Wer der Liebe nie begegnet ist, hat etwas Elementares versäumt. Es ist dieser winzige Sekundenbruchteil, in dem zwei Menschen eine unergründliche Verbundenheit spüren, die über alles Bisherige hinausgeht. Ein stummes Einverständnis, das keine Nüchternheit mehr zulässt, wenn aus einer Affinität, einer bloßen Zusammengehörigkeit, plötzlich so viel mehr erwächst. Manchmal genügen Blicke, um alles zu sagen, wozu Worte nicht fähig sind. Gedanken schwemmen über, treiben im uferlosen Strudel der Zuversicht. Plötzlich wird man sich so vieler Dinge bewusst und gleichzeitig weiß man gar nichts mehr. Alles wird irrational: Gedanken, Worte, Handlungen und alles, was noch zählt ist, dieses Gefühl niemals loszuwerden und auf ewig umherzutreiben. Jede Silbe, jede Berührung, jeder einzelne Wimpernschlag gibt Kraft und dem Tag einen Sinn. Man fühlt sich vollkommen, auch wenn man sich zuvor nicht einmal unvollständig gefühlt hat und wenn das ganze Leben plötzlich an einem vorbeizieht, wäre einem selbst dies gleich. Solange man jemanden an seiner Seite hat, ist man unbesiegbar.
Doch was geschieht, wenn dieses wunderbare Glücksgefühl der Trauer weicht? Liebe kann ebenso viel Leid zufügen. Schmerzen verursachen, die einen aufschreien lassen. Man fängt an, unkontrolliert zu handeln und Worte auszusprechen, die man nicht mehr zurücknehmen kann. Plötzlich spielen die Gedanken verrückt und die innere Leere zerreißt einem die Brust. Man fühlt sich nur noch winzig und bedeutungslos. Selbst all die kleinen Dinge in der Natur, an denen man einst die Schönheit des Seins erkannte, wirken nur noch kühl und trist. Das Leuchten fehlt und überhaupt hat sich die ganze Welt verschworen. Salzige Tränen verätzen die Haut und das Gefühl von Geborgenheit ist längst zu einer entfernten Erinnerung aus einem anderen Leben geworden.
Aber dann gibt es wieder einen winzig kleinen Hoffnungsschimmer, der den Atem stocken lässt. Die Scherben, die man selbst verursacht hat, setzen sich zu einer neuen Wahrheit zusammen und plötzlich steht man vor dem Zerrbild dessen, was einmal das eigene Leben war. Die Beine werden schwer wie Blei, dennoch sprintet man los, um zu versuchen der Lawine zu entkommen, die wie eine Apokalypse über einen hereinbricht. Doch mit jedem Schritt, den man tut, verdreifacht sich die Distanz zur rettenden Zuflucht. Alles, was einen noch antreibt, ist das letzte Fünkchen verkümmerter Hoffnung. Die Möglichkeit, dass die schwache Flamme eines Herzens wieder aufflackert, weil es sich an die Liebe zurückerinnert, die es einst gedeihen ließ. Ein Wettlauf, der alles entscheidet.
„Wer ist es?“, fragte Carrie.
„Logan“, antwortete Casey erstaunt. Steckt der nicht voll im Lernen für die Prüfungen? Ein mulmiges Gefühl überkam ihn. Ich sollte wohl besser rangehen. „Hey.“
„Wann wolltest du es mir sagen? Warte, wolltest du das überhaupt? Was soll die Scheiße eigentlich?“ Logans Stimme klang wütend.
Casey schluckte hart. So sollte er es nicht erfahren. „Logan, ich … “, setzte er an, kam jedoch nicht weit.
„Spar dir deine verdammten Ausreden! Warum hast du mir nichts von ihr gesagt?“ Sein Freund klang erbost und vorwurfsvoll zugleich.
„Ich wollte dich vor deinen Prüfungen damit in Ruhe lassen“, antwortete Casey ehrlich.
„Oh, wie rücksichtsvoll von dir! Willst du jetzt einen Orden dafür?“
„Ich hätte es dir noch gesagt, was denkst du denn?“ Nun drang auch bei Casey ein gereizter Unterton durch.
„Super. Und dann? Wie hast du dir das vorgestellt? Du, ich und sie? Vergiss es!“
Einen Moment lang herrschte Stille, in der der Tänzer sich zu sammeln versuchte.
„Was? Hat’s dir die Sprache verschlagen? Ich mach bei dieser verdammten Freakshow nicht länger mit.“
„Denkst du, ich hab mir das ausgesucht? Jetzt ist es nun mal so und wir müssen alle damit klarkommen.“
„Nein, ich muss gar nichts. Und wenn dir das mit uns wirklich so wichtig ist, dann entscheide dich gefälligst: Ich oder sie!“
„Das kannst du nicht ernsthaft von mir verlangen, Logan!“
„Kann ich und tue ich hiermit“, seine Stimme klang zum Bersten angespannt.
„Logan … Fuck! Ich kann sie doch nicht einfach im Stich lassen! Sie braucht mich.“
„Und ich nicht, oder was? Dann ist deine Entscheidung also gefallen. Schön!“
„Logan, bitte … Du kannst mich doch jetzt nicht hängen lassen.“
Ein Schnauben ertönte. „Kann ich und werde ich! Du bist so ein verdammtes Arschloch, Casey. Hast du auch nur eine Sekunde an mich gedacht? Ich hätte mich von Anfang an nicht auf dich einlassen sollen. Wie blöd bin ich gewesen, dich so nah an mich ranzulassen. Ach, weißt du was: Werde glücklich mit ihr! Doch, ich gönne es dir. Aber halt mich in Zukunft aus deinem Leben raus. Und auf den Freundschaftsmist scheiße ich! Ich werde dich blockieren, überall. Also ruf mich nicht mehr an!“
„Nein … Logan, tu das nicht.“
„Das hättest du dir früher überlegen sollen. Du hast das alles selbst zu verantworten!“
„Bitte, ich …“, seine Stimme brach weg.
„Leb wohl, Casey Jones.“
Logan!, wollte er schreien, doch der hatte bereits aufgelegt. Im nächsten Augenblick glitt ihm das Telefon aus der Hand, das Display zersplitterte, als es auf dem Laminat aufschlug. „Casey“, vernahm er eine schrille Stimme hinter sich. Dann sackten seine Beine weg. Arme schlangen sich um ihn, hielten ihn. Doch er fühlte nichts und bemerkte auch den Übergang nicht, als salziges Wasser ihm unaufhörlich über die Wangen lief, sein Shirt durchtränkte. Mit leerem Blick fixierte er irgendeinen Punkt, um nicht ohnmächtig zu werden. „Casey“, flüsterte die Stimme nun. Doch er war unfähig zu reagieren. Auch Carries Umarmung änderte nichts daran, dass er sich fühlte, als würde er gerade innerlich zerbrechen. Da war plötzlich ein Keil, der sich immer stärker in seine Brust drückte. Er krampfte vor Schmerz, hatte das Gefühl nicht mehr atmen zu können. Druck legte sich auf seine Ohren und ließ ihn lediglich ein Rauschen statt Carries Worte vernehmen. Kurz schloss er die Augen, hoffend, aus diesem Albtraum zu erwachen. Erfolglos.
Logan
„Casey?” Logans Mutter sah ihn ungläubig an. Mit in die Hüften gestemmten Händen stand sie an der Küchenzeile und schüttelte wiederholt den Kopf.
„Ja, Casey”, erwiderte Logan und trank einen Schluck von seinem Wasser. Was ist daran so schwer zu verstehen?
Sein Vater rollte mit den Augen und blätterte weiter in der Tageszeitung.
Logan bemerkte den Ausdruck. „Was habt ihr gegen ihn?”, fragte er irritiert nach. Habe ich irgendetwas verpasst, dass sie ihn nicht ausstehen können?
Mit dem Quirl verrührte seine Mutter die Zutaten für einen Kuchenteig zu einer cremigen Masse. „Er ist sicher ein netter Junge. Aber von allen, die dort draußen rumlaufen, musst du dir ausgerechnet ihn aussuchen? Ich habe mich damit abgefunden, dass ich wohl nie Großmutter werde. Aber Casey als Schwiegersohn? Das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Mag der nicht eigentlich eher Mädchen? Was, wenn der dich nur verarscht? Sieh mal Schatz, wir können einfach nicht glauben, dass das mit euch gut geht. Schau doch nur, wie die Medien gerade hinter ihm her sind. Ob er will oder nicht, er wird ständig in der Klatschpresse stehen.”
„Damit kann er schon umgehen, Mum. Und ich auch. Und ja, ob du es glaubst oder nicht: Das mit uns ist ernst!”
Seufzend stellte sie die Rührschüssel beiseite und setzte sich neben ihn. Sorgenfalten bildeten sich auf ihrer Stirn, als sie nach seiner Hand griff. „Einen so hübschen Mann hast du nie für dich allein. Wer weiß, was er alles treibt, wenn die auf Tour sind? Oder abends in den Clubs? Du kannst dir seiner Treue doch gar nicht sicher sein. Willst du etwa als Anhängsel für so einen enden? Immer gerade gut genug, wenn nichts anderes da ist?”
