Cover




Eigentlich sollte dieses Büchlein erst für über 50Jährige, die fidelen Alten, zum Lesen zugelassen sein - geht aber nicht.


Da kommt ein Wortpaar dahergewackelt.
Jugendwahn hat den Alterswahnsinn an die Hand genommen.
Die kühle Hand, die heisse Hand.
Macht das Sinn?


Das hat Sinn, das Alter.
Der Wahn ist bei Beiden gleich.
Oder zumindest wahnhaft ähnlich.
Ansonsten handelt es sich um reine Spitzfindigkeiten der Definition.

Falten, weggespritzte Falten, Altersflecken, gekonnt weggebleicht.
Gelebtes Leben, verlorene Träume, in der erzwungenen Ruhe wiedergefunden.
Unruhe, Zweifel der Jugend.
Tausend Wege und nur ein möglicher.

Wähnen wir uns jung? Glauben wir uns alt?
Wahn und Glauben, Sinn und Unsinn.


Cecilia




Jugendwahn und Alterswahnsinn



Während der Jugendwahn die von ihm Befallenen weichklopft, um sie dann besser über den Leisten ziehen zu können – sie haben aber immerhin noch die Möglichkeit, durch angestrengtes Nachdenken eine Distanz zu seinen Geboten zu gewinnen – , nimmt der Alterswahnsinn langsam und unmerklich, aber leider auch unausweichlich Besitz vom Menschen, dem bis dato Weisheit, Lebens-
weisheit eigen war.

Als vom Jugendwahn Befallene sind und bleiben wir ein vollwertiges Mitglied unserer (Konsum-)Gesellschaft und dürfen uns als solches fühlen, während im Hintergrund der schicksalshafte Alterungsprozess unerbittlich weiterläuft und die Crème-Schichten immer dicker werden müssen, um unsere entsetzten Gesichtszüge noch unter Kontrolle zu halten. Enttäuscht vom Ergebnis jahrelanger Schmiererei? Es gibt eine neue – allerdings sehr teure – Crème gegen die Enttäuschungsfalten um den Mund herum, “man gönnt sich ja sonst nichts“.

Hat man in einem gewissen Alter endlich die Brille gegen Kurzsichtigkeit auf die Nase gesetzt, so sieht man plötzlich glasklar die Zusammenhänge.

Warum tauchen immer mehr ältliche Models in unseren Bestellkatalogen und auf den Seiten im www auf, die uns tapfer lächelnd von den weichgezeichneten Fotos heraus ansehen, als wollten sie sagen: „Komm, Alte! Investiere in deine Jugend...“

Unter dem Pony der Jungmädchenfrisur blicken müde Augen hervor, ein Mund mit nach unten gezogenen Lippen, von Mikrofältchen umrahmt. Ist diese Frau nur kurzsichtig oder hat sie im ganzen Haus die Spiegel abgehängt?

Der Wahn hat es nun mal an sich, dass er sich immer stärker ausprägt, je weniger Wirklichkeitsbezug sein Gegenstand hat. Das Samenkorn, beizeiten über Frauen-
zeitschriften verbreitet, geht tausendfach auf; je ver-
zweifelter, desto gewinnträchtiger.

Wir sollten nicht so lange warten mit dem Ausscheren, bis der Alterswahnsinn uns in seinen Fängen hat. Es tut so gut, sich als selbstbestimmendes Individuum zu begreifen und seinen Platz auf einer kleinen Anhöhe einzurichten, von der aus man auf die Welt blicken kann, ungestört und mit einem leisen wissenden Lächeln. Wenn der Wahn dann von uns gelassen hat, können wir in aller Ruhe zu den wichtigen Dingen des Lebens übergehen. Und vielleicht auch dieses und jenes Mal über unser Leben nachdenken und über die Realität seiner Endlichkeit. Das Leben ist kurz, die Jugend noch kürzer.

Ja, dann hat die Jungendlichkeitsindustrie keine Macht mehr über unseren Geldbeutel und kann sich nicht mehr als Wahn in unserer Seele einnisten, um sie mit seiner traurigen Unausweichlichkeit zu vergiften.

Cecilia




Bild: Hieronymus Bosch "Der Garten der Lüste", Ausschnitt







Vom Alter lass’ ich mich nicht falten.


Mein Hirn sagt mir: S’ist aussichtslos.
Denn ich gehör’ nun zu den Alten,
trag Arm’ und Hintern nicht mehr bloß.

Ich hülle sie in Samt und Seide.
Färb’ auch die Haar’ nicht lilablau.
Vertrocknet ist mir schon die Scheide
und auch das Aug’ sieht nicht genau.

