„Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei.“
So sprach Gott zu sich und dachte sich in seinem ewigen Ratschluss etwas aus.
Er sah, dass er der Krone der Schöpfung, Adam, eine Gespielin geben sollte, die die guten und die schlechten Tage mit ihm teilen könne.
Er selbst weiss, wie es sich begab; dass für Beide die Tage im Paradiese gezählt waren. Denn in seinem Plan machte sich die Schlange auf den Weg zu einem Aste am Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen, an dem wunderbare runde und duftende Äpfel hingen.
Jeder von uns hat erfahren, wie das endete.
Seit diesen für immer vergangenen Tagen im Paradiese hat die Einsamkeit Einzug gehalten und breitet sich nun aus zwischen den Paaren, in den Familien, in den Wohnungen der Alten und im Gehirn der Jungen, die vor dem Computer sitzen.
Ihr Name spricht vom Verlust der Zweisamkeit, der Dreifaltigkeit, der bunten Vielfalt im sozialen Zusammenleben, des Glücks in der Masse.
Das Individuum, einst Träger unendlicher Hoffnungen auf Selbst-
verwirklichung, wurde an die Angel des Konsums genommen und entpuppte sich als Egozentriker oder gar Egoist.
Ein einsamer Egoist, „Jeder für sich und Gott gegen alle“. Hat er noch Antennen, dieser Mensch, so wie die Marssonde, die nach Leben in ihrem Umfeld forscht ?
Bei solchen Wesen kann der Konkurrenzdruck aufgebaut werden, der benötigt wird, um den allein seligmachenden Neid in unserer Gesellschaft zu nähren und zur Blüte zu treiben. Die Märkte, die Börsen sind seine Arena. Die einsame, verwahrloste Armut ist sein Kontrapunkt. Sprachlosigkeit nimmt jeder Sehnsucht nach dem Du den Wind aus den Segeln, Schlagworte und der sukkzessive Verlust der Sprache der Dichter und Denker legt die Blumenbeete der Poesie trocken und lässt in der Wüste die Oasen der Philosophie versanden, treibt das kalte Schweigen zwischen die Menschen, die sich etwas zu sagen haben.
Wir haben uns etwas zu sagen. Wir müssen, wollen wir überleben, miteinander sprechen. Die Körper sind wohlgenährt, manchmal gar fett. Der Geist ist verkümmert, die Seele verdurstet.
Das ist Einsamkeit. Wir stecken fest in unserer Haut, die wir zu Markte tragen. Wir können nicht aus unserer Haut, die uns wie eine Wurst abschnürt. Worte allein können diese Grenze überschreiten. Sie transportieren Gefühle; unter anderem das Gefühl nicht allein zu sein, eine verwandte Seele getroffen zu haben, ein Mensch unter Menschen zu sein.
Alle Macht dem Wort; dem Wort, das am Anfang war, ja: das der Anfang war - unserer Menschwerdung.
Cecilia
Einsam, zweisam, gemeinsam.
Bin ich mit mir eins
und liebe die Menschen,
so wachsen mir Antennen.
Und es fliegen mir Worte zu,
die die Einsamkeit überbrücken.
Worte kommen aus meinem Gehirn,
alte, neue, geronnene, zuckersüße,
und fliegen vom Mund zu deinem Ohr,
rein, unangetastet
vom Getriebe der Welt,
der alten und der neuen.
Musik sind sie; hämmernde manchmal,
süße, in langer Melodie verwoben,
adagio oder presto. Einmal in der Welt,
verklungen, schweben sie im Äther,
dem großen unsichtbaren Fluss voll Lieb’ und Leid,
umgeben uns als Trösterkleid.
Cecilia
Einsamkeit
Sie kannte dieses Gefühl, das schon in frühester Kindheit von ihr Besitz ergriffen hatte.
Es war entstanden aus einem mehr oder weniger gezwungenen zu häufigen Alleinsein, dem Gefühl der Verlassenheit. Es gab durchaus Momente, in denen sie das Alleinsein nicht schlimm fand. Sie hatte früh gelernt, sich selbst zu beschäftigen. Aber dann folgten diese Momente, in denen die Einsamkeit nach ihr griff, sie lag schwer wie ein Stein auf ihrem Herzen. Alles, was sie bewegte, konnte sie niemandem mitteilen, Freude, Schmerz, alles musste sie hinunterschlucken und der Stein wurde schwerer und schwerer.
In solchen Momenten wurde die Sehnsucht nach dem geliebten Menschen – ihrer Mutter – zuweilen unerträglich. So ist es vielleicht zu erklären, dass sie sich auch unter Menschen manchmal einsam fühlte, sich selbst fremd. Das Gefühl der einsam erlebten Sehnsucht gewann an Raum. Es machte sie krank, denn sie war nicht in der Lage, Worte für die Einsamkeit zu finden, verschloss dieses Gefühl.
Instinktiv begegnete sie der Einsamkeit, indem sie in ihrer Fantasie lebte, füllte die erdrückende Leere mit Geschichten und Gestalten, die ihr Zuwendung versprachen, die ihr zuhörten. Niemand merkte etwas davon, höchstens freute man sich an ihrem fantasievollen Spiel, bestärkte sie.
Irgendwann jedoch gelang es ihr, reale Begegnungen in ihre Fantasie einfließen zu lassen, sich zu erinnern, wirklich nachzudenken über das Leben, das sie führte und vor allem über sich selbst. Sie kam ihrem So-Sein immer näher. Gefühle der Verlassenheit und Angst überlagerte sie mit Erinnerungen, verstand es immer besser kleine Momente des realen Erlebens einfließen zu lassen in die einsamen Momente.
Sie erkannte: Einsamkeit und Alleinsein sind nicht dasselbe. Einsamkeit war allumfassend, konnte sich nicht auflösen, auch nicht, wenn Menschen da waren. Alleinsein war begrenzt, ging vorüber, man konnte gedanklich vorwegnehmen, dass es sich wieder ändern werde und das Alleinsein wurde abgelöst durch wunderbare Momente der Gemeinsamkeit mit anderen. Diese hatten Bestand und zeigten ihr, dass sie zwar ab und zu allein war (ziemlich oft), aber keineswegs einsam. „Es ist eine Sache des Sehens“, dachte sie eines Tages. Und sie sah sich – allein mit sich selbst, mit ihren Gedanken, die so frei waren in diesen Momenten. Zuweilen schien es ihr, als habe sie Flügel, die sie davontrugen, wohin immer sie es wünschte. Sie war ein quirliges, lebhaftes Kind und das Alleinsein verschaffte ihr Ruhe, Stille, die sie brauchte um sich selber wirklich zu spüren. Sie begann sogar diese Zeiten zu genießen, unbelastet von Erwartungen und Ansprüchen. Ganz bewusst wendete sie sich der Natur zu und begann Dinge zu sehen, die sie so noch gar nicht wahrgenommen hatte, eine gerade erblühende Blume, einen glatten Stein, die Vielfalt der Gräser, kraftvolle Bäume, Schneckenhäuser mit wunderschönen Mustern. Ja, ihr Leben erschien ihr zuweilen wie ein solches Schneckenhaus, in das sie sich zurückziehen konnte, wenn sie es wünschte, wo sie sich auch allein geborgen fühlen, das sie aber auch verlassen konnte.
So wuchs sie hinaus aus dieser Einsamkeit, der Stein wurde leichter, war oft gar nicht mehr spürbar.
Sehr viel später verstand sie, warum sie immer wieder das Alleinsein suchte, brauchte.
Sie liebte die Kommunikation mit Menschen, widmete sich dem Leben, ihrer Familie, ihrem Beruf, hatte viele Interessen und die Momente des bewussten Alleinseins halfen ihr, sich selbst immer nahe zu sein, auszuloten, was gut und nicht so gut sei für sie, gaben ihr Kraft und das Gefühl, in sich selbst zu ruhen.
Es gibt sie immer noch, diese Augenblicke, wo sie sich einsam fühlt, meist sogar unter Menschen. Es kommt plötzlich und kurz ist der Stein wieder da. Aber sie hat gelernt, ihn beizeiten wegzulegen, ihm in ihrem Inneren kein Zuhause zu geben. Sie weiß auch, dass sie nicht allein ist mit diesen Gefühlen, dass andere sie auch kennen.
Sie sieht aber auch, dass es Menschen gibt, die wirklich einsam sind, die es nicht schaffen sich zu befreien aus diesem Käfig, Menschen, die Hilfe brauchen.
Manchmal wünscht sie, sie könne mehr tun für diese Menschen, die in selbstgewählter oder erzwungener Einsamkeit leben, wünscht, sie könne sie einfach an die Hand nehmen und sagen: „Schau, du bist nicht allein“.
