Cover

Vorwort

Das Lesen dieses Buches hat mich tief berührt. Auf interessante Art und Weise hat Debbie Meroff es geschafft, uns zwei Dinge na­hezubringen. Da sind auf der einen Seite die Geschichten von neun Frauen, die Gottes Ruf in ihrem Leben gefolgt sind — teil­weise wirklich bis an die Enden der Erde. Sie haben unter für uns Europäer oft haarsträubend erscheinenden Bedingungen gelebt, sich für andere Menschen eingesetzt, sind immer wieder mutig über ihren eigenen Schatten gesprungen und haben erlebt wie Gott sich zu ihnen stellt. Das Beste daran ist, dass diese Frauen so sind wie du und ich, mit Stärken und Schwächen, guten und weni­ger guten Charaktereigenschaften. Genau das ermutigt mich und fordert mich heraus — ich muss keine »Superfrau« sein, um an mei­nem Platz alles mit und für Gott zu wagen. Auf der anderen Seite führt Debbie Meroff uns in diesem Buch vor Augen, wie das Leben vieler Mädchen und Frauen auf dieser Welt aussieht. Ausgenutzt, weggeworfen, verkauft. Ihre Körper ge­schändet und ihre Seelen verletzt. Die Fakten und Geschichten ha­ben mir einige Male die Tränen in die Augen getrieben und mich auch richtig wütend gemacht. Diese Ungerechtigkeit ist unglaublich — und sie nimmt uns in die Verantwortung. Denken wir nicht oft, wenn wir so etwas lesen, dass »ich ja doch nichts verändern kann?« Das dem nicht so ist, dass jeder von uns sich informieren und kleine Schritte tun kann, das wird hier deutlich. Ich muss nicht die ganze Welt retten, aber ich kann mich herausfordern lassen und sehen wo Gott einen Auftrag für mich hat. Dazu ermutigt und inspiriert die­ses Buch und gibt uns viele Fakten und Hintergründe an die Hand. Lass Dich mit hinein nehmen in das Leben der Frauen, die uns in diesem Buch begegnen: Sowohl derer, die auf der Schattenseite des Lebens stehen, als auch derer, die sich aufgemacht haben ihr Leben mit diesen Frauen zu teilen und Christi Licht in einige sehr dunkle Orte unserer Welt zu bringen.

Heike Schultz OM Deutschland

Einleitung

Dieses Buch wird Dich vielleicht aus der Ruhe bringen. Während ich die Informationen für Echt mutig in monatelanger Arbeit zusammen­trug, war ich geschockt, betrübt und erzürnt. Mittlerweile sind viele ausgezeichnete Veröffentlichungen erhältlich, deren Themen die besonderen Ungerechtigkeiten sind, von denen Frauen heute betroffen sind. Meine Absicht ist es, dem Leser einen kurzen Überblick über all diese zu geben, einen vereinfachten Führer, der als schnelles Nachschlagewerk dient. Hoffentlich wird diese Art der Präsentation auch mehr Leser zum Handeln motivieren.

Für einen Christen ist die erste nahe liegende und wirkungsvolle Reaktion die Fürbitte. Die Rubriken »Bevölkerungsstatistik« am Ende von jedem Kapitel sollen als Ausgangspunkt dienen. Sie stel­len nicht den Anspruch vollständig zu sein; in den meisten Fällen geben sie nur Einblicke in die Situation einiger ausgewählter Län­der. Im Anhang werden Bücher und Internetseiten zur weiteren Vertiefung vorgeschlagen.

Ich hoffe, dass manche Leser auch einige der anderen Hand­lungsmöglichkeiten wählen werden. Ich habe ein paar Organisa­tionen angeführt, die sich dafür einsetzen, die Diskriminierung, die Ausbeutung und die schrecklichen Misshandlungen, denen viele Mädchen und Frauen ausgesetzt sind, zu bekämpfen. Jede Stim­me, jeder Protestbrief, jede noch so kleine Unterstützung wird dazu beitragen, den Kampf gegen den Missbrauch zu unterstüt­zen.

Die Frauen von »Gottes Such- und Rettungsteam«, die für die­ses Buch ausgewählt wurden, sind keine Superstars. Sie wurden ausgewählt, weil sie die gleichen gewöhnlichen Ängste und Schwächen haben, die wir alle kennen.[1] Und während sich keine dieser Frauen in der Lage fühlte, die Welt zu verändern, war jede einzelne bereit, durch Gottes Gnade ein kleines Gebiet dieser Welt in An­griff zu nehmen. Lass Dich ermutigen, so wie es mich ermutigte, und sieh, was geschehen kann, weil einzelne Frauen es zuließen, wie Mutter Teresa es ausdrückte, »ein Bleistift in der Hand eines schreibenden Gottes zu sein, der Liebesbriefe an die Welt sendet.«[2]

Noch ein warnendes Wort. Leidenschaftliche Gebete verän­dern nicht nur die Welt, sie bewirken auch eine Veränderung bei den Menschen, die sie beten. Wenn Gott sein Anliegen für die Welt durch Dich wirksam macht, kann es sein, dass Du zu uner­warteten Horizonten aufbrichst. Das sollte Dich nicht überra­schen. Gottes Ziel ist es, jeden einzelnen von uns für sein Such- und Rettungsteam anzuwerben!

Debbie Meroff

 

 

[1] Die Namen der Frauen in den Kapiteln eins, zwei, fünf, sechs und sieben sind aus Sicherheitsgründen geändert worden. [2] Originalquelle unbekannt.

