Eine alte vergilbte Schriftrolle liegt auf dem dunkelbraunen, fast schwarzen, Holztisch. Er ist schon hundert Jahre alt genauso wie die Schriftrolle.
Davor sitz ein alter Mann, fast so alt wie der Tisch, und hält einen Pinsel in seiner faltigen Hand. Seine Augen blicken müde in die Ferne und eine Träne rollt über sein Gesicht. Sie bleibt bei einer tiefen Falte hängen und rollt dann weiter bis sie auf den Tisch tropft, ganz knapp neben das Papier und er zuckt zusammen. Sofort wischt er sich sein Gesicht ab und legt den Pinsel auf den schwarzen Teller. Er pustet sanft über die noch feuchte Tinte und nickt schließlich als der letzte Glanz verschwindet.
„Seht ihr sein Gesicht?“, fragt der Hund. Er steht unter dem Schwein und neben dem Hahn.
„Ja, er sieht irgendwie traurig aus“, entgegnet das Schwein und schaut zum Drachen. Er wurde in die Mitte des Kreises gezeichnet und schimmert in goldenen Farben.
„Aber wir können ihm leider nicht helfen. Er ist ein Mensch.“ Er blickt in die Runde und ärgert sich. Es ist eine Aufgabe die er nicht lösen kann und dabei stürzt er sich doch so gerne in neue Aufgaben.
„Das müssen wir aber!“, braust der Tiger auf und erhebt sich. Er ist impulsiv und stürzt sich deshalb meist unüberlegt in Projekte.
„Wir könnten es probieren“, flüstert der Hase leise um keinen Konflikt entstehen zu lassen.
„Könnt ihr euch noch daran erinnern, wie er wütend seinen Pinsel davon geworfen hat und aufgestanden ist? Wir sollten ihm nicht helfen“, wirft die nachtragende Schlange listig ein und alle lauschen jetzt ihren Worten, den nicht alle wissen von diesem Ereignis.
„Das ist doch Schwachsinn“, versucht der Ochse den alten Mann loyal zu verteidigen.
„Wir sollten dem Armen helfen“, murmelt die friedliebende Ziege und schaut den Tiger von der Seite an. Sie weiß nämlich, dass er sich gerne an solche Probleme wagt kennt aber das Risiko, dass er schnell die Lust an solchen Aufgaben verliert oder ihn der Mut verlässt, und er dann ein offenes Ohr braucht. Für solche Situationen gibt es ja immer noch den vertrauenswürdigen Hund, denkt sich die Ziege und schließt damit ihre Sorge ab, der Tiger könnte wieder aufgeben.
Der Drache blickt schimmernd in die Runde. „Ich finde eine Abstimmung soll die Antwort bringen, ob wir versuchen ihm zu helfen. Das wäre die beste Lösung und würde zu keinem Konflikt führen.“ Er schielt kurz zu dem Hasen der zufrieden lächelt. „Gut, dann sagt was ihr wollt!“ Er wartet kurz und blickt in den Kreis der Tiere.
„Ja“, antwortetet der Tiger als erstes, wie zu erwarten, denn es ist einmal wieder eine anspruchsvolle Aufgabe in Sicht.
„Ich stimme auch für Ja“, sagt der Hund der immer verlässlich ist in schwierigen Situationen. Das Schwein stimmt ebenfalls dafür, denn es glaubt an das Gute im Menschen und schiebt das Argument der Schlange einfach aus seinen Gedanken.
„Ich auch, denn es ist unsere Pflicht“, ruft der Hahn aus und versucht wieder Aufmerksamkeit zu erlangen.
Der Ochse bleibt dem alten Mann loyal und stimmt auch mit Ja, genauso wie die mitfühlende Ziege.
„Ich bin dagegen, denn es ist eine schwierige Angelegenheit und bringt uns nichts“, erläutert der Affe sein Nein ausführlich, aber ungefragt. Er liebt es zwar Probleme zu lösen aber solange es für ihn keinen Zweck hat ist er wenig angetan.
„Ich auch, ich glaube er verdient es nicht unsere Hilfe zu bekommen“, stimmt ihm das Pferd zu. Es kann Situationen meist auf einen Blick abschätzen. Doch die Entscheidung des Pferdes erstaunt alle, denn normalerweise ist es ständig in Bewegung um Aufgaben zu lösen.
