Der Coach
Vor einigen Jahren besuchte ich ein sogenanntes Motivationstraining, übers Wochenende.
Man hatte mir dazu geraten und warum? Ich KANN einfach nicht nein sagen, das war schon immer so. Irgendwann fühlte ich mich regelrecht ausgenutzt, mutierte zum seelischen Mülleimer nein, zur seelischen Mülldeponie und wenn ich mal mit jemandem reden wollte blieb mir am Ende „nur“ die Telefonseelsorge. Nach längeren Gesprächen mit deren Mitarbeitern wurde mir gerne mal ein Job angeboten( selbstredend ehrenamtlich, hätte ich auch noch auf mich genommen)…warum? Ich kann doch nicht nein sagen.
Dann traf ich eine alte Bekannte die mir begeistert von ihrem Motivationstraining erzählte, sie war hin und weg ( nach drei Tassen Kaffee, wir hatten uns in der Eisdiele getroffen) und ich schaute ziemlich verdattert den Flyer des Wochenendseminars an, es war teuer, fast unerschwinglich für mich, ich überlegte ob mein Göttergatte mich wohl sponsern würde.
Er tat es und ich meldete mich zu diesem „ Schacka, du schaffst das“ an, eine Woche später fuhr ich los ein hübsches, kleines Hotel im Hochsauerlandkreis lugte einladend zwischen prächtigen Laubbäumen hervor, mein Zimmer mit Blick in den Wald war ein „ Traum“ in altrosa, so gar nicht meine Farbe aber egal, sicher würde mir der Abstand zum Alltag gut tun.
So ging ich frohen Mutes runter in die gemütliche Hotelhalle um meine Mitstreiter kennen zu lernen. Keiner war anwesend, es stand doch klar und deutlich 16 Uhr gemeinsames Kaffeetrinken, gegenseitiges „ Beschnuppern“ ein wenig erzählen und so weiter. Na, wo waren denn alle? Außer dem jungen Mann an der Rezeption und einem gutaussehenden Mittvierziger sah ich niemanden, ah; man wurde auf mich aufmerksam, der junge Mann wuselte hinter seiner Theke hervor und fragte mich nach meinen Wünschen, ich bestellte ein Kännchen Kaffee und fragte nach der verschwundenen Gruppe.
„ Ahja, da fragen Sie am besten den Meister“ und schon rief er“ Lenny, kommst du bitte mal.“ Lenny holte einen Kamm aus der Gesäßtasche kämmte sich die Locken und schwebte auf mich zu.“ Herzlich Willkommen Gnädigste, auf eine schöne und erfolgreiche Zeit“, flötete er und setzte sich nonchalant auf den Sessel neben mich. Bevor ich etwas sagen konnte erhob Lenny den Zeigefinger, drohte spielerisch damit“ na, da haben wir uns wohl etwas verspätet, meine liebe…böse, böse die anderen sind schon im Wald, Bäume umarmen hah, wunderbar.“
„ Also, ich bin Lenny du kannst auch gerne Cherie zu mir sagen und wie heißt du?“
„Anna, sagte ich völlig verdutzt, außerdem habe ich mich nicht verspätet ihr habt nicht auf mich gewartet und aus wie vielen besteht die Gruppe?“
Mittlerweile war Lenny- Cherie mit seinen Fingernägeln beschäftigt aber er antwortete.
