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Leseprobe

Table of Contents

Titel

Benjamins Gärten

Phillips Bilder

Nur eine Frage der Liebe

Im Zimmer wird es still

Daniel und Ismael

Anmerkung

Impressum

 

 

Leseproben-Sammlung

aus vier Romanen

 

von J. Walther

 

~ Benjamins Gärten ~

~ Phillips Bilder ~

~ Nur eine Frage der Liebe ~

~ Im Zimmer wird es still ~

 

sowie der Erzählung

~ Daniel und Ismael ~

Benjamins Gärten

 

Nach dem Tod seiner Eltern lebt der 19jährige Benjamin allein in seinem Elternhaus. Verhaftet in seinen Erinnerungen, lässt er sich treiben, ohne zu wissen, was er mit seinem Leben anfangen will. Auch wenn er in seinem Heimatdorf keine Perspektive für sich sieht, ist er eingesponnen in die Natur und die idyllische Umgebung. In die Großstadt zu ziehen kann er sich nicht vorstellen. Doch eines Tages taucht in der leer stehenden Villa der geheimnisvolle Marek auf und mit ihm die Aussicht auf ein ganz anderes Leben. Benjamin muss sich entscheiden ...

 

 

~ 1 ~

Wasser

 

Wenn das Wasser ganz ruhig ist, kann man die Kacheln am Grund des Beckens erkennen. Verschiedene Schattierungen von Blau auf dem Grund, die geschwungenen Linien dazwischen. Am Rand sind die Kacheln dunkelblau und ornamentiert. Ich schlage an, stoße mich kräftig vom Beckenrand ab, gleite lange. Eine freie Bahn vor mir, niemand der stört. Ich schwimme langsam, mit gleichmäßigen Zügen. Erreiche die andere Seite des Beckens, halte mich einen Moment fest. Zwei der dunkelblauen Jugendstilkacheln sind gesprungen, verraten ihr Alter, verzeihen die mangelnde Pflege nicht. Ich stoße mich rückwärts mit den Füßen ab, gleite einen Moment, hebe einen Arm und beginne zu schwimmen, ziehe mich kraftvoll durch das kalte Wasser. Die niedrige Decke über mir, von Stahlträgern gehalten, schmale Fenster knapp darunter. Das warme Licht des späten Nachmittags fällt hindurch, trifft knapp über dem Wasser die andere Wand in rötlichen Vierecken.

Ein junger Mann mit einer Schwimmbrille kommt in mein Blickfeld. Sein Kopf hebt sich weit über das Wasser, bleibt lange untergetaucht, erscheint wieder. Er zieht an mir vorbei, ohne das Wasser aufzuwühlen. Ich drehe mich herum, erreiche das Ende der Bahn, verschnaufe, blicke über das Becken. Der Kopf des jungen Mannes hat fast schon wieder die andere Seite erreicht. Am Ende der Bahn taucht er unter, bleibt lange verschwunden. Taucht nur wenige Male kurz auf, den Oberkörper weit über Wasser. Er ist ein beneidenswert guter Schwimmer, schnell und ausdauernd. Neben mir hält er kurz an, grüßt mit einem Kopfnicken, holt tief Luft, schwimmt mit kräftigen Kraulzügen davon. Die Muskeln seiner Schultern sind angespannt. Ich betrachte meine wassertretenden Beine, meine Brust. Ich bin schlank, das ist gut fürs Schwimmen, doch nicht so muskulös wie er.

Ich blicke auf, seine Arme näher sich schon wieder. Eine Bahn weiter schwimmt eine alte Frau langsam heran. Als sie meinen Beckenrand fast erreicht hat, erkenne ich sie. Meine Großtante zweiten Grades. Sie hat ein gutmütiges, breites Gesicht, sieht ohne ihre große Brille ungewohnt aus. Ich will schnell weiterschwimmen, doch zu spät.

