Cover

Prolog

Thiagos Blick wanderte zu seinem Gefährten Elano, der neben ihm lief und in seinem Outfit einfach zum Anbeißen aussah. Elano war zwar nicht so groß und muskulös wie Thiago, wirkte aber auf andere nicht weniger kraftvoll und dominant. Seit der Gründung der International Shifter Task Force, kurz ISTF, waren sie ein Teil der Krieger, die in deren Namen kämpften.

Sein Löwe brummte zufrieden in Thiagos Kopf. Er liebte es, für die seinen kämpfen zu können und war gut darin. Sein Liebster war ein Adlerwandler, um genau zu sein ein Weißkopfseeadler und gehörte zu den besten Zweikämpfern in ihrer Einheit. Er bewegte sich auf zwei Beinen ebenso geschmeidig wie in verwandelter Form. Leise seufzend griff Elano nach Thiagos Hand, was diesen dazu brachte, ihn lächelnd anzusehen.

Verdammt, er liebte diesen Mann so sehr und konnte es kaum abwarten, mit ihm an seiner Seite alt zu werden. Für ihn war die Welt in Ordnung, wenn Elano bei ihm war.

Aus diesem Grund war er dankbar, dass ihre Vorgesetzten sie gemeinsam für diesen Auftrag ausgewählt hatten.

Sie waren dafür abgestellt worden, einen jungen Mann zu observieren. Dieser war der Sohn eines der hauptverantwortlichen Mitglieder der menschlichen Organisation, die Wandler entführen ließ, um diese an den Meistbietenden zu verkaufen.

Laut der Akte, die man ihnen übergeben hatte, war Mitya 23 Jahre alt und arbeitete als Erzieher in einem Kindergarten. Nach außen schien es, als habe er keinen Kontakt mehr zu seiner Familie, doch in diesem Fall wollte man auf Nummer sicher gehen. Sollte Mitya doch Zugang zu den höchsten Kreisen innerhalb dieses Gefüges aus abgrundtief schlechten Männern und Frauen haben, wäre er das perfekte Druckmittel oder könnte, sollte er dazu bereit sein, zu einem Spitzel für sie werden.

Deshalb standen sie jetzt vor einer Bar, in der es Livemusik und Karaoke-Abende gab. Über dem Eingang war eine Regenbogenflagge angebracht. Dies war ein zusätzlicher Grund gewesen, warum man ausgerechnet sie ausgewählt hatte. Elano und er mussten nicht so tun, als gehörten sie zusammen.

Grinsend beugte er sich zu seinem Gefährten und hauchte einen Kuss auf dessen so weiche Lippen. Es kam selten vor, dass er sich dies während der Arbeit erlauben konnte und würde es schamlos ausnutzen.

Bei allem Geturtel behielten Elano und er ihre Umgebung immer im Auge und registrierten jeden Mensch und Wandler, der sich in ihrer Nähe aufhielt. Jeder von ihnen stellte eine potenzielle Gefahr dar.

Thiago musste ein Knurren unterdrücken. Wenn es um Elano ging, dann kannte er keine Gnade. Sollte jemand so dumm sein und ihn bedrohen, dann würde Thiago alles daransetzen, diese Gefahr auszuschalten, auch wenn er wusste, dass sein Mann dazu selbst in der Lage war.

„Lass uns hineingehen“, raunte er an Elanos Lippen, ehe er sich noch einen langen Kuss raubte.

Etwas atemlos nickte dieser schließlich und zog ihn hinter sich her in die Bar.

An einem der Tische in der Nähe des Podests, das als Bühne genutzt wurde, ließen sie sich nieder und bestellten sich kurz darauf jeweils einen Cocktail, den ihnen die Kellnerin recht zügig brachte.

Das Lokal war sehr gut besucht, sodass sie inmitten all der anderen nicht auffielen. Da sie unentdeckt bleiben wollten, war es gar nicht schlecht, dass sie ein wenig in der Masse untergingen.

Die ersten Gäste gaben schon bald ihr Können zum Besten oder eher den Beweis dafür, dass sie definitiv nicht für eine Gesangskarriere gemacht waren.

„Na, soll ich nachher auch mein Glück versuchen und unser Lied singen?“, fragte Elano und schmunzelte. Thiagos Liebster besaß eine wundervolle Stimme, der er stundenlang lauschen konnte.

„Du weißt, dass ich es liebe, dich singen zu hören. Wenn du möchtest, dann bin ich der Letzte, der dich davon abhalten wird.“

Noch heute erinnerte sich Thiago daran, wie er Elano zum ersten Mal gesehen hatte und nicht widerstehen konnte, ihn um einen Tanz zu bitten.

Gerade als er damals zugestimmt hatte, legte der DJ, nach einigen schnellen Songs, All of me von John Legend auf.

Ihm war es nur recht gewesen, da er so die Gelegenheit bekommen hatte, dicht an Elano gedrängt mit diesem zu tanzen. Während sie sich eng aneinandergeschmiegt bewegt hatten, war beiden bewusst geworden, dass sie Gefährten waren. Den Widerhall in seiner Seele, der ihn beim ersten Mal, als er ihn wahrnahm, fast umgehauen hatte, spürte er auch jetzt noch und konnte sich nicht vorstellen, jemals wieder ohne leben zu müssen. Dieser Mann mit den sanften braunen Augen und dem eisernen Willen war seine Welt.

Er wandte den Blick gerade von seinem Mann ab, als ihr Zielobjekt die Bühne betrat. Sofort wich alles Spielerische aus ihm und er war ganz Kämpfer.

Kapitel 1

Von den Fotos in der Akte wusste Thiago, wie Mitya aussah, jedoch wurden ihm diese Bilder nicht gerecht. Der Mensch wirkte noch sanfter und hatte, dank der fast weißblonden Haar, der hellen Haut und der strahlenden hellblauen Augen, die Thiago selbst in dem eher spärlichen Licht ohne Probleme erkennen konnte, etwas von einem Engel.

Er musste sich selbst zur Ordnung rufen. Dieser Kerl könnte sich im Handumdrehen als Feind entpuppen, der sie, ohne darüber nachzudenken, einfach opfern würde. Solche Gedanken waren vollkommen fehl am Platz.

Obwohl er dies wusste, konnte er das Beben nicht unterdrücken, das ihn durchlief, als Mitya ausgerechnet All of me zu singen begann. Wieso, um Himmels Willen, kam es ihm so vor, als würde dieser Kerl es für ihn singen? Und wieso sprach es etwas in seiner Seele an? Lage es daran, was Elano und er mit diesem Song verbanden?

Je länger er lauschte, desto schneller schlug sein Herz. Dieser Mann sah nicht nur wie ein himmlisches Wesen aus, nein, er klang auch wie eines.

Den Blick von Mitya zu nehmen, verlangte Thiago alles ab, doch er musste sich versichern, dass sein Gefährte nicht gemerkt hatte, wie gebannt er von diesem Fremden war. Was er sah, hätte ihn umgehauen, wenn er nicht schon gesessen hätte. Elanos Augen fixierten Mitya, waren die seines Tieres. Als Thiago in sich hinein spürte, erkannte er, dass Elano ebenso aufgewühlt war wie er und dass es denselben Grund hatte.

Elano wandte sich ihm zu, wirkte wie berauscht.

„Was geschieht gerade mit uns?“, fragte er mit zitternder Stimme, griff nach Thiagos Hand und drückte sie so fest, als brauche er den Halt, um sich nicht selbst zu verlieren.

Wenn Thiago es nur wüsste.

„Ich habe keine Ahnung, wenn ich ehrlich bin“, gestand er seinem Gefährten, zog ihn enger an sich und konnte sich nicht davon abhalten, wieder zu Mitya zu blicken, der noch immer hingebungsvoll sang.

So vieles schoss ihm durch den Kopf, doch er konnte sich kaum auf etwas konzentrieren.

War es möglich, dass die Menschen, gegen die sie kämpften, einen Weg gefunden hatten, Wandler zu beeinflussen? Thiago konnte es sich nicht vorstellen, denn Reaktionen wie die, die Elano und er zeigten, kamen tief aus der Wandlerseele. Diese konnte niemand manipulieren.

Es wurde ihm heiß und kalt, als ganz langsam eine Erkenntnis in ihn sickerte. Das, was er gerade empfand, hatte er auch gefühlt, als er Elano zum ersten Mal gesehen hatte. Doch es war unmöglich, denn so etwas spürte man nur einmal. Er hatte seinen Gefährten, den Einen, schon gefunden. Elano saß neben ihm. Er roch seinen überwältigenden Duft, spürte seine Berührung, wusste, wie der andere schmeckte.

Stimmte etwas mit ihm nicht?

War die Verbindung zu Elano ein Fehler des Schicksals gewesen, das jetzt versuchte, es geradezubiegen? Aber wieso war es dann ein Mensch, der diese Reaktionen bei ihm auslöste? Und warum erging es Elano ebenso? Himmel, bald würde ihm sicher der Kopf von all den unbeantworteten Fragen explodieren.

Um sie herum erhob sich Applaus. Erst jetzt bemerkte Thiago, dass Mitya das Lied beendet und das breite Podest verlassen hatte.

Als er an Elano und ihm vorbeilief, erwiderte er Thiagos Blick und seine hellen Wangen erröteten merklich. Trotz der Gespräche um sie herum, konnte er ganz deutlich Mityas Herzschlag wahrnehmen, der unregelmäßig wurde, ehe er förmlich davonzurasen schien.

Ein Ruck ging durch Mitya. Er wandte sich schnell ab und war auch schon in der Menge verschwunden.

Neben ihm sprang Elano auf.

„Wir müssen ihm folgen!“, rief er aus und Thiago wusste, dass sein Liebster dies nicht nur sagte, weil sie ihn im Auge behalten mussten. Wortlos nickte er, stand ebenfalls auf, nahm die Hand seines Mannes in seine und zog ihn mit sich.

Als gäbe es nur noch diese eine Witterung, konnte er Mitya ganz einfach folgen. In seinem Kopf brüllte sein Löwe, wollte zu diesem Menschen.

Bei all der Verwirrung, die ihn ganz schwindelig werden ließ, vernachlässigte er ihre Sicherheit aber nicht. Elano war sein Mann, ihn musste er beschützen, komme was da wolle.

Im hinteren Bereich, wo es ruhiger war, standen mehrere Tische und bequeme Sitzgruppen, wo man es sich gemütlich machen und mit seinen Freunden unterhalten konnte.

An einem der kleinen, runden Tische saß Mitya und nippte gerade an einer Cola, als sie auf ihn zu liefen.

Als er sie sah, verschluckte er sich und hustete los.

Seine wachen, hellen Augen waren auf Elano und ihn gerichtet.

Erst jetzt wurde Thiago bewusst, dass sie eigentlich keinen Grund hatten, ihn einfach so anzusprechen. Mist, daran hätte er wirklich früher denken müssen. Aber gut, jetzt war es ohnehin zu spät.

Ohne es bewusst entschieden zu haben, breitete sich auf Thiagos Gesicht ein breites Lächeln aus, das ansonsten nur Elano zu sehen bekam.

