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Autos unterm Bauch



mehr als Pfotenspuren




Danke an Gina, meine Weise, sie hat mir mit ihrer unerschöpflichen Weisheit den Spiegel vor gehalten

und Manches gezeigt, das ich durch Menschen so nicht gelernt hätte.


Ebenso danke an meine Kinder, ohne deren Mittun und Geduld in den ersten Jahren wäre unser Projekt "Eingliederung" vermutlich gescheitert.

 

 

 

Nun sind wir nicht mehr zusammen.

 

"Ist das so?"

 

Naja, auf körperlicher Ebene ist das so.

 

"Aber ist das so? Ich frage Dich nochmal.

Wir sind doch nie getrennt, alles ist verbunden. Wir haben eine Verbindung, die sich nie trennen oder zerschneiden lässt. Zwischen uns kann nichts kommen, nur wenn Du es zulässt. Vertraue Deinen Gefühlen.

Ich komme, aber neu, frisch und an einem anderen Ort, in ein paar Jahren, wenn ich mich erneuert habe."




Knapp 71 Jahre meines Lebens sind vorüber. Als Menschenalter.
Da finde ich, wird es Zeit, ein wenig nachzudenken und vielleicht dabei auch gleich ein wenig Klarheit in manche Dinge zu bringen, die mir so begegneten. Und womöglich findet sich der Eine oder Andere ja in meinen Überlegungen wieder... Unmöglich, weil ich ein Hund bin? Dem setze ich entgegen: Leben bleibt Leben, Angst bleibt Angst und Lebenfreude bleibt Lebensfreude...

Dank meiner Menschin und ihren unermüdlichen Recherchen weiß ich heute auch, dass ich ein Herdenschutzhund-Mischling bin... "Meine Akbashine", wie sie mich öfter nennt.
Nicht genug, dass Herdenschutzhunde schon nicht ganz einfach in "zivilisierter" Gegend zur Recht kommen, nicht einmal ich selbst weiß genau, wieviele Traumata mich zu einem "problematischen" Hund gemacht haben. So wird das auch stehen bleiben... Ich hatte immerhin Glück.

Über meine frühesten Tage weiß ich - verständlicherweise - auch nicht wirklich viel. Ich hatte noch zwei Schwestern, soviel ist sicher. Die Eltern verlieren sich im Nebel. Die ersten markanten Erinnerungen waren Kälte und Nässe, die mir in die Schnauze bissen.
Und immer die Suche nach Futter, dabei auf der Flucht. Von gutem oder schlechtem Leben wussten wir da noch nichts. Es gab dieses Leben. Und es war normal.
Es war normal, morgens durch die stillen Straßen zu streunen, ehe Menschen kamen. Auf den wenigen Höfen war Futtersuche am effektivsten. Nachmittags mussten wir uns hüten... da kamen die Kinder, vor allem Jungen. Wenn ihnen langweilig war, so warfen sie Flaschen oder Steine nach uns und fanden es lustig, wenn wir quietschten und Luftsprünge machten oder wenn sie trafen! Damals wuchs die Angst und das Misstrauen. Und beides war "normal". Ich dachte, dass das Leben so sein muss.

Später versuchten wir uns einfach zu bestimmten Zeiten nicht zu zeigen. Am liebsten lag ich bei den Pferden. Und davon gab es bei uns noch einige.
Wie lange wir so lebten, meine Schwestern und ich - ich könnte es heute nicht mehr sagen und ich wollte es auch gar nicht. Wir drei waren uns selbst genug. Menschen gab es, manche musste man meiden, manche fürchten - ihre Jungen am meisten. Hunger gab es oft genug und keine von uns Dreien hätte sich Gedanken über zwanzig verschiedene Trockenfuttersorten gemacht oder darüber, welche Futterzusatzstoffe wie Algen oder Hefe wir bekommen müssten.

Wie es zuging, dass wir an einem regenmatschigen Abend in einem Auto landeten, kann ich nicht sagen... Ein Auto! Etwas was mir schon immer Furcht enflößte, wenn es stinkend die Dorfstraße entlang kam. Es roch nach Unheil und ich rannte zumeist mit eingeklemmtem Schwanz davon. Wir landeten in Drahtkäfigen und da passierte mir zum ersten Mal etwas, was mich von da an für einige Zeit begleiten sollte: ich verlor Pipi.... verlor es einfach und ich war unglücklich. Bis dahin hatte ich so etwas nicht empfunden. Wir schlugen uns eben durch. Aber hier passierte etwas, was wir nicht mehr beeinflussen konnten.

Bisher konnten wir irgendwohin rennen und uns verkriechen. Auf der Straße laufen oder auch nicht. Sich hinter dem Pferdestall zum Schlafen legen oder nicht. Nun saßen wir zu dritt hinten in diesem Auto!
Ich sah nichts mehr und fühlte nichts mehr mit der Zeit. Es wurden immer noch andere eingeladen. Bald konnte ich auch meine Schwestern nicht richtig erkennen... es war laut und nicht absehbar.
Zeitempfinden habe ich dafür auch heute keines. Und damals - was war schon "Zeit"?

Mir war übel, sodass ich mich übergeben musste. Ich hatte Durst. Das mit dem Hunger war nicht so schlimm - Hunger aushalten, das kannte ich und darin hatte ich genügend Übung... Der Schmutz war mir peinlich, mein Schmutz und die Angst machte mich ganz irre. Damals wusste ich nichts davon, dass nicht jeder Hund solche Ängste empfindet. Damals wusste ich auch nicht, dass es sogar Menschen gibt, die Ängste haben. Und dass ich kleiner weisser Hund eines Tages fähig sein könnte, meine Menschen zu trösten!

Irgendwann kamen wir irgendwo an. Und mir war ehrlich egal, WO ich mich befand. Zunächst. Ich musste dringend meine Geschäfte erledigen, im Auto hatte ich das nicht fertig gebracht, so wie die anderen...
Der Boden war glatt und einigermaßen sauber, es gab Maschendraht und Gitterstäbe. Einen Wassereimer, Futternäpfe interessierten mich erst mal nicht. Meine Schwestern und ich schliefen auf den Decken, die dort lagen... es war laut und überall Gitter mit anderen Hunden dahinter, ich konnte kaum Gerüche unterscheiden - sie schwappten über meiner Schnauze zusammen und nahmen mir fast die Luft.
Ich musste schon wieder aufs Klo aber es kam niemand um die Gitter wegzumachen. Irgendwann musste ich auf dem glatten Boden "draussen". Ja, wir hatten auch ein Schlupfloch in ein Stückchen Frischluft. Dass dieses Gefühl, das mich ständig hin und her trieb und einfach nicht zur Ruhe kommen ließ, "Angst" hieß, wusste ich da noch nicht. Die Worte der herum laufenden Menschen verstand ich nicht und konnte sie auch nicht deuten, ich konnte nicht einmal erkennen, wie es meinen Schwestern ging.

