Tu aus das Licht,
und dann,
tu aus das Licht.
und hab ich dein Licht ausgetan,
nie find ich den Prometheusfunken wieder,
dein Licht zu zünden.
von William Shakespeare - Othello
Zehn Minuten zu spät rannte ich aus der Haustür meiner besten Freundin. Ich umklammerte meine Tasche etwas fester und eilte die Straße entlang. Meine Schuhe klapperten auf den noch nassen Pflastersteinen und spritzten meine Jeans nass. Innerlich schickte ich ein Stoßgebet an den Himmel, dass es trocken bleiben würde. Doch als mein Blick nach oben wanderte, ahnte ich, dass dies nicht der Fall sein würde.
Es war bereits dunkel und nur die Straßenlaternen, erhellten in regelmäßigen Abständen meinen Weg. Es mussten bereits die ersten Sterne am Himmel zu sehen sein, diese waren aber von zahlreichen dicken grauen Wolken verdeckt. Ein kräftiger Wind wehte mir ins Gesicht und lies meine Haare hin und her tanzen. Etwas genervt schob ich meinen Pony mit meiner freien Hand nach hinten, damit er mir meine Sicht nicht versperrte.
Die Straße erschien mir endlos und mein Ziel, die Bushaltestelle, war für mich noch nicht erreicht. Früher war mir der Weg vom Haus meiner besten Freundin bis zur Bushaltestelle nie so lang vorgekommen. Aber ich schätze, wenn man in Zeitnot steckte, konnte einem alles wie eine Ewigkeit vorkommen.
Nicht weit von mir entfernt konnte ich die Straßenecke erkennen, in deren Nähe sich die besagte Bushaltestelle befand. Ich versuchte mein Tempo zu erhöhen, aber jeder weitere Schritt raubte mir den Atem und zerrte an meinen Beinen. Jedes Mal, wenn ich mit meinen Füßen auftrat, zog sich ein Stechen von meinen Waden bis hoch zu meinen Oberschenkeln. Ich biss meine Zähne zusammen und eilte weiter.
Mittlerweile war aus meinem schnellen Schritt ein Humpeln geworden. Gerade, als ich mit meiner Hand in die Tasche meines Kapuzenpullis greifen wollte, um mein Handy herauszuholen, damit ich mich vergewissern konnte wie viel Zeit mir noch blieb, hörte ich ein tiefes Dröhnen in meiner Nähe. Sofort blieb ich stehen um genauer auf das Geräusch lauschen zu können. Ich brauchte nicht lange, um das Geräusch etwas mir Bekanntem zu zuordnen.
»Verdammter Mist!«, fluchte ich leise und fing wieder an zu rennen. Das Dröhnen musste eindeutig der Bus sein, den ich noch zu erwischen erhofft hatte. Meine Atmung ging nur noch sehr flach und ich hatte das Gefühl, dass meine Lunge gleich platzen würde.
Als ich endlich das Ende der Straße erreicht hatte, bog ich scharf um die Ecke, nur um noch die Rücklichter meines Busses davon fahren zu sehen. Benommen blieb ich stehen und schaute ungläubig den beiden roten Lichtern, meiner sicheren Mitfahrgelegenheit, nach.
»Tja, selbst Schuld«, murmelte ich zu mir selbst. Im Grunde war ich auch wirklich selbst Schuld, dass ich nun vor einer verlassenen Bushaltestelle stand und den Rücklichtern des Busses nachwinken konnte. Wenn meine beste Freundin Emma und ich eines gemeinsam hatten, dann waren es Bücher. Wir beide waren leidenschaftliche Leser und liebten es, die gleichen Bücher zu lesen und uns danach darüber auszutauschen. Aus diesem Grund hatte ich mich heute bei Emma verspätet und nun nicht mehr meinen Bus rechtzeitig erreicht.
Langsam beruhigte sich meine Atmung wieder und das Zittern in meinen Knien ließ nach. Langsam lief ich zum Fahrplan, um herauszufinden wann der nächste Bus fuhr. Nach wenigen Blicken auf dem Plan verschlechterte sich meine Stimmung, da er erst wieder in einer Stunde fahren würde.
Ich stieß einen tiefen Seufzer heraus und rückte meine Tasche zurecht. Zwar liebte ich meine Heimatstadt Regensburg über alles, aber die Tatsache, dass die Busse ab neun Uhr Abends kaum noch fuhren, sorgte dafür, dass diese Stadt nicht perfekt sondern nur fast perfekt war.
Ich fand mich mit dem Gedanken ab, dass ich wohl nach Hause laufen musste. Ich griff in die Tasche meines Kapuzenpullis und holte mein Handy hervor. Schnell schrieb ich meiner Mutter eine SMS, das ich etwas später nach Hause kommen würde, da ich den Bus verpasst hatte. Mit einem lauten Klacken klappte ich mein Handy wieder zu und vergrub es in meiner Tasche.
Ich schaute noch einmal zu dem grauen Himmel hoch und setzte mich dann in Bewegung. Wenn ich nicht trödelte und die Abkürzung durch den Park nehme würde, dann wäre ich in einer halben Stunde zu Hause.
Im Grunde war es nichts Neues, dass ich in einer verzwickten Situation, wie dieser steckte. Ich besaß ein sogenanntes Helfersyndrom, welches mich dazu verleitete, dass ich jedem helfen wollte, der in meinen Augen Hilfe benötigte. Emma meinte schon seit Längerem, dass ich damit irgendwann in Schwierigkeiten geraten würde. Mir gab es immer das Gefühl, etwas Gutes zu tun, wenn ich jemandem helfen konnte. Auch wenn es nur um Kleinigkeiten ging, wie einen Sitzplatz in einem Bus anzubieten.
Ich trat in eine Wasserpfütze, die mir bis zu meinem Knöchel reichte, und erschauderte. Ein kleiner Schwall Wasser durchweichte meine Socken und entlockte mir einen leisen Fluch. Ich machte einen Schritt zurück und schaute in die nun aufgewühlte Pfütze. Langsam glättete sich die Oberfläche des Wassers wieder und bildete einen Spiegel. Eine kurze Weile stand ich vor dem Wasserspiegel und betrachtete mein Spiegelbild.
Meine Großmutter hatte mir einst gesagt, dass der Spiegel nicht nur unseren Körper widerspiegelt, sondern auch unsere Seele. Alles das was uns beschäftigt, aber auch das, was uns Freude bereitet. Noch nie hatte ich mir ernsthafte Gedanken darüber gemacht, ob diese Aussage meiner Großmutter ein Körnchen Wahrheit beinhalten konnte. Um ehrlich zu sein, hatte ich mich noch nie wirklich für die Geschichten meiner Großmutter interessiert.
Meine Augen hefteten sich auf die Pfütze und deren nun glatten Oberfläche. Unschlüssig stand ich vor ihr und fragte mich, warum ich nicht einfach weiter lief und sie hinter mir lies. Jeden Tag tat ich unzählige Schritte. Welche, die ich Bewusst tat und andere, die ich wiederum unbewusst beschritt. Doch dieser eine, um mich von dieser Pfütze fortzubewegen, fiel mir plötzlich so schwer. Ich fühlte mich einfach unerträglich müde und lustlos.
Noch immer waren meine Augen starr auf diesen Wasserspiegel gerichtet und in diesem Moment fragte ich mich, warum ich nicht einen intensiven Blick in sie hinein wagen sollte. Ich hatte nichts zu verlieren und eilig hatte ich es auch nicht. Langsam ging ich in die Hocke und beugte mich leicht nach vorne. Meine Haare fielen mir über meine Schultern und berührten fast die glatte Oberfläche des Spiegels.
Ich konzentrierte mich auf das, was ich sah … doch alles, was ich sah war einfach nur ich. Nichts Besonderes oder Außergewöhnliches. Langsam legte ich meinen Kopf etwas schräg und versuchte etwas zu erkennen, das etwas über mich verriet, was ich noch nicht wusste. Meine Augen richteten sich auf die meines Spiegelbildes und je länger ich es anstarrte, desto sicherer war ich mir, dass die Worte meiner Großmutter keine Bedeutung hatten. Etwas enttäuscht schaute ich mich selbst an.
Plötzlich verschwamm mein Spiegelbild in mehrere Kreise, die zuerst kleiner und dann immer größer wurden. Ich blinzelte ein Paar Mal bis mir klar wurde, dass es anfing zu regnen. Mein Gesicht wand sich nun dem grau bewölkten Himmel entgegen. Augenblicklich konnte ich kleine nasse Punkte auf meiner Haut spüren.
»Das bringt mir also mein Spiegelbild: Regen«, flüsterte ich und stand auf. Ich rückte meinen Rucksack auf meinem Rücken zurecht und schaute noch einmal in die Wasserpfütze. Vom einstigen Spiegel war nicht mehr viel zu sehen. Er glich nun mehr einer brodelten Flüssigkeit, aufgemischt durch den Regen.
In nur wenigen Augenblicken verstärkte sich der Regen und fing mich langsam, aber sicher an, zu durchweichen. Ich wand mich von dem einstigen Wasserspiegel ab und rannte nun die Straße entlang. Verzweifelt versuchte ich, mich an den Häuserwänden entlang zu drücken, um noch halbwegs trocken nach Hause zu kommen. In diesem Moment dachte ich mir, dass die Stadt Regensburg ihrem Namen alle Ehren machte. Warum die Stadt diesen Namen bekam, hatte ich noch nicht herausgefunden, aber manchmal dachte ich mir, dass es an den Regenschauern liegen konnte, die sehr oft im Herbst und Frühjahr die Stadt heimsuchten.
Obwohl der Mai schon weit fortgeschritten war, war es erstaunlich warm, trotz des Regens.
Als ich die Straßenseite wechseln musste, um zum Park zu gelangen, zog ich die Kapuze meines Pullis auf den Kopf und eilte über die Straße. Innerhalb weniger Minuten schwoll das leise Plätschern des Regens zu einem lauten Rauschen an. Schneller als mir lieb war, war ich bis auf die Haut durchweicht. Der Boden glänzte von der Feuchtigkeit des lauwarmen Regens. Im Laternenlicht glitzerten die Regentropfen wie ein schimmernder Vorhang aus feinster Seide.
Der Wind peitschte mir den Regen in mein Gesicht und stahl mir dadurch teilweise die Sicht. Am Ende der Straße konnte ich erkennen, wie sich langsam der dunkle Umriss der Parkanlage aus dem dichten Regenguss herausschälte. Erleichtert atmete ich einmal tief durch und erhöhte mein Schritttempo. Als ich die Straße überquerte und vor dem Eingang der Parkanlage stehen blieb, zögerte ich etwas. Um diese Uhrzeit, und vor allem bei einem solchen Wetter, musste die Anlage verlassen sein. Mir war etwas unwohl, als ich in den Eingang schaute. Er war von zahlreichen Laubbäumen gesäumt und wirkte dadurch undurchdringlicher und finsterer. Der Regen trommelte unaufhörlich gegen das Blätterdach und erzeugte dadurch einen rhythmischen Trommelschlag.
Ich schaute mich noch einmal um, bevor ich zögerlich in die Parkanlage lief. Vorsichtig setzte ich einen Fuß vor den anderen. Ich strengte mich an, ob ich noch etwas anderes hörte außer dem rhythmischen Trommeln des Regens und meinen Schritten auf dem nassen Boden.
Der Geruch der Bäume verstärkte sich durch den Regen noch mehr und ich sog den würzigen Geruch der Blätter ein. Meine Schritte knirschten auf dem Kiesweg, der direkt zum Zentrum der Parkanlage führte. Zu beiden Seiten erstreckten sich die dichten Laubbäume die bereits in ihrer vollen Blätterpracht standen. Der Weg fing vor einer großen Wiese an, sich zu teilen. Während der rechte Weg tiefer in die Parkanlage führte, verlief der linke am äußeren Rand der Anlage entlang. Ich wählte die linke Route und verfiel in ein leichtes Joggen. Meine Kleidung klebte mittlerweile an meiner kalten Haut und meine Haare hingen mir quer im Gesicht. Der Kiesweg veränderte sich zu einem Weg aus Pflastersteinen, auf denen sich das Regenwasser sammelte.
Zur meiner linken Seite standen in regelmäßigen Abständen Straßenlaternen zwischen den Laubbäumen. Auf der rechten Seite erstreckte sich eine riesige Wiese, die an einen großen See angrenzte. Bei schönem Wetter versammelten sich immer viele Menschen um den See, um dort die Sonne zu genießen.
Der Weg verlief mit einem leichten Bogen um die Wiese herum und endete an einem Hinterausgang der Anlage. Von dort aus waren es nicht mehr viele Schritte bis zu mir nach Hause. Ich konnte es schon jetzt kaum noch erwarten, endlich wieder trockne Kleidung anzuhaben und mich unter einer heißen Dusche aufzuwärmen.
Es regnete noch immer heftig und verschleierte dadurch meine Sicht. Mir war diese ganze Situation, in der ich mich befand, unheimlich: der stürmische Regen, die Dunkelheit und die Tatsache, dass ich alleine in diesem Park unterwegs war. Ein flaues Gefühl stieg in mir hoch und deswegen drehte ich mich immer nach einigen Schritten um, nur um festzustellen, dass ich noch immer alleine war. Dieses flaue Gefühl ließ mich schließlich rennen. Von weitem konnte ich schon die groben Umrisse des Ausganges sehen und ein erleichterter Seufzer drang aus meiner Kehle.
Aus irgendwelchen Gründen die ich nicht kannte, wanderte mein Blick noch einmal kurz zu der Wiese und dem dort anliegenden See. Zuerst konnte ich nichts Ungewöhnliches erkennen. Plötzlich stockte mir kurz mein Atem und ich geriet ins Stolpern und konnte mich gerade noch fangen.
Völlig außer Atem blieb ich stehen und starrte auf die Gestalt, die ich am See ausmachen konnte. Nur wenige Schritte von der Gestalt entfernt stand eine Straßenlaterne, welche es mir ermöglichte, die Person in Form einer Silhouette zu erkennen.
Ich unterdrückte ein Schaudern und schloss kurz meine Augen. Mein Kopf sagte mir, dass dies nur eine Einbildung meines müden Körpers sein musste, aber mein Gefühl sagte mir, dass dem nicht so war. Innerlich spürte ich, wie sich mein Körper anspannte und alle Sirenen in mir sagten, dass ich so schnell, wie möglich von hier verschwinden sollte. Neben meinem unguten Gefühl stieg noch ein anderes mir bekanntes Gefühl in mir hoch: Mitleid. Meine beste Freundin hätte mich wahrscheinlich in diesem Moment als selten dämlich bezeichnet, doch ich konnte gegen dieses Gefühl nichts unternehmen.
Obwohl ich ein überwiegend ungutes Gefühl hatte, machte ich einen zögernden Schritt in Richtung des Sees. Mein Körper fing leicht an zu zittern, ob es jetzt vom Regen kam, der mich langsam auskühlte, oder ob es an der Anspannung lag, wusste ich nicht so genau. Vielleicht war es etwas von beidem.
