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 Monsieur und Mademoiselle kennen sich nicht.


Sie malt stumm Sterne an, als er eintrifft und am Türrahmen eine Pause einlegt, des Nachdenkens zuliebe. Den Kopf aber für brauchbare Resultate zu voll und zu schwer.

Ein Stern bekommt rote Tupfen; Monsieur bürdet dem Türrahmen sein Gewicht auf. Nicht wissend, wie er Mademoiselle ansprechen soll, obwohl er sich heute mit unzähligen Menschen unterhalten hat. Sowohl am Telefon als auch von Angesicht zu Angesicht, immer direkt. Oder zumindest so direkt wie es die Verträge zugelassen haben.
Die restliche Zeit hat er angemessen gelogen und gefloskelt.

Ein Stern wird mit einem Farbverlauf von tannengrün bis hellblau gesegnet; Monsieur verpasst sich unbewusst selber unschmeichelhafte Denkfalten. Sein Inneres zermalmt im Schnelldurchlauf die Ereignisse des Tages und die damit verbundenen Gefühle. Er möchte Mademoiselle bloß Hallo sagen, ohne den dafür verantwortlichen Drang erklären oder gar rechtfertigen zu müssen. Aber er ist leider ungeschickt was solcherlei Angelegenheiten betrifft. Selbst wenn es niemand vermutet.
Sonst hegt er ja nie Zweifel.

Ein Stern wird mit Silber gesprenkelt; hinter Monsieurs Stirn wallt langsam ein unangenehmes Hämmern auf und frisst sich von innen nach außen. Die Belohnung für zu lange Arbeitstage und zu kurze Nächte. Für zu viel unterdrückte Sehnsucht und zu wenig Realitätssinn unterm teuren Anzug.
Er handelt stets klug und überlegt.

Der letzte Stern wird empor gelassen; Monsieur stoppt seine innere Unruhe mit der Frage, woher sie das Wasser für die vollen Farben genommen hat? Weit und breit scheint keine Quelle. Dann kombiniert er. Vielleicht wäre es unter den gegebenen Umständen das Beste, sie zum Lachen zu bringen. Zeitgleich fällt ihm aber auch ein, dass Lachen nicht das ausschlaggebende Kriterium ist, um ein Frauenherz für sich zu gewinnen. Es mag Eis brechen, aber seiner Erfahrung nach kaum mehr.
Trotzdem bricht er natürlich lieber Eis als sich zu demaskieren.

Sie wendet sich vom geöffneten Fenster ab; Monsieur mag ihre Rückansicht, mehr jedoch noch ihre Ausstrahlung, was ihn selbst überrascht, entspricht sie doch sonst so wenig seinem Beuteschema. Aber er kann sich nicht entscheiden, was er letztendlich von ihr halten soll – so wie er sich immerzu schwer tut mit Entscheidungen, wenn’s ums Private geht.
Er wäre sich eben sehr gerne 100-prozentig sicher.

Sie wirkt nicht überrascht; Monsieur rutschen binnen einer Sekunde die guten Prinzipien als glühender Klumpen vom Kopf in den Magen, als sich ihre Blicke treffen.
„Hi.“

„Hi.“ Mademoiselles Stimme ist nur mehr ein liebes Echo, das ihm bis ins Knochenmark dringt. Seine vermeintliche Spontaneität wie einen faulen Zauber verpuffen lässt und ihm lediglich noch eine nutzlose Schüchternheit zur Seite stellt.
Seine Geschäftspartner würden sich vor Lachen kringeln.

Sie verlässt die Räumlichkeiten, ohne ein weiteres Wort, während Monsieur noch fieberhaft an seinem Erfolgskonzept für sie beide feilt und den Gedanken, was sie wohl von ihm erwartet, wie eine Schachfigur übers strategische Brett schiebt.
Sie kann nur das Falsche von ihm erwarten, befürchtet er, als ihre Schritte nicht mehr zu hören sind und er mit sich und der Stille alleine ist. Er sich irgendwann vom Türrahmen abdrückt und schwerfällig zum großen Fenster hinüber schreitet. Herausschaut. Sehr viel Warmes und überraschend viel Unvoreingenommenheit am Firmament entdeckt.
Aber eigentlich glaubt nur der verkappte Romantiker in ihm daran, dass man tatsächlich in den Sternen lesen kann.

Es bleibt dabei: Monsieur und Mademoiselle kennen sich nicht.

 

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Bildmaterialien: http://dreamsofneverland.tumblr.com
Tag der Veröffentlichung: 30.11.2011

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