Cover



Ich ging durch die quietschende Tür, die ein Glöckchen zum Klingeln brachte. „Jemand sollte die Tür recht bald ölen, ansonsten wird es ihr immer schwerer fallen, sich zu öffnen.“, dachte ich und stellte mich an die Warteschlange an. Als ich an der Reihe war, bemerkte ich es nicht. Vielleicht ja schon. Oder ich wollte es nicht bemerken. Als sich mein Blick mit der der Verkäuferin traf, lächelte sie freundlich mit ihrem mondförmigen Gesicht und den leuchtenden Wangen. „Hast du etwas verloren?“, fragte sie mich. „Ja, einen Gedanken.“, sagte ich leise. „Haben Sie ihn beim Saubermachen gefunden?“ Sie zuckte mit den Schultern. „Nein, tut mir Leid. War es denn dein Gedanke?“ Ich lächelte. „Ach was, ich habe ihn aus einem Buch.“ - „Also ist es der Gedanke des Autors?“ Ich runzelte die Stirn. „Das bezweifle ich. Er hat ihn sicher auch genommen und einfach nur in neue Worte gesteckt.“ Sie seufzte schwermütig. „Wie sah der Gedanke denn aus?“ - „Dunkel. Dunkel und schwer.“ Sie blickte mich traurig an. „Vielleicht hat ihn ja jemand mitgenommen.“ Ich seufzte. „Tja, dann hab ich ihn wohl endgültig verloren. Einen Kaffee, bitte.“ - „Nur Kaffee?“ - „Ich brauche Kraft.“ Sie nickte und bereitete ihn mir schweigend zu. „Sollen wir uns einen eigenen Gedanken machen?“ Ich biss mir auf die Unterlippe. „Kannst du das denn?“, fragte ich leise. Sie seufzte nochmals. „Ich habe es noch nie versucht.“ Ich blickte zu Boden. „Sehen Sie, ich nämlich auch nicht.“ Sie reichte mir den Becher. „Das ist ziemlich traurig. Hier ihr Kaffee, passen Sie auf ihr Kleid auf.“ Ich nickte, nahm die Kraft und gab ihr passend das Geld. „Passen Sie auf ihre Gedanken auf, sonst nimmt sie sich noch jemanden und stellt sie wohlmöglich noch ins Internet. Und dann gehört ihm jeden.“ Ich öffnete die Tür langsam, geduldig und voller Liebe; sicherlich hatte sie das in letzter Zeit nicht oft erfahren. Als ich den kalten Wind draußen spürte, strich das weiße Kleid um meine Beine und die kleinen Härchen stellten sich auf. „Schatz, die Welt hält wegen einer gebrochenen Seele nicht still.“, sagte mal irgendwer, irgendwo, irgendwann. Eine Frau lief an mir vorbei und ich bewunderte ihre Eile. Wenn Zeit an Bedeutung verliert, scheint jeder Moment unendlich. Ich nahm einen Schluck Kaffee als ich merkte, dass mich die Kraft wieder verließ. Als hätte ich ein Loch. Zu viele Risse und Lücken. Ein Mädchen lief an mir vorbei und starrte mit unverhohlener Neugier auf meine Unterarme. Früher, in ihrem Alter, weinte ich als ich mir den Finger an einem Papier blutig schnitt. Heute zerschneide ich mich und weine nicht eine Träne. Ich habe die Haustür abgeschlossen und gewusst, dass ich sie nie wieder öffnen werde. Und jetzt? Ich warte auf ein Zeichen. Blitze, eine Explosion, ein Lächeln. Doch alles zieht an mir vorbei und ich begriff, dass es egal ist, ob man redet oder schweigt. Lächelt oder weint. Nachdenkt oder lebt. Ob man eine gebrochene Seele hat oder lernt, zu fliegen. Und so schwebte ich zu den noch unsichtbaren Sternen und wurde ein Teil von ihnen.
Als die Verkäuferin abends ihr Geschäft abschloss, fand sie einen noch fast vollen Becher Kaffee auf dem Boden. Als sie ihn aufhob hatte sie kurz das Gefühl, einen eigenen Gedanken gehabt zu haben.

Impressum

Texte: Madame Black
Bildmaterialien: Tumblr
Tag der Veröffentlichung: 02.02.2013

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /