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Prolog

Als die Menschheit begann sich Häuser zu bauen und nicht mehr herumzuziehen, kam der Schöpfer auf die Erde. Er fühlte ihren Glauben an Übernatürliches. Dir Menschen glaubten an den Himmel und die Erde, weil sie das mit sich selbst als Mann und Frau vereinbaren konnten. Er sah, wie die Menschen Häuser bauten an einem Ort, der fruchtbar war. Er konnte beobachten wie sie gemeinsam bauten, Felder bestellten und sich um Tiere kümmerten, die in Gehegen blieben, ohne sich zu wehren. Die Menschen hatten sich entwickelt und eine neue Form des Miteinander erreicht.

Der Schöpfer beobachtete die Menschen in ihrem Treiben. Er sah, wie sie im Einklang miteinander lebten. Die Häuser waren einfach gebaut und bestanden aus Holz und Stein. Der Schöpfer half den Menschen und gab ihnen fruchtbare Böden und half ihnen Werkzeuge herzustellen.

Er fing an die Menschen zu lieben. Der Schöpfer kam aus einer Gesellschaft, in der es keinen Einklang mehr gab. In dieser Gesellschaft gab es nur noch Hass und Krieg. Und er wurde geschickt, damit er einer anderen Zivilisation helfen kann, dass dies nicht geschieht. Man brachte ihm bei wie man Magie benutzte. Auf diesem Planeten gab es reichlich davon, weshalb er auf dieser Welt landete.

Der Schöpfer war sich sicher, dass diese Zivilisation es besser machen kann und mischte sich kaum ein. Er half ihnen dabei sich zu entwickeln. Er sah nie Streitigkeiten zwischen den Menschen und konnte nur die Liebe und Freundschaft sehen. Der Schöpfer fühlte den Glauben, der ihn stärker machte.

An einem bewölkten Tag wandelte er durch eine kleine Siedlung aus Stein. Es hatte davor lange Zeit geregnet. Die Böden waren fruchtbar und alles begann zu wachsen. Es war eine der ersten festen Siedlungen, die es gab. Schon seit vielen Generationen hausten Menschen in den runden Häusern aus Stein und Lehm. Die Siedlung war in der Nähe von hohen Klippen mit vielen kleinen und grossen Höhlen. In der Nähe floss ein Bach und es hatte viele Bäume und Sträucher an den Hängen. Auch Ziegen und Schafe fühlten sich wohl an den Hängen. Das Dorf blühte auf. Die Menschen hatten einige religiöse Stätten, in denen sie ihren Glauben ausübten. Es waren Höhlen und einige Steinkreise, die mit Farben bemalt und verziert waren. Der Schöpfer hauste in einer dieser Höhlen. Seine war nicht gut erreichbar, weswegen er seine Ruhe hatte. Durch seine magischen Fähigkeiten nahmen die Menschen ihn nicht wirklich wahr. Manche der Höhlen an diesem Felsen wurden auch für rituelle Gaben gebraucht und waren mit Malereien gekennzeichnet und wiesen schwarze Decken vom Rauch auf. Die Menschen verbrannten Fleisch, Ernte und verschiedene Kräuter für ihre Götter.

Der Schöpfer wanderte den schmalen Weg hinauf zu den Höhlen. Seine Behausung war die höchstgelegene Höhle, zu welcher es am Schluss keinen Pfad mehr gab. Gerade als er an einer der rituellen Stätten vorbeiging hörte er einen Streit. Der Schöpfer wurde neugierig, weil dies sehr selten passierte. Manchmal stritten Menschen, doch sie taten sich nie etwas an. Ohne ein Geräusch zu machen ging er ein wenig in die dunkle Höhle hinein. Man konnte nicht viel sehen, da die Streitenden tief in der Höhle waren. Der Schöpfer erkannte zwei Jungen.

Sie stritten über die Gaben, die sie an ihre Götter gebracht haben. Der Schöpfer versteckte sich in einer Spalte, um den beiden ungestört zuhören zu können. Er sah nur ihre Umrisse, jedoch stritten sie ziemlich laut. Bald darauf kamen die beiden Jungen zum Eingang und man konnte sie besser erkennen. Der ältere stürmte zuerst davon, kam aber sehr schnell wieder zurück.

Es waren zwei Brüder. Man kannte sie gut im Dorf, denn sie waren die Söhne von angesehenen Leuten. Der ältere Bruder Kain, war muskulös gebaut. Er hatte dunkelbraune Haut und strenge Gesichtszüge. Sein Gesicht war kantig mit grossem, vorstehendem Kinn. Seine Augen waren eckig und die Iris war fast schwarz. Er war sehr einschüchternd, weil er oft auf finster dreinblickte. Die langen, lockigen, schwarzbraunen Haare waren mit dünnen, hellbraunen Leinfäden streng zusammengebunden. Um die Hüfte hatte er ein helles Ledertuch, das mit roten und schwarzen Symbolen verziert war, die seinen Status in der Familie und in der Siedlung zeigten. Er war grösser und wesentlich breiter als sein kleiner Bruder. Er hatte seine Arme vor der Brust verschränkt, was ihn noch einschüchternder machte.

Abel war eher schmächtig mit einem schmalen Gesicht. Er hatte dünklere Haut als Kain, war jedoch viel dünner. In seinem schmalen Gesicht konnte man die hohen Wangenknochen sehen. Man könnte denken, er würde an Hunger leiden. Seine schlanken Hände waren mit kleinen Narben übersäht vom Arbeiten. Er trug ein Fell über den Schultern und ebenfalls ein helles Stück Leder um die Hüfte. Die schwarzbraunen Haare waren lockig und fielen ihm offen auf die Schultern. Abel war schön anzusehen mit seinen offenen, neugierigen Augen.

Kain stapfte unruhig in der Höhle umher. Er liess jedoch seinen kleinen Bruder nie aus den Augen.

«Du hast es schon wieder getan, Abel. Wieso hast du es Vater gesagt, dass du mehr an den Schöpfer opfern konntest als ich. Nun hat er das Gefühl, ich sei nichts wert. Ich bin nun schon viele Sommer alt und wurde immer noch nicht versprochen. Das ist sicher deine Schuld, kleiner Bruder», sagte Kain beherrscht.

Doch man konnte den Zorn an seinen zitternden Fäusten sehen. Weswegen er sie wieder versteckte, indem er die Arme vor der Brust verschränkte. Kain war dafür bekannt, dass er sich nicht immer beherrschen konnte. Er löste viele Probleme mit Gewalt. Jedoch hatte er danach immer ein schlechtes Gewissen und machte es bei den Leuten wieder gut.

Abel hob den Blick und man sah Arroganz in seinen Augen. Obwohl er kleiner als Kain war, schaute er ihn von oben herab an. Er verzog die Lippen zu einem hämischen Grinsen.

«Mich wundert es nicht, dass du keine Frau hast. Schliesslich kannst du uns kaum ernähren. Wie solltest du eine eigene Familie ernähren können. Meine Schafe haben jedes Jahr Lämmer und vermehren sich rasant. Ich kann eine eigene Familie ernähren. Deswegen bin ich auch versprochen. Ich werde mit dieser Frau viele Kinder zeugen und Vater zeigen, was für ein unnützer Mensch du bist», entgegnete Abel.

Kain wurde wütend. Er war schon lange eifersüchtig auf seinen kleinen Bruder. Abel verletzte ihn ständig mit Worten und Witzen. Auch vor seinen Eltern. Doch Kain hatte sich immer im Griff. Sein kleiner Bruder war immer sehr verletzend zu ihm. Aber Vater und Mutter wären böse auf ihn, wenn er seinem Bruder etwas antäte, weshalb er alles ertrug.

Abel verschränkte auch die Arme vor der Brust. Es machte ihn nicht so einschüchternd wie Kain, jedoch hatte es die gezielte Wirkung, denn Kain machte einen Schritt zurück.