Das Gras gab ein schmatzendes Geräusch von sich, als ich mich mit meinen Schuhen auf ihm fortbewegte. Der Boden war sehr matschig und gab unter jedem Schritt etwas nach. Mein Herz fing an, immer schneller zu schlagen, als ich schon die Hälfte der Strecke zu der Person zurückgelegt hatte. Ich hatte schon immer gewusst, dass ich nicht so normal war, wie die anderen Jugendlichen an meiner Schule, und dass ich gerne Dinge ausprobierte, die vielleicht nicht immer ratsam waren, aber das, was ich gerade tat, stand nun ganz oben auf meiner „Liste der dümmsten Dinge, die man nur tun konnte“. Die letzte Dummheit, die ich begangen hatte war, als ich zusammen mit Emma versuchte in einen Club zu gelangen, der erst ab achtzehn war. Wir hatten extra die ganze Woche jeden Schritt durchgeplant. An diesen besagten Abend verbrachten wir drei Stunden damit, uns zurechtzumachen, nur um später am Türsteher zu scheitern. Obwohl wir mindestens die Hälfte unseres Make-up-Vorrates verbraucht hatten, sahen wir nicht alt genug aus. Selbst als wir versuchten, uns dumm zu stellen, und schließlich auf die Anmach-Tour übergingen, blieben wir erfolglos. Am Ende wurden wir festgehalten und unsere Eltern verständigt. Diese holten uns dann schließlich vor der Tür des Clubs ab und als ob das nicht schon schlimm genug war, bekam dies sogar einige Leute der Oberstufe mit. Durch diese Dummheit bekamen wir nicht nur jede Menge Ärger und Hausarrest, sondern wurden für eine Weile das Gespött unserer Schule.
Doch dies lag nun alles hinter mir und die nächste Dummheit bahnte sich ihren Weg in mein Leben. Jeder vernünftige Mensch wäre sofort umgekehrt oder wäre weiter gelaufen. Nur ich musste mal wieder meinem Helferkomplex nachgeben.
Mich trennten nur noch zwei Schritte von dieser Gestalt. Ich blieb stehen und musterte die Person, die mit dem Rücken zu mir stand. Durch den Schein der Straßenlaterne konnte ich mehr Einzelheiten der Person erkennen. Es handelte sich um einen Jungen, der mindestens einen Kopf größer sein musste, als ich. Er trug eine dunkle Jeans und ein schwarzes Shirt, welches ärmellos war. Durch das Licht der Straßenlaterne wirkten seine Haare wie flüssiges Gold. Sie waren länger als die der üblichen Jungs an meiner Schule. Sie reichten ihm bis zu seinem Nacken und standen, trotz des Regens, verwuschelt von seinem Kopf ab.
Ich fragte mich, ob er durch den Regen meine Schritte nicht gehört hatte, oder ob er nur so tat, als wüsste er nicht, dass jemand hinter ihm stand.
Erst jetzt, wo ich so nahe bei dieser unbekannten Gestalt stand, merkte ich, wie hirnrissig diese Aktion von mir war. Das Zittern, welches meinen Körper überfiel, verstärkte sich und innerlich suchte ich fieberhaft nach Worten, die ich ihm sagen konnte. Ich gab meinem ungutem Gefühl etwas bei und holte mein Handy aus der Tasche meines Kapuzenpullis, nur um mir eine gewisse Sicherheit zu geben, falls etwas passieren würde. Ich schaute kurz auf das Display meines Handys, ein kleiner Tick von mir, und richtete meine Aufmerksamkeit wieder dem Jungen zu. Doch als ich ihn wieder anschaute, zuckte ich vor Schreck zusammen, da mich der Junge unverwandt fixierte. Ich hatte noch nicht einmal mitbekommen, wie er sich umgedreht hatte.
Mein Herzschlag setzte einen Moment lang aus und ein kalter Schauer lief mir über den Rücken. Der Junge zeigte keinerlei Gefühlsregung in seinem Gesicht. Ich konnte seine sanften Gesichtszüge durch den Regen hindurch erkennen, selbst seine gerade Nase und seine Augen, die in einem intensiven Grün schimmerten. Ich dachte, dass das Laternenlicht seine Augefarbe verstärkte, denn ein solch tiefes Grün hatte ich vorher noch nie bei jemandem gesehen.
Es dauerte einen Augenblick, bis ich meine Stimme wiedergefunden hatte. Ich räusperte mich einmal und zwang mich zu einem freundlichen Lächeln. Allerdings bezweifelte ich, dass es echt wirkte, sondern ehr wie eine Grimasse.
»Hallo, ich heiße Lilly und ich habe dich von weitem hier oben am See stehen sehen. Warum stellst du dich nicht irgendwo unter, du wirst schließlich ganz nass«, stotterte ich etwas verunsichert.
Der Junge schaute mich noch einen Moment lang an und drehte sich schließlich wieder zum See. Er gab mir keine Antwort und so herrschte wieder Stille und nichts, außer dem Prasseln des Regens, war im Park zu hören. Normalerweise sprachen die Menschen, denen ich helfen wollte, mit mir. Sein Verhalten irritierte mich etwas und es dauerte, bis ich den Mut fand, wieder mit ihm zu sprechen.
»Ich weiß, es geht mich im Grunde nichts an was du hier so alleine machst, aber ich mache mir Sorgen. Vielleicht sollte ich besser die Polizei rufen. Vielleicht können sie dir helfen«, sprach ich in einem bemüht ruhigen Ton. Doch anstatt einer gehofften Antwort, fing der Junge leise an zu lachen. Ich fühlte mich vor den Kopf gestoßen, denn ich versuchte ihm zu helfen und stattdessen lachte er mich aus.
»Und was soll daran so witzig sein? «, fragte ich bissig und ballte meine Hände zu Fäusten. Das Lachen des Jungen verebbte langsam und erst jetzt merkte ich, dass dieses Lachen nicht hämisch oder unbefangen war sondern verbittert und gezwungen.
»Die sollen mir helfen?«, fragte der Junge mit einer klaren und schönen Stimme. Ich wollte schon etwas erwidern, als er schon wieder weiter sprach, »Die können mir nicht helfen. Sie könnten sich noch nicht einmal selbst helfen«
Nicht nur seine Aussage, sondern auch die Art und Weise, wie er sprach beunruhigte mich. Seine Worte waren voller Hohn und herablassend gewesen. Instinktiv klappte ich mein Handy auf und wählte die Notrufnummer. Falls diese Situation außer Kontrolle geriet, wollte ich schnell handeln können. Eine Gänsehaut breitete sich auf meinen Armen aus und ich musste mich zusammenreißen, mich nicht umzudrehen und gleich wegzurennen.
Ich schluckte einmal und fragte, »Wer bist du?«
Langsam drehte sich der Junge wieder zu mir um und musterte mich mit einem künstlichen Lächeln auf den Lippen. »Ich bin niemand, der von Wichtigkeit für dich wäre«, entgegnete er mir und legte seinen Kopf leicht schräg. Er irritierte mich noch immer und brachte mich dazu, mich wie ein Idiot zu fühlen.
»Vielleicht hast du Recht und es geht mich nichts an wer du bist, aber meinst du nicht selbst, dass es etwas verdächtig ist, wenn du hier während eines solchen Wetters alleine im Park herumstehst? Ich will mich wirklich nicht in deine Angelegenheiten einmischen, aber was machst du hier? Ich will dir nur helfen und nicht herumschnüffeln. Wenn du mir vielleicht erklärst was du hier suchst kann ich mit einem bessern Gefühl nach Hause gehen«, versuchte ich dem Jungen zu erklären. Meiner Meinung nach war meine Argumentation gar nicht so schlecht, aber der Junge zog nur eine Augenbraue hoch und schaute mich an, als sei ich nicht ganz gesund im Kopf.
»Entweder bist du zu neugierig oder du bist, was genauso schlimm wäre, einfach nur schwachsinnig«, antwortete mir der Junge. Meine Stimmung sank noch tiefer und ich knirschte mit den Zähnen. So ein mieses Verhalten war mir schon lange nicht mehr untergekommen.
