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Der Schleier fällt


Als die Bombe einschlug, wurde Yara von ihrem eigenen Schrei geweckt. Keuchend und schweißnass setzte sie sich in ihrem Bett auf und konzentrierte sich auf ihren Herzschlag.
Obwohl die Schatten und Geister ihrer Träume langsam verblassten, war ihr übel. Ein Blick auf ihren Wecker verriet ihr, dass es fünf Uhr morgens war.
Eine Stunde Schlaf blieb ihr, dennoch schwang sie die Füße aus dem Bett und tapste barfuß und ein wenig schwankend in die Küche. Während der Kaffee verheißungsvoll duftend durch die Maschine lief, zog sich Yara Top und Slip aus, stellte sich unter die Dusche und drehte das heiße Wasser auf. Langsam fühlte sie sich wieder lebendig und als sie sich auf ihr Fahrrad schwang und die kalte Luft inhalierte, konnte sie sogar wieder lächeln.
Ihr Chef winkte ihr verwundert zu, als er die Tür des Cafés aufschloss und Yara auf ihn zugefahren kam.
"Wie kann man Montag morgens zu früh zur Arbeit erscheinen?", fragte er grinsend - sie war schließlich dafür bekannt, regelmäßig zu spät zu kommen. Doch Yara zuckte nur mit den Achseln, während sie ihr Fahrrad abschloss.
"Du bist und bleibst mir wohl ein einziges Geheimnis, Dinah."
Sie lächelte ihn freundlich an und ging durch die Tür, die er ihr aufhielt, in das Café.
"Sie haben keine Ahnung, Boss."
Der Morgen verlief wie gewohnt ruhig, die üblichen Pendler bestellen Kaffee to go und alte Damen kamen für eine Tasse Schwarzen Tee und ein Stück Kuchen vorbei.
Als ein Mann im schwarzen Anzug das Café betrat und sich an einem Tisch abseits aller anderen niederließ, strich Yara ihre Schürze glatt und ging auf ihn zu.
Sein schwarzes Haar war sorgfältig zurück gekämmt und gegelt, ohne fettig zu wirken. Seine braunen Augen schienen einen durchlöchern zu können, der Drei-Tage-Bart und seine scharfen Gesichtszüge ließen ihn sicher viel jünger wirken, als er tatsächlich war.
Als er zu Yara aufblickte, schien sich so etwas wie Erleichterung auf seinem Gesicht breitzumachen.
"Guten Tag... Dinah.", sagte er mit einem Blick auf ihr Namensschild. "Setzen Sie sich doch."
Sie warf einen Blick zurück zu ihrem Chef, der sie aufmunternd anlächelte. "Pardon, ich bin hier angestellt. Wenn Sie mit mir persönlich reden wollen - in einer halben Stunde habe ich Pause."
Er sah sie lange an und nickte schließlich. "Gut, ich warte. Einen schwarzen Kaffee, bitte."
Yara war froh, die Flucht hinter die Theke ergreifen zu können. Als sie den Kaffee zubereitete, beobachtete sie den Fremden unauffällig. Er telefonierte aufgeregt, als er zu ihr sah, blickte Yara schnell nach unten. Ein unangenehmes Gefühl machte sich in ihr breit und die Tatsache, dass er abrupt auflegte, als sie wieder auf ihn zukam, beruhigte sie nicht gerade.
"Ihr Kaffee, Sir." Sie stellte die Tasse ab und wollte schnell wieder verschwinden, als sie ihm jedoch den Rücken zuwendete, sagte er leise und bestimmt:
"Glauben Sie wirklich, dass Sie ewig vor ihrer Vergangenheit fliehen können, Yara Carrington?"
Sie blieb wie angewurzelt stehen, plötzlich schien es ihr unmöglich, zu atmen.
"So bin ich schon sehr lange nicht mehr genannt worden.", presste sie zwischen ihren Zähnen hervor.
"Wollen Sie sich immer noch nicht setzen?"
Steif ließ sie sich gegenüber des Mannes fallen und versuchte ein Zittern zu unterdrücken.
"Wer sind Sie?" Ihre eigene Stimme hörte sich hohl und leer an.
"Ich bin Special Agent Michael Scott. Vom CIA."
Yara schluckte trocken. "Können Sie sich ausweisen?"
Lächelnd zog er seinen Ausweis aus einen der Taschen seiner Jacke und schob ihn über den Tisch zu ihr. Während Yara ihn ausführlich studierte, nahm der Mann einige Schlucke des Kaffees.
Schließlich schob sie ihn wieder zurück und räusperte sich. "Und was könnte die CIA von mir wollen?"