Kapitel 1 Ende der Stille

»Blindheit trennt Menschen von Dingen; Gehörlosigkeit trennt Menschen von Menschen.«
Helen Keller

Still stand Kathryn Bridges vor der historischen Klagemauer, den letzten Überresten des antiken Tempels von Jerusalem, dem Hei­ligtum aller Juden. Wie immer herrschte reges Gedränge, sowohl im Bereich für die Frauen als auch in dem für die Männer. Einige Besucher saßen auf Stühlen und beteten, andere standen und be­rührten die Mauer. Einige weinten, während sie den niederge­schriebenen Schrei ihres Herzens in die Spalten der sonnenge­bleichten Steine schoben, neben den Tausenden anderen dort. Kathryn wurde plötzlich auf einen Mann und ein junges Mäd­chen aufmerksam, die nicht weit entfernt standen. Ihre besondere Kleidung wies darauf hin, dass es sich um ultra-orthodoxe Juden handelte. Sie wusch sich die Hände und beobachtete, wie die bei­den in Zeichensprache leise miteinander »redeten«. Als beide zu­fällig in ihre Richtung blickten, lächelte Kathryn und zeigte ihnen das internationale Signal, dass auch sie gehörlos war. Sofort began­nen sie sich miteinander zu unterhalten. Innerhalb der nächsten Stunde war die Trennung zwischen den Fremden überbrückt, indem Kathryn den beiden »zuhörte«, wie sie ihre Entmutigung zum Ausdruck brachten. Woche für Woche besuchten sie treu die Synagoge, ohne verstehen zu können, was gesagt wurde. Der Trost der Botschaften war für sie verloren ge­gangen, da es nach rabbinischem Gesetz nicht erlaubt war, am Sabbat in Zeichensprache zu übersetzen. Zeichensprache wurde als »Arbeit« angesehen. Die Last dieses Vaters und seiner Tochter betrübte Kathryns Herz. Nur zu gut verstand sie den Schmerz, von den Unterhal­tungen »normaler« Menschen ausgeschlossen zu sein. Aber es er­schien ihr unnötig grausam, dass im Namen der Religion auch das Vorrecht vorenthalten wurde, gemeinsam mit anderen anzubeten. Ihrem Gott, dem HERRN, zu dienen und Ihn anzubeten war für Kathryn wichtiger als ihr eigenes Leben. Seit ihrem 19. Lebensjahr besaß sie diese Überzeugung. Damals empfand sie den Tod als eine willkommene Alternative zu einer Zukunft, die für sie und ihre Familie nur endloses Elend bedeuten würde. Ihr Vater war ein stolzer Landwirt, der sich nie wirklich da­mit abgefunden hatte, eine stark hörbehinderte Tochter zu haben. Als Kathryn jedoch das Alter von zweieinhalb erreichte, geschah etwas Merkwürdiges. Christen, die die Familie kannten, beteten für das kleine Mädchen und 35 Prozent ihres Gehörs wurde plötz­lich wieder hergestellt. Man fand nie eine physiologische Erklä­rung dafür. Doch die kleine Kathryn konnte jetzt gut genug hören, um mit Unterstützung das Sprechen zu erlernen. Während der nächsten zwölf Jahre konnte sie mit einer Welt kommunizieren, die zuvor nur Stille für sie bereithielt. Geräusche wurden lebendig. Die Stimmen derer, die sie liebte. Ein bellender Hund. Musik. Und dann schlug die Tür des Hörens aus nicht ersichtlichem Grund wieder zu. Im Alter von 14 Jahren war Kathryn wieder von Stille umgeben, isoliert und nicht mehr fähig, in einer allgemeinen öffentlichen Schule zurechtzukommen. Sie wurde weit fort in ein Internat für Gehörlose geschickt, um dort ihre Ausbildung zu be­enden. Diese Erfahrung traumatisierte sie für lange Zeit. Die Schule wurde von Nonnen geleitet, die den Schülern strenge Dis­ziplin auferlegten. Kathryn kehrte schließlich mit einer verletzten und verbitterten Seele nach Hause zurück. Zu diesem Zeitpunkt wurde ihr Land von einer schwerwiegen­den sozialen Krise erschüttert. Rassenunruhen drohten vielerorts ganze Siedlungen auseinander zu reißen. Während sich Kathryn, ihre Mutter und ihr Bruder, was die Verantwortung der Regierung betraf, einer Meinung waren, hatte ihr Vater die gegenteilige An­sicht. Die Auseinandersetzung innerhalb ihres Hauses steigerte sich, bis es eines Abends zu einem explosiven Höhepunkt kam. Kathryns Vater griff zur Waffe und begann zu schießen. Kathryn und die anderen rannten um ihr Leben. Während der nächsten Wochen wohnten alle drei in provisori­schen Unterkünften. Die Niedergeschlagenheit des Mädchens im Teenageralter verstärkte sich, da sie die Schuld für den Hass ihres Vaters bei sich suchte. Vielleicht, so dachte sie, wäre es für alle Be­teiligten besser, wenn sie einen Schlussstrich ziehen würde. All­mählich wuchs ihr Entschluss. Doch als der Tag kam, an dem sie eine Überdosis nehmen wollte, hatte sie eine unerwartete Begeg­nung. Eine Bekannte überredete sie, sich in einem Cafe zu treffen. Es war ein christliches Cafe, und die Fremden, die sie dort traf — warmherzig, fröhlich und nicht gehörlos — nahmen sie wie eine Freundin auf. Als sie an diesem Abend in ihrem Bett lag und über ihre Erlebnisse nachdachte, vernahm sie eine drängende innere Stimme, die sie aufforderte, aus dem Bett zu steigen und zu beten. Kathryn war überrascht. Sie wusste nicht einmal, wie man betet. Das Einzige, was ihr einfiel, waren die auswendig gelernten Ge­bete aus ihrer Internatszeit. Aber die Stimme war hartnäckig. Sie schlüpfte aus dem Bett und glitt auf ihre Knie. »Herr, bitte hilf mir!