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Vorwort

Anfang 1989 kamen wir jung verheiratet in Kairo an. Dies war nicht als kurzes Zwischenspiel in der arabischen Welt geplant, sondern als dauerhafter Aufenthalt. Zwar war unser Reisegepäck vollgepackt mit deutschen Dingen, die wir für wichtig hielten und von denen wir Angst hatten, sie so in der arabischen Welt nicht zu finden – doch im Grunde war uns klar, dass wir unseren Lebensstil und unsere Umgangsformen auf vielen Gebieten radikal ändern mussten, wenn wir die Hoffnung hegen wollten, mehr als nur Gäste und Außenseiter im Lande zu werden.

Unser Domizil schlugen wir in einem der riesigen, überfüllten Vororte auf, die der ärmeren Bevölkerungsmehrheit der Megastadt vorbehalten sind. Privatsphäre und Ruhe waren dort absolute Mangelware. Die tägliche hautnahe Begegnung mit dem Teil der Bevölkerung im Lande, der am wenigsten mit westlicher Kultur und Ausbildung in Kontakt gekommen war, konfrontierte uns sehr schnell mit zutiefst ungewohnten Denkmustern und Verhaltensweisen. Abendland und Orient prallten in unserem Leben aufeinander. Das war zunächst neu und faszinierend, verursachte jedoch bald vor allem Stress und Irritation – der Preis dafür, dass wir uns in den Kopf gesetzt hatten, so schnell wie möglich die arabische Sprache und Kultur kennenzulernen.

In diesen schwierigen ersten Jahren versuchten wir immer, eine Grundhaltung des echten Respekts unseren Gastgebern gegenüber aufrechtzuerhalten. Viele der westlichen Denkmuster, die wir ganz selbstverständlich für ‚richtig‘ gehalten hatten, mussten in Frage gestellt werden. Grundlegende Aspekte unseres Lebens wie das Ehrbewusstsein, der Umgang mit Zeit, die Privatsphäre, Anstand und gutes Benehmen – fast alles wurde in Frage gestellt. Das war zeitweise nicht leicht. Auf dem Höhepunkt dessen, was man Kulturschock nennt, war es für mich überaus schwierig, eine Grundhaltung des Respekts durchzuhalten: Ich erinnere mich noch deutlich an den Moment, an dem ich in jenen Tagen versuchte, unseren Gasherd anzuzünden. Das Streichholz versagte den Dienst – und unwillkürlich schoss mir durch den Kopf: „Noch nicht mal ordentliche Streichhölzer können sie produzieren!“

Aber schlussendlich blieb der Erfolg nicht aus: Nach und nach ging eine erstaunliche Verwandlung vor sich. Die Umgebung, die uns noch vor wenigen Monaten großen Stress verursacht hatte, wurde zur Heimat. Aus oberflächlichen Beziehungen zu Menschen mit allerhöchst seltsamen Verhaltensweisen wurden tiefe Freundschaften, die über viele Jahre halten sollten. Vor Urlaubsreisen nach Deutschland packten wir nun die‚ lebenswichtigen‘ Dinge ein, die man in Deutschland nicht bekommen kann. Das tägliche Leben war längst nicht mehr so furchteinflößend und anstrengend, wie es zu Anfang noch gewesen war. Und darüber hinaus merkten wir, wie unser eigenes Leben und Denken zutiefst bereichert wurden. Es entwickelte sich ein echter Respekt für unsere arabischen Freunde und Nachbarn, der bis heute geblieben und gewachsen ist.