„Natürlich nicht, er wollte sein Werk unbeendet einfach links liegen lassen“, zischt die nachtragende Schlange und funkelt den goldenen Drachen an. Sie ist neidisch auf seinen Glanz, den sie ist schwarz wie alle anderen. Schon allein um dem Drachen eins auszuwischen stimmt sie für Nein. Die Ratte nickt. Sie ist kleinlich und hat es wie die Schlange auch nicht vergessen wie der Mann seine Arbeit kurzzeitig beendet hatte. Die beiden verstehen sich gut, denn beide sind geschäftstüchtig und ergänzen sich. Da die Ratte weiß, dass sie sich auf die Schlange verlassen kann stimmt sie ihr zu, ansonsten hätte sie vielleicht eine andere Wahl getroffen, aber nun ist hat sie ihre Wahl getroffen.
„Nun gut.“ Der Drache blickt angespannt zum Hasen, der angestrengt nachdenkt, wahrscheinlich plant er gerade selbstsicher seinen nächsten Schritt. Niemand traut dem Hasen viel zu, denn er wirkt meist wie in einer Traumwelt, aber der Drache weiß, dass der Hase immer nachdenkt wie er am besten als nächstes handeln sollte.
„Ich bin zu dem Entschluss gekommen, dass es am besten ist dem alten Mann zu helfen.“ Der Hase schaut triumphierend in die Runde.
Der Drache nickt, er nimmt nicht an der Abstimmung teil, denn seine Stimme hätte zu viel Gewicht. „Tiger, Hund, Schwein, Hahn, Ochse, Ziege und Hase sind dafür ihm zu helfen. Schlange, Affe, Pferd und Ratte sind dagegen. Damit haben wir wohl eine Mehrheit.“
„Das gibt’s doch nicht“, braust das Pferd ungeduldig auf und schüttelt sich.
„Beruhig dich. Wir haben abgestimmt und die Mehrheit hat gewonnen“, versucht das Schwein ihn zu beruhigen.
„Ich bitte euch nicht zu streiten. Ihr wisst wie das ausgeht wenn wir uns nicht einig sind.“ Der Drache, ganz der Anführer, überlegt lange während die anderen Tiere laut diskutieren. Der Hund der sich normalerweise hervorragend mit dem Pferd versteht knurrte nun und zeigt seine Zähne. Er wird normalerweise nicht schnell wütend, aber wenn dann braust er auf.
„Hört auf euch zu streiten wir haben entschieden“, ruft der Hase um den Konflikt zu lösen.
Der Hund geht auf das Pferd los und beißt zu.
Der alte Mann schaute verwundert auf das beschriebene Pergament. Hatten sich die Zeichen gerade wirklich bewegt oder hat er sich verhört? Er streicht mit seiner Hand über das Zeichen des Hundes. Er kann es nicht glauben, es ist ganz warm.
„Hört auf“, brüllt der Drache und sofort hören die Tiere auf sich zu streiten. Ihre Wut verraucht und sie schauen sich an. „Wir sind doch keine Tiere! Wir sind Besonderheiten und wir müssen dafür sorgen, dass alles im Gleichgewicht ist. Ihr könnt doch nicht einfach so anfangen euch gegenseitig zu bekämpfen. Keiner von euch kann ohne den anderen existieren!“
Alle schauen wehmütig zu dem Drachen. Der Hund hat sich wieder beruhigt und blickt zu dem Pferd. Jeder schaut sich entschuldigend an.
„Und was machen wir jetzt?“, fragt intelligente Affe, er hat sich damit abgefunden, dass sie sich jetzt dafür entschieden haben dem alten Mann zu helfen.
„Wir müssen erst einmal gucken wie wir vorgehen.“ Der Ochse zählt verschiedene Möglichkeiten auf und versucht Ordnung in das Chaos zu bringen.
Der goldene Drache schaut auf und sein Blick bleibt in der Luft hängen. „Er ist auf uns aufmerksam geworden“, murmelt er und alle Tierzeichen heben den Kopf.
Der alte Mann richtet seine Augen gespannt auf das Pergament. Die Zeichen scheinen zu leuchten in den Farben der Elemente. Grün für die Erde, Blau für das Wasser, Rot für Feuer und schwarz für Metall. Er berührt das Papier und muss kurz lächeln.
„Er lächelt.“ Der Drache schaut wieder zu den Tieren. „Er sieht uns, aber wieso?“
Keines der Tiere kennt die Antwort. Sie schauen alle in die weisen Augen des alten Mannes und hören auf zu denken. Sie verlieren sich in der Weisheit dieses Blickes.
Er richtet seine Augen auf die leuchtenden Zeichen und traut dem nicht was er dort sieht. Wieso leuchten diese Zeichen? Er hat sie mit schwarzer Tinte gemalt, das wusste er genau aber jetzt scheinen sie von innen heraus zu leuchten. Ihm kommt eine Idee. Er steht von dem alten Hocker auf und streckt seine Beine durch. Es knackt einmal, dann geht er gebrechlich zu einem Regal an der Wand und greift nach zwei weiteren Pergamenten. Sie sind seine größten Schätze, unbemalte alte Pergamente die er auf einem Markt in Shaoguan erworben hatte. Der Händler kannte nicht mal ansatzweise ihren Wert und der alte Mann hatte sich gefreut. Jetzt nimmt er zwei von diesen alten Pergamenten und geht wieder zum Tisch. Er schiebt das Pergament mit den Schriftzeichen davon und legt eines der Pergamente auf den Tisch. Er öffnet eine Schublade und holt noch mehr Pinsel heraus die er akkurat nebenbeinander legt nur um dann die passenden Farben aus einer anderen Schublade zu holen. Er stellt die kleinen Töpfchen in gleichen Abständen an ihre vorgesehen Plätze. Er gleitet mit seinen Fingerspitzen über die Töpfe um zu fühlen was das für Farben sind. Dann nimmt er einen der Pinsel mit der rechten Hand, sie ist ganz ruhig und zittert kein bisschen als er die feinen Haare sanft in die goldene Farbe eintaucht. Sein Blick geht in die Ferne während er mit der linken Hand das Pergament festhält und langsam anfängt zu malen. Er kann das was er zu Papier bringt vor seinem inneren Auge sehen. Er atmet ruhig und zieht eine Linie nach der nächsten. Nach jeder Bewegung macht er eine kleine Pause und überlegt. Dann senkt er seinen Blick schaut auf das Leuchten der Zeichen und bewegt den feinen Pinsel dann weiter geschmeidig über das alte Pergament.
„Was macht er da?“, fragt der Hund und schaut zu dem Drachen. Er ist am größten und kann wahrscheinlich deshalb auch mehr sehen, denkt sich der Hund als er zu dem schimmernden Zeichen blickt.
„Ich weiß nicht.“ Der stolze Drache schaut in die Runde. „Wir müssen jetzt darüber reden wie wir ihm helfen, in ihm ist eine tiefe Traurigkeit die kann ich spüren. Die könnt ihr alle spüren!“
„Wir könnten…“, fängt der Hase an bricht dann aber ab. „Nein das geht nicht!“
Der Drache schenkt ihm seine volle Aufmerksamkeit und wartet bis er weiter spricht, denn der Hase ist bestimmt voller Lösungen zu diesem Problem. „Wir könnten ihm Licht schicken“, fährt er fort und guckt den Drachen an.
„Licht?“, fragt das Schwein nach, denn es kann sich nicht ganz vorstellen was der Hase meint.
„Ja Licht. Er sitzt in seiner dunklen Kammer und geht nie raus. Er war das letzte Mal vor…“ Er denkt nach und sieht den Affen flehend an.
„Vor drei Jahren draußen“, fährt dieser fort und der Drache nickt. Er kann sich daran erinnern. Es war der Tag gewesen an dem der alte Mann seine Stube verlassen hat um das Pergament zu kaufen. Er war mit einer Kutsche in diese Stadt gebracht worden wo er dieses Pergament gefunden hatte. Kaum hatte er es berührt fühlte er eine magische Aura. Dies war kein normales Pergament, das war ihm sofort bewusst. Der alte Mann kaufe es und kaum war er in seiner Stube angekommen fing er an auf dem ersten Blatt den Tierkreis zu zeichnen. Jeder einzelne Strich dauerte Stunden, denn er wollte es richtig machen. Seine Finger konnten sich daran erinnern wie es war mit einem Pinsel die schönsten Formen zu Papier zu bringen. Der Drache schüttelt sich und der Hase macht weiter. Er hatte gespürt, dass der Drache nicht ganz da war, sondern in der Vergangenheit rumgestreift war.
