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Einleitung

Der Versuch einer Rechtfertigung

Warum brauchen wir ein weiteres Buch über Jüngerschaft? Zwei Dinge, die ich in den vergangenen Monaten gelesen, und eine Sache, die ich gesehen habe, bewegten mich schließlich dazu, mich an den Computer zu setzen und dieses Buch zu schreiben. Ron Sider schrieb das Buch The Scandal of the Evangelical Conscience — Why are Christians living just like the rest of the world? (Der Skandal des evangelikalen Gewissens — Warum leben Christen genauso wie der Rest der Welt?). Indem er sich auf Forschungsergebnisse bezog, die vor allem von George Barna stammen, zeigte er die geistliche Zerrissenheit auf, die unter dem Großteil der amerikanischen Christen des einundzwanzigsten Jahrhunderts so augenscheinlich erkennbar ist. Scheidungen sind dort innerhalb der Kirche etwas häufiger als außerhalb.[1] Die Menschen, die am ehesten Vorbehalte gegenüber Nachbarn ethnischer Abstammung haben, sind weiße Evangelikale.[2] Das sind nur zwei Statistiken von vielen, die bei mir eine tiefe Beunruhigung und fundamentale Fragen auslösten. Doch das ist nicht nur ein amerikanisches oder sogar rein westliches Problem. Der Völkermord in Ruanda, bei dem 900 000 Menschen abge­schlachtet wurden, bewirkte bei mir eine ähnliche Verwirrung. Dieses Gebiet, das im Zentrum der Erweckung Ostafrikas lag, war zu dieser Zeit theoretisch der »christlichste« Ort der Erde. Das Problem von Christen, die nicht leben, wie sie sollten, gibt es nicht nur in Amerika oder Afrika: meiner Erfahrung nach liegt es ganz in meiner Nähe. Meine eigenen persönlichen Beobachtun­gen im örtlichen Gemeindeleben in England und mein Dienst in der globalen Gemeinde haben diese tiefe Besorgnis verstärkt. Ich kenne christliche Leiter, die viele Jahre hindurch ein Doppelleben führten. Sie predigten regelmäßig das Wort und waren doch gleichzeitig ihren Ehefrauen ständig untreu. Ich weiß auch von an­deren Christen, die gerne darüber sprachen, dass sie in manchen Situationen Steuern nicht bezahlten, die sie eindeutig hätten be­zahlen sollen. Ebenso bin ich über die Tendenz von Christen besorgt, sich von anderen Christen oft wegen eher unwesentlichen Fragen ab­sondern. Einzelne gehen anderen aus dem Weg; sie bleiben zwar in derselben Gemeinde und begegnen sich an demselben Tisch zum Brotbrechen, aber sie haben manchmal über Jahre hinweg keine Beziehung zueinander. Ich sehe diese Neigung zur Spaltung be­sonders in Gemeinden, die auf Grund nebensächlicher Lehrfragen wenig oder nichts mit anderen Gemeinden zu tun haben wollen. Diese Risse im Leib, ob persönlich oder als Gemeinschaft, sind manchmal lange Zeit hindurch nicht gekittet worden, obwohl die Bibel deutlich lehrt: »Die Sonne gehe nicht unter über eurem Zorn« (Eph 4,26). In meiner örtlichen Gemeinde war in den letzten Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts Evangelisation immer das Thema auf unseren Tagesplänen. Die Großveranstaltungen mit Billy Gra­ham gaben uns Auftrieb, aber in unserer eigenen Gemeinde ver­ging viel Zeit, manchmal Jahre, bevor jemand zum Glauben an Christus kam. Das ist jetzt nicht mehr der Fall; das Thema heute ist: Wie können wir dafür sorgen, dass Gläubiggewordene zur Reife in Chris­tus gelangen? Sind sich diejenigen, die sich entscheiden, Christen zu werden, dessen bewusst, dass dies nicht möglich ist, ohne sich zu entscheiden, als Jünger Jesu zu leben? Es bedeutet, die »Weltan- schauung« Jesu zu übernehmen, sodass sie durch ihren Wandel mit Jesus und das Studium seiner Lehren allmählich ihr Leben und die Welt mit seinen Augen betrachten. Wir können nicht auf Jesu Ruf reagieren, nur um heute ein ruhiges Gewissen und eine Art Versi­cherungsgarantie für unsere Zukunft zu erhalten. Die einzig zuläs­sige Antwort auf Jesu Einladung ist der Schritt, dass wir uns ihm als dem Herrn unseres Lebens unterordnen. Dieses Unterordnen kann nur in ganzheitlich gelebter Jüngerschaft zum Ausdruck kommen.