Aber sie ist Realistin genug um zu wissen, dass die Gesellschaft heute gerade durch Leistungsanforderungen, Hektik, Profilierungsstreben, Egozentrik der Vereinsamung vieler Menschen Raum gibt. Sie weiß, dass viele Menschen in einem Schneckenhaus leben, das sie nicht verlassen können – so wie sie damals als Kind.
Schneckenhäuser, umgeben von Steinen, Mauern gleich, selbst geschaffen oder von außen errichtet. Gerade die zunehmende Individualisierung, ein übersteigertes Freiheitsdenken können Einsamkeitsgefühle hervorrufen. Auch der ständig mögliche Austausch durch die Medien, wie bsw. das Internet kann soziale Isolation begünstigen. Man verliert vielleicht die Fähigkeit, reale Kontakte zu knüpfen. Menschen, die sich selbst nicht annehmen können, die glauben nicht liebenswert zu sein, suchen hier oft eine Möglichkeit der Kompensation, nicht wahrnehmend, dass sie gerade hierdurch die Fähigkeit verlieren, sich und andere angemessen wahrzunehmen.
Momentane Einsamkeitsgefühle scheinen durchaus normal, sie werden oft durch äußere Umstände begünstigt.
Aber Einsamkeit hat viele Gesichter.
"Die Einsamkeit ist ein dichter Mantel, und doch friert das Herz darunter." (Erwin Guido Kolbenheyer).
Und: "Wir leben in einer so zeitreichen Gesellschaft, und trotzdem sterben so viele Menschen einsam. Das dürfte eigentlich nicht sein." - Franz Müntefering, Stern Nr. 1/2009 vom 23. Dezember 2008, S. 118
Enya
Einsamkeit – gewichtig bist du.
Du schläfst zwischen uns,
berührst die Wimpern
unserer Trauer.
Erwachst im Frühling der Lust,
stirbst im raschelnden Laub,
gibst der Liebe kein Wort.
Nur Scham über so schales Gebaren.
Bäumst dich auf im Todesgeruch
färbt sich die Sonne schwarz.
Wir mischen die Zeichen,
träufeln unsere Tränen hinein,
verbergen uns unter Sandbrücken,
geschält für die Nacht.
Enya
Antennen in der Einsamkeit
Einsamkeit. Ich konnte allein sein aber einsam eher nicht, denn das Gefühl der Einsamkeit war für mich ein trostloses, ein trauriges.
Ich erinnere mich an lange Zeiten in meinem Leben, in denen ich von Einsamkeit umfangen war. Dabei befand ich mich nicht einmal an einem einsamen Ort. Ich bewohnte mit meiner betagten Mutter erst ein großes Haus, später eine sehr gute und geräumige Wohnung, in der jeder für sich ausreichend Platz zum Leben hatte.
Ich litt keine Not, hatte Arbeit und meinen erwachsenen Kindern ging es gut, doch ich fühlte mich so furchtbar einsam.
So kam ich auf die „erlösende Idee“, ins Internet zu gehen, quasi alle technischen Antennen ausnutzend. Ich hatte damit ausreichend Beschäftigung.
Die Einsamkeit um mich herum und in mir drin blieb. Hartnäckig und unberührt.
Deshalb horchte ich, nun völlig ohne technische Hilfsmittel, was mein Innerstes mir zu sagen hatte. Ich begann meine Welt von innen und außen gleichermaßen zu durchleuchten. Das heißt, ich dachte über die Menschen, die mir begegneten, über mich und mein Verhalten intensiv nach.
Meine mir eigenen Antennen waren ausgefahren und zwar in alle Richtungen. Anfangs fühlte ich mich überfordert, hatte schwierige, schwer zu verkraftende Albträume aber auch das dringende Bedürfnis, meine Empfindungen irgendwie herauszulassen. Sie waren offensichtlich lange genug, vermutlich viel zu lange, in mir gefangen.
Wie von alleine begann ein unglaublich kreativer Prozess. Meine Antennen hatten etwas geortet und es schien als würde das Gefühl der Einsamkeit schwinden.
Es ist ein Paradoxon, die Einsamkeit ermöglicht die Entwicklung von Antennen mit dem Ergebnis, sich selbst zu vertreiben. Es ist als wäre sie imstande, sich selbst aufzulösen. Seltsam!
Die Einsamkeit als Anfang, als Initiator einer neuen, schönen Zeit.