„Vielleicht hilft ihm ja ein bisschen Licht seine innere Unruhe und Dunkelheit zu vergessen.“ Die Tiere schauen sich an.
„Als ob er es schafft“, entgegnete die Schlange, die es immer noch nicht verkraftet, dass der alte Mann seinen Pinsel niedergelegt hatte vor Frust ihr Zeichen nicht auf Anhieb zeichnen zu können.
„Hör auf Schlange“, zischt der Drache und die Schlange schaut ihn an.
„Nur weil du das mächtigste Zeichen von uns bist heißt das noch lange nicht, dass du dich selbst zum Anführer machst!“, kontert diese.
„Hört doch endlich mit dieser Streiterei auf, das führ zu nichts“, geht der Hund dazwischen und die Schlange zieht sich zurück.
„Deine Idee gefällt mir.“ Das Schimmern des Drachen verstärkt sich. „Er lebt schon viel zu lange in dieser Dunkelheit.“
Der alte Mann wechselt den Pinsel und lässt ihn in die rote Farbe gleiten. Der Pinsel nimmt die Farbe auf und er zieht ihn wieder hervor. Bevor er ihn auf das Papier bringt lenkt er seinen Blick noch einmal auf das Pergament mit den Zeichen. Das Leuchten ist schwächer geworden, aber das Zeichen in der Mitte leuchtete heller als die anderen, es ist umgeben mit einer goldenen Aura. Sie fühlt sich so an wie das Pergament, denkt der Mann und macht mit seiner Arbeit weiter. Er zieht eine nächste Linie. Während er ganz langsam, Millimeter für Millimeter, die feinen Haare über das Pergament zieht drückt er den Pinsel herunter, damit die Linie dicker wird. Er weiß schon wie das Bild am Ende aussehen wird, aber davon ist er noch lange entfernt.
Die Tiere schweigen. Sie wissen nicht weiter, denn die Idee des Hasen wurde abgelehnt, weil ihre Durchführung nicht möglich war. Dafür hätten sie eine Seele opfern müssen. Eine Tierseele. Denn jedes Tier hatte seine eigene Seele die ihre Eigenschaften und Tugenden ausmacht. Ohne diese Seele würden sie nicht mehr das sein was die Menschen von ihnen denken. Ihre Seelen sind das wodran die Menschen glauben. Sie vertrauen darauf, dass der Hund der loyale Freund ist, der Affe der intelligente Pläneschmieder und der Drache die motivierende Autorität. Der Drache war das wichtigste und damit mächtigste Zeichen. Die Seele gab ihnen die Macht mehr zu sein als nur ein einfaches Tier und keines dieser Zeichen wollte die Macht abgeben. Sie wären dann nicht verschwunden, aber ihre Macht hätte dann dem alten Mann gehört und bis zu seinem Tode wäre er quasi dieses Zeichen. Für manche Menschen vielleicht sogar ein Heiliger. Es kam erst zwei Mal in der Geschichte vor, dass sich ein Tierkreiszeichen dazu entschloss einem Menschen seine Seele anzuvertrauen. Es war immer eine Entscheidungssache! Das erste Mal geschah vor tausenden vor Jahren, als das Schwein vor lauter Mitgefühl seine Seele einem kleinen Mädchen gegeben hatte. Sie war krank gewesen und hätte sterben können, aber durch die Tierseele war sie genesen und lebte so viel länger als ihre Geschwister und Töchter. Diese Geschichte endete traurig, denn dieses Mädchen wurde ermordet, kaltblütig, hinterrücks. Das gutgläubige Schwein war so erschrocken von dieser Tat gewesen, dass es sich entschloss nie wieder einem Menschen seine Seele anzuvertrauen, denn es hatte die Schmerzen gespürt. Jedes Tierzeichen kannte diese Geschichte. Sogar der Drachen, aber es hatte ihn nicht aufgehalten seine Seele einem König zu schenken. Dieser war weder krank, noch von grausamem Schmerz erfühlt, aber der Drache hatte das Gute in ihm gesehen. Das Gold des Menschen. Jeder Mensch hatte etwas Gutes in sich, mache Menschen mehr manche weniger. Es gibt welche die so viel Gutes in sich haben, dass es wie eine goldene Aura um sie herum schwebt und die Leute in ihrer Umgebung es spüren. Es sind vertrauenswürdige Menschen, liebevoll und bedacht. Und so war dieser König.
Es ist eine lange Zeit vergangen und der alte Mann legt seinen Pinsel nieder. Er atmet tief ein und aus bevor er nach dem Leuchten sucht. Aber es ist verschwunden, das Leuchten der Tierkreiszeichen ist weg und er ist wieder von der Dunkelheit umgeben. Er umfasst die Tischkante und dreht seinen Kopf ein Stück zur Seite. Dann nimmt er aus einer Schublade ein Messer. Er legt es neben das Pergament mit dem Bild darauf. Er greift langsam nach vorne und nimmt das Pergament mit den Zeichen in die Hände. Der alte Mann schiebt das Bild ein Stück zur Seite, damit er das andere dort ablegen kann. Dann nimmt er das Messer wieder in die Hand. Er legt Mittel- und Zeigefinger neben ein Zeichen. Dann schneidet er um seine Finger herum. Jede Bewegung strahlt Ruhe aus. Jeder kleinste Schnitt strahlt Gelassenheit aus.
„Was tut er da?“, fragt der Tiger und blickt zu dem Drachen. Sein immer währendes Leuchten nimmt langsam ab, das Licht wird schwächer.
„Ich glaube er trennt mich aus“, murmelt er traurig und blickt in die Runde der Tierzeichen.
„Das kann er nicht“, ruft der Hund aus und blickt zur Ziege. Sie ist genauso bestürzt.
„Dann sind wir keine Einheit mehr“, fügt der Ochse hinzu.
„Was sollen wir denn machen ohne deine Weisheit?“, fragt der Hase verzweifelt.
Der Drache muss lächeln. Es ist ein bitteres Lächeln, aber die Aufgabe die er sich selbst jetzt gestellt hat erfühlt ihn mit Stolz aber auch mit Bitterkeit, denn er weiß, dass es vielleicht ein Fehler sein könnte.
Der alte Mann trennt vorsichtig das Zeichen aus dem Kreis heraus und schiebt den nun nicht mehr vollständigen Tierkreis weg. Seine linke Hand nimmt das Pergament mit dem Bild darauf und legt es vor sich. Dann sieht er wieder das Leuchten. Das goldene Flackern, das von dem Zeichen ausgeht. Er muss lächeln, es ist ein Lächeln aus seiner tiefsten Seele. Dann, ohne zu zögern, holt er kurz tief Luft und pustet dann sanft auf das Tierkreiszeichen des Drachens. Das Gold scheint von dem Zeichen hinunter zu fliegen und in der Luft zu schweben. Es wirbelt kurz durch die Luft, dann legt es sich nieder auf das Bild. Die Umrisse eines Drachens sind jetzt zu erkennen. Das Leuchten wird stärker und hebt sich von der Dunkelheit ab. Der Drache schwillt an und erhebt sich von dem Pergament. Er schwebt in der Luft, dann bewegt er sich als würde er sich durch die Luft schlängeln. Der alte Mann schaut diesem Schauspiel gebannt zu und das Lächeln auf seinem Gesicht erwärm sein Herz. Jetzt fängt auch er an von innen zu Leuchten, doch er kann es nicht sehen. Aber der Drache sieht es. Er sieht das Leuchten, das Gold. Er schwebt durch die Luft und kostet die Freiheit der Bewegung aus bevor er sich an den alten Mann wendet.
„Ich gebe dir das teuerste Geschenk. Nutze es gut, denn dein Leben wird erfüllt sein von Gold“, spricht der Drache mit weiser Stimme. Der alte Mann wagt kaum zu atmen aus Angst das Schimmern zu verscheuchen. Dann, ganz langsam, schwebt der Drache weiter auf den alten Mann zu. Das Herz des Mannes schlägt langsam, ganz ruhig. Der Drache beugt seinen Kopf und berührt mit seiner Nasenspitze die des Mannes. Sofort sprüht es goldene Funken und erhellt den ganzen Raum. Der Drache gleitet in den Mann über und er wird erfüllt von Gold. Die Dunkelheit wird verdrängt und abgestoßen, sie gleitet so schnell aus dem alten Mann dass er sich an der Tischkante festhalten muss um nicht umzukippen. Er ist erfüllt von purem Glück. Er kann den Drachen in sich fühlen wie er alle düsteren Gedanken verbannt und das Schwarz seiner Seele in strahlendes, pures Gold verwandelt.
