Über das Lachen
Neulich fielen mir an einer Bushaltestelle drei wohlsituierte Herren in ihren dunklen Mänteln auf, die sich in einem angeregten Gespräch befanden und dabei recht sonderbar benahmen. Auch wenn vom Inhalt nichts zu verstehen war, verrieten ihre gewichtigen Posen um so mehr, dass es sich offenbar um etwas sehr Bedeutsames handeln musste; und wie für Bedeutsames üblich, versuchte darin ein jeder den anderen zu übertreffen. Sonderbar war das Ganze weiterhin, weil sich eigentlich nur zwei von ihnen unterhielten, der Dritte hingegen, ein kleiner Dicker mit Halblatze und rotem Gesicht, mehr oder weniger interessiert lauschte und seine Kommentare auf eifrige Heiterkeitsausbrüche beschränkte. Dabei konnte man förmlich sehen, wie gern er mitgemischt hätte, verstand sich aber irgendwie nicht einzubringen, so dass er über gelegentliche Seufzer nicht hinauskam und sich ansonsten darauf beschränkte, mit seinen Blicken zwischen den Redenden hin und her zu wechseln. Blieb nur zu hoffen, dass er das auf Dauer vertrug. Ist doch hinlänglich bekannt, dass man auf solche Weise - das nötige Geschick vorausgesetzt – vom eigenen Unvermögen schnell ablenken und sich als ironischer Zuhörer glaubhaft inszenieren kann, vorausgesetzt, man beherrscht die dafür nötigen Regeln, die da wären: man lache nicht an den falschen Stellen oder schweige an anderen und das möglichst tiefsinnig.
Für meine Begriffe verstand dieser Mann aber weder das eine, noch das andere, denn er wurde mehrmals ziemlich ruppig ausgebremst, und das ohne die geringste Gegenwehr.
Natürlich ist so etwas deprimierend, und jeder, der das schon mal durchgemacht hat, wird mir beipflichten, dass es in einer solchen Lage nichts Dümmeres geben kann, als der Versuch irgendeines Kommentars. Es würde in jedem Fall misslingen, weil in solchen Situationen nur alles misslingen kann; man bliebe angestarrt wie ein Reptil, das plötzlich sprechen kann, mehr aber auch nicht.
Nun gut, jeder wohlerzogene Mensch hätte spätestens hier eingegriffen und durch ein deutliches Veto diesem Treiben ein Ende gesetzt. Aber wäre das klug? Zweifellos wäre man falsch verstanden worden, wie immer, wenn man jemanden auf etwas Unbewusstes hinweist. So etwas wird schnell als Bevormundung missverstanden und kann schon mal eskalieren. Darauf hatte ich nun wirklich keinen Bock. Außerdem, wer vermochte schon zu sagen, ob dieser Esel am Ende nicht selber Schuld an seinem Elend trug, es womöglich gar provoziert hatte? Auch das soll zuweilen vorkommen, aus welchen Gründen auch immer. Deshalb hielt sich mein Großmut in Grenzen.
Vielmehr beschäftigte mich jetzt etwas ganz anderes. Es waren die unterschiedlichen Nuancierungen seines Lachens, welche völlig unbewusst den emotionalen Stimmungsverlauf des Gesprächs oder besser Dialogs reflektierten. Das war für mich erstaunlich, weil es mir sehr deutlich zeigte, dass kaum ein Mensch aufrichtig lacht. Wenn man zum Beispiel jemanden an- oder auslacht, von mir aus auch mitlacht oder sich einfach eins ins berühmte Fäustchen lacht, bleibt das niemals frei von tieferen, meist schlechten Gedanken.
Und genau diese zeigte dieser Depp ganz offen. So quittierte er das Gesagte mal mit einem albernen: „Hehehe“, als Ausdruck einer schnöden Selbstgefälligkeit, dann wieder mit einem langgezogenes: „hohoho“, als dümmlich hilflose Bewunderung, dann wieder mit einem abscheulichen „hähähä“, als klägliches Beipflichten usw.. Aber nicht ein einziges Mal ließ sich ein ganz einfaches: 'hahaha' vernehmen, auch wenn in jedem Fall eine heitere Spur auf seinem Gesicht lag, allerdings etwas zu heiter, wie ich fand. Aber ich deutete bereits an, woher das rührte.
Entscheidend für mich war aber das Fehlen einer weiteren Variante, nämlich eines hämischen ‚Hihihi’, was wiederum Mut verlangte, den er aber zweifellos nicht hatte.
Dies alles machte einen starken Eindruck auf mich, weil das Gesicht des Lachenden in jedem Fall unnatürlich, zuweilen gar widerwärtig erschien, als wolle sich sein wahres Ich dahinter verbergen, auch wenn er sich damit unbewusst erniedrigte. Denn ebenso wenig wie er oder überhaupt ein Mensch weiß, welches Gesicht er zieht, wenn er lacht, so kennt er es, wenn er schläft. Mancher sieht im Schlaf durchaus klug aus, anderen hingegen, selbst Kluge, wirken dann überaus dumm oder geradezu lächerlich. Kein Wunder, dass man im Schlaf nicht gern betrachtet werden möchte, auch wenn gerade in diesem Zustand bestimmte Wesenszüge unverfälscht zutage treten. Ich will damit nur sagen, dass sowohl Schlafende als auch Lachende etwas Entscheidendes gemein haben, - sie können ihre Physiognomie nicht steuern, was wiederum Platz für ’Natürlicheres’ lässt, was wiederum im bewussten Zustand absichtlich unterdrückt wird, vielleicht, weil man sich seiner schämt, oder gar fürchtet oder was weiß ich. Ich wage darüber hinaus zu behaupten, dass eine Großzahl der Menschen überhaupt nicht zu lachen versteht - und wenn sie es dennoch tun, geschieht das nicht ehrlich. Zu verstehen ist dabei übrigens nichts; man muss es einfach haben. Verschaffen kann man es sich allenfalls dadurch, indem man sich nach einer besseren Seite hin entwickelt und die schlechten Neigungen des Charakter bekämpft: mit großer Wahrscheinlichkeit könnte sich dann auch das Lachen eines solchen Menschen zur besseren, natürlicheren Seite ändern. Weiterhin denke ich, dass sich mancher durch das Lachen sogar vollständig verrät, und man durchschaut ihn auf einmal bis zum Grunde seiner Seele. Sogar ein unstreitig kluges Lachen wirkt dann mitunter abstoßend. Darum meine ich; das erste Erfordernis beim Lachen ist die Aufrichtigkeit und diese liegt ausschließlich in der Spontaneität. Spontanes Lachen ist wertvoller als anerkennendes oder, noch schlimmer, schmeichelndes (ganz zu schweigen von der übelsten Form des Lachens, dem unanständig lauten Lachen an der Grenze zum Grölen).
Ein zweites Erfordernis ist die Gutherzigkeit, zumal die Menschen meist in boshafter Weise lachen, also getrieben von irgendeinem Hintersinn, bei dem nicht selten Schadenfreude Pate steht. Nur spontanes, also ehrliches Lachen ist meiner Meinung nach Ausdruck wahrhaftiger Heiterkeit. Aller andere ist Häme.
Die Heiterkeit ist demnach jener Charakterzug, worin sich das ganze Wesen des Betreffenden am deutlichsten niederschlägt. Aus manchem Charakter wird man lange Zeit nicht klug; aber da braucht der Kerl nur einmal aufrichtig zu lachen, und sein ganzer Charakter liegt plötzlich offen wie auf dem Präsentierteller. Nur ein Mensch mit reinem Herzen versteht es meiner Meinung nach, seine Heiterkeit anderen glaubhaft mitzuteilen, dass heißt vermittels einer unwiderstehlichen Gutherzigkeit andere mitzureißen. Das betrifft nicht die Verstandesentwicklung, sondern allein seinen Charakter, der niemals verstanden, sondern immer nur empfunden werden kann. Wenn man also einen Menschen ’empfinden’ will, achte man nicht auf sein Reden, seine großartigen Posen oder sein tiefsinniges Schweigen, kurzum Dinge, die steuerbar sind, sondern auf sein Lachen und hier vor allem auf die vielfältigen Schattierungen. So zum Beispiel darf ein Lachen niemals dumm erscheinen, mag es auch noch so heiter und gutherzig sein. Bemerkt man auch nur die geringste Spur davon, ist der Betreffende unzweifelhaft ein Mensch von beschränktem Verstand, mag er sich auch noch so intelligent geben. Aber selbst wenn sein Lachen nicht dumm erscheint, es einem aber aus irgendeinem Grunde lächerlich vorkommt, und sei es auch nur ein klein wenig, so ist das ein Indiz für die mangelnde Würde dieses Menschen. Andererseits, wenn sich ein Lachen durchaus anderen mitteilt, es einem aber irgendwie trivial erscheint, so wird sein Wesen ebenso trivial sein, und alles Edle und Hohe, was man zuvor an ihm wahrgenommen glaubt, wird dann auch nur entweder eine absichtliche Fälschung oder unbewusstes Entlehnen von anderen sein. Ein solcher Typ wird sich unzweifelhaft in jedem Fall zum Schlechten hin verändern, das steht außer Zweifel, auch wenn er sich dreimal nach außen hin mit dem 'Gutem’ beschäftigt, denn die wirklich guten Ideen wird er in Wahrheit ohne jedes Bedauern als jugendliche Verwirrung und Torheit verwerfen und sich als das geben, was er in Wahrheit ist, ein nüchterner, knochentrockener Pragmatiker, womöglich noch Pedant.
Daher denke ich, dass das Lachen eine Art Prüfstein der Seele ist. Meines Erachtens verstehen sich nur Kinder darauf, in idealer Vollkommenheit zu lachen, weil sie noch unbelastet und unverdorben sind. Ihr Lachen ist ein Strahl aus dem Paradies, so rein und so einfältigen Herzens, dass darin kein Platz für Hintergedanken und Ränkespiele bleibt ... Wenn man nun aber glaubt, sich ein Beispiel daran nehmen zu können, wird man schnell enttäuscht, denn sobald wir sie zu imitieren versuchen, verklären wir uns selbst und sind wieder genau dort, wo wir nichts ein sollten. Offenbar ist es so, dass wir die Kunst den freien ungezwungen Lachens im Verlauf des Lebens mit Notwendigkeit verlieren, es sei denn, wir bleiben Tore, die nichts hinzugelernt haben ...
andere Meinung, Einsprüche, Prostete ausdrücklich erwünscht, aber bitte begründen ... korrigiere mich gern.
Texte: Gedanken zum Phänomen des Lachens
Tag der Veröffentlichung: 20.12.2008
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