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Kapitel 1- Das Schiff

Sie lagen ausgestreckt auf einem Berg von Waren im hin­teren Teil des alten Lasters. Es waren acht oder zehn Män­ner, die dort vergeblich versuchten, sich die langen Fahrt­stunden zu vertreiben. Einige von ihnen lagen nahe beim offenen Heck auf ihren Schlafsäcken und bemühten sich, etwas vom Inhalt der vor ihnen aufgeschlagenen Bücher mitzukriegen - eine Aufgabe, die durch die schlechten Stra­ßenverhältnisse nicht gerade erleichtert wurde. Weniger ehrgeizige oder vielleicht weniger disziplinierte Glieder der Gruppe lagen müßig herum und vertrieben sich die Zeit mit lockeren Gesprächen. Diese steigerten sich manchmal zu lebhafter Begeisterung, von lautem Lachen begleitet, um dann wieder in lange Pausen und Schweigen zu versinken. Nur zwei unter ihnen merkten von alledem nichts: sie hat­ten die vergangene Nacht als Fahrer und Beifahrer ver­bracht und schnarchten nun vor sich hin.

Vor einigen Wochen waren sie in Hochstimmung von England aufgebrochen, doch die scheinbar endlosen Tage auf dem langen Weg nach Indien hatten die Stimmung schon etwas strapaziert. Der härteste Abschnitt der Reise hatte begonnen, als sie bei Wintereinbruch den Osten der Türkei erreichten und ihren Weg durch schneebedeckte Straßen bahnen mussten, welche von starken und bitter­kalten Winden überfegt wurden. Weiter östlich waren sie dem Schneetreiben wieder entkommen, dafür aber in eine öde Wildnis geraten: Berge, Hügel, Felsen, weiter nichts. Die Straße, so wie sie war, konnte oft kaum von der sie umgebenden Landschaft unterschieden werden. Die Mono­tonie der Reise wurde nur durch winzige Dörfer am Weg und einfache Mahlzeiten an Bord des Lasters unterbrochen.

Die Reisenden waren Mitarbeiter von Operation Mobi­lisation (OM), einer internationalen Missionsgesellschaft.

Ihr Leiter, George Verwer, war auch dabei. Er war ein dünner, drahtiger Amerikaner, dem man seine unbändige Energie anmerkte. Im Alter von nur 19 Jahren hatte er bereits den Grundstein für OM gelegt, indem er zwei sei­ner Mitstudenten vom Maryville College in USA dafür begeistern konnte, mit ihm während der Semesterferien einen Missionseinsatz in Mexiko zu machen. In den darauf folgenden Jahren waren erneute Missionseinsätze mit immer größeren Teilnehmerzahlen durchgeführt wor­den. So entstand OM. Zum Zeitpunkt der hier erwähnten Reise nach Indien, Anfang der Sechzigeijahre, hatte OM bereits mehrere hundert vollzeitliche Mitarbeiter. Die Spezialität von OM lag darin, vor allem jungen Christen die Gelegenheit zu bieten, nach einer kurzen Grundschu­lung missionarische Kurzeinsätze zu machen. So setzten viele Universitäts- und Bibelschulstudenten bzw. -Stu­dentinnen ihren Urlaub ein, um in kleinen Gruppen christliche Literatur zu verteilen und mit Menschen über den christlichen Glauben ins Gespräch zu kommen. Doch zurück zu unserem Konvoi Richtung Asien ...

George versuchte gerade, auf dem Laster eine beque­mere Stellung zu finden, während seine Gedanken nach Indien vorauseilten, zum nächsten Missionseinsatz. Was für eine Zeitverschwendung diese Reise doch ist, klagte er innerlich ungeduldig. Drei, vier Wochen, vielleicht sogar noch länger, wo man nichts tun konnte, außer in einem schaukelnden Laster herumzuliegen, während in Indien die Menschen litten und starben, ohne die christliche Bot­schaft von Gottes Liebe zu uns Menschen zu erfahren. Wenn wir bloß nach Indien fliegen und diese lange Reise verkürzen könnten, dachte er sehnsüchtig. Aber das stand außer Frage. Für so was hatten sie kein Geld. Und selbst wenn sie es gehabt hätten, würden sie es lieber für Bibeln und christliche Literatur ausgeben. Nein, Fliegen kam nicht in Betracht. Die Wochen, die für diese Reise ver­schwendet wurden, schienen unvermeidbar.

Was wir bräuchten, wäre ein Schiff, war der nächste Gedanke, und George lächelte dabei still in sich hinein. Doch plötzlich war er hellwach: Ein Schiff! Stell dir vor, was wir mit einem Schiff alles machen könnten! Die Reise nach Indien könnte zwar länger dauern - sehr wahr­scheinlich sogar aber die Zeit wäre nicht verschwendet! Sie könnten während der Seereisen ihre Mitarbeiter schu­len, um dann an den Häfen zu halten und gleich anzu­wenden, was sie gelernt hatten. Dann könnten sie weiter­fahren und ihre Leute vertiefter schulen, um das Gelernte im nächsten Hafen wieder in die Tat umzusetzen. Eine schwimmende Bibelschule! Ganz zu schweigen davon, was sie alles nach Indien transportieren könnten, christli­che Literatur, Tonnen davon! Die Begeisterung von George stieg. Bücher waren seine große Leidenschaft.

So entstand auf dem Laster Richtung Indien die Vision, welche einige Zeit später dazu führte, dass OM auch eine missionarische Schiffsarbeit begann. Die Logos1 so wurde das erste OM-Schiff getauft, wurde auf eine Art und Weise zum Segen, wie es sich George nie hätte träumen lassen: Täglich strömten Hunderte, oft auch Tausende von Besu­chern an Bord, um sich auf dem einzigartigen schwim­menden Buchladen mit christlicher Literatur einzudecken oder um eine der vielen öffentlichen Veranstaltungen an Bord zu besuchen. An Bord wurden auch gut besuchte Empfänge für Regierungsbeamte, Diplomaten, Militäroffi­ziere und andere einflussreiche Persönlichkeiten veran­staltet, welche außerhalb der Reichweite von herkömm­lichen Missionaren oder Christen lebten. Die Besatzung mit Christen aus den verschiedensten Ländern war ein fas­zinierendes Beispiel, wie christliche Nächstenliebe und Zusammenarbeit quer durch alle Kulturen und Rassen hindurch funktionieren konnte. Das Missionsschiff zog das Interesse der Menschen auf sich und wurde überall gern willkommen geheißen. Gott hatte OM dadurch ein mächtiges Instrument zum Dienst für ihn geschenkt.

Das jedenfalls war die Sonnenseite der Schiffsarbeit: gewaltiger Segen, der überall in den Häfen verbreitet wurde. Es gab aber auch die andere Seite: Probleme, schmerzvolle Erfahrungen und Rückschläge. Diese Kehr­seite bekam George Verwer von allen am meisten zu spü­ren. Deshalb reagierte er wohl auch ziemlich ablehnend, als ihn 1972 jemand ansprach: »He, George, wir beten für ein zweites Schiff. Wusstest du das schon?« Er erzählte von einer kleinen Gebetsgruppe, welche dafür betete, dass Gott ein zweites Schiff schenke, um den Dienst der Logos zu erweitern. Nach einem Moment des Schweigens erwiderte George darauf mit belegter Stimme: »Ihr wisst nicht, wovon ihr redet. Ihr habt die Logos nie gesehen. Ihr habt keine Ahnung von all den Tränen und schweren Situationen, die hinter ihrer Arbeit stecken.« George war offensichtlich nicht bereit, dies alles noch einmal durchzumachen.