Vielleicht suchen viele Menschen deshalb ganz bewusst die Einsamkeit, um in ihr zu schöpfen und ihr dann wieder bereichert zu entrinnen. Im ewigen Kreislauf.
Helga
Wenn deine Seele dürstet…
Dann solltest du ihr nicht verwehren
Bei mir zu trinken
Sie wird lächelnd winken
Um dann zu dir zurückzukehren
Wenn dein Herz hungert…
Dann sollte es die Freiheit haben
Sich an mir zu laben
Es wird mir Liebe geben
Um dann glücklich Heim zu schweben
Wenn dein Körper friert…
Dann solltest du zu mir kommen
Es wird ihm die Kälte genommen
Er wird mich umfangen
Und Herz und Seele verlangen
Zu bleiben
Helga
Als ich allein war
Als ich allein war
kamen mir gedanken
die ich ungern denke
von mir schiebe
da war ich gezwungen
mich zu lieben
zu hassen
niemand hilft
es bleibt
das weiße blatt beschrieben
mit blauer tinte
sie erdrückt und
befreit mich
diese einsamkeit
Signe
Der Begriff Einsamkeit bezeichnet die Empfindung, von anderen Menschen getrennt und abgeschieden zu sein. Natürlich kann Einsamkeit auch positive Aspekte haben wie Erholung und Neuorientierung.
Wenn ich in den Wald gehe, dann genieße ich die Einsamkeit, die Ruhe und Stille. Der Stress, die Hektik alles bleibt zurück und ich werde ganz still. Es tut gut sich einfach treiben zu lassen und bei der Rückkehr Kraft zu spüren, die man vergessen glaubte. Ich bin gern allein für mich, aber ich liebe auch meine Familie, wenn sie zu Besuch kommt und es laut ist. Jeder erzählt seine Neuigkeiten. Es wird viel gelacht auch mal gestritten, aber wir gehören zusammen. Abends ist es dann wieder ruhiger und man zieht noch einmal Bilanz. Schöne Momente, von denen man zehrt, wenn man traurig ist. Man kann diese Erinnerungspunkte abrufen, kleine Glücksoasen in der oft so schrillen bunten Welt.
Es gibt den Satz: Lieber allein als gemeinsam einsam. Paare, die sich nichts zu sagen haben, die nicht streiten, sondern einfach nebeneinander leben ohne Höhepunkte. Irgendwann sind die Gefühle auf der Strecke geblieben. Das Wohl des Anderen ist unwichtig, jeder geht seinen Weg.
Einsam oder Einsamkeit sind sicherlich völlig verschiedene Empfindungen. Beim Schreiben merke ich dieses Gefühl deutlich,
obwohl ich erst wenige Minuten allein bin und dieser Zustand nicht lange anhalten wird. Innerlich allein sein, obwohl das Leben pulsiert. So etwas ist mir am Sonntag passiert.
Meine Familie war da, mein Bruder mit Freundin und auch meine Schwiegertochter, die gerade vom Besuch ihrer Verwandtschaft aus Polen zurück ist. Es wird viel erzählt, es wird gegessen und getrunken. Ich sehe lachende Gesichter und strahlende Augen.
In einer Pause checke ich zwischendurch Mails. Ich warte auf eine bestimmte Nachricht und sehe sie. Beim Lesen treffen mich die Worte wie Faustschläge. Niemals hätte ich so etwas für möglich gehalten.
Zurück im Wohnzimmer höre ich nichts mehr, ich sehe die Münder, die sich bewegen die lachenden Gesichter, aber ich bin innerlich völlig einsam und allein. Erstarrt vor Schreck. Natürlich lässt das nach, aber die Einsamkeit bleibt. Ich kann es nicht teilen – mitteilen, es bleibt in mir.
Einsamkeit hat viele Gesichter. Manche sind schön, manche hässliche Fratzen. Der Zustand gehört zum Leben dazu wie die Luft zum Atmen.
Geli
Versteckte Gefühle,
hinter Kerkerwänden
eingesperrt
kein Sentiment
durchbricht
dicke Mauern
niemals soll
Licht
sie erreichen
sterbend
aber stolz
vermodern
sie
unbeugsam
aber voller Hochmut
Geli
Bildmaterialien: Coverbild Helga Siebecke
Tag der Veröffentlichung: 14.09.2012
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Mitgewirkt haben:
Cecilia, Geli, Enya, Helga und Signe