„Hi“, sagte Elano lächelnd und ließ sich Mitya gegenüber nieder. Thiago nahm neben ihm Platz und begrüßte den Menschen ebenfalls.

„Hallo“, erwiderte Mitya und seine Stimme klang höher, als es ansonsten wohl der Fall gewesen wäre.

Er konnte weder Elano noch Thiago länger ansehen und senkte immer wieder den Blick.

Anscheinend machten sie Mitya Angst, denn das scharfe Aroma, das dieser verströmte, stieg Thiago in die Nase.

„Uns hat dein Gesang sehr gefallen“, begann Elano zu sprechen. „Es ist unser Lied und wir verbinden deshalb einiges mit diesem Song.“

„Ich ... ich werde nachher nochmal etwas singen“, brachte Mitya leise hervor und knetete nervös seine Finger.

„Darauf freuen wir uns jetzt schon. Deine Stimme ist einmalig gut“, meldete sich jetzt Thiago zu Wort.

„Ach was, so gut bin ich auch nicht. Es gibt viel Bessere als mich.“

„Mein Mann macht selten Komplimente. Wenn er es tut, dann sagt er es nicht einfach so dahin.“ Elanos Finger schlossen sich fester um Thiagos Hand, als er ihn kurz ansah und ihm einen liebevollen Blick schenkte.

„Da... Danke“, stieß Mitya stockend hervor. „Seid ihr nur zu mir gekommen, um mir zu sagen, dass ich gut singen kann?“, fragte er leise und wirkte dabei wie ein Reh im Scheinwerferlicht. Jeder Muskel schien angespannt zu sein. Er war bereit, die Flucht zu ergreifen.

„Wir wollten uns einfach gerne mit dir unterhalten“, meinte Elano.

Scheinbar erschien er ihrem Gegenüber nicht als so gefährlich wie Thiago, denn ihn lächelte Mitya an. Diese Fehleinschätzung wurde schon vielen zum Verhängnis, da sie von seinem schönen Äußeren auf mangelnde aggressive Fähigkeiten schlossen. Doch gerade war er froh, dass Mitya zumindest Elano ein wenig Vertrauen entgegenzubringen schien. In seiner Seele wusste Thiago instinktiv, dass der Mensch sich vor keinem von ihnen fürchten sollte, es nicht richtig war, dass er ihnen gegenüber so voller Angst war, obwohl sie sich gerade erst begegnet waren.

„Aber wieso? Weil ich euch vorhin angeschaut habe?“ Mitya schluckte vernehmlich, ehe er weitersprach: „Ich ... ich habe in dieser ganzen Flirtsache keine große Erfahrung. Wenn ich gewusst hätte, dass ihr ... ein Paar seid, dann hätte ich es nicht getan. Es tut mir leid.“

Man sah ihm an, wie unwohl er sich fühlte und seine Witterung zeigte immer deutlicher, dass Mitya die Gefahr, die von ihnen ausging und die er wohl nicht so recht zuordnen konnte, wahrnahm. Die bloße Sorge wich immer mehr der in ihm aufsteigenden Panik.

Thiago wollte etwas sagen, als Elano sich neben ihm versteifte. Dies kannte er schon von ihm, weshalb er sich sofort alarmiert umsah, ohne dass es zu sehr auffiel. So reagierte sein Mann nur dann, wenn sie sich einer Gefahr gegenübersahen.

„Mehrere schwer bewaffnete Typen haben die Bar betreten“, zischte Elano ihm kaum hörbar zu.

Kurz darauf fielen ihm diese auf. Man sah unter ihrer Kleidung eindeutig die Ausbuchtungen, die auf versteckte Schusswaffen hinwiesen.

Sie kamen vom Bühnenbereich auf sie zu. Suchend sahen diese Leute sich um. Ob man sie entdeckt hatte?

„Wir sollten abhauen, solange wir noch die Gelegenheit dazu haben, ohne dass wir unsere Waffen benutzen müssen. Ich will zivile Opfer vermeiden“, raunte Elano Thiago ins Ohr.

Thiago nickte und legte seine freie Hand auf die Pistole, die er in einem Schulterholster trug.

Sie kämpften zwar gegen Menschen, die sich an Wandlern vergriffen, waren sich jedoch immer darüber im Klaren, dass nicht alle Angehörigen des Homo Sapiens schlechte Wesen waren.

Mitya war einer dieser guten Menschen, da war sich Thiago sicher.

Gerade als Elano sich erhob, vernahm Thiago einen Ausruf.

„Da ist er! Schnappt ihn euch!“ Der Rädelsführer deutete jedoch, anders als erwartet, nicht auf Elano und ihn, sondern auf Mitya. Dieser war ebenfalls aufgesprungen und starrte wie vom Donner gerührt auf die, die sich ihnen näherten.

„Oh, nein“, sagte er. Man hörte die Verzweiflung aus diesen wenigen Worten heraus.

„Kümmer dich um Mitya, Elano, ich gebe euch Rückendeckung“, wies er seinen Gefährten an, der nur nickte, den verängstigten Menschen packte und mit sich fortzog. Thiago folgte ihnen, bewegte sich jedoch rückwärts, um die Angreifer im Auge zu behalten.

Nur Sekunden später ertönten die ersten Schüsse. Neben Thiago schlugen Kugeln ein. Kleine Stücke der Holzverkleidung und des Putzes trafen auf seine nackte Haut und verletzten ihn. Thiago ignorierte es und erwiderte das Feuer.

Noch immer spielte Musik, die sich mit den Schreien der flüchtenden Gäste der Bar mischten.

In dem Moment, als er die offene Hintertür erreicht hatte, traf ihn ein Geschoss am Oberarm. Unterdrückt fluchte Thiago, konnte sich jedoch jetzt nicht darum kümmern.

Schnell warf er die Tür ins Schloss und schob einen Müllcontainer, der in der Gasse stand, davor, was dank seiner ausgeprägteren Kraft als Wandler kein Problem darstellte.

Rasch schloss er zu den anderen beiden auf, die sich auf den Ausgang der dunklen Gasse zwischen den Gebäuden zubewegten.

Elano hatte ebenfalls seine Waffe gezogen. Mitya zitterte wie Espenlaub, torkelte und würde sicher nicht mehr lange durchhalten.

Kurzentschlossen hob Thiago den kleineren Mann auf seine Arme.

„Zum Wagen!“, rief er Elano zu, der zwischenzeitlich ihnen Rückendeckung gab.

So schnell sie konnten, rannten sie zu ihrem geparkten Mietwagen, schlossen ihn auf und befanden sich keine Minute später schon im Inneren.

Elano setzte sich ans Steuer, während Thiago mit Mitya auf den Rücksitz kletterte und mit ihm dort in Deckung ging. Von ihnen beiden war Elano der bessere und erfahrenere Fahrer, wenn es um Verfolgungsjagden ging. Und diese Situation entwickelte sich gerade zu einer.

Hinter ihnen tauchte eine schwarze Limousine auf, nur Augenblicke später schlugen die ersten Kugeln ein. Die Heckscheibe zersprang bei einem Treffer in tausend Teile, die auf Mitya und Thiago niedergingen.

Kapitel 2

Mitya stieß einen erstickten Schrei aus und presste sich noch enger an Thiago, als er es ohnehin schon getan hatte.

Leise sprach dieser auf den zitternden Mann ein, versuchte ihn zu beruhigen, während er vorsichtig nach draußen spähte und schließlich das Feuer erwiderte.

Der sie verfolgende Wagen scherte aus und entkam dabei nur knapp einem Zusammenstoß.

Trotz all ihrer Gegenwehr, konnten sie ihre Verfolger nicht abschütteln.

„Wir müssen sie abhängen, Elano. Sonst sind wir geliefert.“

„Ich gebe mein Beste!s“, rief ihm Elano zu, dessen Blick stur auf die Straße gerichtet war.

Er trat das Gaspedal ganz durch und raste in halsbrecherischer Geschwindigkeit durch die nächtlichen Straßen der Stadt. Thiago war froh, dass nicht mehr so viel los war, da sie so, ohne andere Verkehrsteilnehmer zu gefährden, flüchten konnten.

Immer wieder bogen sie ab, fuhren durch Seitenstraßen, doch es gelang ihnen nicht, den Abstand zu dem anderen Auto zu vergrößern.

Wut erfüllte Thiago, Knurren stahl sich über seine menschlichen Stimmbänder nach außen. Verdammt, er musste doch etwas tun können! Es war seine Pflicht, für Elanos und Mityas Sicherheit zu sorgen.

In unregelmäßigen Abständen schlugen Kugel in die Karosserie ein.

Bei jedem Einschlag zuckte Mitya zusammen, sein Leib bebte unter der Angst, die er empfand.

So ein Mist! Was gerade geschah, sollte nicht passieren.

Wie konnte ihr Plan so grandios nach hinten losgehen? Anstatt Mitya zu beobachten, mussten sie ihn retten und gemeinsam mit ihm flüchten. Schlimmstenfalls mussten sie sich vor ihm zu erkennen geben.

Weshalb hatten die Typen es auf Mitya abgesehen? Er war doch nur ein Mensch und gehörte als Sohn einer der führenden Köpfe zu dieser Organisation.

Er senkte den Blick und starrte Mitya an, konnte selbst in dem schwachen Licht die hellen Haare des Mannes erkennen, während sich dieser an ihn presste, als hinge sein Leben davon ab. Was wohl, wenn er es recht bedachte, der Fall war. Neben dem unangenehmen Geruch, den seine Panik erzeugte, nahm er ganz deutlich auch die ihm so eigene Witterung wahr. Obwohl es gerade vollkommen unpassend war und er es nicht wollte, regte sich etwas bei Thiago. Sein Schwanz zuckte begehrlich, als wolle er sich Mitya entgegen recken.

Wenn sie sich nicht gerade auf der Flucht befunden hätten, wäre er irgendwo wütend auf und ab gelaufen und hätte seinen Frust an einer Wand oder ähnlichem abreagiert.

„Thiago, Schatz, du musst dich zusammenreißen“, erklang Elanos Stimme und holte ihn zurück ins hier und jetzt.

Eiskalt lief es ihm über den Rücken. Scheiße, Elano war sein Gefährte! Er sollte nur von ihm erregt werden. Sein Gefährte räusperte sich leise, sodass Thiago aufblickte. Über den Rückspiegel sah er dessen sanftes Lächeln und ihm wurde mal wieder klar, dass sein Mann dieselben Empfindungen hatte wie er, wenn es um Mitya ging. Er war nicht sauer auf ihn, sondern wollte stattdessen, dass Thiago bei der Sache war und seinen Teil dazu beitrug, sie alle in Sicherheit zu bringen.

„Ich liebe dich“, sagte er so leise, dass es nur Elano hören konnte. Dieser erwiderte flüsternd die Liebesbekundung.

Er erlaubte sich nur für einen Moment, in dem wundervollen Gefühl zu baden, das ihre Liebe ihm jedes Mal aufs Neue bescherte, ehe er sich wieder ihrem akuten Problem zuwandte.