« flüsterte sie. »Ich glaube, dass du da bist.« Während sie wartete, wurde sie von einer Flut unbeschreiblichen Friedens durchströmt, die ihre Verletzungen und die Hoffnungs­losigkeit ihrer Vergangenheit bedeckte. Sie war von einer wunder­baren Gewissheit überzeugt, dass Gott sie gehört hatte und sich danach ausstreckte, sie zu heilen. Die Tatsache, dass Jesus sie so sehr liebte und in so persönlicher Art und Weise eingriff, überwältigte sie. Sie übergab ihr Leben in seine Fürsorge und erlangte dadurch das Selbstvertrauen, das ihr immer gefehlt hatte. Sie fing an, sich für eine Ausbildung zur Bau­ingenieurin zu interessieren. Auf der Universität kam sie in Kon­takt mit vielen anderen gehörlosen Christen. Die Gebärdenspra­che war ihr, während sie aufwuchs, immer streng verboten gewesen. Diejenigen, die auf diese Weise kommunizierten, mach­ten sich dadurch »verdächtig« und nur noch mehr zum Außensei­ter in der »normalen« Welt — so ähnlich hatten ihre Eltern ihr das erklärt. Die Folge war, dass Kathryn nur Lippenlesen konnte. Doch jetzt, als sie lernte, ihre Hände zur Verständigung zu ver­wenden, eröffneten sich ihr neue Möglichkeiten. Nach dem Abschluss des Studiums kehrte in Kathryns Leben eine fröhliche Routine von Arbeit, Gemeindeleben und Beziehun­gen zu Freunden ein. Einige der Gläubigen, mit denen sie sich traf, waren aktiv in evangelistischen und missionarischen Diensten en­gagiert, aber für Kathryn schien das nie ein Thema zu sein. Gehör­los zu sein war die perfekte Ausrede. Eines Tages jedoch las sie einige Verse in 2. Mose 4. Die Worte, die zu Mose gesprochen wurden, schnitten ihr ins Herz: »Wer hat dem Menschen den Mund ge­macht? Oder wer macht stumm oder taub, sehend oder blind? Nicht ich, der Herr? Und nun geh hin! Ich will mit deinem Mund sein, und dich unterweisen, was du reden sollst!« (Vers 4) So unmöglich das zu sein schien, Kathryn wusste, dass der Be­fehl zu »gehen« ihr galt! Der Herr brachte sie dazu, sich einer schwierigen Situation zu stellen. So meldete sich Kathryn für einen mehrmonatigen Einsatz mit OM an. Sie war selbst überrascht, als sie triumphierend davon zurückkehrte. Aber das war erst der Anfang. Kathryn verbrachte das nächste Jahr damit, sich weiter für Mis­sion ausbilden zu lassen. Allmählich begannen Samen, die Jahre zuvor ausgestreut worden waren, in ihrem Herzen zu wachsen. Sie erinnerte sich an den jüdischen Sprachtherapeuten, der versucht hatte, ihre Mutter zu überreden, sie in einer jüdischen Schule ein­zuschreiben, als sie klein war. Das war eine glückliche Zeit gewe­sen, und sie war sogar mit einigen ihrer Freunde in Kontakt geblie­ben, von denen viele inzwischen nach Israel ausgewandert waren. Kathryn merkte, wie sie immer öfter daran dachte, Gott in diesem Land zu dienen. Doch der Gedanke jagte ihr Angst ein. Wie könnte sie je an einem fremden Ort zurechtkommen, wo die Men­schen eine andere Sprache sprachen und sie nicht einmal von den Lippen ablesen konnte? Sie beschloss, sich auf Gottes Gnade zu verlassen und schickte ihre Bewerbung ab. Ungefähr zu dieser Zeit kam eine israelische Familie im OM Büro an, um einige Monate lang die Bewerber auszubilden. Die zeitliche Übereinstimmung konnte unmöglich ein Zufall sein. Diese Familie beantwortete Kathryns Fragen über Israel, ermu­tigte sie und betete mit ihr. Als die Leiter ihre Bewerbung annah­men, wusste Kathryn, dass Gott ihr grünes Licht gab. Die prak­tische Unterstützung, die sie unerwarteter Weise von vielen Seiten während der nächsten Monate erhielt, war eine weitere Bestäti­gung. Obwohl Kathryn auf den Schock eingestellt war, von einer Kul­tur in eine andere zu wechseln, war sie jedoch nicht auf die Angst, die Enttäuschungen und die schreckliche Einsamkeit vorbereitet, von denen sie in jenen ersten Tagen und Wochen in Israel erfasst wurde. Die Verheißung, dass Gott sie nie verlassen oder versäu­men würde, wurde ihr während der ganzen Zeit zur Realität. Seine Stimme war eine Rettungsleine während ihres ersten Jahres, als sie Hebräisch und die hebräische Zeichensprache lernte. Kathryn war erstaunt, als sie entdeckte, dass die israelische Ge­bärdensprache noch ziemlich wenig entwickelt war. Ein Komitee war beauftragt worden, die Zahl der Begriffe zu erweitern, vor al­lem weil laufend neue Wörter wie »Computer« und »Stereogeräte« in das antike Hebräisch aufgenommen wurden. Doch es existier­ten praktisch keine Gebärden für christliche Begriffe wie »Erlöser« oder »Errettung«. Sogar das übliche Zeichen für »Jesus«, bei der man die Handinnenflächen berührt, um Nägelmale anzudeuten, war für die Juden ein Anstoß. Was sollte sie tun? Sie konnte nicht auf eigene