“Hallo Benjamin.” Sie erreicht keuchend den Rand. Ich grüße artig, weiß, was von mir erwartet wird. Verzweifelt versuche ich mich an ihren Namen zu erinnern, aber ohne Erfolg. Sie kommt dicht an mich heran, blickt mich aus kurzsichtigen Augen freundlich an.

“Wie kommst du denn klar so alleine?”

“Geht so, muss ja”, antworte ich angemessen ernst. Meine Standardantwort auf diese Frage. Die mir seit fast einem Jahr immer wieder gestellt wird, auf die ich keine andere Antwort weiß.

“Bist schon ein tüchtiger Junge.” Ihr Tonfall hat etwas Weiches und Mitfühlendes angenommen. Hilfesuchend schaue ich über ihre Schulter. Der Kopf des jungen Mannes verschwindet unter Wasser, taucht weiter hinten wieder auf. Ich bin um eine Antwort verlegen, nicke halbherzig.

“Aber mit dem Abitur bist du fertig?”

“Ja”, ich blicke über ihre andere Schulter, immer noch hilfesuchend. Doch dort schwimmt nur eine alte Dame auf uns zu. Sie grüßt verkniffen, als sie uns erreicht hat, hält sich am Beckenrand fest.

“Wie schaffst du denn alles mit dem Haus?”, fragt meine Großtante zweiten Grades weiter.

“Ich würde die alte Bude verkaufen”, mischt sich die andere Frau ungefragt ein. Ich schließe für einen Moment die Augen. Das Gespräch nimmt den üblichen Verlauf. Dem ich hilflos gegenüberstehe. Ich kann nicht über Dinge reden, die mir selbst so wenig klar sind. Ich wende mich Rettung suchend wieder an meine Großtante.

“Ja, aber wenn du mal eine Familie hast, dann ist es doch schön, wenn du schon ein Haus hast”, nickt sie.

Stets gleicher, gut gemeinter Wunsch für meine Zukunft. Eine Familie, ihre Hoffnung für mich. Sie trösten sich auch selber damit. Irgendwann wird alles wieder normal sein, das Schicksal ausgeglichen. Doch ich kann ihr Trostpflaster nicht annehmen und antworte ausweichend.

“Hoffentlich bekommst du bald eine Lehrstelle. Du musst ja jetzt Geld verdienen.”

“Ja”, sage ich, obwohl ich mich noch nicht einmal um eine Ausbildung bemüht habe. Nicht weiß, was ich anfangen soll. Ich entfliehe dem Gespräch mit einem flüchtigen Nicken. Schwimme schneller als zuvor, mit kräftigen Stößen. Ich mag nicht, wie sie über mein Leben diskutieren, alles besser wissen. Es ist mein Leben. Ich muss es leben, ich brauche ihre gutgemeinten Ratschläge nicht.

Ich erreiche die andere Seite, drehe mich um. Der Kopf des jungen Mannes taucht ein Stück vor mir auf, kommt auf mich zu. Wir stoßen uns fast gleichzeitig wieder ab, er unter Wasser, ich darüber. Ich versuche mit ihm mitzuhalten, strenge mich an. Doch vergeblich, ich schwimme zu hastig, verliere meinen Rhythmus und komme eine ganze Länge nach ihm an. Er hat schon wieder elegant gewendet. Ich halte mich am Beckenrand fest, atme schwer. Die beiden Frauen sind immer noch da, unterhalten sich. Schwimmengehen als Vorwand, um Dorftratsch auszutauschen.

“Da ist doch der seltsame Mann in der Villa.”

“Mein Mann hat ihn gefragt, was er so macht und er hat kaum was erzählt.”

Jetzt schwimmen sie doch los, langsam genug um sich zu unterhalten, hoch erhobenen Hauptes.

“Mit dem stimmt doch irgendwas nicht”, höre ich gerade noch. Ich bleibe am Rand.

Dieser Fremde. Ich habe schon gehört, dass jemand die alte Villa gekauft haben soll. Jemand also, der auf forschende, nur vordergründig freundliche Fragen hin nicht bereit ist, seine Lebensgeschichte auszubreiten. Das klingt interessant. Ich kann ja mal einen Blick auf die Villa werfen, ich war lange nicht mehr da.

Ich stemme mich am Beckenrand hoch, steige aus dem Wasser. Im Vorbeigehen nehme ich mein Handtuch vom Geländer, rubble durch meine widerspenstigen Haare. Ich trockne mich ab, ziehe mich hastig an. Dann gehe ich nach oben, die Haare noch immer feucht. Am Ende der Treppe öffnet sich eine große Halle. Durch die hohen Fabrikfenster fällt diffuses Licht, in den Ecken liegen Dreck und Müll. Ansonsten ist die Halle leer, die Maschinen schon lange entsorgt. Alles was noch übrig ist, ist das alte Schwimmbecken für die Arbeiter im Keller. Ich gehe über den staubigen Boden, trete aus dem Gebäude. Die abendliche Märzluft ist kalt. Als ich die Dorfstraße entlanggehe, beginne ich zu frieren. Ich laufe schneller, um die Kälte zu vergessen. Das Dorf zieht sich lang hin, die Häuser sind am Bach verteilt, über Hangwiesen thronen einzelne große Gehöfte.

Endlich erreiche ich das andere Ende des Ortes. Ich biege von der Straße ab und wähle einen schmalen Pfad durch die Wiesen.

Ich gehe zwischen den Bäumen hindurch, auf den Pfad fällt kein Lichtschein. Ich setze meine Schritte vorsichtig, unsicher, wo sich der Bach befindet. Schließlich entdecke ich die Stelle, gehe am anderen Ufer weiter und bemerke flackernde Schatten auf dem Boden. Zwischen den Bäumen wird es heller. Ich blicke auf. Die Silhouette der kleinen Villa hebt sich von dem verblassenden Himmel ab, im Türmchen brennt Licht. Neben der Villa prasselt ein großes Feuer, wirft weite gespenstische Schatten. Ein hochgewachsener blonder Mann wirft Bretter und Schrankteile in die Flammen, das Feuer lodert auf. Der attraktive Mann ist eindeutig nicht von hier.

Ich überlege noch, ob ich einfach hingehen soll, als er zu einem kleinen Tischchen greift, das etwas abseits steht. Ich springe aus meiner Deckung hervor, laufe zu ihm: “Nicht! Das ist doch noch gut.”

Der Fremde schaut sich nach mir um, lässt das Tischchen wieder sinken. Als ich vor ihm stehe, grinst er mich an.

“Oh, ein Liebhaber alter Dinge.” Sein Lächeln wird breiter. Ich schaue ihn an, länger als nötig. Sein schönes Gesicht ist erhitzt, bildet einen reizvollen Kontrast zu seinem blonden Haar. Das Lächeln weicht nicht aus seiner Miene, wird verschmitzt. Ich reiße mich von diesem Anblick los, begutachte das Tischchen.

“Es ist doch noch gut. Ist das Jugendstil?”

“Ich denke schon.” Er deutet auf den Messingbeschlag der Schublade. “Aber es hat lauter Kratzer und in den Beinen ist der Holzwurm.”

“Man kann es aufarbeiten. Der Holzwurm ist schon lange raus.” Unsere Hände liegen je auf einer Seite des Tischchens, keiner lässt es los. Er lächelt mich wieder an.

“Gut, ich habe Abbeizer im Schuppen. Du kannst das machen, wenn du willst.” Wir stellen das Tischchen gemeinsam beiseite. Dann wirft er Bretter in das prasselnde Feuer, bis es hoch auflodert. Ich stehe da, unsicher, die Hände in den Hosentaschen. Schließlich dreht er sich zu mir um, deutet auf einen Baumstamm. Wir setzen uns, blicken ins Feuer. Von vorne versenkt die Hitze uns fast, lässt mein Gesicht glühen, mein Rücken ist kalt. Tänzelnde Flammen und Funken steigen in den blassen Himmel. Unser Schweigen verunsichert mich. Will er lieber, dass ich gehe? Ich betrachte ihn aus den Augenwinkeln, er wirkt völlig entspannt. Neigt mir den Kopf mit einer vertrauten Geste zu. Ich räuspere mich, frage ihn, was er hier mache. Bin erstaunt, wie wacklig meine Stimme klingt.

