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Ferien

"Ferien", ein Wort, das in seinen Aussagevarianten ein unerschöpflicher Quell von Sehnsüchten, Deutungen und Begebenheiten darstellen kann.
Ganze Industrien und Geschäftszweige wecken in tonnenweisen farbigen Katalogen Begierden und Wünsche, die man vorher noch gar nicht gekannt oder erahnt hatte.
Wie leicht kann es da passieren, dass man vom Alltagsstress in den Ferienauswahlstress verfällt, weil man einfach nicht weiß, w o h i n bei diesem Überangebot.
Man fragt sich dann permanent und forschend, was einem denn gut tut, wo man sich vielleicht am wohlsten fühlt oder was man für seine Gesundheit benötigt, um nicht all zu früh auf ein langes Bio-Dasein umsteigen zu müssen.

Da findet man sich dann unversehens an den theoretisch idealen Ort der Feriengelüste versetzt.

In diesem Falle ist dies ein einsamer, in Nordfriesland gelegener Bauernhof, umgeben von den typischen Baumgruppen dieser Gegend, Schafen, Enten, Gänsen, Hühnern, einer alten Ziege, einer Bullenweide nebenan, wunderhübschen Blumen rings ums Haus - eine nette kleine Wohnung mit liebevoller Einrichtung - ganz im Stile dieses spannenden Landstriches!

All der Trubel ist in weite Entfernung gerückt - nur leider auch das weite Meer, der Strand und ein paar weltliche Dinge,die man sich insgeheim vielleicht erträumt hatte.

Nun - die Kinder sind hellauf begeistert - und selbst hat man endlich einmal Zeit, ein Buch zu lesen, mit dem "Ehegespenst" entspannte Gespräche zu führen - zu entspannen - in der unendlichen, vom Wind untermalten Ruhe dieses stillen Ortes.

Doch - so einfach ist das alles nicht! Was sich theoretisch gut anhört, muss sich in der Praxis nicht immer bewahrheiten. Unverhofft kommen Schwierigkeiten auf einen zu, die eben in dieser erträumten Überruhe, dieser absoluten Reizarmut wurzeln, und denen man nur schwer entfliehen kann.

So bietet man großzügig seine Dienste für außergewöhnliche Dinge an, ohne die es auch im Urlaub nicht geht, von denen es dir aber zu Hause niemals einfallen würde, auch nur einen Gedanken daran zu verlieren.
Hier jedoch ist es die Zuflucht und - das sammeln von Pluspunkten, die man in späteren, schlechteren Zeiten notwendig gebrauchen kann.
So unglaublich es auch für alle Machos klingen mag - Du meldest dich zum Einkaufen!
Die erstaunten großen Blicke, die dich treffen, sind denen der häuslichen Naturbewohner nicht unähnlich und sagen dir, dass Du die Aufgabe richtig gewählt hast!

Du ertappst dich nun plötzlich bei dem erregenden Gedanken: "Endlich ist mal wieder was los, einkaufen, bummeln, ganz alleine, nettes Städtchen, Leute, Rummel, Trubel, nette Urlauberinnen!"
Wolltest Du dem allem nicht eigentlich entfliehen?

Außer vielleicht dem letzten?

Nun, egal, wo ist der Autoschlüssel?

Schon bist du unterwegs!

Froh gelaunt stelle ich meinen Lieblingssender im Radio ein, niemand fragt mich: "Wann sind wir denn endlich da?"
Beschwingt fahre ich meinem nicht all zu fernen Ziel entgegen.
Nach kurzer Fahrt schon werde ich von einem umfangreichen Einkaufszettel eingeholt! Mein Gott, was da alles draufsteht?! Nun ja - das Parkhaus finde ich, der Laden, der Mega Supermarkt liegt gegenüber, hundert Meter, null Problemo - ich habe ja jede Menge Zeit.
Oh - ein Stau auf meinem Wege, heute haben hierzulande die Ferien begonnen, und jeder will noch schnell eine Besorgung machen, bevor er sich auf die große Reise begibt. Ich überlege krampfhaft und finde Schleichwege, die übelriechende Blechschlange auszutricksen und schaffe dies auch - weil - und das nur unter uns-ich schon heimlich ein paar Mal hier war, wenn mir die Ruhe zu viel geworden war.

Als ich das Parkhaus erreiche, bemerke ich Schweißperlen auf meiner Stirn. Dezent wische ich sie mit einem Streifen Klopapier weg, den ich in meiner Hosentasche finde! Taschentücher stehen auf meiner Einkaufsliste!

Ah, da ganz hinten ist noch ein Parkplatz frei.
Ich habe eine große Pappschachtel mitgebracht, weil ich Plastiktüten nicht leiden kann. Warum nicht?
Nun klar - wegen der Umweltbelastung! - und außerdem siehst du als Mann ziemlich doof aus, wenn dir die vollen Tüten mitten auf der verkehrsüberfluteten Straße reißen! Stell dir das mal vor - du bist gnadenlos verloren - und irgend ein zittriges altes Weibchen muss dir dann vollends über die Straße helfen!
Nein, nein, lieber eine tolle, stabile Pappschachtel, ohne Reißgefahr, dann stehst du total überlegen einfach drüber!

