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Der Fluch des Hutes



Vorwiegend heiter ist es einen Hut kaufen zu wollen, auch wenn man es ernst nimmt und ein entsprechendes Geschäft aufsucht, um den passenden Hut zu finden, was nicht ganz einfach ist.
Ich stand also mittendrin, ich unter unter Hüten und sah mich um. Eigentlich war alles da, Hüte für jeden Schädel, auch für Dickköpfe, angeblich auch für dieje-
nigen, die vermeinen kein Hutgesicht zu besitzen. Die freundliche und geduldige Verkäuferin versicherte es einer Dame im blauen Hosenanzug inzwischen schon zum vierten Mal.

Ich setzte einen breitkrempigen Hut auf und fand, ein wunderbares „Hutgesicht“ zu besitzen. Vermutlich würde ich mir auch einen kaufen, falls mein Geldbeutel das gestattete. Hüte können sehr teuer sein, falls man Wert auf Qualität legt.
Ich spazierte lächelnd durch den Laden und betrachtete das Angebot nebst Preis. Dies ließ mich innerlich verkrampfen, denn hier würde ich mir keinen Hut leisten können, doch die Dame, die unentwegt mit eiserner Miene Hüte aufprobierte, veranlasste mich, das Hutge-
schäft nicht gleich zu verlassen.

„Ihre Hüte passen nicht zu meinem Gesicht", sagte sie gerade und setzte das Exemplar energisch wieder ab.
„Nein, wir haben noch andere Modelle, eines wird Ihnen ganz bestimmt zusagen“, flötete die Verkäuferin und brachte sogleich weitere Dohlen angeschleppt.
Die Dame setzte jeden Hut auf und ich sah ihr zu, immer noch den breitkrempigen Hut auf meinen Kopf. Die Verkäuferin lächelte mich an und nickte mir zu.

„Zu meinem Gesicht passt überhaupt nichts: Kein Hut, kein Stock, kein Regenschirm, und mein Mann schon gar nicht", sprach die verzweifelte Helena und ließ sich rauben. Die Männer stürzten sich in den Krieg, die trojanischen Pferde wurden missachtet, und sie hatte für zwanzig Jahre ihre Ruhe.
Nun saß sie wieder vor dem Spiegel und fand, dass zu ihrem Gesicht nichts passte. Da hatte sich nach zwanzig Jahren nichts geändert, nur so viel, dass keiner sie jetzt mehr rauben würde und sie damit aus dem Schneider wäre. Sie musste allein ran, ob mit oder ohne Hut.
"Die verfluchten Hüte! Sie lösen kein einziges Problem", sagte sie streng zu der verblüfften Verkäuferin.
"Behütet ist nicht behütet", schickte sie noch hinterher.
Die Verkäuferin war anderer Meinung, denn sie war eine Frau mit Erfahrung.
"Ab einem bestimmten Aggregatzustand unseres Äußeren", sagte sie gurrend und mit einem kleinen Augenzwinkern, "sind wir gut beraten, Zuflucht zu nehmen zu Tüchern und Hüten, um das Unübersehbare zu mildern und dem Geheimnisvollen Vorschub zu leisten."
Die Gute!
Doch nach Meinung der verzweifelten Hutsucherin irrte sie hier gewaltig.
Seufzend nahm sie das letzte Exemplar vom Kopf, schüttelte denselben und meinte etwas spitz:
"Ist es nicht so, dass all Ihre Hüte das Unübersehbare gerade hervorheben? Schauen Sie, wie knöchern meine Nase wirkt durch den Schatten, den das Ding auf sie wirft..." Zur Bekräftigung setzte sie das letzte Exemplar wieder auf und fuhr resigniert fort: "Ich könnte damit nicht einmal zu meiner eigenen Beerdigung gehen."

Es waren gerade keine weiteren Kunden im Laden, so stellte die nun ein wenig innerlich leidende Verkäuferin der scheinbar etwas schwierigen alten Dame die Frage der Fragen.
"Warum kommen Sie denn in unser Geschäft und probieren all diese Hüte auf? Was erwarten Sie überhaupt von einem Hut? Wollen Sie gesehen werden oder lieber etwas verbergen?"
Sie bemühte sich freundlich zu bleiben, aber irgendwie begann ihr der Geduldsfaden zu reißen.
"Wissen Sie", sprach nun die Nervtötende und Gedulds-
faden Raubende mit aufgeregter hoher Fistelstimme. "Es ist so: Ich werde übersehen, das liegt an meiner Körpergröße, die zugegebenermaßen nicht gerade üppig ist. An den Kassen im Supermarkt schiebt man mich immer beiseite. Ein passender Hut könnte daran etwas ändern. Er sollte aber breit genug sein, dann würde ich selbst zierlicher wirken. Dennoch darf er keinen Schatten auf mein Gesicht werfen...Sie verstehen...wegen des Übersehens."
Ihre Gesichtsfarbe hatte sich bei der kleinen Rede ins Hellrote verfärbt, so dass die Verkäuferin nicht anders konnte, als lapidar zu ergänzen: "Und Rottöne sollten Sie auch meiden. Das würde sich beißen..."
Die Dame überhörte den etwas frechen Einwurf und schnappte ein wenig nach Luft.
Ich hörte mit meinem Hut auf dem Kopfe immer noch interessiert zu. Die kleine Frau wollte also weder etwas verbergen, noch wollte sie übersehen werden. Das ist legitim und völlig normal, fand ich. Wenn ein Hut dabei helfen könnte, warum nicht.
Der erste Eindruck ist der äußere, doch was kommt danach? Kleinere Menschen haben es manchmal schwer, sie müssen mehr kämpfen als andere.
'Ein Hütchen wird es nicht reißen', dachte ich.
'Ein Hütchen wird das Dämchen nicht dämchenhafter machen können', überlegte ich weiter. 'Wo nichts ist, kann nichts herbeigezaubert werden.'
Die zauberhafte Beobachterin der Rosamunde-Pil-
cher-Szene, sich ihres Hutes mehr als gewiss, wusste nun nicht, wen von beiden sie mehr bedauern sollte: die kleine, aber wuchtige Gestalt mit der großen Nase, die von ihrer eigenen Beerdigung sprach, oder die feinsin-
nige, mit Witz begabte Verkäuferin, von der nicht klar war, welches unrühmliche Schicksal sie hierher versetzt hatte.
Eine echte Verkäuferin, die zudem den sinnigen Namen Beate Behüting trug, gab nicht auf, zumal sie auch am Umsatz mit einer kleinen Provision beteiligt war.
Doch im vorliegenden Fall war sie nun inzwischen selber gespannt, ob sie es schaffen würde, der kleinen Frau noch einen Hut zu verpassen, denn offensichtlich wollte diesen einen erwerben. Sie war auf Gedeih und Verderb verdammt, den Leuten Hüte aufzuschwatzen.
"Das Verkaufen von Hüten ist schwierig geworden", seufzte sie, ohne das freundliche Gesicht zu verändern.
"Sie geben sich aber wenigstens große Mühe, was selten geworden ist", mischte ich mich ein. Man kann auch einmal loben, dachte ich, ohne zu ahnen, was es mit Beate Behüting wirklich auf sich hatte.
Denn Beate war nicht immer Verkäuferin gewesen.
In sehr jungen Jahren war ihr Felix über den Weg gelaufen und das Schicksal hatte seinen Lauf genom-
men. "Beate und Felix", vom Schicksal füreinander bestimmt. Ein anfangs traumhaft anmutendes Schicksal, denn Felix war der Spross eines uralten Adelsge-
schlechtes, das auf einer mittelalterlichen Burg hoch über dem Tal residierte.
Die Eltern Beates hatten dabei ein wenig Schicksal gespielt, denn sie wünschten sich nichts sehnlicher als den Felix von Futtenberg zum Schwiegersohn. Sie arrangierten mit letzten Ersparnissen die „zufällige“ Begegnung und alles schien sich zu fügen.
Felix war ein gut aussehender Mann, der die Wahrheit zu lieben schien, denn er schwor das Blaue vom Himmel herab und ließ, tief im Keller der Burg, Doktorhüte von schlecht bezahlten Studenten herstellen. Beate sollte sie später in einem seiner Hutgeschäfte verkaufen.
Verkaufen - aber natürlich nur unter dem Ladentisch und in Kombination mit einem Hut, dessen Krempe wenigstens den Titel zu verdecken imstande war.
Aber das ist Zukunftsmusik; wenden wir uns der aufkeimenden Liebe zwischen Beate und Felix zu.

Beate zählte in ihrer Jugend und Kindheit zu den Glücklichen. Sie wuchs behütet auf, die Eltern hielten das Böse von ihr fern. So war Beate dem Irrglauben verfallen, alle Menschen seien gut und das wirklich Schlechte gäbe es nur in der Literatur. Der beste und liebste Mensch für sie war natürlich Felix. Sie dachte es. Nein, sie wusste es.
Felix war kein Exsudat der Literatur; er war aus Fleisch und Blut. Anfangs genoss Beate diese Tatsache. Beide lebten die Liebe, und ihre Exsudate befleckten so manches Leinentuch, aber niemals in literarischer Manier.
Nichts hält ewig in gleicher Qualität, so suchten sie nach neuen Quellen für Flügel der besonderen Art. Die Suche war anstrengend für beide, ohne Zweifel hatte er schneller gefunden, wonach ihm gelüstete und er hielt es geheim. Wollte er doch seine Liebste nicht in Verlegenheit bringen oder gar vor den Kopf stoßen, denn sie sollte ihm später noch von großem Nutzen sein.
Trotz der kurzen Zeit ihrer Liebe war er sich ihrer Leidensfähigkeit sicher.
Felix schnallte sich - weitab und in luftiger Höhe - die Flügel an. War er doch seit seiner Kindheit dort auf dem fürstlichen Felsen, der das Schloss der Familie trug, Abgründe gewöhnt und ängstigte sich nicht im Min-
desten. "Höhenflüge sind dein Schicksal", so hatte der Vater ihm eingebläut.
Die Aufwinde am Alpenkamm trugen ihn flugs empor, er verschwand in den Wolken, pfiff durch sie hindurch, so dass das Kondenswasser ihm - wie Tränen - von seinem markanten Gesicht tropfte. Tränen des Glücks, das er - vor purer Atemlosigkeit - nicht zu empfinden und auszukosten vermochte.
Die Watte unter ihm verbarg dem Auge die rasenden Landschaften, die der Flug unter ihm hinweg zog. Er mochte wohl Stunden in dieser rätselhaften Schwebe gewesen sein, als sich unter ihm ein Loch auftat, auf dessen Grund er tiefblaues Wasser erkannte.
Abgründe von oben besehen, scheinen zwar sehr tief, aber weniger gefährlich, wenn man ihnen noch nie im Sturzflug nahe kam. Felix war sich einer sanften Landung sicher. Seine Familie, seine Freunde der Upper Class würden ihn gewiss auffangen, selbst wenn er dem tiefen Wasser gefährlich nahe käme. Dort würde er notfalls untertauchen aber untergehen? Niemals.
An Beate dachte er gar nicht. Alles würde sich mit ihr regeln lassen, sie verstünde seinen Höhenflug und würde ihn auch dafür bewundern ...glaubte er.
Aber mit dem Glauben war das so eine Geschichte. In seiner Pubertät hatte er versucht, alle Götter dieser Erde nacheinander kennen zu lernen. Keiner konnte es ihm recht machen. So kam er zur Ansicht, er müsse sein Leben selbst in die Hand nehmen, regeln. Und so war es nur folgerichtig, dass er selbst seinem Glauben keinen Glauben mehr schenken konnte.
In diesem Fall sollte er Recht behalten.

"Hilfe!
Ich bekomme den Hut nicht mehr vom Kopf herunter."
Dieser schrille Schrei weckte Beate aus ihren Träumen. Der Schädel der schwierigen Dame war in der wohligen Wärme der Kopfbedeckung etwas angeschwollen, die struppigen Haare taten ein Übriges. Der Hutrand bewegte sich keinen Millimeter.
Beate versuchte es zuerst im Guten. Nichts zu machen. Dann versuchte sie es nach Gutsherrenart. Der Hutmacher hatte in seiner Werkstatt einen Stiefelauszieher Marke Junker. Die Dame musste sich flach auf den Boden legen, den Hals im Ausschnitt des hölzernen Gerätes. Beate griff die Hutkrempe mit beiden Fäusten, hielt mit ihrem Schuh auf den Holzbrettchen dagegen und zog aus Leibeskräften. 'Genau mit dieser Technik habe ich doch immer Felix' Stiefel herunter bekommen; ja: sogar einmal hatte ich Erfolg, als er mit einem festsitzenden Pariser nach Hause kam und die Not groß war.'
Jetzt war ich wirklich froh, dass ich mich noch im Geschäft aufgehalten hatte. Das war ja köstlich. Ich hätte mir fast in die Hose gemacht, aber setzte ein besorgte Miene auf und wartete mit Spannung, ob die Prozedur klappte.
Es war alles nicht so einfach. Aber was ist schon einfach im Leben?
Plötzlich wurde mir heiß, nämlich als mir bewusst wurde, dass ich meinen Hut auch noch auf dem Kopfe trug... Und je heisser mir wurde, umso fester umklam-
merte er meinen Schädel.
Er war aus feinstem Filz des Wollnashorns gefertigt und gab keinen Millimeter nach.
Ich musste mich also bemühen, alles an Kleingeistigkeit hervorzukramen, zu dem ich zeitlebens imstande gewesen war. Anfangs erschien mir das wenig zu sein, aber als ich meine Konzentration bis zum Äußersten bemühte, kam doch einiges zusammen, und ich muss sagen: Gott sei Dank!
Nach mörderischen zwanzig Minuten gelang es mir also, den Hut abzuziehen - mein Pony ging mit, aber das konnte ich verschmerzen. Und weh tat es!