Noch verfügte er über genug Munition, doch das würde nicht von Dauer sein. Deshalb schoss er nur, wenn er auch sicher war, dass er einen Treffer landen konnte.

Ihre Gegner schienen sich darüber entweder keine Sorgen machen zu müssen oder dachten nicht nach, denn sie schossen, als gäbe es keinen Morgen.

„Oh nein, oh nein ... sie haben mich gefunden und werden uns umbringen“, murmelte Mitya verzweifelt vor sich hin.

„Das werden sie nicht! Wir werden dich beschützen!“, versprach Thiago und war wild entschlossen, zu seinem Wort zu stehen. Niemand tat denen, die ihm etwas bedeuteten, etwas an. Es war seltsam, dies über einen fast Fremden zu denken, doch es fühlte sich einfach richtig an.

Für Elano und Mitya würde er bis zu seinem letzten Atemzug kämpfen.

Sein Löwe brüllte wie wild in seinem Kopf, um zu zeigen, dass er es ebenso sah.

Inzwischen waren sie in einem Teil der Stadt angelangt, in dem es fast ausschließlich industrielle Betriebe gab. Das war gut, so war die Gefahr für Unschuldige eher minimal.

Elano bremste nicht ab, fuhr noch immer, als wäre der Teufel höchstpersönlich hinter ihnen her.

Alles in Thiago schrie danach, sich zu wandeln und die, die ihr Leben bedrohten, in der Luft zu zerreißen. Doch er musste an Elano und Mitya denken, die nicht über dieselbe Kraft verfügten wie er. Als Mensch stand Elano ihm in allem nichts nach, doch als Adler war er, wenn es um einen Zweikampf ging, verletzlicher als Thiago. Mitya hingegen war diesen Mistkerlen in allem unterlegen, da er sich nicht einmal sicher war, ob dieser wusste, wie man eine Handfeuerwaffe benutzte.

„Hier, falls es nötig wird, möchte ich, dass du sie benutzt“, raunte er Mitya ins Ohr und schob ihm eine kleine Pistole zu, die er bis jetzt in einem Holster am Knöchel getragen hatte.

„Was!? Ich ... ich kann ... nicht schießen ...“, stammelte Mitya leise.

„Mist, das hatte ich befürchtet. Aber mir ist es trotzdem lieber, dass du sie hast. Wenn jemand auf dich zukommt, um dich zu verletzen, dann ziele auf ihn und drücke ab. Selbst wenn du ihn nur verletzt, kann es dir genügend Luft verschaffen, um zu flüchten. Kannst du das für mich tun?“ Fragend sah er den halb unter ihm kauernden Mann an und verlor sich fast in dessen Anblick. Fuck, er musste sich echt am Riemen reißen, für so etwas war es die falsche Zeit und der falsche Ort.

„Ich ... werde es ... versuchen“, meinte Mitya nach kurzem Zögern.

Schnell zeigte Thiago ihm, wie er die Waffe entsicherte und abfeuerte. „Danke“, sagte Mitya mit einem scheuen Lächeln.

„Du musst dich bei mir für so etwas nicht bedanken, es ist meine Pflicht dir beizustehen“, entgegnete Thiago. Es erschreckte ihn ein wenig, wie wahr diese Aussage war und auch, was dies alles für Elano und ihn bedeuten würde. Von diesem konnte er nichts wahrnehmen, was ein Anzeichen dafür wäre, dass er unter dieser noch so frischen Erkenntnis litt, was aber auch daran liegen konnte, dass sie beide so voller Adrenalin waren, dass es alles andere überlagerte.

Wieder drängte es ihn, zu knurren oder ein löwenartiges Brüllen auszustoßen, doch Thiago unterließ es, da er Mitya nicht noch mehr erschrecken wollte.

„Haltet euch fest!“, schrie Elano, kurz bevor er das Steuer herumriss und unvermittelt in eine Einfahrt einbog, aus der, wie Thiago sah, ein riesiger LKW herausfuhr. Sein Gefährte konnte einen Zusammenstoß nur um Haaresbreite verhindern. Dieser hätte ihnen bei dem hohen Tempo sicher das Leben gekostet.

Mitya hatte sich an Thiago geklammert und bohrte ihm seine Finger in den Rücken. Sein Herz schlug schneller als die Flügel eines Kolibris und sein Angstgeruch überdeckte alles andere. Schluchzend presste er sein Gesicht an Thiagos Brust, der spürte, wie sein T-Shirt feucht wurde. Verdammt, er wollte diesen Mann trösten, seine Tränen, die ihm in Sturzbächen übers Gesicht liefen, trocknen und dafür sorgen, dass er sich nie wieder im Leben fürchten musste.

Sein Beschützerinstinkt war auch bei Elano riesengroß, doch jetzt, da diese beiden in Gefahr waren, überstieg er alles je da Gewesene.

Quietschende Reifen waren zu hören, ehe ein ohrenbetäubender Knall ertönte, der Thiago zusammenzucken ließ.

Vorsichtig hob er den Kopf und was er sah, ließ ihn aufatmen. Die Limousine, in der man sie verfolgt hatte, war kaum mehr als solche zu erkennen, da sie durch die irre Geschwindigkeit, mit der sie in den LKW gerast war, vollkommen verformt worden war.

Auch wenn es so schien, dass sie jetzt in Sicherheit waren, hielten sie nicht an und entfernten sich schnell vom Ort des Geschehens.

Mittlerweile saßen Mitya und Thiago aufrecht auf der Rückbank. Der Menschenmann drängte sich noch immer an ihn.

„Ich gebe durch, dass wir Hilfe brauchen“, meinte Elano und nahm sein Mobiltelefon zur Hand.

Durch sein gutes Gehör vernahm Thiago, wann der Anruf angenommen wurde. Am anderen Ende war Reik, einer ihrer Kameraden, der gerade Dienst hatte. Schnell wurden sie an Titzian weitergeleitet. Titzian war ihr Vorgesetzter.

„Elano, ist bei euch alles in Ordnung?“, hörte er diesen fragen.

„Wir drei sind so gut wie unverletzt und konnten die, die uns gejagt haben, unschädlich machen. Ich fürchte aber, dass sie nicht die einzigen sind, die uns auf den Fersen sind.“

„Ihr drei?“ Titzian klang angespannt.

„Thiago, Mitya, unser Zielobjekt und ich. Sie hatten es auf Mitya abgesehen. Uns blieb keine andere Wahl, als ihn zu beschützen.“ Etwas, das Thiago an seinem Gefährten liebte, war dessen Stärke und Selbstsicherheit. Er ließ keinen Zweifel daran, dass sie das Richtige getan hatten und würde diesen Standpunkt gegen jeden verteidigen. „Wir müssen untertauchen, da man sicher weiß, wie wir aussehen, da die Bar über eine moderne Videoüberwachung verfügt. Gibt es hier in der Gegend sichere Unterschlüpfe, die wir nutzen können?“

Eine Weile schwieg Titzian. Thiago vernahm lediglich das Klappern einer Computertastatur.

„Auch wenn es mir nicht gefällt, dass ihr einen Menschen bei euch habt, der uns verraten könnte, habe ich einen Ort für euch, wo ihr Unterschlupf finden werdet. Bis man euch dorthin bringen kann, werdet ihr in einem kleinen Motel in eurer Nähe unterkommen. Ich habe eure Nummer weitergegeben. Der Alpha des größten Wolfsrudels des Landes, das euch aufnimmt, wird sich bei euch melden und alles Weitere mit euch besprechen.“

Titzian nannte Elano die Adresse. Anschließend wies er diesen an, sich regelmäßig zu melden.

Nachdem er aufgelegt hatte, wandte Elano sich zu Mitya und Thiago um.

„Das Motel, in dem wir warten werden, ist gut eine halbe Stunde entfernt. Wie geht es euch?“ Elano atmete tief ein, roch wohl sein Blut und fluchte unterdrückt. „Du wurdest angeschossen! Sobald wir an unserem Zwischenstopp angekommen sind, werde ich mich um deine Wunde kümmern. Bist du verletzt, Mitya?“ Thiagos Mann war aufgewühlt, verhielt sich Mitya gegenüber jedoch sanft, denn er wusste, dass dieser für diesen Tag genug mitgemacht hatte.

„Es ist nur ein Streifschuss“, erwiderte Thiago, auch um Elano zu beruhigen. „Wir kriegen das alles hin.“

„Mir? Ja ... also, ich ... meine nein, ich wurde ... nicht verletzt.“ Noch immer zitterte Mitya. Thiagos Nähe schien ihn aber ein wenige ruhiger werden zu lassen.

„Das ist gut“, meinte Elano mit einem liebevollen Blick auf Mitya und Thiago, bevor er sich wieder umdrehte und den Wagen startete.

Über Umwege erreichten sie schließlich das Motel, in dem sie auf weitere Unterstützung warten würden.

Kapitel 3

Während Elano zur Rezeption ging, um ihnen ein Zimmer zu buchen, blieb Thiago bei Mitya im Wagen. Immer noch strich er dem Mann beruhigend über den Rücken.

Seine Angst hatte sich abgeschwächt, war aber nach wie vor wahrnehmbar.

Es bereitete Thiago Unwohlsein, ihn so zu erleben. Deshalb drückte er ihn noch ein wenig mehr an sich, was zu helfen schien.

„Werden sie uns hier finden?“, fragte Mitya schließlich leise, sah Thiago jedoch nicht an.

„Ich denke nicht. Wir haben die, die uns gejagt haben, ausgeschaltet. Doch ich werde dich nicht belügen. Diese Leute geben nicht so leicht auf und es wäre gut möglich, dass sie sich schon auf der Suche nach uns befinden. Deshalb haben wir uns schon Hilfe organisiert.“ Thiago strich, da er den Impuls dazu nicht unterdrücken konnte, sanft durch Mityas Haar. Dieser stieß ein leises, wohliges Seufzen aus. „Sobald sie uns abholen, werden wir erst einmal vollkommen sicher sein. Elano und ich werden dich beschützen, versprochen, du hast mein Wort.“

Jetzt hob Mitya doch den Blick und Thiago war sich sicher, dass ihm eine Frage auf der Zunge lag, die er jedoch nicht stellte. Hatte Mitya doch noch Angst vor ihm? Verständlich wäre es, da sie sich nicht kannten und Mitya einem Fremden und dessen Partner vertrauen musste.

„Danke. Ohne euch beide ... hätten die mich sicher umgebracht. Auch wenn ... ich euch nicht kenne, ... werde ich euch ... vertrauen. Ich will nämlich ... nicht sterben“, brachte er kaum hörbar hervor und senkte den Blick wieder, ehe das letzte Wort verklungen war.

Elano kam mit dem Schlüssel zurück. Gemeinsam betraten sie das Zimmer, welches sich am äußersten Rand des Gebäudes befand, damit sie später unbemerkt verschwinden konnten. Der Raum war für zwei Tage bezahlt, da sie dem Besitzer des Motels nicht schaden wollten, indem sie ihm die Miete schuldig blieben.