„ Mit dir und mir sind wir zu fünft, da ist das reizende Ehepaar Meiyerling, die kommen jedes Jahr und der alte Herr Oberst Fürchner, der gibt uns das erste Mal die Ehre.“
„ Das sind ja sehr wenige, ich dachte wirklich es wären mindestens 10 oder 15 Leute.“
„ Meine liebe, die Erfahrung zeigt dass man in kleinen Grüppchen viel besser arbeiten und motivieren kann, du wirst schon sehen.“ Nun war er ein wenig beleidigt, er sprang von seinem Sessel, klatschte in die Hände und sagte“ nun aber auf in den Frustraum, die anderen werden gleich zurück sein und dann beginnt unsere Frustrunde, die mag ich besonders gerne, bis gleich und zieh dir was bequemes an.“ Ich beschloss auf die anderen zu warten um einfach mal zu schauen was da auf mich zukam, lange musste ich nicht warten. Schwungvoll öffnete sich die Tür, um nicht zu sagen, sie krachte gegen das Mauerwerk. Zuerst kam eine wohlbeleibte Dame im Trainingsanzug herein, gleich hinter ihr ein kleiner ziemlich dünner Mann, beide so Mitte – Ende 60. Dann ein großer drahtiger, weißhaariger Herr mit mürrischem Gesicht, auch er trug Ballonseide. „ Eberhard, du kannst einfach keinen Baum umarmen ohne wie ein kleines Kind zu heulen, was soll das immer?“ „ Aber Traudel, du weißt doch genau dass ich sen…weiter kam er nicht, Traudel bedachte den armen mit einem erster Klasse Gletscherblick, der andere Herr schnaufte und murmelte was sich verdächtig nach“ Was für Proleten“ anhörte. Ich wollte gerade aufstehen, da sah mich die dicke Traudel und kam schnurstracks auf mich zu.
„ Oh, ein neues Gesicht wie schön dass Sie doch noch zu uns gefunden haben, ich heiße Traudel und das da ist Eberhard, mein Mann.“ Sie flötete fast so schön wie Lenny.
„ Freut mich Sie kennen zu lernen, ich bin Anna.“
„ Huch, wir müssen uns beeilen Cherie wartet, kommen Sie Oberst und du Eberhard mal sehen, was uns die Stunde diesmal bringt, meine liebe ziehen Sie sich rasch um.“
Ich zog mich also um, eine Jeans ein T- Shirt und Turnschuhe, keine Trainingsklamotten und schon gar keine Ballonseide, als ich nach unten kam standen die anderen schon in der Halle, gewandet in Muskelshirts, Shorts und halbhohen engen geschnürten Stiefeln, außer der Oberst der trug auch Jeans und T- Shirt und eine Art Hausschuhe, sofort flog ihm mein Herz zu.
„ So, Kinderchen auf ins Getümmel, Herr Oberst Sie tragen das falsche Outfit“ sagte Lenny.
Der Oberst ging strammen Schrittes auf eine ziemlich schmale Tür zu, ohne Lenny auch nur eines Blickes zu würdigen.“ Tss, na dann eben nicht, sagte Lenny und tänzelte zur Tür, gleich verfolgt von Traudel, die sich durch die Tür quetschte und dabei ihrem Eberhard auf den Fuß latschte. Der Raum war lächerlich klein, vollgestopft mit Turnmatten an den schmalen Wänden hingen irgendwelche Kletterstangen und von der Decke drei Sandsäcke.“ Lächerlich“ hörte ich den Oberst knurren, “ wo bin ich hier nur gelandet?“ „ Meine lieben setzen wir uns erstmal auf unsere Matten und reden wir uns alles von der Seele, ihr könnt mir alles anvertrauen, Anna du zuerst…dann der Herr Oberst und dann unsere liebe Traudel“ sagte Lenny- Cherie, Eberhard wurde übergangen. Sicher hatte er keine Probleme, kein Wunder bei DER liebenden Gattin! Ich nahm Blickkontakt mit dem Oberst auf, (er zwinkerte mir tatsächlich zu)…und sagte „ ich würde gerne dem Herrn Oberst Fürchner den Vortritt lassen, ich muss mich noch etwas sammeln.“ „ Wie du willst meine liebe und wäre der Oberst denn auch einverstanden“ sagte Lenny und sah denselben lauernd an. Der Oberst sprang in Hab Acht Stellung auf und redete mit fester, sonorer Stimme 20 Minuten lang über seinen viel zu frühen Ruhestand, seiner Meinung nach sollten alle gefälligst dienen, für Gott und ihr Vaterland und nicht nur bis Mitte fünfzig sondern bis mindestens siebzig oder achtzig. Oje, der spinnt ja auch dachte ich resigniert.“ So, so Herr Oberst Sie sind erzürnt“, sagte Lenny „nun dann schlagen Sie doch einen Sandsack K.O. oder ein paar Teller, ich bringe sie Ihnen gerne…“ Unsinn, ich laufe ein paar Runden damit ich diese dicke Frau und ihren geknechteten Ehemann nicht die ganze Zeit sehen muss.“ „ Das ist eine Unverschämtheit schrie Traudel sofort los, Eberhard geknechtet? Ich bin es doch, die Probleme hat mit ihm und ich bin nicht dick, Cherie sag was dazu auf der Stelle!“
Aber Lenny schaute nur dümmlich vor sich hin, der Oberst hatte sein Heil in der Flucht gesucht, Traudel war puterrot und fummelte an ihren BH- Trägern herum, Eberhard sah sehr unglücklich zu mir rüber, als könnte ich die Situation irgendwie entschärfen. Ich versuchte es.