«Wenn ich du wäre, dann würde ich mir mehr Mühe geben mit deinen Feldern. Du liebst ja Dinge, die wachsen. Sonst kannst du am Schluss nicht mal mehr dich ernähren. Aber mich muss das ja nicht kümmern, denn ich werde bald eine Frau haben und ein eigenes Haus bauen. Ich kann meine Familie ernähren und werde allen zeigen, dass der jüngere Bruder auch besser sein kann», spottete Abel.

Er senkte den Blick ein wenig und grinste wieder hämisch.

Es war üblich, dass der erste Sohn bald heiratet und für den Rest der Familie ein neues Haus baut, oder sich um die Eltern kümmern. Oftmals ist der zweite Sohn auch die zweite Wahl und so weiter. Die Mädchen wurden verheiratet und zu anderen Familien geschickt. Doch bei Kain und Abel war es ein wenig anders. Kain hatte oft Probleme mit sich selbst und Abel war der Liebling der Eltern.

Kain schaute seinen Bruder traurig an. Die Erinnerungen an die ganze Schmach kamen ihm hoch. Er atmete tief ein und aus. Er versuchte sich immer noch zu beherrschen.

«Du bist ein Schwächling, Kain», spottete der jüngere Bruder weiter.

«In einem Kampf würde ich siegen. Ich bin nicht so faul wie du», fauchte Kain.

Als Abel dann anfing zu lachen, verlor Kain die Beherrschung. Die Wut, die in ihm hochkam, war zu viel. Er griff sich einen Stein und schlug Abel auf den Kopf damit. Abel fiel auf den Boden und schlug sich den Kopf an einem kleinen Felsen auf. Blut sickerte langsam in den hellbraunen, sandigen Boden. Abels Augen waren weit aufgerissen. Er atmete nicht mehr.

Kain merkte, was er getan hatte und liess den Stein fallen. Er kniete sich nieder und schüttelte seinen Bruder.

«Wach auf. Das wollte ich nicht. Du hast mich nur so wütend gemacht», schrie Kain und versuchte seinen kleinen Bruder zu wecken.

Doch nichts passierte. Abel blieb einfach reglos liegen. Verwirrt schaute Kain sich um. Er suchte nach Hilfe oder Rat. Man sah ihm seine Angst an.

Der Schöpfer trat hervor. Kain schaute ihn schockiert an. Er hatte es nicht gemerkt, dass er beobachtete wurde. Der Blick des Schöpfers war zornig.

«Kain. Du hast deinen Bruder ermordet. Sein Blut schreit nach Gerechtigkeit und du wirst sie erfahren. Ich werde dich in die Hölle sperren. Du wirst nicht hinauskönnen, ausser man ruft dich in einem Ritual. Kain. Du bist der erste Dämon und dein Bruder wird der erste Engel sein», verkündete der Schöpfer und streckte seine Hand nach Kain aus.

Ein helles Licht umgab Kain. Er war so von Schock erstarrt, dass er nichts mehr tun konnte. Plötzlich fühlte er Schmerzen in seinem ganzen Körper. Er bekam lederne Flügel auf seinem Rücken und ein langer, dünner Schwanz mit Pfeilspitze als Ende ragte unter seinem Lederbrock hervor. Kain schrie und er verschwand.

Dann wandte sich der Schöpfer sich an den toten Abel.

«Du wirst ein Engel sein. Alles an dir wird rein sein wie Feuer. Deine Augen sehen besser als die eines Jägers. Du wirst Flügel haben, die so weiss sind wie frisch gefallener Schnee. Sie werden dich durch die ganze Welt tragen. Deine Haare werden hell sein und scheinen wie die Sonne. Dein Körper wird stabil sein und du wirst ewig leben können. Deine Macht wird von Magie geleitet», sagte der Schöpfer und hielt seine Hand über den toten Körper.

