Cover






ein Tag am See...vielleicht der letzte diesen Sommers (Skizzenbild von Helga)


Der Sommer ist Geschichte



Heute handelt die Geschichte nicht von Hannibal und seinen Elefanten, die über die tief verschneiten Alpen zogen, um in’s Zitronenland zu gelangen, lange, bevor die Zitronen blühten.

Diese Geschichte handelt von Cecilia, die gerade im Oktober durch die schon tief verschneiten Alpen gen Norden zieht und das Zitronenland verlassen musste, um ihr halbjährliches Treffen mit dem Schicksal hinter sich zu bringen. Sie lässt einen langen Sommer hinter sich.

Der Himmel liegt grau und schwer, die Matten weiß, die Bäume sind schon schneebeladen – ein ganz neues Gleichge-
wicht hat sich eingestellt.

Aber dies soll eine Sommergeschichte sein. Der Sommer hat ein anderes Gewicht, er fühlt sich scheinbar leichter an.

Der Platz zwischen Meer und Horizont ist weiter, höher, die Gedanken fliegen wie die Mücken. Manchmal surren sie leise.

Die Kinder spielen mit den Kräuselwellen des Meeres, sie jauchzen laut, um sein leichtes Rollen zu übertönen.

Die Frauen liegen schweigend, die Gedanken in ihrer Haut verschlossen, in Wohlgefühl versunken in der sie liebkosenden Sonne und merken nicht, dass der Sonne Kraft mörderisch sein kann.

Die Männer haben Urlaub und widmen sich ihrem Nach-
wuchs, wenigstens ein Mal im Jahr. Sie blicken streng auf die Kleinen, sie nehmen ihren Erziehungsauftrag wahr. Hier und dort wird das Jauchzen durch ein kleines Weinen unterbrochen, dann schluckt das Meer die salzigen Tränen und winkt verführerisch wieder zum Spielen. Die Männer leiden unter dem Sommer.

Die Sonne neigt sich dem Horizont zu, glutrot. Die Frauen stehen längst am Herd; sie haben ihre kleinen Einkäufe erledigt – an der Kasse stand ein Regal mit Sonnenschutzmittel und After Sun im Sonderangebot.

Die Männer haben sich am Abendstrand in Gruppen zusammengefunden und parlieren, die Kinder danken es ihnen. Die Laune Aller bessert sich, die Kleinen spielen sich bettmüde.

In den ristoranti klappern Teller und Geschirr. Die Kellner haben ihre pechschwarzen Haare gegelt und die lange weisse Schürze umgebunden. Die altgedienten unter ihnen haben heimlich unter dem Bar-Tresen ein Gläschen „Aperitivo“ hinuntergeschüttet. Der leere Speiseraum strahlt Traurigkeit aus.

Die Diskotek liegt noch schwarz da wie ein kalter Planet im dunklen All. Sie sehnt sich nach den schillernden Gestalten, die ihre bronzene Haut in wenigen Stunden schweissnass tanzen werden.

Es ist dunkel geworden – zu einer kurzen Nacht. Die Vögel atmen auf und machen eine letzte kreischende Runde. Die Steckmücken streichen noch einmal mit den langen Hinterbeinen über die Flügel und machen sich auf den Weg, ihr Abendmahl einzunehmen.

Der Mensch fürchtet sich in der Dunkelheit. Viele bunte Lichter und flackernde Neonreklamen bringen die Luft zum Schwirren. Die Hirne halluzinieren.

Die Kinder liegen in seliger Ruh’. Die Zikaden haben ihr sonnentagelanges auf- und abebbendes Schaben beendet.

Im Tal des Flüsschens beginnt das Leben. Nachtvögel rufen sich zu, Eulen fliegen lautlos zwischen den schwarzen Bäumen. Das Käuzchen schweigt. Im Unterholz knackt es kurz. Die Stille ist voller Laute.

Ein markdurchdringender Schrei kommt aus dem Tal, ein kurzes Rascheln wie im Todeskampf, dann Lautlosigkeit, die das heiße Blut abkühlt.