Vieles, was für neutestamentliches Christentum ge­halten wird, ist kaum mehr als objektive Wahrheit, die mit einem Lied versüßt und durch religiöse Unterhaltung schmackhaft gemacht wird. [3]
A. W. Tozer

In vielen Teilen der Erde, die ich durch meine Arbeit mit OM besuchen darf, begegnen mir ähnliche Erschei­nungen. Länder, die vor einer Genera­tion noch als vorrangige Missionspro­jekte betrachtet wurden, sind inzwischen zu aussendenden Ländern geworden. Doch viele Gemeindeleiter in diesen Ländern fragen sich, ob das Wachstum, das zu beobachten ist, wirklich tief geht.

 

Amazing Grace (Wunderbare Gnade)

All das hat für mich fundamentale Fragen aufgeworfen: Fragen über das Evangelium, das wir predigen, über die Lehre in unseren Gemeinden und über unser grundlegendes Verständnis darüber, was es bedeutet, Christ zu sein. Aber Gott sei Dank habe ich auch das Gegenteil gesehen: Menschen, die durch die Kraft Christi völ­lig umgestaltet wurden. Diese Umgestaltung hat sich nicht nur auf ihre Sonntagsgestaltung, sondern auf ihr ganzes Leben ausgewirkt. 1 A. W. Tozer, zitiert in Gathered Gold, zusammengestellt von John Blanchard (Welwyn, Evangelical Press, 1984).

In meiner Jugend wurde mir einmal von einem wohlwol­lenden Sonntagsschullehrer gesagt, es sei egal wie mein Leben moralisch aussieht. Wenn ich ein Christ sei (defi­niert als jemand, der Jesus Christus angenommen hat, indem er ein spezielles Gebet gesprochen hatte), dann hätte ich Sicherheit für die Ewigkeit und könnte leben, wie ich wolle. Dieser Lehrer, eine gottesfürchtige Person, fügte dann sehr schnell hinzu, dass es nicht Gottes Wille sei, dass man ein moralisch verdorbenes Leben führe, und dass mein Leben dadurch sicherlich im Chaos enden würde . . . Diesen ersten Gedanke des Lehrers möchte ich aber hinterfragen. Ich behaupte, dass die Aussage, ein Christ könne ein moralisch verdorbenes Leben ohne Be­einträchtigung für die Ewigkeit führen, weder mit dem Evangelium übereinstimmt noch mit der Art und Weise, wie das Neue Testament die Auswirkungen der Errettung beschreibt.
Sam McKnight [4]

Ich habe gesehen, wie ganze Familien oder sogar Siedlungen tief und bleibend verändert wurden.

Beim Schreiben dieser Zeilen las ich mein tägliches E-Mail (BreakPoint genannt), das ich von Chuck Colson bekomme. Es ent­hielt zwei Geschichten von »eklatanter Ungerechtigkeit und un­fassbarer Barmherzigkeit«. Hier eine kurze Zusammenfassung einer dieser Geschichten: Willie >Pete< Williams, ein Afro-Amerikaner aus Georgia, verbrachte mehr als zwei Jahrzehnte im Ge­fängnis für Straftaten, die er nicht begangen hatte. Er wurde 1985 für schlimmste Sodomie, Entführung und Vergewaltigung zu 45 Jahren Gefängnis verurteilt. Williams betonte immer seine Un­schuld und die Vereinigung Innocence Project griff seinen Fall auf. Nach Ermittlungen brachten sie den Fall erneut vor Gericht, und Williams wurde für unschuldig befunden.