Sie setzten mich irgendwann auf einen kalten, glatten Tisch und begannen mir in die Ohren zu leuchten, meinen Herzschlag zu fühlen, kämmten mir durchs Fell, redeten, drückten mir Paste auf die Pfote, die ich sofort los haben wollte und ableckte. Schmutzig war ich in den letzten Tagen oder etwa Wochen? doch schon genug geworden.

Als ich wieder aufwachte, roch es sonderbar, ich hatte ein furchtbares Teil am KOpf, Schmerzen im Bauch und fühlte mich elend, so elend. Ein Mensch kam und sah nach mir und führte mich wieder auf meinen glatten Boden.
Erst Stunden später merkte ich, dass eine meiner Schwestern fehlte!!! Zur Übelkeit, den Schmerzen und der Angst, kam noch die Unruhe... wohin hatten sie sie gebracht. Nicht dass sie mir sonderlich fehlte gerade. Ich hatte in meinem bisherigen Leben gelernt, dass es oft besser ist, gleichgültig zu sein. Bindung hatte ich zu niemandem. Meine Schwestern und ich, wir waren eine reine Zweckgemeinschaft. Sechs Augen sehen mehr als zwei, drei Nasen bekommen schneller Wind vom Unheil, als eine... so einfach war das.
Aber ich brauchte ihr Dasein als Gradmesser, als Garantie dafür, dass nicht gleich wieder etwas Unvorstellbares geschah... und nun fehlte eine von uns.... Menschen kamen und gingen, guckten durch die Gitter und ich wollte nicht, dass sie guckten. Sobald ich wieder laufen konnte, rannte ich hin und her, aber nicht mehr nach draussen in das Stückchen Frischluft.

Die schlimmen Gefühle hörten nicht auf.... sie überlappten sich, eines ging, zwei andere kamen, eines wurde schwächer, ein neues schlimmes Gefühl tauche auf... Menschen kamen, schlossen auf und holten mich heraus... ich rutschte auf dem Bauch, weil meine Beine versagten. Sie versuchten mich weg zu führen, aber sie zerrten mich mehr als dass ich mich führen ließ. Stimmen, Geräusche ein Halsband!!! und eine Führleine - und dann: saß ich wieder in einem Auto!!! Auto...
Ich mache es kurz: Menschen hatten mich geholt. Menschen bei denen ich nun wohnen sollte. Ich merkte sehr schnell, dass ich nicht nach draussen konnte, wenn ich wollte! Es gab keine Pferde, es roch überhaupt völlig anders. Ich musste Pipi, aber ich wusste nicht, wohin!
Sie schimpften über das Pfützchen, führten mich nach draussen und als ich dachte,nun könnte ich los und weg und wäre frei, spürte ich den Ruck am Hals.
Sie nannten mich "March". Wo meine Schwestern waren, sagten sie nicht.
Mehrmals am Tag kamen sie und nahmen mich an die Führleine und gingen mit mir nach draussen. Es gab glatte Straßen und viele Autos, überhaupt gab es von allem viel zu viel! Zu viele Menschen, zu viele Häuser, viele Autos... viele Geräusche... ich wusste keine Richtung und es zog und zerrte an meinem Hals. Wäre ich ein Mensch gewesen, ich hätte geweint...
Gras gab es auch, aber nicht viel... gerade so, dass ich mein Geschäft machen konnte. Die Menschen riefen mir Worte zu und fuchtelten mit ihren Pfoten, aber ich verstand nicht. Konnte nicht unterscheiden, was die Laute bedeuteten. Waren sie schlimm? Meinten sie mich damit? Ein Hund mit "Migrationshintergrund"... ich wollte ihren Futternapf lange nicht. Lieber nach draussen, irgendwohin rennen. Aber ich durfte nur mit ihrer Führleine nach draussen. Einer der Menschen setzte sich auf ein Fahrrad und fuhr los, ich sollte mit laufen.... so etwas hatte ich noch nie gemacht, aber ich konnte das und Fahrräder kannte ich ja von früher!

Gerade als ich begonnen hatte, von ihrem Futternapf zu nehmen, passierte etwas, was ich bis heute nicht so recht verstanden habe. Es kam eines ihrer Jungen mit noch zwei Fremden... sie warfen einen Ball und schossen ihn mit ihren Füßen, dort draussen wo sie mich bei der Haustür angeleint hatten. Der Ball knallte neben mir auf, der Junge war schnell dabei, wollte den Ball neben mir fassen, ich war gerade entsetzt aufgesprungen und dachte - ich weiß nicht was ich dachte, ich schnappte nur. Mit Dingen nach mir geworfen hatten sie früher schließlich genügend.
Dann kroch ich in mich zusammen und als sie am nächsten Morgen mit mir in ihrem Auto los fuhren und mich wieder dort auf dem glatten Boden ab luden, wo sie mich erst weg geholt hatten, war es mir fast recht... Mein glatter Boden hinter den Stäben. Dorthin konnte mir keiner was nach werfen...

Es verging ein Sommer, ich rannte nicht mehr hin und her - ich war froh, wenn ich meine Ruhe hatte. Sie wischten regelmäßig den glatten Boden, was genau im Napf war, war mir egal, ich fraß es. Und ob davon mein Bauchweh oder mein Durchfall oder was auch immer kam, war mir ebenso egal. Manchmal wehte der Sommerwind so, dass ich fast glaubte, Gras riechen zu können, und Pferde vielleicht auch. Wenigstens so ähnlich schien es mir. Es kamen nicht immer Leute. Manchmal war es auch tatsächlich sehr still. Meist dann, wenn die Sommerhitze einfach zu heftig war.
Meine Schwestern nannten sie April und May... und sie wurden von Menschen abgeholt. Ich glaubte fest daran, dass auch sie wieder zurück kämen. So machte ich mir keinen Kopf darum. Aber sie kamen nicht wieder... weg. Etwas, das ich gut konnte: mich mit den Gegebenheiten arrangieren. Die Dinge waren so wie sie waren. Emotionslos gingen die Tage an meinem Gitter auf dem glatten Boden vorüber.

Also die Luft schon kalt roch und ich lieber drinnen auf meiner Decke lag, kam wieder jemand, ganz genau zu mir. Ich sah sie nicht direkt an, die Menschenfrau. Während ich ein paar Mal hin und her lief, versuchte ich im Vorbeihuschen Wesentliches zu erkennen. Wesentlich für mich war: was wird sie mit dir machen? Nach was sieht sie aus? Ich kroch wieder nach drinnen, aber auch als sie weiter ging und sich andere Hunde ansah, ahnte ich, dass sie wieder kommen würde.
Und sie las die Tafeln, die aussen am Gitter hingen. Wieder ging sie weg und sie kam mit einem der Pfleger zurück. Ein Halsband bekam ich um, und wieder die Führleine. "Spaziergang" - nein, ich wollte nicht, dass sie hinter mir ging. Nichts wollte ich, Schneematsch nicht und das Glatteis am Weg. Wollte nicht geführt werden aus meinem Leben. Wer sagte mir, dass es gut war, was kommen sollte? Lieber sollte gar nichts kommen.
Aber es war "draußen" und da war ich länger nicht wirklich gewesen... Ich fühlte zwei Gefühle: Sie war gut. Aber ich wollte nichts Neues. Ich hatte Angst.
Und mir war klar aus dem, was sie sprach und wie sie redete, dass es besiegelt war. Sie würde mich mit nehmen!!! Viele von den Anderen, die auch hinter ihren Gittern wohnten, hätten sich mächtig gefreut. Sie sehnten sich förmlich nach dem Moment, in dem die Gittertür für einen fremden Menschen aufging...
Ich kroch auf dem Bauch, nein sie zogen mich auf dem Bauch. Auto!!! Wieder Auto... ich drehte und wand mich in diesem engen Raum mit dem lauten Geräusch und den Gerüchen... es roch nach Hund hier.... das war das erste was mich etwas beruhigte. Ich wollte den anderen gar nicht sehen, mir genügte, dass es nach ihm roch... warum, kann ich nicht sagen.

Ich wollte aus diesem Auto heraus aber auf keinen Fall in dieses Gebäude hinein! Ich stemmte meine Pfoten in den Boden... Sie hatte Junge... lauter Jungmenschen kamen ihr entgegen... und zwei von ihnen hoben mich hoch und trugen mich durch die Haustüre. Obwohl alles in mir schrie... sie hatten mich gut angefasst. Sie setzten mich drinnen ab ließen mich dann in Ruhe. Ich verlor wieder Pipi - und lief in eine Ecke.
Es geschah nichts weiter.... ausser dass alle da saßen, dass sie aßen und Kaffee tranken. Ich lief hin und her, sah durch die Glastüren und fand keine Ruhe. Aber es roch angenehm... das weiß ich heute noch. Weil sich diese Gerüche immer wiederholten. Inzwischen kenne ich sie so gut, ich kann genau sagen, was zu welchem Geruch gehört. Wann sie einen Napf mit ihrem Besteck leert, der vor ihr auf dem Tisch steht. Oder wann sie mehrere Näpfe aufstellt und noch andere kommen... Wann es für mich ist und wann nicht.


Mehrere Tage hindurch glaubte ich fest daran, dass sich alles wiederholen würde. Sie würden mich bei nächster Gelegenheit wieder in ihr Auto packen und mich zurück auf meinen glatten Boden bringen. Nur diesmal wollte ich das nicht. Ich lernte noch ein Gefühl, das ich bisher nicht so kannte. Ich lernte es nicht zuerst an mir, sondern an meinen Menschen: ich glaubte zu erkennen, dass sie sich über mich freuten!
Dies war der Anfang meines Lebens mit meinen Menschen hier in Deutschland... einem Leben, wie es für fast alle Hunde hier "normal" ist. Was ich früher nicht wusste.
Ein Leben zwischen Führleine, Garten, lernen, schlafen und langsam verblassenden Erinnerungen an ein beängstigendes Leben...

Heute hätte ich Tipps für meine Leute, wie es mit mir einfacher gegangen wäre... aber damals steckte ich mittendrin, trieb sozusagen hilflos auf einem Meer von Unsicherheiten.
Ich kannte beispielsweise Fahrräder, die sind okay und stören mich nicht. Ich mag Pferde... mein Leben begann sozusagen zwischen Pferden.

Es waren Jungmenschen da... solche, wie sie mir früher oft begegnet waren, solche die mir Steine, leere Flaschen und anderen Müll hinterher warfen. Solche, die die kleinen Hunde und Katzen an den Schwänzen fassen und sie dann durch die Luft wirbeln. Solche, die mit den Füßen nach uns traten, als wären wir Fußbälle!

Immerhin konnte ich all das zunächst ja nicht fest stellen. Aber die Welt draussen war voll mit Autos, anderen großen und kleinen Menschen... von denen ich nicht wusste, waren sie Freund oder Feind.
Ich hörte Stimmen und Laute, die keinen Sinn ergaben und mir auch keine Sicherheit boten... Aber ich begriff sehr schnell, dass alles an IHR hing. Alle Fäden liefen offensichtlich bei IHR zusammen. Sie füllte die Futterschüsseln. Sie versuchte mich zu bürsten und sie streichelte mich... Ich könnte heute natürlich den Kopf darüber schütteln, dass ich mich so benahm. Und ich ertappe mich manchmal dabei, dass ich mit den Augen rolle, wenn ich draussen ein abgefahrenes Hunde-Menschen-Team sehe, wo wohl alles schief läuft. Aber so ähnlich müssen sie und ich ausgesehen haben.
Dabei war ich selbst am Verzweifeln, ich spürte ja all ihren guten Willen, aber konnte aus meinem Fell nicht heraus. Ich spürte ja die Traurigkeit des Jungen, der einen Kumpel gewollt hatte, den man bekuscheln konnte und wo man den Kopf ins Fell steckt und über die Wiese rennt. Und nun hatten sie alle MICH, und ich war gefangen in meinem alten Leben. Meine Verzweiflung wuchs immer mehr. Die Angst vor allem neuen und die Gewissheit, dass sie mit mir nicht richtig glücklich waren. Obwohl mir inzwischen klar war, dass stehende Autos nichts taten und die Menschen, die wir trafen mir gut waren... diese Erfahrungen reichten mir nicht. Sie reichten nicht, alles Alte zu überdecken. Sie nahm mich mit in ihr Büro, der Weg dorthin war das Grauen. Nur dort war es wieder gut. Es roch nicht unangenehm, und mir war allein deshalb wohl, weil es nach Hund roch, obwohl er nicht sichtbar war... es mussten früher schon welche hier gewesen sein. Somit war es gut. Eine Collie-Hündin war hier auch öfter... ich kann nicht mit Hündinnen, aber ich wollte mir dies nicht mit Zickigkeit verbauen, dass wenigstens eine Artgenossin hier war und offensichtlich gut mit all diesen Menschen im Büro auskam...
Während die Stunden im Büro und zu Hause in meinem Korb die einzig lebbaren für mich waren, schnürte alles andere mir die Kehle zu. Ich türmte draussen, wann immer ich konnte vor allem und jedem, was meine Angst noch vergrößerte, meine Menschen riefen nach mir, ich traute ihnen nicht, solange sie mich suchten... warum kann ich nicht mehr sagen. Und nur unter großen Mühen wagte ich mich klammheimlich zu offen stehenden Terrassentüren zurück. Ich verrichtete draussen schnell mein Geschäft und wollte immer sofort wieder nach Hause. In meinen Korb oder in ihr Büro... sonst nichts.
Mitten im Winter war ich zu ihnen gekommen, inzwischen war mein erster Sommer in diesem Land fast vorüber und wir alle waren unglücklich. Ich wäre so gern für meine Leute der Hund gewesen, den sie sich gewünscht und den sie wohl auch verdient hatten. Ich nahm ihnen nicht übel, dass sie oft über den Hund sprachen, der vorher hier gwohnt hatte. Inzwischen wohnte seit dem Frühjahr auch ein Kater hier. DER gehörte nur IHR, aber der kleine Jungmensch nahm ihn als Ersatz für mich. Katzen stören mich nicht, sie sind in Ordnung. Und ich war fast erleichtert darüber, dass sie nun jemanden hatten, den sie bekuscheln konnten, mich dafür in Ruhe ließen. Das Schlimme allerdings war mein Gefühl, dass ich doch auch bekuschelt werden wollte, nur dann eben wieder doch nicht....

Ich hörte, wie sie beratschlagten, dass es so nicht weiter gehen konnte. Ein Hund, der nur in seinem Korb liegt und drei mal zehn Minuten zum Geschäfte erledigen mit eingezogenem Schwanz nach draussen geht, das sei keine Lebensqualität...
Sie packten mich öfter ins Auto und brachten mich an verschiedene Stellen, wo sie mit anderen Menschen sprachen... immer ging es um mich und immer hatte ich Angst, dass ich alles verlieren würde und es wieder schlimmer wurde.

Ja - tatsächlich. Für mich hatte es den Geschmack von "besserem Leben" obwohl ich spürte, dass es - na heute würde ich sagen "suboptimal" - lief. Damals konnte ich nicht viele Worte in ihrer Sprache und Integration für ausländische Hunde??? Es gibt für die meisten Menschen Wichtigeres.
Und sie brachte mich ein weiteres Mal zu einer Menschenfrau... ein kühler sonniger Tag im Spätsommer.

Freiheit kommt schwer, aber sie kommt


Im Auto musste ich mich immer übergeben. Früher oder später. Auch auf der Fahrt dorthin. Meine Menschin, diese Frau und ich auf einer eingezäunten Wiese. Es roch nach vielen Hunden. Nach alten und ganz jungen. Sehen konnte ich keinen.

Die Frau sprach mit ihr, mit mir und ich wusste, dass etwas passierte. Und dass es nicht wirklich schlimm war. Nach Hause fuhren wir mit einem langen, langen Seil und einem Ball, die sie uns mit gab... Und langsam veränderte sich mein Leben draussen. Zuerst glaube ich einfach deshalb, weil ich durch das Seil und den Ball an diese Zeit auf der Wiese mit den Hundegerüchen erinnert wurde... Erst später bemerkte ich auch Veränderungen an IHR. Und mir fiel es wie Schuppen von den Augen, dass ich mich auch vor ihr geängstigt hatte, ohne genau zu wissen warum... sie fletschte oft die Zähne - heute weiß ich, dass sie dann lacht und einfach nur gut drauf ist. Sie beugte sich über mich ... ich konnte dabei die beiden Gefühle nicht zusammen bringen: die Angst, etwas Furchtbares wäre über mir und die Sehnsucht nach ihr, dass sie zum Glück da war...
Ihre Stimme veränderte sich... und jede Woche fuhr sie mit mir zu dieser Frau auf der Wiese. Mir war es egal, dass das Wetter kälter wurde.... ich hatte ein dickes Fell! Manchmal redeten sie nur und ich durfte einfach nur rum laufen... Sie nahm ab und zu nicht nur mich, sondern auch alle ihre Jungen mit dorthin.... ein unbeschreibliches Glücksgefühl überkam mich, weil ich fast stolz darauf war, dass sie alle dort sehen konnten, WIE ich WIRKLICH war...
Glück... heute weiß ich, welch ein Wort das ist und wie ich es benutzen muss... damals rannte ich einfach nur mit flatternden Ohren herum - ich lernte sogar, mindestens bis dorthin im Auto ohne Spucken auszuhalten!!!

Und ich weiß heute auch, dass damals alles an einem dünnen Faden hing für mich! Wäre dort bei der Frau auf der Wiese nicht alles anders geworden, hätte ich meine Leute verlassen müssen.
Als mir dies zum ersten Mal klar wurde, erschreckte mich der Gedanke noch im Nachhinein. Aber inzwischen weiß ich, dass das verständlich ist.

Ich habe inzwischen auch mitbekommen, dass es für Hunde wie mich einen Begriff gibt und dass sie eindeutig dafür ist, solchen Hunden im Grunde gar nicht mehr den Stress einer "Wiedereingliedeung" zuzumuten. Und es gäbe noch schlimmere Schicksale als meines... Nun, aus meiner Sicht heute sage ich: Gott sei Dank hat sie alles versucht. Und auch sie sagt: toll, was aus mir geworden ist - aber um welchen Preis.
Das wäre Diskussionsstoff - ich weiß es. Und ich weiß auch, dass ich sogar hier noch häufig das Gefühl hatte, mich aufzugeben.

Es wurde anstrengend. Glücklicherweise wusste ich das vorher nicht. Die Zeiten auf der Wiese nur mit ihr und der Hundefrau wurden durch ganz andere Stunden unterbrochen! Aber zunächst fühlte ich mich einfach nur besser...
Ich fuhr mit meinen Leuten in einen kurzen Herbsturlaub!!! Das war Stress, natürlich. Aber ich spürte auch etwas Neues: in mir eine Neugier. Diese Neugier sollte langsam immer größer werden und langsam meine Panik übertönen... langsam.

Wahrscheinlich haben sich auch meine Leute verändert. Oder ich begann sie anders wahr zu nehmen, wie auch immer: anfangs stürmte ich haltlos davon, wenn mich etwas ängstigte... aber nicht nur deshalb, ich hatte auch immer den Eindruck, das unbestimmte Gefühl, meine Leute waren auch hilflos. Wie hätte ich mich also an sie wenden sollen?

Ich erinnere mich an grauenhafte Tage unterwegs, weil ich vor einem Traktor, der plötzlich den Motor anlies, türmte oder einem Überschallflieger. Ich schnürte mit eingezogenem Schwanz durch Wetter und Landschaft ohne zu wissen, wie ich wieder im Haus meiner Menschen ankommen sollte. Nicht dass ich den Weg nicht gewusst hätte!!! Ich habe Herdenschutzhundblut in mir, ich kann es mir schon überhaupt nicht leisten, irgendwohin nicht zu finden. Aber eine tief sitzende Angst fraß immer in mir: was passiert, wenn ich wieder zurück komme. Um ehrlich zu sein: diese Angst habe ich heute noch... sie ist nur von positiven Erlebnissen überlagert, aber nicht gelöscht.
Ich lernte aber langsam, dass meine Leute auch mein Schutz waren. Sie waren nicht nur "Futterspender" sie waren auch mein Schutz.

Worüber denkt ein Hund nach? Ich weiß nur, worüber ich oft nachdachte und es auch heute noch tue... Warum hatte ich so enorme Schwierigkeiten mit meinen Artgenossen?
"Ihr fehlt die soziale Prägung". Damit kann eine geplagte Hundeschnauze ja gar nichts anfangen...
Sie fuhren mit mir nun zwei Mal die Woche auf die Wiese. War ich unter der Woche allein mit meinen Leuten und der Frau, die sie Susi nannten so brach beim zweiten Mal immer alles Unheil über mich herein! Beim zweiten Mal war die große eingezäunte Wiese voll mit Hunden jeder Größe und jeden Charakters. Ich war so perplex und so starr vor Angst, dass ich überhaupt nicht merkte, dass alle viel jünger waren als ich! Lauter halbwüchsige Feuchtnasen. Ich spüre noch die Gerüche, höre ihr Gebell und schäme mich heute, weil ich dachte, deren ausgelassenes Gebell wäre ganz und gar auf mich bezogen und sie alle, alle wollten mir was!
Ich duckte mich in eine Ecke neben dem Eingangstor, den Schwanz fest eingeklemmt, die Haare zugleich aufgestellt, die Zähne gefletscht, wer immer nun kommen wollte, sollte kommen. Zur Not würde ich --- gar nichts. Sie kamen, hängten mich an eine Leine, die meine Leute nur die "Schnapp-Leine" nannten und meine Menschin musste mit mir über die Wiese gehen, dort, wo nicht so viele meiner "Kumpel" unterwegs waren. Ein Mann ging mit und erteilte Anweisungen... Hündinnen und Rambos wurden fern gehalten, das Gelände war groß genug... Sie war die Ruhe selbst. Etwas, was ich trotz aller Angst inzwischen beobachten konnte. Vielleicht war es immer da gewesen, aber inzwischen konnte ich es wahr nehmen. Sobald sie mit einem von uns zusammen war, war sie die Ruhe selbst.

Heute sage ich: diese Nachmittage habe ich gehasst. Zunächst und für lange Zeit. Ein Jahr in der Menschenzeitrechnung fast sollte es dauern, ehe ich dorthin gelassen ging. Gerne ging ich deshalb noch lange nicht. Mir wurde aber immer klarer, was meine Leute von mir wollten: mich an alles gewöhnen, was mein Leben in Zukunft ausmachen sollte. Und zwar so, dass ich auch den Spass am Leben kennen lernte. Leben war für mich bis dahin Überleben gewesen. Eines Vormittags im späten Herbst hielt ich mitten im Spaziergang an und begann auf einem Acker ein Mauseloch auszugraben. Sie freute sich unglaublich... weil ich die Ruhe gefunden hatte, dies hier einfach zu tun. Ohne angstvoll vowärts zu stürmen wie sonst. Ich legte ihr die Maus vor die Füße und weiß bis zum heutigen Tag, dass ihr "feinfeinfein" zwar recht albern klingt, aber von diesem Momant an das untrügliche Zeichen für "alles gut" ist. Alles und zwar restlos. Dann gab sie ihr okay: die Maus war meine. Es war wie ein Abkommen, ein Vertrag. Der Beginn einer neuen Zeitrechnung.

Die Menschen um uns herum konnten die Veränderung noch nicht bemerken. Weil ich nach ihrem Sohn schnappte, wenn er mir zu nahe kam, gaben sie ihr den Rat, mich wegzugeben. Und wieder schlug sie deren Gerede in den Wind. Ich mied den Jungen. Und er durfte mich nicht streicheln, sich nicht über mich beugen... und ich litt darunter, weil ich zerrissen war zwischen Dankbarkeit für meine Familie und der Angst, der junge Mensch könnte so sein, wie die, die mit Steinen nach mir warfen.
Machen wir einen kurzen Sprung ins Jetzt: wir wohnen nicht mehr in unserem Haus, wir wohnen in einem Haus, in dem noch viele andere wohnen, auch Leute mit jungen Menschen: sie lieben mich alle. Mein glänzendes, weißes und weiches Fell und weil ich so "süüüß" aussehe, Ihr könnt mich heute dort sitzen sehen und sie streicheln mich. Es macht mir keinen riesigen Spaß - ein Fan von Jungmenschen werde ich direkt nicht werden, weil ich ihre Unberechenbarkeit spüre. Aber wenn sie dabei ist, dann lenkt sie die Kleinen. Immer nur einer darf seine Patschhändchen in mein Fell vergraben. Sie erzählt ihnen, wie man erkennt, wann ein Hund keine Lust auf Streicheln hat. Und dass zuviele eben zuviele sind. Manchmal lausche ich so ergriffen und sehe ihnen zu, wie sie ihr zu hören, dass ich gar nicht aufstehen will, wenn sie ins Haus will oder die Kinder weg müssen...
Nach solchen MOmenten bin ich sehr ruhig und zufrieden... ich spüre dass vieles in meinem Hundeleben gut geworden ist.

Deshalb vielleicht auch, weil sie unermüdlich daran arbeitete, mir klar zu machen, dass ihr Junge nicht mit Steinen und Flaschen nach Hunden wirft, sondern dass er sich verzweifelt danach sehnt, in mir einen Kumpel zu haben. Und es gab dann die Zeit, in der er lange, lange nicht bei uns war... als er wieder nach Hause kam, da übermannte es mich, wie es jeden gesunden, normalen Hund übermannt, wenn einer aus dem Rudel zurück ist... ich freute mich wie Bolle, dass wir wieder komplett waren und hatte - einfach vergessen, dass er so aussah wie meine Peiniger. Die Blickwinkel hatten sich verschoben, ohne dass ich es selber gemacht hätte.
Erst später in meinem Körbchen dachte ich darüber nach... und wenn ein Hund Glück fühlen kann, dann fühlte ich in diesen Tagen das erste Mal Glück...

"Alle Hunde haben Höhenangst" oder der Gegenbeweis

Stadtrundgänge! Welcher Stress, welche Zumutung... zunächst allein mit der Wiesen-Frau und meiner Menschin. Ich bekam gar nichts mit. Ich, ein Nervenbündel Hund aus einem rumänischen Dorf in der Stadt zwischen Strassenbahnen, Geschäften, Autos und Menschen, Menschen, Menschen!!! Menschen, die mir ihre Einkaufstüten auf die Nase stoßen, die nicht sehen, dass überhaupt hier ein Hund läuft oder die sich wie verrückt über mich stürzen und meinen, alle Hunde wollen und müssen dauernd gestreichelt werden. Ich habe mich gefragt und ich tue dies noch heute: Warum tätscheln sich die Menschen untereinander nicht ununterbrochen, wenn sie sich treffen?

Ich zerrte die ersten Male wie wild drauf los und meine Menschin wurde ermahnt, dass das so nicht ginge.... so bekam ich ein Teil um die Nase, das mich zwang statt nach vorne zu donnern, sie anzusehen. Zuerst machte mich das kopflos, dann merkte ich, dass es auch ein Stück Sicherheit bedeutete, sie anzusehen.
In einem Kaufhaus sollte ich von einer Galerie ganz oben nach unten gucken, denn die Wiesensusi erklärte, dass alle Hunde Höhenangst hätten...

MIR machte der gläserne Aufzug Angst, wo ich sehen konnte, wie alles an mir vorbei rauschte und die tausend Gerüche und Menschen im Kaufhaus, aber nicht der Blick durch das Gitter nach unten...

Meine Menschenfrau ging mit mir auf prvisorischen Fussgängerbrücken über Zuggeleise, wobei ich da schon viel, viel eher gelernt hatte, zur Not auch mal auf Metall zu laufen.
Sie ließ mich über Brückenmauern in den Fluss und auf die Schiffe gucken. Mein Gehirn ist zumeist damit beschäftigt, wie es sein kann, dass mir Züge, Schiffe und Autos unter meinem Bauch hervor kommen und darunter verschwinden, ohne dass es mir weh tut. Stehe ich daneben, sind alle viel größer!
Wohl deshalb auch, finde ich es spannend, von der Brücke auf die Stinker und Lärmmacher zu gucken: sie sind da viel kleiner...

Ich kann auch sagen, dass alle Gefährten, die in den Jahren bei meinen Leuten kamen, keine Höhenangst hatten. Und ich muss es wissen, ich war ja auf fast allen Wegen mit. Nino, der als erstes zu uns kam, stand auf den Hinterbeinen, um mit ihr zusammen hinunter auf die Schiffe in der Schleuse zu gucken, später gingen wir auf unseren Wegen mindestens ein Mal die Woche zusammen mit Sana und Filou auf der Lochblech-Fußgängerbrücke über die Eisenbahnschienen - weil es eine Zeit lang nicht anders machbar war.
Dass ich keine Höhenangst hatte und meine Menschin das toll fand, war für mich Bahn brechend: sie und ich - wir entdeckten beide, dass es nicht nur Angst in meinem Leben gab, sondern, dass ich viele Dinge konnte! Dinge, die andere Hunde niemals konnten und damit ihre Menschen zur Verzweiflung brachten.

Ich lernte, mit meinen Artgenossen durch die Stadt zu laufen, ohne Panik übers Bahnhofsgelände zu gehen, fremde Nasen nicht von Haus aus und vorbeugend anzubellen, ich lernte Straßenbahn zu fahren, auch wenn sie immer wusste, dass mir dies nicht sonderlich gefiel. Ich tat es, weil sie und die anderen dabei waren und es offensichtlich sein musst. Es gibt viele Dinge, die ich nicht mag und es tut mir gut, dass sie das weiß... deshalb mache ich es dennoch, wenn es dran ist. Und manchmal platzen wir beide vor Stolz, wenn wir in einem Geschäft die Leute verblüfft haben, weil ich abgelegt liegen bleibe, während sie in den Klamotten wühlt oder Schuhe anprobiert... den Spaß, den wir danach dabei haben, macht meinen Stress wieder wett. Für mich waren diese Jahre mindestens ebenso anstrengend wie für meine Familie... während dieser Übungsjahre, meiner "Integrationsjahre", war ich bis zu drei Stunden im Auto mit unterwegs, habe Flughafenluft geschnuppert, war mit im Urlaub auf dem Bauernhof, habe gelernt auf "Stopp" in jedem Fall und bedingungslos stehen zu bleiben. Man muss sich das ganz einfach so vorstellen, wie wenn ein Mensch als Erwachsener sich in einem fremden Land zurecht finden muss. Dinge sieht, die er zuvor nie sah, Ängste und Unangenehmes bewältigen muss, eine Sprache zu lernen hat und beinahe jeden Tag auch Frust erlebt...

Ohne Hilfe geht vielleicht auch ein Mensch im fremden Land unter. Ohne Hilfe und die Geduld meiner Leute wäre ich untergegangen... zumindest hier in diesem Land. Was aus mir dort geworden wäre, wo ich einst geboren bin - weiß ich nicht, weiß keiner. Möglich, dass ich vor mich hingelebt hätte, weder richtig glücklich, noch richtig unglücklich... ich hätte es weiter für normal gehalten, versteckt zu leben, Futter zu klauen, irgendwie durchzukommen.
Manchmal tauchen entfernte Bilder vor meinen Augen auf... ich kann nicht sagen, ob mein Leben dort irgendwie gut geworden wäre. Was ich weiß: mein Leben ist hier gut geworden. Auch wenn mir keiner meiner Gefähren blieb... warum, das weiß ich nicht.

Nino mochte ich sehr, aber eines Tages war er wieder fort. Sirio war mein Traum-Kumpel, es gab nichts, was ihn erschütterte und ich ging gern mit ihm zusammen über die Wiesen... dann kamen Menschen und holten ihn ab, wir waren damals alle bedrückt.
Einstein war nicht mein Freund, auch er ging eines Tages weg... über all die Jahre wohnten zwei langbeinige Windhunde bei uns, sie machten mit den Menschen mein Rudel aus, waren meine "Gradmesser", wenn mir unsicher war, so orientierte ich mich an Sana und ihrer sanften Gelassenheit. Ich habe auch die Erfahrung gemacht, dieses Hundekind bei uns aufwachsen zu sehen, auch wenn "junges Gemüse" mein Fall nicht ist und auch nicht mehr werden wird. Auch sie wurden mir genommen, verstanden habe ich es nicht und ich denke, dass auch meine Menschen oft mit Traurigkeit zu kämpfen haben. Aber ich bin bei ihnen - inzwischen ist sie meist ohne ihre Jungmenschen allein. Ich bin bei ihr und wir sind ein Team, das nicht mehr so viele Worte braucht.
In letzter Zeit kommen mir die Dinge manchmal durcheinander, ich sehe nicht mehr so toll und vergesse, in welche Wohnungstür ich genau rein muss...
Das Alter eben, sagt sie. Sie hat mir einen neuen Kumpel gegeben, den ich klaglos akzeptiere. Warum auch nicht? Meist waren es gute Nasen, die mir nichts taten. Um es genau zu sagen: ich brauche nicht wirklich einen Hundekumpel als Freund, aber mir tut es gut, wenn ich einen habe, bei dem ich abgucken kann...

Schon lange gehe ich nicht mehr zur Hundeschule, manchmal begeistere ich Menschen, wenn ich für sie Sachen aufhebe und andere Kunststückchen mache. Und manchmal erzählt meine Menschin dann Geschichten von mir. Die, als ich im Spätherbst abends dem Filou-Junghund ihren Handschuh abnahm, den er ihr gemopst hatte und in ihr wieder brachte...

Vorbei sind auch die Phasen, in denen ich mich an den Herdenschutzhund in mir erinnerte... er wachte sozusagen mitten im Jahr ohne für mich sichtbaren Grund auf und trieb mich durchs Dorf, so als wäre es Zeit, eine große Herde zu kontrollieren... ich lernte Menschen dabei kennen, die mich mochten und solche, die mich jagten. Und ich spürte, dass sie mich zu Hause suchten... Diese Aufregungen wollte ich eigentlich gar nicht, ich wollte nur um die Herde laufen und sehen ob alles gut ist. So zerriss mich dieser Trieb in mir und die Folgen die er für mich brachte... Für meine Leute brachte er Ärger, das weiß ich. Leute aus dem Dorf schickten die Polizei ins Haus deshalb. Der Polizist war ein guter.... das spürte ich sofort. Er lachte mit meinen Leuten und es geschah weiter nichts, auch wenn das Unangenehme noch einige Zeit in der Luft hing und ich wusste: es hatte mit mir zu tun.

Ich zog mit meiner Menschin zwei Mal um, lernte neue Menschen und neue Hunde kennen, ich musste für einige Zeit weg von ihr und es tat mir gut, zu sehen, dass alles wieder so war wie früher, als ich zurück kam... Ein fast normales Hundeleben lebe ich mit ihr und meinem neuen Kumpel, ein rüstiges Hunderentnerleben und es macht mir keine Angst, dass ich anfange, dies oder das zu vergessen oder nicht mehr alles richtig zu sehen. Ich habe ja meine Familie und so wie ich meiner Menschin über traurige und schwere Tage geholfen habe, weil ich die Dinge spüre ohne sie benennen zu können, so wird sie mir wohl aushelfen, wenn nötig.

Bevor mich allerdings mein Gedächtnis weiter verlässt, war es mir wichtig ein paar Dinge aus meinem Leben zu erzählen.
Es gibt schon die einfachen Welpen vom Züchter wo scheinbar alles vorhersehbar ist, weil Vater und Mutter gute Voraussetzungen - hoffentlich - vererbten.

Aber es gibt auch Hunde wie mich: in ein fremdes Land geworfen, ohne Bindungen und ohne das Wissen ums kleine Einmaleins des Lebens...

Es gibt sie, die perfekten Menschenleben-Entwürfe... alles glatt und absehbar... aber auch bei den Menschen gibt es die schwierigen Leben und Fremdheit und Ängste...

Welch ein Glück, wenn sich ein Rudel findet, das Schutz bietet!

Ein lieber Pfotenabdruck von mir - ich gehe jetzt eine kleine Spazierrunde, mal gucken, wie mir die Autos unterm Bauch durch flitzen, danach besuche ich die Pferde... und grabe vielleicht noch eine Maus aus...

Epilog

 

Epilog

(Im August 2016)

 

Wie erstaunlich!

Sechs weitere Jahre sind vorüber... für mich persönlich änderte sich nicht direkt etwas, aber

bald nach dem der Große Pole eingezogen war und sein Lager vor der Balkontüre bekam,

brachte sie an einem eiskalten Winterabend die kleine Jule in mein, in unser Leben.

 

Während heiße Sommer und fast schneelose Winter mit den Jahren kamen und gingen,

veränderte sich etwas im  Leben meiner Menschen - genauer meiner Menschin.

 

Sie fand heraus, dass es möglich war, die Gedanken und Gefühle, die Worte und die Weis-

heiten von uns Tieren in ihren Gedanken zu empfangen.

 

Wie genau sich das zutrug, dass sie von dieser Art der telepathischen Kommunikation erfuhr,

ist Nebensache.  Ich ahnte das schon länger.

Wohl weil der Große Pole ähnlich traumatische Schwierigkeiten hatte, wie ich damals, wusste

sie sich oft keinen Rat mehr und stieß auf zwei Frauen, die so kommunizierten...

 

Jetzt war etwas in Bewegung gekommen, dass mich noch gelassener und ruhiger werden ließ,

als man es im Alter ohnehin mehr und mehr wird.

Nun konnte sie "verstehen", was in unserer tierischen Welt vor sich ging... ohnehin verstanden

wir uns inzwischen ohne viele Worte, wie das eben ist, wenn man viele Jahre zusammen erlebt.

Aber nun konnte sie uns um Rat fragen, wenn das Leben in seltsame Bahnen kam und Ent-

scheidungen zu treffen waren.

Noch ahnten weder wir noch sie wie dringend sie diese Fähigkeit brauchen würde und wie sehr

wir ihr dadurch helfen konnten. Alle Tiere kennen die Gedankengänge ihrer Menschen

durch und durch. Wir wissen nicht nur die Empfindungen und Stimmungen unserer Menschen,

aller Menschen überhaupt, sondern wir lassen sie auch fühlen, was unsere Anliegen sind -

so die Menschen "hören" wollen und können.

 

Sie lernte andere Menschen kennen, die das auch konnten, tauschte sich mit ihnen aus und

ohne, dass man von außen hätte sagen können, WAS genau sich veränderte - die Veränderung

war spürbar.

Sie konnte so den Großen aus seinen Ängsten holen.

 

Meine Zeit näherte sich allmählich wirklich ihrem Ende, doch vorher kam noch ihr neuer Be-

gleiter in unser Leben, jener der bei ihr sein würde wenn der Große und ich in die Seelen-

heimat gegangen sein würden.

Obwohl es nun mächtig Leben in der Stube gab, verliefen meine Tage an der Seite des alten

Großen weiter gemütlich und in angenehmen Bahnen.

Eine Weile überlegte ich, ob es auch für mich an der Zeit wäre zu gehen, wenn der Große die

Seelenflügel nähme. Dann blieb ich doch noch...  denn ich genoss die langsame Zeit.

Die Ruhe, die Gelassenheit, die in mein Leben gezogen war...

 

Sie war auf alles vorbereitet... sie sprach auch mit mir über diesen Weg und darüber, dass

sie uns jederzeit frei geben würde, damit wir leicht und ohne an ihre Trauer gebunden zu sein,

den Weg in die Heimat aller Seelen gehen konnten.

Während der Zeit, in der sie sich mit dem Weggehen unserer beider Seelen beschäftigte,

lernte sie auch eine Menge anderer Dinge über das Abschied nehmen, die Welt der

anderen Dimension und darüber, dass Seelen niemals sterben, sondern wirklich immer wieder

in ein neues Leben zurück kehren können... 

 

Meine Menschen begleiteten den Großen bis seine Seele dort in ihrer Heimat war und dies zu

beobachten - das muss ich sagen - tat mir gut. Es machte mich froh... so, genau so würde auch

ich leicht den Weg nach drüben nehmen.

 

Dass mein Leben dann jäh an einem ähnlich kalten Ort enden würde, wie es in diesem

Land begann - wundert Euch?! Da wundert Ihr Euch zu Recht...

 

Menschen haben entschieden.

Menschen, die geblendet sind und allen Zugang zu DEM Wissen verloren haben. Gefangen

in ihrer Welt sehen sie nur das, was ihnen ihr kleines Leben zeigen kann, denn sie strecken

sich nie aus in die Unendlichkeit, so wie meine Menschenfreundin. *

 

Diese Menschen brachten es fertig, unsere bunte "Familie" zu zerreißen. Sie beschimpften

unsere Menschen, sie hätten gegen ein Tierschutz-Gesetz verstoßen, wir alle hätten zu wenig

Gewicht... ohne uns selbst zu fragen, ohne auf uns zu hören, und ohne großes Wissen über

unser gemeinsames Leben, nahmen sie uns mit setzten uns auf Beton hinter Gitter und

glaubten, sie hätten uns damit geholfen!

 

Wie schrecklich, diese Spannungen in der Luft zu fühlen, dieses Ängste und furchtbaren

Gefühle der Vielen...  Auch die Gefühle einiger Menschen dort sind nicht schön, das kann und

muss ich so sagen. Und dass mein Leben hier zu Ende gehen könnte, machte ihnen großes Unbehagen...

 

Ihr Menschen denkt alle gleich, mit dem Tod könnt ihr nicht umgehen. Hier in diesem Tierheim

schon gar nicht. Die Angst vor dem Tod ist so groß. Ich fühle es, sie wollen es hier nicht,

wollen nicht zuständig sein. Ein Tierheim ist ein Durchlauf. Man läuft durch, man soll dort nicht s

tehen bleiben. Alles soll gut enden.

Tod ist kein gutes Ende, meinen sie. Dabei ist es immer so, dass er am Ende kommt, ob es

gut oder schlecht war das Leben, der Tod kommt.

Sie fürchten sich. Alexandra nicht, sie kann gut damit umgehen. *

 

Am Schlimmsten traf es wohl unseren "Kleinen" - grade ein Jahr alt geworden und so unbe-

kümmert in der Welt der Menschen unterwegs, musste er auf diese Art Bitteres über das Leben

und die engen Gedanken der Menschen lernen.

Und wir konnten ihm nicht helfen, denn man hatte uns getrennt.

Was für ein liebloses Tun. Sie behandelten uns im Grunde wie Sachen.

Gegenstände, die man einfach von dort weg nehmen kann und dann anderswo wieder auf stellt.

 

Jetzt zeigte sich, wie wichtig ihre Fähigkeit war, mit uns telepathisch  zu kommunizieren.

Sie bat Freunde, auch einen Teil dieser "Gedanken-Gespräche" zu übernehmen, denn sie

selbst war an vielen Tagen zu traurig um immer Verbindung zu uns zu halten.

 

Für mich endet es nun so, wie es Anfing, meine Freundin. Der Kreis schließt sich und als

lebendiges Wesen lehne ich diesen Kreislauf strikt ab. Was für ein Elend, wieder Gitter,

wieder Beton, hört das denn nie auf?

Ich werde nicht in der Wärme und dem Gefühl gehen können, dass die die ich wirklich liebte im

Leben, um mich sind.*

 

"Unseren Kleinen" gaben sie ihr wieder zurück. Für ihn war es eine furchtbare Erfahrung...

aber es hat ihn vorzeitig erwachsen gemacht.

Jule und ich... wie ich schon sagte: Seelen sterben nie und wir haben Möglichkeiten, wieder

zu unserer Menschenfreundin zurück zu kehren... Menschen, deren Herz für diese Dimensionen

nicht offen ist, können das nicht so gut verstehen... aber es ist so. Genau so.

Viele Tiere kehren in einem Menschenleben mehrmals zu "ihren" Menschen zurück...

Und auch Jule und mir bleibt ja diese Möglichkeit.

 

Wir haben ihr aus unserem Gefängnis heraus viel Male mitteilen lassen, dass sie nicht traurig

sein darf und soll... dass sie nichts falsch gemacht hat.

 

Für meine Menschenfreundin:

 

Du wirst mir fehlen, Freundin - sehr sogar, aber Du darfst nicht weiter traurig sein, denn

es gibt höhere Mächte, die unsere Wege leiten und ich vertraue ihnen, dass sich alles lösen wird.

Jede Situation, jedes Lebewesen, alles löst sich, die Knoten gehen einfach auf, wir werden

luftig und leicht. Probleme verschwinden, neue kommen. Sterben, Geburt, Sterben, ein Kreislauf.

Danke für das Leben, für die Erfahrungen, ich werde das im Herzen haben. Dich nie vergessen.

 

Ich fand dieses Leben bemerkenswert, wirklich bemerkenswert. So viele Geschehnisse, die

alle aus mir mehr gemacht haben als ich vorher war.

Wir sind alle verwundete Seelen, deshalb ziehen wir uns an, wenn Ihr Euch fragt, warum manches

immer Euch passiert, oder die Situationen Euch zu suchen scheinen:

Es ist in Euren Seelen, die tiefen Wunden dort erhalten neue Möglichkeiten sich zu zeigen, denn

nur wenn Ihr es seht, dann können sie heilen!

Dankbarkeit ist ein wunderbares Gefühl. Ich bin unendlich dankbar. *

Meine Gefühle haben sich gewandelt mit der Zeit. Versucht nicht zu verstehen, der Verstand

wird Euch nicht weiter bringen.

Akzeptiert, handelt, lernt. Seid dankbar.

Wir sehen uns, Freundin! *

 

 

 

 

 *Alle kursiv gedruckten Textzeilen geben Teile aus Ginas originalen "Gesprächen" wieder.

Impressum

Texte: Alexandra Heinrich
Bildmaterialien: Alexandra Heinrich
Cover: Alexandra Heinrich
Lektorat: Überarbeitet: August 2016
Tag der Veröffentlichung: 28.10.2010

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für Gina, deren Leben in der Tat beMERKEnswert war... für alle, die mit ihr zu tun hatten, die ihre Größe spüren konnten. Besonders aber für all jene, die nicht verstanden haben, nicht verstehen konnten oder wollten. Und die ihr damit Unrecht taten... "Es gibt nicht 'gut' oder 'böse', es gibt nur Weisheit und Unwissenheit." (Jule, Juni 2016)

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