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Immer wenn es regnet

DIE NACHT DES JÄGERS

Immer wenn es regnet.  Immer wenn es regnet, passiert es.                                                 Immer wenn es regnet, passiert es in mir.                  Immer dann, wenn es regnet, passiert es mit mir.  

                                                                   

                                                      

Sobald die Tropfen an den Fensterscheiben hinablaufen, werden meine Augen flink.                                                       Sobald der Regen gegen die Scheiben klopft, werden meine Ohren hellhörig.

Sobald der Wind dieses Spiel mit lautem Geheul antreibt, erhitzt sich in mir das Blut und es rauscht beängstigend durch meinen Körper.

Versuche mich herauszuwinden. Die Bänder an meinen Handgelenken sind straff. Die Frau mit den penibel gelegten Haaren redet auf mich ein. Beruhigend.

Sie sagt, ich sei gut, ich sei gut, ich sei gut. Alles sei gut, alles sei gut, sei gut, gut. Ich würde geliebt, ich würde geliebt, würde geliebt, geliebt. Immer wieder, als könne sie das selbst nicht glauben. Die Frau mit den penibel gelegten Haaren tut nur ihren Job. Doch eines muss ihr klar sein: Ich habe sie nie darum gebeten.

Beine und Hüfte fest auf die Bahre gewickelt. Das Blut rast, doch mir ist keine Bewegung möglich. Kann die Hummel, die sich schwerfällig ins Haus retten konnte, nicht hören. Mein Blut zu laut.

Doch höre ich die Nadel, die sich in mein Fleisch stiehlt. Sobald sich das Raubtier durch meine Adern gewunden hat, werde ich zähflüssig und träge wie erkaltende Lava. Und dann …

Ja, danach liege ich, gleich einer Toten auf der Bahre und bin wehrlos. Die Bilder prügeln auf mich ein und ich bringe nicht mal mehr ein fiepen hervor.

Immer wenn es regnet.

Immer wenn es regnet trage ich seine Wäsche. Die Wäsche von ihm. Sitze bereit, in Position. Schaue auf das Telefon. Sein Telefon. Seine Geschenke an mich.

Immer wenn es regnet erwarte ich seinen Anruf. Seinen Aufruf, Dinge zu tun, die ich mir selbst nie ausdenken könnte. Das Diaphragma  ist gesetzt, bereit. Auf alles gefasst.

Immer wenn es regnet sitze ich auf dem Bett und visiere das Telefon an.        Immer wenn es regnet warte ich. Warte auf die Absolution. Doch es gibt kein Entrinnen. Aber wenn es dieses Mal regnet, wird sich etwas ändern. Entscheidend ändern. Einschneidend ändern!

Dieses eine Mal tue ich ihm den Gefallen. Den letzten Gefallen. Das letzte Mal in meinem Leben tue ich jemand anderem einen Gefallen. Danach nur noch ich, das habe ich mir geschworen.

Es läutet. Ich nehme ab. Er trifft mich an der Brücke, direkt unter der Laterne. Also, wie immer, wenn es regnet. Keinen Büstenhalter. Dieses Mal.                                   

Ich streife das edle Teil ab und schlüpfe in meinen Wettermantel.                    

Das Kerzenwachs läuft die Kerze hinab und tropft auf den kleinen Tisch. Ich lösche sie nicht. Ehe sie runter gebrannt ist, werde ich wieder hier sein.                      

Vor dem Spiegel halte ich inne. Vorwitzig linsen meine Brüste am Revers des Mantels hervor.                                                                                                                              

Zum Schutze der Frisur setze ich mir noch einen Hut auf. Seinen Hut. Seinen Hut für meine Frisur. Ein Geschenk an mich. Er mag keine nachlässig gelegten Haare. Ich schon. Nur noch dieses Mal. Dieses eine Mal. Danach werde ich niemals wieder einen Hut tragen.                                                                                               

Ich schließe den Mantel, öffne die Schublade der Kommode, umfasse das Messer und lasse es in die Manteltasche gleiten.                                                   

Ich bin ganz ruhig, lösche das Licht und schließe mit einem leisen Klick die Tür hinter mir.

