1 „Dogs were barking, monkeys clapping, and the wedding was about to start“ Gogol Bordello
Der Hund nahm an Gewicht immer weiter zu. Marcel freute sich sehr darüber, denn je mehr Geld in seinem Spardosenhund steckte, umso schneller war er seinem Ziel nahe. Bald würde er seinen Traum wahr machen können. Denn endlich wäre er im Besitz der „RR1T Randy Rhoads BK“, die schärfsten Gitarre der Welt. Klar, es gab Wichtigeres im Leben; allerdings nicht viel im Leben von Marcel. Seit er 10 Jahre alt war, wollte er der beste Gitarrist der Welt werden, und nun war er wenigstens einer der besten der Stadt. Er und seine Band traten bei jedem größeren Event auf und mit jedem Erlös bekam sein Hund mehr zu fressen. Er nahm das Sparhündchen hoch und schüttelte es vergnügt.
Das Telefon klingelte und Marcel ließ vor Schreck beinahe die Spardose fallen. Der Anschluss war neu installiert worden, ein Eingeständnis seiner Mutter. Er nahm den Hörer ab und meldete sich.
„Marcel, hey, ich bin`s.“ Eine hohe, klare Stimme meldete sich am Apparat. Diese Stimme gehörte Amanda, Marcels bester Freundin. Es gab nicht viel Wichtiges im Leben und einen großen Platz nahmen der Wunsch, der beste Gitarrist zu werden und seine Band „The Wedding“ in Anspruch. Aber Amanda nahm einen ebenso großen Teil ein. Er kannte sie schon ein Leben lang. Leider lagen ihre Prioritäten woanders. Man sagt, man hat entweder gute Noten oder ein Leben. Marcel hatte ein Leben, Amanda die guten Noten. Nicht, dass sie sich aus allem raushielt, bei fast allen seinen Gigs war sie dabei. Aber ihr war die Schule bedeutend wichtiger als ihm. Sie wollte weg aus diesem Kaff und Karriere machen. Nun aber klang sie aufgeregt, als wollte sie etwas Wichtiges loswerden. „Wann kommst du vorbei? Wir wollten uns doch heute treffen. Ich muss dir nämlich dringend was sagen“, erkundigte sich Amanda. „Schon klar, Manda. Ich bin gegen fünf bei dir. Bis gleich.“
Als Marcel auflegte, überlegte er, worüber sie wohl sprechen wollte. Doch er kam zum Schluss, dass er es eh bald erfahren würde und widmete sich wieder seiner Musik. Das Demo-Tape hatte seine Band erst vor ein paar Tagen aufgenommen und er konnte nicht glauben, dass sie dieses Demo-Tape an alle Plattenlabels der Gegend geschickt hatten. Der Anstoß dafür gab eigentlich Kyra, die Frontsängerin der Band. Sie hatte es satt hier, wollte endlich bekannt werden und die Welt sehen. So sehr der Rest der Band (und damit Ben, der Drummer und er) sie auch respektierte, gelegentlich gingen ihnen ihre Starallüren gewaltig auf die Nerven.
Kurz vor 5 Uhr zog sich Marcel seine Jacke über und ging nach draußen. Als der die Haustür hinter sich zuzog, rief seine Mutter ihm noch hinterher, er solle keinen Blödsinn anstellen. Marcel musste grinsen und rief zurück, er würde nur zu Amanda gehen. Damit war seine Mutter zufrieden. Schließlich kannten die Beiden sich schon ein Leben lang und seine Mutter wusste, dass Amanda verantwortungsvoller war, als er jemals sein würde.