Abel zuckte zusammen und schaute auf das Licht, das aus der Hand des Schöpfers kam. Er blinzelte nicht, sondern riss die Augen soweit auf wie möglich. Das weisse Licht umgab Abel und hüllte ihn gänzlich ein. Der Schöpfer schloss die Augen und liess die Magie in Abel gleiten.

«Von nun an werden reine Seelen zu Engeln. Böse Seelen fahren in die Hölle und werden für immer dortbleiben», sagte er mit lauter Stimme.

Der Schöpfer öffnete die Arme und weisse Magie strömte aus ihm. Es wurde ein Zauber über die Erde gelegt, der dafür sorgte, dass von Engel getötete Seelen in die Hölle kamen. Ausserdem sollen reine Seelen zu Engeln werden.

Abel wurde plötzlich grösser. Sein ganzer Körper wurde muskulöser. Die Narben an seinen Händen verschwanden und die Haut wurde makellos rein. Abel fühlte, wie die Magie seinen Körper durchflutete. Die weit aufgerissenen Augen nahmen eine hellgraue Farbe an. Die lockigen Haare wurden gerade und nahmen eine helle Farbe an. Sie wurden so lange, dass sie ihm bis zu den Knien reichten. Abel fing an verwirrt zu blinzeln. Er trug plötzlich ein weisses Gewand, wie das des Schöpfers. Er wusste aber nicht aus was für einem Material das Gewand besteht, dass seinen ganzen Körper bedeckte.

Langsam erhob Abel sich. Er schaute den Schöpfer an.

«Du wirst alle Menschen bestrafen, die sich der Sünde strafbar machen. Du wirst sie reinigen», verkündete der Schöpfer.

Daraufhin verliess er Abel. Ein wenig verwirrt tapste er herum. Er fühlte eine Macht in sich, die ihn ängstigte. Er fühlte etwas an seinem Rücken, das er bewegen konnte. Er bemerkte grosse, schneeweisse Flügel mit Federn. Sie füllten fast die ganze Höhle aus. Als er sie weiter öffnete fielen einige Brocken der Höhle herunter.

Kain wachte auf. Er blinzelte verwirrt. Er sah sich um. Er war auf einem Feld mit Getreide in einer Welt die gleich und doch anders war, als die in welcher er zuvor war. Es gab keine Menschen, keine Häuser. Aber es gab sanfte Hügel mit Wäldern und Feldern. Er sah Tiere herumlaufen. Plötzlich merkte Kain, wie Tränen an seinen Wangen herunterliefen. Ihm wurde erst gerade bewusst, was passierte. Er hatte seinen Bruder getötet und musste dafür in die Hölle gehen. Als er sich umdrehte sah er ein riesiges Tor. Es war aus einem rotglühenden Metall gemacht und konnte von innen nicht geöffnet werden. Es war so gross, dass Kain das obere Ende kaum sehen konnte.

Kain drehte sich von dem monströsen Tor weg und machte sich auf die Suche nach Holz und Steinen, damit er sich ein kleines Haus bauen konnte. Dabei merkte er, dass er mehr Kraft hatte als zuvor. Die Flügel würden sich ebenfalls als nützlich erweisen. Das milderte die Umstände ein wenig. Doch Kain hatte nur ein Ziel. Er wollte sich bei seinem Bruder entschuldigen.

Langsam ging Abel aus der rituellen Höhle raus. Er fühlte etwas Schlechtes tief in seinem Bauch. Als würde jemand etwas Ungutes tun und er wüsste davon. Plötzlich merkte er wie er zu dem unguten Gefühl flog. Wie in Trance kam er dem Auslöser des unguten Gefühls immer näher. Es fühlte sich immer schlechter an in seinem Bauch. Er landete und merkte, wie das Gefühl so stark war, dass er es kaum aushielt. Dann bemerkte Abel wo er stand. Auch wenn es ihm schwammig vorkam. Er stand vor seinem Haus. Nur vereinzelt erinnerte er sich an sein Leben. Viele Emotionen schienen wie weggeblasen zu sein. Doch Wut kam als er hörte, was sich abspielte.