Was nun echten Stress verursachte, war etwas ganz anderes: Besuch aus dem westlichen Ausland. Es war erschütternd zu beobachten, wie sich immer wieder Gäste aus der Heimat wie die sprichwörtlichen Elefanten im Porzellanladen verhielten – und das, obwohl sie eigentlich zutiefst liebenswerte Mitmenschen waren und sich nach bestem Wissen benahmen. Als Bürger zwischen den Welten hatten wir gelernt, die Welt aus arabischer Perspektive zu sehen, waren aber gleichzeitig als Deutsche doch daran interessiert, dass Menschen aus unserer Heimat einen positiven Eindruck in unserer ägyptischen Nachbarschaft hinterließen. Wir sahen unsere Landsleute mit arabischen Augen – und mit dieser Brille gesehen, bot sich uns oft kein schönes Bild. Und so waren wir, so lange Besuch anwesend war, ständig in der Defensive, fühlten uns mit dem Rücken zur Wand, immer beschäftigt die schlimmsten Katastrophen abzuwenden. Viele aus dem Westen hatten keinerlei Gefühl dafür, wie sie auf ihre arabische Umgebung wirkten – und einige waren darüber hinaus in keiner Weise interessiert daran, ein Verständnis zu entwickeln.

Viele Jahre später hat sich unser Horizont innerhalb der arabischen Welt wesentlich erweitert. Ein Jahr lang lebten wir in einem jordanischen Dorf, dessen Leben mehr von dem Lebenshintergrund der Beduinen geprägt war. Reisen führten uns in den Libanon, nach Syrien und auch in den Irak. Und Freundschaften blieben nicht auf die Welt der ärmeren Vororte Kairos beschränkt. Aber die Eindrücke der ersten Jahre sind geblieben, ja haben sich vertieft: Bis heute müssen wir oft den Kopf schütteln über die tiefgreifenden Unterschiede in den Denkstrukturen und Wertesystemen zwischen Orient und Abendland. Bis heute sehen wir die Begegnung mit der arabischen Kultur als zutiefst bereichernd an. Und immer deutlicher erkennen wir, dass Menschen aus dem Westen meistens kein Gefühl dafür haben, wie sie auf die Bevölkerung der arabischen Welt wirken – und das gilt nicht nur für Begegnungen auf der individuellen Ebene, sondern darüber hinaus für die westliche Kultur und Gesellschaft als ganze, und sehr stark auch für die Politik der westlichen Staaten im Nahen Osten.

Dies ist der Hintergrund dieses Buches. Indem wir einige immer wiederkehrende Themen des Verhältnisses zwischen Westen und arabischer Welt aufgreifen, wollen wir deutschen Lesern, so gut es geht, die Brille aufsetzen, durch die sie von ihren arabischen Nachbarn gesehen werden. Das Bild, das sich uns bietet, hat viele Facetten. Einige Aspekte sind durchaus positiv, andere leider nicht sehr schmeichelhaft. Beide Seiten des Bildes sollten wir aushalten – da hilft es unserer Erfahrung nach nicht, sich schnell in seine altgewohnten Denkmuster zurückzuziehen.

Unsere Erfahrung in der arabischen Welt ist gewiss begrenzt, und die Gefahr der leichtfertigen Simplifizierung ist immer groß. Zwischen dem weltoffenen und multikonfessionellen Libanon und dem Wüstenkönigreich von Saudi Arabien, selbst zwischen den immer konservativer werdenden Massen der einfachen Bevölkerung Ägyptens und der Pariser-Chic-tragenden Oberklasse desselben Landes gibt es gewiss große Unterschiede. Dennoch bin ich überzeugt, dass die im folgenden vorgetragenen Beobachtungen von einer großen Mehrheit der Menschen im Nahen Osten geteilt werden. Selbst bei denjenigen Arabern, die sich äußerlich betrachtet wie irgendein Bürger Europas geben, ist ihre ‚Westlichkeit‘ meistens nicht mehr als eine dünne äußere Fassade, hinter der sehr schnell das ‚arabische Herz‘ zu Tage kommt, wenn das Gespräch über Oberflächlichkeiten hinausgeht.

Wir sehen uns als zutiefst privilegiert an ob der Jahre, die wir unter einem durch und durch wertvollen Volk leben und arbeiten konnten.

Mohammed, Ahmed, Suleiman, Amani, Faisa – dieses Buch ist euch gewidmet.

