Des Tages erster Gedanke
"Das beste Mittel, jeden Tag gut zu beginnen, ist: beim Erwachen daran zu denken, ob man nicht wenigstens einem Menschen an diesem Tag eine Freude machen könne."
Friedrich Nietzsche
„Man verkauft uns schöne Träume, damit wir nicht erwachen, denn mit aufgeweckten Leuten wäre manches nicht zu machen.“
Liselotte Rauner
"Der Entschluß zu philosophieren ist eine Aufforderung an das wirkliche Ich, daß es sich besinnen, erwachen und Geist sein solle."
Novalis
„Manche erwachen erst am Abend - ihres Lebens.“
Wolfgang Eschker
Beobachtungen
(1)
Schnee fällt vom Dach, nass und schwer.
Ich beobachte es und finde,
er saust auch ziemlich schnell auf den Boden,
als hätte er einen Schubs bekommen.
Keine Chance sich festzuklammern, um dort oben zu verharren.
Er hat nichts gewagt, war überhaupt nicht unvorsichtig und
dennoch lassen ihn die Umstände zu Boden rutschen
So kann das Leben sein.
Beobachtungen
(2)
Nun ist er unten, ein Teil wird verdunsten.
Doch jetzt dringt er ein in die Erde und
entdeckt den Samen, mit dem er wieder emporwachsen wird, bald.
Vielleicht als Blume, die man gerne pflückt und
deren Früchte mit dem Wind durch die Lüfte fliegen
Das ist Leben.
Erkenntnisse
Wenn die Zeit gekommen, werden Ebenen verlassen,
zuweilen furchtbar schnell und unfreiwillig,
manchmal tröpfchenweise.
Ein harter Boden empfängt uns und wir vermeinen, alles wäre beendet.
Plötzlich entdecken wir winzige Öffnungen, durch die es zu schlüpfen gilt. Intuitiv zwängen wir uns hindurch, ohne zu wissen, was uns erwartet.
Und siehe da
Ein völlig neues Leben
Unser Leben
Helga
Monis Miniaturisierung
Zahlreiche Romane befassen sich mit derartigen Verwandlungen, doch alles läuft immer darauf hinaus, dass die Minimenschen sich in diesem Mikrokosmos einfach nicht zurechtfinden. Sie kommen mit den Gefahren nicht klar und scheitern, die Autoren entschließen sich, ihre Helden Dank eines Pülverchens wieder groß werden zu lassen.
Moni hat sich darüber ernsthaft Gedanken gemacht, warum die Menschen in ihrer Welt ziemlich viel an die Wand fahren. Doch kaum sind sie ganz klein, wird vieles deutlicher. Jämmerlich stehen sie einer Ameise gegenüber, von größeren Tieren ganz zu schweigen. Die Ameise kann durch sie nicht mehr zertrampelt oder mit Ameisengift ausgerottet werden. Man kann und muss sie auch nicht zur Arbeit zwingen, ohne sie ordentlich zu bezahlen. Sie wird gar nicht bezahlt.
Die Ameise arbeitet aus eigenem Antrieb für ihren Staat, in dem sie wohl behütet lebt. Jede Ameise weiß, was sie zu tun hat. Alles hat seine Ordnung. Man erkennt sich und respektiert die Arbeit der anderen und das bis hin zur Königin, die auch ihre Aufgaben zu erfüllen hat. Eine illusionäre Gesellschaft? Nein, nein, ganz und gar nicht, denn Ameisenvölker gibt es.
Menschen können sich das nicht vorstellen. Sie denken wie Menschen auch wenn sie Minimenschen sind. Sie begreifen die Welt der kleinen Tiere nicht.
Moni schlussfolgert, dass es also am Denken liegen muss. Es scheint in der so hoch entwickelten menschli-
chen Form höchst hinderlich. Warum? Weil sich das Denken immer um Individuelles, um den eigenen Vorteil dreht?
Moni weiß, dass es Versuche gab und gibt, die Menschen einer Ameise gleich in ein gesellschaftliches System zu pressen, über das ein Diktator, ein König, eine Partei, kurz eine Machtclique herrscht. Auf Dauer funktionierte das nicht. Die Menschen wurden nicht glücklich.
Im Augenblick bezeichnet man das herrschende System als „Demokratie“, in der die gewählten Parteien und Oberhäupter im Sinne der Bürger agieren. Ein Drama ist es nur, dass sie es nicht immer verlässlich tun. Das ist der Statusquo.
Moni beginnt sich allmählich einen Panzer zuzulegen. Sie hat, nebenbei gesagt wegen des permanenten Gürtelengerschnallens, auch inzwischen eine beacht-
liche Wespentaille bekommen.
Aufmerksam beobachtet sie mit beweglichen, großen Augen ihre Umgebung und trachtet danach ihre Fühler rechtzeitig auszustrecken, um immer besser ihren Aufgaben gerecht zu werden. Sie glaubt, dass man dieses auch von ihr erwartet. Moni hat sich verändert, ohne es selber zu merken. Sie denkt nicht mehr lange nach oder diskutiert endlos herum. Sie erfüllt stillschweigend und emsig ihre Pflichten. Ja, manchmal kommt sie sich etwas klein vor, doch das Gefühl verschwindet sehr rasch, wenn sie sich um-
blickt. Alle wimmeln und krabbeln so wie sie. Das ist also normal und gewollt.
Heute schaut Moni in den Spiegel und in dem Augenblick schießt ihr ein schrecklicher Gedanke durch den Kopf:
„Ich bin eine Ameise. Ich bin miniaturisiert worden.“
Das Erschreckende daran ist, dass sie den Prozess der Verwandlung nicht gemerkt hatte. Es war einfach passiert. Ehe sie darüber nachdenken konnte, wie es dazu gekommen ist und durch wen ihre Miniatu-
risierung vorangetrieben wurde, wer sie zu dem gemacht hatte, was sie nun war, nämlich eine funk-
tionierende Ameise, wurde es dunkel. Ein Stiefel hatte ihren kleinen Panzer zermalmt, doch sie lebte glück-
licher- und erstaunlicherweise noch ein bisschen. Sie klebte allerdings an der Sohle einer schwer zu definie-
renden Größe und überlegte, was zu tun sei, um sich von ihr zu lösen.
Minimonis Denken setzt nun wieder ein. Es wird Zeit aufzuwachen.
Helga
Foto: Gert Binder
Allem Anfang wohnt ein Zauber inne (Hermann Hesse),
jedem Tagesanfang das Erwachen.
Oft habe ich nachts gearbeitet und um Leben gekämpft – im richtigen Leben, und auch im Traum.
Im Leben ist mir mit Glück und Können alles gelungen, nicht aber im Traum.
Hier war ich oft von allen verlassen und stand mir selbst im Wege.
Verdikte aus dem Rucksack meiner Erziehung und der Frauengeschichte im allgemeinen versperrten mir den Ausgang.
Wenn ich zu einem lebensbedrohlichen Notfall gerufen wurde, kam ich einfach nicht von zuhause weg, denn ich wollte mir doch noch einen Lidstrich ziehen und kam irgendwie nicht dazu.
Bügeln und Fensterputzen musste ich auch noch.
Mit anderen Worten: Im Traum war alles gleich wichtig, ich konnte keine Prioritäten setzen.
Die Not wurde groß und drückend.
Ich beschloss, einmal nachzusehen, ob ich nur in einem Traum gefangen sei, und zwang mich auf-
zuwachen.
Dann fand ich lange keinen Schlaf mehr.
Ich versuchte nun, im Traum selbst einzuhalten und nachzudenken. Ich zwang mich, meine Tages-
Möglichkeiten des folgerichtigen Handelns in den Traum zu importieren.
Wenn ich darin gerufen wurde, zog ich mich – richtig herum: die Unterhose von unten und den Pullover über den Kopf – Schritt für Schritt an, nahm den Haus- und den Autoschlüssel vom Haken, verließ das Haus, bestieg das Auto, startete und fuhr los.