Er lächelte kurz und weiße Zähne blitzten auf. "Es geht nicht direkt um sie, Miss Carrington. Ich ermittle schon seit längerem gegen Ihre Eltern. Natürlich weiß ich, dass sie mir keine aktuellen Informationen geben können", er blickte nochmals auf ihr Namensschild "schließlich haben Sie sich eine neue Identität und somit ein neues Leben erschaffen. Mit ihren Verwandten haben Sie kein Wort mehr gewechselt, seitdem sie mit 16 davon gelaufen sind."
Yara starrte auf ihre Hände, die ihr zitternd im Schoß lagen. "Weiß irgendjemand außer Ihnen, wer ich bin, Mr. Scott?"
"Machen Sie sich darum keine Sorgen. Wir wissen - oder zumindest können wir erahnen - wie wichtig es ist, dass Sie anonym bleiben. Als ich mit dem Fall Carrington anfing, habe ich alle kleinen Spuren hinter Ihnen gelöscht. Sie sind sicher, das garantiere ich."
Yara atmete tief durch. "Sie sind sicherlich nicht grundlos hier, Mr. Scott. Was ist geschehen?"
"Sie interessieren sich wohl nicht für das, was momentan in der Welt vor sich geht?"
"Nicht sonderlich."
Ihre schnelle und schnippische Antwort brachte ihn erneut zum lächeln.
„Heute, um 8:54 Uhr Ortszeit, ist eine Bombe in Russland gelandet. Sie schlug in der Nähe einer Dorfregion im Osten des Landes ein, bisher wurden 17 Tote geborgen.“
Yara biss sich auf die Unterlippe. Sie ahnte bereits, was passiert war.
„Es wurden genügend Überreste der Bombe gefunden, um feststellen zu können, dass sie aus den USA geschickt wurde. Der russische Präsident hat bereits mit drastischen Konsequenzen gedroht. Wir gehen vom Schlimmsten aus; Atomwaffen.“ Yara lehnte sich zurück und musterte ihn misstrauisch. „Verzeihen Sie die Unterbrechung, aber was hat das Ganze mit meiner Familie zu tun?“
Er hielt ihrem lauernden Blick stand und fuhr fort. „Ich nehme an, dass ihr Vater bereits weiß, dass ich sämtliche Computer seines Hauses observiere. Sei es durch einen Maulwurf im CIA selbst oder durch bestimmte Programme, jedenfalls hat er dafür gesorgt, dass ich zu allen Geräten des Hauses Zugriff habe. Bis auf einen. Heute Morgen konnten meine Programme, die rund um die Uhr laufen, schließlich ein Dokument, das von diesem gesperrten Computer stammt, entschlüsseln. Es kann kein Zufall sein - es war eine schlichte E-Mail an Ihre älteste Schwester, in der er sich für die ‚Bombastische Überraschung‘ bedankte.“
Yara lächelte. „Das ist reine Provokation. Er will sie mit der Nase darauf stoßen, was nun passiert.“
Er zog die Stirn in Kraus. „Entschuldigen Sie, ich bin sofort hier her gekommen, als ich diese E-Mail las und habe nicht weiter darüber nachgedacht, weihen Sie mich bitte ein?“
Sie feuchtete kurz ihre Lippen und starrte dann mit voller Konzentration auf den Tisch. „Der russische Präsident hält Amerika für verantwortlich und wird zu einem Gegenschlag ausholen. Sollte dieses ewige Hin und Her nicht enden, wird es früher oder später einen Krieg geben. Gleichzeitig macht mein Vater sie darauf aufmerksam, dass er dahinter steckt, damit Sie ihm und nicht der Situation volle Aufmerksamkeit schenken. Er hat noch etwas anderes in petto.“ Sie sah ihn an. „Und vielleicht denkt er sogar soweit, dass Sie mich aufsuchen.“
Bei diesem Gedanken stand Yara auf und ging einige Schritte zurück. „Kommen Sie nie wieder her, Mr. Scott. Legen Sie diesen Fall nieder oder publizieren Sie ihn; ansonsten werden Sie es nicht überleben. Guten Tag.“
Mit diesen Worten drehte sie sich um und verschwand mit klopfenden Herzen hinter der Theke.
„Boss, ich muss gehen; ein familiärer Notfall.“
Ohne sich nochmal nach den Agenten umzudrehen oder eine Antwort ihres Chefs abzuwarten, griff Yara nach ihrer Jacke und stürmte aus dem Hinterausgang des Cafés.
Dort wartete sie auf ein Taxi, stieg ein und reichte dem Fahrer einige Scheine.
„Nach London bitte. Ich werde Ihnen dann sagen, wo Sie anhalten müssen.“

Ja, Mr. Scott, das Davonlaufen vor der Vergangenheit hatte nun ein Ende.
Es war an der Zeit, ihrer Schwester einen Besuch abzustatten.

Impressum

Texte: Madame Black
Bildmaterialien: Madame Black
Tag der Veröffentlichung: 02.02.2013

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