Gewogen und für zu leicht befunden

Der Festsaal der Amerikanischen Universität Kairo ist gefüllt bis auf den letzten Platz. Die Bühne ist ein Meer von schwarzen ehrwürdigen Roben und den fröhlichen Gesichtern der Studenten, deren Absolvierung heute gefeiert wird. Stolz und erleichtert nehmen sie ihre Urkunden entgegen, Reden werden geschwungen, viele schöne Worte gemacht. Zum Abschluss hat ein junger Student das Wort, der als bester des Studienganges Politikwissenschaften abgeschlossen hat:

„Als ich auf der Amerikanischen Universität zu studieren begann, war ich zutiefst fasziniert von Amerika. Und nun, nachdem drei Jahre vergangen sind und nachdem die Faszination verflogen ist, habe ich entdeckt, dass ich in mir überaus tiefe Werte und echte Fundamente habe, die viel wichtiger sind als all das, wovon ich fasziniert war.“

Man sieht in den Augen des einen oder anderen Mitstudenten, dass er ihm zutiefst aus dem Herzen gesprochen hat. Und so fährt er fort und fasst in wenigen Worten einiges von dem zusammen, was die Faszination in Enttäuschung umschlagen ließ: „Um es geradeheraus zu sagen: Wir hassen niemanden und sind gegen niemanden. Aber wir hassen Tyrannei und Brutalität und hassen es, wenn jemand uns seine Meinung aufzwingen will. Wir mögen es nicht, wenn Leute uns als unterentwickelt ansehen oder uns für weniger wert halten als sich selber.“ Tosender Beifall.

„Ich hätte am liebsten 60 Millionen Einladungen verteilt, damit ganz Ägypten an dieser Feier teilnehmen kann. Obwohl das natürlich nicht geht, so haben wir doch jemanden unter uns, der Ägypten in all seinen Werten repräsentiert – meinen Vater, Al-HaggDahschuriKhalaf. Erlaubt mir, dass ich in Respekt seine Hand küsse.“ Mit diesen Worten tritt der junge Mann vom Podium und der Bühne herunter und bahnt sich einen Weg zu seinem alten Vater, der von der ersten Reihe im Zuschauerraum aus den Feierlichkeiten gefolgt war.

Al-Hagg Dahschuris äußere Erscheinung sticht stark vom Rest des Publikums ab: Fast alle anderen männlichen Gäste haben sich dem Stil des Anlasses angepasst und sind in Anzug, Hemd und Krawatte gekommen. Er jedoch, als ober ägyptischer Bauer, hat sich in seine beste weiße, knöchellange Galabiyya1) gekleidet, die schwarze ‘Abiyya für feierliche Anlässe übergeworfen, und sich seinen Turban mit extra viel Mühe gebunden. In seinem Gesicht sind die Entbehrungen eines langen Lebens und die Mühen der Arbeit unter der sengenden Sonne Oberägyptens eingegraben. Er sieht anders aus als die meisten anderen Gäste und seine Züge sind die eines einfachen Mannes – aber seine Erscheinung gebietet Respekt und zeugt von tiefem Ehrgefühl.

Die soeben geschilderte Szene ist so nicht wirklich geschehen. Es ist die Schlussszene des Films „Ein Oberägypter an der Amerikanischen Universität“, der 1998 ein überaus erfolgreicher Kinokassenschlager war. In der Titelrolle spielt Mohammed Heneidy, einer der ganz großen Komiker der arabischen Filmindustrie, den Sohn eines oberägyptischen Bauern. Ein sehr guter Schulabschluss öffnet ihm die Tür zum Studium an der renommierten Amerikanischen Universität in Kairo. Doch von dem Augenblick, an dem er in seiner Studentenbude ankommt, beginnen die Probleme. Zwei Welten prallen aufeinander: Kulturschock eines Ägypters mitten in seinem eigenen Land, Ägypten.