Seine Augen sind immer noch geschlossen. Seine Hand ruht auf der Tischplatte. Er atmet tief durch und öffnet dann die Augen. Dunkelheit. Er streckt seine rechte Hand aus und kann die Kerze fühlen. Er entzündet ein Streichholz und wird von dem gleißenden Licht geblendet. Sofort pustet er es wieder aus und wirft es fort.
Das gleißende Licht…
Er kann es kaum glauben, also zündet er ein zweites an und der Kerzendort fängt Feuer. Der ganze Raum wird von einem schwachen Licht erleuchtet und der Mann schaut sich um. Er sitzt in seiner Stube die er noch nie gesehen hat, die ihm aber so vertraut ist. Dann hebt er den Blick und schaut in den alten, gesprungenen Spiegel vor sich. Ihm entfleucht ein kleiner Schrei. Ja, das ist sein Gesicht in dem Spiegel, aber nicht das Gesicht welches er zu sehen gedacht hatte. Es ist viel zu jung. Er hebt seine Hände und berührt sein glattes Gesicht. Die Haut ist ganz geschmeidig, leicht gespannt, aber weich. Er kann seinen Augen nicht trauen. Er steht langsam auf und blickt an seinem Körper herab. Er ist ein junger Mann, kein Alter mehr. Er hat die Statur wie damals als er der Armee gedient hatte, bevor er geblendet worden war, weil er diese Fremde beschützen wollte. Er schleicht um den Schreibtisch herum und geht näher an den Spiegel heran. Er kann um sich herum eine Aura erkennen, sie ist golden und leuchtet heller als die Kerze.
„Das Gold“, flüstert er und muss den Spiegel berühren. Dann erinnert er sich an die Worte des Drachen. Ihm wurde ein Geschenk gemacht, dass kein Mensch zuvor gemacht wurde. Ihm wurde eine zweite Chance gegeben sein Leben neu zu gestalten. Er dreht sich um und schaut auf die Haustür. Soll er? Er geht mit bedächtigen Schritten auf die Tür zu und öffnet sie. Es ist früher Morgen und noch nicht viele Menschen sind auf der Straße. Aber er kann um einige eine leichte Aura erkennen. Eine junge Frau läuft an ihm vorbei, ihr Leuchten ist schwach, aber pulsierend. Dann ein Mann dessen Aura nicht hell scheinend ist sondern von einer Dunkelheit geprägt die ihm eine Gänsehaut über den Rücken jag. Er erkennt welches weitere Geschenk ihm der Drache gemacht und auch welche Verantwortung er nun hat. Er kann das Wesen der Menschen erkennen, ihre Gute und Schlechte Seite.
Er macht einen Schritt auf die Straße und blickt sich um. Er kann alles sehen! Er muss laut auflachen vor Freude und zieht damit alle Blicke auf sich. Er läuft los. Er muss es einfach sehen. Er rennt durch die Straßen und genießt dieses Gefühl, dann sieht er es endlich. Er ist aus dem Dorf herausgerannt und steht jetzt auf einem Feld. Er blickt schweratmend zu den Hügeln wo die Sonne gerade aufgeht. Diesen Anblick hat er so lange vermisst. Da stellt sich eine alte Frau neben ihn und schaute ihn von unten an. Er blickt auf sie herab und lächelt freundlich.
„Wie heißt du junger Mann?“, fragt sie und legt ihren Kopf lächelnd schief. Sie hat eine goldene Aura, keine Spur Dunkelheit ist dort.
Er holt Luft um seinen Namen zu sagen, hält aber inne, denn der Drache spricht zu ihm, seine Worte hallen in ihm nach und er kann die Macht spüren. Es ist das erste und letzte Mal, dass der Drache aus ihm heraus mit ihm spricht, dann antwortete er mit fester Stimme: „Lóng Húnpò*!“
*Drache Seele
Tag der Veröffentlichung: 05.04.2012
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