- ein tieferes Gefühl -
Natürlich kam es vor, dass sie sich, von Selbstzweifeln zerrissen, in ihren Verwünschungen bis zu Tränen verstieg, zuweilen sogar beschimpfte - freilich nur leise. Dann suchte sie die Nähe ‘neutraler’ Kollegen, in der Hoffnung auf ein tröstendes Wort. Doch nicht mal das hatte man für sie übrig, machte allenfalls verharmlosende Bemerkungen, die eher kränkend wirkten. Nur wie sollte sie anderen etwas verständlich machen, was sie selber nicht verstand? Meist nahm sie dann etwas
, freilich nur wenig und aus sicherer Quelle. Danach wurde sie ruhiger, entspannter und konnte stundenlang vor sich hin starren, ohne einen einzigen Gedanken zu entwickeln. Doch wenn sie dann erwachte, wurde alles nur noch schlimmer. Das war natürlich keine Lösung. Niemand wusste das besser, und doch wäre sie eher gestorben, als dem ewigen Gleichmaß des täglichen Einerleis zu erliegen, wie es für Leute bezeichnend ist, die sich in ihrer sattsamen Zufriedenheit genügen.
Nur was raubte ihr jede Ruhe? Woher diese plötzliche Unsicherheit, Angst und Aggressivität, wie jüngst bei der völlig unnötigen Szene in ‘Herberts‘ Vorzimmer. Ohne jede Vorankündigung war sie hineingestürzt und hatte sogleich mit der Faust auf den Tisch geschlagen. „Was heißt hier ’nicht avisiert?! Ja, sind Sie denn noch bei Trost, gute Dame? Glauben Sie, ich habe meine Zeit in der Lotterie gewonnen?!“
Doch wie sich später herausstellte war ‘Herbert‘ tatsächlich nicht da; ein Blick in ihren Terminkalender hätte alles aufklären können. Statt dessen ein solcher Eklat. Würde man sie nach dem Grund ihrer Reaktion gefragt haben, hätte sie sicher tausend Ausflüchte parat gehabt, woran sie teilweise sogar selber glaubte. Doch niemals gäbe sie etwas zu, was sie gar nicht zugeben konnte, weil sie sich davor fürchtete, wenngleich sie es niemals wirklich begriff. Es war dieses Fühlen tief im Inneren, was im Gegensatz zu ihrem Äußeren stand und sie zu Dingen trieb, die nicht immer plausibel schienen. Zuweilen war es wie ein Feuer, lebhaft und schnell, dann wieder wie kaltes, trübes Wasser. Aber gibt es etwas schlimmeres, als anders zu sein, als man fühlt; wenn sich das Innere gegen das Äußere sträubt und tief im Herzen ein Konflikt schwelt, der zu ständigen Irritationen führt? Wie kann man lieben, ohne sich selbst zu hassen, wie in den Spiegel schauen, ohne sich zu verleugnen? Tausendmal schon hatte sie es versucht und war ebenso oft gescheitert. Was blieb, war ein ewiger Taumel, ein Wirrwarr an Emotionen, welcher sich, je nach Befindlichkeit, zur einen, dann wieder zur anderen Seite neigte, ohne sich jemals zu finden. Mit bitterer Wehmut erinnerte sie sich der fernen Kindertage, in denen sie noch nichts verstand, diesen Zwiespalt jedoch bereits spürte.
„Frank, was machst du da?!“ herrschte sie die Mutter an, wenn sie heimlich ihren Petticoat anzog und damit vor dem Spiegel posierte. „Solltest dich schämen. So was tut ein Junge nicht!“ Es folgten Schläge auf die Finger. Schließlich verbrannte Mutter den Petticoat und bestand darauf, ihr Haupthaar zu stutzen, damit aus ihr ein ‚richtiger Bub’ würde. Sie sollte herumtollen, auf Bäume klettern und sich mit anderen raufen, anstatt mit Puppen zu spielen.
„Was soll der Nagellack? Das ist ja furchtbar!“ Was daran furchtbar war, verschwieg sie allerdings, statt dessen drückte ihr ganzes Wesen Abscheu aus, was sehr verletzend wirkte. Folglich entstand ein Gefühl der Scham und des Schmutzes, viel schmerzhafter als alle Prügel, wenn auch die tieferen Ursachen unklar blieben. Nur wo Rat und Hilfe holen? Selbst Großvater, der immer so warm und herzlich war und ihr so oft beigestanden, wurde sofort kühl, sobald sie dieses Thema berührte. Allein ihrer Hartnäckigkeit war es zu danken, dass er sich einmal zu einer Bemerkung hinreißen ließ, die sie nie vergessen sollte. „Gott verdammt, es gibt Stuten und Hengste, dazwischen gibt es nichts. Niemandem steht es frei, sich zu entscheiden, weil die Welt nun mal so eingerichtet ist. Alles andere sind Wege des Teufels!“
Daraufhin war sie fortgerannt und hatte sich daheim in der Besenkammer eingesperrt. Lange saß sie dort in völliger Apathie, bis Mutter die Tür aufriss. Die nachfolgenden Prügel und der verordnete Hausarrest vereinsamten sie nur noch mehr. Auch der spätere Zwang zum Tragen von Lederhosen, was ihr seitens ihrer Schulkameraden reichlich Spott einbrachte, vermochte ihr Leben nicht zu ändern. Längst schwelte etwas tief in ihrem Inneren, das einfach nicht zu bändigen war und sofort hervorquoll, sobald sich die Gelegenheit bot. So blieb es unvermeidlich, dass sich dieser ’Bub’, kaum alleine, auffallend lange vor dem Spiegel betrachtete. Dabei erwachte noch scheu, bereits ein neues, süßes Gefühl, das eine unerklärliche Neugier weckte. Ganz von selbst griff sie dann zur Bürste und stellte sich vor, wie es wäre, sich die herabwallende blonde Mähne zu striegeln, deren Spitzen zärtlich ihre Brüste umspielten. Und wenn sie dazu die Perlonstrümpfe der Mutter trug, die mit straffer Festigkeit ihre weißen Schenkel umspannten; wenn sie ihre Lippen von Herzen schminken und ihrem Spiegelbild Küsse zuwerfen konnte, fühlte sie sich, von einer Woge des Glücks beseelt, in eine andere Welt gerissen, in welcher alles anders und voller Zauber war und mit wundervollem Entzücken ihr Herz durchschauerte. Dann kitzelte sie ein verführerisches Verlangen, das obzwar noch immer von Angst und Scham durchdrungen, nach Erfüllung heischte. Alles in ihr war so unbekümmert und leicht, dass sie endlich lachen, tanzen und sein konnte, wer und vor allem was sie wirklich war.
Nicht das es ihr an Versuchen mangelte, diesem Verlangen zu widerstehen. Anfangs zwang sie sich sogar und meinte in dem, was sie tat, etwas Schmutziges, Verwerfliches zu sehen, dessen man sich schämen müsse. Doch wie, wenn hinter jedem Versuch, eine schmerzhafte Selbstverleugnung steht? Wie diesen Schmerz überwinden, ohne ihn erneut zu provozieren? Niemand kann so etwas auf Dauer ertragen, ohne Schaden an der Seele zu nehmen.
Die Mutter sah mit großer Sorge die androgynen Züge ihres Kindes, welche mit dem Einfordern bestimmter Gesten und Verhaltensweise partout nicht zu kaschieren waren. Selbst all die fiktiven Lausbubengeschichten, welche sie Nachbarschaft unterbreitete, halfen nichts, indessen die häuslichen Sanktionen immer strenger wurden, nur um das gewünschte Verhalten zu erzwingen. So reagierte sie selbst bei nichtigsten Verstöße oftmals sehr empfindlich und scheute nicht einmal, sie vor anderen bloßzustellen.
„Stell Dir nur vor, unser Frank wird langsam erwachsen", spöttelte sie einmal in Gegenwart von Onkel Willi, einem grobschlächtigen Mittfünfziger, der schrecklich viel aß und liebend gern über sie herzog. „Sieh nur, er muss sich bald rasieren.“
„Wirklich?“, frotzelte dieser und schaute sie mit hochgezogenen Brauen an. „Ich finde, er sieht immer noch recht zart aus, richtig knabenhaft. Aber jetzt, wo du es sagst -, stimmt, der Flaum auf der Oberlippe sieht putzig aus.“
„Putzig?“
„Er sollte ihn später unbedingt stehen lassen - den Bart meine ich.“ Sein Gelächter danach war gräßlich. Immer wieder zeigte er mit dem Finger auf sie, als fände er das wer weiß wie komisch, so dass er am Ende ganz kleine Augen bekam und sein Lachen zu einem wahren Gebrüll auslud.
Gott, wie drehte sie ihr der Magen um. Und als er dann noch eine Spargelstange vom Teller fischte und sie demonstrativ in die Höhe hielt, um sich mit einer zweideutigen Bemerkung daran zu ergötzen, rannte sie in ihr Zimmer, wo sie den Rest des Tages allein in blinder Wut verbrachte.
Sie hatte lange gebraucht, Mutters Instinktlosigkeit zu verarbeiten, zumal sie zu diesem Zeitpunkt weder die eigene Scham noch Erregung begriff. Abends lag sie noch lange wach, ständig diese obszöne Geste mit dem Hinweis auf jenes verräterische Rudiment vor Augen, das sie vor anderen zwar meisterhaft zu verbergen verstand, jedoch nicht gänzlich verleugnen konnte. Es war einfach schrecklich, so unvollkommen, oder genauer so missgestaltet zu sein und das auch noch ständig zu spüren. Jeder Hinweise darauf erfüllte sie mit Schmerz und Scham, weil es schmutzig und widerwärtig war, weil es ihre Seele vergiftete und einfach nicht zu ihr passte. Doch was dagegen tun, wie alle Welt vom Gegenteil überzeugen, so lange sie dieses verräterische Detail überführte? Wiederholt trug sie sich mit dem Gedanken an Selbstverstümmelung, schreckte jedoch davor zurück. Es musste einen anderen Weg geben, einen sanfteres, der zu ihrem Wesen passte, nur welchen?
- Irritationen -
Da war Beate, ein Mädchen aus der Nachbarschaft, das mit ihren Eltern zugezogen war. Als einzige zeigte sie Mitgefühl mit ihren Eigenheiten, hingegen die anderen fortwährend über sie lästerten. „Lass sie doch, wichtig ist, wie du dich selber fühlst; schließlich ist es dein Leben und nicht ihres“, tröstete sie und das in einer Unbekümmertheit, als wäre es das Natürlichste von der Welt. Und als sie dann noch putzige Vergleiche zu anderen anstellte, ’die sich gefälligst an die eigene Nase fassen sollten‘, musste sie entgegen ihrer Gemütsverfassung tatsächlich lachen.
Dabei war sie ganz und gar nicht ihr Typ, eher klein, ein wenig pummelig und von einer Keckheit, die empfindsame Seelen schnell beleidigte. Und doch umgab sie auch etwas Verführerisches, weshalb sie sich oftmals nicht von ihrem Anblick lösen konnte und jede ihrer Regungen geradezu studierte, als versuche sie mit Macht in ein tieferes Geheimnis zu dringen. Da waren ihre großen, blassblauen Augen, die zuweilen erstaunlich ausdrucksvoll werden konnten; dann wieder ihr Lachen, welches Franka jedes mal verzückte, doch nicht wie für einen Jungen ihres Alters typisch, sondern mehr aus der Sicht einer Frau, die der anderen etwas neidet. Alles an ihr war bizarr, geradezu konträr, angefangen von ihren närrischen Streichen, den losen Redensarten, bis hin zur burschikosen Art, sich zu geben und zu gestikulieren. Dabei strotzte sie mit ihren Sechzehn bereits vor Weiblichkeit, wobei die jugendliche Unbefangenheit ihren femininen Liebreiz noch steigerte, vor allem, wenn sie jemanden durch Witzeleien in Verlegenheit brachte und danach ganz unschuldig tat. Dann lachte sie ganz unbekümmert und knuffte ihr Opfer vor Vergnügen, das man ihr gar nicht böse sein konnte.
Wie gerne hätte sie ihre Sorglosigkeit geteilt, wäre sie nicht infolge der fortwährenden Unterdrückung so schüchtern und ängstlich gewesen, dass sie oftmals nur stumm vor sich hin brütete und kaum etwas zu sagen wagte. Aber gerade die Verschiedenheit ihrer Charaktere, die nicht größer hätte ausfallen können, führte zu einer gegenseitigen Neugier, die ganz unwillkürlich in einer sehr feinen, beinahe zärtliche Beziehung mündete.
Da kam es zu einem Schlüsselerlebnis während eines Schulsportfests, an dem jeder Schüler mehrere Disziplinen zu absolvieren hatte. An jenem Tag trug Franka ihre knallengen Shorts und wurde wie immer von den Jungs wegen ihrer effeminierten Art gehänselt. Das brachte sie derart durcheinander, dass sie sich nicht richtig konzentrieren konnte und bei jedem Wort, das man an sie richtete, sofort errötete. Jede Bewegung wurde ihr zur Qual; sie wirkte hölzern und steif, weshalb sie die geforderten Übungen nur widerwillig absolvierte. Dabei war es nur noch eine Frage der Zeit, bis sie in Tränen ausbrechen würde, vor allem, nachdem der Sportlehrer, ein besonders niederträchtiger Kerl, sie absichtlich bis zu letzt aufsparte, um sie dann ’vorzuführen’. Und dann passierte es. Beim Weitsprung platzte eine Hosennaht und das auch noch so unglücklich, dass sie danach unmöglich aufstehen konnte. Sogleich trat Totenstille ein und man erwartete gespannt ihre Reaktion. Wieder war es Beate, die ihr schnell eine Strickjacke zuwarf, damit sie sich bedecken konnte. So gelang es ihr, die Situation zu retten. Im Umkleideraum, wohin sie danach heulend geflüchtet war, stand sie noch lange unter der Dusche und konnte sich nicht von der Jacke lösen, die, noch immer ihre Hüften umhüllend, das Wasser aufsog und dabei schwer wie Blei wurde. Plötzlich war ihr, als umfassten sie Beates Hände, fühlte sie ihre schlanken Finger an verbotenen Stellen, was ein unbändiges Verlangen weckte, so dass sie die Augen schloss und sich ganz still verhielt. Und obgleich alles in ihr dagegen revoltierte, umfing sie eine unglaubliche Süße, die jeden Widerstand sofort lähmte. Längst benebelt von der Sehnsucht nach Verbotenem, ja Unmöglichen, massierten ihre Hände den Schaum auf der klatschnassen Jacke, die ihre Haut so ungemein kitzelte, indes ihn heißes Wasser hinweg spülte, über ihre Nacktheit perlte und jenes Prickeln hervorrief, was sie stets in ihrer Nähe fühlte.