Der Rest des Filmes ist eine schwere Belastung für das Zwerchfell. Ein Lacherfolg jagt den anderen, während unser Junge aus der Provinz verzweifelt versucht, sich dem westlichen Lebensstil seiner Universität anzupassen und dabei von einem Fettnäpfchen ins andere tritt. War er am ersten Tag noch zutiefst schockiert von den eng geschnittenen Jeans, die seine Mitstudentinnen zu tragen wagten, („He Leute, kann sich nicht mal jemand um weitere Hosen für die Damen kümmern?“) so sieht man ihn schon wenig später seinen altmodischen Anzug gegen „casual“Kleidung eintauschen. Ein Mitstudent aus wohlhabender Familie, selbst so sehr um westlichen Lebensstil bemüht, dass er kaum noch einen Satz zu Ende bringt ohne englische Phrasen einzufügen, führt ihn in die westlichen Laster des Alkohol und Drogengenusses ein. Der respektvolle Abstand zu Mädchen, zu dem er erzogen wurde, löst sich auf. Geld, Autos – unser Held will in nichts außen vor stehen. Aber in dem Maße, in dem er sich in einen modernen, liberalen, individualistischen und westlichen Zeitgenossen verwandelt, geht es gleichzeitig mit seinem Leben, seinem Studium und den Beziehungen, die ihm am wichtigsten sind, stetig bergab.

Ein Besuch seines alten Vaters bringt die Wende. Bei einer Tasse türkischem Kaffee und einer Wasserpfeife sitzen die beiden in einem Café. In typisch orientalisch-indirekter Weise erzählt der Alte seinem Sohn eine Beispielgeschichte und erinnert ihn auf seine Art an seine Wurzeln in der arabischen Kultur. Es erscheint nur natürlich, dass Vater und Sohn anschließend zum Gebet in die nahe gelegene Moschee gehen.

Der Film ist wirklich sehr lustig. Wir haben viel gelacht. Doch gleichzeitig, daran kann ich mich noch gut erinnern, hat er auch bei uns westlichen Ausländern im Kino einen faden Nachgeschmack hinterlassen. Die Botschaft ist klar und deutlich: Das westliche Leben mag faszinierend sein und viel Spaß machen, aber was wir als Araber durch ein solches Leben verlieren, ist unendlich viel wertvoller: Wir verlieren die Kraft unserer Freundschaften und Beziehungen untereinander, verlieren die Sicht für echte romantische Liebe, verlieren unsere Wurzeln und die Werte, mit denen wir großgezogen wurden, und schließlich auch die Kraft unserer Religion.

Faszination, Desillusion – ein vernichtendes Urteil über westliche Kultur. „Gewogen und für zu leicht befunden“.

Über die Enttäuschung hinaus spürt man in den Worten von Khalafaber auch einen tiefen Widerwillen gegen das, was von vielen in der arabischen Welt bis heute als westliche Tyrannei und Imperialismus empfunden wird. Es ist dieser Widerwille, der hier und da in rasende Wut umschlägt, der Menschen im Westen in diesen Tagen am meisten bewegt und besorgt, wenn sie an Araber denken: Wo kommt diese Wut dem Westen gegenüber her, die uns immer wieder ins Gesicht schlägt? Nach den schrecklichen Terroranschlägen vom 11. September 2001 in New York überschrieb das Wochenmagazin „Newsweek“ seinen Leitartikel mit den Worten „Warum hassen sie Amerika?“.

Von Dezember 2001 bis Februar 2002 führte das renommierte amerikanische Gallup-Institut eine Umfrage in der islamischen Welt durch, wie es sie in dieser Form vorher nicht gegeben hatte. Das Ziel war es, einige Monate nach den Anschlägen vom 11. September, die Gefühle und Gedanken der Bevölkerung, auch und besonders dem Westen gegenüber, so umfassend und wissenschaftlich exakt wie möglich zu erfassen. Zu diesem Zweck wurden mehr als 10 000 Personen in neun verschiedenen islamischen Staaten 2) in Gesprächen von je einer Stunde Dauer interviewt. Was die größte Überraschung verursachte und zu vielen Diskussionen führte, als die Ergebnisse der Studie veröffentlicht wurden, war wohl das Ausmaß der antiwestlichen Gefühle in der islamischen Welt:

„Die anfängliche Wirkung war unglaublich,“ erinnert sich Alec Gallup. „Ich denke, viele Menschen in den Vereinigten Staaten waren überrascht, als sie herausfanden, wie negativ die islamischen Nationen wirklich über uns denken. Die allgemein akzeptierte Weisheit war zuvor gewesen, dass nur die extremen Elemente am Rande der dortigen Gesellschaften antiamerikanisch sind, und dass diese Gefühle nicht sehr tief in der Bevölkerung verwurzelt sind. Unsere Zahlen zeigen, dass das nicht der Fall ist.“ 3)