„ Bitte beruhigt euch doch, der Oberst kommt schon wieder zur Vernunft, wir sind doch zivilisierte Menschen, oder?“
Lenny blickte mich zweifelnd an, wahrscheinlich war in wenigen Minuten sein ganzes Weltbild aus den Fugen geraten, er tat mir wirklich leid.
Allerdings fing der Gute sich überraschend schnell wieder, “ was ist mit dir Anna, was plagt dich denn so sehr?“ Bevor ich antworten konnte zischte Traudel wütend vor sich hin, wie ein Teekessel kurz bevor die Tülle abspringt.“ Cherie, ich bin ja jetzt wohl wichtiger als diese Anna, ich wurde zutiefst gekränkt und bestehe darauf dass du diesen Oberst Dingsbums rauswirfst, das bist du mir schuldig.“ „ Er hat doch Recht, du behandelst mich wie einen Dummen August und das schon seit Jahren, außerdem BIST du dick, furchtbar dick sogar.“
Lenny blieb der Mund offen stehen, er konnte einfach nichts sagen so etwas hatte er sicher noch nie erlebt…ich auch nicht.
Während Traudel sich alle Mühe gab ihren Eberhard in den Schwitzkasten zu nehmen, suchte Lenny- Schatzi meinen Blick, flehentlich so als wolle er sagen, “ hilf mir doch, es ist alles aus dem Ruder gelaufen und ich habe Angst.“
Also stand ich auf und sagte ganz ruhig“ es hat sich doch alles geklärt, der Oberst dreht draußen seine Runden, und wie es aussieht werden Traudel und Eberhard wohl sehr bald getrennte Wege gehen ( Eberhard immer noch im Schwitzkasten nickte erleichtert), Lenny, du solltest die beiden mal trennen.“
„ Und was ist mit dir Anna, du hast doch dieses Problem, was war es noch gleich?“
„ Ach, das hat sich erledigt, eigentlich habe ich keine Probleme.“
„ Ja, hast du irgendeine psychologische Ausbildung Anna, wir könnten zusammenarbeiten, wäre das nicht wunderbar?“ Lenny strahlte mit blitzenden Zähnen zu mir auf.
Ich sagte „ NEIN“, dann verließ ich den Frustraum, packte meine Tasche und verließ das Hotel.
Als ich endlich draußen war, sah ich Lenny – Cherie hinter dem Oberst herlaufen, laut rufend und händeringend. Was aus Traudel und Eberhard wurde weiß ich leider nicht und der Herr Oberst? Vielleicht dient er ja wieder? Ehrenamtlich versteht sich. Und Lenny? Meine Bekannte erzählte mir er hätte den Beruf gewechselt, jetzt ist er Bäcker.
Copyright by Sigrid Ackermann
Tag der Veröffentlichung: 20.10.2020
Alle Rechte vorbehalten