Im Jahre 2060
Bücher verboten!
Er schaute die Frau mit dem Buch unterm Arm ausdruckslos und dennoch finster an. Seine blechern klingende Stimme schien tief aus ihm, (oder war es eine sie?) zu kommen.
Sie sah zu diesem Wesen auf, ohne eine Spur von Angst zu zeigen, sie wusste dass sie bei der geringsten Unsicherheit verloren war.
Er sagte ohne die leiseste Gefühlsregung und ohne eine wahrnehmbare Klangfarbe seiner Stimme, „ Sie wissen dass gedruckte Worte bei Strafe verboten sind, was Sie unter Ihrem linken Arm tragen sieht aus wie ein Buch, ich fordere Sie hiermit auf dieses auf der Stelle der Behörde zur Vernichtung der freien Gedanken zu übergeben, des Weiteren erteile ich Ihnen eine Verwarnung.“
Sie holte einmal tief Luft, das verschaffte ihr etwas Zeit sich eine Antwort zu überlegen.
Bei diesen, ja; was waren sie denn nun? Sie waren hochentwickelte Roboter, allerdings waren sie nicht aus Metall, sie waren aus Fleisch und Blut. Sie sahen aus wie Menschen, sie schwitzten, sie hatten Mundgeruch, doch keinerlei menschliche Emotionen. Eigentlich waren sie Maschinen, die von der Regierung abgestellt waren, um die wenigen echten Menschen zu kontrollieren. Maschinen mit gefährlicher Intelligenz.
Er sprach weiter, mit dieser tonlosen Karikatur einer menschlichen Stimme.
„ Ich benötige Ihre Kenn – Nummer, bitte geben Sie mir Ihre Kenn – Nummer, sofort!“
Kirsten wühlte in der Gesäßtasche ihrer Jeans herum, die Jeans war viel zu weit und in den Taschen konnte sich so manches verstecken. Sie wurde misstrauisch beobachtet und nun wurde sie nervös, nur nichts anmerken lassen, dachte sie und endlich bekam sie die kleine Plastikkarte zu fassen. Sie gab sie ihm, er zog eine Art Stift aus der Tasche seiner Uniform studierte die Karte, zog den Stift über einen Magnetstreifen und gab sie ihr zurück.
„ Sie leben im vierzehnten Bezirk, Sie heißen Kirsten Rupert verheiratet mit Holger Rupert, ein Kind, ist das richtig?“
Ja, wir haben eine kleine Tochter ihr Name ist…“ unwichtig sagte er, Sie befinden sich im falschen Bezirk, was tun Sie hier?“
„ Ich, ich habe eine Freundin besucht“, stotterte Kirsten das wird doch wohl noch erlaubt sein“ sagte sie nun gereizt.
„ Ja, wenn Ihre Kontaktperson in Ihrem Bezirk lebt, doch das ist nicht der Fall. Ich muss Sie mitnehmen.“
Sie hatten nicht nur die Bücher verboten, es gab auch keine Presseerzeugnisse mehr nicht mal so etwas Simples wie TV Zeitungen, oder Handarbeitshefte oder Kochbücher und auch keine Bilder – oder Bastelbücher. Sie hatten einfach alles abgeschafft, was irgendwie Spaß machte.
Und sie hatten die sogenannte >>Einkindpolitik>> eingeführt. Wie damals in China. Jede Familie durfte nur ein Kind haben, die Frau musste mindestens 21 Jahre sein bevor sie schwanger werden durfte, der Mann nicht älter als 30 Jahre. Dieser Gesetzesentschluss wurde ausschließlich von der Frauenpartei verabschiedet und jede Zuwiderhandlung wurde mit Gefängnis nicht unter 2 Jahren geahndet.“ Was ist das für eine verrückte Welt“, dachte Kirsten als sie neben dem hochentwickelten Roboter Richtung Ordnungs- Station ging, sie mussten ihr einen Anruf erlauben, auch das war Gesetz. Sie wusste es aus dem dicken Ordnungskatalog, den jeder besaß und den jeder lesen musste, DAS war erlaubt.
Schließlich musste Holger wissen, wo sie so lange blieb, er machte sich immer so schreckliche Sorgen.
Es dauerte nicht allzu lange bis sie und ihr Wachhund bei der Ordnungs- Station Bezirk 12 anlangten, ein düsteres Gebäude empfing sie und sie legte sich schon eine plausible Ausrede zurecht. Ihr Begleiter zog wieder den dünnen Stift aus der Tasche, hielt ihn vor eine Kamera und schon glitt die Tür auf, die beiden traten ein, in einen grellerleuchteten Flur mit vielen gepanzerten Türen. Eine öffnete sich wie von Geisterhand, es stand nur ein einziger Schreibtisch darin, dafür aber jede Menge Aktenschränke alle mit Kameras ausgestattet.
Hinter dem sehr aufgeräumten Schreibtisch saß eine ziemlich dralle Blondine, mit mürrischem Gesicht und einer unmöglichen Frisur, alles was sie an Haaren hatte war in Zöpfchen und Löckchen nach oben gekämmt.