Nun richtet sich zwar einiges in dieser Studie besonders auf das Denken und Fühlen der Menschen in der islamischen Welt den Vereinigten Staaten gegenüber, aber das meiste lässt sich doch auch auf den europäischen Westen übertragen. Bleibt uns die Frage: Wie gehen wir mit den negativen Emotionen, die uns aus der arabischen Welt entgegenschlagen, um? Wie erklären wir sie uns? Wohin geht der Weg? An Theorien, Meinungen und Lösungsvorschlägen hat es in den vergangenen Monaten wahrlich nicht gefehlt.

Ein Name, der immer wieder genannt wird, ist der amerikanische Kulturwissenschaftler Samuel P. Huntington und seine These vom „Zusammenstoß der Zivilisationen“, die er 1993 in einem berühmten Artikel mit demselben Titel zum ersten Mal vorstellte. 4) Huntington stellt den Konflikt zwischen dem Westen und dem Islam in einen weiten historischen und globalen Rahmen: Die weltpolitische Lage hat sich nach dem Ende des Kalten Krieges radikal verändert. Zuvor waren unterschiedliche ideologische und wirtschaftliche Systeme die Quelle der schwersten und gewalttätigsten Rivalitäten und Auseinandersetzungen. In unseren Tagen ist das anders:

„Die großen Trennungslinien in der Menschheit und die Hauptquellen für Konflikte werden kultureller Natur sein.

Staaten werden weiterhin die mächtigsten Spieler in der Weltpolitik sein, aber die tiefliegenden Konflikte in der Weltpolitik werden sich zwischen Nationen und Gruppen unterschiedlicher Zivilisationen abspielen. Der Zusammenstoß der Zivilisationen wird die Weltpolitik bestimmen. Die Trennungslinien zwischen Zivilisationen werden die Frontlinien der Zukunft sein.“ 5)

Obwohl Huntington im Folgenden von sieben oder acht großen Zivilisationen auf der Welt spricht, so konzentriert er sich doch vor allem auf die Auseinandersetzung zwischen dem Westen und dem Islam. Er macht keinen Hehl daraus, dass er vor allem aus der Richtung der islamischen Welt großes Potenzial für gewaltsame Konflikte sieht: „Der Islam hat blutige Grenzen.“ 6) Die Herausforderung, der die westlichen Nationen nun gegenüberstehen, ist die Verteidigung und Behauptung ihrer militärischen und wirtschaftlichen Vormachtstellung in der Welt, insbesondere gegenüber der islamischen Zivilisation.

Ist die Ablehnung und Wut dem Westen gegenüber, die wir hier und dort von Seiten unserer südöstlichen Nachbarn spüren, also der Beginn eines globalen Machtkampfes zwischen zwei großen Zivilisationen, so wie ihn Huntington vorausgesagt hat? Ihm gegenüber stehen Denker wie der 2003 verstorbene Edward W. Said – ein international viel beachteter Literaturprofessor palästinensischer Herkunft, der in den Vereinigten Staaten lebte. Für ihn ist die ganze These vom „Zusammenstoß der Zivilisationen“ nichts als der Versuch der unerträglichen Simplifizierung einer überaus komplizierten Welt.

„Dies ist das Problem mit diesen unerbaulichen Etiketten wie ‚Islam‘ und ‚der Westen‘: Sie führen in die Irre und verwirren unsere Gedanken. Wir versuchen, eine Realität zu erfassen, die sich nicht einfach so in ordentliche Kategorien einordnen und festlegen lässt.“ 7)

Es sei viel einfacher, Trennungslinien in der Welt zu ziehen und daraus seine Legitimation für den „Krieg des Guten gegen das Böse“ zu beziehen, als sich der Realität der vielfachen und komplizierten Verflechtungen „unseres“ und „ihres“ Lebens zu stellen.