Faust Gebärden erfinden, aber wie sonst sollte sie ihren Glauben mitteilen? Als Brücke zwischen der hörenden und der nicht hörenden Welt be­saß sie eine einzigartige Gelegenheit. Während der nächsten fünf Jahre konnte sie sehr viel lernen. Nachforschungen zeigten ihr, dass es ungefähr 28 000 gehörlose Einwohner im Land gab. Unter diesen fand sie nur eine kleine An­zahl von Christen. Zu ihrer Freude kamen einige ihrer Freunde, die sie in der Gemeinschaft der Gehörlosen kennen lernte, durch ihr Zeugnis zum Glauben an Jesus. Doch das pioniermissionarische Team, das sie um sich versam­melte, war maßlos überfordert. Einige hörende Frauen aus ande­ren Ländern schlossen sich ihr an, lernten die hebräische Gebär­densprache und stellten eine unbezahlbare Unterstützung dar. Ein gehörloser Freund aus Tel Aviv half manchmal aus. Doch es wurde immer offensichtlicher, dass mehr gehörlose Christen mit Hebräischkenntnissen gebraucht wurden, damit der Dienst wei­tergehen könnte. Einer der ersten Schritte Kathryns war, die verstreuten gehör­losen Gläubigen im Land zu einem zweimonatigen Bibelstudium zusammenzubringen. Sie hoffte, dass eines Tages aus dieser Ge­meinschaft die erste messianische Gemeinde gehörloser Christen entstehen würde, ein geistliches »Zuhause« mit einem eigenen Pas­tor. Auch eine informelle Gruppe von Hörenden und Gehörlosen begann sich wöchentlich in der Wohnung der Frauen zu treffen. Gelegentlich wurden praktische Kurse auf Gebieten wie Stricken und Kochen angeboten. Dann wurden dem Team Flanellbilder sowie die Ausrüstung zur Produktion von Videos für das Bibelstu­dium gespendet. Die Gemeinschaft träumte davon, Räumlichkei­ten für ein kleines Veranstaltungszentrum zu mieten, wo Bekannte jederzeit vorbeikommen und hereinschauen könnten. Traurigerweise hatten in den 90er-Jahren viele Hilfsmittel, die ge­hörlosen Menschen in anderen Ländern zur Verfügung standen, noch nicht das Land Israel erreicht. Hunde für Gehörlose waren ebenso unbekannt wie Schreibtelefone und Telefon-Relaisstatio­nen. Türglocken mit optisch sichtbarem Signal waren für den Im­port zu teuer. Gehörlose junge Menschen begannen gerade erst, sich Zugang zum Computer und der Kommunikation per E-Mail zu verschaffen. Wer es sich leisten konnte verwendete Faxgeräte. Und das einzige Programm mit Gebärdensprache im israelischen Fern­sehen waren die 11 Uhr-Nachrichten. Obwohl gelegentlich Filme mit Untertiteln gezeigt wurden, konnten viele Ältere der gehörlosen Gemeinschaft diese nicht nutzen, da sie nie lesen gelernt hatten. In den letzten Jahren haben immer öfter behinderte Einwohner Israels ihren Unmut darüber kundgetan, dass die Regierung die Probleme nicht anpackt. Einige haben vor dem Parlamentsge­bäude demonstriert und Unterstützungen gefordert, mit denen sie sich besser in die hörende Gesellschaft integrieren könnten. Ob­wohl eine kleine Zahl von Gehörlosenvereinen gegründet wurde, kann sich nicht jeder die Mitgliedsbeiträge leisten, die zur Erhal­tung dieser Vereine notwendig sind. Kathryn weiß aus eigener Erfahrung, dass sogar in der west­lichen Welt Gehörlose von vielen als geistig beeinträchtigt angese­hen werden. Gehörbehinderte Kinder erhalten oft nur begrenzte Möglichkeiten der Ausbildung. Doch die Behinderten bekommen wenigstens eine Arbeit und können sogar ins Ausland reisen. In vielen Gegenden des Nahen Ostens bleiben diese Dinge nur ein Traum. Gehörlose Menschen sind oft arbeitslos und ihnen fehlt jede Möglichkeit, ihre Situation zu verbessern. Wie konnte Kathryn damit beginnen, sich der Herausforderung zu stellen? Sie hatte ein starkes Verlangen, sich nach denen auszu­strecken, die ohne Hoffnung waren. Die Begegnung mit dem or­thodoxen Vater und seiner Tochter an der Klagemauer in Jerusa­lem nährte diese Vision. Wie konnte sie Wege finden, um noch andere Mitglieder der gehörlosen jüdisch-orthodoxen Bevölke­rung zu erreichen? Das Vermitteln von Computerkenntnissen an Mitglieder des Gehörlosenvereins einer Universität stellte eine Möglichkeit dar, Beziehungen zu vertiefen. Oft traf sie sich mit Studenten im Cafe der Universität und plauderte mit ihnen, bevor sie ihre Vorlesun­gen besuchten. Einmal fielen während einer Woche die Vorlesungen aus, damit die Studenten an einem Ausflug des Gehörlosenvereins teilneh­men konnten. Ungefähr zu dem Zeitpunkt, zu dem sie sich norma­lerweise trafen, explodierte in dem Universitätscafe eine Bombe und tötete und verletzte viele Männer und Frauen. Kathryn und ihre Computerschüler waren entsetzt. Ohne die Gnade Gottes wä­ren sie wahrscheinlich auch unter den Opfern gewesen. Terroristische Anschläge, Schießereien und Bombenattentate verschärfen noch immer die täglichen Anspannungen im israeli­schen Alltag. Für die Gehörlosen ist diese Situation erheblich schwieriger. Der einfache Versuch, eine Straße zu überqueren kann riskant sein für jemanden, der die Sirene eines Polizeiautos oder eines Feuerwehreinsatzfahrzeuges nicht hören kann. Doch auch wenn Kathryn mit dem Bus an der Grenze zu Bethlehem un­terwegs ist, wo zwei Busse auf derselben Strecke in die Luft ge­sprengt wurden, lässt sie es nicht zu, dass diese Unsicherheiten Gottes Pläne blockieren. Mittlerweile unterrichtet sie vier Compu­terkurse pro Woche in einem Gehörlosenverein und lehrt einmal pro Woche Englisch. Haus- und Krankenbesuche von Freunden und Bekannten sind ebenfalls ein wesentlicher Teil ihres Dienstes. Auch das monatliche Bibelstudium in hebräischer Gebärdenspra­che hat sich als großartige Möglichkeit für Gemeinschaft erwiesen, so dass Kathryn eine ähnliche Gruppe für gehörlose arabische Gläubige beginnen möchte. Doch tägliche administrative Aufgaben fordern ebenfalls ihre Aufmerksamkeit. Das Aussenden von Gebetsbriefen und Mittei­lungen, so wichtig dies auch ist, kostet viel Zeit. Zu den täglichen Aufgaben zählen ebenso das Aufschreiben und Einstudieren von Liedern für die monatlichen Bibelstudientreffen der Gehörlosen und das Suchen nach visuellen Hilfsmitteln für diejenigen, die nicht lesen können. Die Finanzen zum Kaufen von Unterlagen sind un­zureichend. Es wird Geld gebraucht, um ein Auto zu kaufen, mit dem die Leute zu den Treffen gebracht werden können. Aber das größte Anliegen sind feste Mitarbeiter. Freiwillige und Besucher hel­fen so gut sie können, aber es fehlt an hingegebenen Langzeitmitar­beitern, damit alle Gelegenheiten wahrgenommen werden können. Ein Schwerpunkt ist nach wie vor das Werben und Ausbilden von hörenden israelischen Gläubigen zum Dienst des Dolmet­schers. Während ihrer ersten Jahre im Land fand Kathryn keine einzige christliche Versammlung, in der alles in die hebräische Ge­bärdensprache übersetzt wurde. Wie konnten die Gemeinden er­warten, dass sie für die Hörbehinderten interessant wären oder ih­nen dienen könnten? Gehörlose Gläubige sind wie gefällte Bäume, erklärt sie leidenschaftlich. Sie können nicht ohne Hilfe gedeihen. Also hält sie zusätzlich zu ihren anderen Unterrichtseinheiten Pri­vatstunden in hebräischer Gebärdensprache ab, für hörende Gläu­bige, die bereit sind als Übersetzer zu dienen. Die Wüste voller Not reicht weit über die Grenzen von Israel hinaus. Im ganzen Nahen Osten haben Eheschließungen inner­halb der Familien dazu geführt, dass es eine ungewöhnlich hohe Zahl von behinderten Menschen gibt. Ungefähr zehn Millionen leiden unter Gehörlosigkeit. Doch nur sehr wenig ist unternom­men worden, um ihre Lebensqualität zu verbessern. Was könnte man tun, um sie zu erreichen? Zuerst muss Kathryn die vor ihr liegende Mauer bezwingen. Es ist verständlich, dass das Gefühl der Unzulänglichkeit sie manch­mal zu überwältigen droht. Wie kann sie zum Beispiel erwarten, Männer und Frauen zu erreichen, die den Horror des Holocausts erlitten haben? Ein gehörloser Mann berichtete, wie er als Junge die Todeslager nur dadurch überlebte, dass er vortäuschte, hören zu können. Die 84-jährige Anja, die aus Russland nach Israel ein­gewandert war, beschrieb den Tag, als eine christliche Bibel ihr das Leben rettete. »Als Freunde von Nationalsozialisten ermordet wurden, war ich allein. Ich stand zwischen den Leichen und war zu verschreckt und schockiert, mich zu bewegen. Dann entdeckte ich eine Bibel am Boden und bückte mich, um sie aufzuheben. Als sie mich mit einer Bibel in der Hand sahen, hielten sie mich für eine Christin. Da ließen sie mich gehen.« Anja verlor diese Bibel, aber später gab ihr jemand eine andere Ausgabe mit Bildern. Obwohl sie nicht gut lesen konnte, betrach­tete sie oft die Illustrationen. Eines Tages lud Kathryn Anja ein, ein Video über Jesus in Ge­bärdensprache anzuschauen. Beim Betrachten der Geschichte wurde Anja sichtlich bewegt. Wie können gehörlose Menschen mit Gott reden, wollte sie wissen. Freudig erklärte Kathryn, dass Gott kein Problem habe, die Zeichensprache zu verstehen; er kennt sogar die Gedanken von jedem Herzen. Am Schluss des Vi­deos unterzeichnete Anja, unterstützt von einer russischen Über­setzerin, das Übergabegebet. Die 84-Jährige trat in die Freude ei­nes neuen Lebens in Christus. Kathryn Bridges hat nicht dieselben Traumata erlebt, wie man­che der jüdischen Menschen, mit denen sie arbeitet. Doch auch sie ist eine Überlebende. Dank der Gnade Gottes tragen die Schmer­zen und Missverständnisse ihrer Vergangenheit dazu bei, dass sie mitfühlen kann mit jenen, die viel älter sind als sie. Kathryn betrachtet Israel mittlerweile als ihr Zuhause und hofft, auf Dauer in dem Land leben und dienen zu können. Wie jede junge Frau träumt sie auch von einem Ehemann und einer Fa­milie. Doch in welche Richtung die Zukunft auch führt, der Herr ist ihre Stärke und ihr Lobgesang. Und auch wenn sie die restliche Welt nicht hört, ist sie zufrieden, denn die Stimme Gottes leitet sie voran.