2
"What a beautiful wedding!" says a bridesmaid to a waiter. "And yes, but what a shame, the poor groom's bride is a whore." Panic at the disco
Als Marcel bei Amanda ankam, traf ihn fast der Schlag. Ihre Mutter hatte ihm die Tür geöffnet und ihn vorgewarnt, Amanda sei zurzeit nicht so gut drauf. Aber auf diesen Anblick war nicht vorbereitet. Ihr Zimmer sah aus, als wäre eine Bombe eingeschlagen. Zettelstapel lagen wüst auf dem Boden rum. CDs lagen zerbrochen auf dem Teppich und die Ordner, welche sonst so ordentlich neben dem Schreibtisch lagen, waren gebrochen. Der Inhalt ergoss sich auf ihrem Bett. Amanda saß inmitten ihres Chaos und war grade dabei, ihre Bilder von fernen Ländern, die sonst ihre Wand zierten, aus den Rahmen zu entfernen. „Was zum Teufel hast du getan!“, brach Marcel hervor, nachdem er den ersten Schock überwunden hatte. Erst dann bemerkte er, dass er noch abseits des Geschehens stand. Er löste sich vom Türrahmen und kniete sich zu Amanda. „Komm, rede mit mir.“
Amanda schaute hoch. Ihre Wimperntusche war verschmiert und lief ihr die Wagen runter. Doch von Tränen war nun keine Spur mehr. Als sie sprach war ihre Stimme leise, aber ruhig: „Weißt du, ich wollte doch immer dieses Stipendium bekommen. Damit ich woanders hin kann. Was anderes sehen. Es sollte mir das Tor zur Welt öffnen! Heute Vormittag fand ich diesen Brief im Kasten.“ Sie reichte Marcel einen Zettel:
Sehr geehrte Frau Stark
Leider müssen wir ihnen mitteilen, dass wir Sie nicht für das Stipendium ausgewählt haben. Wie sie sicher wissen, sind die Plätze, die wir vergeben, sehr begrenzt. Sehr beeindruckt sind wir von ihren Noten, jedoch legt unsere Organisation des Weiteren auch Wert auf außerschulisches Engagement. Gerne können Sie sich nächstes Jahr erneut bewerben. Bis dahin wünschen wir ihnen viel Glück in beruflicher und privater Sicht.
Mit freundlichen Grüßen…
Marcel schaute Amanda an: „Es tut mir so leid.“, meinte er: „Weißt du denn schon, was du nun machst?“ „Nein, ich kann mir die Startgebühren für eine gute Uni nicht leisten, aber ein Jahr warten, möchte ich auch nicht mehr. Was soll ich denn jetzt machen?“ Marcel grübelte eine Weile, ehe er antwortete: „Nimm mein Geld. Jetzt schüttel nicht gleich den Kopf, sondern hör zu! Ich habe doch für diese krasse Gitarre gespart, erinnerst du dich? Nimm es und bezahl damit schon mal den Anfang. Du brauchst es grade eher als ich. Und zurückzahlen kannst du mir das auch noch, wenn du nächstes Jahr das Stipendium bekommst“ „Das kann ich nicht machen!“ „Du kannst es nicht nur, du wirst es auch tun! Manda, wir kennen uns schon Ewigkeiten. Das ist dein Traum und du hast die Möglichkeit, ihn zu verwirklichen. Bitte nimm das Geld an! Die Gitarre hole ich mir einfach später.“ „Aber“, gab Amanda zu bedenken: „was ist mit dem außerschulischen Engagement?“ „Naja“, begann Marcel, als sein Handy klingelte: „Oh, Moment bitte.“
Nachdem Marcel telefoniert hatte, blickte er Amanda grimmig an. „Mach dir wegen des Engagements keine Gedanken mehr. Du kannst doch singen, ich weiß das. Also: Komm in unsere Band. Kyra ist raus!“ „Was?? Nein! Also, wie? Wieso? Und warum glaubst du, dass ich da mitmache?“ Amanda schaute ihn erschrocken an. „Das will ich dir erklären“, begann Marcel daraufhin: „Kyra hat sich anscheinend eine Zweit-Band gesucht. Wir sind ihr anscheinend nicht gut oder nicht intensiv genug. Was weiß ich. Jedenfalls geht sie über Leichen und hintergeht uns. Ben hat sie gesehen. Wir haben das grade abgesprochen. Sie ist draußen, du bist drin.“ Amanda war noch nicht ganz überzeugt: „Kyra und ich sind aber so verschieden.“ „Ach, weißt du. So unterschiedlich seid ihr beide gar nicht. Ihr beide wollt hier raus. Oder zumindest zeitweise was Anderes sehen. Der Unterschied ist nur, dass sie alles dafür tut. Du benutzt deine Intelligenz und das ist deutlich mehr wert.“ Marcel reichte ihr ein Taschentuch, um die Wimperntusche wegzuwischen. „Und nun komm mit, lass uns Kyra die frohe Botschaft verkünden.“
„The Wedding“ hatte Bandprobe. Alles waren da, Kyra, Ben, Marcel und auch Amanda. „Warum ist die denn hier?“, stichelte Kyra gleich, als sie Amanda sah. Marcel und Ben schauten sich kurz an. Dann kam Ben ein Schritt auf Kyra zu. „Weißt, du“, begann er: „Ich habe mit Marcel gesprochen und wir sind einer Meinung. Wir haben deine Starallüren satt, ständig beschwerst du dich über jede Kleinigkeit. Und glaub ja nicht, dass wir nicht wissen, dass du dir eine neue Band gesucht hast. Glaubst du, das bleibt unbemerkt? Ja, du hast eine gute Stimme und wir hatten einen Sound, aber vielleicht ist es mal Zeit für eine Veränderung. Die Band hat abstimmt, wir sind für eine Auswechslung. Du gegen Amanda.“ Kyra starrte ihn fassungslos an. „Das.. das könnt ihr nicht machen!“, begann sie: „Ihr braucht mich!.. Ihr.. ihr…“ Sie schnappte nach Luft, macht auf dem Absatz kehrt und verschwand in der Nacht. „Die sind wir los“, meinte Ben. „Ja, aber ob wir nicht ein bisschen zu hart waren. Ich meine, wir hatte eine gute Zeit, auch wenn…“ „Auch wenn sie euch belogen hat?“, beendete Amanda seinen Satz: „So wie ich die Sache sehe, hat sie eh schon eine andere Band, der sie auf die Nerven gehen kann.“ Die Jungs staunten nicht schlecht, wie viel Selbstbewusstsein Amanda zurückerlangt hatte.
