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Vorwort

Es kommt nicht selten vor, dass Reisende zuweilen undurchsichtige Pfade beschreiten. Getrieben von den verschiedensten Beweggründen, allen voran der Neugier, begeben sie sich auf die Suche nach den unterschiedlichsten Dingen. Stets wachsam und bedacht, kein Zeichen am Wegesrand zu übersehen, das sie auf ihrer Route weiter und ihrem Ziel näher bringen würde. Könnte jede einzelne Fährte doch so kostbar sein und die weitere Richtung weisen oder gar auf Gefahren hindeuten. Doch mitunter nähern sich Bedrohungen so schleichend und tödlich, dass der Jäger schneller zum Gejagten wird, als er es realisieren kann. Und manchmal braucht es nicht mehr als einen einfachen Köder, um einem Verfolger die eigene Unterlegenheit vor Augen zu führen und zu zeigen, dass er im Grunde nicht mehr gejagt hatte, als die Falle, die ihn zur Strecke bringt. Eine bittersüße Wahrheit, deren Eingeständnis unausweichlich Urinstinkte freisetzt und in dem jämmerlichen Versuch mündet, das eigene Überleben in einer ausweglosen Flucht zu sichern.

Prolog

 

Immer dichter zogen sich die tiefgrauen Gewitterwolken zu einem dunklen, unheilvollen Schleier über der großen Waldfläche nahe der kalifornischen Küste zusammen. Uralte, beeindruckend hohe Laub- und Nadelbäume warfen lange Schatten in den letzten Ausläufern der blutroten Sonne, deren Strahlen nur noch spärlich durch die zusammengeballten Vorboten des Unwetters hindurchdrangen. Ein Junge, nicht älter als acht Jahre, spazierte barfuß und mutterseelenallein am Rande des Wiesenweges. Verträumt und unbekümmert ließ er die Hand durch das emporragende Gras des angrenzenden Terrains gleiten, berührte warme Halme und ließ die Wedel unter seinen Fingerkuppen entlang huschen. Ein merkwürdiges Flimmern lag in der Luft. Als würden sich violette Lichtschimmer mit den herumwirbelnden Staubpartikeln zu einem ewigen Tanz in den stärker werdenden Windstößen zusammenfinden. Eine Reflexion, so schön anzusehen, als würde sie einer gänzlich anderen Welt entspringen. Die aufkommende Schwüle wirkte beinahe schon elektrisierend, als sich der erste Blitz entlud. Doch der Junge zeigte keine Angst. Auch dann nicht, als der erste Donner markerschütternd laut krachte und der Himmel grollend sintflutartige Regengüsse gen Erde schickte.

Immer wieder wandte er den Blick zum Wald hinüber. Etwas Verbotenes und zugleich auch Verlockendes zog ihn in seinen Bann und ließ ihn ohne Umschweife auf die bedrohlich wirkenden Bäume zusteuern. Eine schicksalhafte Falle, aus der es kein Entkommen gab und der er sich dennoch so zielstrebig näherte, wie eine Motte dem Licht. Mit jedem Meter, den er weiter hineinging, pfiff der Wind stärker und fegte einige bunt gefärbte Blätter vom allmählich fahler werdenden Blätterdach, dessen Zweige sich wie gierende Finger nach allen Richtungen ausstreckten. Die Luft war vom Blütenduft des Geißbarts geschwängert, der von immer wechselnden Böen in alle Himmelsrichtungen getragen wurde. Er glaubte sogar, ein entferntes Jaulen zu hören, das sich verstärkte, je weiter er vordrang, wie eine Sonate tierischer Wehklagen oder ein kleiner Orkan weinender Hunde. Dennoch trugen ihn seine Beine immer tiefer in die unheimliche Dunkelheit, bis hin zu einer verheißungsvollen Lichtung. Nach und nach blitzten bedrohlich funkelnde Augen im Dickicht auf und schienen immer näher heranzukommen, während der Junge wie paralysiert stehen blieb und der Gefahr gebannt entgegensah. Die Silhouette eines Wolfes löste sich aus der Finsternis. Tief knurrend und zähnefletschend trat er einige Schritte hervor und duckte sich mit einer geschmeidigen Bewegung auf den Boden, als lauerte er darauf, ihn alsbald anzufallen. Ein weiterer kam aus dem Unterholz, legte sich seelenruhig neben einen Busch und begann, seinen mitgebrachten Knochen mit den Zähnen zu zermalmen. Doch die Aufmerksamkeit des Jungen galt dem weißen Alphatier, das sich mit blutgetränkter Schnauze beharrlich näherte. Das Schicksal wählt seine Opfer nicht zufällig aus. Nichts passiert willkürlich. Er war dort, weil er dort sein sollte, an diesem hochsommerlichen Nachmittag im Los Padres National Forest, an dem er nicht mehr nach Hause zurückkehren würde.

Kapitel 1

 

„Gute Nacht, Mrs. Miller“, verabschiedete Ben Stevens Mutter auf dem Flur und schloss die Zimmertür hinter sich. Seine blonden Haare waren noch feucht von der Dusche. Das enge, weiße Shirt klebte klamm und durchscheinend an seinem notdürftig trocken gerubbelten Körper und zeichnete die flachen Muskeln seines schlanken Körpers ab. Lediglich seine Shorts waren weit genug geschnitten, um Spielraum für verbotene Fantasien zu lassen. Breit grinsend hob Ben den Blick und sah ihn vielsagend an. Steven biss sich auf die Unterlippe und nahm einen tiefen Atemzug. Sie beide wussten, dass er heute Nacht nicht auf der Luftmatratze schlafen würde, die dort extra neben dem Bett für ihn als Übernachtungsgast bereitlag.

„Schließ ab“, bat Steven, die Stimme heiser vor Erregung, den Blick lüstern an Ben haftend. Bereits nackt räkelte er sich erwartungsvoll auf dem Laken. Nur ein letzter Funke Selbstbeherrschung hielt ihn davon ab, schon mal selbst Hand anzulegen. Seine Lust stieg beinahe ins Unermessliche, als sich Ben mit viel zu langsamen Schritten näherte. Berühr mich endlich! Mach, was du willst, aber tu es! Sein Freund krabbelte zu ihm aufs Bett und hauchte ihm eine zarte Kussspur auf den Bauch. Das aufregende Gefühl ließ seine feinen Härchen wie elektrisiert aufstehen. Ein leises Wimmern entfuhr Stevens Lippen. Nicht auszudenken, was geschehen würde, wenn seine Mutter hier plötzlich hereinplatzte. Schnell schob er den störenden Gedanken beiseite und zog dafür lieber Ben an seinen Handgelenken zu sich heran. Er verschränkte ihre Finger und genoss mit geschlossenen Augen das aufregende Prickeln, das sein Freund in ihm auslöste, als er die empfindliche Stelle in seiner Halsbeuge küsste. Es würde eine dieser Nächte werden, an die er sich noch lange zurückerinnern und die ihn noch das ein oder andere Mal über die Schwelle bringen würde. Doch nun galt seine ganze Aufmerksamkeit Ben. Dessen forsches Vorgehen imponierte ihm immer wieder und würde ihm auch diese Nacht eine unvergessliche Zeit bescheren. Er würde ihm gehören, mit jeder Faser seines Körpers. Würde sich ihm hingeben, völlig fallen lassen, jeder Kontrolle entsagen. Unfähig sich in seiner Vorfreude noch länger zurückzuhalten, griff er ihm in den Nacken, um ihn noch fester an sich zu pressen. Bens Atem hinterließ einen wohligen Schauer dort, wo er seine Haut streifte. Und obwohl sie schon oft miteinander geschlafen hatten, veränderte sich in diesem Augenblick etwas für Steven.