Dies ist kein kulturphilosophisches Buch und wir werden uns nicht anmaßen, ein letztes Urteil über die oben dargestellten Theorien zu fällen. Vielmehr ist unser Ziel sehr einfach: Wir wollen das, was ein Großteil der Menschen im arabischen Kulturkreis uns gegenüber fühlt und denkt und was sie uns zu sagen haben, gründlich verstehen. Dazu müssen wir sorgfältig zuhören und beobachten.

Besonders in diesen Tagen ist es schwer, mit Menschen im Nahen Osten über ihre Gefühle dem Westen gegenüber zu sprechen, ohne dass sich sofort sehr negativ belastete politische Themen wie Palästina und der Irak in den Mittelpunkt drängen. Dennoch wollen wir hier zunächst mit dem Positiven beginnen, den Aspekten der westlichen Welt, die im Orient bewundert werden.

Die glitzernde Welt

„Hallo! Wie geht es dir? Was macht die Gesundheit? Ist das schön, dich mal wieder zu sehen! Ich muss dir unbedingt eine Cola ausgeben. Nein, keine Widerrede – hier, trink, es ist heiß!“ Mitten in dem Menschengewimmel der Marktstraße in unserer Nachbarschaft hatte Ahmed mich entdeckt und war schnurstracks auf mich zugeeilt. Ich versuche, seine Herzlichkeit halbwegs zu erwidern – aber in mir gehen mehrere Warnlampen an: Ahmed und ich kennen uns höchstens flüchtig, und sein Gebaren erscheint reichlich übertrieben, selbst für orientalische Verhältnisse. Die Vermutung liegt nahe, dass er – und schon kommt die erwartete Frage: „Sag mal, du hast doch viele Beziehungen in Deutschland. Kannst du mir nicht irgendwie helfen, ein Visum zu bekommen? Ich krieg hier kein Bein auf die Erde. Wir haben einfach keine Möglichkeiten in diesem Land, aber irgendwann will ich doch heiraten. Ein paar Jahre Arbeit in Deutschland, und ich habe das Geld für Wohnung, Aussteuer und Einrichtung zusammen …“

Wer als westlicher Ausländer viel Kontakt mit dem nicht so privilegierten Teil der Jugend eines arabischen Landes hat, wird dutzende von Begegnungen dieser Art haben. Ein amerikanischer Freund, den ein junger Mann in Kairo um ein Visum in die USA gebeten hatte, antwortete ihm: „Du, ich kann dir nicht helfen. Ich bekomme Anfragen wie deine jeden Tag, wo soll ich da anfangen und aufhören?“ Sein Gegenüber wollte das nicht so recht glauben und so schlug mein Freund vor: „Komm, wir setzen uns auf eine Tasse Tee in dieses Straßencafé und warten – du wirst schon sehen.“ Und tatsächlich, innerhalb der nächsten Stunde wurde er noch weitere zwei Male von frustrierten Männern gebeten, ihnen die Tür zum „gelobten Land“ aufzustoßen.

Wenn

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Tobias Schultz
Bildmaterialien: Tobias Schultz
Lektorat: OM Deutschland
Tag der Veröffentlichung: 13.06.2013
ISBN: 978-3-7309-3230-8

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Ein Buch aus der Reihe "OM Books" von OM Deutschland. www.om.org/de Wir setzen uns für dynamische Gemeinschaften von Jesus-Nachfolgern unter den am wenigsten Erreichten ein. Die über 5200 Mitarbeiter – aus über 120 Nationen, die in über 110 Ländern und an Bord des Schiffes Logos Hope arbeiten – haben eines gemeinsam: Sie lieben Jesus und sie wollen, dass auch andere die Möglichkeit bekommen, von ihm zu hören. Durch Evangelisation, Gemeindegründung, Entwicklungszusammenarbeit, Menschenwürde sowie Training & Mentoring arbeiten OM-Mitarbeiter mit örtlichen Kirchengemeinden sowie anderen gleichgesinnten Organisationen zusammen, um Menschen zu erzählen, wie sich ihr Leben verändert hat und wie auch sie Jesus kennenlernen können.

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