Nachdem er einige Zeilen von dem Lied »Amazing Grace« ge­sungen hatte, verließ er das Gefängnis als freier Mann und ging nach Hause, um mit seiner Familie ein Steak zu essen. Einige Tage danach trat er in einer Nachrichtensendung auf und behauptete, dass er nicht zornig darüber sei, die Hälfte seines Lebens hinter Gittern verbracht zu haben. Stattdessen demonstrierte er Barm­herzigkeit und Vergebung. »Jeder kann etwas falsch machen«, sagte er, »wir alle sind nur Menschen.« Williams schreibt seine be­merkenswerte Fähigkeit zu vergeben dem Umstand zu, dass er sich im Gefängnis zu Christus bekehrt hat. »Das ist mein Fels ge­wesen«, sagte er. Sein Glaube an Christus hat ihn die Jahre hin­durch getragen, in denen er als Sextäter galt, und er schenkte ihm Hoffnung, dass eines Tages seine Unschuld ans Licht kommen würde.

Und warum sollte nun ausgerechnet ich dieses Buch schreiben? Ich kämpfte monatelang mit der Antwort. Mein Leben lang bin ich gerne gelaufen, aber ich habe nie daran gedacht, ein Buch über das Laufen zu schreiben. Wie sehr ich mich auch bemühe, ich bin kein großartiger Läufer. Ich kämpfe damit, zehn Kilometer in weniger als vierzig Minuten zu bewältigen, und einen Marathon in weniger als drei Stunden zu laufen, würde mir mein Äußerstes und mehr als das abverlangen. Ich dachte immer, ein Buch über das Laufen sollte von jemandem geschrieben werden, dessen Zeit auf der Marathondistanz näher bei zwei als bei drei Stunden liegt.

Wenn es um Jüngerschaft geht, bin ich ganz gewiss kein »Zwei­-Stunden« Läufer! Ich hatte die besten Vorraussetzungen! Meine Eltern beteten, dass ich ein Nachfolger Christi würde, sobald sie wussten, dass ich unterwegs war. Sie beteten täglich und lebten mir Jüngerschaft vor. Ich hatte das Vorrecht, Mitglied einer Gemeinde zu sein, in der viele Menschen regelmäßig für mich beteten und mir Vorbild waren. Aber ich war ein Kämpfender mit viel Ver­sagen, und ich kämpfe noch immer. Doch im Verlauf der Jahre wuchs die Sehnsucht und durch Gottes Gnade hat es Fortschritte gegeben. Ich kann aufrichtig sagen, dass ich nicht mehr bin, wie ich war. Mein Wunsch nach mehr ist groß. Ich glaube, Gott möchte, dass ich einige dieser Erfahrungen mit anderen teile, und vielleicht hat ein Jünger, der Schwierigkeiten kennt, anderen mehr zu sagen, als einer, der keine Kämpfe hatte. Das ist mein einziger Grund, warum ich dieses Buch schreibe.

 

Fragen

 1) Wie kann es sein, dass manche glauben, sie wären Chris­ten, und sind doch gleichzeitig den klaren Geboten Gottes eindeutig ungehorsam? Wie kommt es dazu, dass Men­schen so leben und trotzdem glauben, sie wären hingege­bene Christen? 

2) Was solltest du tun, wenn du nach dem Lesen dieses Kapi­tels erkannt hast, dass es eine Beschreibung deiner selbst ist? Wirf einen Blick auf die Gemeinde in Laodizäa, wie sie in Offenbarung 3,14-22 beschrieben wird, und überlege eine Antwort.

 

Bücher

Ron Sider, The Scandal of the Evangelical Conscience (Grand Rapids: Baker Books, 2005).
George Barna, BoilingPoint—It only Takes One Degree (Ventura, Ca. Regal, 2001).

 

[1] Ronald J. Sider, The Scandal of the Evangelical Conscience (Grand Rapids, Baker Books, 2005). [2] Ronald J. Sider, The Scandal of the Evangelical Conscience (Grand Rapids, Baker Books, 2005), mit Zitat aus George Gallup Jr. und James Castelli, The People’s Religion (New York, Macmillan, 1989). [3] A.W. Tozer, zitiert in Gathered Gold, zusammengestellt von John Blanchard(Welwyn, Evangelical Press, 1984). [4] Scot McKnight, The NIV Application Commentary – Galatians (GrandRapids, Zondervan, 1995).