Ein innerer Kampf begann in ihm zu toben. Er fühlte sich in seinen Zweifeln verloren und zugleich hoffnungsvoll in seinen Träumen. Ein Chaos, dem er nichts entgegenbringen konnte, hervorgerufen durch nichts Geringeres als eine Berührung. Es ging nicht mehr um reine Lustbefriedigung. Da war dieses seltsame, neuartige Kribbeln, als würde eine Horde Ameisen durch seinen Körper marschieren und dabei eine Hitze aussenden, die ihn gänzlich zu zerschmelzen drohte. Widersprüchliche Gefühle begehrten gegeneinander auf und rangen um eine Vorherrschaft, die jeweils nur von kurzer Beständigkeit war. Nie zuvor hatte er so intensiv empfunden und fragte sich nun für den Hauch einer Sekunde, ob Ben auch so fühlte. Ihre Lippen trafen hart aufeinander und verbanden sich zu einem innigen Kuss, der länger als üblich anhielt. Steven wollte ihn fortstoßen und gleichzeitig an sich ziehen. Ihn nach diesem irrsinnigen Gefühl befragen und dann … vielleicht noch mehr mit ihm verbunden sein. Gleichzeitig fürchtete er, die zarte Flamme zwischen ihnen durch diese Art von plötzlicher Gefühlsintimität schlagartig zu zerstören. Ich bin nur ein Fick, rief er sich wehmütig ins Gedächtnis. Nicht mehr.

Immer mehr Fragen zogen endlos kreisende Bahnen durch seinen Kopf, doch keine einzige wollte ihm über die Lippen kommen. Er versuchte zurückzuspulen, an irgendeinem greifbaren Punkt anzukommen, bevor er sich in diesen wundervollen graugrünen Augen verloren hatte. Nicht mehr zu fühlen, als die Lust, die alles andere betäubte. Sanft strich er mit dem Daumen über Bens Schläfe bis hin zum Haaransatz. Kurz berührten sich ihre Nasenspitzen, wie zwei sich Liebende, die zu lange voneinander getrennt gewesen waren und den anderen nun zaghaft mit schüchterner Sorgfalt auf seine Echtheit prüften. Steven hatte kurzzeitig die Luft angehalten und stieß nun den Atem wieder aus. Er fühlte sich zu ohnmächtig, um sich zu bewegen und wartete begierig ab, unsicher, was er zuerst geschehen lassen durfte. Jedes Wort war zu viel. Es würde diesen kleinen Moment, dieses winzige und zerbrechliche Konstrukt einer Liebe, das kaum fragiler sein könnte, nur zerstören. Vorsichtig hielt er inne, damit weder ein zu tiefer Atemzug noch ein zu lauter Herzschlag diesen wundervollen Traum in sich zusammenfallen ließ.

Ohne den Zauber zwischen ihnen durch Worte zu sprengen, fanden ihre Lippen erneut zueinander. Sanfter diesmal. Eine Berührung, wie ein stilles Versprechen, das alle Fesseln von ihm nahm. Ein kurzer, flüchtiger Kuss weckte neue Gier und völlernes Verlangen nach mehr. Zaghaft ließ er seine Fingerspitzen an Bens Wange entlangstreichen, als wollte er sich bewusstmachen, dass nun wirklich bei ihm war, was noch bis vor Kurzem nur ein nebelhaftes Gebilde sehnender Wunschvorstellungen gewesen ist. Nun, da er sich sicher war, nicht einem gemeinen, tückischen Wachtraum erlegen zu sein, ergriff er erneut die Initiative, umschlang Bens Rücken und drückte ihn so eng an sich, dass kein noch so kleiner Windhauch mehr zwischen sie passen würde. Schnell wurde aus einem weiteren Kuss ein leidenschaftlicher Tanz lodernder Lippen, der keine Worte zuließ. Die entstehende Hitze trieb ihm eine zarte Röte ins blasse Gesicht. Es würde noch eine Weile vergehen, ehe er sich oder seinem Freund erlauben würde, diesen Kuss, der zu dutzenden weiteren führte, zu unterbrechen.