Sein Vater lachte hämisch und seine Mutter schrie. Er wird sie an den Haaren ziehen, wie immer. Es war schon immer so gewesen. Sein Vater hatte das Gefühl, dass seine Frau sich noch mehr zu unterordnen hatte, als dass es sonst üblich war. Niemand in der Siedlung sagte etwas dazu, weil es in vielen Familien üblich war, dass die Frauen Gewalt über sich ergehen lassen müssen. Abel hörte die lauter werdenden Schreie seiner Mutter. Plötzlich kam eine unerklärliche Wut in Abel auf. Sie sind alle schlecht. Dachte er und atmete tief ein. Plötzlich umhüllte eine blaue Flamme das Haus. Reinigendes Feuer.

Abel streckte die Hand aus. Er fühlte die Wärme, doch es schmerzt nicht, als das blaue Feuer seine Hand umhüllte. Fasziniert schaute er das Feuer an. Dann fing er an zu lachen. Die blaue Flamme umhüllte plötzlich das ganze Dorf. Sie sind alle schlecht. Sie sind alle schlecht. Abel lachte hysterisch. Ein wahnsinniges Gefühl von Macht überkam Abel. Die Menschen schrien und versuchten zu fliehen, doch das Feuer frass alles auf. Und inmitten der Schreie stand Abel und lachte.

Der Schöpfer schaute vom Berg herab. Er hörte die verstummenden Schreie der Menschen und das hysterische Lachen von Abel. Er stand mitten der brennenden Häuser. Sein Gewand fing kein Feuer und seine Haut blieb makellos. Kein Staubkorn schien sich zu trauen Abel zu beschmutzen. Der Schöpfer starrte seinen ersten Engel an. Er war erschüttert von dieser Tat.

«Ich muss etwas tun», flüsterte er zu sich.

Er beobachtete wie Abel die weissen Flügel öffnete und davonflog. Als das Feuer sich langsam legte, wurde es ganz still. Man konnte nicht einmal mehr Vögel zwitschern hören. Alles war geflohen oder verbrannt. Der Schöpfer lief durch die verbrannte Siedlung. Er streckte beide Hände aus und die Brandspuren verschwanden. Es sah nun einfach so aus, als wäre die Siedlung schon sehr lange unbewohnt und so würden vorbeikommende Menschen nicht an ihrem Glauben zweifeln. Der Schöpfer konnte seine Magie nur dank dem Glauben der Menschen so gut benutzen.

Der Schöpfer ging weit in den Norden zu einer Siedlung mitten im Wald. In dieser Region gab es auch noch Jäger und Sammler. Es war kühl und hart dort zu leben. Doch der Schöpfer hatte einen Plan. Er baute ausserhalb des Dorfkerns einen kleinen Hof, in welchem er auf neue Lebenszeichen von Abel wartete. Es war ein grosses Haus mit zwei Kammern. Daneben waren ein Feld und eine Weide. Der Schöpfer konnte einige Rinder erhandeln und hielt sie dort. Er backte Brot, jagte kleine Tiere im angrenzenden Wald und er kümmerte sich um Felder.

Der Schöpfer wartete bis Abel erneut viel Magie auf einmal brauchte. Da Abel aus reiner Energie bestand konnte der Schöpfer ihn sehr gut finden, wenn der erste Engel seine Magie benutzte. Der Schöpfer wusste, dass es einige Menschenleben kosten wird, bis Abel entweder sterben würde oder sich einkriegt.

Es dauerte einige Monde, als der Schöpfer seinen Engel wieder spürte. Abel brauchte seine Magie an einem Ort, der weit im Süden lag. Noch weiter, als die Siedlung, die er schon niedergebrannt hatte. Der Schöpfer tauchte ganz in der Nähe auf. Erneut hüllten Flammen die Siedlung ein. Der Schöpfer hörte Kinder weinen. «Ich kann Abel nicht töten. Er ist meine Schöpfung. Aber ich kann jemanden retten, der mir helfen kann, dem Ganzen ein Ende zu bereiten», sagte der Schöpfer und trat ebenfalls in die Flammen ein. Auch er wurde nicht vom reinigenden Feuer verletzt. Die Holzbalken stürzten auf die schreienden Menschen und zerdrückten sie. Er hörte Keuchen und Husten von denen, die am Ersticken waren. Er fand zwischen zwei Häusern ein kleines Mädchen. Sie weinte und hatte fürchterliche Angst. Die Flammen hüllten sie in unheilvolles Licht. Trotz der Angst kroch sie immer weiter. Auf ihrem linken Bein hatte sie eine grosse Wunde vom Feuer, die sie daran hinderte weiter wegzurennen. Sie hielt sich eine Hand auf das Bein. Sie war dreckig vom Staub und völlig verängstigt.

Der Schöpfer hob das kleine Mädchen hoch und schloss es in seine Arme. Langsam ging er aus dem Dorf. Er lief weit in irgendeine Richtung, bis sich alles ein wenig beruhigt hatte. Als man das irre Lachen des Engels nicht mehr hören konnte, legte er das Kind hin. Mit Wasser von einem kleinen Bach säuberte er ihre Wunde. Das Mädchen hatte Schmerzen, doch es sagte nichts.

«Wie ist dein Name, mein Kind», fragte der Schöpfer in einem ruhigen Ton.

Das Mädchen beruhigte sich ein wenig und blickte dem Schöpfer in die Augen.

«Mein Name ist Aja», antwortete das Kind in weinerlichem Ton.

«Wo sind alle anderen?», fragte sie daraufhin.

Der Schöpfer zögerte einen Moment.

«Es gibt niemanden mehr in deinem Dorf. Aber ich nehme dich mit», sagte er mit sanftem Lächeln.

Aja begann erneut zu weinen und der Schöpfer umarmte sie.

«Du kannst Johwa nennen», flüsterte er.

Aja war sehr dünn für ihr Alter. Ihr Gesicht war sehr schmal. Sie hatte hellbraune, müde Augen. Ihre Haare hatten ein dunkelbraun und waren äusserst spröde.

Er nahm Aja mit in den Hof, den er gebaut hatte. Er brachte ihr etwas Brot und gebratenes Lamm, welches er gegen Keramik getauscht hatte.

«Du musst essen, meine Kleine. Dann wirst du gross und stark», lächelte Johwa und nahm ebenfalls ein wenig Fleisch in den Mund. Der Schöpfer musste normalerweise nicht mehr essen, da er seine Energie aus der Magie der Welt beziehen konnte. Doch damit die Kleine ihm vertraute, nahm er auch ein Stück.

Einige Tage nachdem Aja bei Johwa eingezogen ist, spürte er Abel erneut. Der Schöpfer gab Aja erneut etwas zu essen und sagte ihr, dass er bald zurück sei. Aja hatte sich etwas beruhigt und hatte sich schnell an die neue Umgebung gewöhnt und konnte für einige Zeit allein sein. Johwa strich durch ihr Haar und lächelte sanft. Aja nickte und fing an zu essen. Johwa verliess das Haus und verschwand.

Der Schöpfer tauchte in der Nähe des Meeres auf. Das Meer war riesig in dieser Welt. Es war salzig und manchmal auch stürmisch, doch wunderschön. Johwa roch das Salz in der Luft und fühlte den angenehmen Wind, der seine langen, weissen Haare zerzauste.

Da wo er auftauchte, war es gerade Abend geworden. Das heisst er war sehr weit weg von zuhause. Die Sonne tauchte rot im salzigen Wasser unter. Johwa schaute sich um. Er sah Abel in der Nähe eines Stammes, der noch umherzog. Sie hatten keine Tiere oder Felder. Sie jagten und sammelten noch.