„Das verbitte ich mir!”, fuhr Logan sie an und entzog ihr sogleich seine Hand. Warum unterstellt sie ihm so was?
„Ich will doch nur nicht, dass man dir wehtut, Schatz”, versuchte sie zu beschwichtigen.
„Du kennst ihn doch gar nicht so wie ich. Also hör auf, dir ein Urteil über seine Treue zu erlauben.”
„Sie hat aber recht, Logan. Solche Typen sind selten monogam und abgesehen davon ... Was ist mit seiner Zukunft?”
„Was soll denn mit seiner Zukunft sein? Und warum zur Hölle seid ihr so gegen ihn?” Logan sackte tiefer in den Stuhl. Damit hatte er nicht gerechnet.
Sein Vater legte die Zeitung beiseite und bedachte ihn nun mit einem ähnlichen Gesichtsausdruck wie seine Mutter. „Ich habe nichts dagegen, dass du schwul bist und du kannst dir als Freund aussuchen, wen du willst. Aber dieser Junge wird nur Ärger machen!”, tadelte er mit erhobenem Zeigefinger. „Der hat doch nicht mal einen richtigen Abschluss. Was willst du denn mit dem?”
Darum geht es hier also. Ihnen passt einfach nicht, was er tut. „Er ist Tänzer und ziemlich erfolgreich damit”, hielt er seinem Vater entgegen.
„Er ist jetzt Tänzer und hat jetzt Erfolg damit”, berichtigte sein Dad. „Aber auch ein Casey Jones wird mal älter werden. Und was dann? Dann wirst du für ihn sorgen müssen!”
„Dann werde ich das wohl tun”, antwortete Logan trotzig. Er sorgt doch auch für Mum, wo ist da bitte der große Unterschied? Und erst mal müsste es überhaupt dazu kommen! „Außerdem vergisst du, dass er eine Managerin hat, die schon dafür sorgen wird, dass er nicht auf der Straße landet.”
„Die kümmert sich aber auch nur jetzt um ihn”, widersprach sein Dad erneut. „Wenn ihr Aushängeschild erst Mitte dreißig ist, wird auch er ausrangiert.”
„So ist Mina aber nicht!” Allmählich kochte die Wut in ihm hoch. Was erlauben die sich eigentlich, meinen Freund so zu verurteilen?
„So sind Manager nun mal. Egal ob Mann oder Frau.”
Typisch Dad. Natürlich muss er wieder alle Menschen über einen Kamm scheren. Wie mich das ankotzt! „Adoptieren die auch alle ihre Schützlinge, damit sie sich selbst eine Wohnung nehmen können?”, fragte Logan mit sarkastischem Unterton.
„Schön, dann bürgt sie eben für ihn! Und mal angenommen, die kümmert sich. Was soll das dann bitte für ein Job sein, den er später machen kann? Der hat doch gar nichts Vernünftiges gelernt, geschweige denn studiert.”
Da drückt ihn also der Schuh. Ganz Geschäftsmann geht’s natürlich mal wieder nur um die Firma und deren Ansehen. Und Tanzen? Nein, das ist natürlich kein richtiger Beruf! Er hatte sich ja damals schon darüber lustig gemacht, als Casey zu der Akademie gewechselt ist. „Tanzlehrer zum Beispiel! Und auch wenn es in deinen Augen nur Herumgehüpfe ist, so steckt doch eine Menge harter Arbeit in dem, was er macht. Also hör auf, so zu reden als wäre das nichts! Trainier du erst mal so viel, bevor du dir ein Urteil erlaubst!”
Kopfschüttelnd nahm sein Vater die Zeitung wieder auf.
Logan konnte den Kloß, der sich in seinem Hals gebildet hatte, nicht mehr ignorieren. Warum können sie sich nicht einfach für mich freuen? Ist das zu viel verlangt? Wütend und enttäuscht zugleich stand er auf und steuerte die Tür an.
„Logan ... “, setzte seine Mutter an.
„Nein, lass ihn. Der Sturkopf muss seine eigenen Fehler machen”, fuhr sein Dad dazwischen.
Fehler, ja? Zähneknirschend griff er nach seiner Jacke und schlüpfte rasch in die Schuhe.
„Bleibst du nicht zum Kaffee?”, rief seine Mutter aus der Küche.
„Mir ist der Appetit vergangen!”, rief er ihr zu und ließ die Tür ins Schloss fallen.
*****
„Komm rein“, bat Alice lächelnd und trat beiseite. Sie trug ihr ausgewaschenes Footballshirt der Huskers, dazu eine graue Jogginghose. Ihr blondes Haar hatte sie zu einem Knoten zusammengebunden.
Logan ging zum Sofa, stellte das Essen auf dem Couchtisch ab und setzte sich.
„Also, was ist los?“ Alice ging zur angrenzenden Küche und holte zwei Gabeln aus einer Schublade.
Verblüfft schaute er auf.
„Schatz, du tauchst hier unangemeldet auf und bringst was vom Thai mit. Was ist passiert?“
Sie kennt mich wirklich zu gut. Er nahm die Gabel, die sie ihm reichte und rutschte ein Stück nach rechts. „Meine Eltern“, antwortete er knapp und öffnete die Papp-Box. Warmer Dampf mit einem Gemisch aus Curry, Chili, Koriander und Paprika stieg ihm entgegen.
„Du hast ihnen von dir und Casey erzählt“, mutmaßte Alice.
„Ja, hab ich. Aber es lief etwas anders als erwartet“, setzte er an und stocherte in seinem Essen herum. „Die können sich einfach nicht vorstellen, dass es mit uns klappt.“
Alice stopfte sich eine Fuhre Nudeln in den Mund. „Flie sinf emen alfmohisch.“
„Oh ja. Es passt ihnen nicht, dass er so in der Öffentlichkeit steht und womit er sein Geld verdient und glauben er wäre voll der Draufgänger, der alles flachlegt, was nicht bei drei auf den Bäumen ist. Die haben so was von überhaupt keine Peilung und hören kein bisschen zu, wenn ich ihnen sage, wie es wirklich ist. Da könnte ich mich auch gleich mit der Wand unterhalten.“
Alice seufzte. „Wasser?“
„Gern.“
„Die meinen das bestimmt nicht so“, sprach sie, während sie zum Schrank ging und zwei Gläser herausnahm. „Ich vermute mal, die haben sich unter dem Mann, mit dem du dir eine Zukunft aufbauen willst, einfach jemand Normales vorgestellt. Also, mit einem gewöhnlichen Job, meine ich. Einen Normalo eben. Da tanzt Casey natürlich wörtlich völlig aus der Reihe.“ Sie öffnete den Kühlschrank und holte eine Wasserflasche hervor.
„Das gibt ihnen aber noch lange nicht das Recht, ihm solche Dinge zu unterstellen.“
Alice befüllte die Gläser und stellte Logan eins hin. „Du weißt doch, was man so sagt: Die Leute haben immer vor dem Angst, was sie nicht kennen. Und statt es auf sich zukommen zu lassen, ist da bei vielen dieses Klischeedenken.“
„Aber sie kennen ihn doch“, grummelte Logan.
„Schon, doch nicht so wie du.“ Alice legte ihren Arm um ihn. „Schatz, die kriegen sich auch wieder ein und wenn sie ihn erst einmal richtig kennengelernt haben, werden sie auch ganz schnell anders denken.“
Logan rang sich ein Lächeln ab. „Du hast bestimmt recht. Aber im Augenblick machen sie mich einfach nur wütend mit ihrem dummen Gerede.“
„Sie wollen eben, dass du glücklich bist und haben noch keine Ahnung, wie gut er dir tut. Das wird schon noch und auch wenn sie dich jetzt wütend machen, sei froh, dass du sie noch hast. Ich wünsche mir oft meinen Dad zurück und Casey ist ganz allein.“
Ganz allein ist er nun nicht. Er hat die Crew und Mina. Und er hat mich. Aber ich verstehe, worauf sie hinaus will. „Danke, Sweetie.“ Alice schaltete ihre Stereoanlage ein und einige Minuten lang aßen sie schweigsam. Hörten nur auf die Melodien, genossen die intensiven Gewürze auf ihren Zungen. „Fast hätte ich’s vergessen: Ich habe dir noch was mitgebracht.“ Er holte ihr Geschenk hervor und überreichte ihn ihr.
Ein freudiges Leuchten trat in ihre Augen. „Aber das hättest du doch nicht machen brauchen.“
„Ich wollte aber.“
„Oh Gott, ist das niedlich!“ Sie drehte den Anhänger in ihrer Hand, strich über das pechschwarze Haar, betrachtete die Blumenstickereien auf dem roten Kleid der kleinen Señorita. „Die sieht klasse aus! Danke!“ Alice zupfte das Kleid der kleinen Puppe zurecht und küsste Logan auf die Wange. Gleich darauf kramte sie in ihrer Handtasche nach den Schlüsseln, um das neue Accessoire daran zu befestigen. „Wie war es denn so, mit ihm allein?“
Logan begann zu erzählen, während sie es sich neben ihm auf der Couch gemütlich machte. Er berichtete vom Camping, dem Unfall, dem Club in Denver und auch, wie er letztlich auf der Suche nach einem Souvenir verloren ging. „Er war völlig runter mit den Nerven. So habe ich ihn noch nie erlebt.“
„Ihm liegt eben etwas an dir“, erwiderte sie mit einem Grinsen.