»Ich bin weder das eine noch das andere. Ich habe mir nur Sorgen um dich gemacht und du machst dich darüber lustig. Du musst dich nicht wundern wenn jemand später genauso zu dir ist wie du zu mir!«, sagte ich in einem säuerlichen Ton. Ich war innerlich gekränkt, da meine Sorgen einfach so ins Lächerliche gezogen wurden.
Er schaute mich eine Weile lang schweigend an und seine Gesichtszüge veränderten sich wieder zu einer Maske, die ich nicht durchdringen konnte. Seine Augen ruhten auf meinen und ich hatte fast das Gefühl, dass sein Blick weiter sah, als nur in meine Augen. Als würde er bis in meine Seele schauen. Dieser Gedanke war so verrückt, dass sich meine Armhärrchen aufstellten. Nach einer Weile schloss der Junge seine Augen und schaute zur Straßenlaterne.
»Es kann dir wirklich egal sein, wer ich bin und was ich hier mache«, setzte er an.
Mein Blick wanderte an seinem Körper herab und ich konnte einen Blick auf seinen rechten Arm werfen, den ich vorher völlig außer Acht gelassen hatte. Was ich dort sah, ließ mir das Blut in den Adern gefrieren.
In seiner Hand hatte er ein langes Messer umklammert. Das leuchtete kurz in einer bläulichen Farbe auf, was mich ruckartig die Luft anhalten ließ. Vor lauter Schreck stolperte ich einen Schritt zurück. Panisch schaute ich den Jungen an. Sein Blick war noch immer auf die Laterne gerichtet, doch er schien bemerkt zu haben, dass ich sein Messer gesehen hatte, denn seine Lippen umspielten ein leichtes Lächeln. Zum ersten Mal war mir nun wirklich bewusst, dass ich geisteskrank gewesen sein musste, als ich mich ihm genähert hatte.
»Hast du Angst? «, fragte er mich leise und ich erstarrte in meiner Bewegung. Sein Blick suchte nun wieder meinen und fesselte mich damit.
»Ich kann dir versichern, dass dir keine Gefahr droht, wenn du jetzt so schnell wie möglich das Weite suchst«, sagte der Junge leise. Mit Anstrengung schaffte ich es mich aus seinem Blick zu befreien und lief noch einen Schritt nach hinten. Ich spürte, wie die Angst anfing meine Kehle zuzuschnüren und ein metallischer Geschmack breitete sich auf meiner Zunge aus. Der Instinkt, mich jetzt umzudrehen, nur um danach um ein Leben zu rennen, war schier überwältigend. Jedoch war meine Neugierde seltsamerweise genauso groß, wie meine Angst.
Als ich mich tatsächlich schon umdrehen wollte, bemerkte ich etwas, was mich jedoch erstarren lies. Etwas lief an dem Messer, welches er noch immer umklammerte, hinab. Mein Gehirn brauchte ein paar Herzschläge lang um zu begreifen, dass es sich hierbei um Blut handeln musste. Ich verharrte in meiner Bewegung und betrachtete mir seinen Arm für wenige Sekunden genauer. Diese Zeit reichte aus, um zu erkennen, dass dieses Blut aus einer Wunde kam, welche sich an seinem Arm befinden musste.
»Oh mein Gott«, flüsterte ich leise. Der Junge schaute mich aus wachsamen Augen genau an. Entweder wurde er verletzt oder dieser Junge hatte sich selbst verletzt. Ich wurde mir wieder meines Handys bewusst, welches sich noch immer in meiner Hand befand. Da sich niemand in der unmittelbaren Umgebung befand, schlussfolgerte ich, dass er sich diese Verletzung selbst zugefügt haben musste. Am besten sollte ich zuerst den Krankenwagen anrufen und dann die Polizei. Dieser Junge gehörte eindeutig in die Psychiatrie, denn er war Selbstmordgefährdet.
»Mach dass du weg kommst«, zischte er mir zu und setzte sich in Bewegung. In diesen Moment tat ich etwas, dass ich nie gedacht hätte, dass ich es in einer solchen Situation tun würde. Ich rannte auf den Jungen zu und umklammerte seinen blutenden Arm mit der Klinge, dabei ließ ich mein Handy einfach auf den Boden fallen.
Der Junge blieb sofort stehen und schaute mich zuerst überrascht und dann zornig an. Meine Finger tasteten seinen Arm ab, indem sie dem warmen Blut folgten. In wenigen Herzschlägen hatte ich die besagte Wunde gefunden und presste mit aller Kraft auf die Wundränder um die Blutung zu Stoppen oder wenigstens zu verlangsamen. Augenblicklich riss er seinen Arm mit einer brutalen Gewalt, aus meinem Griff.
»Du blutest zu stark. Hast du dir das etwas selbst angetan?«, meine Stimme überschlug sich fast und in mir flammte die Panik auf.
»Ich weiß, dass ich blute. Stell dir mal vor, jeder blutet mal im Leben, dass dürfte auch bei dir der Fall sein oder bist du ein Wundermensch?«, seine Stimme war eisig und ein leicht drohender Unterton mischte sich mit einem Hauch von Sarkasmus darunter. »Zumindest verletze ich mich nicht selbst und lasse mir danach nicht helfen. Du bist krank und musst dich schleunigst in der Psychiatrie ausruhen«, fauchte ich ihn an. Der Junge war einfach nur verrückt. Er brauchte Hilfe und zwar so schnell wie möglich, aber die wollte er anscheinend nicht haben.
Ich griff erneut nach seinem Arm. Durch meine Hilflosigkeit fühlte ich mich gepeinigt. Als hätte er meine Gedanken erraten, schüttelte er mich mit Leichtigkeit ab und lief einfach weiter. Allmählich drohte er aus dem Schein der Straßenlaterne zu verschwinden.
»Wo willst du denn hin? «, schrie ich ihm nach. Der Junge hob nur seine unverletzte Hand und rief zurück, » Ich werde das zu Ende bringen, was ich begonnen habe «.
Bitte was?, fragte ich mich und versuchte, die Ereignisse von eben zu verdauen. Im Grunde konnte es mir egal sein, was mit diesem Jungen war. Ich hatte versucht ihm zu helfen und als Dank wurde ich nur verhöhnt. Irgendwie hatte er mich in meiner Ehre gekränkt und deswegen beschloss ich, ihm nicht mehr nachzulaufen. In dem Moment, in dem ich mich umdrehte, um nach meinem Handy zu suchen, zuckte ich zusammen, als ein bläulicher Schimmer für einen Herzschlag lang die Parkanlage erhellte. Sofort wirbelte ich herum, aber ich konnte nichts erkennen. Der Junge war aus der Reichweite der Straßenlaterne verschwunden und somit hatten der Regen und die Dunkelheit ihn verschluckt. Dennoch starrte ich eine kurze Zeit lang in die Richtung, in der ich ihn zum letzten Mal gesehen hatte. Gerade als ich mich auf die Suche nach meinem Handys begeben wollte, konnte ich in der Dunkelheit etwas schimmern sehen. Ich versteifte mich und hielt die Luft an. Das Schimmern nahm an Leuchtkraft zu und für den Bruchteil einer Sekunde konnte ich schwören, ich hätte den Jungen kurz in diesem Licht gesehen.
Mit einem Mal waren alle meine Vorbehalte verflogen und ich rannte zu dem Licht, welches nun langsam anfing, wieder zu verschwinden. In nur wenigen Sekunden war ich am Ursprung dieses Lichtes angekommen. Vor mir stand wieder der Junge, welcher nun gegen einen Kastanienbaum gelehnt stand. Das Licht schien zuerst von seinem Messer zu kommen, doch dann merkte ich, dass er es selbst war, der schimmerte.