Abel stand neben der Feuerstelle, die sie vor einer Höhle gemacht hatten. Es schien gerade Streit zu geben. Abels hellgraue Augen funkelten wütend, als er sich mit dem Mann stritt. Kurz darauf fing er an hysterisch zu lachen. Plötzlich fing das Feuer an auszuschlagen. Die Menschen versuchten es zu löschen, doch es war zu stark. Der Mann wurde sofort von den blauen Flammen verschlungen. Das Feuer drängte sich in die Höhle. Erneut hörte Johwa hustende Leute. Nur die Stimme eines Mädchens drang an sein Ohr. Abel drehte sich weg und mit einem irren Lachen liess er die Menschen in Feuer aufgehen. Der Schöpfer eilte zu den schreienden Menschen und suchte noch nach jemanden, der nicht brannte. Nicht einmal der Schöpfer konnte das reinigende Feuer löschen und die Leute retten. Doch er sah das Mädchen. Sie stand in der Mitte des Feuers und wusste nicht wie sie sich retten sollte. Der Rauch hatte sie ganz eingehüllt und man konnte sie nicht richtig erkennen. Johwa eilte zu ihr und hob sie hoch, bevor die heiligen Flammen weiter ausschlagen konnte. Das Mädchen war plötzlich vollkommen still. Sie weinte nicht einmal, sondern beobachtete nur das Geschehen.

Nachdem der Schöpfer sich aus den Flammen begab, stellte er das Mädchen hin und drehte sich zu Abel, der das Geschehen von weiter weg beobachtete.

Der Schöpfer hob die Stimme: «Abel. Du kannst nicht jeden töten, nur weil ein einziger Mensch böse ist. Es reicht.»

Abel schaute zu Johwa.

«Sie sind alle unrein», kreischte Abel.

Dann raufte er die Haare. Mit seinen grossen weissen Flügeln flog er hoch in den Himmel bevor er wieder nach Norden floh.

Der Schöpfer drehte sich wieder zum kleinen Mädchen, dass immer noch ruhig dastand.

«Wie heisst du denn?», fragte er.

Mit leeren Augen blickte das Mädchen zu ihm.

«Ina», antwortete sie knapp.

Johwa nickte und hob sie erneut hoch.

«Du wirst jetzt eine Schwester kriegen. Sie heisst Aja und ist sehr nett. Ihr werdet euch sicher gut verstehen. Dort kriegst du auch etwas zu essen», erklärte er ihr freundlich.

Ina nickte nur knapp. Sie war kräftig gebaut. Sie hatte einige tiefe Kratzer im Gesicht, doch sie machte keine Anstalten deswegen. Ihr Gesicht war kantig und ihre Augen waren dunkelgrün. Sie sah sehr tapfer und streng aus. Ihre dunkelbraunen Haare bedeckten ihr Gesicht ein wenig.  Johwa drückte ihre Hand, bevor sie verschwanden.

Sie tauchten wieder vor Johwas Hütte auf. Als er durch die erste Tür eintrat sah er Aja au den Fellen liegen und schlafen. Sie war ganz friedlich und lächelte. Johwa setzte sich mit Ina auf den Boden und gab ihr ein wenig Fladenbrot, welches er selbst gemacht hatte. «Iss zuerst etwas», schlug Johwa vor. Ina schaute das Brot an. Langsam nahm sie das Brot und ass ein Stück davon.

Einige Wochen vergingen und Ina gewöhnte sich an Aja und Johwa. Auch die Sprache beherrschte sie schnell. Ina und Aja waren nicht immer einer Meinung, doch sie gingen trotzdem respektvoll miteinander um. Im Gegensatz zu Ina war Aja sehr sanftmütig und freundlich. Ina war hart. Sie wollte eigentlich nur Rache an Abel üben. Doch sie wusste, dass sie dafür nicht stark genug war. Sie trainierte ihre Kraft und verübte sehr harte Arbeit.

Johwa war auf dem Feld. Er vergass immer wieder wie hart die Arbeit eigentlich war, welche die Menschen jeden Tag verrichteten. Auch wenn er nicht essen muss, um zu überleben, kam ihm die Arbeit hart vor. Gerade als er nach dem Feld mit dem Emmer schaute, entdeckte er Rauch, der nicht weit entfernt war. Genau dann spürte er die unbändige Macht von Abel, welche die Flammen auslöste. Ohne nachzudenken raste er dem Rauch entgegen. Er eilte zu Fuss zu dem Dorf.