Verträumt dachte Logan an die schöne Zeit zurück. „Ich wäre jetzt echt gern bei ihm“, flüsterte er. Dann rief er sich in Erinnerung, wo er gerade war. „Entschuldige. Es ist nicht so, dass ich deine Gesellschaft nicht zu schätzen weiß. Nur … er fehlt mir schon jetzt.“
„Was hält dich auf?“, fragte sie mit einem schelmischen Grinsen.
Verdutzt sah er sie an.
„Du bist bis über beide Ohren verliebt. Nun mach schon.“
„Du meinst, ich soll … jetzt gleich …?“ Von ihrer Euphorie angesteckt, sprang er hoch.
„Na los“, ermutigte sie ihn und deutete zur Tür. „Worauf wartest du noch? Wenn ihr zwei dann in nächster Zeit an dem Punkt ankommen solltet, wo ihr ein wenig die Finger voneinander lassen könnt, steht mein Angebot zu Kaffee und Kuchen noch. Aber jetzt geh und genieß den Abend.“
Logan drückte sie zum Abschied und machte sich hastig auf den Weg. Die Treppe hinunter nahm er immer gleich zwei Stufen auf einmal. Dabei war er doch gar nicht in Eile. Oder doch? Immerhin konnte er es kaum erwarten, Casey zu sehen und sein Herz raste schon jetzt.
Casey
„Entschuldige Schatz, ich freue mich für dich. Ich kann nur immer noch nicht richtig glauben, dass du …“
„Dass ich bi bin?“, vervollständigte Casey ihren Satz.
„Ja, genau das. Ist es der Junge, mit dem du unterwegs warst? Wie hieß der noch ...“ Mina grübelte. Mit den Händen fuhr sie sich durch das kinnlange, rot gefärbte Haar und rückte dann ihre Brille zurecht. „Wie hieß er bloß?“, sinnierte sie leise vor sich hin. Im Namen behalten war sie noch nie gut gewesen. Doch den seines Liebsten würde sie sich schon noch merken müssen.
„Ja, es ist Logan“, löste er das Rätsel auf.
„Logan. Okay.“ Seine Managerin sah ihn nachdenklich an und Casey meinte zu wissen, was in ihrem Kopf vorging. Seine Beziehung zu Logan war etwas, wofür sie sich als Freundin und Adoptivmutter natürlich für ihn freute. Als Managerin sah die ganze Sache schon wieder anders aus. Wenn herauskäme, dass der Frauenschwarm schlechthin vergeben war und dann auch noch an einen Mann, würde das nicht nur ein schlechtes Licht auf ihn werfen. Die ganze Vermarktung seiner Person bekäme schlimmstenfalls einen Bruch und auch das Image der Crew würde arg darunter leiden. Sponsoren würden abspringen und am Ende könnten sie alles, was sie sich so hart erkämpft hatten, verlieren.
Casey griff nach ihrer Hand, als er den Zwiespalt in ihrem Gesicht nicht mehr ertrug. „Ich bin mir sicher mit ihm und wir werden aufpassen, das schwöre ich.“
„Ihr solltet wirklich vorsichtig sein, C.J.“, riet sie. „Auch deinetwegen. Nebraska ist nicht gerade bekannt für seine Offenheit diesen Paarkonstellationen gegenüber.“
Sanft strich er über ihren Handrücken. „Das werde ich.“
Ein Lächeln glitt über ihr Gesicht und binnen Sekunden wandelte sie sich in die Freundin zurück. „Wann lerne ich ihn denn kennen?“
Casey stutzte. „Ich weiß noch nicht.“
„Hast du es den anderen denn schon gesagt?“, bohrte sie weiter.
„Noch nicht. Es sind ja auch noch nicht alle da. Ich wollte es ihnen gemeinsam sagen.“ Besser einmal da durch, als es jedem einzeln mitzuteilen.
„Die Mädels kommen übermorgen zurück. Lad ihn dann doch einfach zu uns ein“, schlug Mina vor.
„Du meinst, ich soll ihn hierher bestellen. Ins Loft?“ Hierher hatte doch noch niemand von uns jemanden mitgebracht? Gut, Matts Beziehungen messen nur Stunden und der Freund, den Tess mal hatte, war eifersüchtig auf Ryan. Das hätte sowieso nur Streit gegeben.
„Warum denn nicht? Die anderen haben sicher auch von ihren Ferien zu berichten. Dann machen wir uns alle gemeinsam einen gemütlichen Abend.“
„Ich werde ihn fragen.“
Mina seufzte. „Dann hätten wir das ja geklärt. Du hast nächste Woche übrigens ein paar Termine. Interviews, Fotoshootings und solche Sachen. Also stell dich schon mal darauf ein.“
„Gut, mache ich.“ Casey stand von seinem Stuhl auf.
„Bleibst du heut nicht hier?“
„Ich werde nach Hause fahren.“
Mina erhob sich ebenfalls und drückte ihn zum Abschied. Mit einem Kuss auf die Wange entließ sie ihn aus ihrem Büro. „Bis dann, Schatz!“
*****
Wie die anderen wohl reagieren werden? Bei den Mädels mache ich mir da keine Gedanken. Die würden meine Beichte sicher gut aufnehmen. Aber Ryan und … Matt? B-Boys sind nicht schwul oder bi. Wir sind die coolen Jungs, die in die Clubs gehen und die Mädels aufreißen. Casey schenkte sich ein Glas Wasser ein und trank einen Schluck. Die werden es hinnehmen müssen. Etwas anderes bleibt ihnen auch gar nicht übrig, versuchte er sich selbst zu beruhigen. Zum wiederholten Male blickte er nun auf sein Telefon. Rufe ich ihn an? Rufe ich ihn nicht an? Eine Frage, die er sich schon über Minuten stellte. Nur zu gern würde er Logans Stimme hören. Doch er wollte auch nicht klammern. Vielleicht schicke ich ihm eine Nachricht? Aber was schreib ich da rein? Er lehnte sich gegen die Arbeitsfläche der Küche und drehte das Smartphone in seinen Händen. Ein plötzliches Geräusch riss ihn aus den Gedanken. Wer klingelt denn jetzt?
Mit gerunzelter Stirn spähte er durch den Türspion. Als er die Person auf der anderen Seite erkannte, kam er nicht umhin zu lächeln. Schnell entriegelte er die Kette und machte auf.
„Entschuldige, dass ich einfach so reinplatze. Ich wollte dich sehen und …“ Zu mehr kam Logan nicht, weil Casey ihn hineinzog und die Tür hinter ihm schloss. Er drückte seinen Freund dagegen, fuhr ihm mit der Hand unters Shirt und presste seine Lippen auf ihren Gegenpart. Nach einer Sekunde der Verblüfftheit, in der er sich scheinbar über die Begierde seines Liebsten wunderte, erwiderte Logan den Kuss. Er griff Casey in den Nacken, zog ihn zu sich und entlockte ihm ein Stöhnen, als er seine Zunge in dessen Mund gleiten ließ. Kurz distanzierte sich Casey, zog sich das Shirt über den Kopf und warf es achtlos zu Boden. Danach trafen ihre Lippen erneut aufeinander. Ungelenk streifte Logan sich die Schuhe ab, während seine Hände über den Rücken seines Freundes glitten. Er fühlte die Beule, die gegen seine eigene drückte und rieb sich daran. Caseys Hände schlichen sich erneut unter Logans Shirt, sodass er es schließlich auszog und von sich warf. Kurz entschlossen griff er ihm unter die Kniekehlen und hob ihn hoch. Casey hielt sich an ihm fest und stieß die Tür mit dem Fuß auf, bevor er in sein Schlafzimmer getragen wurde. Er wurde von Logan aufs Bett geworfen und mit zärtlichen Küssen überhäuft. Eine wohlige Gänsehaut wanderte über Caseys gesamten Körper und seine Brustwarzen erhärteten. Sanft stieß Logan eine davon mit der Zunge an und entlockte ihm ein Keuchen. Casey krallte sich mit den Händen an ihm fest und zog ihn nach oben. Der lüsterne Blick, dem er begegnete, drang ihm bis unter die Haut. Er sah das dunkle Funkeln, die unbändige Lust darin. Verlangend drückte er Logan so nah an sich, dass sich ihre Nasenspitzen berührten. Dann entflammte ein neuer lodernder Kuss, der immer mehr an Intensität gewann. Zungen, die umeinander tanzten. Finger, die sich in Logans Haare gruben. Caseys Hände wanderten seine Schultern hinab, wurden fahriger, ungezügelter.