“Ich habe die Villa gekauft und werde sie renovieren. Sie ist schön, findest du nicht?”

“Ja, ich mochte sie schon als Kind.”

“Du bist von hier?” Die Überraschung in seiner Stimme schmeichelt mir.

“Ja, ich bin hier geboren. Willst du dann hier wohnen?”

“Nein, ich werde sie weiterverkaufen.”

“Ungewöhnliche Geschäftsidee.”

Er antwortet nicht, wirft alte Kisten und Gestrüpp ins Feuer. Setzt sich dann wieder, blickt mich nachdenklich an.

“Eigentlich ist es mehr als eine Geschäftsidee.”

“Was dann?” Ich schaue ihn gespannt an.

“Als ich einundzwanzig war, starb meine Großmutter. Ich vermisste sie sehr, denn in meiner Kindheit hatte ich mich bei ihr immer am wohlsten gefühlt. Sie hatte mir ihr Häuschen vererbt und ich zog mich dorthin zurück. Es lag in einem Vorort, ein vernachlässigtes kleines Siedlungshaus. Drinnen roch es nach Alter und Krankheit, der Garten war ungepflegt, aber immer noch das kleine Paradies meiner Kindheit. Rabatten voller Sommerblumen, verwilderte Beerensträucher und ein baufälliger Schuppen, die Gemüsebeete von Kletten überwuchert. Als Kind war ich jeden Sommer dort. Ich saß den ganzen Tag da und versank in Erinnerungen. Schließlich konnte ich es nicht mehr ertragen. Ich begann, die Schränke auszuräumen, verkaufte das alte Porzellan und Kristall an Antiquitätenhändler, füllte zwei Sperrmüllcontainer.”

Während er redet, kann ich nicht aufhören, ihn verstohlen zu betrachten. Die Kurve, die sein exakt geschnittenes blondes Haar über seinem Ohr beschreibt. Die helle Beuge seines Armes, als er den Ärmel hochschiebt. Seine schönen Hände. Er achtet nicht auf mich, schaut ins Feuer, ist mit seinen Gedanken beschäftigt.

“Ich putzte den schwarz- weißen Steinfußboden in der Diele, entfernte die Bretterverschalung vom Windfang, entdeckte die Originallampen und alte Fotos auf dem Dachboden. Und langsam wurde es mir klar. Dieses Haus war mehr als ein gewöhnliches zwanziger Jahre Siedlungshaus. Es hatte viele schöne Details. Es war ein kleines Juwel und ich begann, ihn zu polieren. Ich befasste mich mit alten Plänen, wälzte Architekturbücher, erkundigte mich bei Handwerkern und begann alles in Stand zu setzen. Ich entfernte eingezogene Wände und das Licht kehrte zurück. Ich ersetzte Glassteine in der Veranda, hängte die Bauhauslampen wieder auf und strich die Wände in den Originalfarben.”

Er wendet den Blick vom Feuer, taucht ein Stück aus seiner Erinnerung auf. Er schaut mich kurz und prüfend an. Scheint einen Moment irritiert. Blickt wieder in die Flammen.

“Dabei wusste ich gar nicht, was ich mit dem Haus anfangen sollte. Eigentlich wollte ich nicht dort leben, ich fühlte mich viel zu jung, um mich an einen Ort zu binden. Eines Tages kam ein Ehepaar vorbei. Sie blieben stehen, bewunderten das Haus. Wir unterhielten uns über den Zaun hinweg. Schließlich zeigte ich ihnen alles, sie waren begeistert und boten mir einen guten Preis, mehr als ich mir jemals vorgestellt hätte. Ich musste nicht lange überlegen. Ich hatte einen kleinen Bahnhof an einer stillgelegten Strecke entdeckt und hatte nun Kapital, von dem ich ihn kaufte und daraus ein Wohnhaus machte. Das ist jetzt sechs Jahre her und dies ist mein fünftes Haus.”