All’ die Verführer ringsherum
Sind am Verzweifeln regelrecht.
Die Werbung macht mich nicht mehr dumm,
zu ihrem Opfer, ihrem Knecht.

Wer mich verführt’, dereinst, - ich sinne -
war mancher Mann in Jugendkraft.
Seh’ heut ich ihn, denk ich: Ich spinne,
wie ist denn der schon abgeschlafft?


Da klingelt gleich ein Glöcklein klein:
Er ist wie du, da gibt’s kein Zweifeln,
auch du bist so ein altes Schwein
und tust durch das Gebiss schon pfeifeln.

So blick’ in Zukunft ich in diese
und akzeptiere meine Gicht.
Und wenn – allein – ich auf der Wiese
schau ich der Jugend in’s Gesicht.

Cecilia




O glückliche Zeit!
Nicht die der ersten Liebe, nein.
Da wir, mit Kinderaugen,
zum ersten Mal das Schicksal sehen,
gewandet wie der Frühling.
O glückliche Zeit!
Da wir, vom Jugendwahn befreit,
der unsere Gedanken mit eiserner
Bürste gleichgerichtet und uns
zur aussichtslosen Jagd auf Jugend trieb.
O glückliche Zeit!
Da wir, der Lächerlichkeit entronnen,
all’ unsre Kräfte auf der Tastatur des Lebens
zur Blüte bringen, zur Musik voll Freud
und Leid. Das Leben wie ein Sommerkleid.
Bevor wir uns zersetzen.
Der Geist noch vor dem Körper
zerfällt und wir, ein Schatten nur
in der Erinn’rung unserer Gefährten,
den letzten Weg beschreiten.
Cecilia




Die Welt ist verrückt, sie ist wahnsinnig.


Bemerkt ein Verrückter seinen Zustand? Nein, er lebt in seiner Welt, in seinem Wahn und glaubt stets, die anderen seien die Unnormalen. Ein jeder ist von seiner Normalität überzeugt bzw. ist stolz auf seine Abweichungen, denn wer will schon heute so sein wie all die anderen, man möchte sich doch abheben von der „grauen“ Masse.
Ein jeder legt Wert auf das Besondere seiner Persön-
lichkeit. Der eine mehr, der andere weniger…wir sagen dazu dann „Selbstbewusstsein“, und merken nicht die zunehmende Ähnlichkeit mit anderen verschrobenen Individualisten. Es ist out, so zu sein wie alle, man ist anders…ob besser? Das spielt keine Rolle, Hauptsache anders, wir gleiten in ein gewolltes Verrücktsein und merken nicht die zuweilen einhergehende Lächerlichkeit oder sie wird in Kauf genommen. Mit genügend Knete scheint das fast wieder normal zu sein. Die Normalos schauen gläubig hoch zu den Verrückten, Schillernden dieser Welt und zahlen für die Gnade den Verrückten zuschauen zu dürfen. Wer ist hier verrückt? Keiner vermag das zu entscheiden, wir merken ja nichts, wir bemerken nicht das Paradoxe der Situationen auf den menschlichen Weltbühnen. Oder wir wollen gar nichts bemerken, denn wem nützt es, wer könnte etwas daran ändern?
Wir können etwas ändern, wenn wir es nur wollten, wenn wir nur genauer hinschauen würden. Alles sähen wir, den Jugendwahn, den Alterswahnsinn und vor allen Dingen auch unser Involviertsein. Das ist uns zunehmend peinlich. Wir wollen anders sein, auf alle Fälle nicht einem Wahn verfallen, das wäre unmöglich und doch ... ein wenig färbt ab.
Wir schielen immer noch hin, was gerade Mode ist. Logisch, denn wir gehören ja noch dazu, sind noch auf dieser Welt, wir sind modern und nicht von gestern. Wir besitzen doch unsere Vernunft diesbezüglich. Wir lassen uns nicht verbiegen. Wir doch nicht! Wir glauben an uns und nicht an den Wahn, an welchen auch immer. Es sind eben nur die anderen, die dem Wahn verfallen sind, ihnen waschen wir die Köpfe deswegen...apropos, ich muss jetzt unbedingt zum Friseur.

Helga



Bild von Nora R.