Teil 1 Prinzipien

    

Kapitel 1 Wiedergeboren

Auf der ganzen Welt kann man Personen sehen, die wie Pete Wil­liams (siehe Einleitung) durch die Kraft Christi völlig umgestaltet wurden. Genauso kennen wir zweifellos auch Menschen, die ein Interesse an Christus zeigen oder eine gewisse Beziehung zum christlichen Glauben haben; aber weder sie noch ihre Bekannten, die ihr Leben kennen, würden von einer völligen Umgestaltung ihres Lebens sprechen. Manche von ihnen sind den anderen ge­genüber skeptisch, deren Leben völlig umgestaltet wurde. »Ist das nicht übertrieben, was sie machen? Ich bin bereit, in die Kirche zu gehen und meine Geldspende in die Kollekte zu geben. Der Christliche Hilfsdienst wird von mir immer einen Beitrag bekom­men, wenn er an meiner Tür läutet. Aber diese Leute, die von völ­liger Veränderung sprechen, beunruhigen mich, denn manche von ihnen reden nicht nur davon, sie leben es! Sie scheinen so viel zu geben, in manchen Fällen sogar mehr als ein Zehntel ihres Ein­kommens. Ich glaube nicht, dass ihr Handicap beim Golf jemals einstellig wird, weil sie mit ihrer Gemeinde und anderen christ­lichen Aktivitäten so beschäftigt sind, dass sie nichts damit anfan­gen würden, wenn sie einmal ein Wochenende frei hätten.« Die jüngsten Statistiken in Großbritannien zeigen uns, dass sich dort 72% der Bevölkerung als Christen bezeichnen. Doch für wie viele davon bedeutet das die völlige Umgestaltung ihres Lebens? Der Zweig der Kirche, der weltweit das größte Wachstum auf­weist, ist jener, den wir entweder zu den Charismatikern oder Evangelikalen zählen, und viele von diesen würden mit beiden Be­zeichnungen einverstanden sein. Aber die Ergebnisse von Umfragen, wie der im vorigen Kapitel erwähnten, werfen die Frage auf, in welchem Ausmaß ihre Erfahrung zu einer Lebensveränderung führt?  

Wir täuschen uns, wenn wir glauben, dass es ausreicht, eine Entscheidung getroffen zu haben, und damit in Gottes Augen für immer in Sicherheit zu sein. Wir täu­schen uns, wenn wir glauben, dass wir ein unmoralisches Leben führen können; dass wir Beziehungen mit Partnern eingehen können, mit denen wir nicht verheiratet sind; dass wir andere um ihr Geld betrügen können; dass wir nichts unternehmen müssen, um soziale Missstände in unserer Welt zu beseitigen, und wenn wir mit unseren Kindern und Familienmitgliedern im ständigen Konflikt leben - wir täuschen uns ... wenn wir glauben, dass wir so leben und gleichzeitig vorgeben können, Frieden mit Gott zu haben und die Rechfertigung durch seinen Sohn zu besitzen.[1]
Sam McKnight  

Stehen uns also unterschiedliche Ebenen christlicher Hingabe zur Auswahl? Wenn wir die christliche Herausforderung anneh­men, können wir dann zu verschiedenen Bedingungen einsteigen, je nachdem welchen Preis wir zu zahlen bereit sind? In meinem Beruf fliege ich sehr viel und momentan stehe ich gerade vor der Entscheidung, zu welchen Bedingungen ich mich einer bestimm­ten Flugpassagiervereinigung anschließen sollte. Der Preis, den ich zu zahlen bereit bin, wird bestimmen, welche Vorrechte ich be­komme. Ist es beim Ruf des Christus ebenso? Auch wenn es oft so scheint, trifft es nicht zu. Ich bin ernsthaft überzeugt, dass wir den Anfang der Jüngerschaft oft völlig falsch angehen. Um es klar auszudrücken: wir schulen Menschen in Jün­gerschaft, die gar keine Christen sind. Es kann sein, dass sie Res­pekt für Jesus empfinden und sich vom christlichen Glauben ir­gendwie angezogen fühlen, aber — um es mit den Worten Jesu zu sagen — sie sind nicht »aus Geist geboren« (Johannes 3,5). Das ist natürlich nicht der einzige Grund, warum Menschen mit Jünger­schaft kämpfen. Bei manchen hat Gott gewiss in ihrem Leben ge­wirkt, und sie haben ein Verlangen, ihm zu folgen, aber sie haben nie wirklich verstanden, was alles dazu gehört, wenn man Jesus nachfolgt, und haben nie den Preis überschlagen, den man zahlen muss.

