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Fasziniert und entsetzt beobachte ich das sinkende Schiff. Noch vor wenigen Minuten stand ich im großen Speisesaal. Überall wo man hinsah nur feine Gesellschaft! Die Kleider der Frauen, alle besonders extravagant, und erst der Schmuck! Allein die Ohrringe meiner Cousine dritten Grades mussten so wertvoll sein, wie dieses Schiff! Manchmal fühlte ich mich fehl an diesem Platz. Eigentlich wollte ich in mein Zimmer zurück, weg von all dem Glanz und den hochnäsigen Menschen. Und dann begegnete ich ihm. Ich habe ihn schon öfters gesehen, doch immer hatte ich Angst ihn anzusprechen. Doch nun führten wir ein angeregtes Gespräch. Zu diesem Zeitpunkt hätte ich nicht zu träumen gewagt, dass mir so etwas passieren könnte. Nicht hier und nicht jetzt! Doch genau jetzt treibe ich mit einer Schwimmweste im Wasser umher. Ich kann sogar von dieser Entfernung die qualvollen Schreie der Menschen hören. Nicht mehr lange und Stille würde einkehren.
Ich habe Angst. Ich hatte eigentlich schon immer Angst vor dem großen Meer mit seinen endlosen Weiten, wenn ich nun so zurückdenke. Neben mir treiben noch andere Menschen. Ich versuche diese anzusprechen, doch ich bekomme keine Antwort. Im Dunkeln kann ich ein Gesicht ausmachen. Es ist ganz weiß. Die Lippen sind blau und die Augen blicken mich erschrocken an. Schnell drehe ich mich weg.
Ich fühle mich allein. Ich möchte nur noch weg von hier! Meine verzweifelten Blicke streifen einen Toten nach dem anderen. Ich schwimme in einem riesigen Grab. Vielleicht wird es bald auch meines sein. Doch ich will noch nicht daran denken! Noch keimt sich in mir ein kleines bisschen Hoffnung.
Ich rufe um Hilfe, wissend, dass niemand so schnell kommen und mich finden würde. Meine Angst vergrößert sich, als ich immer weniger Menschen schreien höre.
Langsam kriecht die Kälte in meine Glieder. Ich kann spüren wie ich müder werde. Wieder beobachte ich das Schiff. Nicht mehr lange, und das Meer hätte es ganz verschluckt. Nicht mehr lange, und es würde alles wieder ruhig sein. Schön und idyllisch. Nichts würde hier an die qualvollen Momente vieler Sterbenden erinnern.
Nur noch wenig Hoffnung bleibt mir. Es scheint mir, als hätte ich mich mit meinem Schicksal abgefunden. Eigentlich ist es ein trostvoller Gedanke dieser eisigen Kälte und der Angst zu entfliehen. Wie leicht wäre es, jetzt einfach einzuschlafen. Ein tiefer und langer Schlaf wäre es, und vielleicht könnte ich ja ihn wiedersehen. Bei diesem Gedanken kommt mir ein Lächeln über die Lippen.
Plötzlich sehe ich sie. Die Lichter auf den kleinen Rettungsbooten. Sie fahren genau in meine Richtung. Sie könnten mich retten! Ich erkenne nun, dass ich doch noch ein bisschen Lebenswille in mir habe.
Mühsam versuche ich mit meiner Hand zu winken und zu rufen. Meine Stimme ist nun nur sehr leise. Ich bekomme fast keinen Ton heraus. Mein Arm ist schon fast steif gefroren. Er lässt sich noch kaum bewegen. Wieder versuche ich zu rufen. Sie kommen immer näher. Ich versuche zu warten bis sie bei mir vorbeifahren.
Endlich sind sie da. Wieder versuche ich auf mich aufmerksam zu machen. Doch ich kann mich nicht mehr bewegen. Ich kann nicht sprechen, ich kann nichts tun. Sie beleuchten mit ihrer Lampe das Wasser. Das Licht erreicht mich und ich sehe den Menschen tief in die Augen. Der Mann, der die Lampe hält, erschauert unter meinem Blick. Ich weiß nicht was ich tun soll. Vor mir, nur eine Armeslänge entfernt, treibt ein Rettungsboot, und alle auf diesen, denken, dass ich tot bin.
Langsam rudern sie weiter. Sie schenken mir keine Beachtung mehr. Leise kullert eine Träne auf meine Wange. Sie gefriert sogleich zu einem kleinen Eisklumpen.
Nun verspüre ich keinerlei Hoffnung mehr auf Rettung. Ich beruhige mich mit dem Gedanken friedlich einzuschlafen und irgendwo wieder aufzuwachen. Irgendwo wo es schön und warm ist.
Mit größter Kraft schließe ich meine Augen.

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Tag der Veröffentlichung: 06.01.2012

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