3
„Hate to say I told you so“ The Hives
Amanda sollte Recht behalten. Kaum begann die erste Probe von „The Wedding“ mit neuer Frontfrau Amanda, stand mit einem Mal ein fremder Mann im Probenraum. Er sah nicht aus, als würde er öfter solche Plätze aufsuchen. Sein feiner Anzug war knitterfrei, das Gesicht rasiert und die Haare ordentlich nach hinten gekämmt. In der Hand hielt er einen Brief. Ohne ein Wort zu sagen, wartete er ab, bis die Band ihn bemerkte. Nachdem alle Instrumente verstummten, schritt er an Amanda vorbei. Er blieb vor Marcel stehen und hielt ihm den Brief entgegen. Als Marcel den Brief festhielt, drehte sich der Herr mit einer geschickten Drehung um und verschwand so schnell, wie er gekommen war. Im Bandraum herrschte Stille, bis Ben sich räusperte: „Was zur Hölle war das? Wie krass ist der denn drauf und was hat er dir da eigentlich gegeben?“ Marcel schaute auf den Brief und öffnete ihn. Nur ein kleiner Zettel lag im Umschlag:
Morgen Abend 19 Uhr. Treffen in der Roten Allee 3. Seid pünktlich. Kyra
„Eine Einladung?“, wunderte sich Amanda. „Eher eine Kriegserklärung würde ich sagen“, kommentierte Ben: „Aber ich denke, wir sollten sie annehmen und hingehen.“ Marcel stimmte ihm zu. „Dann lasst uns mal weiterproben, damit wir ihr notfalls zeigen können, was wir draufhaben“, witzelte er und legte den Brief unter den Sparhund, der, jetzt einige Gramm leichter, als Maskottchen der Band diente.
Am nächsten Tag stand die Band pünktlich vor dem vereinbarten Haus, als der Mann vom Vortag ihnen die Tür öffnete und sie bat, einzutreten. Sie fanden sich in einer Art Halle wieder. Nicht nur das, sie waren alles andere als alleine. Neben ihnen waren noch dutzende weitere Bands gekommen, welche fleißig ihre Instrumente stimmten. „Was ist denn hier los?“, fragte Ben. „Das, mein Lieber, ist ein Wettkampf.“ Kyra stand plötzlich vor ihnen. „Er wurde organisiert von der Stadt. Ihr Pappnasen habt wieder nichts mitbekommen. Ihr seid hier, um gegen meine neue Band anzutreten.“ Sie deutete auf die vier Männer hinter ihr, die allesamt stur geradeaus blickten. „Charmante Jungs“, kommentierte Amanda: „Du hast nur was vergessen, Schätzchen. Wir haben unsere Instrumente nicht dabei.“ „Das dürfte kein Problem sein“, schaltete sich der feine Herr ins Gespräch ein: „Wir haben Instrumente als Leihgabe hier liegen. Genau für diese Fälle gedacht.“ The Wedding schwieg, um die Möglichkeiten zu überdenken.
Kyra starrte Marcel angriffslustig an. „Nun, was ist? Willst du nicht herausfinden, ob eure neue Sängerin auch was taugt?“ Marcel schaute ungläubig in die Runde. „Nochmal! Ein Wettbewerb? Wir gegen die?“ „Und der Gewinn ist diese Bandausstattung“, bestätigte der feine Herr: „Drums, Bass und Gitarre.“ Marcel blickte zu dem Tisch mit den Gewinnen und erkannte seinen Traum von Gitarre sofort wieder. „Ok“, sprach Marcel, nahm eine geliehene Gitarre und schlug kräftig auf die Saiten: „Dann lasst uns mal zeigen, was wir können.“ Der Wettkampf konnte beginnen.
Texte: willowcaro
Bildmaterialien: google
Tag der Veröffentlichung: 11.06.2012
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