. Ein süß-herber, unverwechselbarer Duft weht herüber.
Es raschelt im Gras. Dann lugen Jureks Pfoten und Kopf über den Rand der Hängematte. Er holt Schwung und springt auf mich, die Hängematte beginnt wieder zu schwingen. Jurek bleibt auf meinem Bauch sitzen, bis es nicht mehr schaukelt, dann legt er sich hin. Wir schlafen ein.
Morgenlicht
Sonnenlicht blitzt durch die Blätter des Birnbaumes. Ich blinzle und wühle mich aus dem Schlafsack, seine Außenseite fühlt sich feucht an. Die Luft ist ganz frisch, die Sonne wärmt schon. Irgendwo klopft ein Specht in schnellem Takt, ein Vogel zankt, dann ist es wieder still.
Im Baum hängt ein Windlicht aus Glas, in dem sich die Sonne verfangen hat und blinkt wie ein gefangener Kobold. Ich schiebe mich höher, schaue über den Rand der Hängematte. Das Gras leuchtet im Morgenlicht, schimmert feucht. Ich hatte vergessen, wie schön es ist. Wenn ich eine Kamera hätte, könnte ich das Licht auf dem Moos am Baumstamm festhalten, dieses grüngoldene Leuchten. Diese Korona aus Licht, die sich um einen vertrockneten Zweig gebildet hat. Die Sonnenflecken auf der Hängematte.
Gras raschelt, vielleicht Jurek, vielleicht ein Vogel. Das Geräusch kommt näher. Ich spähe in den Garten. Nahe am Bach steht ein Junge, von mir weggedreht. Ich sehe einen Schopf blonder Dreadlocks, er trägt Bermudas und ein Achselshirt. Er beugt sich hinunter, hebt etwas auf. Verknotet einen Teil seiner Haare am Hinterkopf und steckt eine Feder hinein. Dann dreht er sich herum, kommt mit geschmeidigen Bewegungen näher. Ich halte den Atem an. Er bewegt sich, als wäre er hier zu Hause, als pflege er nichts anderes zu tun, als an Sommermorgen durch Gärten zu wandeln.
Er bleibt stehen, streckt sich, zieht die Luft ein. Die Sonne bringt seine gebräunte Haut zum Schimmern. Er ist schlank und nicht sehr groß.
Er schaut sich um, erblickt mich, grinst. Dann kommt er näher. Ich genieße es ihn anzusehen. Ihm scheint es ganz recht zu sein, dass ich nichts sage.
»Schöner Morgen«, meint er schließlich.
»Ja.« Ich muss gähnen.
Er grinst wieder, lässt sich in den Liegestuhl fallen. Ich drehe mich auf die Seite, an den Rand der Hängematte, um ihn nicht aus dem Blick zu verlieren. Sein Shirt ist ein bisschen hochgerutscht, er krault sich am Bauch, gibt noch ein paar Zentimeter Haut mehr frei. Ein kleines Tattoo lugt hervor und eine Spur blonder Härchen verschwindet unter seinem Hosenbund.
Er blickt hoch. »Ich wollte zum Frühstück vorbeikommen. Noch gar nichts los?«
Ich schaue zum Haus. »Scheint so.«
»Zu Besuch hier?«
»Hm.«
»Machst du Frühstück?«
Ich muss lachen und befreie mich weiter aus meinem Schlafsack, strecke mich.
»Ich halts gut hier aus.«
Er legt die Arme über den Kopf, wirft mir von unten herauf einen Blick zu. Seine Augen scheinen grün zu sein, ich schaue ihn an, lange. Eine kleine Kugel steckt in seiner Unterlippe und er spielt mit seiner Zunge daran. Dann erhebt er sich, reckt sich, bringt seinen Körper zur Geltung.
»Ich geh mal gucken.« Er entfernt sich und geht hoch zum Haus, tritt durch die Hintertür. Ich gähne, räkle mich noch einmal. Dann stehe ich auf, gehe hinter den nächsten Baum und pinkle. Ein Buchfink sitzt auf einem Zweig und beobachtet mich. Ich schließe meine Hose wieder und gehe steifbeinig ein paar Schritte durch den Garten. Benjamin kommt mit einem Tablett aus dem Haus, stellt es auf den Tisch.
»Morgen. Gut geschlafen?«
»Fantastisch. Ist so ruhig hier.« Ich helfe ihm, den Tisch zu decken. Der morgendliche Gast kommt mit Kissen heraus, verteilt sie auf die Stühle.
»Das ist Seth“, stellt Benjamin ihn vor. »Wir sind zusammen zur Schule gegangen.«
»Aha.« Ein Schulfreund also. Wohl kein schwuler Schulfreund.
Seth grinst mich frech an. Er hat ein Grübchen im Mundwinkel, wenn er grinst, nur auf einer Seite. Er ist unverschämt.
Ich verteile das Besteck. »Bringt David noch mehr?«
»Klar.«
Jurek schleicht durchs Gras, hat wohl in einem seiner Verstecke auf den richtigen Zeitpunkt gewartet. Er springt auf einen Stuhl, macht es sich auf dem Kissen bequem. David bringt ein vollbeladenes Tablett, verteilt Schüsseln und Teller auf dem Tisch. Wir setzen uns, verscheuchen Jurek, und Benjamin gießt großzügig Kaffee ein. Ich stelle einen Fuß auf den Stuhl, will erst mal nur Kaffee.
»Seid ihr seit der Schulzeit befreundet?«, frage ich Benjamin.
»Nein, haben uns ewig nicht gesehen.«
»Bis zu diesem furchtbaren Klassentreffen«, wirft Seth ein.
»Kannst du glauben, wie spießig die alle geworden sind?« Benjamin schüttelt den Kopf.
»Jedenfalls hab ich alleine an diesem Tisch gehockt und mich furchtbar gelangweilt.«
»Bis ich kam und fragte, ob ich seine Dreadlocks anfassen darf.«
»Ja, ich fand, er ist ziemlich cool geworden.« Seth grinst.
Benjamin streicht über seine verfilzten
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Tag der Veröffentlichung: 24.04.2017
ISBN: 978-3-7438-0943-7
Alle Rechte vorbehalten