Mit barscher Stimme sagte sie,“ was gibt es Nummer 2013, ach ich sehe es schon, wieder mal ein 43ziger…und ich dachte wir hätten alle gedruckten Ablenkungsexemplare vernichtet, aber es rutscht immer wieder mal was durch, nicht wahr?“
Dabei musterte sie Kirsten von oben bis unten, besondere Aufmerksamkeit schenkte sie deren Gesicht, um auch ja nicht die kleinste Spur Make Up zu übersehen, dann winkte sie Kirsten lässig zu sich, ohne den geringsten Schmuck an ihren Händen, sie trug nicht einmal eine Uhr.
Kirsten stand wie eine arme Sünderin vor dem Schreibtisch, und trotzdem fühlte sie eine unbändige Wut in sich. Nummer 2013 hatte sich aus dem Staub gemacht, vielleicht musste er Treibstoff auffüllen.
Die Blondine holte eine dünne Akte aus einer Schublade, studierte diese eine Weile und sagte, “ also ein Vergehen gegen die Regierung, der Besitz eines gebundenen Schriftstückes, das wird Sie teuer zu stehen kommen meine Liebe, wo haben Sie das her und befindet sich noch mehr in dieser Art in Ihrem Besitz. Haben Sie keinen Ordnungskatalog zu Hause, oder haben Sie den nicht gelesen, oder nicht verstanden?“
Kirstens Stimme zitterte, dennoch sagte sie klar und deutlich, “ natürlich habe ich den gelesen und das nicht nur einmal, es ist ja die einzige Lektüre; die uns noch bleibt und dieses Buch hat mir meine Großmutter hinterlassen, es sind nur Gedichte.“
„ Nun werden Sie hier mal nicht frech, händigen Sie mir auf der Stelle das Buch aus, ich muss hineinschauen. Nicht einmal unsere Schulkinder besitzen gedrucktes Material und unsere Studierenden auch nicht. Sie wissen so gut wie ich, das nur noch mit speziellen Computern gearbeitet wird, von der Regierung programmiert und genehmigt, wo kämen wir hin wenn jeder nach Belieben Bücher lesen würde, das wäre äußerst schädlich für den menschlichen Geist und brandgefährlich.“
Kirsten gab ihr widerwillig das Buch, sie hatte einen dicken Kloß im Hals und hinter der Stirn wüste Verwünschungen.
Madam „ Turmfrisur“ blätterte lustlos das Buch durch, dann schloss sie es ein, in einen der Aktenschränke, mit der Beschriftung >> Regierungsfeindliches Dokument >> es waren schon andere Bücher darin. Sie nahm eine Art Scheckkarte und hielt diese vor die Tür, eine Leuchtschrift verkündete „ Ausschuss zur Vernichtung“, Kirsten stockte schier der Atem, es war das Einzige Andenken an ihre Großmutter und überaus harmlos, was würde ihr jetzt nur für eine Strafe drohen, sie dachte an Holger, sicher war er sehr in Sorge um sie.
„ So, das hätten wir“, sagte die Blondine und nahm sich einen kleinen schwarzen Kasten, der sich als Diktiergerät identifizieren ließ, sie sprach hinein.
„ Hier Inspektorin Brauner, ich habe soeben einen 43ziger für die Beseitigung sichergestellt.“
Kirsten fasste sich ein Herz, sie fragte, “ was wird jetzt passieren, mit mir, und ich möchte meinen Mann anrufen, ich habe das Recht dazu.“
„ Gar nichts haben Sie, Sie werden eine Nacht bei uns bleiben, morgen werden Sie dem Oberinspektor für verbotenen Literaturbesitz vorgeführt und dann sehen wir weiter, ist der Inhalt dieses Objektes in irgendeiner Form Regierungsfeindlich kostet Sie das mindestens ein halbes Jahr Ihrer Freiheit, kapiert?“
Kirsten war entsetzt, sie dachte an Holger und vor allem an ihre süße, kleine Maddy. Was sollten die zwei nur ohne sie tun?
Die dicke Inspektorin sah sie lauernd und höchst zufrieden an, ein selbstgefälliges Lächeln umspielte ihre Lippen.
Plötzlich schrillte eine Alarmglocke, aus unzähligen Lautsprechern tönte eine panische Stimme, sie schrie förmlich>>Achtung – Achtung Wasserrohrbruch im Gebäude Alle Androiden müssen sofort ihre Aufsichtsbüros verlassen >>
Kirsten schaute gerade nach oben, an die Decke da hörte sie einen gewaltigen Rums.
Die Haar Turmgekrönte Matrone verdrehte komisch die Augen, aus ihren Ohren qualmte es und sie sprühte Funken, dann brach sie zusammen. Über ihrem Schreibtisch, der jetzt nicht mehr aufgeräumt aussah.
Kirsten ging vorsichtig zu ihr, sie hatte die Füße im Wasser und schaute Kirsten mit elektrischen Blitzen verständnislos an.
Das war der Moment in dem Kirsten bewusstlos wurde, sie sackte einfach in sich zusammen.
Nach einer gefühlten Ewigkeit hörte sie Vögel zwitschern, sie lag sicher und warm in ihrem Bett. Die Tür flog auf und ihre drei Kinder ließen sich jauchzend über sie fallen, Holger stand im Türrahmen, grinste und sagte, “ Guten Morgen du Schlafmütze und alles Liebe zum Muttertag.“
„Was für ein furchtbarer Albtraum“, sagte sie und packte ihr Geschenk aus, ein Buch.
Tag der Veröffentlichung: 19.10.2020
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