Damit war die Chimäre besiegt.
Ab dann gab es keine Hackstück-Schlafnächte und kein schuldbeladenes Erwachen mehr.
Dann kam die Zeit des Ruhestandes und der Krank-
heit.
Die nächtlichen Alpträume verzogen sich langsam, denn die Tage wurden zum Alptraum.
Meine Seele servierte mir schöne Träume aus glück-
lichen Tagen, einen endlosen Frühling.
Das Erwachen war ein Sturz in den Abgrund, der Krebs verschlang mich.
Bis zum Abend hatte ich mir wieder Mut gemacht.
Dann folgte ein geruhsamer Schlaf.
Nur langsam und durch mühevolles Weiterleben ging ich – Tag für Tag – einen weiteren Schritt rückwärts, weg vom Kraterrand.
Jetzt halten sich Schlaf und Erwachen die Waage und wiegen Hoffnung und Lebensfreude.
Cecilia
Kleine Satire von Helga
Aufwachen und wachsam sein
Auf und wachen heißt die Devise, denn ehe man sich es versieht wird man beklaut. Diebe greifen Tag und Nacht in unsere Geldbörsen und das nicht genug, sie versuchen sich unseres Denkens zu bemächtigen. Sie greifen mit langen schmutzigen Griffeln danach und nehmen alles, was sie bekommen können, selbst und gerade das Wenige, was an Gehirnschmalz geblieben ist.
Wenn sie d a s geschafft haben, dann lassen sie unablässig gequirlten Müll in unser Hirn rieseln, denn Hohlkörper bekommen zu schnell Risse. Das wäre nicht gut, meinen sie, denn Wähler müssen gepflegt werden.
Mit Unrat und Müll im Schädel eilen wir alsbald durch die Einkaufspassagen und als Höhepunkt selbst-
verständlich auch ins Wahllokal, in dem man uns sich gewissermaßen zur Brust nimmt. Sehr oft denken wir, es wäre die alles stillende Brust der Mutter Demokratie, bis sie uns mit einem Tritt in den Allerwertesten rabiat ins Aus befördert, dann wachen wir auf und reiben uns die Augen, weil die Taschen leer sind. Leider ist das kein Traum.
Skulptur: Frieder Frankowitsch
Das Millionen-Quiz
Sind wir, mit Honigseim süß eingelullt,
im Traum befangen?
Hat diese lange Friedenszeit
Mit Wohlstand, Wohlsein uns
Vor Unwohlsein gefeiht?
Muss, was im Magen drückt,
an den Gedanken, am Gewissen
vorbeiverdaut und im Geheimen
ausgeschieden sein?
Hat der, der seinem Gewissen einen
Mund verleiht, sich damit gleich die
Zunge verbrannt?
Werden ihm die Zähne ausgerissen, einer
um’s Mal?
Was rüttelt uns noch wach?
Ist’s nur der Wecker mit der Atomuhr,
der die Gedanken schlafen legte?
Können wir überhaupt noch
die Welt sehen, erleben und
unsere Schlüsse zieh’n?
Hat Information sich verselbständigt
und tirilliert um ihrer selbst willen?
Ein schlechtes Wiegenlied!
Ein furchtbares Erwachen.
Cecilia
Skulptur: Frieder Frankowitsch
Erwacht - und nun?
Es war ein plötzliches Erwachen. Ich erinnere mich noch sehr gut an diesen Tag.
Als ich völlig fertig die Klasse verlasse, wird es mir bewusst:
Wir schlafen hier anscheinend den Dornröschenschlaf, bewegen uns in einem aberwitzigen Traum.
Inklusion – die Herausforderung für jede Schule, auch Grundschule, ein pädagogisches Prinzip – zur Zeit in aller Munde. Das versuchen auch wir zu praktizieren.