 

Du musst von neuem geboren sein

»Wenn jemand nicht von neuem geboren wird, kann er das Reich Gottes nicht sehen« (Johannes 3,3). Das war die Herausforderung, die Jesus Nikodemus stellte. Nikodemus war ein religiöser Mann. Seine Qualifikation war bemerkenswert: Er war Mitglied des Ho­hen Rates, ein Pharisäer und damit jemand, der für das Gesetz Gottes eiferte. Jesus nannte ihn »Lehrer Israels« (Johannes 3,10), und manche vermuten, dass er zu jener Zeit einer der prominen­testen religiösen Lehrer in der Gegend gewesen sein könnte. Er war mit den Schriften des Alten Testamentes vertraut und ver­suchte höchstwahrscheinlich, nach diesen Prinzipien zu leben. Aber Jesus war sehr direkt. Nikodemus benötigte noch etwas mehr, wenn er je mit Gott im Reinen sein wollte: So viel mehr, dass die einzige Möglichkeit, es zu beschreiben, darin besteht, es als »von neuem geboren« zu bezeichnen. Diese Worte könnten auch als »von oben geboren« übersetzt werden.    

Christliche Gemeinschaft ist mit dem Vater und dem Sohn, und er wird es vollkommen klar machen, dass sich niemand einer Beziehung mit Gott erfreuen kann, ohne sich einer Beziehung mit Jesus zu erfreuen (1. Johannes 2,23). Johannes fängt mit Gott an. Er geht nicht davon aus, dass das christliche Volk immer richtige Vorstellungen von Gott haben wird. Er sagt: »Dies ist die Botschaft, die wir von ihm gehört haben und euch verkünden: dass Gott Licht ist« (1. Joh 1,5). Hier ist der Unterschied zwischen liberaler und biblischer Theologie. Liberale Theologie stellt immer den Menschen in den Mittelpunkt; biblische Theologie stellt immer Gott in das Zentrum.
Liam Goligher[2]

Jesus spricht von einer übernatürlichen Erfahrung, die Nikode­mus nicht selbst bewirken konnte. Er spricht von einer vollkom­menen und radikalen Erfahrung: nicht einer Änderung, sondern von einer totalen Revolution, sogar von einer Regeneration (Neu­aufbau), einem völlig neuen Leben. Obwohl das etwas war, das Gott Nikodemus in einem Augenblick schenken konnte, würde dieser sein Leben lang brauchen, es zu schätzen und auf das ganze Wirken Gottes zu reagieren. Am Tag bevor ich das schrieb, hörte ich mir eine evangelistische Botschaft auf einer CD an. Am Ende der Botschaft sagte der Sprecher: »Das Einzige was du jetzt tun musst, ist meine Worte nachzusprechen.« Es folgte ein einfaches Gebet, und der Sprecher versicherte dann seinen Zuhörern: »Wenn du mir diese Worte nachgesprochen hast, bist du jetzt ein Christ und du musst nur ei­nen anderen Christen finden und ihm erzählen, was du getan hast.« Es gab überhaupt keine Erklärung über den radikalen Charakter der Bekehrung und die ganze Auswirkung auf das Leben, die dar­auf folgen muss; keine Erläuterung vermittelte den Anwesenden, dass damit eine komplette Unterordnung unter Jesus als Herrn ihres Lebens gemeint ist. Ich glaube, dass der Redner trotz lauterer Gesinnung doch ein völlig falsches Bild davon vermittelte, was es bedeutet, Christ zu werden. Ich fürchte auch, dass die Zuhörer vielleicht sogar glauben werden, verführt worden zu sein, wenn sie allmählich von den Ansprüchen der Jüngerschaft erfahren. Wenn Jesus davon spricht »von neuem geboren zu sein« bezieht er sich auf das Wirken Gottes in unserem Leben, wodurch wir sein göttliches Wesen erhalten. Wir nehmen den Herrn Jesus Christus in unser Leben auf, sein Geist nimmt Wohnung in uns, und unser Körper wird der Tempel, in dem er wohnt.