Aber da war plötzlich etwas Unbekanntes, Schönes, aber auch Unheimliches, was sie gleichermaßen anzog wie ängstigte. Es war eine süße Beklommenheit in Erwartung von etwas sehr Schönem, Berauschenden, was die geheimsten Wünsche regte. Nicht das es ihr missfallen hätte, so zu fühlen, aber es geschah aus anderer Perspektive, was dem Ganzen eine gewisse Schieflage verlieh und jeden wirklichen Genuss verhinderte. Irritiert über die Sprunghaftigkeit und das flatterhafte Wesen der Freundin, war es ihr unmöglich, ihren Erwartungen zu entsprechen, wie sie es zweifellos getan hätte, wenn sie nur ihre Gefühle hätte ordnen können. Das wiederum schien Beate zu reizen, die selbst die kleinste Unsicherheit sofort aufschnappte und nach den Ursachen forschte, ungeachtet der seelischen Qualen, die sie ihr damit bereitete. Möglicherweise war sie von Frankas Exaltiertheit fasziniert, doch war diese Faszination mehr einer kindlichen Neugier, denn tieferem Gefühl geschuldet.
Mehr als einmal bemerkte sie Beates fragende Blicke, doch wenn sie widerstand, verfiel sie sogleich einem unbestimmten Lächeln, das nur schwer zu deuten war. Schon bald küssten sie sich, wobei die in ihrem Armen sich windende Beate, von der eigenen Leidenschaft übermannt, alle Instinkte einer erregten Frau in unerhörter Deutlichkeit zeigte und sie damit nur noch mehr verwirrte. Mir ihr durchlebte sie ihre ersten Erfahrungen, sowohl in der einen, als auch anderen Form, denn Beate war zu diesem Zeitpunkt selbst noch nicht gefestigt, was Frankas schwankenden Neigungen entgegenkam. So konnte sie mit ihr die Frau mit männlichen, bzw. den Mann mit weiblichen Attributen nach Belieben ausleben. Das wiederum hob ihr Selbstvertrauen und verführte sie zu Dingen, die sie unter anderen Umständen niemals gewagt hätte. Aber auch manche ihrer Probleme sprach sie an, in der Hoffnung auf Verständnis.
„Natürlich bist du ein Mann“, empörte sich Beate, wenn sie sich entspannt an ihre Brust lehnte, so dass Franka diese Anspielung nicht unbedingt als Verunglimpfung empfand. „Aber wenn ich etwas an dir mag, ist es die Frau“, hauchte sie ihr dann ins Ohr und brachte sie erneut in Verlegenheit.
„Eine Frau?“ fragte Franka daraufhin zweifelnd und war sich nicht sicher, ob sie eine Antwort überhaupt hören wollte. Beate hob jedoch nur die Schultern und lachte, als gäbe es nicht Belangloseres, so lange nur der Rest stimme. Oh, wie war sie doch beneidenswert mit ihrer bleichen Haut, dem roten Schmollmund und der blonden Löwenmähne. Grenzenlos ihre Bewunderung für den feinen, goldenen Flaum unterhalb ihres Nabels, der sich unter ihrem Hauch jedes mal bezaubernd aufrichtete und sie bis zum Wahnsinn erregte. Mit inniger Lust umschlang sie Beates Körper, der sich ihr einmal mehr in selbstherrlicher Schamlosigkeit darbot, dabei von Kopf bis Fuß von Wonneschauern durchtobt, jedoch nur bereit zu empfangen, nicht aber zu geben.
Fehlte doch bei allem Hochgefühl jeder tiefere Bezug, der wiederum für ein wirkliches Glück vonnöten ist; fixierte sich letztlich alles am Stillen eines Triebes, weshalb sie zu einander gefunden hatte, doch zugleich auch jeden für sich trennte. Dabei empfand Franka durchaus leidenschaftlich, war stets voller Bewunderung für die Schönheit und Reinheit ihres Körpers. Und doch gab es etwas Unstimmiges, was nicht länger zu verleugnen, immer deutlicher und vor allem schmerzlicher Tage trat. Es war dieses Gefühl der Unvollkommenheit trotz aller Harmonie. Anfangs hoffte sie, es zu überwinden, wenn sie nur dauerhaft liebte und sich mit unwillkürlichen verstohlenen Liebkosungen darüber hinwegtäuschte, vor allem wenn ihre Zweifel am größten wurden.
Doch es blieb ein Irrtum, denn als sie sich einmal erklären wollte, lachte Beate nur mit dem Bemerken, das sei doch alles Unsinn; sie sei schließlich nicht, was sie selber fühle, sondern immer nur, was sie durch andere fühle
. Diesen Satz hatte sie nie verstanden, wagte aber aus irgendeinem Grund nicht nachzufragen. Und doch war danach eine unermessliche Leere in ihr entstanden, in der die Welt, die sie umgab, ihre Empfindungen, ja das eigentliche Bewusstsein ihres eigenen Dasein versunken waren.
Vielleicht wäre alles anders gekommen, hätte sie mit der nötigen Behutsamkeit Frankas zuweilen aufkeimende Männlichkeit bestärkt und somit ihrer eigentlichen Bestimmung zurückgegeben. Doch so wurde ihre Orientierungslosigkeit durch Beates wechselnden Neigungen nur noch forciert. Es endete damit, dass sie ihr als Frau nicht männlich genug und als Mann nicht weiblich genug war. Von heute auf morgen waren alle schönen Stunden vergessen und sie hatte sich in einen, wie sie sagte, ’richtigen’ Mann verliebt, ohne das freilich näher zu benennen.
Für Franka brach eine Welt zusammen. Sie trug sich mit Selbstmordgedanken und hatte schon das Gebäude ausgewählt, von dem sie sich stürzen wollte. Doch als sie sich über die Brüstung lehnte und in den gähnenden Abgrund starrte, ahnte sie die Sinnlosigkeit. Wenn auch gescheitert, so war doch der Beweis für ihre Liebesfähigkeit erbracht. Schnell wurde aus Trauer Trotz, und sie wagte sich zum ersten Mal zum heimatlichen ‚Schwof’, wie es dort mundartlich hieß. Bereit, mit dem erst besten anzubandeln, der sie begehrte, erwartet sie die Avancen und scheute nicht vor diesbezüglichen Signalen zurück. Doch entgegen allen Hoffnungen blieb sie den ganzen Abend sitzen. Niemand kümmerte sich um jene große Brünette mit dem hautengen, rückenfreien Kleid, die ihre herben Gesichtszüge hinter fingerdickem Make-up verbarg.
Das war schrecklich peinlich, niemals spürte sie ihre Einsamkeit quälender. Auch wenn es zu keinen unliebsamen Szenen kam, blieb doch ein bitteres Gefühl, das noch lange nachhallte. Es waren die scheelen Blicke und das kühle, aufgesetzte Lächeln, was ihr von allen Seiten entgegenschlug. Zweifel kamen ihr, ob die Art, wie sie sich darstellte, den allgemeinen Geschmack auch traf. Gewiss wäre es ein Leichtes gewesen, ohne Perücke in einem adretten Anzug zu erscheinen und sich nach bester Machoart sprücheklopfend an einen Damentisch zu setzen. Aber wäre sie dann noch sie? Verrück war, dass sie Frauen gar nicht interessierten. Andererseits, würde sie einen Mann lieben können, so lange sie noch ’männlich’ empfand? Sie könnte sich nur dann als perfekte Frau empfehlen, stünde ihr ein Mann in der nötigen Form zur Seite, welcher sie wiederum ganz als Frau akzeptierte. Doch welcher Mann wäre dazu bereit, so lange noch männliche Rudimente in ihr lauerten? Einem Mann zu genügen, erforderte Weiblichkeit, und das in aller Konsequenz. Nur wie ohne Aufgabe ihr bisherigen Identität?
Texte: die tieferen Wandlungen eines Menschen
Tag der Veröffentlichung: 29.11.2008
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