Thiago hatte alles Wichtige aus dem Leihwagen geholt und in eine Tasche gepackt, die jetzt zwischen den beiden Betten stand. Auf einem der beiden saß Mitya und sah sich besorgt um.

Elano ließ sich neben ihm nieder und legte Mitya die Hand auf den Arm.

„Wir lassen nicht zu, dass dir etwas geschieht.“ Kurz sah Elano zu Thiago. „Wir müssen es ihm sagen, damit es für ihn später kein zu großer Schock ist.“

Auch wenn es eigentlich nicht erlaubt war, Menschen in dieses Geheimnis einzuweihen, ohne es zuvor mit dem eigenen Rudel oder anderen Vorgesetzten besprochen zu haben, nickte Thiago. Sie würden es Mitya ohnehin sagen und zeigen müssen. Deshalb wäre es gut, dies jetzt, in diesem kleinen Kreis, zu tun, als es einem Alpha und dessen hochrangigen Kämpfern zu überlassen, die diesem sensiblen Mann allein durch ihre Anwesenheit Angst einjagen würden.

„Was wollt ihr mir sagen?“ Mityas Stimme klang fast schrill.

„Etwas über uns, über die, die sind wie wir. In dieser Welt gibt es mehr, als viele wissen. Am einfachsten wird es sein, wenn ich es dir zeige, nachdem ich dir anvertraue, was Elano und ich sind.“ Noch einmal holte Thiago Luft, sog sie tief in seine Lungen. „Mein Mann und ich sind keine Menschen. Wir sind Wandler. Dies bedeutet, dass wir nicht nur als Menschen leben, sondern auch über eine tierische Gestalt verfügen. Elano ist ein Weißkopfseeadler, ich bin ein Löwe. Es gibt noch unzählige andere Arten innerhalb unserer Rasse. Ich werde mich gleich wandeln. Du musst keine Angst haben, dir droht keine Gefahr.“

Unsicher betrachtete Mitya Elano und ihn. Man sah, wie ihn die Gedanken überrollten, er aber keinen davon länger festhalten konnte.

Ein wenig beruhigte es Thiago, dass Mitya nach Elanos Hand griff und sich daran festhielt.

„Okay ...“, war alles, was er erwiderte.

Langsam, sodass Mitya alles mitbekam und nicht überrascht wurde, zog sich Thiago aus, da er nach der Rückverwandlung nicht nackt sein wollte. Kleidung überlebte eine Wandlung schließlich nicht. Wandler sahen Nacktheit nicht als etwas Schlimmes an, doch man war dadurch verletzlicher. Und auf Mitya könnte es aufdringlich wirken, was nicht das war, was Thiago wollte.

Als er nur noch seine Boxershorts trug, hielt er inne. „Bitte erschrecke dich nicht. Wie ich schon sagte, du hast von mir nichts zu befürchten.“

Kurz schloss er die Augen, konzentrierte sich auf die Wandlung, die auch sofort einsetzte. Das berauschende Gefühl, das er dabei immer verspürte, erfüllte ihn auch jetzt.

Einen Moment später befand er sich in seiner Löwengestalt.

Die Reste seiner Unterwäsche fielen kaum hörbar zu Boden.

Mit weit aufgerissenen Augen starrte Mitya ihn an, öffnete immer wieder den Mund, ohne dass auch nur ein Ton diesen verließ. Das Herz des Menschen raste, doch Thiago konnte keine Panik an ihm wittern.

Langsam lief er auf ihn zu und setzte sich, als er am Bett angelangt war, auf die Hinterbeine vor die beiden, die darauf saßen und legte seinen Kopf auf der Matratze ab. Ein leises Schnurren von sich gebend wartete er ab, was geschehen würde.

„Ist das echt?“, hörte er Mitya fragen.

„Das ist es. Wir sind ebenso real wie alle anderen Dinge, die es auf der Erde gibt“, antwortete Elano, streckte die Hand aus und vergrub sie in Thiagos Mähne. Wie sehr es liebte und genoss, wenn sein Gefährte dies tat!

„Kann ich ... auch?“, fragte Mitya nach einer Weile, was Thiagos Mann bejahte.

„Ja, dieser Kerl wird, wie alle Katzen, gern gekrault. Mein Miezekätzchen.“

Leise fauchte Thiago, ehe er seinem Liebsten quer über das Gesicht leckte. Dies brachte sowohl Elano als auch Mitya zum Lachen.

Mityas Lachen ging Thiago durch und durch. Elano erging es ebenso, denn sein Lächeln wurde noch breiter.

Erst zaghaft, dann immer selbstbewusster, ließ Mitya seine Finger durch Thiagos Mähne gleiten und berührte auch sein Gesicht.

Thiago musste sich zusammenreißen, um sich nicht auf den Rücken zu legen, damit Elano und Mitya ihn ausführlich kraulen konnten.

„Es ist beeindruckend. Ich dachte nicht, dass es so etwas wirklich geben könnte.“ Im Schneidersitz saß Mitya da und sah zwischen ihnen hin und her. „Dann habe ich es damals doch nicht geträumt.“

Die letzte Aussage ließ Thiago aufhorchen.

Er wandelte sich zurück und zog sich schnell seine Hose über. Trotzdem errötete Mitya beim Anblick seines nackten Körpers.

„Wie hast du das gemeint? Was hast du nicht geträumt?“ Thiago ließ sich neben Elano nieder, seinen Blick auf den Menschen gerichtet.

„Als ich noch klein war, vielleicht vier oder fünf, da habe ich mich nachts gern in den Garten geschlichen, um dort zu spielen. Mein Erzeuger hatte immer viele Leute, die für ihn arbeiten. Darunter war auch ein Mann. Ich glaube, er war achtzehn oder neunzehn, aber ich kann mich auch irren, da ich damals noch so jung gewesen bin. Er war immer bei ihm. Ich durfte mit ihm nicht sprechen, glaube aber, dass er Jamie hieß. In dieser Nacht, die ich bis heute als Traum abgetan habe, sah ich die beiden im Gartenhaus. Er ... er hat Jamie wehgetan und dieser weinte bitterlich. Beide waren nackt.“ Mitya schlug die Hand vor den Mund, als würde ihm erst jetzt bewusst werden, was er damals miterleben musste. Sein ganzer Leib bebte und seine Finger, die noch immer Elanos umklammerten, griffen noch fester zu, sodass die Knöchel weiß hervortraten.

„Oh Gott, er hat ihn vergewaltigt und dabei blutig geschlagen. Als er fertig war, hat er ihn von sich weggestoßen. Jamie ist auf dem Boden gelandet. Dann hat er sich gewandelt. Er war ein Roter Panda. Mein ... Erzeuger ... er ist ausgerastet und hat mit seinem Gehstock so lange auf ihn eingeschlagen, bis sich Jamie nicht mehr bewegt hat. Wie ... wie konnte ich das alles nur vergessen?“

Tränen liefen Mitya übers Gesicht. Ohne Gegenwehr ließ er sich von Elano in eine Umarmung ziehen.

„Du warst noch so klein, hattest Angst, da war es wohl das Beste, dass dich dein Verstand dadurch geschützt hat, dass er dich so gut wie alles vergessen und dich glauben ließ, dass das, was du noch wusstest, nur ein Traum gewesen war“, sagte Thiago, der beide Männer gleichzeitig umarmte. „Der Mann, der dich gezeugt hat, ist ein Monster und arbeitet mit anderen zusammen, die so sind wie er.“

„Wart ihr deshalb in der Bar? Weil ihr dachtet, ich wäre genauso wie er?“, stieß Mitya schluchzend hervor.

„Wir sollten dich beobachten und herausfinden, ob du uns helfen könntest, an deinen Vater heranzukommen. Doch dann kam alles anders. Weder Elano noch ich würden dich je wieder in seine Nähe kommen lassen. Wir werden dich vor allem und jedem beschützen.“

„Aber wieso? Ich bin doch nur ein Mensch, sein Blut fließt durch meine Adern. Zwar habe ich mich von ihm losgesagt, weil er mich schlecht behandelt und nie wirklich akzeptiert hat, doch jetzt glaube ich, dass ich sicherlich genauso verdorben bin wie er.“ Verzweiflung drang Mitya aus allen Poren.

Elano und Thiago warfen sich einen intensiven Blick zu. Lächelnd nickte Thiago, woraufhin Elano sanft Mityas Gesicht mit seinen Händen umfing und ihn dazu brachte, sie anzusehen.

„Du magst ein Mensch sein, aber du bist für Thiago und mich so unendlich viel mehr. Du musst wissen, dass es bei Wandlern so ist, dass sie, wenn das Schicksal es gut mit ihnen meint, ihren Gefährten oder ihre Gefährtin finden. Mit diesem anderen Teil ihrer Seele bleiben sie dann ein Leben lang zusammen. Thiago und ich haben uns vor gut einem Jahr getroffen und sind seitdem unzertrennlich. Es kommt sehr, sehr selten vor, dass es einen dritten gibt. Doch für uns scheint dies vorgesehen zu sein, denn Thiago und ich haben dich als unseren Gefährten erkannt. Du gehörst zu uns, wirst immer ein Teil von uns sein“, erklärte Thiagos Mann Mitya.

Mit weit aufgerissenen Augen und offenstehendem Mund starrte dieser sie an und schien das alles kaum glauben zu können.

„Es ist gerade alles zu viel für dich. Du hast alle Zeit der Welt, dich daran, an uns und all das andere zu gewöhnen. Elano und ich sind für dich da und werden dir helfen, dich zurechtzufinden.“ Thiago hob die Hand und streichelte sanft über Mityas Wange. „Die, die uns helfen werden, gehören zu einem der größten Wolfsrudel auf diesem Kontinent. Vor ihnen musst du dich ebenso wenig fürchten wie vor uns. Du bist unser Gefährte, deshalb gehörst du zu uns, auch wenn du selbst kein Wandler bist.“

Erschöpft und völlig durch den Wind legte sich Mitya ein wenig später hin. Elano kuschelte sich zu ihm, nachdem dieser sich um Thiagos Streifschuss gekümmert hatte. Thiago würde die erste Wache übernehmen.

Vom Fenster aus hatte er alles gut im Blick.

Immer wieder sah er zu den beiden Männern, denen sein Herz gehörte und war so dankbar, dass es ihnen gut ging. Obwohl er nie damit gerechnet hätte, neben Elano noch jemand anderen lieben zu können, tat er genau dies.

Kapitel 4

Als sein Mobiltelefon in seiner Hosentasche vibrierte, nahm Thiago es in die Hand und hielt es an sein Ohr.

„Hallo, hier spricht Thiago“, meldete er sich leise, um seine beiden Männer nicht zu wecken.

Diese Nummer besaßen nur wenige Leute, sodass er davon ausging, dass es, auch aufgrund der Uhrzeit, jemand aus dem Wolfsrudel sein musste.

„Hallo, Thiago, hier spricht Jace. Ich bin der Alpha des Rudels, das Titzian um Hilfe ersucht hat. Befindet ihr euch noch in dem von ihm erwähnten Motel?“

Erleichtert atmete er auf und auch sein Löwe entspannte sich etwas.

„Wir, also, meine Gefährten und ich, sind immer noch an Ort und Stelle“, antwortete er.

„Deine Gefährten? Laut Titzian habt ihr einen Menschen bei euch.“

„Das ist richtig. Und dieser Mensch ist, wie wir auch erst seit heute Nacht wissen, der Gefährte von Elano und mir.“

Jace am anderen Ende schwieg einen Augenblick.

„Das Schicksal geht manchmal wirklich seltsame Wege. Normalerweise würden wir keinem Menschen so weit vertrauen, um ihn einfach so auf unser Territorium zu lassen, doch als euer Gefährte wird er uns sicher nicht verraten oder uns gefährlich werden. Meine Kämpfer sind schon auf dem Weg zu euch. Sie müssten in gut einer Stunde bei euch eintreffen. Ich werde sie über alles informieren.“

„Danke, dass ihr uns helfen werdet. Wir müssen leider davon ausgehen, dass sie nicht so schnell aufgeben werden. Wer einmal ein ganzes Team auf seinen Sohn ansetzt, um diesen zu jagen und womöglich zu töten, der wird es auch wieder tun.“

„Diesen Bastarden ist nichts heilig. Ich glaubte nicht, dass sie noch tiefer sinken könnten, doch wenn sie jetzt schon Jagd auf ihr eigen Fleisch und Blut machen, dann sind sie noch größerer Abschaum als angenommen.“ Jace räusperte sich: „Wir können nachher, wenn ihr hier seid, alles andere besprechen.“

Nach einer kurzen Verabschiedung legte Jace auf. Thiago ließ das Mobiltelefon wieder in seine Hosentasche gleiten.

Für einen langen Moment betrachtete er die beiden Schlafenden und vermochte nichts anderes tun, als zu lächeln. Sie würden schon bald in Sicherheit sein und er konnte, zusammen mit den Wölfen, für ihre Sicherheit sorgen.

Leise ging er zu ihnen hinüber. Noch ehe er sich über Elano beugen konnte, um ihn zu wecken, schlug sein Mann die Augen auf. Ihre Blicke trafen sich.

„Unser Abholkommando ist in gut einer Stunde hier. Ich habe Jace, dem Alpha, gesagt, dass Mitya unser Gefährte ist. Er war erst nicht begeistert, vertraut aber darauf, dass er, da er mit uns verbunden ist, keine Gefahr darstellen wird.“

„Er ist so sanft. Niemals könnte er einem anderen Lebewesen bewusst schaden“, sagte Elano leise, im Brustton der Überzeugung. „Ich hätte nicht gedacht, dass wir einen weiteren Mann dazubekommen würden, doch ich möchte ihn schon jetzt nicht mehr missen. Obwohl es sich vorher nicht unvollständig angefühlt hat, ist es jetzt, als wäre es vollkommen.“

Sanft berührten Thiagos Fingerspitzen Elanos Lippen, ehe er ihn liebevoll küsste.

„Ich weiß genau, was du meinst. Er gehört zu uns und ich werde für ihn ebenso da sein wie für dich. Ihr seid meine Familie. Diese kleine Zwangspause gibt uns die Gelegenheit, einander besser kennenzulernen.“

Elanos glückliches Lächeln war Balsam für Thiagos Seele.

Sie ließen Mitya noch ein wenig länger schlafen. Bevor sie ihn wecken konnten, erwachte er von selbst.

Der Blick, mit dem er sie jetzt betrachtete, war nicht mehr ganz so misstrauisch wie zuvor. Unter den gegebenen Umständen konnten sie nicht mehr verlangen. Elano und er würden die nächsten Tage nutzen, um ein Vertrauensverhältnis zu ihm aufzubauen.

„Werden wir bald abgeholt?“, fragte Mitya unsicher.

„Ja, sie müssten bald hier sein. Wenn wir uns auf ihrem Gebiet befinden, dann kommt niemand mehr an dich heran. Wir und die Wölfe werden auf dich aufpassen“, versicherte Thiago ihm.

„Es ist echt seltsam, dass es plötzlich jemanden interessiert, was mit mir ist. Meine Mutter ist einfach aus meinem Leben verschwunden. Ich habe keine Ahnung, was mit ihr geschehen ist. Für meinen Erzeuger war ich immer eine Enttäuschung, mit der man sich nur notgedrungen abgeben muss. Freunde hatte ich keine, als ich von zu Hause abgehauen bin. Wieso ich dem Mann, der mich gezeugt hat, plötzlich wichtig genug bin, dass er mir eine Todesschwadron auf den Hals hetzt, kann ich beim besten Willen nicht sagen. Und jetzt gibt es Elano und dich. Ihr gehört zu mir, tut alles für mich, riskiert sogar euer Leben, obwohl ich nur ein Mensch bin, der von einem Menschen abstammt, der wahrscheinlich mehr Schreckliches getan hat, als ich es mir in meinen wildesten Träumen vorstellen könnte. Ich bin es nicht wert, dass ihr ...“ Ehe Mitya den Satz beenden konnte, legte Elano ihm einen Finger auf die Lippen, um ihn zum Schweigen zu bringen.

„Du bist nicht dieser Widerling, hast keinem geschadet und es nicht verdient, dass man dir das Leben nehmen will oder dich nicht so behandelt, wie du es verdient hast. Thiago, du und ich, wir sind uns heute erst begegnet, doch das ändert nichts an der Tatsache, dass wir zusammengehören. Gemeinsam werden wir drei glücklich sein, eine eigene Familie gründen und für das Gute kämpfen. Jeder von uns wird dies auf seine eigene Weise tun.“ Behutsam strichen Elanos Finger durch Mityas Haar. „So wie du heute wundervoll gesungen hast, liebt alles von uns alles an dir. Ob du weinst oder lachst, ob es drunter und drüber geht, dir werden für immer unsere Herzen gehören. All die Ecken und Kanten machen uns zu etwas Besonderem. Ganz gleich, was auch geschieht, solange wir einander haben, ist alles gut. Du wirst es sehen.“

Es war schön zu sehen, wie Elano Mitya beruhigen konnte. Mit jeder verstreichenden Minute fühlte sich ihr Mann sicherer bei ihnen.

Pünktlich hielten zwei Fahrzeuge mit getönten Scheiben vor dem Motelzimmer und mehrere Männer stiegen aus.

Mitya presste sich eng an Elano, als die Typen zu ihnen hereinkamen. Zumindest ein Teil von ihnen gehörte wohl zu den erfahrenen Kriegern, die dem Alpha selbst zur Seite standen, der Rest waren dominante Kämpfer. Zumindest war dies der Eindruck, den Thiago von ihnen, aufgrund ihres Auftretens, bekam. Zusätzlich erfüllte ihre Dominanz den ganzen Raum. Daher hielt er es für unwahrscheinlich, dass es sich um einfache Soldaten des Rudels handelte.

„Du musst keine Angst haben, wir werden dir nichts tun. Die Verbindung von Gefährten ist etwas Heiliges, dem stellt sich niemand entgegen. Ihr drei gehört zusammen und deshalb wirst du uns nicht gefährlich werden. Die, die füreinander bestimmt sind, tun einander kein Leid an“, sagte der Kämpfer, der die Gruppe anführte. Ihm drang die Dominanz aus allen Poren und ihn umgab etwas, dass Mitya dazu brachte, ihm zu glauben.

Trotzdem schmiegte er sich während der gut zweistündigen Fahrt eng an Elano und Thiago.

Als sie endlich ihr Ziel erreichten, waren alle so müde, dass sie beschlossen, sich erst am nächsten Morgen mit Jace und den anderen führenden Leuten des Rudels zu treffen.

Zusammen schliefen sie schließlich in einem Doppelbett. Da sie alle nur mit T-Shirt und Boxershorts bekleidet waren, fühlte es sich sehr vertraut und intim an, was aber weder Elano noch Thiago ausgenutzt hatten. Vielmehr genossen sie es, dass sich Mitya vertrauensvoll an sie gekuschelt hatte.

Elano und Thiago beschlossen nach dem Frühstück, dass Thiago zuerst allein mit Jace sprechen würde, um Mitya die Gelegenheit zu geben, sich erstmal in Elanos Nähe ein wenig einzuleben.

Schnell hatte er sich zum Alpha durchgefragt. Diesen traf er vor dessen Haus an, einen etwa vier- bis fünfjährigen Jungen , der ihm ganz aufgeregt etwas erzählte, auf dem Schoß.

„Hallo, komm ruhig näher!“, rief ihm der Mann zu, als Thiago aus Respekt einige Meter entfernt stehen blieb. „Silas, gehst du bitte ins Haus zu Papa, während ich mich mit Thiago unterhalte?“

„Mach ich. Papa backt, vielleicht ist der Kuchen schon fertig“, posaunte der Kleine fröhlich aus, winkte Thiago zu und war schon im Haus verschwunden.

Lächelnd ließ er sich neben dem Wolfsalpha nieder.

„Ich bin froh, dass es euch dreien gut geht. Doch wir haben etwas gehört, dass sich für alle Wandler zu einer Katastrophe entwickeln könnte“, meinte Jace ohne Umschweife.

„Wegen Mitya? Es ist sehr selten, dass Menschen unsere Gefährten werden, aber er wird nichts tun, was uns gefährden könnte“, versicherte er dem Alpha. Die Fröhlichkeit, die er seinem Sohn gegenüber gezeigt hatte, war aus seinem Gesicht verschwunden.

„Es hat nur bedingt mit Mitya zu tun. Vielmehr betrifft es seinen Vater. Dieser hat eine Pressekonferenz angekündigt. Er will etwas noch nie dagewesenes enthüllen. Die ISTF hat mich darüber informiert, dass sie eine E-Mail abfangen konnten, in der es um mehrere gefangene Wandler geht, die er für die Konferenz angefordert hat.“

„SCHEIßE!“, entfuhr es Thiago, dem klar war, worauf es hinauslaufen würde. „Dieser Scheißkerl will unsere Existenz öffentlich machen?“

„Leider sieht es ganz danach aus. Mityas Vater und die anderen Mitglieder dieser Organisation wissen, dass wir einige Informationen über sie besitzen. Wahrscheinlich wollen sie verhindern, dass wir zuerst handeln und sie in einem schlechten Licht dastehen lassen. Die Wandler, die sie dafür wollen, sind alles Raubtierwandler. Wenn diese vor laufenden Kameras wild werden und kämpfen, dann stempeln sie uns als blutrünstige Monster ab, die man jagen muss. Niemand wird uns danach noch glauben, wenn wir sagen, dass nicht wir diejenigen sind, die Dreck am Stecken haben.“

Diese Information musste Thiago erst einmal sacken lassen.

„Was werden wir tun?“, fragte er.

„Die Sprecher der unterschiedlichsten weltweiten Allianzen und die Führungsriege der ISTF haben sich zusammengesetzt. Da wir diese Sache nicht verhindern können, ohne viel Blut zu vergießen, was wir ja verhindern wollen, müssen wir ihnen zuvorkommen. Deshalb wird gerade an einem Video gearbeitet, das Aufnahmen enthalten wird, die durch die ISTF während der Befreiungsaktionen in den Einrichtungen, in denen Wandler festgehalten worden waren, sichergestellt werden konnten. Es wird zeigen, wer die wahren Täter sind. Zusätzlich werden Wandlungen zu sehen sein. Vor allem die der Kleinsten, da sie niemandem Angst einjagen werden.“ Jace fuhr sich durchs Haar und wirkte so angespannt wie Thiago sich fühlte. „Alle Gemeinschaften wurden in Alarmbereitschaft versetzt, da man mit allem rechnen muss und keiner unvorbereitet sein soll. Fuck! Ich hätte nicht gedacht, dass wir uns einmal zu diesem Schritt entscheiden würden und es macht mir Angst! Ich sollte das als Alpha nicht sagen, aber so ist es nun mal.“

Sie sprachen noch einige Minuten miteinander, ehe sich Thiago verabschiedete. Diese Hiobsbotschaft musste er Elano und Mitya überbringen.



Kapitel 5

Als er um die Hausecke bog, sah er, dass sich Mitya und Elano vor der Haustür aufhielten und mit einem jungen Mann unterhielten. Dieser war eindeutig hochschwanger.

Wie es schien, würde es noch einiges geben, was Thiagos neuer Gefährte verarbeiten musste.

Nachdem er neben seine Männer getreten war, schmiegte sich Mitya an ihn, als würde er sich bei ihm am sichersten fühlen.

Gut eine halbe Stunde später waren sie wieder allein, sodass er ihnen die schlechte Neuigkeit mitteilen konnte.

Selten zuvor hatte er Panik auf Elanos Gesicht gesehen, und jetzt grub sie tiefe Furchen hinein.

Eng umschlungen saßen sie da und versuchten zu begreifen, was dies für sie bedeuten würde.

Wie aus dem Nichts traf Thiago eine Flut an Gefühlen, die nicht Elanos waren. In dieser Ausnahmesituation hatte sich Mitya ihnen geöffnet, die Verbindung vollkommen zugelassen.

Nichts stand mehr zwischen ihnen.

Ehe einer von ihnen etwas sagen konnte, erfasste Mitya ein heftiges Zittern, das immer intensiver wurde. Thiago nahm eine Veränderung in Mitya wahr, konnte jedoch nicht sagen, was es war.

Erst als Mityas Gestalt verschwand und an seiner Stelle ein Polarfuchs vor ihnen, inmitten der Reste seiner Kleidung, saß, begriff er, was er da gespürt hatte.

„Er ist ein Wandler?!“, rief Elano aus und starrte wie gebannt auf Mitya.

Dessen Verwirrung wogte in Wellen über Elano und Thiago hinweg.

„Keine Angst, du hast dich nur gewandelt. Es scheint ganz so, als ob du auch ein Wandler bist“, erklärte Thiago ihm.

Noch immer war Mitya aufgewühlt und konnte sich kaum beruhigen.

„Konzentriere dich darauf, dich zurückzuverwandeln, dann nimmst du wieder deine menschliche Gestalt an“, versicherte Elano Mitya.

Nach einem kaum merklichen Nicken geschah genau das. Plötzlich saß anstelle des Fuchses ein nackter junger Mann zwischen ihnen. Thiago zog sich sein T-Shirt über den Kopf und reichte es Mitya, der es schnell überstreifte. Es war ihm mehrere Nummern zu groß, doch dies schien ihm nichts auszumachen.

„Wie ... wie kann das sein?“, fragte Mitya mit brüchiger Stimme.

„Da dein Erzeuger ein Mensch ist, muss deine Mutter eine Wandlerin gewesen sein. Ich gehe davon aus, dass man dachte, du seist menschlich. Wahrscheinlich hat erst deine bewusste Entscheidung, uns als deine Gefährten anzunehmen, dazu geführt, dass die Wandlergene in dir aktiv wurden. Soviel wir wissen, gibt es wenige Mischlinge wie dich, daher dürfte auch vieles, was mit euch zu tun hat, im Dunkeln liegen.“

Mitya lauschte Elanos Worten und seufzte tieftraurig. „Wahrscheinlich hat er auch sie vergewaltigt. Kein Wunder, dass er mich am Ende tot sehen wollte, ich bin ein ... ach, ich weiß nicht, was ich bin.“

Thiago kniete sich vor Mitya. „Du bist ein wunderschöner Mann und ein atemberaubender Polarfuchs. Dass der Mensch, der dich gezeugt hat, dich nicht liebt, ist sein Verlust, sein Fehler und nicht deiner. Für Elano und mich wirst du immer etwas Besonderes sein, ein Geschenk. Womöglich wirst du nie mehr über deine Vergangenheit erfahren, doch ich verspreche dir, dass wir als deine Gefährten dafür sorgen werden, dass deine Zukunft wundervoll sein wird.“

„Werden wir auch Kinder haben ... so wie Ben?“, fragte Mitya und deutete auf seinen Unterleib, um einen Schwangerschaftsbauch anzudeuten.

Breit grinsend nickte Elano.

„Das werden wir. Ich habe dieselbe Gabe wie er. Das erste Mal schwanger werde ich sehr wahrscheinlich nach unserer gemeinsamen Zeremonie sein. Es ist so etwas wie eine Hochzeit, doch die Verbindung geht noch viel tiefer.“

Für einige Minuten schwiegen sie, gaben Mitya Gelegenheit, all die Informationen, die er über sich und das, was noch kommen würde, erhalten hatte, etwas sortieren zu können.

„Ich habe noch nie halbe Sachen gemacht und jetzt wohl den absoluten Jackpot erwischt. Schon immer habe ich mich nach der wahren Liebe gesehnt, wollte eine Familie haben, die mich liebt, wie ich bin. All das habe ich jetzt. Und als Sahnehäubchen obendrauf bin ich nicht, was ich immer dachte, sondern ein Wandler.“ Mitya lehnte sich so vor, dass er sowohl Elano als auch Thiago berührte. „Bis ich das alles vollkommen begreifen und verinnerlichen kann, werde ich wohl noch etwas brauchen, aber ich weiß jetzt schon, dass mein Leben mit euch, in dieser für mich so neuen Welt, einfach unglaublich schön sein wird.“ Vertrauensvoll blickte er zu ihnen auf, was Thiago das Herz erwärmte.

„Du bekommst, wie wir dir schon versprochen haben, so viel Zeit, wie du brauchst. Wir sind zusammen, können einander kennenlernen und du wirst sicher sein. Das ist uns das Wichtigste“, versicherte Thiago ihm und schloss seine Arme um die beiden Männer, denen seine Seele für immer gehören würde.

 

In den folgenden Tagen lebte sich Mitya überraschend schnell ein, schloss Freundschaften und kam damit, ein Wandler zu sein, immer besser klar. Manchmal wandelte er sich aus purer Freude daran, dazu in der Lage zu sein und jagte wie ein weißer Blitz durch das Gebäude, in dem sie untergebracht waren. Auch hatte er sich schon Rennen mit den Wölfchen des Rudels geliefert, die es genossen, einen so verspielten erwachsenen Spielkameraden zu haben.

Elano und ihm tat es gut, ihren Mann so zu erleben und zu spüren, dass dieser den ersten Schock überwunden hatte. Doch sie sorgten sich zu sehr um die Gesamtsituation, um sich daran angemessen erfreuen zu können.

Die bevorstehende Enthüllung würde zu unvermeidlichen Spannungen führen, da nicht alle Menschen offen für Veränderungen dieses Ausmaßes waren. Deshalb hofften die Verantwortlichen, dass das Video ihnen Sympathiepunkte einbringen würde. Damit könnte man arbeiten und den Homo Sapiens nach und nach begreiflich machen, dass die Unterschiede zwischen ihnen gar nicht so groß waren, wie es zuerst den Anschein hatte.

Am Morgen der groß angekündigten Pressekonferenz verschaffte sich ein Team aus Computerspezialisten Zugang zu dem System, das ihr Feind nutzte. Alles war bereit dafür, die Bombe platzen zu lassen.

Thiago spürte die Anspannung jedes einzelnen Kämpfers des Rudels, dem er begegnete. Sie alle hofften auf das Beste, erwarteten jedoch das Schlimmste, um auf den Ernstfall vorbereitet zu sein. Er hatte mitbekommen, dass jedes Rudel Notfallpläne ausgearbeitet hatte, um die Verletzlichsten der Gemeinschaften in Sicherheit bringen zu können.

Zusammen mit Mitya und Elano saß Thiago auf einer Couch im großen Gemeinschaftsraum. Wie alle Anwesenden starrten sie auf den Fernsehbildschirm, auf dem gerade Mityas Erzeuger zu sehen war.

Sein ganzes Gebaren spiegelte seine Überheblichkeit wider. Er hörte sich offenbar gern selbst reden.

Mitya versteifte sich, entspannte sich jedoch wieder, als Elano und er ihn berührten und ihre Finger mit seinen verschränkten.

Lang und breit legte der Mistkerl dar, was er und seine Organisation aufgedeckt hatten. Anschließend führten sie einen Mann herein, der ungepflegt wirkte und an Händen und Füßen gefesselt war. Irgendwie brachten sie ihn dazu, sich in einen Luchs zu wandeln. Das Knurren, das erklang, hatte nichts Aggressives, sondern spiegelte die Angst wider, die der arme Luchs empfand. Bevor ihr Gegner damit weitermachen konnte, sie als wilde und gefährliche Wesen dazustellen, wurde ihr Signal von dem des Wandlerteams überlagert. Dieses konnte nicht abgeschaltet werden und wurde auf allen Kanälen weltweit übertragen, sodass ihre Botschaft von jedem auf die eine oder andere Art gesehen werden würde.

Die Aufnahmen, die jetzt zu sehen waren, zeigten Wirkung. Die Stimmung, die in den sozialen Netzwerken der Menschen herrschte, veränderte sich. Man schlug sich auf die Seite der Opfer. Es gab nur vereinzelt welche, die die Meinung ihrer Gegner teilten.

Auch die Wandler, die man in staatlichen Behörden rund um den Globus über die vergangenen Jahre eingesetzt hatte, um immer gut informiert zu sein, berichteten in den darauffolgenden Tagen davon, dass dort schon jetzt darüber nachgedacht wurde, gegen diese Unmenschen vorzugehen.

Gleichzeitig erklärten sich die Regierungen bereit, sich mit Vertretern der Wandler auf neutralem Boden zu treffen.

Einige Menschen probten den Aufstand, doch dieser führte zu nichts. Thiago hoffte, dass es so weitergehen würde, denn die wenigen Übergriffe auf Rudel bereitete ihnen allen Sorgen. Doch so wie es im Moment aussah, waren seine Familie und alle anderen Wandler, für die er als Teil der ISTF kämpfte, erst einmal in Sicherheit. Trotzdem würden sie wachsam bleiben, denn sie standen in dieser Sache noch ganz am Anfang.