Er schaute mich nun wieder an und mit dem verblassenden Licht wurden auch seine Gesichtszüge finsterer.
»Was hat das zu bedeuten? «, fragte ich atemlos, doch eine Antwort bekam ich nicht. Stattdessen stemmte er sich vom Baum ab und lief auf mich zu. Instinktiv wich ich mehrere Schritte zurück und hob abwehrend die Hände. Mein Gehirn fing erst jetzt an, die Eindrücke richtig zu verarbeiten und ich kam zu dem Entschluss, dass ich entweder träumte oder völlig übergeschnappt war.
Als der Junge nur noch wenige Meter von mir entfernt war, fing er plötzlich an zu straucheln und das Schimmern verließ seinen Körper restlos. Ich rannte die wenige Schritte nach vorne, um seine Schulter zu umklammern und ihm eine Stütze zu sein. Doch noch während ich ihn festhielt, konnte ich spüren, wie er wieder seinen sicheren Stand gewann.
»Du weißt einfach nie, wann du dich besser zurückziehen solltest, oder? «, zischte er mir zu. Zuerst verstand ich nicht, was er mir damit sagen wollte, doch dann fühlte ich plötzlich, wie er meine Schultern fest umklammerte. Ich stieß ein leises Wimmern hervor und gab unter seinem harten Griff nach.
»Hör auf, du tust mir weh! «, schrie ich ihn an. Eine Sekunde später stieß er mich zu Boden und ich fiel in das nasse Gras. Schlamm spritzte mir ins Gesicht und erstickte somit meinen Schrei. Noch ehe ich mich aufrichten konnte, spürte ich etwas Schweres auf mir. Der Inhalt meines Rucksackes drückte sich durch den Stoff in meinem Rücken. Ich wusste, dass er es war. Sein Körper lag halb auf meinem und gab mir somit keinerlei Chancen, davon zulaufen. Die Panik siegte in mir und ich fing wie wild an, um mich zu schlagen. Heisere Schreie drangen aus meiner Kehle und wurden von den zahlreichen Bäumen wieder verschluckt. Wie aus weiter Ferne konnte ich ein tiefes Knurren hören und für den Bruchteil einer Sekunde dachte ich, dass es sich um einen Hund handeln müsste, bis ich merkte, dass dieses Geräusch von dem Jungen stammte. Ich wehrte mich noch verzweifelter, doch schon nach wenigen Augenblicken wurden meine Hände auf die Erde gedrückt und meine Bewegungsfreiheit endgültig eingeschränkt. In diesem Moment hatte ich das Gefühl, dass ich gleich an meiner Panik ersticken müsste.
Wie aus Resignation hörte ich auf, mich zu wehren und stumme Tränen rollten über meine Wange, nur um sich schließlich mit dem Regen zu vermischen, der unaufhörlich auf mein Gesicht niederprasselte.
Der Junge über mir beugte sich tiefer zu mir herab und sein Gesicht verhaarte über meinem. Dann zuckte ein greller Blitz über den Himmel, welcher für einen Augenblick alles um sich herum in ein helles Tageslicht tauchte. Dadurch konnte ich genau in die Augen des Jungen schauen. Statt dem grünen Schimmer war nur noch eine tiefe Schwärze zu sehen. Mein Herzschlag setzte einen Sekunde lang aus und ich öffnete schon meinen Mund zu einem Schrei, als der Junge plötzlich mir etwas ins Ohr flüsterte, »Es tut mir leid«.
Noch bevor ich verstehen konnte, was er damit meinte, verblasste alles um mich herum, als ein unerträglicher Schmerz, ausgehend von meiner Kehle, durch meinen gesamten Körper zuckte.
Warme Sonnenstrahlen streichelten mein Gesicht und holten mich somit aus meinem traumlosen Schlaf zurück. Langsam öffnete ich meine Augen und kniff diese sofort wieder zusammen, als mich die Sonne blendete. Schützend legte ich meinen Arm über sie und schlug langsam wieder meine Augen auf. Das erste was ich erblickte, war mein Betthimmel.
Ich lag also in meinem Bett, aber irgendwie stimmte hier etwas nicht. Angestrengt versuchte ich zu erraten, was es war. Als ich schließlich mehrere Minuten regungslos auf meinen Betthimmel gestarrt hatte, tauchte ein Bild in meinem Kopf auf. Es war ein Laubbaum. Verwirrt versuchte ich dieses Bild einzuordnen. Wo hatte ich ihn denn schon einmal gesehen?
Die Erkenntnis traf mich wie ein Blitz: der Park. Sofort fuhr ich ruckartig hoch und bereute dies allerdings sofort wieder. Alles um mich herum fing an, sich zu drehen und ein stechender Schmerz pulsierte in meinem Kopf. Mit zitternden Händen massierte ich meine Schläfen und versuchte, wieder normal sehen zu können.
Ich war gestern Abend bei meiner Freundin Emma gewesen und hatte meinen Bus verpasst. Deswegen musste ich durch den Park laufen, oder? Ich biss mir auf meine Lippen und versuchte mich an Einzelheiten zu erinnern. Alles was mir noch einfiel, war die Tatsache, dass es geregnet hatte.
Ich atmete mehrmals tief ein und aus, um mich zu beruhigen, denn ich spürte, wie langsam die Angst in mir hoch kroch. Obwohl ich alles tat, um mich zu erinnern, fielen mir nicht mehr Details ein. Wie genau war ich nach Hause gekommen und warum konnte ich mich an nichts mehr erinnern?
Obwohl ich jetzt am liebsten sofort die Antworten haben wollte, wusste ich, dass es nichts brachte, weiterhin vor mich hin zu starren. Wahrscheinlich würde ich mich im Laufe des Tages an mehr Einzelheiten erinnern können. Dies hatte ich schon oft in Filmen gesehen und in Büchern gelesen. Mein Blick wanderte durch den Raum, doch die vertraute Umgebung meines Zimmers war wenig tröstlich für mich. Schließlich schaute ich zu meinem Wecker, der sich neben dem Bett auf dem Nachttisch befand, und bemerkte, dass ich viel zu früh aufgewacht war. Erst in dreißig Minuten würde er zu klingeln anfangen.
Kurzerhand beschloss ich, die überschüssige Zeit in eine heiße Dusche zu investieren. Mit Schwung streckte ich meine Beine aus meinem Bett und stand wohl zu schnell auf, denn plötzlich wurde es mir mit einem mal schwarz vor Augen und ich tastete panisch nach meinem Bettpfosten. Meine Finger krallten sich regelrecht in das Holz und ich versuchte mich zu beruhigen. Schon nach wenigen Herzschlägen konnte ich wieder teilweise klar sehen. Zwar tanzten noch immer schwarze Pünktchen in meinem Sichtfeld, aber immerhin war nicht mehr alles um mich herum schwarz. Erst jetzt wurde ich mir des merkwürdigen Gefühls in meinem Magen bewusst. Es war schwer zu beschreiben, aber es war einfach falsch, dass ich es fühlte. Nun wurde mir klar, dass ich wohl krank werden würde. Mein Kreislauf spielte im Moment nicht mit und wie es aussah, musste ich mich gestern wohl angefangen haben, zu erkälten. Wahrscheinlich hatte ich deswegen eine Lücke in meinem Gedächtnis, welche sich wohl später wieder schließen würde, wenn es mir wieder besser ging. Am liebsten wäre ich heute zu Hause geblieben, aber leider musste ich heute einen wichtigen Mathetest schreiben, den ich einfach nicht verpassen durfte.
Ich holte einmal tief Luft und stieß mich vom Bettpfosten ab. Mit wackligen Schritten lief ich in Richtung meines Kleiderschrankes. Ich war froh, dass ich nicht weit laufen musste, denn mein Zimmer war nicht gerade sehr groß. Außer meinem Bett, dem Schreibtisch mit meinem Laptop, dem Kleiderschrank und zwei Bücherregalen, war in meinem Zimmer nicht mehr viel zu finden. Besonders in meinem Alter wäre es normal gewesen, sich zu beschweren, dass man nun ein größeres Zimmer bräuchte, aber ich wollte es einfach behalten, da ich Veränderungen hasste.
Etwas ungeschickt öffnete ich meinen Kleiderschrank und holte mir lockere Jeans, Unterwäsche und eine blaue Bluse heraus. Ich warf die Kleidungsstücke achtlos auf den Boden. Gerade als ich zum Badezimmer laufen wollte, blieb mein Blick bei meinem Schreibtischstuhl hängen. Dort hing mein Kapuzenpulli, den ich gestern an hatte. Wie in Trance lief ich zum Schreibtischstuhl und nahm den Pulli in meine Hände. Der Stoff fühlte sich leicht feucht unter meinen Fingern an und innerlich fluchte ich. Wie es aussah, konnte ich ihn wohl heute nicht mehr anziehen. Ich wollte ihn schon wieder zurücklegen, als mir auf dem Stoff mehrere dunkle Flecken auffielen. Gedankenverloren strichen meine Finger über die feine Wolle und ich fragte mich innerlich, wie diese Flecken da nur hingekommen waren. Die Flecken befanden sich am Halsansatz, aber durch den eh schon dunklen Stoff konnte ich noch nicht einmal die Farbe der Flecken richtig erkennen. Sie waren einfach nur dunkel. Meine Finger blieben auf einem besonders großen Fleck liegen und genau in diesem Moment verkrampfte sich mein Herz in meiner Brust so sehr, dass ich aufkeuchen musste.
Meine Finger schlossen sich um den Kapuzenpulli, als sich der Schmerz in meinem Herzen steigerte und immer intensiver wurde. Mit einem Schlag fing mein Körper unaufhörlich an zu zittern und meine Beine gaben nach. Ich sank mit den Knien zu Boden und stützte mich mit meinen Armen am Boden ab. Als schließlich der Schmerz so unerträglich wurde, dass ich fast geschrien hätte, ebbte er auch schon wieder ab.
Statt des Schmerzes breitete sich ein eiskaltes Gefühl in meinem Brustbereich aus. Es wanderte zu meinem Herzen und umschloss dieses wie eine eisige Hand. Mit weit aufgerissenen Augen starrte ich auf den Fußboden und versuchte das zu begreifen, was eben in diesen wenigen Sekunden passiert war. Hatte ich eben eine Herzattacke?
Die eisige Hand verschwand nicht aus meinem Körper, sondern schien noch immer mein Herz zu umklammern und mit seinen Fingern darüber zu streichen, um mich zu verspotten.
In meinem Magen bereitete sich ein ähnliches Gefühl aus und ich biss mir auf die Lippe.
Ich werde nur krank, redete ich mir ein und versuchte langsam, wieder auf die Beine zu kommen. Zu meinem Erstaunen klappte dies sogar recht gut und mir gelang es sogar, in einem festen Stand zu kommen. Mir wurde bewusst, dass ich noch immer den Kapuzenpulli in meinen Händen hielt und ließ diesen mit einem mal fallen, als hätte ich mich an ihm verbrannt. Ich wusste nicht, wie lange ich auf das Stück Stoff am Boden gestarrt hatte, aber das plötzliche Piepsen meines Weckers riss mich aus meinen Gedanken. Nun war es Punkt sieben Uhr und ich musste mich beeilen, um nicht zu spät zur Schule zu kommen.
Ich stieg über den Kapuzenpulli hinweg und schaltete den Wecker aus. Dann sammelte ich mechanisch meine Kleidungsstücke vom Boden ein und lief ins Badezimmer. Obwohl das Badezimmer nur am Ende des Flures war, schien mir der Weg heute schier unendlich zu sein.
Drinnen legte ich meine Kleidungsstücke in das Waschbecken und zog mich aus.
In der Hoffnung, dass mich eine kalte Dusche wieder in Ordnung bringen würde, schlüpfte ich schnell unter den Wasserstrahl und stellte diese an. Sofort regneten hunderte kleiner, kalter Tropfen auf meine Haut. Doch der gewünschte Effekt trat nicht ein, sondern mein Körper kühlte in wenigen Minuten so weit ab, dass ich noch nicht einmal die Kälte spüren konnte, die mein Herz immer noch umfing.
Schon nach kurzer Zeit klapperte ich mit den Zähnen und stellte die Dusche wieder auf heißes Wasser um. Man sagt ja, dass der Wechsel zwischen heißem und kaltem Wasser dem Körper gut tun würde. Doch leider merkte ich davon recht wenig. Benommen lehnte ich meinen Kopf gegen die weißen Fliesen an der Wand und ließ das heiße Wasser auf meine Haut hinabprasseln. Meine Augen schlossen sich und ich horchte in meinen Körper. Sonst herrschte immer ein reger Austausch von Gefühlen in meinem Körper, wenn ich morgens in der Dusche stand. Doch heute war nichts da und wenn ich das sage, dann meine ich es auch so. Ich hatte das Gefühl, dass ein schwarzes Loch in meiner Brust erschienen war und alles betäubte.
Als ich meine Augen wieder öffnete, sah ich, dass das gesamte Bad in Dampfschwaden getaucht war. So undurchlässig, wie meine Erinnerungen und Gefühle im Moment. Schließlich drehte ich das Wasser ab und kletterte aus der Dusche. Die warmen Dampfschwaden streiften meinen Körper und machten mir das Atmen schwer. Mit meiner Hand wischte ich den Spiegel frei, sodass ich mich erkennen konnte.
Ich war nicht unbedingt das Mädchen, dem die Jungs zu Füßen lagen. Mit meinen sechzehn Jahren war ich nicht reif und attraktiv sondern niedlich, in den Augen anderer. Ich besaß langes rötliches Haar, welches in sanften Locken auf meinem Rücken fiel, wenn es trocken war. Zwei tiefblaue Augen leuchteten aus meinem Gesicht hervor und wurden von den Sommersprossen noch mehr in den Vordergrund geschoben. Im Grunde war ich ziemlich schlank und hatte wenige weiblichen Rundungen. Also wie gesagt, ich war einfach süß und niedlich für mein Alter.
Ich föhnte meine Haare trocken und zog mich an, band meine Haare zu einem Pferdeschwanz zusammen und verließ das Badezimmer.
Ich wohnte mit meinen Eltern in einem großen Haus im äußeren Viertel der Stadt. Meine Eltern mochten es, wenn es etwas ruhiger um sie herum war. Mein Dad war Abteilungsleiter in einer Firma für Versicherungen, wo er auch gerne arbeitete. Meine Mom hingegen arbeitete als Anwältin in einer Kanzlei und war sehr stolz auf ihren Beruf. Mein Dad war nicht so oft zu Hause und meine Mom musste immer sehr früh zur Arbeit und kam immer erst spät wieder nach Hause. So hatte ich oft das Haus nur für mich alleine, was ich auch nicht unbedingt schlimm fand.
Ich lief die Treppen zum Erdgeschoss nach unten und traf meine Mom in der Küche. Sie saß am Esstisch und las gerade die Zeitung durch. Sie meinte, als Anwältin sollte man immer auf dem neusten Stand sein. Mein Dad war wohl wieder in seinem Büro, denn von ihm war weit und breit nichts zu sehen.
Lustlos setzte ich mich an den Tisch und schenkte mir ein Glas mit Orangensaft ein. Irgendwie kamen mir im Moment alle meine Bewegungen falsch vor, denn sie waren so wie immer, als würde mir nichts fehlen. Doch dies war eine Lüge. Nichts stimmte, obwohl ich das unerträgliche Gefühl in meinem Inneren versuchte, zu verleugnen. Vielleicht wäre es besser gewesen meiner Mom zu sagen, was mir vor wenigen Minuten passiert war. Doch sehr schnell verwarf ich diesen Gedanken, da ich wusste dass meine Mom mich dann zwingen würde zum Arzt zu gehen. Wenn es etwas gab, was ich mehr hasste als Latein, dann waren es Ärzte. Ich fühlte mich in deren Umgebung immer sehr unwohl und würde am liebsten immer sofort schreiend das Weite suchen.
Verlegen wanderte meine Hand zu der Stelle, an der mein Herz schlug. Ich beschloss meiner Mom davon nichts zu erzählen. Auch wenn es nicht normal war, dass man unter Schmerzen am Herzen litt, so wollte ich noch abwarten. Wenn es sich nicht besserte, konnte ich noch immer zum Arzt gehen.
»Guten Morgen Lilly«, sagte meine Mom fröhlich und legte ihre Zeitung auf den Tisch.
»Morgen Mom«, nuschelte ich vor mich hin und schaute meine Mom an. Sie sah fast genauso aus wie ich, nur dass sie erwachsen war. Ihre roten Haare hatte sie hochgesteckt und ihre zierliche Figur steckte in einem Kostüm.
»Du Mom«?, setzte ich schließlich an, »Wie bin ich gestern nach Hause gekommen?«. Meine Mom schaute mich etwas verwirrt an und sagte, »Du meintest, du hättest deinen Bus verpasst und seiest zu Fuß nach Hause gelaufen«.
»War ich irgendwie anders, als sonst?«, hakte ich nach.
Meine Mutter schüttelte nur leicht den Kopf, »Was fragt du mich denn für Sachen, Kleines? Du musst das doch selbst wissen«.
»Eben nicht, Mom. Ich kann mich nicht mehr erinnern, wie ich nach Hause gekommen bin«, ich konnte hören, wie in meiner Stimme leichte Verzweiflung hochkam. Meine Mom streckte ihre Hand über den Tisch und umfasste meine, »Das wird schon. Vielleicht warst du einfach zu müde, oder vielleicht wirst du krank. Bestimmt wirst du dich bald wieder erinnern können«.
Meine Mom lächelte mich aufmunternd an und ich lächelte leicht zurück. Doch mein Lächeln passte nicht wirklich zu meinen Gefühlen im Moment. Das schwarze Loch verschlang einfach alles und ließ nur einen Körper, der so kalt war, wie ein Eisberg, zurück.
»Komm, ich fahre dich jetzt zur Schule, sonst kommst du noch zu spät«, meinte meine Mom lächelnd und stand von ihrem Stuhl auf. Sie sammelte ihren Aktenkoffer von der Arbeitsfläche ein und lief schon einmal raus in den Flur. Widerwillig stand ich auf und merkte, wie mich wieder ein Schwindelanfall drohte heimzusuchen. Ich stützte mich am Tisch ab und schloss meine Augen. Meine Lippen waren fest aufeinander gepresst. Ein kühler Schauer durchzuckte meinen Körper und ließ mich frösteln. Als endlich der Schwindelanfall vorüber war, lief ich unsicher in den Flur und sammelte meine Schultasche ein. Meine Mom wartete bereits draußen im Wagen auf mich und ich gesellte mich zu ihr.
Meine Mom fuhr mich jeden Morgen zur Schule, denn der Weg lag genau in der Route, die sie fahren musste, um in die Kanzlei zu gelangen.
Ich lehnte meinen Kopf gegen die Scheibe und betrachtete die Schemen, die an unserem Auto vorbeihuschten, bis schließlich alles um mich herum schwarz wurde.
Jemand fasste mich an der Schulter an und rüttelte mich leicht, »Hey aufwachen, wir sind da«. Es war meine Mom und wie es aussah, war ich eingeschlafen und wieder konnte ich mich an den Traum nicht erinnern. Ich lächelte meiner Mom dankbar zu und öffnete die Autotür.
»Bis heute Abend Mom und überarbeite dich nicht zu sehr«.
»Das werde ich bestimmt nicht. Bis heute Abend«, rief sie mir noch zu, als sie bereits wieder losfuhr. Nun stand ich hier vor meiner Schule. Es war ein Altbau und eine große Statue schmückte die Treppe, welche in das Gebäude führte. Es waren schon ziemlich viele Schüler vor der Schule versammelt. Die meisten redeten miteinander oder machten noch Hausaufgaben. Ich mochte diesen Ort eigentlich sehr, denn mir ihrer großen Grünanlage, konnte man hier wunderbar seine Pausen verbringen.
»Lilly!!!«, rief eine Stimme nach mir und ich drehte mich um. Auf der anderen Straßenseite winkte mir ein Mädchen mit langen blonden Haaren zu. Dieses Mädchen war meine beste Freundin Emma. Wir kannten uns schon aus dem Kindergarten und waren hier zusammen groß geworden. Sie war die Ältere von uns beiden und war deswegen der Meinung, dass man auf mich besonders gut aufpassen musste. Wenn man Emma und mich nebeneinander stellte, hätte man denken können, dass wir Geschwister wären. Sie hatte fast dieselben blauen Augen, wie ich und war genauso groß, wie ich. Irgendwie sahen wir uns schon ähnlich aber nur so ähnlich wie zwei Geschwister, die einen Altersunterschied haben. Emma war zwar nur ein Jahr älter als ich, aber durch ihren Körperbau wirkte sie mindestens drei Jahre älter als sie eigentlich war.
Sie rannte über die Straße und blieb vor mir stehen und schaute mich verwundert an, »Oh Gott Lilly wie siehst du denn heute aus? Hast du nicht genug geschlafen?«.
Das war typisch, denn sie wusste genau, wenn etwas nicht mit mir stimmte und ihr konnte ich einfach alles anvertrauen. Ich erzählte ihr, mit welchen Erinnerungen und welchem Gefühl ich am Morgen aufgewacht war.
»Es kann wirklich gut sein, dass du gewaltig krank wirst, Kleine«, meinte Emma. Wir beide liefen auf die Schule zu und umrundeten gerade die Statue.
»Meine Mom ist auch der Meinung, dass ich vielleicht krank werde, aber ich meine noch nie habe ich mich so … so … ich weiß auch nicht, wie gefühlt«, flüsterte ich ihr zu. Wenn man eines an dieser Schule gelernt hatte, dann die Tatsache, dass man nie laut erwähnen sollte, wenn mal etwas nicht mit einem stimmte. Denn das wurde nie lange geheim gehalten und schon bald wusste es die ganze Schule. Meistens wurde sich dann über diese Person lustig gemacht, oder man wurde gemieden weil man wohl der Meinung war, dass diese Person nicht ganz richtig in der Birne war.
Emma nickte nur und hielt für mich die Tür auf. Drinnen im Gebäude war es angenehm warm und diese Wärme schien auch das schwarze Loch in meinem Körper zu erwärmen. Die eisigen Hände lockerten ihre Finger um mein Herz und zum ersten Mal an diesem Tag stieg ein Gefühl der Erleichterung in mir hoch. Ich hätte echt nie gedacht, dass ich mich so freuen würde, in einer Schule zu sein. Ein Lächeln huschte über meine Lippen und ich nahm die Hand von Emma. Sie schaute mich an und drückte meine Hand. Sie schien gemerkt zu haben, dass ich mich etwas besser fühlte.
Zusammen liefen wir in unseren Lateinkurs und setzten uns auf unsere Plätze. Emma saß genau neben mir und räumte bereits ihre Unterlagen heraus. Ich mochte kein Latein, denn mit Fremdsprachen hatte ich mir schon immer sehr schwer getan, was man leider auch an meiner Note sehen konnte. Es klingelte zum Unterricht und unsere Lehrerin kam herein gestürmt.