Beim Wasser spielen die Elfen. Sie baden ihre weiße Haut in der kühlen Frische; die Trolle sehen vom Ufer zu, auf einem der bemoosten Steine sitzend.

Sie alle warten, bis in den Wohnungen der Menschen das Licht gelöscht wird. Dann machen sie sich auf zu ihrer nächtlichen Arbeit, dringen in den bleischweren Schlaf der Wesen ein und trennen das Traurige vom Leichten. Die schönen zarten Traumgebilde nehmen sie in ihre feinen Finger und werfen sie sich zu. Ohne zu zerplatzen werden sie immer größer und schillern schlierend im Licht des Mondes.

Die Schläfer werfen sich von einer Seite auf die andere, ihre unruhigen Augen hinter den Lidern suchen die Traumkugeln, bis sie zerplatzen.

Das bleiche Morgenlicht, noch kühl, zieht über den Himmel. Auf dem rundgeschnittenen Buchsbaum liegt eine zarte Eulenfeder.

Cecilia



Sommer, hoher Himmel,
azurblaue flimmernde Luft.
Nachts Sternschnuppen und die Milchstraße.
Und die Nachtigall.

Herbst: Nebel, Regen, Wind
entblößt die Bäume.
Die Vögel weggezogen.
Nachts wattige Schatten.

Cecilia






Das, was vom Sommer geblieben ist...


Sommergefühle im Herbst




Sommer...für mich wärmende Sonnenstrahlen, leichter Wind und das Meer.
Dieser Sommer plätscherte träge dahin nach meinem Empfinden.
Im Frühling schien er endlos vor mir zu liegen, doch dann war er allzu schnell vorbei.
Es gab kein Sommergefühl dieses Jahr, eigentlich war er wie immer...hier in der Stadt.
Und nun, als der Herbst einzieht, darf ich mir doch noch ein wenig Sommer gönnen, so, wie ich ihn brauche.
Mein erster Tag auf den Kanaren, an dem ich einige Stunden für mich allein sein will, und ich spüre ihn in mir, den Sommer.

Ich sehe das Meer. Still liegt es da wie ein blauer ausgebreiteter Teppich, vereint sich mit dem etwas dunkleren Himmel, über den zarte Schleierwolken ziehen.

Wenn ich meine Hände wie einen Bilderrahmen um die Weite spanne, wird Verschwommenes scharf, scheint zum Greifen nahe.
Doch ich weiß, es ist noch fern, das Meer. Eine gelbbraune Dünenlandschaft liegt zwischen mir und dieser unendlichen Weite.

Die Luft wird durch einen leichten Wind bewegt. Ich laufe los, meine nackten Fußsohlen prägen Vergänglichkeit in den warmen Sand. Rasch sind die Abdrücke wieder verdeckt von den darüber wirbelnden Sandkörnern. Sie setzen sich auf meine leicht gebräunte Haut, betten sich in die Schicht Sonnencreme ein, als wollten sie Spuren hinterlassen.
Ein zartes Wellenmuster durchzieht die Sandberge.

Es geht bergauf und bergab. Als ich die nächste Düne erklimme, sehe ich am Uferstreifen weiße Schaumkronen der sich überschlagenden Wellen, Farbkontraste, die der Stille etwas Lebhaftes geben.
Manchmal ist eine Düne zu hoch um sie zu erklettern, ich laufe in Schlangenlinien, versuche möglichst oben auf dem Kamm zu bleiben, was nicht immer gelingt.
Die Sonne steht schon hoch am Himmel, bald ist Mittagszeit. Ich muss meine Kappe tiefer ins Gesicht ziehen, um nicht geblendet zu werden.

Wüstenwanderung, denke ich. Das Meer eine Fata Morgana. Wird es bleiben?
Hier ist der Sommer noch gegenwärtig, so, wie ich ihn mir vorstelle.
Die Wärme ist gut auszuhalten, der leichte Wind kühlt meine Haut.