„Schublade“, brachte er heiser hervor. Logan verstand, löste sich kurz von ihm, entledigte sie beide ihrer Hosen und Shorts, nahm Gleitgel und Kondom aus der Schublade und streifte es sich über. Er hob Caseys Beine an und raffte die Decke unter dessen Hintern ein wenig zusammen.
„Bereit?“, fragte er zur Sicherheit. Casey lächelte. Auch wenn er selbst so scharf ist, dass er es kaum aushält, wartet er erst mein Einverständnis ab. Ein Gentleman, wie er im Buche steht. „Ja, jetzt mach schon“, antwortete er rasch. Ein großer Klecks aus der Tube landete auf Logans Eichel, ein kleinerer auf Logans Finger, mit dem er das Gel vorsichtig an Caseys Eingang verrieb, ehe er sich langsam in ihn schob. Der Tänzer kniff die Augen zusammen, als ihn der bittersüße Schmerz einholte.
„Tut es dir weh? Du musst mir sagen, wenn ich dir wehtue!“
„Nur ein bisschen am Anfang aber ich bin nicht, aus Zucker“, erwiderte Casey lächelnd. „Es wird gleich besser, also komm schon her“, fügte er hinzu und griff nach Logans Arm, als dieser noch immer unentschlossen innehielt. Langsam legte er sich über ihn, strich ihm eine verirrte Strähne aus der Stirn und nahm ihn mit seinen karamellfarbenen Augen gefangen. Casey schmiegte sich gegen die Hand, die nun über seine Wange strich. „Okay, ich mache weiter, aber sachte“, versprach er.
Casey lächelte, fuhr ihm mit den Fingerspitzen übers Schlüsselbein und zog ihn zum wiederholten Male zu sich heran. Während sich die wund geküssten Lippen erneut vereinten, fuhr er Logans Oberarme nach. Es tat gut, die Kontrolle abzugeben, von so starken Armen umschlossen zu sein. Mit Bedacht und quälend langsam stieß er in ihn. Schon kurze Zeit später wich der Schmerz ganz und Casey konnte sich ganz auf das schöne Gefühl konzentrieren, das sich in seinem Inneren ausbreitete. Er konnte nicht anders, als ihn mit seinen Beinen zu umschließen.
Logan unterbrach den Kuss und sah ihn überrascht an. „Tut es nicht mehr weh?“
„Nein, du kannst ruhig schneller machen“, erwiderte er grinsend.
Logan griff nach Caseys Händen und verflocht ihre Finger miteinander. Tatsächlich legte er etwas an Tempo zu und immer wieder traf er diesen einen speziellen Punkt bei Casey, der ihn wahnsinnig machte. Seine Finger brachen aus der Verbindung aus und krallten sich stattdessen in Logans Rücken. Beherzt packte er dessen Hintern, während er sich in Ekstase unter ihm wand. Logan wurde noch einmal mutiger und landete einen Volltreffer. „Log- … Aaaahhhhh!“ Casey warf den Kopf in den Nacken und fühlte, wie sich sein klebriger Saft im nächsten Moment zwischen ihnen verteilte. Kurz darauf kam Logan mit einem langgezogenen Stöhnen. Casey ließ ihm keine Zeit, wieder zu Atem zu kommen, sondern zog ihn an sich und hielt ihn fest umschlungen.
„Scheiße, bist du eng“, murmelte Logan an seinem Ohr. Kurz blieben sie liegen, genossen die Wärme, die sie einander gaben. Casey strich ihm liebevoll über den Rücken, ehe er in der Schublade nach Taschentüchern kramte, sich den Bauch abwischte und Logan vom Kondom befreite. „Das ist also dein Schlafzimmer“, bemerkte sein Freund, als er sich nun erstmalig umsah. Das Mintgrün der Wände hatte er ja bereits vor ihrer Abreise erspähen können. Doch nun sah er auch den dunklen Kleiderschrank und die Fotowand, an der sogar das Bild hing, das sie gemeinsam mit Sombreros in El Paso zeigte. Casey attackierte ihn mit einem Kuss in den Nacken, der eine Gänsehaut bei Logan hervorrief. „Sieh dich ruhig um, ich mache Kaffee“, ermunterte ihn Casey, ehe er in seine Klamotten schlüpfte. Auch Logan las seine Sachen auf, bis auf das Shirt, denn dieses lag noch immer auf dem Boden im Flur. Während er sich anzog, ließ er seinen Blick über die Bilderwand gleiten. Auf vielen davon waren Caseys Crewmitglieder zu sehen, die er bereits von den Fotos und dem Videoclip kannte, die Ryan seinem Freund geschickt hatte. Einige zeigten Caseys Eltern und wieder andere ließen gemeinsame Kindheitserinnerungen in Logan aufleben und mit dem Bild aus El Paso wurde nun noch ein ganz neues Kapitel aufgeschlagen.
Logan
„Hast du jetzt extra nur für mich Kaffee gekocht?“, fragte er verwundert, als er die Küche betrat und Casey sich seinen Tee aufbrühte.
„Wieso denn nicht?“, erwiderte Casey, während er zwei Löffel Zucker in den Kaffee gab.
Das hat er sich gemerkt? Gerührt über so viel Zuwendung trat er näher und griff nach Caseys Hand. Der blickte auf und schenkte ihm einen sanften Kuss, ehe er ihm die Tasse gab. Gemeinsam machten sie es sich auf der Couch gemütlich.
„Mina hat es ganz gut aufgenommen“, berichtete Casey. „Sie meint nur, wir sollten etwas vorsichtig sein.“
„Wegen deines Images?“, hakte Logan nach.
„Auch. Aber es geht ihr auch um die Gegend hier und darum, uns nicht zur Zielscheibe zu machen. Wie lief‘s bei dir?“
Es würde ihm nur wehtun, wenn ich ihm erzähle, was sie alles gesagt haben. Und wenn Alice recht behält und sie sich doch noch einkriegen, hätte er gleich Vorurteile gegen sie, wenn wir mal dort zu Besuch sind. „Sie verdauen es noch“, tat er stattdessen kund. Was ja nicht gelogen war und akzeptieren mussten sie es, früher oder später.
Casey schien das Thema beenden zu wollen, denn er schaltete den Fernseher ein. „Sag mal, hättest du Lust, morgen Abend mit ins Loft zu kommen?“
„Ins Loft? Du meinst in euer Loft?“ Logan sah ihn verblüfft an.
„Ja, genau das. Mina würde dich gern kennenlernen und die anderen sicher auch.“
Die Crew! Daran habe ich noch gar nicht gedacht. Dann werde ich wohl auch auf den Captain treffen. Wie aus dem nichts hatte er wieder die Bilder mit Matt und Casey im Kopf. Ebenso wie dessen Bemerkung, dass sie alle wie eine große Familie seien und sich Partner eben damit abfinden müssten.
„Also, was sagst du? Magst du die Truppe mal kennenlernen?“ Casey nippte an seinem Kräutertee und sah ihn abwartend an.
„Entschuldige. Klar, gerne. Wann soll ich da sein?“
„Sagen wir, so gegen 19 Uhr?“
„Okay.“ Das kann ja heiter werden. Ob ich überhaupt zu diesen Leuten passe? Was, wenn die mich nicht mögen? „Wissen sie denn schon von uns?“
„Noch nicht. Ich sehe sie erst morgen alle, dann werde ich es ihnen sagen.“
Na, immerhin macht Casey einen gelassenen Eindruck, was das angeht. Vermutlich mache ich mir auch einfach zu viele Gedanken. Es sind immerhin seine Freunde. Wenn er sie mag, dann werde ich ihnen sicher auch etwas abgewinnen können und hoffentlich auch umgekehrt.
Beide stellten ihre Tassen beiseite und rückten näher zusammen. Und obwohl die Couch eigentlich genügend Fläche bot, um nebeneinander sitzen zu können, machte es sich Casey auf Logans Schoß bequem. Dieser legte seine Arme um ihn, stutzte aber, als ihm plötzlich etwas ins Auge fiel. Verwundert folgte Casey seinem Blick zum Couchtisch, wo sich neben ihren Getränken eigentlich nur die Fernbedienung und ein Sportmagazin befanden. „Seit wann hast du die denn?“, fragte Logan neugierig und deutete auf etwas, das unscheinbar obendrauf lag.