Die Anführer ihrer Feinde hingegen mussten sich verbergen, befanden sich auf der Flucht oder waren untergetaucht. Leider bedeutete es nicht, dass jetzt alle verschleppten Wandler frei waren. Bis dies geschehen war, würde die ISTF weiterkämpfen.

Elano, Mitya und Thiago verabschiedeten sich gut eine Woche nach der Pressekonferenz von ihren Gastgebern und verabredeten, dass sie bald wieder zu Besuch kommen würden, um die Freundschaften zu pflegen, die entstanden waren.

Auf ihrem Stützpunkt wurde Mitya, wie von Thiago nicht anders erwartet, gut aufgenommen. Er fühlte sich in ihrem gemeinsamen Haus ausgesprochen wohl.

Ihr Heiler untersuchte Mitya, um sicherzugehen, dass er wirklich vollkommen gesund war. Anschließend arbeiteten sie gemeinsam mit anderen Heilenden und Wissenschaftlern an der Forschung, da anzunehmen war, dass es mehr Mischlinge wie ihn geben könnte und man darauf vorbereitet sein wollte.

Sie verbrachten als Gefährten viel Zeit miteinander und kamen sich Stück für Stück immer näher. Wenn man ihn zuvor gefragt hätte, ob er es ertragen würde, Elano zu sehen, wie er mit einem anderen intim wurde, dann hätte er es verneint. Doch genau das Gegenteil war der Fall. Die beiden zusammen zu erleben, ihre Lust zu spüren und zu wissen, dass sie diese auch mit ihm teilten, machte Thiago über alle Maßen an. Am Schönsten war es jedoch, wenn sie sich alle einander hingaben. Das erste Mal, als Mitya sich bei ihnen hatte fallen lassen und dabei die Vereinigung voll und ganz genießen können, war noch mal ein Meilenstein in ihrer Beziehung gewesen. Ihr Dritter wusste, dass er bei Elano und ihm sicher war, niemand ihm je schaden würde.

Immer wieder spielten sie All of me, ihren gemeinsamen Lieblingssong, ab und tanzten dazu. Es fühlte sich jetzt noch mehr danach an, dass jedes einzelne Wort für sie bestimmt war. Sie liebten alles aneinander, jeder von ihnen würde für die anderen beiden alles geben. Nichts konnte sie auseinanderbringen und füreinander würden sie alles riskieren, denn sie liebten sich bedingungslos. Oft sangen Thiagos Männer auch gemeinsam. Er hörte stets wie gebannt zu.

Den Tag ihrer Zeremonie konnten sie alle drei kaum erwarten. Elanos und seine Familie waren ebenso aufgeregt und wollten Mitya unbedingt richtig und nicht nur über einen Bildschirm hinweg kennenlernen. Sie hatten ihn vollkommen akzeptiert und freuten sich für Elano und Thiago, da sie sehen konnten, wie gut ihnen Mitya tat und wie groß die Liebe zueinander war.

Sie würden die Feier in zwei Wochen abhalten. An diesem Tag würde es eine Sonnenfinsternis geben, was für viele als ein gutes Omen angesehen wurde. Es kündigte, laut der Schamanen, eine Zeit des Wandels an und erhöhte bei vielen die Leidenschaft.

Breit grinsend lehnte Thiago in der offenen Terrassentür und sah Mitya dabei zu, wie dieser die Übungen umsetzte, die Elano ihm zeigte, um seine Kenntnisse zu erhöhen, was Selbstverteidigung betraf. Eigentlich bräuchten sie nichts, das die Leidenschaft zwischen ihnen noch ansteigen ließ, doch er wollte sich auch nicht dagegen wehren. Die Nacht ihrer Zeremonie würde unglaublich lustvoll werden und, mit etwas Glück, konnten sie bald beobachten, wie ihr erstes Kind in Elano heranwuchs.



Kapitel 6

Seit zwei Tagen befanden sich Elanos und Thiagos Familien bei ihnen auf dem Stützpunkt. Alles war für die morgige Feier bereit. Leander, der Schamane, hatte sich vor gut einer Stunde von ihnen verabschiedet, nachdem sie den genauen Ablauf noch einmal durchgesprochen hatten.