Doch andere bei OM begannen, darüber nachzudenken. Wie könnte sich der Dienst multiplizieren, wenn OM nicht bloß ein, sondern zwei Schiffe hätte! Die Begeiste­rung über die Möglichkeiten wuchs, besonders auch, wenn man beobachtete, was Gott durch die Logos bereits tat. Doch George hatte immer noch Bedenken: »Eines der Probleme, das ich sehe, ist die nötige Leiterschaft. Wer wäre fähig, die Verantwortung und Leitung für ein zwei­tes Schiff zu übernehmen, falls wir eins bekommen wür­den?« Keiner hatte darauf eine Antwort.

In der Zwischenzeit setzte sich ein anderer OM-Leiter und Freund von George, Dale Rhoton, für Christen hinter dem Eisernen Vorhang ein. Dale hatte George beim ersten Missionseinsatz in Mexiko begleitet und seither hatten sie in der Entwicklung von OM zusammengearbeitet. Ähn­lich wie George war auch Dale schlank und ziemlich groß, aber ihre Temperamente hätten unterschiedlicher nicht sein können. Während George einem Feuerwerk von Energie glich, aus welchem ständig Ideen wie ein heftiger Funkenregen stoben, war Dale ein bedächtiger Mann, der Entscheidungen sehr sorgsam abwog. Mit sei­ner Meinung war er oft zurückhaltend, doch wenn er etwas sagte, hatte es Hand und Fuß. Dale und George waren gute Freunde, und einer ergänzte den anderen auf wertvolle Art und Weise.

Nachdem Dale mehrere Jahre im Nahen Osten gearbei­tet hatte, war er mit seiner Familie 1968 nach Österreich gezogen, wo er nun ein kleines OM-Team um sich scharte. Sie schmuggelten Tausende und Abertausende von Bibeln und andere christliche Bücher zu Christen in Osteuropa, welche unter dem kommunistischen Regime lebten. Obwohl Dale diese Arbeit sehr gern tat, begann er 1973 zu spüren, dass er langsam überflüssig wurde: Das Team war mittlerweile so gut eingespielt und ausgebildet, dass seine Leitung nicht mehr nötig war. Ihm wurde klar, dass etwas Neues für ihn dran war. Doch wo? »Ich kann mir uns in so ziemlich jeder Aufgabe innerhalb OM vor­stellen«, meinte seine Frau zuversichtlich, »außer in der Schiffsarbeit. Die kommt nicht in Frage.« Sie hatte als Universitätsstudentin einmal acht Monate als Kellnerin auf einem kleinen Kreuzfahrtschiff gearbeitet, um Geld zu verdienen. Jene Zeit hatte ihr bewusst gemacht, wie anstrengend und mühsam es war, mit vielen Menschen auf so engem Raum gleichzeitig leben und arbeiten zu müssen. Die Wiederholung einer solchen Erfahrung wollte sie sowohl sich als auch ihrer Familie ersparen.

Im September, als die jährliche Mitarbeiter-Konferenz von OM stattfand, sah Dale bezüglich seiner Zukunft noch nicht weiter. Gegen Ende der Konferenz bat ihn George, für einige Wochen nach Indien zu fliegen, um die Logos zu besuchen. Da das Schiff bald in den Persischen Golf aufbrechen würde, sollte er die Besatzung über Mis­sionseinsätze unter besonderen Bedingungen schulen, in diesem Fall der moslemischen Welt.

Kurz nachdem Dale nach Indien aufgebrochen war, besuchte seine Frau, die mit den Kindern auf der Konfe­renz geblieben war, einen Vortrag, den ein Logos-Mitar­beiter hielt. Während er aus dem Schiffsleben erzählte und Dias dazu zeigte, dachte sie: »Das ist nicht das Schiffsleben, wie ich es kennen gelernt habe! Das hier ist absolut faszinierend, atemberaubend - Gottes Wirken ist offensichtlich!« Währenddessen war Dale in Bombay angekommen und vom langen Flug und der Zeitumstel­lung ziemlich müde. An seinem ersten Morgen auf dem indischen Kontinent erwachte er mit einem beinahe mys­tischen Eindruck, dass ihm heute etwas Wichtiges begeg­nen würde. »Eigenartig«, dachte er, »noch nie habe ich so etwas gespürt.« Später am selben Tag traf er sich mit einem der Leiter der Logos, der ihm begeistert davon erzählte, was Gott durch dieses Schiff alles bewirkte. Während dieses Berichts war ihm, als würde ein helles Licht in seinem Geist aufblitzen: Das ist es! Das Schiff ist der Platz, an dem Gott uns haben möchte!

Als Dale einige Wochen später zu seiner Familie zurückkehrte, kam er nur zögernd auf dieses Thema zu sprechen, weil er sich nur zu gut an die deutlich ausge­drückte Abneigung seiner Frau gegen das Leben auf hoher See erinnern konnte. Zu seinem Erstaunen nickte sie nur und stimmte ihm ruhig zu: »Ja, ich glaube auch, dass Gott uns dort haben möchte.« Gott hatte seinen Mann platziert.

Bei der nächsten Jahreskonferenz der OM-Leiter im Sep­tember 1974 war Dales Entscheidung eine wichtige Bestä­tigung dafür, dass die Zeit für ein zweites Schiff nun reif war. Der Amerikaner George Miley, welcher bereits drei Jahre Direktor der Logos gewesen war, würde die Aufsicht über beide Schiffe übernehmen. Dale würde zuerst mit ihm Zusammenarbeiten, um dann in einem nächsten Schritt selbst Direktor des neuen Schiffs zu werden.

Die Suche nach einem Schiff begann. Ein gläubiger Makler aus England hörte davon und bot seine Dienste an. Jedes Objekt, das auch nur im Entferntesten in Frage kam, wurde ab nun Mike Poynor, dem OM-Experten für Schiff-Fahrt, gemeldet. Eifrig wurden Schiffspläne unter die Lupe genommen und passende Objekte vor Ort inspi­ziert - alle Schiffe erwiesen sich jedoch als zu groß, zu teuer oder schlechthin ungeeignet, um als Missionsschiff bei OM benutzt werden zu können.

1977 tauchte der Name Franca C auf. Dieses Schiff aus den USA mit Baujahr 1914 hatte zuerst als Frachter mit Namen Medina gedient und war später in das Passagier­schiff Roma umgewandelt worden. Dann wurde es in den Rang eines Kreuzfahrtschiffes befördert, nachdem die ita­lienische Reederei Costa Lines es erstanden hatte.

Mike Poynor fuhr mit einem weiteren langjährigen Schiffsmitarbeiter von OM und einem deutschen Ehepaar nach Italien, um das Schiff zu inspizieren. Als sie sich in Venedig dem Hafengebiet näherten, erblickten sie ein funkelnd weißes Linienschiff, ein Riesenschiff mit drei stolzen Schornsteinen. »Oh!«, rief die deutsche Mitrei­sende aufgeregt, »was für ein wunderschönes Schiff. Ist Gott nicht wunderbar, dass er uns ein solch schönes Schiff gibt?« Mike Poynor, etwas bedächtiger, sah hinter dem großen Luxusdampfer ein kleineres, schäbig wirken­des Schiff mit starker Schlagseite zum Hafen hin. Darauf hinweisend, meinte er trocken: »Das sieht mir eher nach einem OM-Schiff aus.« Es war die Franca C.