„Oh, schon eine Weile. Ich brauche sie aber nur zum Lesen.“
„Würdest du …?“ Casey rollte mit den Augen und griff bereits nach dem Brillenetui, bevor Logan seine Frage beenden konnte. Kurz darauf hatte er sie schon aufgesetzt. „Du siehst verdammt scharf damit aus“, entfloh es seinen Lippen schneller, als er denken konnte. Casey lachte und packte sie wieder weg. „Ich meine das ernst“, fuhr er fort und strich ihm über den Bauch. „Weißt du eigentlich, wie verrückt du mich machst?“
Ein Grinsen huschte über Caseys Gesicht. „Nun, ich finde dich auch ziemlich heiß“, gestand er und fuhr ihm mit dem Finger über die Lippen. Logan runzelte die Stirn. „Mich? Aber an mir ist doch nichts Besonderes, ich bin doch nur … normal. Durchschnitt eben.“
„Erzähl nicht solchen Mist“, erwiderte Casey und schenkte ihm ein verliebtes Lächeln. „An dir ist so viel Einzigartiges. Wer das nicht sieht, ist blind.“
Logan fühlte, wie seine Wangen erröteten. Vielleicht sollte ich mir doch etwas Selbstbewusstsein zulegen? Casey schmiegte sich wieder an ihn. Im Fernsehen lief ein Krimi, doch beide beachteten die Sendung nur wenig. Viel interessanter waren Caseys leuchtend blaue Augen, die so unheimlich schön mit den pechschwarzen Haaren harmonierten. Irgendwann schlief sein Freund in seinen Armen ein, doch Logan dachte nicht einmal daran, aufzustehen. Überhaupt wollte er nichts tun, was ihn wecken könnte. Und eines wurde ihm in diesem Augenblick bewusst: Er würde sich das nicht kaputtmachen lassen. Von nichts und niemandem!
Casey
„Gut, da wir ja nun alle zusammen sind, wollte ich euch gern etwas sagen.“
„Du hast jemanden?“, riet Matt.
„Ähm … ja“, gab Casey zögerlich zu.
„Du hast eine Freundin?“, hakte Tess überrascht nach.
„Nicht direkt. Eher … einen Freund.“
Sein Captain zog eine Augenbraue hoch. „Du verarschst uns doch.“
„Tut er nicht, Matt“, mischte sich Mina ein. „Es stimmt.“
„Du hast es gewusst?“, fragte Matt ungläubig, während ihm die Gesichtszüge entglitten. Dann fixierte er seinen Schützling. „Und du? Du machst mit einem Kerl rum? Ernsthaft?“
„Jetzt lass ihn, Matt“, mischte sich Carrie ein und hakte sich bei Casey unter. „Also, ich find’s toll.“
„Sie hat recht. Es ist sein Ding. Wenn er das so will, dann ist es nun mal so“, bestätige Tess.
Danke Mädels. Ich wusste, ihr lasst mich nicht hängen. Ein Lächeln zeichnete sich auf seinem Gesicht ab, verschwand aber gleich wieder, als sich eine merkwürdige Atmosphäre breitmachte. Alle blickten auf einmal zu Ryan, so auch er, und warteten dessen Reaktion ab. Kurz blickte sich dieser irritiert um und schien erst jetzt zu begreifen, dass er im Mittelpunkt stand. „Er ist bi. Na und? Mein Ding wäre es zwar nicht, aber wenn’s ihn glücklich macht?“ Schulterzuckend beendete er seinen Satz.
Erleichtert atmete Casey auf. Freudig tobte sein Herz, schlug hart gegen seine Brust und durchströmte ihn mit Wärme, als sich letztlich auch Matt einsichtig zeigte. „Du meinst das also ernst?“, fragte er ein letztes Mal und legte seine Hand dabei auf seine Schulter. Stahlgraue Augen sahen ihn forschend an.
Casey straffte die Brust. „Ja, tue ich.“
Ein Grinsen erhellte Matts Gesicht. „Also schön. Wann lernen wir ihn kennen?“
„N… Nachher?“, brachte er zögerlich hervor und biss sich auf die Unterlippe.
Matt lachte. „Du lässt ja wahrlich nichts anbrennen. Gut, dann bin ich mal gespannt.“ Mit einem Zwinkern ließ er von ihm ab, verschwand in Richtung Garage und gab ihn für den Rest der Meute frei.
Carrie fiel ihm sogleich um den Hals. „Ich freu mich ja so für dich!“
Glücklich schloss er sie in die Arme. Ryan beließ es bei einem Schulterklopfen und ging ebenfalls. Nachdem Carrie ihn freigab, zog auch Tess ihn für einen Moment in ihre Arme. „Tja, Pech für die Mädels, gut für dich. Ich bin schon echt gespannt.“ Gleich darauf folgte sie Ryan in die Küche.
Auch Mina machte sich wieder auf in ihr Büro. „Ich hab jetzt noch ein bisschen was zu tun, aber wir sehen uns ja alle nachher, dann können wir in Ruhe reden.“
Nur Carrie blieb bei ihm zurück. „Möchtest du auch eine Limo?“
Casey nickte und machte es sich auf der Couch gemütlich. Kaum saß er, kam Carrie auch schon mit zwei Flaschen zurück.
„Ich will alles wissen“, überfiel sie ihn und reichte ihm sein Getränk.
Casey begann zu erzählen, wie er und Logan zusammengefunden hatten. Dabei erwischte er sich immer wieder dabei, wie er auf die Uhr spähte. Ob Logan wohl auch so aufgeregt ist?
Logan
Das Loft der Final Cubes lag in der Dodge Avenue, einer recht noblen Gegend. Oft hieß es hier, sehen und gesehen werden. Umso sicherer war sich Logan der Blicke hinter den Fenstern der benachbarten Villen, als er das Grundstück betrat.
Ob ich noch ein Weilchen warte? Ich bin immerhin eine Viertelstunde zu früh dran.
„Logan!“, machte sich eine fremde Stimme von der Dachterrasse aus bemerkbar. Er blickte auf und eine junge Frau im Tanktop winkte ihm lächelnd zu. Der Afro umspielte ihr Gesicht wie eine Löwenmähne und ihm wurde schnell klar: Das musste Carrie sein.
Etwas zögerlich winkte er zurück.
„Ich komm runter und mach dir auf!“, versprach sie und verschwand aus seinem Blickfeld.
Okay, das Warten hat sich damit wohl erledigt. Aber immerhin scheint sie nett zu sein.
Kurz darauf öffnete sich die Eingangstür und das Mädel von eben kam auf ihn zu. „Hey, ich bin Carrie“, begrüßte sie ihn und reichte ihm die Hand. Sie war ihm gleich vom ersten Augenblick an sympathisch. „Komm rein, ich zeig dir alles“, forderte sie ihn auf und ging voraus. Neugierig folgte er ihr und fand sich sogleich in einem riesigen offenen Raum wieder, der das Ausmaß einer Halle annahm. Carrie führte ihn zum Küchenbereich, der lediglich durch einen Raumteiler vom Rest abgetrennt war. „Also, hier frühstücken wir im Normalfall. Manchmal wird hier auch Essen zubereitet. Das übernimmt dann meist Ryan. Er hilft ab und an im Restaurant seines Vaters aus. Mal als Koch, mal als Kellner. Je nachdem, wo es gerade brennt. Aber das weißt du sicher schon alles.“ Logan sah sich um. Ein großer Esstisch mit hinreichend Stühlen stand in der Mitte des Zimmers. Dahinter die Kochzeile und der Kühlschrank.
Gerade, als sie die Küche wieder verlassen wollten, kam ihnen eine weitere junge Frau entgegen und sah ihn kurz verwundert an. „Hallo, ich bin Logan“, stellte er sich vor.
Nun schien ihr ein Licht aufzugehen. „Hey, Tessa. Kannst Tess sagen.“
Aufgeregt nahm er auch ihren Händedruck an. Tessa war ebenso brünett wie Carrie. Doch im Gegensatz zu ihr hatte sie lange glatte Haare, stark geschwungene Augenbrauen, volle Lippen und dichte, geschwungene Wimpern, die ihre Augen umrahmten. Sie war das, was die meisten Heteromänner wohl als Sexbombe bezeichnen würden. Auch an sie konnte sich Logan durch die Aufnahmen noch gut erinnern.
Carrie führte ihn zurück in den anderen Teil des Lofts, wo sich ein großzügiger Wohnbereich erstreckte. „Hier ist so gesehen unser Sammelpunkt. An dem Tisch da spielen wir manchmal Karten, dort drüben wird ferngesehen oder gezockt und auch so ist der Platz hier ganz cool zum Chillen.“ Carrie schenkte ihm ein Lächeln und erweckte bei Logan immer mehr den Eindruck, einer immer-fröhlichen Optimistin. „Hier sind die Badezimmer“, erklärte sie weiter und ließ ihn durch eine der beiden geöffneten Türen spähen. „Und hier geht’s zur Übungshalle.“
Logan folgte ihr die Treppenstufen hinab. Unten schaltete sie kurz das Licht für ihn ein. Er staunte nicht schlecht, als er den Trainingsraum in Augenschein nahm. Diesmal handelte es sich wahrhaftig um eine Halle, die zudem auch noch dasselbe Ausmaß der gesamten oberen Etage annahm. An einer Wand waren Spiegel angebracht, vermutlich um ihre Choreografien so lange zu üben, bis alle die Bewegungen synchron ausführten. Ein einzelner Sandsack hing in der Ecke herum. Darüber hinaus konnte er noch eine Stereoanlage und einige Turnmatten und Springseile ausmachen.
Hier schwitzt mein Süßer sich also die Seele aus dem Leib, wenn er sagt, er hat Proben.
„Wollen wir wieder hoch?“, fragte seine Begleitung nach einer Weile.