Mitya war von ihnen allen wohl am aufgeregtesten, was aber nicht verwunderlich war, da alles für ihn noch so neu war.
Ihre Familien hatten den wundervollen Polarfuchs sofort als einen der ihren aufgenommen und überschütteten ihn mit all der Liebe, die er verdient hatte.
Elano und Thiago waren glücklich, ihm dies geben zu können. Mit jedem Tag, der verging, fühlte er sich besser. Nur hin und wieder kam Traurigkeit in ihm hoch, die sich jedoch leicht vertreiben ließ, wenn sie ihrem dritten im Bunde zeigten, wie sehr er geliebt wurde.
Am Abend sanken sie schnell in einen tiefen Schlaf. Eng aneinander geschmiegt erwachten sie am nächsten Morgen. Mitya lag wie immer in der Mitte und hatte es geschafft, Elano und ihn gleichermaßen zu umschlingen.
Mit sanften Küssen weckte Thiago ihn, was auch Elano aus dem Reich der Träume holte. Am Ende begrüßten sie ihren großen Tag auf sehr leidenschaftliche Weise.
Den ganzen Morgen über fühlte sich Thiago, als würde er auf Wolken schweben. Nach einem von ihren Müttern zubereiteten Mittagessen, das ausgesprochen gut schmeckte, verbrachten sie noch etwas Zeit mit ihren Liebsten, verfolgten die Sonnenfinsternis, die sie alle in Staunen versetzte. Thiago spürte vom ersten Moment an die Kraft, die ihnen dieses Ereignis verlieh.
Zu dritt zogen sie sich schließlich zurück, um sich auf die Verbindungszeremonie vorzubereiten. Gemeinsam duschten sie, was natürlich nicht ohne den Austausch einiger Zärtlichkeiten vonstattenging. Anschließend rieben sie sich mit dem gesegneten Öl ein, das ihnen der Schamane am Vortag übergeben hatte und genossen es, einander dabei ausgiebig berühren zu können.
In ihrem Schlafzimmer lagen ihre Roben schon bereit, die in Bordeauxrot und weiß gehalten waren, um die Verbindung zwischen Sonne und Mond darzustellen.
„Für mich schien ein Mann, der mich liebt und immer an meiner Seite sein würde, immer ein Ding der Unmöglichkeit zu sein, doch jetzt werde ich sogar mit zwei Gefährten verbunden und könnte nicht glücklicher sein“, verriet Mitya.
„Wir werden dich immer lieben, Mitya! Du bist ein wundervoller Mann und hast nicht weniger als das verdient.“ Nach diesen Worten überbrückte Thiago die wenigen Schritte zu seinen Männern und küsste beide innig.
Mit diesen beiden fühlte sich Thiago vollkommen angekommen. Bei ihnen konnte er sich fallen lassen, wenn es nötig war und er würde dasselbe stets für jeden von ihnen tun. Füreinander würden sie kämpfen und Himmel und Hölle in Bewegung setzen.
Mit großen Augen beobachtete er Elano und Mitya dabei, wie sie ihre traditionellen Gewänder überstreiften, unter denen sie nackt blieben, ehe er es ihnen gleichtat. Es würde ein langer Tag werden, während dem er dagegen ankämpfen musste, sich auf seine Männer zu stürzen. Ihm entwich ein Knurren, das die beiden zum Lachen brachte. Aus sanften braunen und hellblauen Augen sahen sie Thiago an und er spürte über ihre Verbindung zueinander, dass es ihnen ebenso erging wie ihm.
„Auch wenn ich euch beiden gerade kaum widerstehen kann, freue ich mich darauf, bis heute Nacht zu warten, denn diese Vereinigung wird etwas ganz Besonderes sein“, sagte Mitya. Seine Wangen färbten sich rot und seine Stimme klang verführerisch rau.
Sich an den Händen haltend verließen sie nach einem schnellen letzten Kuss das Haus.
Lächelnd und beschwingt begaben sich zu dem geweihten Ort, an dem der Schamane und ihre männlichen Verwandten auf sie warteten. Dort wurden sie von allem Negativen gereinigt, um rein in ihre Zukunft starten zu können.
Thiago schlug das Herz aufgeregt bis zum Hals, als sie den aus dunklen Steinen bestehenden Kreis betraten, um den sich die anderen versammelt hatten.
Leander ging langsam um sie herum und verteilte dabei brennende Kräutersäckchen. Der Geruch stieg Thiago in die Nase und er hatte das Gefühl, in einen leicht berauschten Zustand zu verfallen. Leise sang der Schamane in der alten Sprache der Wandler, ehe er sich wieder den Anwesenden zuwandte: „Sie sind nun bereit.“
Von einem Moment auf den anderen stieg Thiagos Aufregung und er spürte, seinen Männern erging es ebenso.
Sie folgten Leander zum eigentlichen Festplatz, der aufwendig dekoriert war und dem, was er von Zuhause her kannte, in nichts nachstand. Das einzig andersartige war, dass sich hier die Symbole der unterschiedlichsten Arten auf wundervolle Weise miteinander verbanden.
Um den mittig aufgestellten Altar hatten sich schon die versammelt, die ihnen wichtig waren. Wie sie trugen sämtliche Anwesenden festliche Gewänder. Allen stand die große Freude ins Gesicht geschrieben, die sie angesichts der Zeremonie empfanden.
Auch wenn er froh darüber war, von der Familie und ihren Freunden umringt zu sein, galt seine ganze Aufmerksamkeit Elano und Mitya. Dies war der wichtigste Tag in ihrem Leben, denn man würde sie drei bis in alle Ewigkeit miteinander verbinden.
Zusammen traten sie vor den Altar, der von dunklen Steinen umgeben war und wurden, wenn es überhaupt möglich war, noch aufgeregter.
Das Einzige, was ihn seine Fassung nicht verlieren ließ, war die Tatsache, dass er Elanos und Mityas Liebe spürte, die ihn im Hier und Jetzt verankerte. Ein Feuer brannte auf dem Altar und schien ihren inneren Aufruhr widerzuspiegeln.
Leander trat mit einem sanften Lächeln, in ein weißes Gewand mit roten Akzenten gekleidet, vor sie. Als er die Hände hob, verstummten alle Gespräche um sie herum.
„Wir haben uns hier und heute versammelt, um die Verbindung zwischen Thiago, Mitya und Elano zu feiern. Das Schicksal hat sie in einem Moment zusammengeführt, in dem keiner von ihnen damit gerechnet hat. Bevor sie Gelegenheit hatten, sich richtig kennenzulernen, mussten sie um ihr Leben kämpfen. Doch sie ließen das Schlechte hinter sich und konzentrierten sich auf das Gute, die Liebe, die dank Mitya noch verstärkt wurde. Das Leben meinte es nicht immer gut mit Mitya, aber jetzt ist er glücklicher, als er es je zu träumen gewagt hätte. Elano und Thiago würden alles für Mitya tun, für ihn und alle anderen kämpfen, denn sie sind durch und durch Krieger. Aber auch der sanftmütige Polarfuchs ist zu einem wichtigen Mitglied dieser Gemeinschaft geworden, den wir nicht mehr missen wollen. Seine Seele ist immerzu von Liebe erfüllt. Die Herzen dieser drei Männer schlagen im Gleichklang. Unter diesem Vollmond, gestärkt durch die Kraft von Sonne und Mond, werden sie nun vollkommen, untrennbar, über den Tod hinaus, miteinander verbunden. Der heute geschlossene Bund wird unsere Gemeinschaft stabilisieren. Wir werden für sie einstehen, so wie sie dies für uns tun werden.“
Obwohl er sonst nicht zu den emotionalsten der Truppe gehörte, stiegen Thiago vor lauter Glück Tränen in die Augen.
Ehe er Gelegenheit bekam, sich seinen Männern zuzuwenden, trat Titzian vor, der sozusagen ihr Alpha war. „Thiago und Elano, ihr seid Krieger, auf die wir stets vertrauen können. Mitya, durch dich kam jemand in unsere zusammengewürfelte Gemeinschaft, der durch seine Sanftmut zu einem notwendigen ruhenden Pol geworden ist. Ihr alle seid wichtig für uns und stärkt uns. Steht immer zueinander, bleibt, wie ihr seid und lasst in eurer Liebe füreinander niemals nach.“
Titzian berührte sie alle und man spürte sofort, wie die Verbindung zu ihrem ganz besonderen Rudel stärker wurde.
Bei Mitya hielt er inne und bedachte ihn mit einem liebevollen Blick. „Es erfüllt mich mit Freude, dich in unserer Gemeinschaft willkommen heißen zu dürfen. Jetzt bist du ein Teil von uns. Zweifle nie daran, dass wir immer zu dir stehen werden. Du, Thiago und Elano habt in uns eine große Familie dazugewonnen.“
Mit diesen Worten war Mitya jetzt auch offiziell ein Teil von ihnen. Gerührt schluchzte Mitya leise auf. Thiago sandte ihm all seine Liebe zu und wusste, dass Elano dasselbe tat. Es half ihrem Polarfuchs, sich wieder zu sammeln.
Leander und Titzian wechseln einmal mehr die Plätze. Der Schamane nahm einen Dolch in die Hand, in dessen Griff ein großer Diamant eingearbeitet worden war. Darin brach sich das sanfte Licht des Vollmondes.
Die Arme gen Himmel gestreckt, hielt er den Dolch dem Mond entgegen.
„Die Kraft des Vollmondes strömt in uns, macht uns frei. Die Kraft des Vollmondes öffnet unsere Herzen und unsere Seelen. Sie segnet diesen Bund, den Thiago, Mitya und Elano heute, hier vor uns allen, eingehen werden. Keiner von uns kann seinem Schicksal entfliehen, manche werden aber durch ihres noch stärker werden und größeres leisten als andere.“
Diese Worte besaßen eine ganz eigene Macht und wurden weltweit verwendet. Erschaudernd stand Thiago da und konnte nicht erwarten, was als Nächstes geschehen würde.
„Reicht mir jetzt eure Hände“, bat Leander.
In dem Moment, als sich Elanos, Mityas und seine Hände berührten, ging ein Impuls durch sie hindurch, der sie regelrecht elektrisierte.
Der Schamane umfasste sie alle. „Dieser Bund ist stark. Ich kann eure Herzen spüren, die aufeinander zustreben. Eure Augen strahlen das reine Glück aus. Nun folgt noch ein letzter, aber unglaublich wichtiger Schritt, damit das Band eurer Seelen sich später, während eurer Vereinigung, vollkommen schließen kann. Blut ist Kraft, Blut ist Leben, Blut verbindet uns. Ihr werdet eures geben und im Gegenzug das der anderen erhalten. Es wird eure Energien für immer verbinden. Untrennbar. Über den Tod hinaus.“
An ihren Handgelenken vollführte der Schamane mit dem rituellen Dolch je einen schnellen Schnitt, aus dem sofort die ersten Blutstropfen hervortraten.
Als er sie wieder freigab, griffen sie sogleich nach den Handgelenken der anderen und hoben diese nacheinander an ihre Lippen. In ihrem eigenen kleinen Kreis standen sie beieinander und begannen zu saugen. Die Momente, in denen er zum ersten Mal das Blut seiner Gefährten auf der Zunge schmeckte, berauschten ihn vollkommen. In Thiagos Seele fand alles seinen Platz, ehe sich ihr Band vollständig schloss.
Sein Löwe brüllte laut in seinem Kopf, war ebenso glücklich wie er, dass diesen beiden Männer jetzt für immer und alle Zeit die seinen sein würden.
Es war schwer, sich von Elano und Mitya zu lösen. Ihre Blicke hatten sich ineinander verhakt.
„Nun sind diese drei für immer verbunden, nichts kann sie trennen, nicht einmal der Tod. Besiegelt nun den geschlossenen Bund mit einem Kuss“, forderte der Schamane
Überschwänglich zog Thiago seine Gefährten an sich und küsste sie stürmisch und voller Leidenschaft.
Unwillig lösten sie sich nach einer kleinen Ewigkeit voneinander, um ihren Familien und Freunden die Gelegenheit dazuzugeben, ihnen ihre Glückwünsche auszusprechen.
Die folgenden Stunden waren für Thiago wie ein Rausch. Sie feierten und amüsierten sich, genossen den Abend mit allen, die ihnen wichtig waren. Trotzdem war er froh, als sie sich endlich zurückziehen konnten. Ihr Schlafzimmer war während ihrer Abwesenheit romantisch hergerichtet worden. Überall brannten Kerzen, die den Raum in ein weiches Licht hüllten.
All die Spannung der letzten Stunden entlud sich, als sie schließlich wie ausgehungert übereinander herfielen. Sie sehnten sich danach, eins miteinander zu werden.
Elano gab sich Mitya und ihm hin, zeigte damit, wie sehr er ihnen vertraute und sie liebte.
Lange Zeit verbrachten sie damit, Elano zu verwöhnen, ihn vorzubereiten und ihm die größtmögliche Lust zu bereiten
Als Mitya und er dann gemeinsam in Elano eindrangen und sie alle drei auf die Klippe zutrieben, war es einfach unbeschreiblich. Thiago spürte es, als sich der Körper von Elano kurz vor dem gemeinsamen Höhepunkt zu verändern begann, um sich bereitzumachen, neues Leben in sich aufzunehmen.
Wie ein Tsunami überrollte sie der Orgasmus, ließ sie atemlos, aber überglücklich zurück.
Wenig später lagen sie wundervoll erschöpft beisammen und konnten nicht aufhören zu strahlen.
Den ersten Schritt in ihre gemeinsame Zukunft waren sie an diesem Tag gegangen, doch es würden noch viele folgen. Thiago konnte es nicht erwarten zu sehen, was das Schicksal noch für sie bereithalten würde.
Für ihn stand fest, dass er für die, die er liebte, bis zu seinem letzten Atemzug kämpfen würde.
Noch gab es viel Schlechtes in der Welt, doch sie alle würden auf ihre Weise dafür sorgen, dass alles gut wurde und keinem mehr etwas Schlechtes widerfuhr.

Epilog

Erschöpft betrat Thiago das Haus, welches er mit seinen Männern bewohnte. Der zurückliegende Einsatz hatte ihm sehr zugesetzt. Wieder war eine der noch vorhandenen Einrichtung entdeckt worden, in denen nach wie vor Wandler gefangen gehalten und gequält wurden. Und es würde nicht die letzte bleiben. Obwohl man einige der führenden Köpfe der menschlichen Organisation einsperren konnte und diese jetzt auf ihr Urteil warteten, gab es Leute, die noch immer daran festhielten, mit dem Leid derjenigen, die sich wandeln konnten, Profit zu machen. Und jene, die es liebten, etwas so Besonderes wie einen waschechten Wandler zu besitzen, um mit ihm alles, was ihnen einfiel, tun zu können. Auch die immer wieder aufflammenden Konflikte zwischen Menschen und Wandlern ließen ihn kaum zur Ruhe kommen.

Er freute sich jetzt auf Elano und Mitya, wollte ihre Nähe genießen.

Aus dem Wohnzimmer erklang Musik. Als er den Titel erkannte, stahl sich ein so breites Lächeln auf sein Gesicht , dass er glaubte, seine Mundwinkel würden gleich seine Ohrläppchen berühren.

In der Raummitte standen seine Liebsten beisammen und bewegten sich zu All of me. Ihr Lied! Oh ja, es war etwas, das sie miteinander verband, etwas, das ihre Liebe füreinander widerspiegelte.

Die beiden hoben die Köpfe und strahlten Thiago an, während dieser zu ihnen trat und sie an sich zog.

Tief atmete er ein. Sein Löwe brummte wohlig in seinem Kopf. Den beiden, die er mehr liebte als alles andere, ging es gut, ebenso dem in Elano heranwachsenden Leben. Ihre Zwillinge würden in gut vier Monaten zur Welt kommen.

Liebevoll und ein wenig besitzergreifend legte er seine große Hand auf Elanos Babybauch.

„Tanzt du mit uns?“, fragte Mitya leise.

Sein süßer Polarfuchs war noch immer zurückhaltend, lebte jedoch immer mehr auf, vor allem dann, wenn er sich um die Kinder kümmerte, die mit ihren Eltern inzwischen auf dem Stützpunkt lebten. Die kleinen Wandler liebten ihn.

Mitya würde ein wundervoller Vater sein. Ohne, dass ihn jemand darum gebeten hatte, stellte er, kurz nachdem sie erfahren hatten, dass Elano schwanger war, klar, dass er bei den beiden zu Hause bleiben würde. Es war sein Wunsch. Für ihn bedeutete es viel, für sie alle zu sorgen, denn Elano, er und bald auch die Kinder, waren die erste und einzige wirkliche Familie, die er je gehabt hatte. Mitya war stolz darauf, mit zwei Kriegern verbunden zu sein und hatte ihnen schon oft gesagt, dass ihre Arbeit unglaublich wichtig sei, um armen Wandlern, wie seine Mutter es gewesen war, zu helfen. Im Moment sah alles danach aus, dass sie getötet worden war, doch sie würden erst mit der Suche aufhören, wenn dies zweifelsfrei feststand. Elano und Thiago beteten darum, dass sie noch am Leben war und man sie und ihren Sohn irgendwann wieder vereinen könnte. Ihre Eltern taten alles, um Mityas Familie zu ersetzen, was auch teilweise gelang, doch es war trotzdem etwas anderes, jemanden zu haben, der ein Teil von einem war. Sie würden die Hoffnung nicht aufgeben.

„Nichts würde ich lieber tun“, erwiderte er glücklich und raubte sich zwei innige Küsse, ehe er die beiden umfing und sie sich gemeinsam im Takt der Musik hin und her wiegten.

Oh ja, er liebte diese beiden mit all seinem Sein und dies würde sich niemals ändern.

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Texte: © Ann Salomon
Bildmaterialien: Pixabay
Tag der Veröffentlichung: 04.05.2023

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