Ihre Eindrücke nach einem ersten Rundgang durch das Schiff waren durchaus positiv. Während der folgenden Wochen, als weitere Dinge abgeklärt wurden, erhielt Mike das Angebot, die Franca C auf einer ihrer üblichen Kreuz­fahrten nach Griechenland zu begleiten. »Weshalb nimmst du nicht deine Frau mit?«, schlug ein OM-Mitarbeiter vor. »Du könntest ihr einen kleinen Urlaub bieten und gleich­zeitig deine Arbeit tun.« »Hmm«, brummte Mike - er war ein kräftiger und engagierter Texaner und kein Freund großer Worte -, »Rex Worth wäre nützlicher.« So war es Rex, ein englischer Ingenieur, der ihn begleitete. Anstatt die Schönheit der griechischen Inseln zu genießen, ver­brachten die beiden Männer ihre Zeit im Maschinenraum und untersuchten alles, was für die technische Seite des Schiffs wichtig war. Ein enormer Arbeitsaufwand wäre nötig, das sahen sie bald, aber ihr grundsätzlicher Ein­druck war befriedigend. Auf ihre Empfehlung hin ent­schieden sich die OM-Leiter, das Schiff zu erwerben.

Am Morgen des 28. Oktobers 1977 lief die Franca C ein letztes Mal in ihren Heimathafen Genua ein. Einige Stun­den später begannen im Büro der Reederei Costa Lines die Verhandlungen. Costa Lines verlangte knappe 900.000 US-$. Die OM-Delegation machte ein Gegenangebot von 700.000 US-$. Dann ging es hin und her, man bot und unterbot und diskutierte, welche Bestandteile des Schiffs ausgebaut werden könnten, um den Preis zu senken. Kurz nach der Mittagszeit einigte man sich auf 770.000 US-$.

Ein Vertrag wurde aufgesetzt und am 13. November unterzeichnet. Danach folgte eine Anzahlung in der Höhe von 77.000 US-$. Weitere sechs Wochen verstrichen, bis alle im Vertrag festgelegten Formalitäten erfüllt waren. Schließlich, am 29. Dezember, traf sich eine OM-Delegation mit Vertretern der Reederei, um den verbliebenen Restbetrag zu bezahlen und das Schiff in Besitz zu neh­men. Ein gewaltiger Glaubensschritt und viele kleine und große Wunder hatten dazu geführt, dass das Geld für das zweite OM-Schiff pünktlich zusammengekommen war.

 

 

 

 

 

* Logos heißt im Griechischen »Das Wort«. Die Geschichte dieses Schiffs wird im Buch Die Logos Story erzählt.

Kapitel 2- Ein neuer Name und ein neuer Anfang

Nach der Übertragung der Besitzrechte erhielt die Franca C einen neuen Namen. Monate zuvor hatten OM- Mitarbeiter damit begonnen, Ideen dafür zu sammeln: zum Beispiel Morgenstern, Licht, Botschafter, Freund­schaft, Charis oder Doulos. Jeder Vorschlag wurde bedacht und diskutiert, bis sich die Mehrheit der Stimmen für den Namen Doulos einsetzte.

Doulos, so wurde entschieden, drückte am besten aus, worum es bei der Arbeit der Schiffe eigentlich ging. Es war ein griechisches Wort, das oft im Neuen Testament verwendet wurde und so viel wie ‘Knecht’ oder ‘Diener’ bedeutet. Der Apostel Paulus zum Beispiel bezeichnete sich selbst als einen doulos des Herrn Jesus Christus. In seinem Brief an die Gemeinde in Korinth schrieb er: »Denn wir sind nicht der Mittelpunkt unserer Predigt, sondern Christus, der Herr! Wir sind nur eure Diener [doulos], und das aus Liebe zu Jesus.«

Genau das war der Herzenswunsch der OM-Leute: in völliger Hingabe Jesus Christus zu dienen und dadurch auch ganz zu Dienern der Menschen zu werden, welchen sie von Christus erzählen wollten. Ihr Ziel war nicht, irgendetwas Großartiges zu leisten oder die Antworten auf alle Fragen und Probleme des Lebens zu verkünden. Nein, sie zogen in die Welt, um zu lernen und zu dienen. Und daran würde der Name Doulos sie stetig erinnern.

Ihr Vorbild dazu war einzigartig. Jesus Christus selbst hatte alles Ansehen, alle Ehre, allen Reichtum und alle Vorrechte seiner himmlischen Stellung abgelegt und wurde, um es mit den Worten Paulus’ zu sagen, »rechtlos wie ein Sklave [doulos]«.

So wurde das neue OM-Schiff Doulos getauft und seine Mannschaft verschrieb sich dem Dienen. Nicht oberfläch­lich, wie bezahlte Arbeiter, die jederzeit gehen konnten, wenn ihnen etwas nicht passte, sondern als Freiwillige in tiefer Hingabe, um Diener von Jesus Christus zu sein.

Als die Doulos-Mannschaft mit dieser Einstellung ans Werk ging, entdeckte sie etwas Erstaunliches: Sie wollten zwar Diener sein, aber Jesus kam ihnen als Freund entge­gen. Es war genau so, wie er es seinen Jüngern im Johan­nesevangelium gesagt hatte: »Ich nenne euch nicht mehr Knechte (doulos), denn einem Knecht sagt der Herr nicht, was er vorhat. Ihr aber seid meine Freunde ...« Im Dienen entdeckten sie die Gegenwart Jesu. Er legte seinen trösten­den Arm um sie, wenn etwas sie bedrückte. Wenn sie nicht mehr weiterwussten, zeigte er den nächsten Schritt. Er nahm sie so an, wie sie waren und sah gleichzeitig schon das, was er noch aus ihnen machen wollte. Er bezog sie in Dinge mit ein, die ihm auf dem Herzen lagen. Er begegnete ihnen als Freund. Dienen und Freundschaft: das wurden die Markenzeichen, welche sich in der Geschichte der Dou­los in immer neuen Variationen wiederholen würden.

Doch seetüchtig war die Doulos noch nicht. Das Dienen vieler douloi war dazu noch nötig. Der Schiffsmotor musste überholt werden und viele andere Arbeiten muss­ten noch erledigt werden, damit das Schiff all die nötigen Sicherheitszertifikate erhielt, um in See stechen zu kön­nen. Schon bevor der Kauf vollständig abgewickelt wor­den war, hatten die Arbeiten begonnen: Bereits ein gutes Dutzend Männer kam an Bord, um dort zu arbeiten und zu leben. Dann folgten mehr. Der Direktor George Miley schrieb in einem Bericht über die ersten beiden Monate:

Dann kamen immer mehr. Sie kamen aus den USA, aus Kanada, aus Großbritannien, aus der Schweiz, aus Deutschland und aus anderen Ländern. Von manchen wussten wir, dass sie kommen würden. Andere kamen einfach so.

Einige waren noch nie zuvor auf einem Schiff gewesen. Andere hatten schon Jahre auf hoher See verbracht. Auf einige hatten wir von Anfang an gezählt. Andere kannten wir noch gar nicht, als wir den Kaufvertrag unterschrie­ben. Schon bald hatten wir 35 Leute an Bord.

Dann 50. Bevor wir uns versahen, waren wir 80. Und bevor wir von Genua aufbrachen, waren wir um die 150 - mehr schon auf der Jungfernfahrt der Doulos, als die Logos je an Besatzung gehabt hatte!

Einer von denen, die an Bord kamen, war Rudi, ein Schweizer. Seine Englischkenntnisse waren bescheiden, sein Arbeitswille hingegen umso größer. Als der leitende Ingenieur eines Morgens um sechs in den Maschinen­raum kam, traf er auf Rudi, der gewissenhaft bei der Arbeit war.

»Rudi«, rief er erstaunt, »hast du etwa die ganze Nacht hier gearbeitet?«

»Ja«, erwiderte der und erklärte, »ich kann nicht predi­gen. Ich kann auch nicht lehren. Aber ich kann dem Herrn mit meinen Händen dienen.«

Ein anderer, der gekommen war, um auszuhelfen - und letztendlich einige Jahre als leitender Ingenieur blieb, kam aus Dänemark. Seine Beschreibung war der von Rudi sehr ähnlich: »Er kam an Bord, stellte sich kurz vor, ver­schwand dann im Maschinenraum, wo er seither ist.« Ein­mal wurde er in einer Gruppenandacht gebeten, etwas über sich zu erzählen.