Er stochert im Feuer, sieht schließlich auf und sucht meinen Blick. “Es ist keine Geschäftsidee. Es ist mein Leben”, sagt er schlicht. Dann schweigt er. Er schaut mich noch einmal prüfend an. Mein Gesicht glüht von mehr als von der Hitze des Feuers. Auf seinen Zügen spiegelt sich der rötliche Widerschein der Flammen. Er steht auf, wirft alles Holz, das noch herumliegt ins Feuer und schürt es. Dann dreht er sich zu mir um, nickt in Richtung Villa. Ich stehe auf, folge ihm.

Er führt mich ins Haus, geht die Treppe hinauf, sagt kein Wort.

“Wie ist dein Name?” frage ich seinen Rücken.

“Marek.” Er öffnet eine Tür, wartet, bis ich das Zimmer betreten habe, folgt mir. Ein warmer Schimmer des Feuers dringt durchs Fenster, die Farbe blättert, Dreck liegt auf dem Boden, es ist kühl. Marek umfasst mich von hinten, seine Arme kreuzen sich über meiner Brust.

“Hast du schon einmal mit einem Jungen geschlafen?”

“Ja.” Ich schüttle den Kopf. “Nicht richtig.”

Ich spüre seine Lippen auf meinem Nacken, ein Stück die Wirbelsäule hinunter. Er geht in die Knie, knöpft einen Knopf meiner Jeans auf, dann noch einen. Ich spüre seine Lippen in der Kuhle am Ende meines Rückens, auf den Grübchen daneben. Er jagt Schauer durch meinen Körper. Dann kommt er wieder hoch, ich drehe meinen Kopf über die Schulter und wir küssen uns. Meine Hand lege ich in seinen Nacken, gebe mich seinem kundigen Mund hin.

Ich wende mich um, genieße die selbstverständliche Bewegung, mit der er sein Shirt über den Kopf zieht. Erkunde zögernd seinen gut gebauten Körper, verunsichert von seinem Selbstbewusstsein. Nehme meine Lippen zur Hilfe. Warme Haut, angespannte Muskeln. Kuhlen, rosige Erhebungen. Flaum, hervordrückender Knochen, die empfindsame Haut in der Beuge der Hüfte. Vertrautes Terrain. Sein erstaunter Aufschrei, sein Stöhnen, der herbe Geruch seiner Lust. Alle Unsicherheit ist von mir abgefallen, als ich mich erhebe.

Ich finde wieder seinen Mund, zeige ihm, was ich gelernt habe. Zeige ihm, wie gierig ich bin, wie hingerissen von ihm. Ziehe ihn auf die Matratze. Alles andere vergessen, nur noch der Mann unter mir, sein schönes Gesicht, sein Stöhnen. Reiße ihn mit. Er antwortet auf mein Begehren mit Hingabe. Lässt meine Leidenschaft nicht verhallen, fängt sie auf. Saugt sie in sich ein voller Gier.

In den dunklen Nachthimmel steigen immer noch wirbelnde Funken, als wir unter die Decke kriechen, er seine Arme um mich legt. Ich spüre den kühlen Schweiß an meinem Rücken, in der winzigen Spalte zwischen unseren Körpern. Seltsam, wie schnell die Lust schwindet, das Begehren verebbt, sich störende Gedanken einschleichen.

Ich beginne mich zu fragen, was es für ihn bedeutet hat. Eine flüchtige Nacht? Ein One-Night-Stand? Der Beginn einer Affäre? Ein Ereignis von der Bedeutung eines Lidschlages? Ich scheue mich zu fragen. Müsste wissen, was das hier bedeutet, wenn ich erfahrener, weltläufiger wäre.