„Ja … gern“, stammelte er verlegen und heftete sich erneut an ihre Fersen.
„Dann lass mich dir noch das andere Stockwerk zeigen“, schlug Carrie rasch vor und führte ihn zu den Stufen nahe dem Eingang. Die Treppe wirkte auf Logan wie der Teil eines Baustellengerüstes. Ganz aus Metall und mit offenen Stufen, durch die man hindurchblicken konnte. „Das ist unser Flur. Hinter uns geht’s zur Dachterrasse. Alle anderen Türen, die von hier abgehen, gehören zu unseren Zimmern. Hier wohnt Tess, daneben ich. Als Nächstes kommt Caseys Raum, dann Ryans und Matts. Und dort hinten, am Ende des Ganges, ist Minas Büro. Ihr Bereich ist etwas größer. Na ja, genau genommen sind es zwei Räume. Wenn man reinkommt, ist man im Arbeitszimmer und daneben hat sie, wie wir, einen kleinen Rückzugsort für sich. Ich muss sagen, es macht sich wirklich bezahlt, so zu wohnen. Gerade in den harten Trainingswochen hat keiner von uns Lust, anschließend noch nach Hause zu fahren und dann früh morgens wieder hierher zu hetzen. Außerdem stärkt es das Teambewusstsein, zusammen zu frühstücken und so. Entschuldige, ich labere zu viel.“
„Nein, tust du nicht und danke fürs Herumführen“, beschwichtigte er sie sogleich. Es ist wirklich interessant zu sehen, wie sie alle hier leben.
Carrie schenkte ihm erneut ein Lächeln, ging voraus zu Caseys Wohnraum und pochte an die Tür. „C.J., du hast Besuch!“
Nur Sekunden später stand Casey in der Tür und zog ihn in seine Arme. „Sorry, ich hab die Zeit vergessen.“
„Ich lass euch zwei Turteltauben mal allein und trommele die anderen zusammen. Kommt ihr dann gleich nach?“
„Ja, machen wir“, versprach Casey und bat Logan herein. Im Vergleich zur Wohnung seines Freundes war hier alles sehr spartanisch, um nicht zu sagen zweckmäßig, eingerichtet. Ein kleiner Tisch, ein Stuhl, ein Kleiderschrank, ein Nachtschrank und ein Bett. Wie in den günstigen Motels, in denen sie gemeinsam eingecheckt hatten. „Schön, dass du hier bist,“ sprach Casey und deutete ihm an, sich mit aufs Bett zu setzen.
„Ich freue mich auch“, brachte er gerade noch hervor, bevor der Tänzer ihm den Mund mit seinen Lippen versiegelte.
Casey schenkte ihm dieses spezielle Lächeln, das nur er drauf hatte und sah ihn verliebt an. „Wen hast du denn schon alles getroffen?“
„Bis jetzt bloß Tess und Carrie. Sie ist wirklich sehr nett.“ Einen Großteil der Aufregung hatte sie ihm bereits genommen und zudem das Gefühl gegeben, willkommen zu sein.
„Ja, sie ist ein Sonnenschein“, bestätigte sein Freund. „Soll ich dir alles zeigen?“
„Brauchst du nicht, Carrie hat schon einen Rundgang mit mir gemacht.“
„Okay, dann bleibt ja mehr Zeit hierfür“, antwortete Casey und zog ihn zu einem erneuten Kuss heran. Kurz bevor einer von ihnen hart geworden wäre, stoppte er, ließ sie beide zu Atem kommen und schlang die Arme um Logan. Dieser erwiderte die Umarmung, strich ihm sanft über den Rücken und genoss einen Augenblick lang die Wärme, seiner Nähe. „Wir sollten sie wohl nicht so lange warten lassen“, äußerte er seine Bedenken.
Casey seufzte. „Gut, dann lass uns runtergehen.“
Nun übermannte ihn doch wieder die Aufregung. Mit pochendem Herzen folgte er seinem Freund die Treppenstufen hinab. Die Frau, die sich herumdrehte und lächelnd zu ihnen hochsah, musste Mina sein, die Managerin. „Hallo, ich bin Logan“, stellte er sich vor. „Und danke für die Einladung.“
Minas Lächeln wurde breiter, als sie ihm die Hand schüttelte. „Mina. Und keine Ursache.“
Logan ging weiter auf die anderen zu. Der muskulöse Typ mit dem breiten Kreuz und den Stern-Tattoos auf den Unterarmen war eindeutig Ryan. „Hey, ich bin Logan“, stellte er sich auch ihm vor.
„Ryan“, gab sein Gegenüber preis und nahm seine Hand an.
Richtig getippt. Logan nickte freundlich. Nun galt es nur noch, sich dem Captain der Crew vorzustellen. Dem Typen, der mit Casey rumgeknutscht hatte, der als Womanizer schlechthin galt und der häufiger in den Klatschspalten landete als sonst irgendjemand der hier Anwesenden. Matt stand etwas abseits an die Wand gelehnt und schwenkte ein Whiskeyglas. Die zerschlissene Jeans, das enge Shirt, die lässig gestylten Haare, die trainierten Oberarme, die noch andere durchtrainierte Körperteile erahnen ließen … seine ganze Aura strahlte puren Sex aus. Er konnte jede haben, die er wollte und bislang nahm er sich auch jede, die ihm auch nur im Ansatz gefiel. Würde man es nicht besser wissen, hielte man ihn wohl für einen Rockstar. Sogar Alice stand auf diesen Typen, war regelmäßig in den Clubs und bei den Wettkämpfen dabei, nur um ihn anzuschmachten. Dabei verhielt er sich, zumindest dem Hörensagen nach, der Damenwelt gegenüber wie ein arrogantes Arschloch. Mutig ging Logan auf ihn zu, während es sich der Rest der Truppe bereits auf den Sitzmöbeln bequem machte und munter drauf los erzählte.
„Hey, ich bin …“, versuchte Logan das Gesagte von eben einfach zu wiederholen.
„Ich weiß, wer du bist“, unterbrach Matt ihn rüde und verschmähte seine Hand. „Was ich noch nicht weiß ist, ob wir zwei Freunde werden.“
Ein Blick aus stahlgrauen Augen durchbohrte ihn und schnürte ihm einen Moment lang die Kehle zu. Peinlich berührt nahm Logan seine Hand herunter und wagte es nicht einmal zu blinzeln. Matt musterte ihn argwöhnisch. „Über seinen Männergeschmack müssen wir noch reden“, wertete er ihn dann mit hochgezogener Augenbraue ab. Logan schluckte hart, überlegte etwas zu erwidern, aber was sollte er schon sagen? Er fand sich ja selbst nicht gerade überdurchschnittlich gut aussehend. Matt sah zur Crew und trank einen Schluck. Dann fixierte er Logan erneut. „Hör zu, Lukas. Oder Logan. Ist mir auch egal, wie du heißt. Der Kleine da drüben“, er deutete mit dem Glas zu Casey, „ist wie ein Bruder für mich. Wenn du ihm weh tust …“ Sein Blick verfinsterte sich. Auch, wenn er die Drohung nicht weiter aussprach, so war sich Logan über den Teil, den er ausließ, vollends bewusst. Matt zwang sich ein gequältes Lächeln auf. „Tu ihm einfach nicht weh, klar?“
„H… Hab ich nicht v… vor.“ Logans Stimme klang heiser. Warum muss sie gerade jetzt versagen? Geht es denn noch peinlicher?
Der Captain erwiderte nichts und ging voraus zu den anderen. Lediglich einen letzten misstrauischen Blick warf er Logan über die Schulter zu, der diesem sogleich das Blut in den Adern gefrieren ließ. Jetzt wusste er wieder, weswegen er aufgeregt gewesen war und sich Sorgen gemacht hatte: seinetwegen. Wie ein dressierter Hund folgte er mit gesenktem Kopf.
Casey
Mit besorgtem Lächeln wies Casey seinen Freund an, sich neben ihn zu setzen. Wie selbstverständlich legte er den Arm um Logan. Was die beiden wohl besprochen haben? Harmonisch sah das nicht gerade aus.
Matt hatte inzwischen in einem Sessel Platz genommen und augenblicklich kehrte Ruhe ein. „Bevor wir anfangen, wäre da noch eine Sache“, durchbrach er die Stille. Alle Blicke richten sich auf ihn. Der Captain hingegen starrte Logan an. „Alles, was hier drinnen besprochen wird, bleibt auch hier drin. Dass das klar ist. Ich habe keinen Bock, morgen irgendwas von dem Rotz in der Zeitung zu lesen.“
Logan nickte, wissend, dass nur er gemeint war.
Muss er denn gleich so dick auftragen?
„Jetzt schalt mal einen Gang runter, er ist keine deiner Ischen“, mischte sich Mina ein, als Casey dem gerade etwas entgegensetzen wollte. „Lu… Logan wird schon nicht gleich zur Presse laufen. Hab ich recht?“
„Das habe ich nicht vor“, bestätigte Logan.
Caseys Lippen formten ein tonloses ‚Danke‘ an seine Managerin.
„Gut, dann fangen wir an“, entschied Tess und reichte einen Stapel Fotos rum. „Carrie und ich waren an der Westküste.“
„Genauer gesagt haben wir Portland und Seattle unsicher gemacht“, ergänzte Carrie.
„Da waren wir im japanischen Garten“, sprach Tess und wies auf das Bild in Caseys Händen. „Das war echt ein toller Park. Zwischen den ganzen Hochhäusern war das wie eine Insel der Ruhe.“
Weitere Bilder von Bars, Restaurants und einer Shoppingmall folgten. „Die hatten echt unglaublich schöne Sachen“, schwärmte Carrie. „Da fällt mir ein, das haben wir dir ja noch gar nicht gegeben.“ Im nächsten Moment überreichte sie Mina eine Geschenktüte. Freudig packte Mina diese aus und zog ein bedrucktes grünes Shirt hervor. Ihre Augen strahlten vor Freude. „Danke euch beiden.“
Viel mehr hatten die beiden nicht zu berichten, dann war Ryan mit Erzählen an der Reihe. „Ich habe die meiste Zeit bei meinem Dad ausgeholfen. Nichts Besonderes eigentlich.“
„Waren da wenigstens ein paar süße Mädchen?“, wollte Mina wissen.
„Ja, sicher. Aber meist schon mit Begleitung.“
Mina seufzte. „Warum DU keine Freundin findest?“
Tess kicherte. „Entschuldige“, sprach sie sogleich und winkte ab.
„Weißt du da mehr als ich?“, fragte Mina irritiert.
„Erzähle ich dir ein anderes Mal“, entgegnete Tess zwinkernd.
„Jetzt will ich’s aber auch wissen!“, stimmte Carrie mit ein. Ryan schien zu erahnen was kommen würde und spielte peinlich berührt mit einem Flaschenöffner herum.
Tessa gab sich inzwischen geschlagen und erzählte. „Na ja, Ryan ist eben groß.“
Mina runzelte die Stirn. „Nur, weil ein Mann über einen Meter achtzig groß ist, heißt das doch noch lange nicht, dass sich keine Frau für ihn interessiert.“
„Nein, heißt es natürlich nicht. Sieh ihn dir doch an. Er hat breite Schultern, große Füße, riesige Hände …“ Tess sprach nicht weiter und grinste stattdessen nur frech. „Alle Damen, mit denen er es zu tun hatte, haben im entscheidenden Moment einfach Angst bekommen, dass sein Zubehör zu groß für sie ist.“
Casey lachte. Das Rot in Minas, Carries und auch Logans Gesicht, war einfach zu herrlich.
„Dann wäre ja alles gesagt“, äußerte sich Ryan kleinlaut und gab damit das imaginäre Zepter an Matt weiter.
Schnell kehrte Ruhe ein. „Ich war bei meinen Eltern. Vicky war mit ihrem Mann und dem Kleinen da. Meine Schwester“, ergänzte er für Logan.
„Hast du Bilder von Paul?“, fragte Carrie.
Matt kramte nach seinem Smartphone und legte es auf den Tisch. Fasziniert scrollten Carrie und Mina die Bilder von dem kleinen Mann durch.
„Sie ziehen nächsten Monat in das neue Haus. Das Kinderzimmer ist schon fertig renoviert, die Küche kommt nächste Woche. Wir waren im Zoo, im Wald spazieren … das Übliche eben.“
„Und wie macht sie es mit der Arbeit?“, fragte Mina nach.
„Sie hat doch jetzt diesen neuen Job im Krankenhaus. Morgen fängt die Einarbeitung an.“
„Ja, das ist gut. Dann muss sie auch nicht so weit fahren“, stellte Mina fest.
Inzwischen war die Stimmung etwas aufgelockerter und Mina fragte nach Logans Job.
„Ich studiere Architektur“, erklärte dieser knapp.
„Er ist im Frühjahr fertig und übernimmt dann das Büro von seinem Dad“, vervollständigte Casey stolz.
„Das in der achten Straße?“, erkundigte sich Matt.
Logan schien kurz verblüfft, dass er mit ihm sprach. „Ja, genau das.“
Matt sagte nichts weiter. Dafür Tessa: „Klingt nach einer Menge Verantwortung. Dann hast du also auch was zu verlieren?“, stellte sie unverblümt fest.
„Ja, so ist es“, erwiderte Logan.
„Ihr habt noch gar nichts von eurer Reise erzählt“, rettete Mina die Situation, als die Unterhaltung allmählich ins Stocken geriet.
„Stimmt, haben wir nicht“, bestätigte Casey und verband seine Hand mit Logans. Beide erzählten ihre Geschichte in groben Zügen. Carrie brachte ihnen allen zwischenzeitlich Getränke und Knabberkram. Das meiste wusste sie ja bereits durch ihr Gespräch mit ihrem Teamkollegen am Nachmittag. So zog sich der Abend noch eine Weile hin, bis Matt sich schließlich erhob und in die obere Etage zurückzog. Wenig später verabschiedete sich auch Ryan. Tess und Carrie sorgten noch ein bisschen für Ordnung, dann gingen auch sie. „Den solltest du behalten. Er ist nett“, meinte Mina in Logans Beisein und verabschiedete sich ebenfalls.
Als alle verschwunden waren, brachte Casey ihn zur Tür. Jetzt fragt er sich bestimmt, wie ich es bloß mit diesen ganzen Chaoten aushalte. „Ich hoffe, es war nicht zu verstörend für dich. Sie können manchmal komisch sein“, entschuldigte er sich.
Logan lächelte. „Mach dir keine Sorgen, der Abend war schön und sie sind alle sehr freundlich.“ Kurz vergewisserte er sich, dass sie wirklich allein waren. „Ich habe nur das Gefühl, dass Matt mich nicht ausstehen kann.“
So etwas hatte ich befürchtet. „Das stimmt nicht.“
Logan lachte. „Oh doch, er hasst mich.“
Mit einem entschuldigenden Lächeln griff er nach Logans Hand. „Tut er nicht. Das ist eben nicht so leicht für ihn zu verstehen. Sieh mal, vor ein paar Wochen war ich noch mit ihm zusammen in den Clubs. Wir haben Mädels aufgerissen. Das ist der Casey, den er kennt. Jetzt komme ich ihm auf einmal mit etwas Festem und dann auch noch mit einem Mann. Ich habe es ihm heute erst gesagt und ihn damit quasi überfallen. Er hat diesen wahnsinnigen Beschützerinstinkt und ist einfach nur skeptisch, weil er dich noch nicht kennt und weil er glaubt, das wäre nur so eine Phase. Aber das wird sich schon noch ändern. Gib ihm einfach noch ein wenig Zeit, das sacken zu lassen.“
„Okay“, erwiderte Logan und schien einsichtig. „Und … ist es eine Phase?“
Wie kommt er bloß auf so eine Frage? Casey schenkte ihm sein einmaliges Lächeln. „Nein, natürlich nicht!“ Er trat noch einen Schritt näher an seinen Freund heran. „Weißt du, was ich schon den ganzen Abend machen wollte?“, fragte er grinsend und zog Logan an sich, als er verneinte. „Das hier.“ Leidenschaftlich und sehnsüchtig zugleich legten sich seine Lippen die seines Freundes, während er die Arme um ihn schlang. Beide genossen das wohlige Gefühl und die Nähe des anderen. Erst nach einer Weile lösten sie sich voneinander. „Also dann, komm gut nach Hause!“
Casey
„Noch ein bisschen nach rechts drehen. Lächeln! Ja, genau so. Perfekt! Wir haben’s im Kasten.“ Der Fotograf kam auf Casey zu. „Gut gemacht, Kleiner. Du kannst dich umziehen.“
Casey atmete erleichtert auf. Nach drei Interviews und insgesamt fünf Fotoshootings war dies sein vorerst letzter Termin gewesen. Mina empfing ihn an der Tür, als er umgezogen war. „Das war klasse, C.J.“, lobte sie ihren Schützling.
„Hast du Lust auf einen Kaffee? Ich lad dich ein.“
Mina lächelte. „Wie könnte ich da ‚Nein‘ sagen?“
„Was hältst du von dem Café da vorn?“, fragte Casey und deutete auf ein kleines Eiscafé auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Ein paar vereinzelte Tische, dazwischen rot-weiß gestreifte Sonnenschirme und die leise herübertönende Jazzmusik versprachen ein gemütliches Flair.
„Gern“, stimmte seine Managerin zu und nur wenige Minuten später sog sie durch einen Strohhalm an ihrer Chai Latte, während Casey beim klassischen Kaffee blieb. Zwar trank er überwiegend Tee, wenn er die Wahl hatte, doch heute verlangte sein Körper nach dem schwarzen Gebräu, welches er sich ohne Zusatz von Milch oder Zucker schluckweise einflößte.
„Weißt du schon, was du mit dem Geld machen wirst?“
„Ich denke, den Großteil werde ich wohl weglegen.“
Mina lächelte. „Guter Junge.“
*****
Nach Minas Aufbruch beschloss Casey, noch einige Besorgungen zu machen. Auf dem Rückweg vom Supermarkt traf er ausgerechnet auf das Mädchen aus Jackson’s Survival Shop.
Vielleicht hat sie mich nicht gesehen?
„C.J.!“, rief sie über die Straße und winkte ihm zu.
Doch, hat sie. Casey seufzte, blieb stehen und wartete. Als sie bei ihm ankam, schenkte er ihr ein Lächeln.
„Wie war deine Reise?“, fragte sie umgehend und natürlich trug sie sein Basecap. Ein echter Hardcorefan.
„Gut, wir sind viel rumgekommen“, antwortete er knapp. Private Details preiszugeben war stets ein Risiko. Zu schnell landeten irgendwelche Informationen bei der Presse, wo sie erst einmal durch den Fleischwolf gedreht wurden, bis sie völlig wirr und unzutreffend ihren Weg aufs Papier fanden.
Kurz nickte sie. „Ich muss in die Richtung, und du?“, sie deutete geradeaus.
Mist, da muss ich auch hin. Für eine Sekunde überlegte er, sie einfach abzuwimmeln, eine andere Richtung vorzugeben, noch ein wenig herumzulaufen und eben später nach Hause zu fahren. Schnell verwarf er den Gedanken wieder. Zum einen war er nicht der Typ, der davonlief und zum anderen würde sie sich wohl auch dann noch an ihn heften. „Ich auch“, gab er schließlich zu.
„Cool, gehen wir ein Stück zusammen?“
„Klar“, antwortete er. Obwohl ihr Gesichtsausdruck bei einem ‚Nein‘ sicher interessant gewesen wäre. Aber dann hätte es nur Ärger mit Mina gegeben. Er sah schon die Schlagzeile vor seinem geistigen Auge: ‚C.J. verjagt seine Fans‘. Dass sie sich mit einem freudigen Lächeln bei ihm unterhakte, hatte er allerdings nicht absehen können. Die paar Meter werde ich das schon hinkriegen. Sie will ja nur quatschen.
„Was machst du an deinem Geburtstag?“, fragte sie frei heraus.
„Weiß noch nicht. So genau habe ich mir das noch nicht überlegt.“ Auch wenn schwammige Antworten in solchen Momenten immer gut waren, stimmte es diesmal. Er hatte sich wirklich noch keine Gedanken darüber gemacht. Kurz blendete ihn etwas. Ein Fotograf? Casey schaute sich um, doch er sah niemanden.
„Du solltest ins Nightstar kommen. Alle erwarten, dass du dort bist.“
So, wie jedes Jahr. „Okay“, antwortete er knapp. Vielleicht würde er wirklich hingehen. Immerhin war es schon zu einer Art Ritual der Crew geworden, den Abend dort zu verbringen, wenn es etwas zu feiern gab.
„Gut, dann bis nächste Woche!“, verabschiedete sie sich und ließ ihn schließlich gehen.
*****
Am nächsten Morgen fühlte er sich endlich wieder richtig frei. Außer dem Training am Nachmittag standen keine weiteren Termine an. Vergnügt kramte er sein Handy hervor und wählte Logans Nummer. Nach endlos wirkenden Sekunden hob dieser schließlich ab.
„Oh, du lebst noch“, scherzte Logan am anderen Ende. Sein Lachen hörte sich verkrampft an.
„Ja, gerade so“, bestätigte Casey. „Ich weiß, ich hatte viele Termine in den letzten Tagen, aber wenn du magst, können wir uns heut Abend sehen?“
„Na klar.“
Kam es ihm nur so vor oder wirkte Logan komisch?
„Komm einfach vorbei, wann es dir passt. Ich werde ab 18 Uhr zu Hause sein“, sprach Casey weiter.
„Gut.“
„Okay, dann bis heut Abend. Ich freu mich auf dich.“
„Ja, bis dann“, antwortete sein Freund knapp.
Irgendwas war im Busch, so viel war ihm klar. Doch es brachte nichts, ihn jetzt am Telefon auszuquetschen. Er hatte ‚Ja‘ gesagt und sie würden sich später ohnehin sehen. Außerdem klärte Casey solche Dinge lieber persönlich. Womöglich fühlte er sich vernachlässigt, weil in den letzten Tagen nicht viel mehr Zeit als für ein knappes ‚Wie geht’s dir?‘ und die kurze Erläuterung ihres Tages und ein ‚Gute Nacht‘ am Abend blieb. Vielleicht hatte es aber auch gar nichts mit ihm zu tun?
Kurz entschlossen machte er sich auf den Weg zum Friedhof. Seit seiner Rückkehr hatte er es erst einmal hierher geschafft. Es war also höchste Zeit für frische Blumen. Wieder entschied er sich für weiße Lilien. Alles Bunte war in seinen Augen unangebracht für ein Grab. Zu heiter und lebensfroh für einen Ort, an dem Tote ruhten. Viel zu tun gab es auch diesmal nicht, immerhin war er trotz aller Termine oft genug hier, um nichts dem Zufall zu überlassen. Andere Gräber erweckten hingegen den Eindruck, als würden sie allmählich verwildern. Er arrangierte die neuen Blumen in der trichterförmigen Grabvase. Nachdem alles hergerichtet war, fiel ihm auf, dass etwas fehlte: die Gebetskette. Wie konnte er sie nur im Auto vergessen? Das war ihm noch nie passiert. Die Erkenntnis darüber führte ihm vor Augen, wie zerstreut er war. Seit ihrem Telefonat grübelte er über Logans Verhalten nach. Habe ich irgendetwas Falsches getan? Ihn verärgert? Vielleicht war auch irgendwas mit der Arbeit? Sicher würde er es bald erfahren, doch die Minuten zogen sich schon jetzt ins Unermessliche und bis zum Abend waren es noch einige Stunden. In Gedanken versunken bemerkte er die Schritte nicht, die sich ihm näherten.
„Hallo, Casey“, erklang eine ihm bekannte Stimme.
Irritiert drehte er sich herum. „Mrs. Mason“, hörte er sich selbst sagen. Dann fiel ihm auf, wie viel Zeug Logans Mum mit sich rumschleppte. Einen Sack Blumenerde hatte sie sich unter den Arm geklemmt, über der Schulter des anderen Armes hingen Einkaufsbeutel vom Supermarkt und in der Hand hielt sie eine kleine gusseiserne Gießkanne vom Friedhof.
„Warten Sie, ich nehme Ihnen etwas ab“, bot er seine Hilfe an und ging auf sie zu. Auf ihr Nicken hin nahm er den Sack Erde und erleichterte sie um die Einkaufstüten.
„Danke“, erwiderte sie und ging voraus, damit ihr Casey einfach folgen konnte.
„Wie geht es Ihnen?“, fragte er beiläufig.
„Mir geht es gut. Und dir?“
„Auch.“ Einen Augenblick lang überlegte er, nach Logan zu fragen, um dessen Verhalten besser deuten zu können. Doch er entschied sich dagegen. Wozu Pferde scheu machen? Und seine Mutter ausquetschen ist nun nicht gerade die feine englische Art. Schweigend half er ihr bei der Grabpflege ihrer Eltern. Kam es ihm nur so vor, oder wirkte sie angespannt? Vielleicht hatten die beiden gestritten? „Sind Sie zu Fuß hier?“, durchbrach er die Stille, als sie fertig waren. Erst danach fiel ihm auf, wie unnötig diese Frage war. Wäre sie mit dem Auto da gewesen, hätte sie den Einkauf sicher dort drinnen gelassen.
„Mit dem Bus“, erwiderte sie knapp.
„Ich kann Sie nach Hause bringen“, schlug er rasch vor.
„Das musst du nicht.“
„Erzählen Sie mir nicht, Sie wollen sich lieber mit dem ganzen Zeug in den Bus quetschen. Mein Wagen steht gleich um die Ecke und es ist wirklich kein großer Umweg.“
„Also schön“, gab sie sich schließlich geschlagen. Casey hielt ihr das Tor zum Ausgang auf, obwohl er der Bepackte war.
„Dort drüben“, wies er sie an und führte sie zum Wagen. Vielleicht wird es mal Zeit für etwas Neues, kam es ihm beim Anblick des schwarzen Mustangs in den Sinn. Selbst Logan fand, sein Auto sei eine Aufreißerkarre. Am pechschwarzen Gefährt angekommen, öffnete er den Kofferraum und deponierte die Sachen darin. Logans Mum stieg auf der Beifahrerseite ein. Irgendetwas war komisch an ihr, nur hatte er noch nicht rausgefunden, was.
Als Casey den Motor startete, ertönte eine sanfte Ballade von Robbie Williams. Seine Beifahrerin stutzte. „So was hörst du?“
„Klar, warum nicht? Sie dachten wohl, ich höre nur Techno und R’n’B?“, fragte er amüsiert.
„Ja, eher so was“, gab sie zurück. [...]
Erscheinen Amazon am 29. September 2017
Tag der Veröffentlichung: 09.10.2017
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