Plötzlich huscht etwas Schwarzes seitlich aus einem Grasgestrüpp. Erleichtert sehe ich: Es ist eine Katze. Was sie wohl hier sucht? Eigentlich sollte sie weiß sein, ihr schwarzes Fell passt so gar nicht hierher. Aber sie wird es nicht kümmern, sie trachtet nur danach, durch ihr Revier zu streifen. Mich kümmert mein Aussehen auch nicht und ich fühle mich - genau wie die Katze - irgendwie beheimatet.

Ich wende mich in östlicher Richtung, dort sind keine Menschen am Strand. Fast überrascht mich dies ein wenig, denn so viele sonnenhungrige Urlaubsgäste tummeln sich in dem Badeort. Aber sie suchen Unterhaltung, bevölkern die Strände dort, wo das Leben pulsiert in Form von Strandbars mit Musik und Bier und Cocktails. Sie liegen unter bunten Sonnenschirmen, die je nach Hotelzugehörigkeit verschiedene Farben haben. Weit rechts sehe ich sie wie bunte Tupfen vor dem Meeressaum.

Und dann endlich werden meine Füße von kühlem Nass umspült.
Ich entledige mich meiner Kleidung, beschwere sie mit ein paar glatten schwarzen Kieseln, dass sie nicht davon wehen und gehe ins Wasser, langsam, denn ein wenig kalt fühlt es sich im ersten Moment doch an. Weit brauche ich nicht zu laufen bis ich schwimmen kann.
Das Wasser spült alles weg, den klebrigen Film auf meiner Haut, die Sandkörner und alte Sorgen, die ich mit mir trage. Nichts scheint mehr wichtig für diesen Moment.

Was bleibt? Ein wenig Salz auf meiner Haut und ein Gefühl von Ruhe und Wärme, die tief in mich hineinströmen.
Ich fühle mich nun dem Urlaubsrummel gewachsen, dem reichlichen Essen, dem Bummeln entlang der Strandpromenade, den Bars mit ihrer Musik, den Souvenirläden und den Drinks, die einen am Abend wieder jung werden lassen.
Auch das ist Urlaub und Sommerfühlen, ich weiß...

Morgen werde ich in die Berge fahren.

Enya


Im Sommer diesen Jahres


war es sommerlich. Ja, wirklich, so war mir jedenfalls oft zumute. Das bedeutet für mich, ich fühle mich gut, egal wo ich bin. Natürlich bin ich auch am Liebsten am Meer, ohne Menschen, nur ich und du aber das geht ja nicht täglich, so sind wir die meiste Zeit auf dem Balkon, gehen am Abend, wenn es nicht mehr so heiß ist, durch die Felder.
Nur am Sonnabend schlendern wir durch die Stadt, um Menschen zu beobachten, ein Eis zu essen oder beim Italiener zu sitzen, in einer schattigen Straße, die aber gerne von vielen Leuten durchquert wird.
Gegenüber befindet sich ein Geschäft, welches alte Schall-
platten anbietet. Ein Plattenspieler lässt ziemlich laut Melodien erklingen, die die meisten Passanten zum Schmunzeln bringen, denn es sind die Lieder aus den Fünfzigern und Sechzigern, meist italienische Schnulzen, die aber bestens zu einem Gläschen trockenen Wein passen und zu meiner geliebten Bruschetta.
Du lächelst in dich versunken. Wer weiß, was du denkst. Jetzt wird über Marina gesungen und ich summe mit, die alte Frau am Nachbartisch lächelt, vielleicht war s i e ja früher die Beste und Schönste der Welt.

Wir verreisen meistens im Frühjahr oder im Herbst, im Sommer bleiben wir Zuhause, was auch viel besser für meine vielen Blumen ist, die ich täglich bemuttern muss. Sie brauchen Wasser und Dünger und ich bezupfe sie akribisch, denn sie sollen blühen und sich nicht der Samenbildung hingeben.
Dieses Jahr ist bei mir aus dem Balkonkasten eine Wunderblume herausgewachsen. Ich habe sie nicht gesät und wundere mich, wo ihr Samenkörnchen wohl hergekommen sein mag. Sie hat sich prächtig entwickelt und Wasser geschluckt ohne Ende und dankte mir meine Pflege mit einer überwältigenden Blütenpracht. Fast fassungslos beobachtete ich jeden Abend neue Blätter und Blüten. Erst am Abend entfaltet sie sich, am Tage hält sie die Kelche geschlossen. Bei der Hitze finde ich das sehr vernünftig, verkrümle ich mich doch auch in unser Arbeitszimmer im unteren Bereich der Wohnung, schließe am Tag die Rollläden, ich Wunder-
blume ich und genehmige mir einen tiefen Schluck aus der Wasserflasche.
Inzwischen habe ich die Samen geerntet, es gab reichlich davon und so wird sicher auch das nächste Jahr Wunder-
blumen hervorbringen, die nicht nur mich erfreuen.

Helga


Magie des Regens


Regen umhüllt sie
macht sie unsichtbar
für die Welt

Gedanken werden Worte
Sehnsucht wird gestillt
Prinzip wird abgelöst

Ihre Körper
warm und feucht
gleiten ineinander

Nur noch die Regentropfen
hämmern kontrolliert
aufs Autodach

Signe




Momentaufnahme



Ich wünsche,
notiere ich:
NICHTS, ist zuviel
ALLES, ist zuwenig.

Fahre aus dem Regen.
Vor der Stadt
der Himmel geteilt.
Es grüßt der Regenbogen.

Ich lese, schreibe, dichte.

Fahre nach Hause.
Die Farben
auf meiner Netzhaut
als Gruß des Regenbogens.

Ich notiere
den Wunsch:
Ich lese, schreibe, dichte.
Und denke an dich.

Signe



surrealer Sommer

 

Conrad







Sommergast


Jeden Sommer wohnte Julia zwei Monate in der Pension von Jochens Eltern. Als sie eines Abends nackt in seinem Zimmer stand, dämmerte ihm, dass sie vielleicht etwas für ihn empfinde.
Aber so heiß er sie begehrte, seine Mutter erschien drohend in der Tür. Schnell warf er Julia was über und schickte sie aus dem Zimmer. Julia packte die Koffer und kehrte keinen Sommer mehr wieder.
In ihm bohrt seither die Sehnsucht nach ihr und der quälende Verdacht, er habe vielleicht irgendwas falsch gemacht, und sein Leben sei verpfuscht.







Hochsommer



Heißer Nachmittag. Im Garten der Villa des Archäologen bildeten ein Dutzend bildungsbeflissener Zuhörer einen Kreis um den Archäologen auf einem Rasenstück zwischen Blumenrabatten. Er sprach über die alten mediterranen Kulturen: „Das warme

Klima brachte sie zum Blühen und Gedeihen.“
Diesen Zeus der Archäologie erleben zu dürfen, war für jeden der Zuhörer eine hohe Ehre. Auf dem Stuhl neben Leo saß seine Mutter. Gelegentlich blickte sie zu ihm hin. Ihr Gesichtsausdruck machte Leo nervös, die Schweißperlen standen ihr auf der Stirn. Sie wirkte gelangweilt. Sie konnte sich offensichtlich nicht auch noch für die Sumerer und die alten Ägypter erwärmen. Sonst hätte sie nicht von ihm verlangt: „Tu mir den Gefallen, geh zum Bahnhof, öffne das Oberlicht, damit es hier einen Durchzug gibt.“
Als Leo vom Bahnhof zurückkam, hatte es sich bereits merklich abgekühlt.







Kuss, der rote Schmetterling,
ließ sich auf deinen Lippen nieder,
er blieb den ganzen Sommer über,
mit kühlen Worten hast du ihn vertrieben,
nie kehrt ein solcher Sommer wieder.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 07.11.2012

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Mitgewirkt haben: Cecilia, Enya, Signe, Conrad und Helga

Nächste Seite
Seite 1 /