»Wenn ich so schlecht arbeiten würde, wie ich rede«, meinte er, »würdet ihr mich auf diesem Schiff nicht benö­tigen.« Sprach’s und verschwand wieder im Maschinen­raum.

Mike Poynor, der maßgeblich bei der Suche nach dem Schiff und dessen Inspektion beteiligt gewesen war, zog mit seiner Frau und vier Töchtern, darunter sechs Wochen alte Zwillinge, auf dem Schiff ein. Seine Frau, Carol Ann, beschreibt, wie Familienleben damals aussah:

Als wir an Bord einzogen, gab es noch kein fließendes Wasser. Ich holte jeden Morgen einen Eimer voll Wasser in der Kombüse, wo durch einen Schlauch Wasser vom Festland hergepumpt wurde. In einem Wasserkessel erwärmte ich es und badete die Zwillinge in einer kleinen Plastikwanne.

Weil es auch noch keine Heizung gab, war es auf dem Schiff bitterkalt. Wenn man in einer Koje schlief, die entlang der Schiffswand lag, fror man ständig, und beim Ausatmen schlug sich an der stählernen Wand des Schiffes Kondenswasser nieder.

All unsere Sachen mussten wir zum Waschen an Land geben und für jedes Stück einzeln bezahlen. Da das aber mit all diesen winzigen Babykleidern zu teuer war, wusch ich alles von Hand und versuchte, die Kleider auf dem Schiff trocken zu kriegen.

Wenn die Babys abends jeweils gewaschen, gefuttert und schlafen gelegt waren, begann ich zusammen mit einer anderen Mutter das Schiff zu putzen. Unsere erste Aufgabe war es, alle verstopften Toiletten zu reinigen. Die Wächter, die auf dem Schiff gewesen waren, hatten so lange eine Toilette benutzt, bis diese verstopft war - weil man aufgrund des fehlenden Wassers nicht spülen konnte - und dann waren sie ein­fach zur nächsten Toilette gegangen, bis auch diese verstopft war. Wir schleppten also als Ers­tes Eimer um Eimer voll Wasser her, um sie in die Toiletten zu gießen. Toilettenspülung mit fließendem Wasser gab es erst später, als das Schiff wieder eigenen Strom produzierte.

Einige Wochen später, als das Schiff im Trockendock lag, zog der leitende Ingenieur, Rex Worth, mit seiner Frau und der einjährigen Tochter an Bord. Seine Frau bekam einen Schlüssel für die Damentoilette am anderen Ende des Docks, ungefähr 200 m weit entfernt. Jeden Tag wickelte sie ihr Baby in eine Decke und ging die Landebrücke des Schiffs hinunter, dann in der bitteren Kälte entlang des Trockendocks bis zum Waschraum, wo es fließend warmes Wasser gab. Dort badete sie ihr Kind, wickelte es wieder ein und ging denselben Weg zum Schiff zurück.

»Damals fand ich das nicht ungewöhnlich«, erzählte sie später. »Es schien die natürlichste Sache der Welt zu sein. Wir kamen mit allem Möglichen zurecht. Es war so auf­regend, an diesem neuen Projekt mitzuarbeiten.«

So sah das Leben an Bord aus, bevor die Doulos Ende Januar aus dem Trockendock kam und die Schiffsgenera­toren endlich gestartet werden konnten. Es gab wieder Strom und das Leben wurde ein bisschen einfacher.

Eine Ecke des Schiffes war jedoch die ganze Zeit über relativ warm und gemütlich gewesen. Es war der Inge­nieur-Aufenthaltsraum, der allen an Bord als Speisesaal diente. Ein Kabel vom Festland versorgte hier einen elek­trischen Herd mit Strom, worauf der Koch die Mahlzeiten zubereitete. Der Herd verbreitete Wärme und dieser Raum wurde zum »Wohnzimmer« des Schiffs. Jeden Morgen tra­fen sich die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zum Gebet, auch zum Gebet für die täglichen Aufgaben eines jeden.

Ähnlich wie Adele an Bord legte auch Rex Wert darauf, vor dem gemeinsamen Gebet einige Zeit alleine mit Gott zu verbringen, bevor er die Aufgaben seines Tages anging. Eines Morgens las er im Buch Esra im Alten Tes­tament über die Rückkehr der Juden aus dem Exil und wie sie ihren Tempel wieder neu aufbauten. Während des Lesens beeindruckte ihn ein Grundsatz: Wenn man Gottes Werk tat, kam alles dazu Nötige zur rechten Zeit an die nötige Stelle. Rex geriet in eine solche Begeisterung über das, was er las, dass er darüber die Zeit vergaß. Plötzlich merkte er, dass er für die gemeinsame Morgenandacht schon viel zu spät dran war. Er schlug seine Bibel zu und flitzte zu den anderen, welche bereits begonnen hatten. Bei der ersten Gelegenheit, die sich ihm bot, sprang er eifrig auf, um den anderen von seiner morgendlichen Entdeckung zu berichten. Da fingen alle an zu lachen. Ganz perplex sah sich Rex um. »Ich finde das eigentlich gar nicht so lustig«, begann er, »es ist das, was mir Gott heute Morgen gesagt hat.« »Ja, das wissen wir«, erklärte ihm endlich jemand, »aber wir haben deine Predigt gerade schon gehört. Unser Elektriker hat gerade dasselbe gesagt.« »Oh!«, meinte Rex leise und setzte sich wieder.

Auch das Gebet spielte bei allem, was geschah, eine wesentliche Rolle. In den ersten Tagen der Logos hatte es Spannungen zwischen den Ingenieuren und den Matro­sen gegeben. Um so etwas auf der Doulos zu vermeiden, hatten die Verantwortlichen beschlossen, dass sich diese beiden Gruppen jeden Tag nach Arbeitsende (um 22 Uhr!) treffen sollten, um die Arbeit des Tages zu besprechen und gemeinsam dafür zu beten.

Beten war nicht nur eine geistliche Disziplin innerhalb der Gruppe, sondern auch auf der persönlichen Ebene jedes Einzelnen. Das zeigt eine Begebenheit, die Stan Thomson, der leitende Elektriker an Bord, erlebte. Als er damit beschäftigt war, das elektrische System an Bord in Ordnung zu bringen, tauchte eines Nachmittags plötzlich ein Problem mit der Notbeleuchtung auf. Es hätte dafür keinen ungünstigeren Zeitpunkt geben können, denn für den nächsten Morgen wurde ein Gutachter erwartet, der das elektrische System inspizieren und darauf ein noch dringend benötigtes Sicherheitszertifikat ausstellen sollte.