Die große Tragödie der mo­dernen Evangelisation liegt darin, dass viele zum Glau­ben aufgerufen werden und nur wenige zum Gehorsam.
Jim Wallis

Das muss zur völligen Veränderung unseres Lebens führen und zur Jün­gerschaft, die unser ganzes Leben umfasst, indem wir uns seinen Regeln und seiner Autorität unterwerfen. Das wird uns am Montagmorgen an unserer Arbeitsstelle gleicher­maßen verändern wie am Sonntagmorgen an unserem Anbetungs­ort. Es wird uns genauso verändern, während wir unser lokales Fußballteam anfeuern oder wenn wir mit unserem Partner oder unseren Eltern alleine zu Hause sind. Bei einer Gelegenheit traf Jesus jemanden, der von ihm beein­druckt war und der ihn mit den Worten »guter Lehrer« begrüßte (Markus 10,17). Dieser Mann war selbst eine ziemlich beeindru­ckende Persönlichkeit und wird in Bibelüberschriften manchmal als >der reiche Jüngling< bezeichnet. Als Jesus ihm fünf von den Zehn Geboten zitierte, antwortete er: »Dies alles habe ich gehalten von meiner Jugend an.« Sein Leben war wirklich gut gelaufen; er hatte gutes Geld verdient (V. 22). Aber er wusste, dass sein Leben, in dem es ihm so gut ergangen war, nicht alles sein konnte. Er sorgte sich wegen des Lebens nach dem Tod und wollte sicher sein, dass auch in Zukunft alles für ihn in Ordnung sein würde. Hatte er erkannt, dass Jesus der Schlüssel zu seinem Wohlergehen in der Ewigkeit war? Zog er in Betracht, Jesus als sein Jünger nach­zufolgen? Jesus forderte ihn heraus, da er seinen wunden Punkt genau erkannte: »Eins fehlt dir; geh hin, verkaufe alles was du hast, und gib es den Armen und du wirst einen Schatz im Himmel haben, und komm, folge mir nach!« (V. 21).

 

Kein anderer Auftrag

Wenn Christus einen Men­schen ruft, fordert er ihn auf, zu kommen und zu sterben.
Dietrich Bonhoeffer[3]

Bei Jesus gibt es keine halben Sachen; der Auftrag nachzufolgen, verändert jedes Gebiet unseres Lebens, und es gibt keinen anderen Auftrag. Es gibt keine unterschiedlichen Kategorien, wenn wir in sein Königreich eintreten. Obwohl Jesus es sehr deutlich sagte, dass wir die Kosten überschlagen müssen, bevor wir ihm unser Le­ben übergeben, wäre es falsch verstanden, wenn man glaubt, dass man in Ruhe pro und kontra abwägen kann, um dann zu entschei­den, ob man das Angebot annimmt oder nicht. Er ist der Herr des Himmels und der Erde, der uns ruft, ihm nachzufolgen. Wir müssen erken­nen, dass es alles kosten wird, aber da­durch werden wir auch alles gewin­nen. Die eine Frage lautet: sind wir bereit nachzufolgen, ihm alles zu ge­ben, ihn zum Herrn unseres Lebens zu machen? Es gibt keine an­dere Frage zu beantworten, weil es kein anderes Angebot gibt. Der Apostel Paulus betont auch die radikale Natur der Bekeh­rung und der Jüngerschaft: »Wenn jemand in Christus ist, so ist er eine neue Schöpfung; das Alte ist vergangen, siehe Neues ist geworden« (2. Korin­ther 5,17). Paulus hatte das erlebt. Von dem Augenblick an, als er erkannte, dass Christus den Tod besiegt hatte und für ihn gestor­ben war, wurde seine gesamte Weltanschauung verändert. Paulus’ Denken über sich selbst, über andere und über Christus wurde verändert. Dinge, die früher für ihn von höchstem Wert waren, be­trachtete er nun als Dreck. Die einzige Sache, die er jetzt für wirk­lich wichtig hielt, war seine Stellung vor Gott. Eugene Peterson überträgt die Worte von Paulus so: »Aufgrund dieser Entscheidung be­urteilen wir nun Menschen nicht danach, was sie besitzen oder wie sie aussehen. Wir haben den Messias früher auf diese Weise betrachtet und sind damit völlig falsch gelegen, wie ihr wisst« (2. Korinther 5,16). Dieses veränderte Denken war nicht eine Veränderung, die ein für alle Mal geschah, sondern der Beginn eines lebenslangen Abenteuers. Es ist eine lebenslange Entdeckung und ein lebenslanges Kämpfen. Dieses Buch ist ein Versuch, das Abenteuer begreiflich zu machen und Hilfestellungen für die Schwierigkeiten zu geben.

