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Das Interview



6 Uhr 30: Schulz wartet vor der Haftanstalt. Es ist ein kalter, nebeliger November morgen und er stampft mit den Füßen und geht ungeduldig auf und ab.

6 Uhr 45: Endlich öffnet sich das Tor und Konrad kommt grinsend auf ihn zu.
„Hallo Herr Konrad, da sind Sie ja endlich.“
„Endlich, da haben Sie Recht, lange genug hat es gedauert,“ erwidert Konrad und streckt Schulz seine Hand hin.

„Kommen Sie, steigen Sie ein, sehen wir, dass wir hier wegkommen.“ Schulz übersieht die zum Gruß ausgestreckte Hand.

„Sie haben ja fast denselben Wagen, den ich damals hatte“, stellt Konrad fachmännisch fest. Inzwischen hat Schulz sich in morgendtlichen Berufsverkehr eingereiht.
„Es ist derselbe. Ihre Firma wollte sich nach dieser Geschichte damals schnell von diesem Auto trennen. So konnte ich es sehr günstig kaufen.“
„Sie Schlitzohr. Ist ja ein Ding, hätte nicht gedacht, dass ich jemals wieder in dem Schlitten sitzen würde. Ist schon ein echt geiles Teil, oder?“
„Absolut und die reinste Mordwaffe.“
„Mordwaffe, so ein Blödsinn, ich habe doch niemanden umgebracht!“
„Da bin ich anderer Meinung“, murmelt Schulz. Laut fährt er fort: “Ich denke wir sollten das Interview gleich hier im Auto beginnen, dann dauert es anschließend nicht mehr so lange. Was meinen Sie?“

„Kommt darauf an, was auf Ihrem Scheck steht.“
Schulz greift in seine Jackentasche und gibt Konrad den Scheck.
„Ist O.K, Sie halten wirklich Wort. Danke. Dann fangen Sie an, fragen Sie. Wird hier etwas aufgenommen? Sie verstehen, dann müsste ich vorsichtig sein.“

„Nein, nein, keine Aufzeichnungen.“
Der MP3-Player, der das Gespräch aufzeichnet, liegt gut geschützt und unsichtbar unter dem Rücksitz.

„Herr Konrad, Sie waren jetzt ein Jahr im Knast und hatten bestimmt viel Zeit zum Nachdenken. Haben Sie manchmal an die Opfer Ihrer Raserei gedacht?“
„Opfer? Selbstmörder passt eher. An die gedacht? Warum sollte ich? Die dumme Ziege war doch selber Schuld. Kann nicht Auto fahren und kriecht mit ihrem Kleinwagen auf der linken Spur herum. Mit so einer Kiste sollte man am besten wegbleiben von der Autobahn.“

„Dumme Ziege?", zischt Schulz böse, „Aber sie ist tot. Ist es Ihnen denn völlig egal, dass auch die kleine Tochter dieser Frau umgekommen ist?“

„Was kann ich denn dafür? Hat ihren Balg im Auto und behindert dann noch andere Fahrer. Warum regen Sie sich denn so auf?“

„Wie schnell waren Sie denn wirklich? In der Verhandlung sagten Sie 220, stimmte das?“

„220, dass ich nicht lache, das war die offizielle Version von meinem Anwalt. 300 sind es bestimmt gewesen.“ Konrad ist sichtlich stolz, als er dies sagt.

„Da kann ich mir vorstellen, dass die Frau einen Schreck bekommen hat, als Sie mit diesem Tempo angekommen sind.“

„Einen richtigen Schock hat sie bekommen, sie hat noch blöd gekuckt und weg war sie.“

„Sie haben also doch gesehen, wie sie verunglückt ist?“, die Stimme von Schulz zittert vor Wut.

„Na klar, war im Rückspiegel zu sehen wie im Film. Echt geil.“

„Und Sie haben nicht angehalten, um zu helfen?“

„Dass da jede Hilfe zu spät gekommen wäre, habe ich gleich gesehen. Ich hatte auch keine Zeit und Lust hier lange rumzustehen.“

Schulzes Gesicht ist weiß und seine Mine fest entschlossen.

„He, wo fahren Sie hin? Sie wollten mich doch nach Hause bringen. Was soll der Scheiß?“

„Nur keine Aufregung“, Schulz hat Mühe normal zu sprechen, die Wut schnürt ihm die Kehle zu. „Ich muss schnell noch etwas erledigen. Dauert keine Ewigkeit.“

Konrad legt sich wieder entspannt in seinem Sitz zurück.

„Sie haben also kein schlechtes Gewissen deswegen?“

„Gewissen, Gewissen ist doch alles sentimentaler Scheiß. Autobahn ist Krieg und nur die Starken überleben.“

„Dann habe ich Sie doch richtig eingeschätzt und das Richtige geplant.“

„Was haben Sie geplant?“ Konrad richtet sich etwas auf. „He, Sie als Laie sollten aber nicht so schnell fahren. Sie haben schon fast 300 drauf!“

„Ich dachte das gefällt Ihnen“, Schulz lächelt Konrad an. „Übrigens ich heiße nicht Schulz sondern Hendrichs.“

„Hendrichs? So wie diese dumme Kuh, die in den Graben gefahren ist?“ Konrad richtet sich ruckartig auf und starrt Schulz an.

„Ja, die dumme Kuh war meine Tochter und der Balg meine kleine Enkelin.“

„Heeee, was machen Sie, wo fahren Sie hin?!“
Konrad kreischt in panischer Angst. Erst der Aufprall des Autos, am Pfeiler einer Autobahnbrücke, beendet sein unwürdiges Geplärr.

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Tag der Veröffentlichung: 11.02.2009

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