 

Bevölkerungsstatistik
Die Gehörbehinderten

Etwa 250 Millionen Menschen sind von einer ernsthaften Beein­trächtigung des Hörvermögens betroffen. Mehr als ein Drittel da­von lebt in Ländern der Dritten Welt. 70 Millionen sind völlig ge­hörlos oder besitzen nur eine ganz geringe Hörfähigkeit. Mehr als 80 Prozent dieser Menschen haben keine Chance auf Bildung.

» Die Gehörlosen sind die viertgrößte Volksgruppe der Erde, die vom Evangelium unerreicht ist.

» 90 Prozent der Gehörlosen haben hörende Eltern. Nur ungefähr einer von zehn dieser Elternteile kann mit seinem Kind in Gebär­densprache kommunizieren.

Weltweit geschätzte Anzahl der gehörbehinderten Bevölkerung in einzelnen Regionen

Region                                    Geschätzte    Anzahl (in Millionen)

Afrika                                                 22

Nordamerika                                       31

Südamerika                                        18

Mittelamerika                                        2

Südostasien                                       112

Karibik                                                 2

Europa                                              30

Ferne Osten                                       90

Naher Osten                                       10

Australien und südwestlicher Pazifik        1

Gesamt                                              318

Quelle: World Book of Facts, (Funk & Wagnall: Mahwah, New Jersey, 1995) zitiert in (http://www.deafworldministries.com).                                

Die drei Länder mit der größten Anzahl an gehörbehinderten Ein­wohnern sind:
China        73 Millionen
Indien       90 Millionen
USA          23 Millionen

 

In den Vereinigten Staaten wird von mehreren Missions­gesellschaften die gehörlose Bevölkerungsgruppe als die größte unerreichte Volksgruppe in Amerika angegeben. Die Muttersprache des gehörlosen Volkes dort - die Amerikani­sche Gebärdensprache (American Sign Language, ASL) - ist die am dritthäufigsten verwendete Sprache in Nordamerika. Weniger als 8 von 100 Gehörlosen besuchen jemals eine Ge­meinde. Weniger als 4 von 100 bezeugen eine persönliche Beziehung zu Christus.[1]

 

Jedes Jahr erleiden fast 10 000 Frauen und Kinder Gehörschäden und werden taub, weil sie wiederholt auf oder neben den Ohren geschlagen werden.[2]

Eine Umfrage des Netzwerkes Behinderter Frauen in Kanada unter 245 Frauen mit Behinderungen ergab, dass 40 Prozent Misshand­lungen erlitten hatten; 12 Prozent waren vergewaltigt worden. Die misshandelnden Täter waren in erster Linie die Partner oder Ex-Partner (37%) und Fremde (28%), gefolgt von Eltern (15%), Dienstpersonal (10%) und Bekanntschaften (7%). Weniger als die Hälfte dieser Vorfälle wurden angezeigt, vor allem bedingt durch Angst und Abhängigkeit.

 

Der Missbrauch von Frauen mit Behinderungen ist eine Sache, die weltweit epidemische Ausmaße erreicht hat. 

 

Spezielle Probleme misshandelter gehörloser Frauen
» Der Umgang mit Polizei, Gerichten, Schutzeinrichtungen und anderen Unterstützungsangeboten wird erschwert, weil nur wenige Menschen die Gebärdensprache beherrschen.
» Unter gehörlosen Frauen gibt es eine höhere Arbeitslosenrate und ihre Löhne sind niedriger als die der anderen.
» Die wirtschaftliche Abhängigkeit von anderen führt oft dazu, länger in misshandelnden Umständen festgehalten zu werden.
» Schuld, Scham und geringerer Selbstwert beeinflussen oft ge­hörlose Frauen, dass sie leiden ohne sich zu wehren

 

Bevölkerungsstatistik
Geburten

» Nur 65 Prozent der Frauen in Entwicklungsländern werden während der Schwangerschaft auf die Entbindung vorbereitet.

» Es wird angenommen, dass mehr als 90 Prozent der heute le­benden Menschen zu Hause geboren wurden. Jedes Jahr wer­den 60 Millionen Babys ohne Anwesenheit einer ausgebildeten Hebamme entbunden.

» Innerhalb ganz Südamerikas weist Bolivien die höchste Sterb­lichkeitsrate von Müttern während der Schwangerschaft auf. Nur einem Viertel der Frauen in ländlichen Gegenden steht während der Geburt medizinische Versorgung zur Verfügung. In Indien sterben jedes Jahr ungefähr 30 000 Frauen während und nach der Entbindung; dagegen sterben in Großbritannien nur 140 Frauen in Folge einer Entbindung.

» Laut der Weltgesundheitsorganisation WHO erhalten nur der geringe Anteil von 5 Prozent der Frauen in sehr armen Ländern und Gebieten eine Betreuung, nachdem ihr Baby geboren ist. Im Gegensatz dazu bekommen in Wohlstandsländern 90 Pro­zent der Frauen medizinische Betreuung nach der Geburt.

»   1600 Frauen sterben jeden Tag, manche erst in den Teenager­jahren, aus Ursachen, die mit einer Entbindung in Zusammen­hang stehen. 99 Prozent von diesen leben in Entwicklungs­ländern. Während die Sterblichkeitsrate von Gebärenden in Kanada nur 1 aus 7 300 beträgt, liegt sie in Afrika bei 1 aus 12.

 

Die häufigsten Ursachen für Todesfälle während Schwanger­schaft und Geburt

Ursache                                                Todesfälle (in Tausend)

Blutungen                                                     125

Selbst versuchte Abtreibung                              55

Infektionen                                                     75

Krämpfe, Kontraktionen                                    60

Geburtskomplikationen                                     40

Quelle: WHO, Fact Sheet (Informationsblatt) Nr. 276, Februar 2004

 

Drei Millionen sind seit 1990 in Folge von einer oder mehrerer die­ser Ursachen gestorben.

 

Komplikationen

» Obwohl sie überleben, sind jedes Jahr weitere 50 Millionen Frauen von Komplikationen betroffen, die demütigende, schmerzhafte und langfristige Infektionen, Verletzungen und Behinderungen zurücklassen.

» Ein Faktor, der dazu führt, dass so viele Geburten in den Ent­wicklungsländern heimlich geschehen, ist das frühe Heiraten. Mädchen sind manchmal zehn oder sogar jünger, was bedeu­tet, dass ihre Scheide zu eng ist. Das kann die Nerven bleibend zerstören und die Muskeln in den Beinen und Füßen abbauen. Die am schlimmsten betroffen sind, bleiben verkrüppelt.

» In einigen Teilen des arabischen Westafrikas führen Hebammen ein langes Messer in die äußerst enge Vagina ein, wobei die Blase oder der Mastdarm massiv verletzt werden können. Bei einem ähnlichen Eingriff wird das Messer in die Harnröhre ein­geführt und legt dadurch die ganzen unteren Harnwege frei. Viele Frauen sterben unmittelbar an starken Blutungen.

» Bei ungefähr 80 000 Frauen pro Jahr entstehen aufgrund Ge­burtskomplikationen Fisteln. Das bedeutet ein Reißen der Blase und des Mastdarms, was permanente Inkontinenz zur Folge hat. Nur wenige Frauen können sich eine operative Wiederher­stellung leisten. Zusätzlich zu der Peinlichkeit und Schande be­hauptet der Volksmund in manchen Regionen, eine Geburtsfis­tel sei die Folge von Untreue in der Ehe oder einer sexuell übertragbaren Krankheit. Mädchen und junge Frauen, die an einer Fistel leiden, werden in ihrer Umgebung geächtet und von ihren Familien verstoßen. Viele sind gezwungen, als Bettler zu leben.

» Ein Reinigungsritus, der von einigen afrikanischen Kulturen praktiziert wird, kann ebenso zu Fisteln führen. Vierzig Tage lang nach der Geburt schüttet eine Freundin oder Verwandte eine Lösung, die Pottasche beinhaltet, in die Vagina der Mutter. Wenn die Lösung nicht richtig zubereitet ist, bewirkt das Alkali eine chemische Zerstörung der Scheidenschleimhaut und es entsteht eine Fistel.

 

 

[1] Silent Blessings website: http://www.silentblessings.org/. [2] Deaf Women Against violence, 24802 Mission Blvd., Hayward, Ca, 94544 USA.