 

Errettet, bekehrt oder entschieden?

Christ zu werden bedeutet nicht einen Neubeginn im Leben, sondern ein neues Leben zu beginnen.
John Blanchard

Als ich ein Kind war, sprachen Prediger davon, dass Menschen er­rettet sind. Als die Zeit verging, änderte sich die Sprache und Predi­ger sprachen davon, dass sich Menschen bekehrten. Dann gab es nochmals eine Veränderung, und die Menschen wurden aufgefor­dert, eine Entscheidung zu treffen oder ein Bekenntnis abzulegen. Errettet: das ist etwas, das für dich getan wird; eine Handlung Gottes an deiner Stelle. Es klingt sowohl dringlich als auch radikal. Bekehrt: das kannst du selbst tun, aber es klingt noch radikal. Aber eine Entscheidung zu treffen, klingt nach etwas, das du und ich für uns selbst tun. Es klingt auch so, als ob es eine Entscheidung zwischen vielen Wahlmöglichkeiten wäre. Ich bin kein Befürworter der Verwendung veralteter Sprache, aber es ist mir ein Anliegen, dass wir die Bekehrung als Handeln Gottes erklären und schätzen. Es handelt sich um eine neue Geburt; ein Mensch wird verändert, um Teil einer neuen Schöpfung zu werden. Man wird in ein Königreich aufgenommen, daher muss nun völlige Unterordnung unter den König der Könige unser Leben bestimmen. Die Unterordnung ist ein täglicher Kampf, da das Fleisch gegen den Geist aufbegehrt und der Geist gegen das Fleisch streitet. Was denken die Menschen, wofür sie sich entscheiden sollen, wenn sie aufgefordert werden, Jesus nachzufolgen? Verstehen sie darunter, ihren Lebensstil in Ordnung zu bringen, einem neuen Verein beizutreten, ihre Zukunft zu sichern? Es ist wichtig, dass sie von Anfang an erkennen, dass es sich um eine neue Geburt han­delt, und kein Stein auf dem anderen bleiben kann. Wenn wir es hier falsch angehen, werden wir Jüngerschaft nie richtig praktizie­ren. Darf ich dich also ermutigen, an den Anfang zurückzukehren; zu dem Tag oder der Zeit, als du mit Jesus konfrontiert wurdest und erkanntest, wer er ist. Es kann sein, dass du nicht in vollem Ausmaß das Vorrecht, die Herausforderung oder die Kosten der Nachfolge verstanden hast, weil sie dir nicht erklärt wurden. Mach’ dir keine Sorgen! Jesus steht noch immer da und ruft, und die Mög­lichkeit steht uns immer offen, von vorne anzufangen. Dass du dieses Buch liest, könnte Teil dieses Neubeginns sein.  

 

Fragen  

1) Als du Christ wurdest, wofür hast du dich entschieden? Für einen Retter, der deine Sünden vergibt und deine Sorgen wegnimmt? Oder für einen Herrn, der dein Leben be­stimmt? 

2) »Um dich zu bekehren, brauchst du nur an Jesus zu glau­ben und ihn in dein

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 19.07.2013
ISBN: 978-3-7309-3789-1

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Ein Buch aus der Reihe „OM Books" von OM Deutschland. www.om.org/de OM arbeitet in mehr als 110 Ländern, motiviert und rüstet Christen aus, Gottes Liebe an Menschen in der ganzen Welt weiterzugeben. OM möchte helfen, Gemeinden zu gründen und zu stärken, besonders in den Gebieten der Welt, in denen Jesus am wenigsten bekannt ist.

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