Alte Hüte abzulegen ist eine schmerzhafte Sache. Heute kämpft man offensichtlich auch mit den neuen, denn sie sind aus einem wahrlich teuflischen Material.
"Ihre Hüte haben eine Hartnäckigkeit bei der Kopfbe-
deckung, die mich etwas ängstigt," sagte ich zu Beate, die immer noch an dem Hut der kleinen Dame zerrte.

"Ja, aber sie haben auch ihr Gutes. Die alten Zöpfe fallen mit ab und, was das Schönste ist, die ganze Beschränkt-
heit tritt zutage, wenn der Hut wieder runter ist. Diejenigen, die damit gesegnet sind, kaufen sich dann rasch wieder einen neuen Hut."

"Und die anderen? Es gibt sie doch?" Ich war besorgt. Mein zutage geförderter Kleingeist war mir peinlich. Beate antwortete nicht, denn sie war jetzt sehr be-
schäftigt.

...Sehr beschäftigt war auch Felix gewesen, der nach seiner Landung im Land der Zitronen alsbald einer glutäu-
gigen Schönen über den Weg lief - ja: sogar schlussend-
lich auf den Leim ging. Er hatte nämlich mit seiner Platin-Scheckkarte geprahlt und diese bei jeder sich bietenden Gelegenheit gezückt wie ein Schwert, das ihm den Eingang ins Paradies öffnen sollte. Und als Ebensolches hatte er die - weit von der Heimat - erwachte Liebelei erst einmal empfunden. Der Vater der Schönen, auf die standesgemäße Unterbringung seiner Erstgeborenen erpicht, hatte ihr mit Nachdruck em-
pfohlen, die Pille zu vergessen, denn dann sei ihr Schicksal besiegelt - Felix trug den in Generationen von Ringfinger zu Ringfinger weiter gesteckten Siegelring der Seinen. Mühsam eingefädelt und gleich ein Vollschuss!

Eltern haben meist Wünsche bezüglich der Behütung ihrer Töchter und sie haben konkrete Vorstellungen, so verteufeln sie Verhütung, verbunden mit geheimen Hoffnungen. Die Glutäugige war also mit Leibesfrucht gesegnet und hoffte auf den heiligen Stand der Ehe, der christlichen Besiegelung ihrer Liebe.
Was Beate dachte, die langjährige Freundin und Vertraute ihres Auserwählten, war für sie reichlich uninteressant. Man muss die Feste feiern wie sie kommen und dann immer feste drauf. So sind sie halt die Glutäugigen dieser Welt!
Aber es dauerte nicht lange und Felix wurde sich gewahr, dass er nach seinem Luftsprung in einer gänzlich anderen Welt gelandet war als der, die er kannte und in der Beate auf ihn wartete, ohne das Mindeste zu ahnen.

Übers Jahr gelang ihm die Flucht. Die Frucht seines Leibes ließ er dabei notgedrungen zurück, sein Herz hatte er, bei näherem Hinsehen, auf dem rechten Fleck und keinesfalls an die Glutäugige verloren.
Nicht lange danach stand er eines abends in der Tür zu Beatens Schlafgemach.
"Da bin ich wieder", sagte er strahlend. "Freust du dich?" Er erwartete wirklich, dass Beate ihm glücklich um den Hals fiel. Schließlich hatte er zu ihren Gunsten eine schwere Entscheidung getroffen. Das musste sie doch erkennen. Indes, Beate rührte sich nicht, das lange Warten hatte ihr Gemüt verändert.
Aber keinesfalls so, wie Felix es sich in seinen kühnsten Träumen vorgestellt hatte. Er hatte sich gedacht, dass er allein durch seine Erscheinung an Beates früherer Gefühlslage würde anflanschen können. Natürlich standen ihm keine Argumente zur Verfügung, um eventuelle Zweifel bei Beate zu zerstreuen. Im Gegenteil: Er musste auf alle Fälle gewisse Details zu verschweigen wissen.
"Hier bin ich wieder! ..bin ich wieder!..wieder!"
Beate sprach nur ein Wort: "Widerlich."

Widerlich.
"Widerlich? Ganz so heftig hätten Sie es nicht auszu-
drücken brauchen. Ich möchte den Geschäftsführer sprechen."

Die Dame, der Rot nicht stand, deren Gesicht aber nichtsdestotrotz puterrot angelaufen war, die Dame, deren Gesicht partout nicht zum Hut passen wollte, ist am Ende ihrer Möglichkeiten - und, ohne es zu wissen, auch am Ende ihrer Hut-Shopping-Tour - angelangt: der letzten Szene eines absurden 3 Personen- (was sage ich? 3 Frauen-)-Theaterstückes ohne Souffleuse.


Impressum

Tag der Veröffentlichung: 25.01.2013

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Mitgewirkt haben Cecilia, Enya und Helga

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