Deutschland hat sich verpflichtet „to ensure an inclusive education system at all levels and lifelong learning...“ – gemäß der seit März 2009 geltenden Un-Konvention.
Dies impliziert, dass auch Kinder mit Behinderungen Anspruch haben auf diskriminierungsfreien Zugang zur Regelschule. Allerdings ist dies nicht nur ein Rechtsanspruch, sondern auch eine Haltungsfrage: Heterogenität, wie auch immer, wird positiv aufgefasst. So auch an der Schule, an der ich unterrichte und selbstverständlich unterstütze ich diese Haltung.
Wir unterrichten Kinder mit Behinderungen, sind inklusiv und integrativ. Aber um welchen Preis?
Die Erkenntnis trifft mich hart an diesem Tag. Wir schlafen den Dornröschenschlaf, sind umgeben von einer riesigen Dornenhecke und der Prinz, der uns wachküsst, scheint in weiter Ferne.
Ich bin in meinem Wachtraum gefangen.
Sven liegt auf dem Boden, den rechten Arm senkrecht nach oben gestreckt, als ich das Klassenzimmer betrete. Tiefes Durchatmen. Was wird mich und die anderen Kinder heute erwarten? Ich unterrichte naturwissenschaftlichen Sachunterricht, wir beschäftigen uns gerade mit dem Phänomen der Wasserverdrängung. Eigentlich sollen die Schüler in Gruppen Experimente durchführen, ihre Ergebnisse diskutieren und ihre Schlussfolgerungen ziehen.
Sven ist nicht in der Lage auf diese Weise zu arbeiten. Er hat das Aspergersyndrom mit stark autistischen und aggressiven Zügen. Er braucht ständige Einzelbetreuung, immer muss für ihn gesondert etwas vorbereitet werden. Man weiß allerdings nie, ob es möglich sein wird, dies auch zur Anwendung zu bringen.
Heute also liegt er auf dem Boden. Die anderen Kinder ignorieren es, sie sind es gewohnt. Ich entscheide mich die Gruppenarbeit zu beginnen. Wasserbecken müssen gefüllt werden. Sven lässt den Arm sinken (wie kann er ihn nur so lange ohne Zittern senkrecht in der Luft halten?) und steht auf. Plötzlich spurtet er los, von Gruppentisch zu Gruppentisch, klatscht mit den Händen in die Becken, dass das Wasser nur so spritzt. Dann steht er am Fenster und murmelt vor sich hin. Ich gehe zu ihm, lege ihm die Hand auf die Schulter, gerade so fest, dass er es spüren muss. Ich biete ihm an, allein experimentieren zu dürfen. Er lehnt ab, mit der Begründung, dass er das alles schon wisse, was vermutlich auch stimmt.
Nun rennt er durch die Klasse mit lautem Brummen. Es ist nervig und ich weise ihn energisch darauf hin, dass er die Klasse verlassen müsse, falls er nicht aufhöre. Das ist im Kollegium so abgesprochen. Sven stoppt tatsächlich seinen Rundflug, nur um an den Tischen Sachen wegzunehmen. Jetzt müsste ich ins Schulleiterzimmer nebenan gehen um meinen Chef zu holen, der in solchen Fällen Sven bei sich aufnimmt. Kann ich es wagen?
Ich informiere Sven und die anderen Kinder und eile aus der Klasse. Mein Schulleiter ist nicht da, ich vergaß, er muss eine Vertretungsstunde in Sport halten.
Ich eile zurück in die Klasse. Totenstille. Sven hat ein 10-l –Becken ausgeschüttet und steht nun mit Socken in der Pfütze. Das war’s dann. Wir alle wischen auf. Sven steht wieder unbeteiligt am Fenster.
Inkludiert, integriert? Ich habe keine Hilfe. Auch meine beiden Kolleginnen an der Schule müssen solche Situationen allein bewältigen.
Ich habe oft ähnliche Situationen erlebt. Heute reicht es.
Ich bin so wach wie nie zuvor. Mir wird bewusst: Das kann es nicht sein!
Später, im Lehrerzimmer bei der Besprechung, teile ich unmissverständlich mit, dass ich so nicht weitermachen werde, wegen Sven, wegen der anderen Kinder, wegen mir, wegen der Augenwischerei, die hier betrieben wird. Ich sage es wortwörtlich: „Wir müssen verdammt noch mal aufwachen aus diesem Schlaf!“
Es ist der Anfang eines langen Weges. Wir bekommen keine Hilfe.
Sven ist in einer besonderen Schule gelandet. Er wird gefördert.
Wir sind erwacht. Inklusion? Sie bleibt eine Herausforderung. Unter unseren 68 Kinder sind weitere vier mit Behinderungen, von den „normal“ Auffälligen ganz zu schweigen.
Hilfe ist nicht in Sicht, wie immer fehlen die Gelder und die anderen Ressourcen, um die nötigen Voraussetzungen zu schaffen. Aber wir praktizieren Inklusion – wach jetzt immerhin.
Enya
Dornröschenschlaf
Henry Meynell Rheam - Sleeping Beauty
Die kleine Prinzessin schläft nach einem Zauber 100 Jahre und mit ihr der ganze Hofstaat. Erst als ein Prinz sie küsst, erwacht alles wieder. Die Jagdhunde im Hof schütteln sich und der Küchenjunge bekommt endlich seine Ohrfeige, auf die er so lange hat warten müssen.
Das Märchen ist uns allen bekannt. In diesen alten Erzählungen steckt oft ein Körnchen Wahrheit und man soll daraus etwas lernen. Sie sind sicherlich nicht nur für Kinder geschrieben, auch Erwachsene sollten sich darin wiederfinden.
Die Brüder Grimm haben bewusst solches Erzählgut zusammengetragen. Es gesammelt und der Nachwelt hinterlassen.
Wird heute auch zu lange geschlafen? Erst wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist, schrecken viele hoch. Manche haben es gleich gewusst, andere sagen gar nichts dazu. Viele hängen ihr Fähnchen in den Wind, so ist es einfacher. Lieber nicht auffallen, nicht laut werden. Anpassen, denn dann bleibt man unsichtbar.
Es gibt so eine grässliche Werbung. Eine Frau versucht ihr Konzept an den Mann zu bringen. Es wird aber abgelehnt und lieber Kuchen gegessen und Fähnchen geschwenkt. Einfach so weitermachen, wir haben genug Reserven und was geht mich die Zukunft an. Wir leben nur für den Augenblick. Jung, dynamisch und erfolgreich. Wie viel Ressourcen haben wir denn noch, bevor das Licht ausgeht?
Nimmt man z.B. die Benzinpreise. Wie hoch werden sie noch steigen, bis die Menschheit mal das Auto stehen lässt? Wann bemerkt man wirklich, dass Kernkraft gefährlich ist und es uns alle angeht?
Es gibt so viele Fragen, aber keine Antworten. Alles schläft tief und fest und der Wecker kann noch so laut schellen, niemand wacht davon auf.
Im privaten Bereich ist es auch nicht viel besser. Der Müll wird in den Wald gekippt, aus den Augen, aus dem Sinn. Die Gewässer werden verschmutzt und wenn der Müll vor der Tür abgeholt wird, habe ich längst meine Umweltsünden vergessen. Wir leben nach dem Sankt-Florians-Prinzip, was geht es mich an.
Vielleicht brauchen wir auch mal wieder eine so schallende Ohrfeige wie der Küchenjunge, der 100 Jahre warten musste.
Geli
Ein Traum
Im Vergehen der Minuten liegen
Den Stunden Heimat geben
Eine Brücke aus
Vergangenheitstränen bauen
Unsere Wärme über uns breiten
Hervortreten aus den Nebeln
Der verlorenen Zeiten
Eingehüllt in den
Mantel der Hoffnung
Wolkenlieder singen
Und Lichter pflanzen
In die Ewigkeit.
Das Erwachen zeigt
Die verhängte Zeit
Die erlaubt zu trauern.
Enya
Erwachen - dreigeteilt
von Signe
Bild: Signe
Teil eins: Über Pi
Ich bin Pi
rational irrational
wissend, es gibt auch
eine siebzehnte Zahl
hinter dem Komma
Ich bin harold&maude
neugierig wissbegierig staunend
denkend fühlend liebend
Ich bin Pi
existent unbegreiflich
Ist das nicht schön?
Teil zwei: Ozean der Liebe
Wasser mag sie. Schiffe findet sie gut. Ihn liebt sie. Sie geht an Bord als Bootsmann, Geliebte, Freundin. Ziel: Ozean der Liebe.
Der Ozean der Liebe ist wie der Ozean selbst: weit, unendlich schön, unergründlich gefahrvoll. Der Ozean der Liebe zeigt sich auch in verschiedenen Farben: alle Farben Blau, alle Nuancen Grün, türkis, aber auch grau und bisweilen schwarz; mit Wellen hoch wie ein Schiff und Schaumkronen weiß und kräftig, die das sichere Ufer suchen. Der Ozeans der Liebe wird gerahmt von sanften schönen Stränden mit Palmen, großen und kleinen Häfen, zerfurcht von felsigen Klüften, die plötzlich vor dem Reisenden auftauchen.
Sie trifft ihn. Fasziniert von seinem Stolz, seiner Eloquenz, seinen Ideen. So kommt sie in einen Strudel aus Liebe, körperlicher Sehnsucht, die sie in dieser Stärke nicht kennt. Es trifft sie mit voller Wucht. Sie denkt: Biochemie ist unveränderbar wie die Gravitation der Erde und wehrt sich nicht dagegen; ihr fällt auch kein Grund ein, warum sie dies tun sollte. Sie genießt es. Sie erzählt ihm davon.
Der Kapitän und der Bootsmann heuern an, gemeinsam setzen sie die Segel und beginnen ihre Reise. Der Kapitän ist anwesend. Wunderschöner Kapitän! Der Bootsmann rudert und führt das Logbuch. Braver Bootsmann! Anfangs reisen Kapitän und Bootsmann zusammen. Sie treiben sich mit neuen Zielen und neuen Ideen an, auf der Suche nach Abenteuern.
Der Gedankenaustausch findet in rasender Geschwin-
digkeit statt. Ihr Gehirn läuft auf Hochtouren; ihre Gefühle auch. Jedoch bemerkt sie auch, dass er nur einen kleinen Teil von sich mit ihr teilt. Über diese Tatsache denkt sie nach und bemerkt, dass diese neue Herangehensweise ihre bisherigen gedanklichen Dimensionen sprengt. Sie denkt: Das Handeln wird bestimmt durch unsere persönlichen Gedanken. Weiter denkt sie: Was ist Glück? Wieviel permanentes Glück als Dauerzustand erträgt ein Mensch? Wäre das Glück größer, wenn sie immer mit ihm zusammen wäre? Ihr Glück reproduziert sich aus dem status quo. Sie liebt ihn. Sie wird geliebt. Von ihm. Ist das nicht viel? Das ist das Geschenk. Trotz seiner Abwesenheit erreicht sie einen Zustand der eigenen Glückseligkeit, der seismographisch in ihr konserviert wird.
Die Reise geht weiter - selten zu zweit, oft jeder allein. Der Kapitän kehrt von seinen Reisen zurück und bringt neue Dinge zum Begutachten mit; doch bleibt wenig Zeit dafür. Die neuen Eindrücke und Erkenntnisse werden nur noch benannt, um dann im Einsammeln fortzufahren. Auf Anraten des Kapitäns reist der Bootsmann in einer Dschunke in ihm unbekannte Gefilde mit Gandalf und Aragorn via Mittelerde und in andere ihm bis dahin fremde Welten. Der Kapitän befährt seine Routen und ist gehetzt von den vielen neuen Eindrücken und Gedanken. Er befindet sich in einem imaginären Wettlauf. Von Zeit zu Zeit sitzt er in einer Hafenspelunke und lotet die eigene Tiefe aus; er ergründet seine innere Landkarte.
Sie will jeden kommenden Gedanken zu Ende denken und nimmt sich dafür die Zeit. Sie weiß um den Gewinn und den Genuss darum. Darüber spricht sie mit ihm. Sie erzählt ihm von ihrer, auch körperlichen, Sehnsucht und der Unmöglichkeit, diese unter den gegebenen Umständen stillen zu können. Sie spricht von ihrer Vorstellung über sich, über ihn und von ihrer Liebe. Dabei ist ihre Vorstellung darüber unendlich weit wie der Ozean der Liebe.
Per Funkspruch lässt der Kapitän mitteilen, dass die Reise nunmehr beendet sei. Der Bootsmann dreht die Medaille um: der Stolz des Kapitäns kommt als Hochmut daher und dient als Schutzmantel gegen sich selbst, seine Eloquenz benutzt er für Worthülsen, um unverletzbar zu bleiben. Seine Ideen bleiben Untaten. Seine innere Landkarte existiert ohne Legende.
Nachdem sie seine Nachricht erhalten hat, ist sie kurz irritiert; und auch wütend. Sie telefoniert, Rat suchend, mit einer Freundin, packt seine Sachen zusammen, um sie ihm zurückgeben zu können. Ein zweites Telefonat mit der anderen Freundin bringt sie in große Heiterkeit darüber und zu folgender Überle-
gung: Er hat gerade etwas REAL beendet, was REAL nicht stattgefunden hat - untauglicher Versuch. Also legt sie seine Sachen wieder an die alten Plätze und fängt schallend an zu lachen.
Der Ozean der Liebe bleibt, was er ist. Er ist unver-
änderbar veränderbar. Jeder ist auf ihm in seiner Weise unterwegs. Er ist die Hoffnung und der Motor für unser Handeln. Niemand wird ihn in seiner Komple-
xität je ganz erfassen. Niemand kann sich ihm entziehen.
Der Bootsmann legt die Ruder aus der Hand, steigt aus dem Boot aus und findet im Heimathafen seine eigene Kapitäns-
mütze. AHOI! Die Reise geht weiter!
*****
Teil drei:
Neue Zeit rieselt ins Uhrglas. In Gedanken hatte sie ihn auf einen Sockel gehoben, ihn, den Jüngeren hofiert und umgarnt. Sie hatte vergessen, ihm zu sagen, dass ihr eigener Sockel neben seinem steht. Und er hatte es wohl übersehen.
Ende ist Anfang
Dieses Mal
ist sie nicht
der zerbrochene Krug
das waidwunde Tier
der geschlagene Ritter
der einsame Stein
Dieses Mal
ist sie
unzerbrechlich
stark
weise
glücklich
Sie ist
Phönix aus der Asche
Signe
Der Langschläfer
er schreitet jeden Morgen
drei vier Stunden
auf des Erwachens Pfad einher
zuerst ist er ein müdes Tier
und torkelt einen langen Korridor
bis zu der ersten Tür
darauf wühlt er sich
nochmals tief ins Federbett
und fliegt im Federkleid
durch eine zweite Tür
zurück in eine Märchenzeit
im fremden Haus
gesteht er einem Mädchen bang
dass er es liebt
obwohl es noch ein halbes Kind
und er so viele Jahre älter ist
wie einst Wieland der Schmied
worauf das Mädchen spricht
da du mich liebst
lieb ich auch dich
danach tritt er durch eine dritte Tür
noch niemals sah er diesen Fluß
und diesen See vor der Terrasse hier
da schrickt ihn eine Stimme auf
wach auf du Taugenichts
es ist schon spät
Conrad
Bildmaterialien: Coverbild Helga Siebecke
Tag der Veröffentlichung: 13.04.2012
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Mitgewirkt haben:
Conrad, Enya, Cecilia, Signe, Geli, Helga