Nach einiger Zeit löste sich Ben von ihm und wirkte sichtlich irritiert von dem intensiven Überfall. Steven haderte mit sich. Bin ich zu weit gegangen? Hat er was gemerkt? Gerade als er die Situation zerdenken wollte, fühlte er die Hand seines Freundes zielsicher über seine Bauchmuskeln hin zum Brustbein gleiten. Flüchtig liebkoste er die Brustwarzen, woraufhin sich Steven an seinem Shirt festkrallte. „Zieh das aus“, bat er mit heiserer Stimme. Ben grinste frech, setzte sich halb auf und zog sich den lästigen Stoff über den Kopf. Stevens Herz raste wie verrückt, während er ihm gebannt zusah und jede Sekunde genoss, in der sein Freund mehr Haut freigab. Mit fahrigen Bewegungen entledigte sich dieser nun auch seiner Shorts und stieß ihn anschließend zurück auf die Matratze. Steven atmete den verführerischen Duft ein. Eine Mischung aus Duschgel, Schweiß und Ben. Begierig streckte er die Hände aus, um ihn erneut zu berühren, doch sein Freund drückte ihm die Arme rasch nach unten und übersäte ihn mit feurigen Küssen vom Kinn bis hinab zum Schlüsselbein. Etwas, das er sonst nie tat.

„Du verbrennst mich“, rutschte es Steven heraus. Eine Sekunde später hätte er sich für diese unbedachte Äußerung ohrfeigen können. Scheiße, was fasel ich da für einen Mist?

„Soll ich aufhören, dich zu verbrennen?“, fragte Ben erstickt.

Versagt seine Stimme gerade? Fühlt er das etwa auch? „Nein, mach weiter“, brachte Steven gerade so heraus und gab sich den fortwährenden Liebkosungen hin. Ein erneuter, heißblütiger Kuss folgte. Sehnsucht und Verlangen überwucherten inzwischen jeden klaren Gedanken. Er ließ sich vollends fallen, krallte sich mit den Händen am Rücken seines Freundes fest und stöhnte laut auf, als sich ihre Erektionen berührten. Ben griff zwischen sie, begann beide zu pumpen und stöhnte in den Kuss hinein. Wenn das ein Traum ist, lass mich bitte nie mehr aufwachen. Steven bäumte sich ihm entgegen, um die Reibung zu verstärken. Er lechzte nach jedem Fünkchen aufkeimender Wärme, die ihn so süchtig machte. Seine Hände wanderten wie von selbst zu Bens trainierten Oberarmen. Wehmütig packte er zu und fühlte die immense Kraft. Wenn sie miteinander schliefen, war alles erlaubt. Er konnte ihn berühren und sich niemals eintretende Fantasien ausmalen. Doch in der Realität würde er nie von diesen starken Armen gehalten, nie von ihnen gedrückt werden und sich niemals im Schlaf liebevoll in diese hineinschmiegen können. Reine Lusterfüllung, rief er sich in Erinnerung und versuchte, diese dummen Gefühle abzustellen und endgültig aus seinem Kopf zu verbannen.

Ben schien sein Unwohlsein zu bemerkten, denn er ließ von ihm ab, fuhr stattdessen mit der vertrauten Prozedur fort und griff nach einem der Kondome, die auf dem Nachttisch bereit lagen. Erleichtert, dass sein Freund die ganze Aktion nicht abbrach, und voller Vorfreude, nicht länger ausharren zu müssen, atmete er tief aus. Steven drehte sich wie gewohnt auf den Bauch und kniete sich auf alle viere. Hinter sich hörte er das Öffnen der Gleitgeltube und reckte sich ihm mit freudiger Erwartung und noch immer rasendem Herzen entgegen. Bitte, fang endlich an! Sein stilles Flehen wurde erhört, als sich Bens Eichel quälend langsam gegen seinen Muskelring drückte und sich stückweise hineinschob. Steven keuchte auf. Rasch zog er sich das Kopfkissen heran und presste sein Gesicht hinein, um sein lautes Stöhnen zu dämpfen, als Ben vollständig in ihn eindrang. Beim Sex leise zu sein zählte nicht gerade zu seinen Stärken, doch wenn seine Mutter keinen Verdacht schöpfen sollte, musste er wenigstens irgendwie seinen Geräuschpegel reduzieren. Immer wieder glitt Ben beinahe ganz heraus und schob sein Becken von Neuem vor. Nach einigen gemächlichen Stößen packte er Steven schließlich an den Hüften und erhöhte allmählich das Tempo.

Stevens Hände verkrampften sich um den Stoff des Lakens, als er versuchte, ein sehnsuchtsvolles Wimmern zu unterdrücken. „Tiefer! Mehr!“

„Okay“, ertönte Bens Stimme hinter ihm.

Okay? Verdammt, ich hab das laut gesagt! Beherzt biss er in den Baumwollbezug, um einen lustvollen Schrei abzumildern, als Ben seiner Bitte nachkam. Als er den Kopf wieder hob, wehte ihm eine Daune entgegen. Scheiße. Egal. Schnell war der Gedanke an das kaputte Kissen verflogen. Im Augenblick gab es ohnehin nur noch Platz für Ben in seinem Kopf. Für ihn und das, was er gerade mit ihm tat. Freundschaft plus. Irgendwann im Laufe des Sommers hatte es angefangen und irgendwann würde es auch wieder enden müssen, dessen war Steven sich bewusst. Doch nicht in dieser Nacht! Ein heißer Schauer durchzog ihn und ließ seinen Körper krampfartig zucken, während ihn die heftige Welle seines Höhepunktes überrollte. In mehreren Schüben ergoss er sich über das Laken, begleitet von Bens abgehacktem Stöhnen, wobei auch dieser sich alle Mühe gab, leise zu sein. Viel zu schnell zog sich sein Freund zurück und ließ sich japsend neben ihn fallen. Steven wagte es zuerst gar nicht, ihn anzusehen, riskierte dann doch einen Blick und begegnete Bens forschender Musterung. Scheiße, er hat was gemerkt.
„Ich...“, fürchte, ich habe mich in dich verliebt, „... muss noch mal ins Bad.“ … Und bin ein Idiot. In Windeseile zog er sich seine Shorts über, hastete zur Tür, entriegelte sie und verließ fluchtartig den Raum. Um ins Badezimmer und damit in Sicherheit zu gelangen, musste er glücklicherweise nur den Flur überqueren. Noch immer raste sein Puls und er war vollgepumpt mit Adrenalin. Steven schloss die Tür und lehnte sich kurz dagegen, ehe er mit stockenden Schritten über die kalten Fliesen zum Waschbecken hinüber ging. Einen Moment betrachtete er sein Spiegelbild. Das dunkle Haar war zerzaust, einzelne Strähnen fielen wirr über die Stirn. Kurz fuhr er sich mit dem Daumen über die wundgeküssten Lippen. Sieh dich nur an Stevie, du bist erbärmlich. Machtlos gegen seine Gefühle entfuhr ihm ein leises Schluchzen, ehe er den Hahn aufdrehte und das kalte Nass in seinen Händen sammelte, um es anschließend mit Schwung in sein Gesicht zu befördern. Steven stellte das Wasser ab und betrachtete sich erneut. Einzelne Tropfen rannen an seinen Wangen hinunter, während sein Blick wie aufgelöst, gar suchend, wirkte. Komm schon, reiß dich zusammen!, ermahnte er sich selbst und rubbelte die feuchte Haut mit einem Handtuch trocken.

Einige Minuten verstrichen, ehe er sich genug gesammelt hatte und zurück in sein Zimmer wagte. Inzwischen fühlte er sich gewappnet und beschloss, die Situation einfach herunterzuspielen, wenn Ben nach seinem Verhalten fragen sollte. Leise öffnete er die Zimmertür und stellte erleichtert fest, dass dieser bereits schlief ... oder zumindest so tat. Möglicherweise sogar, um einem Gespräch aus dem Weg zu gehen. Doch Steven war es nur recht. Vorsichtig schnappte er sich das Kissen und die Decke von der Luftmatratze und machte es sich auf der freien Seite des Bettes bequem. Obwohl er fürchtete, noch lange wach zu liegen, zwang ihn die Mattigkeit seiner Glieder recht schnell zur Ruhe und in den Schlaf.

Kapitel 2

 

Als er am nächsten Morgen die Augen öffnete, wagte er kaum zu atmen. Ben lag ihm zugewandt und ... schlief. Dabei sah er so umwerfend aus, dass Steven kurz darüber nachdachte, wie es wohl wäre, ein richtiges Paar zu sein. Zu gern würde er ihn jetzt wachküssen, sich an ihn schmiegen und Bens Arme fühlen, die sich um seinen Körper schlingen. Verliebter Idiot, das wird nie passieren. Vorsichtig, um ihn nicht zu wecken, stand er auf und schlich zum Kleiderschrank. Er nahm ein paar Sachen heraus, zog sie leise an und betrat den Flur. Mit Bedacht schloss er die Tür und steuerte direkt das Bad an.

Wie immer, wenn Ben bei ihm schlief, sah er am nächsten Morgen munterer aus, als er sich in Wirklichkeit fühlte. Ein wenig kaltes Wasser schuf Abhilfe gegen die unbändige Müdigkeit. Nach dem Zähneputzen betrachtete er sich selbst skeptisch im Spiegel. Seine Haare waren das reinste Desaster. Würde er es nicht besser wissen, könnte man meinen, er hätte in eine Steckdose gefasst. Er drückte etwas Haargel aus einer Tube, verteilte es in den Handflächen und durchkämmte die einzelnen Strähnen solange, bis er einigermaßen zufrieden war. Schnell wusch er sich die klebrigen Überreste ab, ehe er das Bad schon beinahe fluchtartig verließ. Immerhin wollte er seinem Freund nicht über den Weg laufen. Er hatte fast die Treppe erreicht, als sich seine Zimmertür unverhofft öffnete. Na klasse. Erstarrt blieb er stehen, sah ihn an und brachte keinen einzigen Ton heraus.

 „Guten Morgen“, begrüßte ihn Ben.

„Morgen“, schaffte Steven es schließlich, undeutlich zu murmeln. „Ich mach Frühstück“, fügte er unwirsch an, als er seine Sprache wiederfand, und stürmte eilig die Stufen hinab. Bloß weg!

Unten angekommen startete er die Kaffeemaschine und begann, zwei Erdnussbutter-Sandwiches zu schmieren. Ganz in sein Tun vertieft, bemerkte er Ben im ersten Augenblick gar nicht und fuhr erschrocken zusammen, als dieser plötzlich neben ihm stand. Belustigt sah sein Freund ihn an und holte gerade Luft, um etwas zu sagen, als Stevens Mutter, Olivia, plötzlich in die Küche platzte.

„Oh entschuldigt, Jungs. Ich habe die Kaffeemaschine gehört und wollte mir eben eine Tasse stibitzen.“
Steven atmete erleichtert auf. Das, was er momentan überhaupt nicht gebrauchen konnte, war Ben, der sich über ihn lustig machte. Und auch wenn seine Mutter die wohl größte Nervensäge der Welt war, kam sie dieses Mal genau richtig. „Hey, Mum. Nur zu, setz dich doch hin“, schlug er übertrieben höflich vor.

„Alles okay bei euch? Ihr wart so ruhig gestern“, fragte sie irritiert nach und holte sich eine Tasse aus dem Küchenschrank.

Ben grinste Steven frech an. „Ja, alles gut.“

Beschämt wandte der sich wieder dem Essen zu. Wenn sie wüsste, wie sehr ich mich darum bemüht habe, leise zu sein.

„Ich dachte, ihr Jungs zockt noch was“, erklärte sie.
Stimmt, wenn wir an der Konsole sind, hört man die Flüche im ganzen Haus. Gespielt haben wir aber dennoch, nur nicht das, was du denkst. „Ja, haben aber beide gewonnen.“ Das war nicht einmal wirklich gelogen.

Ben lachte laut los, woraufhin Olivia ihm vermutlich einen fragenden Blick zuwarf. „Ach nichts”, wiegelte er schnell ab.

„Ihr seid heute aber auch albern ... Komm, wir machen es uns schon mal gemütlich“, sprach sie und winkte Ben zu sich.

Steven blickte kurz über die Schulter und sah, wie beide am Tisch Platz nahmen. Kurze Zeit später stellte er seinem Freund eines der Sandwiches und einen Kaffee hin und setzte sich dazu.

„Möchtest du auch eins?“, fragte er an seine Mutter gewandt.

„Nein danke, Schatz“, entgegnete sie und zupfte kurz an seinen Sachen herum. „Warum ziehst du dich nicht mal ein bisschen mehr wie Benneth an?“

Theatralisch hob Steven die Hände. „Mum, fängst du jetzt schon wieder mit der Klamottensache an?“ War klar, dass ihr das gefiel. Der Surferboy mit dem blonden Haar, der beigefarbenen Caprihose und dem dunkelroten Tanktop. Daneben ich: Wie immer von Kopf bis Fuß in schwarz gehüllt. So dunkel, wie es oft auch in mir selbst aussieht.

„Du hast recht, Schatz. Entschuldige.“ Unbekümmert durchwuschelte sie ihm die penibel gestylte Frisur und nahm sich ein Feuerzeug sowie Zigaretten vom Tisch.

Das hat sie gerade nicht wirklich getan ... doch hat sie. Jetzt darf ich noch mal ins Bad, klasse. Genervt zupfte er an seinen Haaren herum, was Ben mit einem weiteren Lachen quittierte.

„Was macht ihr heute noch?“, fragte Olivia ungerührt und zündete sich ihre Zigarette an.

„Wir treffen uns gleich noch mit den anderen in der Garage“, erzählte Ben.

Olivia nickte wissend. Die Garage gehörte dem Großvater ihres Kumpels Marvin und war schon seit der Middleschool zu ihrem Clubraum umfunktioniert worden. Der alte Mann besaß längst kein Auto mehr und so stand sie schon ewig leer, als die Teenager einen Rückzugsort für sich suchten. „Dann heckt ihr also wieder irgendwas aus?“, amüsierte sie sich. „Wie läuft's eigentlich in der Highschool?“

„Ganz gut, Mrs. Miller. Wenn es so weitergeht, habe ich vielleicht sogar ein Sportstipendium in Aussicht.“

„Wow, das ist toll. Football oder Baseball?“

Ben schmunzelte. „Baseball natürlich.“

Olivia lachte und trank einen Schluck aus ihrer Tasse.

Steven lauschte dem Gespräch der beiden und vertilgte derweil sein Sandwich. Den letzten Bissen spülte er mit dem Rest seines Kaffees hinunter und entschuldigte sich kurz. Dabei war er sich nicht einmal sicher, ob es überhaupt jemand bemerkt hatte, denn Olivia und Ben waren noch immer in ihre Unterhaltung vertieft. Hastig lief er die Treppe hinauf und steuerte sein Zimmer an. Sofort öffnete er das Fenster und zog das Laken ab. Lieblos zusammengeknüllt stopfte er es unters Bett. Er würde es übermorgen waschen, wenn seine Mutter beim Yoga-Kurs war. Schnell lief er über den Flur und holte sich ein frisches aus dem großen Wäscheschrank im Schlafzimmer seiner Eltern, was er aber vorerst unterm Kopfkissen versteckte. Neu beziehen würde er das Bett erst später. Zum Schluss breitete er die Decke noch so über der Matratze aus, dass das fehlende Laken gar nicht auffiel. Eilig brachte er im Bad seine Haare wieder in Ordnung, ging zurück, schloss die Fenster und schnappte sich seine Kopfhörer, bevor er sich wieder auf den Weg nach unten begab. Beim Betreten der Küche sah er seine Mutter und Ben noch immer vertraut beieinander sitzen und plaudern. „Wollen wir los?“, fragte er dazwischen.

„Klar“, antwortete Ben und stand sogleich auf.

Seine Mutter erhob sich ebenfalls. „Gut, Jungs. Ich mach dann mal im Garten weiter.“

„Wann kommt Dad eigentlich wieder?“, wollte Steven wissen.

„Er wird übermorgen zurück sein.“

„Okay“, antwortete er knapp und schlüpfte in seine schwarzen Chucks. Die Schnürsenkel stopfte er lose in die Seite, während Ben seine Turnschuhe zuband.

„Auf Wiedersehen, Mrs. Miller“, verabschiedete sich sein Freund.

„Mach's gut, Benneth.“

Steven winkte seiner Mutter zum Abschied, als sich diese wieder hinaus in den Garten begab und die Terrassentür hinter sich schloss. Jetzt sind wir wohl allein, machte er sich bangend bewusst und versuchte, ein möglichst neutrales Thema aufzugreifen. „Mal sehen, was Marvin für eine glorreiche Idee hat.“

 [...]

 

Erschienen bei Amazon am 1. September 2018

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Impressum

Tag der Veröffentlichung: 24.08.2018

Alle Rechte vorbehalten

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