Stan und sein Team von fünf Elektrikern machten sich auf die Suche nach der Störquelle, die die Sicherung durchbrennen ließ und die Notbeleuchtung einer ganzen Schiffssektion ausschaltete. Sie untersuchten fieberhaft alles, was ihnen als Ursache möglich schien, doch ver­geblich: Die Ursache fanden sie nicht. Inzwischen war es Zeit fürs Abendessen und alle gingen in den Speisesaal, doch Stan war zu sehr mit seinem Problem beschäftigt. »Ich habe alles Erdenkliche versucht!«, sagte er sich frus­triert. »Mir fällt einfach nichts mehr ein. Der Fehler könnte an 1000 verschiedenen Orten liegen.«

Dann fiel ihm plötzlich ein, dass er dafür noch gar nicht gebetet hatte. Er hatte es als ein rein praktisches Problem angepackt, das er mit seinem eigenen Wissen lösen musste. Das, merkte er nun, war falsch gewesen. Er fand eine leer stehende Kabine, ging hinein und betete: »Herr Jesus, dein Wort sagt mir, dass du der Schöpfer aller Dinge bist - der sichtbaren und auch der unsichtbaren. Das schließt auch die Struktur der Materie ein, jedes Atom der Luft, die wir atmen und eben auch den Fehler, den ich zu finden versuche. Herr, du kennst alle Dinge. Du weißt auch, in welchen Schwierigkeiten wir nun sind. Würdest du mir bitte helfen, herauszufinden, wo das Pro­blem liegt?« Was dann geschah, erzählte er so:

Ich fühlte nichts, aber es war erstaunlich, wie ich irgendwie geführt wurde. Ich verließ die Kabine, ging backbord das Schiff entlang und überquerte dann das Schiff, um steuerbord wieder zurückzugehen. Darauf ging ich eine Etage tiefer und holte eine Leiter aus einer Kabine, die ich den Gang hinauftrug. Dann stieg ich bis zur hintersten Leuchte des Ganges hinauf, in deren Gehäuse auch gleichzeitig eine mit Gleichstrom betriebene Notleuchte brennen sollte. Als ich den Lampenschirm abmontiert hatte, entdeckte ich hinten einen großen schwarzen Fleck. Bei einem Kurz­schluss war ein Kabel durchgeschmort. Nach 15 Minuten war das ganze Problem behoben.

Als der Gutachter am nächsten Morgen kam, funktionierte alles so, wie es sollte.

Kurz nachdem die Arbeiten im Trockendock beendet waren, veranstalteten die Doulos-Leute für die Dockarbei­ter einen Empfang an Bord. Dabei erzählten sie ihnen von der Arbeit der Logos und dem Ziel der Doulos. Jeder im Hafen wusste, wie hoch die Rechnung für den Aufenthalt der Doulos im Trockendock war. Jeder wusste auch, dass die Besatzung für das nötige Geld gebetet hatte. Während des Empfangs nahm nun plötzlich der Chef des Docks spontan seinen Hut ab und ließ ihn umhergehen; die Dockarbeiter legten Geld ein, um beim Bezahlen der Rechnungen mitzuhelfen! Sie waren fast ebenso begeis­tert wie die Leute der Doulos, als wenig später die noch fehlenden 80.000 US-$ durch weitere Spenden eingingen.

Alles in allem hatte es 100.000 US-$ gekostet, um die Doulos wieder seetüchtig zu machen. Costa, die frühere Besitzerin, hatte mit 300.000 US-$ gerechnet, als sie sich überlegt hatten, ob sie das Schiff behalten oder an OM verkaufen sollten. Als der technische Ingenieur von Costa von den 100.000 US-$ hörte, meinte er scherzend, dass er nun wohl Schwierigkeiten bekommen würde, weil er die Reparaturkosten zu hoch eingeschätzt hatte. Doch dann wurde er ernst und fragte: »Betet ihr eigentlich für alle eure Anliegen?« »Oh ja«, versicherte ihm Carol Ann Poynor. »Die Kinder beten zurzeit gerade für Schnee.« »Schnee!? In Genua schneit es nie«, lachte der Mann. Am nächsten Tag musste er einen Termin auf der Doulos wegen überraschender Schneefälle absagen.

Derselbe Ingenieur von Costa half den Doulos-Leuten bei der Beschaffung von Ersatzteilen für das Schiff. Als die Doulos eine große Anzahl Teile für den Hauptmotor bei der Herstellerfirma Fiat bestellte, wurde deren Mana­ger etwas nervös. Er rief den Costa-Ingenieur an und fragte ihn: »Diese Leute bestellen eine ganze Menge Ersatzteile. Denken Sie, dass sie die auch bezahlen wer­den können?« Die Antwort des Ingenieurs war einfach: »Sie beten dafür, also zahlen sie auch.«

Die Doulos-Besatzung tat beides. Am 28. Februar 1978 nahm die Doulos Kurs nach Bremen - und alle Rechnun­gen waren bezahlt.

In Genua hatte sich die Arbeit hauptsächlich darauf konzentriert, das Schiff wieder seetüchtig zu machen und die nötigen Sicherheitszertifikate zu erhalten. In Bremen galt es nun, das Schiff für seine spezifische Aufgabe aus­zurüsten. Zwei der wichtigsten Arbeiten dabei waren, über dem zukünftigen Buchladen auf dem Hinterdeck ein Dach zu errichten und anstelle des Swimmingpools einen Lift zu installieren, welcher die Bücher vom Schiffsbauch in die Bücherausstellung bringen würde.

Mike Poynor, der Verantwortliche für diese Umbauten, zeichnete die nötigen Pläne dazu und setzte sie zum Großteil auch selber in die Tat um. Wie Gott bei all dem seine Hand im Spiel hatte, schildert Rex Worth:

Mike hatte den Aufzug entworfen. Als die Kabine und der Schacht fertig gestellt waren, suchte Mike nach einem Weg, um das Ganze funktionstüchtig zu machen. Wir standen gerade alle in seiner Kabine und sprachen darüber, als es plötzlich an der Tür klopfte. Der Mann, der draußen stand, meinte: »Entschul­digen Sie, wenn ich störe, aber ich habe die letzten 24 Jahre als Fahrstuhl-Hersteller gear­beitet und dachte, dass ihr mit eurer Fahr­stuhl-Technik vielleicht Hilfe braucht.«

Dasselbe geschah, als Mike das Dach für die Buch-Ausstellung entworfen und praktisch im Alleingang gebaut hatte: Als er damit fertig war, hielt ein Lastwagen neben dem Schiff. Im Lastwagen war ein Christ, der Experte in Sachen Dachbau war und seine Dienste anbot, um das Dach wasserdicht zu machen.

Nicht nur die Erwachsenen waren fleißig bei der Arbeit. Einige der älteren Kinder auf der Doulos wollten auch mithelfen - jedenfalls in den Stunden nach Schulschluss. Oder vielleicht wäre das Wort »Tausendsassa« das passen­dere Wort, um ihre Mitarbeit zu beschreiben: Die Kinder sammelten auf dem Oberdeck, was an Kacheln vom Schwimmbecken noch übrig war, und außerdem auch hübsche Metallstückchen, die bei diversen Schweißarbei­ten abgefallen waren. In der Kabine der Poynors, die zuvor das Büro des Kassierers gewesen war, fanden sie weitere Schätze: Aschenbecher der Reederei Costa, Post­karten usw. Mit all diesem Krimskrams errichteten die Kinder dann im Foyer des Schiffs einen kleinen Kiosk und verkauften ihre Waren an deutsche Schiffsbesucher. Mit einem Sinn fürs Geschäftemachen stationierten sie dort auch die Poynor-Zwillinge in deren Schaukel. Die Leute blieben stehen, um die Babys beim Schaukeln zu beo­bachten, und fielen dabei der Verkaufskunst der jungen Händler zum Opfer. Ihren Gewinn legten die Kinder in Playmobil-Spielsachen an.

Gastfreundschaft war in Bremen ein wichtiger Dienst der Doulos. Busse voll von Christen aus dem ganzen Land kamen, um das Schiff zu sehen und mehr über seinen künftigen Dienst zu erfahren. Die Doulos-Leute hatten neben ihrer Arbeit alle Hände voll damit zu tun, die Gäste in Kabinen unterzubringen, sie umherzuführen und Ver­anstaltungen für sie zu organisieren.

Am Osterwochenende kam sogar eine Gruppe von 300 Besuchern aus Schweden. Zur gleichen Zeit brachten einige deutsche Frauen Eier aufs Schiff, um sie für Ostern zu bemalen. Die Doulos-Kinder und einige Mütter mach­ten sich also an die Arbeit: 600 Eier wurden gekocht und von der Küche in den Speisesaal getragen, wo die Kinder sie bemalten und nach alter deutscher Sitte mit Speck zum Glänzen brachten. So bekam am Ostersonntag jeder an Bord ein Osterei geschenkt, auch die 300 schwedi­schen Gäste.

Doch nicht alle, die in Bremen an Bord kamen, waren Besucher. Viele kamen als freiwillige Helfer und setzten sich je nach ihren Möglichkeiten ein. Eine dieser Freiwil­ligen war eine ältere deutsche Dame. Zuerst wusste keiner so recht, wo man sie einsetzen könnte. »Was haben Sie beruflich gemacht?«, fragte man sie. »Oh, ich habe in einer Reinigung gearbeitet.« »In einer Reinigung? Das ist ja interessant! In unserer Wäscherei hier an Bord haben wir so eine Riesen-Bügelmaschine, aber keiner weiß, wie sie funktioniert...« Die alte Dame wusste genau, wie man den Apparat zu bedienen hatte. »Sie kam herein und kommandierte uns herum wie ein Hauptmann«, erinnert sich Carol Ann Poynor. »Sie zeigte uns, wie man Tischtü­cher und Servietten plättet und kontrollierte, dass wir sie auch immer richtig herum legten. Es war prima!« Bei dem nie abreißenden Besucherstrom war es sehr hilfreich, nun stets frisch gebügelte Tischwäsche bereitzuhaben, die die Doulos von der Franca C übernommen hatte. Für die, die schon auf der Logos gelebt hatten, war dies auch eine ganz neue Erfahrung. Carol Ann meinte dazu: »Wir hat­ten auf der Logos aus Geldmangel nicht mal Papierser­vietten gehabt. Jetzt war es richtig toll, sogar richtige Tischdecken zu haben.«

All die Umbauten auf der Doulos sowie die Werkzeuge und Materialien kosteten natürlich Geld. Ein Großteil der Kosten wurde von Spendern aus ganz Deutschland gedeckt, die das Projekt der Doulos praktisch auch zu ihrem eigenen Anliegen gemacht hatten. Dabei erlebten die Doulos-Leute einmal mehr, wie Gott sie ermutigte: Als Ebbo Buurma, der Chefsteward der Doulos, bei einer Ver­anstaltung an der Kaffeetheke einige Gäste bediente, über­reichte ihm eine Dame einen Umschlag: »Hier, das ist für die Doulos.« Ebbo bedankte sich herzlich bei der Dame, steckte den Umschlag in seine Brusttasche und arbeitete weiter. Erst viel später am selben Tag kam ihm der Umschlag wieder in den Sinn. Er war gerade im Gespräch mit einem Händler aus Bremen, als er wieder daran dachte. Er zog den Umschlag aus der Tasche und öffnete ihn. Da lagen 10.000 DM. »Sieh dir das bloß an«, meinte er zu seinem Gegenüber: »Gott beantwortet Gebet!« »Das ist ja wirklich wunderbar!«, meinte der Händler, »hier hast du noch weitere 5.000 DM, um sie dazuzulegen.« Die Mann­schaft der Doulos erfuhr nie, wer die großzügige Spende­rin gewesen war, und konnte sich nie bei ihr bedanken. Aber sie vertrauten darauf, dass Gott darum wusste.

Die dreimonatige Arbeitszeit in Bremen wurde mit einem Aussendungsgottesdienst beendet, bei dem eine örtliche Gemeinde mit einem großen Anliegen für die Schiffsarbeit mitwirkte. Dann stach die Doulos in See und fuhr ihrem neuen Dienst entgegen; als Erstes in einen Hafen in Frank­reich, dann weiter nach Spanien und Portugal.

Dale Rhoton und seine Familie kamen in Bilbao in Spa­nien an Bord. In Malaga spürte Dale zum ersten Mal, was es hieß, der Direktor des Schiffs zu sein, als George Miley für einige Wochen das Schiff verließ. Vor seiner Abwe­senheit bat George Dale, ein paar Schritte mit ihm an Land zu gehen, damit sie noch einige Dinge besprechen konnten. Als sie aufbrachen, erinnerte sich Dale an eine Begebenheit: Bei seinem ersten Besuch auf der Logos hatte er mit George über den Schiffs dienst gesprochen. Als er sich damals von George verabschiedet hatte, hatte er noch beiläufig gefragt: »Habt ihr noch ein besonderes Anliegen, für das ich beten könnte?«

»Ja, da gibt es tatsächlich noch drei Dinge, die wir brauchen, bevor wir in drei Tagen auslaufen können«, antwortete George schlicht. »Unser Kapitän verlässt das Schiff und wir wissen noch nicht, wer ihn ersetzen soll. Außerdem ist unser Doktor bereits von Bord gegangen und ohne einen Nachfolger dürfen wir nicht in See ste­chen. Und schließlich können wir den Hafen nicht verlas­sen, bevor wir nicht unsere Rechnungen beglichen haben und, offen gesagt, haben wir nicht annähernd genug Geld dafür.« Dale schluckte und sagte dann vorsichtig: »Gut, ich werde dafür beten.« Er zögerte einen Moment und platzte dann - ganz entgegen seiner Art - heraus: »Und in drei Tagen stecht ihr wirklich in See?« »Ja, das ist richtig«, sagte George. Drei Tage später legte die Logos ab, mit einem Kapitän und einem Schiffsarzt an Bord und ohne eine einzige offene Rechnung zu hinterlassen.

Das lag nun einige Jahre zurück. Nun war es George, der sich verabschiedete, und Dale, der zurückblieb, um sich um alle Probleme zu kümmern, die auf der Doulos auftraten. »In ein paar Tagen geht’s jetzt also nach Lon­don«, konstatierte Dale, um das Gespräch in Gang zu bringen. »Was muss davor noch alles erledigt werden?« »Nun, Dale«, fing George in seinem weichen Virginia- Akzent an, »du brauchst noch drei Dinge: einen Kapitän, einen Schiffsarzt und Geld, um die Rechnungen zu zahlen ...« »Es scheint mir, dass sich die Schiffsarbeit in den letzten zehn Jahren nicht sehr verändert hat«, rea­gierte Dale.

»Nein, aber Gott auch nicht«, entgegnete George.

Die Doulos brach, ganz wie im Fahrplan festgelegt, pünktlich nach London auf. Von Großbritannien hat Carol Ann Poynor einige Erinnerungen festgehalten:

Ich erinnere mich an unsere erste Frauenkon­ferenz an Bord. Der Versammlungsraum war bis auf den letzten Platz besetzt. Ich wurde als Rednerin vorgestellt. Als ich vorne stand und all die Menschen vor mir sah, brach ich in Tränen aus. Das war alles, was ich tun konnte.

Ich weinte aus lauter Dankbarkeit, dass wir dieses Schiff hatten, dass wir genug Platz hat­ten und die Leute nicht mehr abweisen muss­ten, wie das auf der Logos so oft passiert war.

[Die Logos war im Vergleich viel kleiner.]

In Schottland habe ich bei einer Konferenz über das Thema Disziplin gesprochen. Über Kindererziehung und Selbstdisziplin. Ich erzählte den anwesenden Frauen davon, dass meine Zwillinge gerade lernten, aufs Töpfchen zu gehen, und dass ich dabei merkte, dass nicht sie, sondern vielmehr ich auf dem Gebiet der Disziplin dazulernen musste. Am nächsten Tag wurde ein riesiger Rosenstrauß für mich abgegeben. Er war von einer Dame, die gerade ihrem einen Kind die Windeln abgewöhnte.

Weil sie dachte, dass ich bei Zwillingen und noch dazu auf einem Schiff lebend, eine kleine Aufmunterung dringend nötig haben musste, schickte sie mir diese wunderschönen Blumen.

In einem anderen Hafen funktionierten die Waschmaschinen des Schiffs nicht mehr, sodass unsere Wäscherei vorübergehend schließen musste. Zwei ältere Damen hatten gehört, dass ich Babys hatte. Sie kamen jeden Tag an Bord und holten die schmutzige Wäsche der Zwillinge ab. Am nächsten Tag brachten sie sie jeweils frisch gewaschen und gebügelt wieder zurück.

Die Doulos-Leute waren ausgezogen, um anderen zu dienen, und erfuhren nun, wie andere ihnen dienten, sie unterstützten, ermutigten und liebten.

Kapitel 3- Endlich unterwegs

Ende der 70er Jahre brach in Lateinamerika eine Zeit politischen Umschwungs an. Argentinien, Brasilien, Chile, Peru, Nicaragua und El Salvador, damals noch strenge Diktaturen, wurden in den folgenden 15 Jahren alle zu demokratischen Staaten - doch der Weg dahin war nicht leicht.

Die 80er Jahre brachten wirtschaftlichen Überfluss, der Hand in Hand ging mit einer verschwenderischen Hal­tung im privaten und öffentlichen Sektor. Die Schulden der Länder wuchsen und der unausweichliche Kollaps traf eines nach dem andern mit unverminderter Wucht. In diesem Jahrzehnt zog Argentinien zum ersten Mal seit 120 Jahren in den Krieg, als es sich wegen der Falkland­inseln mit England anlegte und bald wieder klein beige­ben musste.

Dies waren Ereignisse, die Schlagzeilen machten und die Welt in Atem hielten. Eine zeitlich parallele Veränderung, welche jedoch vielleicht noch bedeutsamer war, vollzog sich beinahe unbemerkt. Es war das explosionsartige Wachstum der evangelikalen Kirchen: von einer winzigen, verachteten Minderheit in den 50er und 60er Jahren zu einer alles durchdringenden Präsenz im Großteil von Lateinamerika. Tatsächlich geschah dieser Zuwachs so schnell, dass die Kirchen plötzlich viel zu wenig reife Christen mit Leiterschaftserfahrung hatten, um dem Bedarf der neu entstehenden Gemeinden Genüge zu leisten.

Als die Doulos gekauft und für den Dienst ausgerüstet worden war, waren sich die meisten der Besatzung der Situation in Lateinamerika gar nicht bewusst. Ihr Interesse galt vor allem Asien. Dorthin sollte die Doulos aufbrechen. Eine kleine Gruppe von OM-Leuten, die durch Teile Lateinamerikas gereist war, durchkreuzte diese Pläne.

»Warum machen wir nicht einen Abstecher nach Südame­rika, um uns ein Bild von der Lage dort zu verschaffen, bevor wir für die nächsten paar Jahre nach Asien gehen?«, fragte der Leiter dieser kleinen Gruppe. Der Vorschlag ent­fachte stürmische Debatten. Wie sollte ein solches Vorha­ben finanziert werden? Allein die Überquerung des Atlan­tiks würde ein Vermögen kosten. Würden die Menschen dort dazu beitragen können, diese Kosten durch Buch­käufe und Spenden mitzutragen? Und wer sagte, ob das Schiff in Lateinamerika überhaupt erwünscht war? Größer als die Sorge um Finanzen oder fehlendes Interesse wog jedoch bei einigen die Angst, dass das Schiff eine zu posi­tive Aufnahme finden würde und weiteres Interesse an OM entfachen könnte. Einige Leiter waren nämlich der Ansicht, dass OM zu schnell und zu spontan gewachsen war und dass sich die Organisation zuerst festigen und besser organisieren sollte, bevor an eine weitere Ausdeh­nung zu denken war. Nach vielen Diskussionen entschloss man sich übereinstimmend dafür, dass die Doulos eine kurze Erkundungsreise in die Karibik und nach Südame­rika unternehmen würde. Das war alles. Unter keinen Umständen würde man in irgendeinem Land jenes Erdteils einen neuen OM-Zweig beginnen.

Am 24. Oktober 1978 brach die Doulos von England aus in Richtung Lateinamerika auf. Nach einer nicht enden wollenden Fahrt auf hoher See lief die Doulos als Erstes den kleinen Handelshafen Tampico in Mexiko an. Endlich Lateinamerika! Mit gemischten Gefühlen stahlen sich einige, die gerade nicht arbeiten mussten - und auch einige von denen, die das eigentlich sollten -, an Deck, um an die Reling gelehnt den kleinen Horizontstreifen Land größer und größer werden zu sehen, bis einzelne Gebäude und Hafenteile erkennbar wurden. Dann begann das Rätselraten, welches mit der Zeit eine schöne Gewohnheit werden sollte: Wo würde das Schiff anlegen? Die ersten Anhaltspunkte, ein paar aufragende Kräne und einige Schiffe kennzeichneten die Hafengegend. Als sie einige winzig scheinende Figuren am Pier entdeckten, die aufgeregt winkten, wussten sie, wo ihr Landeplatz war. Mit zusammengekniffenen Augen konnten sie schließlich die Doulos-Leute erkennen, die vorausgefahren waren, um alles für den Besuch des Schiffes vorzubereiten.

Egal wie oft das Schiff anlegte, für die meisten war es immer wieder faszinierend zuzusehen, wie sich das Schiff durch die letzten Meter Wasser schob, längsseits des Quais ging, festmachte und die Gangway herunterließ, damit die jeweiligen Hafenbeamten an Bord kommen konnten. Es gab jedes Mal ein großes Hallo, wenn Begrü­ßungen und Neuigkeiten mit dem Vorbereitungsteam der Doulos vor Ort ausgetauscht wurden. Nach und nach legte sich dann die Aufregung wieder und jeder kehrte an die Arbeit zurück. Ein oder zwei Stunden verstrichen darauf, bis das Schiff und dessen Mannschaft zollamtlich abgefertigt war, man an Land gehen und Besucher an Bord empfangen konnte.

Ein junger Inder hatte die Aufgabe inne, die Konferen­zen an Bord der Doulos zu koordinieren. Da er bereits an Bord der Logos gearbeitet hatte, brachte er ausreichend Erfahrungen mit anderen Kulturen mit, um mit einigem Selbstvertrauen vor sein erstes mexikanisches Publikum zu treten. Trotzdem freute er sich, als er auf dem Liedblatt ein ihm bekanntes Lied entdeckte. Es war sogar eines sei­ner Lieblingslieder, eines, das er schon oft gesungen hatte, als das Schiff in Spanien gewesen war. Als er sei­nen Mund öffnete und mit voller Stimme zu singen begann, lernte er eine erste Lektion in mexikanischer Kul­tur: Die Mexikaner hatten den Wortlaut beibehalten, aber die Melodie geändert. Er begann zu verstehen, dass (abgesehen von Brasilien) Lateinamerika und Spanien zwar eine gemeinsame Sprache hatten, aber dass jedes Land bezüglich seiner Kultur, Denk- und Handlungsweise sehr eigenständig war.

Einer der Mexikaner, dessen Leben durch den Aufent­halt des Schiffes verändert wurde, war ein obdachloser Mann. Seine Geschichte erzählt Rex Worth so:

Im Hafen lebte ein Landstreicher, der in furchtbarem Zustand war, immer schmutzig und mit schulterlangen strähnigen Haaren. Johannes, unser Chefingenieur, freun­dete sich mit ihm an, gewann sein Vertrauen, nahm ihn mit an Bord und gab ihm zu essen. Später gelang es Johannes, ihn zum Duschen zu überreden. Das war keine leichte Aufgabe. Der Mann hatte seine Schuhe in den let­zen zwei oder drei Jahren nicht ausgezogen. Johannes musste erst die Metallschere aus dem Maschinenraum holen und sie damit aufschneiden. Die Zehennägel des Mannes waren darin verwachsen. Johannes rasierte ihn, schnitt ihm die Haare und gab ihm einen ‘neuen’ Anzug aus »Charlie« (der Tauschbörse für gebrauchte Kleider an Bord). Er erfuhr, dass der Mann früher einmal Offizier in der mexikanischen Marine gewesen war. Als wir den Hafen verließen, hatte er ein Zuhause bei einer christlichen Familie und eine Anstellung als Wachmann gefunden.

Als das Schiff nach drei Wochen aus dem Hafen in Tampico auslief, war die Reling wiederum mit Doulos- Leuten gesäumt, die dieses Mal ihren neu gewonnenen Freunden am Kai unter Tränen winkten und ihnen Abschiedsworte zuriefen.

Der erste Hafen Lateinamerikas war eine außergewöhn­liche Erfahrung gewesen, eine Zeit voller Aktivität. Die Mannschaft hatte an Land und an Bord Veranstaltungen gehalten, sich mit den Einwohnern unterhalten, sie in ihren Wohnungen besucht und an ihren Gottesdiensten teilgenommen. Zu sehen, wie die Mexikaner lebten, ihre Kultur zu erleben und ihre Freundschaft zu gewinnen, war eine wichtige Erfahrung für viele gewesen.

Doch nun verließ das Schiff den Hafen und hinterließ ... was? Freundschaften, die mit der Zeit wahrscheinlich einschlafen würden? Menschen, deren Leben durch Gott berührt und nachhaltig verändert worden war? Oder Menschen, deren Interesse an Gott nachlassen würde, sobald die Faszination durch das Schiff langsam ver­blasste? Würde der Landstreicher seine zweite Chance nutzen und in seiner neu gewonnenen Beziehung mit Gott wachsen? Oder Ramón Martínez, der Gewerkschafts­boss der Dockarbeiter, der gar nicht mehr aufhören konnte, seinen Freunden zu erzählen, wie seine Vergan­genheit in Gottes Augen rein gewaschen wurde und wie es ist, Gott auf eine persönliche, vertraute Art kennen zu lernen. Hatte er einen echten und tief greifenden Wandel erlebt oder bloß ein Gefühlshoch, das im Alltag schnell wieder abflauen würde? Solche Fragen gingen der Mann­schaft beim Abschied durch den Kopf. Antworten darauf würden sie kaum je bekommen, außer, dass zufällig ein­mal Nachricht von dem einen oder anderen zu ihnen durchdringen würde. Örtliche Gemeinden hatten die Ver­antwortung übernommen, sich um jeden Einzelnen zu kümmern, der an geistlichen Fragen Interesse gezeigt hatte. Würden sie sich an dieses Versprechen halten?

Einige Rückmeldungen erreichten das Schiff in Vera­cruz, dem nächsten Zielhafen. Ein Pastor, der in Tampico zum Hafen gekommen war, um der Doulos zum Abschied zuzuwinken, hatte dort ein Gespräch mit dem Mann neben ihm begonnen. Im Gespräch gestand dieser, dass er auf der Suche nach Gott sei. Dort am Hafenquai, als die Doulos langsam am Horizont verschwand, begegnete die­ser Mann Gott. Auch er konnte seine überschwängliche Freude nicht für sich behalten und führte innerhalb weni­ger Tage fünfzehn weitere Menschen zu einem ähnlichen Erlebnis mit Gott.

Eine der kleineren Kirchen berichtete, dass sie aufgrund des Doulos-Besuchs um 22 Mitglieder gewachsen sei, was der um ihre Existenz ringenden Gemeinde neuen Elan verlieh.

(Als die Doulos drei Jahre später nach Tampico zurück­kehrte, wurde sie von einem strahlenden Ramón Martínez begrüßt, der ihnen auch mit seinem Wissen und seinen Beziehungen bei der Beschaffung von Treibstoff und in anderen Schwierigkeiten half. Christen vor Ort berichte­ten, dass aufgrund des ersten Besuchs der Doulos vier neue Gemeinden gegründet worden waren.)

Die Ereignisse von Tampico wurden jedoch durch die Flut neuer Eindrücke in Veracruz schnell in den Hinter­grund gedrängt.

»Weißt du schon, dass ein russisches Schiff im Hafen ist?«, meldete eine der Doulos-Mitarbeiterinnen. Rose Scott, eine dunkelhaarige Britin, war sofort ganz Ohr. Ihr Interesse für Russland ging auf den bewegenden Bericht eines jungen Christen über das Leben unter kommunisti­scher Herrschaft zurück, den sie vor sieben Jahren gehört hatte. Die Not hatte sie so angesprochen, dass sie begon­nen hatte, Russisch zu lernen - ohne zu wissen, ob sie es jemals anwenden konnte. War das nun ihre Chance? Am selben Abend noch begleitete sie den Kapitän und einige andere Männer der Doulos, um zu versuchen, an Bord des russischen Schiffs zu kommen. Sie waren sich wohl derTatsache bewusst, dass russische Schiffe immer streng bewacht wurden, damit sich kein Anhänger einer gefähr­lichen Ideologie an Bord stahl und die Gesinnung ihrer treuen kommunistischen Seeleute verdarb. Zu ihrer freu­digen Überraschung wurden Rose und ihre Begleiter bis zum Ende der Gangway vorgelassen, wo sich auch bald einige russische Matrosen versammelten. Zuerst war die Unterhaltung distanziert und förmlich. Rose stellte ihnen die Doulos als Schiff für ‘internationale Verständigung und Frieden’ vor. Das waren Worte, die den Russen geläu­fig waren; ihre eigenen Parolen waren voll davon. Einer der Deckoffiziere taute etwas auf und gewährte den Besu­chern von der Doulos einen kurzen Blick ins Innere des Schiffs. Das war schon alles. Auf dem Rückweg verriet ihnen einer der Besatzung, dass der größte Teil der Mann­schaft zu einem Konzert auf den Hauptplatz von Vera­cruz gegangen war. Als sich die kleine Doulos-Gruppe bei ihm bedankte, steckte einer dem Mann unauffällig ein Traktat zu, das dieser verstohlen in seiner Tasche ver­schwinden ließ.

»Na dann, auf zum Marktplatz, oder nicht?«, schlug einer vor, sobald sie außer Hörweite waren. Sie fanden die Seeleute tatsächlich und begannen eifrig, russische Trak­tate zu verteilen. Rose jedoch fühlte sich ausgeschlossen und frustriert. Als Frau konnte sie nicht einfach so auf die Männer zugehen und sie auf Russisch ansprechen. Das würde zweifellos einen falschen Eindruck erwecken. Also betete sie: »Herr, hilf mir doch, eine Frau zu finden. Und bitte lass sie alleine sein.« Dieses letzte Anliegen war nicht ganz so unproblematisch, wie es den Anschein hatte, da die meisten Russen ständig in Gruppen zusammenstanden. Kaum gebetet, entdeckte Rose sie: eine Frau ohne Begleitung. Rose trat an sie heran und begrüßte sie in russischer Sprache. Die Frau schien erstaunt, aber durchaus erfreut. Rose erfuhr, dass sie als Bibliothekarin

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 19.05.2014
ISBN: 978-3-7368-1294-9

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Ein Buch aus der Reihe „OM Books" von OM Deutschland. www.om.org/de OM arbeitet in mehr als 110 Ländern, motiviert und rüstet Christen aus, Gottes Liebe an Menschen in der ganzen Welt weiter zu geben. OM möchte helfen, Gemeinden zu gründen und zu stärken, besondern in den Gebieten der Welt, in denen Jesus am wenigsten bekannt ist.

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