Es gibt nur wenige Lehrer, die keine sind. Die meisten sind bedauerlicherweise durch und durch Lehrer in ihrer ganzen grässlichen Lehrerhaftigkeit. Leute unterrichten das Land, die eigentlich niemanden unterrichten sollten, Erwachsene nicht, Kinder schon gar nicht.
Mit ihrem beständig auf die Finger klopfenden Blick, schauen sie Welt und Menschen an. Sie glauben an eine unumstößliche Ordnung mit festem ‚Falsch’ in den kleinsten
Dingen. Es gibt keine Meinungs- oder Geschmacksunterschiede, nur ‚richtig’ und ‚nicht richtig’, nur ‚gut’ und ‚schlecht’. Sie glauben an die Existenz einer Richtigkeit der Mappenfarbe, des Seitenrandes, der Reihenfolge, der Abkürzung, des Stiftes, der Ausdruckweise und überhaupt - nichts kann auf verschiedene Art gleich gut sein, alles hat ein Ideal. Und dieses Ideal ist ein ordentliches, eingezwängtes, diszipliniertes. Der beste Stift ist der ordentlichste, die beste Ausdrucksweise die „genaueste“, die ordentlichste, langweiligste. Oft gibt es keine eigentliche Norm, oft wird, da es immer eine Norm geben muss, da die Lehrer ohne Norm nicht leben können, willkürlich bloßer Geschmack als Norm und Ideal ausgegeben: Grün soll die Mappe sein, abgekürzt soll der Name werden. „So wie man das macht“ steht immerfort in ihren (Lehrer-)Gesichtern.
Sie glauben nicht nur an die Existenz eines
Ideals in Detailfragen, sie glauben auch, das Ideal zu kennen. Sie wissen, was richtig ist, sie, die Lehrer. Sie sind imstande zu belehren - und es ist notwendig jeden zu jeder Zeit zu belehren.
Der einzige Grund jemanden zu bewundern, was manchmal bedeuten kann, ihn nicht zu belehren, ist ‚Autorität’. Die Lehrer bewundern Autoritäten, Höherstehende in der titelgepflasterten Rangfolge, an die sie glauben. Sie sind die autoritätsgläubigen und heimtückischen. Sie glauben an Ordentlichkeit, Fleiß, Autoritäten.
Grenzenloses Denken, Kunst, Wolken, Tanzen und wirkliche Musik kennen sie nur dem Namen nach, obgleich sie oft ins Theater gehen. Das tun sie, aber sie langweilen sich dort - es sei denn, sie kommen in ein Theater, das sich bereits ihrer Art entsprechend verlangweiligt hat, und davon gibt es viele. In den letzten Jahrzehnten haben sich die Theater verlangweiligt, weil zu viele Lehrer in ihnen gesessen haben, dort gesessen und ihren Lehrergeist ausgeströmt haben und weil die Theater irgendwann gemerkt haben, dass sie nur noch für Lehrer da sind.
Sie lassen Unterm Rad
lesen. „Was will der Autor damit sagen?“, fragen die Lehrer und geben sogleich selbst die Antwort, die sie in Wirklichkeit nicht kennen, nicht kennen wollen und nicht kennen können. Der Autor, die Aussage, sagen sie, die Aussage, die Handlung, die Figuren, sagen sie und schreiben die richtige Interpretation an die Tafel. Hans Giebenrath, der hinten in der vorletzten Reihe sitzt, bekommt von ihnen eine schlechte Note für Unordentlichkeit und weil er die Aussage nicht verstanden hat.
Jedes Jahr werden wieder vom Stumpfsinn noch nicht eingeschliffene Hoffnungsträger eingeschult. Diese Vorstellung ist unerträglich. Es ist das Elend der Nation. Die, die nichts davon wüssten, noch völlig frei wären vom neurotischen Besserwissertum, werden jedes Jahr vereinnahmt. Ihre frischen Geister werden langsam in die Schablone gültigen Denkens gedrückt – und dazu noch der schlimmsten Form gültigen Denkens: dem der Lehrer. Dem von den Lehrern für dieses gehaltene.
Gerade die, die man vor aller Welt verschließen sollte, unter Quarantäne stellen sollte, damit sie niemanden anstecken, gerade die werden auf die neuen Menschen angesetzt, die fortan „Schüler“ genannt werden, was schrecklich genug, aber dennoch nur eine Tarnung ist, denn aus den Eingeschulten werden mit der Zeit Lehrer, nichts anderes. Die Lehrer machen kleine Lehrer aus ihnen, bis schließlich niemand mehr übrig ist, nur noch Lehrer.
Einigen gelingt es glücklicherweise mehr oder minder standzuhalten und am Ende nur einen sehr kleinen Lehrer in sich zu haben. Ein Leben lang aber müssen die Belehrten sich abmühen, sich von den Lehrern, zu denen sie geworden sind, zu befreien…
Tag der Veröffentlichung: 01.02.2009
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