Komisch, auch der Supermarkt scheint heute voller zu sein als sonst, nein, übervoller, alles drängelt und drückt, ob wohl Hamsterkäufe angesagt sind? Weltuntergangsprohezeihungen? Ist der Butterberg geschmolzen?
Trotzdem schiebe ich das vierrädrige Drahtgestell völlig relaxed durch die Regale, da ich mir eine eindeutige, logische Einkaufskonzeption zurechtgelegt habe.
Es gibt nämlich grundsätzlich zwei verschiedene Verfahrensweisen. Entweder du besorgst alle Dinge, die auf deinem Zettel stehen der Reihe nach - dann fährst Du immer kreuz und quer durch den Laden - weil Gurken und Eier, die untereinander auf deiner Einkaufshilfe stehen, an entgegengesetzten Stellen zu finden sind.

Also, das scheidet natürlich aus! Ich kaufe ja schließlich nicht das erste Mal ein!

Viel professioneller ist da die zweite Variante.

Überlegen, aufrecht dastehend, weihevoll und ruhig die Blicke vergleichend über Regale und Einkaufszettel streichen lassen, dann die Hand blitzschnell hervorschnellen lassen und der gewünschte Artikel verschwindet im Drahtgestell.
Der kleine Bleistift hinter deinem Ohr leistet dann plötzlich gute Dienste, denn durchstreichen ist wichtig, sonst kann es passieren, dass du zu guter Letzt doch wieder auf die dilletantische erste Methode zurückgreifen musst.
Hat man nicht - so wie ich als Musiker- stets einen Bleistift dabei, kann man einen solchen auch aus der Schreibwarenabteilung des Geschäftes holen, ohne dann aber zu vergessen, ihn nach Gebrauch wieder zurück zu legen.

Schade, denke ich, als ich mit meinem übervollen Einkaufswagen in der langen Reihe der Wartenden stehe, dass nun wieder nur e i n e Kasse geöffnet ist. Aber es sind Ferien und ich habe viel Zeit, Zeit, auch die anderen Menschen mit ihren ebenfalls vollen Wagen zu beobachten. Ich erkenne, dass alle einen gespannten Gesichtsausdruck haben und immer wieder etwas aus den großen Körben vor der Kasse nehmen. Sonerangebote - besonders preisgünstig, besonders praktisch, benötigen tut man die Dinge nicht, aber sie werden mitgenommen!
Komisch, denke ich versonnen, wie das wohl zu erklären ist und nehme dabei eine besonders schön verpackte Zigarettenschachtel aus dem Regal direkt vor mir - obwohl ich überhaupt nicht rauche!

Dann bin ich dran und bemerke jetzt, dass es auch mit meiner Ruhe und Überlegenheit ein Ende hat.

All die erbeuteten Dinge müssen jetzt nämlich aus meinem Einkaufswagen in eine entsetzliche Stresskiste, welche die Kassiererin mit einem Handgriff öffnet und nachher nur für Sekunden wieder schließt. In diesen Sekunden soll ich dann alle Teile in meine große Pappschachtel zaubern und gleichzeitig überwachen, ob auch die Preise richtig eingetippt werden und - dass nichts vergessen wird, verloren geht oder aus Versehen vom Käufer daneben eingeschoben wird.
Bösartige, zersetzende und verachtende Blicke treffen dich aus Dutzenden von Augenpaaren, wenn du auch nur den kleinsten zeitraubenden Fehler machst oder vielleicht sogar deinen Parkschein entwerten lässt, den du irgendwo ganz unten in deinen Taschenkatakomben beinahe nicht mehr gefunden hättest.

Ein unendlich tiefes Gefühl der Erleichterung überfällt mich, als ich diese Höllenpforte passiert habe, für die man wirklich eine feste und ausgeglichene Psyche besitzen muss.
Kenner wissen, dass sogenannte "Geisterwagen" abends in den Supermärkten vollbeladen und herrenlos umherstehen, deren Inhalte dann Verkäuferinnen wieder mühevoll in die Regale stellen.

Glücklich bringe ich meine erworbenen Schätze in das Parkhaus, um dann noch einen Sonderauftrag erfüllen zu können: Kuchen und Gebäck für den Nachmittagskaffee, zu dem liebe Freunde zu Besuch erwartet werden.
Der Supermarktbäcker erscheint mir hierfür nicht gut genug, und so mache ich mich auf die Suche nach einer originellen kleinen Konditorei, die ich auch alsbald finde. Leider waren schon vor mir andere Zeitgenossen auf dieselbe Idee gekommen, und es gibt nur noch eine kleine Auswahl für mich.
"Leider zu wenig!" - denke ich, als ich hinaus auf die verkehrsreiche Geschäftsstraße gehe.
Ich entschließe mich deshalb - man kann ja schlecht mit dem Konkurrenzgebäck wieder zum Supermarkt gehen - meine mühsam erstandenen Süßteile kurz in mein Auto zu bringen.

Ruhig und ohne äußere Anzeichen sichtbarer Ungeduld schlendere ich zurück und stelle mich wieder in eine stattliche Schlange, um dann endlich ein großes Tablett Butterkuchen zu erstehen.
Das Wort "Butterkuchen" geht mir zudem problemlos über meine schwäbischen Lippen! Zufrieden überquere ich erneut die verkehrsdurchflutete Hauptstraße des nordfriesischen Städtchens.

Bald schon jedoch, währenddem ich auf flacher Hand - wie ein gut ausgebildeter Oberkellner - mein gestreuseltes Sonderangebot an den zahlreichen hektischen Friesen vorbeiballanciere - kommen mir erneute Bedenken, die entstehen, als ich im Geiste die Anzahl der Kaffeebesucher an mir vorbei defilieren lasse: Vier Kinder - auf Süßes programmiert - vier Erwachsene - vom schwäbisch - sparsamen Ferienselbstgekochtem ausgehungert - ob meine Ware ausreichen wird?

Wie steht man denn da, wenn plötzlich die kleinen Süßteile halbiert oder gar gevierteilt werden müssen?
Der mobile Bankschalter, der in Sichtweise gerät, beantwortet meine Einwände unverzüglich!

Also - eine rasche Kehrtwendung - wobei mein mühsam waagerecht gehaltenes Tablett mit Butterkuchen in die Senkrechte gerät und die - dem Himmel sei Dank - stabile Papiertüte in den Fugen knistern lässt.
Tragen lässt sie sich aber so durchaus leichter!

Zurück im Supermarkt stelle ich mich erneut - doch schon gequälter und nervöser - in die noch immer gewaltige Reihe von nach süßem Gebäck lechzenden Hausfrauen. Gedanken versonnen, autogen trainierend, geht es in kleinen stockenden Schritten dem Ziele näher, und im Trubel der überall hin-, her- und vorbeieilenden Menschen erstehe ich eine weitere große Tüte mit nordfriesischen Spezialitäten, die mich hoffen lassen, meine Gäste nun doch zu sättigen.

Noch währenddem ich meine frisch gefüllte Geldbörse zücke, erfüllt ein gewaltiger Adrenalinstoß die zuständigen Drüsen und erschreckt stammle ich in mühsamem Hochdeutsch zu der Backwaren-Spezial - Verkäuferin: "Mein Tablett mit Butterkuchen isch weg, hen sie es vielleicht gesehen, grad war's noch da?"

Alle Umstehenden und auch die Schlangenbewohner bestätigen mir dies durch eifriges Kopfnicken - es erinnert mich an das Umfallen von Dominosteinen - und wie ein Lauffeuer geht es durch die Reihe:

"Ein Dieb!"

Hilfreiche Nordfriesen rasen durch den Supermarkt, durch die Regalreihen, hinaus auf die Straße, ausschauend nach einer verdächtigen Person, die ein Butterkuchentablett im Sauseschritt lenkend, in krimineller Absicht vor sich her trägt. Ein älterer Friese links von mir stammelt entsetzt: "Wo is min Fru, wo is min Fru, sie muss ihre Geldtasche fest im Auge behalten!"
Doch ohne Erfolg - der Butterkuchen mit seinem treisten Entführer ist längs über alle "Berge" und im Trubel untergetaucht!

Das alles wäre in meiner ermatteten Lage noch auszuhalten gewesen, aber ein weiteres Tablett mit dem inzwischen unentbehrlich gewordenen Gebäck ist nicht mehr zu haben!

Also kaufe ich noch eine Riesentüte nichtssagender Stiche der Bienen und Beutel des Windes, bevor ich mich traurig und ergeben auf meinen Rückweg mache -geschlagen und zerknirscht von der Erfolglosigkeit meines engagierten Tuns.

Noch während ich mühsam mein Auto öffnen möchte, bemerke ich eine gelangweilt baumelnde Papiertüte stattlichen Ausmaßes in meiner rechten Hand. ich denke: "Was ist denn das? Das kommt mir völlig unbekannt vor?"
Ich schaue hinein - und - entdecke meinen vor langer Zeit am Bankschalter von der Waagerechten in die Senkrechte geratenen Butterkuchen!

Noch acht Tage lebten wir von unseren nordfriesischen Spezialitäten und ich glaube, noch heute entdecke ich hin und wieder ein paar Krümel im Kofferraum meines Autos!

Vor allen einkaufenden Hausfrauen aber habe ich seit diesen nordfriesischen Ferien einen noch größeren Respekt!


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Tag der Veröffentlichung: 07.09.2008

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