«Dieses Mal lasse ich dich nicht gehen», schrie er, als er zwischen den brennenden Häusern entlang rannte.

Abel sah ihn. Seine Augen waren weit aufgerissen. Er sah aus, als würde er kurz vor einem Nervenzusammenbruch stehen. Sein Körper zitterte als würde er frieren. Johwa rannte auf ihn zu und schlug ihm ins Gesicht. Kurz nachdem er Abels rechte Wange traf, erlosch das Feuer. Es war nicht einmal mehr warm. Abel fiel nach hinten auf den Boden. Der Schöpfer atmete schwer aus.

«Nicht alle Menschen sind schlecht. Die meisten von ihnen verrichten jeden Tag harte Arbeit, damit sie leben können. Viele von ihnen lieben, glauben und hoffen. Wie kannst du diese Liebe und diese Hoffnung und diesen Glauben an das Gute so zerstören, indem du ganze Dörfer mit Menschen niederbrennst? Dafür habe ich dich nicht geschaffen. Wie kannst du so etwas nur verantworten», fragte der Schöpfer und schlug erneut auf Abels Gesicht ein.

Der Engel schaute ihn schockiert an. Er blutete aus seiner Nase, obwohl sein Blut silbern war, entdeckte man den Schaden, den Johwa ihm angetan hatte. Abel atmete tief ein und aus. Seine Pupillen wurden grösser und sein Blick entspannte sich. Es schien als wäre er wieder zur Besinnung gekommen. Sein Tunnelblick verschwand und er beruhigte sich.

Langsam erhob Abel sich. Er war den Tränen sehr nahe. Einige Momente suchte er nach den richtigen Worten.  

«Schöpfer, du hast Recht. Ich habe Falsches getan. Die anderen Engel sind nicht wie ich. Sie haben ihren Verstand nicht verloren. Als du mich errettet hast, war ich noch am Leben. Ich habe die Magie der Welt gespürt, die durch mich hindurchfloss. All dieser Schmerz, der mich durchfuhr, sollte allen Menschen passieren. So habe ich gefühlt. Aber die anderen Engel waren Menschen, die gestorben sind und reingewaschen wurden. Sie werden das reinigende Feuer nur im äussersten Notfall verwenden. Ausserdem haben sie nicht die ganze Magie der Welt zur Verfügung. Ich fühle jeden einzelnen von ihnen. Sie sind schwach, aber rein. Zu rein. Ich werde in den Himmel gehen und keinem Menschen mehr etwas tun», sagte Abel ein wenig traurig.

Johwa atmete laut auf und setzte sich auf den Boden. Sein weisses Gewand wurde grau vom Russ. Da entdeckte er ein Mädchen, dass sich aus dem Feuer retten konnte. Sie eilte zu ihm. Sie war ein wenig älter als Aja und Ina. Ihre blauen Augen leuchteten unter hellbraunen Haaren hervor. Sie war sehr schön anzusehen.

«Geht’s dir gut?», fragte sie keuchend und hustend.

Johwa lächelte. «Mir schon. Aber wie geht es dir? Du hast gerade dein ganzes Dorf verloren», sagte er mit ruhiger Stimme.

Dem Mädchen schien das erst jetzt bewusst zu werden. Mit Tränen in den Augen schaute sie sich um. Johwa erhob sich und drückte ihre Schulter.

«Ich nehme dich mit. Du wirst jetzt meine Tochter sein und ich werde dir beibringen, wie man gegen böse Engel kämpft.»

Ina und Aja waren ein wenig besorgt, als Johwa wegrannte, doch als er ihnen eine neue Schwester brachte, waren sie einigermassen beruhigt. Das dritte Kind hiess Nea. Sie war sechs Jahre alt, als Johwa sie brachte.

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Tag der Veröffentlichung: 14.11.2019

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