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Hitze-Tod

 

11:57 Uhr und 27 Sekunden

 

Undurchdringlicher Dunst schlug ihr entgegen. Fast erblindete sie daran. Hastig versuchte sie Luft zu holen. Vergebens. Die Nase verwehrte ihren Dienst. Magrit blinzelte. Der Nebel war zu dicht. Sie konnte nicht mal mehr ihre Fußspitzen sehen, geschweige denn, die Person, die sich zu ihrem Schutz ebenfalls in diesem Raum befand. Nicht zum ersten Mal stolperte sie in solch eine Situation. Das brachten die Geschäfte so mit sich. Diese Banditen sollten endlich mal sehen, wer hier das Sagen hat. Bisher war immer Verlass auf die Jungs gewesen. So zwang sie sich weiter zu gehen. Sie musste einen Platz finden. Direkt neben ihr ein Keuchen. Sie riss sich zusammen, ging vorwärts.

 

 

 

11:56 Uhr und 16 Sekunden

 

Neben Sophie nahm ein schlaksiger Kerl Platz. Nicht mal mit einem Blick bat er um ihr Einverständnis. Ihre Gestalt war klein und zart und wurde nur allzu häufig mit einem Spielzeug verwechselt. Doch weil sie zu diesem Zeitpunkt keine Aufmerksamkeit der anderen Dampfbadgäste gebrauchen konnte, ließ sie ihn gewähren.

 

 

 

11:58 Uhr und 2 Sekunden

 

Schon lange klebten die Haare auf seinem Haupt. Schier unerträglich erschien ihm diese Hitze. Friedhelm spielte mit dem Gedanken, diesen Ort zu verlassen. Doch musste er sein Gesicht wahren und ausharren. So war es abgemacht. Im Schutz des Nebels ließ er seinen Kopf von einer auf die andere Schulter rollen. Das machte es erträglicher. Zumindest ein Hauch von Bewegung, dachte er sich und ergötzte sich an dem leisen Lufthauch, der sich auf diese Weise über sein Gesicht stahl. Das schwere Atmen wurde zu einem Stöhnen. Es wurde lauter und dringlicher. Der heiße Nebel lähmte ihn. Es erschien ihm unmöglich, sich zu erheben um nach dem Rechten zu sehen. So verschloss er seine Ohren und schaukelte sich an einen kühleren Ort.

 

 

 

11:58 Uhr und 13 Sekunden

 

Das konnte nur das Stöhnen einer Frau sein. Magrit versuchte die Person auszumachen. Doch der Nebel verwehrte ihr die Sicht. Ihr eigener Atem rasselte laut in ihrer Brust, sodass sie die fernen Stoßseufzer nur gedämpft wahrnahm. Eigentlich war sie es, die hier aufstöhnen sollte. So wurde ihr zugetragen. Das Papier mit der zerlaufenen Schrift fand sie in ihrer Badetasche. Der Schweiß trat ihr aus den Poren und mischte sich mit der immens hohen Luftfeuchtigkeit. Sie legte den Kopf in den Nacken, schloss ihre Augen bis auf einen kleinen Spalt.

 

 

 

11:55 Uhr und 2 Sekunden

 

Mit ihren puren Händen sollte es geschehen. Ein Griff in den Nacken und alles war vorbei. Sie war eine Meisterin in diesen Dingen. Sie war sehr jung und niemand traute ihr etwas Böses zu. Das war der beste Schutz, nicht enttarnt zu werden.

 

 

11:57 Uhr und 24 Sekunden

 

Im Schutze dieses Dunstes tänzelten Edgars Finger ihren Arm hinauf. Ganz dicht kam er zu ihr heran. Ihre Schweißtropfen verbanden sich, Körper rutschten aneinander. Sophie spürte die Berührung auf ihren Lippen. Er würde schon sehen, wann er sich zu weit vor wagt, ging es ihr durch den Sinn. So ließ sich auf das Spielchen ein. Langsam schob sie ihre Zunge vor, schmeckte das Salz auf seiner Haut. Der Finger drängte in ihren Mund und neckte ihre Zunge, die sich lustvoll um ihn herum legte.

 

 

 

12:00 Uhr genau

 

Die Tür öffnete sich. Mit einem großen Tuch wedelte der Zeremonienmeister schwungvoll den Dunst aus dem Raum.

 

 

 

12:00 Uhr und 2 Sekunden

 

Edgar zog erschreckt seinen Finger zurück. Vor Erregung schaute seine Männlichkeit kraftvoll in den Raum. Beschämt versuchte er den Verräter mit seinen Händen abzuschirmen.

 

 

 

12:00 Uhr und 4 Sekunden

 

Magrit hatte noch immer den Kopf in den Nacken gelegt und genoss die frische Erleichterung. Ihre Augen waren in diesem Moment nur einen Spalt geöffnet. So konnte sie die schnelle, aber keinesfalls hastige Bewegung aus dem Augenwinkel auf sich zukommen sehen.

 

 

 

12:00 Uhr und 4 Sekunden

 

Damit hatte Sophie nicht gerechnet. Nun war es an der Zeit. Geschmeidig wie eine Katze schwang sie sich auf, vorbei an der Blondgelockten. Scheinbar nebenbei griff sie fest in die Nackenmuskulatur der nun doch überraschten Frau. Sekundenschnell sank Magrit auf ihrem Platz zusammen. Sophie glitt am Zeremonienmeister vorbei, wobei sie ihm noch kurz zuzwinkerte.

 

 

 

12:00 Uhr und 5 Sekunden

 

Friedhelm blickte die Situation einen Augenblick zu spät. Ehe er sich aufraffen konnte, war die schmale Gestalt bereits außer Sicht. Magrit saß ihm gegenüber. Ihr sah man kaum an, was soeben geschehen war. So verließ auch Friedhelm das Dampfbad, noch bevor die Zeremonie begann.

 

 

 

20:57 Uhr

 

Kurz vor Schließung des Bades wunderte sich das Personal, über die Ausdauer, die die blondgelockte Frau im Dampfbad an den Tag legte.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 23.09.2014

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
HITZE-TOD ANDREA MINUTILLO

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