Die Enthaarung



Die Enthaarung der Frau
sei ein Zeichen von Klasse
Meint die Meier-Dingsbumsen
aus der Nobel-Schröder-Gasse
Wie ein Kinderpopo die Beine
Dazwischen nur feine
Unter den Armen keine
Die Brauen gezupft oder epiliert
Der Damenbart abrasiert
Die Frau völlig aufpoliert
Schäumt über vor Rasse
Männe greift resigniert
in die Familienkasse

Die Enthaarung des Mannes spielt keine Rolle
Gewöhnlich verliert er auch so die Tolle
sein Haar auf Brust und Unterleib
Entzückt das enthaarte Rasseweib
Sie streichelt ihn zart,
sie zirpt und zupft
Die Frau ist enthaart,
er ist gerupft

Die Meier-Dingsbumsen
aus der Nobel-Schrödergasse
Meint ein Zeichen von Rasse
Wäre nun ein Arschgeweih
Der Mann mit dem Horn auch am Schädel
Tätschelt am Steiß sein Mädel
nicht sehr begeistert, doch ist er dabei
er ist verkleistert, wie einerlei

Es folgt der Enthaarung, das ist die Erfahrung
Die Degenerierung, und die Verblödung
Die Desorientierung, auch die Kopfverödung
Wen stört das schon, es ist halt Mode
Es ist gewollt, es scheint Methode
von den haarigen Sachen sind sie abgelenkt
Frau Meier-Dingsbumsen nicht mehr denkt

Nur Frau Eier-Bingsumsen klagt
Enthaarungscreme fördere Gicht
Aber Frau Leier-Stinkrumsen wagt
Eine neue Sicht
Bietet an das überflüssige Haar
Auf mildtätig nützlichem Straßenbasar
Als Kissenfüllung warm und dicht
Es wär für die Welt ganz wunderbar

Allmählich geht nun aus das Licht
Enthaarte Affen lachen nicht.



Helga




Wahn der Schönheit



Schon Suppenkaspar hat's bewiesen:
Der Schlankheitswahn sei hoch gepriesen!
"Nein, meine Suppe ess ich nicht!
Das Schlanke steht mir zu Gesicht."

"Sei jung und schön und alt're nicht".
Der Schönheitswahn zu dir so spricht.
Spritz Lippen auf, wag die OP,
denn alt sein, das tut wirklich weh.

Folg dem Idol des Wahnsinns Geist,
der maskenhafte Schönheit heißt.
Verdienen tun da andre dran
und freu'n sich über diesen Wahn.

(c) Enya




Alt werden



...eine sehr persönliche Betrachtungsweise

Nun ist es passiert.
Eine meiner Schülerinnen sagte neulich aus Versehen „Oma“ zu mir. Das war ein kurzer schmerzlicher Schock, rutschte den Kindern doch bislang einzig mal ein „Mama“ heraus.
Das ist normal bei Grundschulkindern, diese Versprecher.
Ich werde also alt – nein, bis zu einem gewissen Grade bin ich alt geworden.
Muss ich mir nun darüber Sorgen machen?

Ein wenig habe ich schon in den letzten Jahren darüber nachgedacht. Die Falten sind nicht wegzudenken und kurz verspürte ich sogar einen Anflug von Neid auf meine Kollegin.
Sie ist runder als ich und mir scheint, trotz ihrer grauen Haare ist ihr Gesicht ziemlich glatt und sie wirkt irgendwie alterslos. Merkwürdig.
Als ich zwischen 10 und 20 Jahre alt war, wurde ich immer jünger geschätzt. Für Filme ab 18 brauchte ich lange einen Ausweis. Das hat mich geärgert.
Soll ich mich nun ärgern, dass ich alt bin?

Ich habe beschlossen, dies nicht zu tun. Ich überlege, was mir wichtig ist. Das Aussehen wohl nicht so sehr. Das Altern ist ein natürlicher Prozess. Jede Frucht reift, nachdem sie hier den vollkommenen Zustand erreicht hat, wird sie schrumpelig. Blumen welken. Ihre Schönheit ist auch vergänglich. Der Hund meines Nachbarn hat eine völlig graue Schnauze und sogar mein Kater zeigt Altersspuren.
All das akzeptieren wir. Warum nur nicht beim Menschen oder vor allem bei uns selbst?
Vielleicht ist es die Angst der Endlichkeit unseres Lebens? Das wäre dann aber ein schlimmer Trugschluss. Auch wenn das Äußere nicht leiden würde, dem Ende können wir nicht entgehen.
Ich habe einige alte Menschen kennen lernen dürfen, deren Körper und Gesicht vom Alter wahrlich gezeichnet waren, aber sie strahlten so viel Würde aus, dass dies überhaupt keine Rolle spielte.

So stehe ich vor dem Spiegel und schneide mir selbst Grimassen, entspanne meine Züge, versuche mich wahrzunehmen und sage dann: Das bist DU und es ist gut so.
Mir ist anderes wichtig. Ich spüre die einzelnen Wehwehchen, da zwickt es im Nacken, die Kniegelenge knacksen, meine Finger sind beim Gitarrespielen nicht mehr ganz so schnell und sie schmerzen nach einiger Zeit. Ich merke, dass ich in manchen Dingen ein wenig langsamer tun muss. Aber auch das ist richtig.
Mein Rücken ist immer noch gerade und ich bin so schlank wie vor 40 Jahren.
Ich bewege mich sehr viel, ernähre mich halbwegs gesund und vielseitig – das kann ich für meinen Körper tun. Ansonsten bin ich gnädig mit ihm.
Ich kann nicht aufhalten, was die Natur vorgibt, aber ich kann akzeptieren

Ja, man gibt immer ein Stückchen von seiner Jugend und dies über lange Jahre.
Aber wir sollten uns bewusst machen, dass wir im Umkehrschluss auch immer etwas dazu gewinnen: Reife, Erfahrung, Gelassenheit, Sicherheit, eine Fülle an Erlebnissen, Begegnungen, die man ja in der Jugend noch gar nicht haben kann.
Ich möchte mich nicht dieser Welt unterordnen, die uns Jugend als eine Art Glaubensbekenntnis aufdrücken will. Ich möchte Lebensspuren finden in den Menschen und vor allem auch in mir. Alles hat seine Zeit.
Ein wenig fürchte ich das Alter schon und zwar die Zeit, wo ich nicht weiß, ob ich noch einen Platz haben werde hier und wie er aussehen wird. Ein wenig bange ist mir auch, wenn ich daran denke, dass sich mein Geist vielleicht verabschieden könnte, sich zurückziehen, weil er müde ist und eben alt. Das weiß man nie.
Gegen die körperlichen Alterungsprozesse geht man an mit allen Mitteln, Menschen, die sich mit 50 geben wie Vierzigjährige, mitunter auch so ausschauen, sportlich aktive Siebzigjährige – es findet sich ein breites Feld, hier dem Alterungsprozess nicht ins Auge sehen zu müssen. Das hat auch zum Teil seine Berechtigung, denn so kann man dem Jugendwahn entgegenhalten. Den geistigen Verfall kann man nicht so einfach hinausschieben und ich habe den Eindruck, dass es mehr und mehr körperlich rüstige Menschen gibt, deren Geist sich aber schon zurückgezogen hat.
So möchte ich gar nicht hadern, sondern vielmehr dankbar sein für das, was mir vergönnt ist und hoffen, dass es noch anhält.
So lange ich kann, werde ich mit meinen Enkeln auf dem Boden herumrutschen oder neben ihren Fahrrädern joggen, wenn sie auf „Tour“ gehen. Wenn das nicht mehr funktioniert, dann werde ich mit ihnen gemütlich auf dem Sofa sitzen und ihnen Geschichten erzählen, die mein Leben schrieb und von meinen wunderbaren und auch schmerzlichen Erinnerungen zehren.

(c) Enya


Der Poet: Der Blätterfall der Erinnerungen erstickt junges Blühen, die Trampelpfade des Herzens führen durch Dickicht, langsam erlischt das goldene Leuchten aus fernen Kindertagen.

Christine: dann zieht man in den Frühlingsmorgen und erhascht der Jugend Lachen , Sinnen und Freude

Der Realist: Das klingt mir zu weltfremd, jeder möchte gerne wieder jung sein, auch all die verstaubten Metaphern.

Der Poet: Die Echos der Jugendträume sind nach Jahrzehnten noch zu hören.

Der Skeptiker: Irgendwann wird man Zeit dafür haben, jung zu sein, sagt man sich. Und darüber wird man dann alt.

Der Poet: Mein Neffe zum Beispiel kennt sich aus in den höheren Regionen. Er weiß, wie man die Namen der Viertausender ausspricht, die unsereiner bestenfalls nuscheln kann.

Der Skeptiker: Die Jugend wächst einem zwar über den Kopf, als stünde sie auf Stühlen. Doch auch sie schrumpft mit den Misserfolgen.

Der Realist: Junge Menschen haben wenig Erinnerungen, sie sind deshalb von Natur aus Futuristen. Später mutiert jeder zwangsläufig zum Passatisten.

Der Poet: Selig sind die Unwissenden, sie haben den Glauben an sich nicht verloren.

Der Realist: Angesichts der technischen Fortschritte muss man sich selber inzwischen für ein Auslaufmodell halten.

Der Poet: Die heutigen Menschen überschätzen den Intellekt, sie wissen immer mehr und sie erleben immer weniger, ausgenommen davon sind die Alkoholiker.

Der Skeptiker: Irgendwann ist jeder so alt, dass es keine Rolle spielte, wie jung er nicht mehr ist.


Jugend

nackt neigst du dich
über mühelose Abgründe
wo bizarre Körper
zu sündloser Musik tanzen
und starrst hilflos




Conrad

Impressum

Bildmaterialien: Cover: Pablo Picasso
Tag der Veröffentlichung: 30.08.2012

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /