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Die Morgensonne spiegelte sich auf der Alster, glitzerte über die feinen Wellen, blinzelte so lieblich, wie der laue Wind, der diesen Tag zum ersten Frühlingstag zu machen versprach. Die Schneeglöckchen schaukelten in der sanften Brise und erste Krokusse setzten zarte schwache Farbtupfer in das schwindende Grau des Winters.

Er saß auf der Bank, schon seit einer Stunde, betrachtete das erwachende Leben um sich her, genoss die wärmenden Strahlen der Sonne und seufzte leise, glücklich auf. Zu früh war er hier, die Verabredung, nach der er sich so sehr sehnte, war erst in einer halben Stunde. Zur Beruhigung seines Pulses war er schon frühzeitig aufgebrochen, hatte sich zum vereinbarten Treffpunkt begeben und spürte, wie eine innere Gelassenheit einkehrte, die noch beflügelt wurde vom Anblick, der sich um ihn herum bot.

Hunde tollten über die Wiese hinter ihm, ausgelassene Lebensfreude strahlten sie aus, jagten immer wieder zwischen die Enten, die durch ihr Balzen abgelenkt waren und doch im letzten Moment jeweils flüchten konnten. Pärchen gingen Hand in Hand den Weg vor seiner Bank entlang, eng umschlungen, Frühlingsgefühle auslebend, Zärtlichkeiten tauschend.

Er versank in seinen Gedanken, versank in seiner Gefühlswelt, spiegelte sie in seinem Lächeln wieder, wie die Fata Morgana, die auf der Alster die Häuser des gegenüberliegenden Ufers zum greifen nah erscheinen ließen.


Ja, so stellte er sich sein Glück vor. Zweisam, wie zwei gespiegelte Seelen und doch eins.

Vor drei Monaten, vor Weihnachten war es passiert. Etwas, was nie zuvor im Bereich des möglich erschien, wurde wahr. Im Internet- Chat interessierte sich jemand für ihn. Langsam, ja behutsam kamen sie sich näher.
Der böse Wolf, das war er. Und passenderweise hatte sie sich Rotkäppchen genannt.
Ein vorsichtiges Herantasten, ein Spiel von Fragen und Antworten. Jeden Tag aufs Neue freute er sich auf die drei Stunden Chat am Abend, jede Minute auskostend, ihre interessierte und freundliche Art, die seinem friedvollen, und wie er meinte langweiligen Wesen neue Aspekte abgewann, die er zuvor an sich gar nicht entdeckt hatte. Mit ihr konnte er scherzen, lachen, ja sogar weinen, war sie doch offensichtlich so einsam wie er.

Immer tiefschürfender wurden die Gespräche, alle Probleme seines Lebens konnte er ausbreiten und fand bei ihr das Verständnis, was er von anderen Personen in seinem Leben so vermisste. Aus Verständnis wurde Liebe, die Liebe seines Lebens, war es doch trotz seiner 36 Jahre das erste Mal, dass er eine solche tiefe Wärme und Nähe empfand. Sie hatte vor drei Tagen dieses Treffen vorgeschlagen und sein Herz hatte sich überschlagen vor Freude. Ein Café zum ersten Kennenlernen, ein Hotel, die Gier zu stillen. Verwöhnen, ja, das wollte er sie.


Die Zeit verstrich, ein Blick auf die Uhr sagte ihm, die verabredete Zeit war fast erreicht und so wanderten seine Augen wieder von den Luftspiegelungen zurück auf den Weg und seine Umgebung. Die Blonde dort? Nein, sie führte nur ihren Hund aus, der grade wieder zu ihr zurück rannte. Er hatte kein Bild von ihr, nur eines in seinem Kopf von ihrer Selbstbeschreibung. Blond, ja, mit 1,80m recht groß, zu groß für ihn, der nur 1,74m maß? Zweifel trübten seine Gedanken, die aber gleich wieder verflogen, als eine atemberaubende Blondine auf ihn zuspazierte… und an ihm vorbeiging. War sie es? Und war sie enttäuscht und hat ihn ignoriert? Nein, sie hatte ja sein Foto, seine Beschreibung, kannte ihn also. Sie würde gleich kommen, dachte er bei sich.

Ein verschwitzter Jogger stoppte bei ihm, beugte sich keuchend nach vorne, die Hände auf die Knie gestützt. Sein Blick fiel zur Bank und ein fragender Blick, gefolgt von den Worten „Darf ich mich setzen? Oder erwarten sie jemand? Ich muss was trinken“ traf den Wartenden. Unsicher nickte dieser, wobei unklar blieb, ob er die erste oder die zweite Frage beantwortete. Wieder war er in seiner Unsicherheit gefangen und es gelang ihm nicht, sich durchzusetzen. Der Jogger setzte sich, nahm die Tasche vom Rücken und wühlte darin herum. Ein Messer blitzte auf. „Ich bin Rotkäppchen“ raunte der Jogger, stieß das Messer direkt in sein Herz. Ein glückliches Lächeln zeigte sich als letzte Reaktion des Sterbenden, dann fiel sein Kopf auf die Brust. Der Jogger nahm das gefüllte Portemonnaie aus der Jackentasche, ohne einen Blick hineinzuwerfen steckte er es ein und entfernte sich, wie er erschienen war.

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Tag der Veröffentlichung: 03.03.2011

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