Kapitel 2 Hinter dem Regenbogen

»Lebe um zu lieben. Liebe um zu leben.«
Amy Carmichael

Tammy Koh war eine Geschäftsfrau. Sie hatte hart gearbeitet, um so weit zu kommen und hatte mit einem Magengeschwür dafür be­zahlt. Woher kam also diese Gewissheit, dass Gott von ihr wollte, Singapur zu verlassen, um in das weit entfernte Königreich Nepal zu gehen? Tammys Leben hatte keinen viel versprechenden Start gehabt. Ihre ersten Jahre waren von der zwanghaften Verhaltensstörung ihrer Mutter überschattet gewesen, einem Verhalten, das ihren Va­ter gewalttätig werden ließ. Ein normales Familienleben war fast unmöglich. Frau Koh übte manipulierende Rituale aus, denen alle folgen mussten, wie zum Beispiel, nur auf einer Seite des Raumes zu gehen oder den Wasserhahn auf eine ganz bestimmte Weise aufzudrehen. Tammy und ihre jüngere Schwester erlebten oft die Zornausbrüche ihrer Eltern. Die Situation verschlimmerte sich, bis Tammy neun Jahre alt war. Ihre Mutter kam zu ihr in die Schule, um ihr mitzuteilen, dass sie ihren Vater verlässt. Das kleine Mädchen schaute ihr schockiert und mit gebrochenem Herzen hinterher, während Tränen über ihre Wangen rollten. Würde sie ihre Mutter je wieder sehen? Was sollte aus ihr und ihrer Schwester werden? Herr Koh brachte seine zwei Mädchen zu seinen Schwestern und seiner Mutter. Tammy lehnte sich immer dagegen auf, wenn diese abwertende Bemerkungen über ihre Mutter machten, und sie versuchte ihr Bestes, um sie zu verteidigen. Die ungewöhnlich zu­sammengestellte Familie zog mehrere Male um, was das Gefühl der Schwestern entwurzelt zu sein verstärkte. Eine ihrer Tanten führte ein Bordell. Tammy war erschüttert als der Tag kam, an dem ihre Cousinen in den Betrieb geschickt wurden, um dort zu arbei­ten. Wartete das gleiche Schicksal auf sie und ihre Schwester? Schließlich nahm Frau Koh Kontakt zu ihren Töchtern auf, und sie konnten sich gelegentlich heimlich treffen. Die Mutter ver­traute ihnen an, dass sie in einem kleinen Zimmer wohnte und Geld sparte, damit sie eines Tages wieder beisammen wohnen können. Doch ihr Vater erfuhr von diesen Treffen. Betrunken und voller Zorn fiel er über die Mädchen her und schlug sie brutal zu­sammen. Tammy wurde in die Höhe gehoben und auf den Boden geworfen. »Bei wem wollt ihr wohnen?«, schrie er, »bei mir oder eurer Mutter? Entscheidet euch!« Tammys verschreckte Schwester stotterte, sie wolle bei ihm bleiben. Aber Tammy schüttelte den Kopf. Sie wollte weggehen und bei ihrer Mutter wohnen. Mit einem zornerfüllten Brüllen zerrte ihr Vater seine verletzte und blutende Tochter unvermittelt aus dem Haus hinaus. Als die beiden zu einem Friedhof kamen, griff er in seine Tasche und warf einige Dollar auf Tammy. »Wenn du deine Mutter willst«, sagte er zu ihr, »solltest du ein­fach abhauen und sie finden. Ich möchte nichts mehr mit dir zu tun haben. Es ist zu Ende!« Tammy schluchzte, als er nochmals fluchte und davon stapfte. Zum zweiten Mal war sie von einem Elternteil verstoßen wor­den. Nach einer vermeintlichen Ewigkeit erbarmte sich ein vorbei­kommender Fremder des armen Kindes und half ihr, die Adresse ihrer Mutter zu finden. Für die nächsten Jahre lebte Tammy bei ihrer Mutter und Groß­mutter in einem beengten Appartement. Schließlich stieß auch ihre Schwester zu ihnen. Aber Tammys Hass gegen ihren Vater lo­derte in ihr und entlud sich in Rebellion. Als Teenager verschaffte sie sich den Ruf, dass sie sowohl mit Freunden als auch Verwand­ten auf Kriegsfuß stand. Die Beziehung zu ihrer alten Großmutter war besonders von Feindseligkeit geprägt. Als sie vierzehn war, hatten sie eines Tages einen besonders erbitterten Streit. Tammy bekannte einem Freund, dass ihr Temperament ihr zu schaffen machte. Er vertraute ihr an, wie sich sein eigenes Leben verändert hatte, nachdem er sich Jesus ausgeliefert hatte. Die Familie Koh waren strenge Buddhisten oder Taoisten[1], und Tammy wollte den alten Traditionen gegenüber nicht untreu sein. Aber sie war ver­zweifelt. Sie betete, bekannte ihre Sünden und bat Christus, die Kontrolle über ihre verwirrten Emotionen zu übernehmen. Oberflächlich betrachtet veränderte sich nichts Wesentliches. Aber der Hass, der Tammy innerlich so lange aufgefressen hatte, verschwand auf unerklärliche Weise. Sie war erstaunt, dass sie so­gar Mitleid für ihren Vater entdecken konnte. Als er sie ungefähr ein Jahr später das nächste Mal besuchte, traten Tränen in Tammys Augen. Sie erkannte, dass es keine logische Erklärung für ihr ver­ändertes Herz gab, aber sie sah es als Beweis der heilenden Begeg­nung mit Gott an. Die Familie versuchte sogar wieder für eine Zeit zusammen zu leben, was aber nicht klappte. Frau Koh freute sich, die Veränderung an ihrer rebellischen Tochter zu beobachten. Ihre Zustimmung schlug jedoch in Zorn um, als ihr Tammy erklärte, dass sie Christin geworden war. In den Augen der älteren Frau war dies ein Verrat an allem, was als Chine­sisch galt. Tammy wusste, dass von ihr als dem ältesten Kind erwartet wurde, alle religiösen Pflichten, wie zum Beispiel die Ah­nenverehrung, zu erfüllen. Frau Koh verbot ihr die Kirchenbesu­che und versuchte, sie von christlichen Freunden fern zu halten. Tammy war

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 05.09.2013
ISBN: 978-3-7309-4758-6

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Widmung:
Ein Buch aus der Reihe "OM Books" von OM Deutschland. www.om.org/de OM arbeitet in mehr als 110 Ländern, motiviert und rüstet Christen aus, Gottes Liebe an Menschen in der ganzen Welt weiterzugeben. OM möchte helfen, Gemeinden zu gründen und zu stärken, besonders in den Gebieten der Welt, in denen Jesus am wenigsten bekannt ist.

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