Im Moment nahmen wir kein bestimmtes Thema durch. Nicht nur ich tat mich mit Latein so schwer, sondern auch ein ziemlicher Großteil des Kurses. Aus diesem Grund nahmen wir im Moment keine bestimmten Themen durch, sondern es wurde versucht unser Sprachverständnis zu verbessern.
Frau Leitz, unsere Lateinlehrerin, fing an, zehn neue Vokabeln an die Tafel zu schreiben. Die Klasse stöhnte laut auf, aber sie schien sich davon nicht beeindrucken zu lassen. Anstatt mein Vokabelheft und Mäppchen aus der Tasche zu holen, starrte ich einfach geradeaus. Inzwischen fixierte ich schon keinen bestimmten Punkt mehr, sondern ließ mich einfach treiben. Im Moment fühlte ich mich eigentlich ganz normal, nur eine leichte Beklommenheit herrschte in mir. Die eisige Hand um mein Herz schien mich wohl im Moment aus ihrer Umarmung befreit zu haben. Wie es aussah, würde es mir wohl wieder besser gehen.
»Pass endlich mal auf, Lilly!«, fuhr mich die raue Stimme unserer Lehrerin an und schon knallte etwas mit einem lauten Schlag neben mir auf den Tisch. Wie vom Blitz getroffen fuhr ich hoch und schaute mich panisch um. Frau Leitz stand genau vor meinem Tisch und fixierte mich aus ihrer halbmondförmigen Brille an. Mit ihrem straffen Haarknoten und dem ernsten Gesicht konnte sie einem schon Angst einjagen. Nicht umsonst hatte sie unter uns Schülern den Namen „Der Aasgeier“. Sie war bereit, die Schüler unter uns fertig zu machen, die einfach zu blöd für Latein waren, so wie ich.
»Entschuldigen Sie«, murmelte ich leise vor mich hin und senkte den Blick. Ich konnte genau spüren, wie sich Emma neben mir versteifte, als Frau Leitz noch einige Herzschläge lang vor unserem Tisch stehen blieb.
»Schlagt bitte eure Bücher auf Seite 92 auf und übersetzt diesen Text«, herrschte sie uns an und riss mich somit aus meinem unterwürfigen Blick. Meine Augen wanderte auf das Objekt, welches mich aus meinen Gedanken gerissen hatte, als Frau Leitz es neben mir auf den Tisch geschmissen hatte. Mein Magen drehte sich schmerzhaft um und ich war der Meinung, dass ich jetzt ruhig in Panik ausbrechen könnte. Es handelte sich um ein Buch voller lateinischer Schriftstücke und Lektionen. Es gab nichts Schlimmeres für mich, als Latein.
Unsere Lehrerin war der Meinung, dass jedes lateinisches Wort nur verstanden werden wollte und dass wir uns auf diese Wörter einlassen mussten, sonst würden wir deren Bedeutung nie verstehen.
Jaaaa … sicher, dachte ich mir und zog mein Buch, das ich über alles hasste, näher zu mir rüber.
Der Text, den wir übersetzen sollten lag nun vor mir und ich wollte einfach nicht aus den Worten schlau werden.
Aha … Lupus. Das klingt ja wie Lupe oder Pups, schoss es mir durch den Kopf. Wenn ich ein Wort nicht verstand, so versuchte ich ihm einfach eine Bedeutung zu zuschreiben und meist lag ich damit … Meilen entfernt von seiner wahren Bedeutung.
Ich spürte, wie langsam meine Augen wieder schwerer wurden und ich fluchte innerlich. Im Grunde konnte ich den Drang der Müdigkeit bekämpfen, doch in den letzten Tagen konnte ich es einfach nicht. Sobald meine Augen immer schwerer wurden, ließ ich mich mit sanften Schwingen in den Schlaf gleiten. In letzter Zeit litt ich unter Schlafmangel und akuter Unlust.
Der Druck meiner Augenlieder wurde so unerträglich, dass ich nicht anders konnte. Ich schob ein paar Haare vor meine Augen, legte meinen Kopf gegen meine Hände und schob das Buch unter mich. So würde es aussehen, als ob ich fleißig den Text lesen würde und doch in Wirklichkeit war Latein dann weit von mir entfernt. Meine Augen schlossen sich und schon wurde ich auf der Welle der Müdigkeit davon getragen.
Ich befand mich in einem Raum, der völlig in Dunkelheit gebettet war. Meine Gestalt stand in der Mitte des Raumes und niemand schien sich in meiner Nähe zu befinden. Mein gesamter Körper schien in der Dunkelheit zu leuchten und diente als einzige Lichtquelle. Ich versuchte etwas in der Dunkelheit zu erkennen, aber außer der Schwärze konnte ich nichts ausfindig machen. Keine Geräusche … noch nicht einmal meinen eigenen Atem konnte ich hören. Ich wollte mich bewegen und nach einem Ausgang suchen, aber meine Füße schienen am Boden festgeklebt zu sein. So sehr ich mich auch bemühte, ich konnte sie nicht heben. In mir drin stieg langsam die Panik hoch und ich versuchte mit aller Kraft, die ich hatte, meinen Körper zu spannen. Genau in diesem Augenblick veränderte sich etwas im Raum. Zuerst wusste ich nicht genau, was geschah, aber als mein Blick zum Boden glitt, konnte ich erkennen, dass dieser anfing kleine Wellen zu schlagen. Wie wenn man in einem See einen Stein auf die glatte Oberfläche schmiss. Mein Herzschlag beschleunigte sich und wie gebannt blieb mein Blick auf den Boden gerichtet. Obwohl nun der Boden einem aufgewühlten See glich, waren meine Füße nicht nass. Ich hatte sogar das Gefühl, als würde ich auf einer Wasseroberfläche stehen. Die Bodenfläche beruhigte sich und ließ eine glatte Fläche zurück, die einem Spiegel glich. Obwohl es dunkel in dem Raum war, schien sich ein silbriger Mond auf der Oberfläche zu spiegeln. Sofort schoss mein Kopf nach oben, aber erkennen konnte ich nichts. Verlag: BookRix GmbH & Co. KG Texte: Sämtliche Rechte dieses Textes liegen bei mir Alle Rechte vorbehalten Widmung:
Wie gebannt versuchte ich mich auf den Boden sinken zu lassen. Zu meiner Überraschung, gaben meine Knie wirklich nach und ich glitt langsam hinab zur Spiegelfläche. Als meine Hände den Boden berührten, zuckte ich kurz zusammen. Der Boden, der gleichzeitig die Spiegelfläche war, war genauso kalt wie Eis. Obwohl ich das Gefühl hatte, gleich einen Nervenzusammenbruch zu bekommen, übermannte mich die Neugier und ich wollte wissen, was es mit ihr auf sich hatte. Vielleicht war es auch keine Spiegelfläche, da sich nicht mein Spiegelbild darin widerspiegelte.
Ich hob meine Hand und legte sie an die Stelle, an der normalerweise mein Gesicht hätte zu sehen sein sollen. Meine Haut sah unnatürlich blass in der Schwärze des Raumes aus … alles schien unwirklich. In dem Moment, in dem ich meine Hand wieder zurückzog, geriert die Oberfläche wieder in Bewegung und
Impressum
Bildmaterialien: Dieses Cover wurde von carry12 zur Verfügung gestellt
Tag der Veröffentlichung: 27.06.2010
ISBN: 978-3-7309-1163-1
Dieses Buch widme ich Chrissy, weil du immer an meine Fähigkeiten geglaubt hast
Auch möchte ich mich bei Carry12 für das tolle Cover bedanken