Und trotz dieser Fragen schlafe ich bald und fest. Schlafe, während der fremden Mann neben mir liegt und sich unsere Arme berühren.

Am nächsten Morgen weckt mich seine warme Hand. Ich blinzle, registriere, dass er schon angezogen ist, auf dem Rand der Matratze kniet. Verwirrt blicke ich ihn an.

“Ich muss leider fort. Wirf den Schlüssel in den Briefkasten.”

Mein Mund ist ganz trocken. Ich suche nach Worten.

“Ich bin bald wieder da, okay? Ich freu mich schon.“

Er beugt sich vor, küsst mich flüchtig, steht auf. “Ich fürchte, es ist kein Kaffee mehr da.” Er ist schon an der Tür. Ich habe immer noch keine Worte gefunden. Ich bin nicht sicher, ob ich überhaupt schon munter bin. Es fühlt sich nicht so an.

Marek dreht sich noch einmal um, lächelt. Er scheint zu zögern. Ich warte darauf, dass er wieder zu mir kommt.

“Vergiss nicht abzuschließen, Benjamin.” Er wendet sich ab und geht. Mich friert unter der dünnen Decke. Irgendwann in der Nacht muss ich ihm meinen Namen gesagt haben.

 

 

~ 3 ~

Geheime Gärten

 

Ich bleibe in der Einfahrt stehen. Die Villa sieht unbewohnt aus. Das kenne ich schon von ihr. Als Kinder spannen wir Geschichten um dieses Haus. Wir waren uns nie sicher, ob wirklich jemand darin wohnte, so unbelebt und still wirkte es. Dass es etwas abseits in einem großen Garten lag, erhöhte seine mysteriöse Ausstrahlung noch. Zuletzt hatte die kleine Villa einige Jahre leer gestanden.

Es ist keine dieser Villen, in deren Giebeln ‘Trautes Heim’ oder ‘Villa Liselotte’ steht. Sie ist nicht bieder, eher geheimnisvoll, das Domizil eines eigenbrötlerischen Künstlers vielleicht. Kleine Fenster im Türmchen, die geschwungenen Dachziegel pflaumenfarben.

Vor drei Wochen habe ich das gerettete Tischchen abgeholt. Ein paar Tage später den Abbeizer. Dann ging ich bei einem Spaziergang hier vorbei. Nichts. Heute will ich schauen, ob Lack im Schuppen ist. Das Tischchen ist abgebeizt, gründlich. Genug Zeit hatte ich.

Ich gehe um die Villa herum. Auch hier keine Spur von Leben. An der grünen Holzveranda hinten blättert die Farbe. Alte Farbdosen und verklebte Pinsel stehen eingestaubt im Fenster. Der Garten hinter dem Haus ist verwildert, Wege verlieren sich im Grün, ich durchstreife sie, erspähe einen Tümpel, neben dem ein schiefer, moosüberwucherter Cherub versinkt. Ich gehe durch ein Labyrinth aus altem Rhododendron und entdecke am Ende des Gartens, vor einer bröckligen Mauer, einen hölzernen Pavillon mit geschnitzten Verzierungen. Ich fühle mich, als hätte ich einen geheimen Ort entdeckt, einen versteckten Garten. Die Wiese vor dem Pavillon ist mit blauen Sternblumen übersät. Die Frühlingssonne, die durch die kahlen, nur mit einem Flaum zarten Grüns überzogenen Bäume dringt, bringt meine Augen zum Tränen. Ich sauge den Frühling in mich auf, die Frische der Farben, die Sonne, den hellen Gesang der Vögel. Stehe einfach nur da, versteckt in diesem Zauber.

Schließlich gehe ich zurück zum Haus, biege um die Ecke. Am Ende der Einfahrt steht ein großes

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: J. Walther
Tag der Veröffentlichung: 20.06.2014
ISBN: 978-3-7368-2145-3

Alle Rechte vorbehalten

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