Der kräftige Wind empfängt mich, zerrt an meinem Mantel. Schnell befestige ich den Hut mit dem Kinnband, damit er mir nicht vom Kopf wirbelt. Ein kurzer Blick hinauf zu meinem Zimmer. Freundlich flackert das Kerzenlicht. Wenn ich heimkehre, werde ich eine andere sein.

Die grauen Häuser in diesem Viertel erinnern an Katakomben. Scheinbar zur gleichen Stunde gehen hier alle Lichter aus. Ende der Spätnachrichten. Zeit für die Hausdamen, sich zur Ruhe zu legen. Scheinbar lebendig begraben.  Lockenwicklerbewickelt liegen sie in ihren Betten, um am nächsten Tage adrett das Frühstück zu präsentieren. Die Herren der Schöpfung gehen noch einmal vor die Tür und sehen sich im schummerigen Licht junge Mädchen an, bevor sie zu den Lockenwicklern zu Grabe kriechen.

Zügigen Schrittes gehe ich am Flussufer entlang. Ich kann ihn schon von weitem ausmachen. Die Konturen klar abgezeichnet im Schein der Laterne.                    

Es bringt ihn stets auf Touren, wenn ich erhitzt und leicht aus der Puste, die steile Treppe zur Brücke erklommen habe. Dieser Gedanke festigt meinen Entschluss. Die Finger spannen sich fest um den Messergriff.

Ich öffne die Knöpfe meines Wettermantels. Kühler Regen prasselt auf erhitzte Haut. Knospen wippen im Takt der Schritte. High Heels in Pfützen. Das Wasser sucht sich seinen Weg am Bauchnabel entlang und sammelt sich am Rand des Höschens, ehe dieser kapituliert und den Weg in die Tiefe freigibt.

Er gibt sich ruhig, dennoch lese ich in seinem Gesicht deutlich die Erregung ab. Er meint noch, ich hätte ihn lange warten lassen, doch nun sei ich ja bei ihm. Seine Hände gleiten an meinen Armen entlang bis zu den Händen. Ehe ich reagieren kann, pressen sich seine Finger so fest um mein Handgelenk, dass ich das Messer loslassen muss.

Er nimmt es und wendet es vor meinen Augen. Ich ungezogene Querulantin! Seine ungebändigte Perle. Er mustert mich ernst, als sei ich ein bockiges Kind. Mustert meine emporstehenden Brüste. Genau so wolle er mich haben, raunt er und zerschneidet beherzt mit dem Messer das Höschen. Spüre lange Finger in mir und denke an die Kerze, die ich doch besser hätte löschen sollen.

Ein inniger und zugleich tröstender Kuss, intim und zärtlich. Deswegen stehe ich hier. Lasse alle Skrupel von mir abperlen.

Der Regen verwässert alle Spuren. Der Regen wäscht alles sauber.

Er nimmt mich besser mit, erklärt er, bevor sein fester Griff keine Widerrede aufkeimen lässt.

Nimmt mich mit, in das Haus. In das Haus, wo sie liegen. Liegen und schreien. Hier kommen sie hin. All diejenigen, die gescheitert sind. Gescheitert an der Gerechtigkeit.

Den Dortigen erzählt er, er hätte mich aufgelesen. Vor dem Suizid bewahrt. So eine hübsche Perle.

Zähe Trägheit in meinem Blut. Die Erinnerungen toben.

Die Tür öffnet sich. Herr Doktor tritt ein. „Wie macht sich unsere hübsche Perle in dieser Regennacht?“

Die Frau mit der ruhigen Stimme und den penibel gelegten Haaren erklärt: „Sie ist heute Nacht sehr ruhig und entspannt. Das Schlimmste ist sicher überstanden, Herr Doktor.“

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

                           

 

Impressum

Bildmaterialien: Andrea Minutillo
Tag der Veröffentlichung: 03.04.2016

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