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Rainbow Kiss

Unsicher starrte Len in den Spiegel. Sollte er das wirklich tun?

Was würden seine Eltern sagen, wenn sie ihn so sehen würden?
Normalerweise trug er nichts auffallendes, wollte in der Masse untergehen, erschien spießig. Möglicherweise war das auch, bis zu einem gewissen Punkt, wahr, aber Len ging es vielmehr darum, dass niemand herausfand, das mit ihm etwas nicht stimmte.

Unwirsch schüttelte er den Kopf. Mit ihm war alles in Ordnung, er stand eben auf Männer und nicht wie seine Freunde zuhause auf Frauen. Weiche Frauenkörper, Brüste, als das hatte ihn noch nie gereizt.

Aber niemals wäre er auf die Idee gekommen, sich zu outen, jedem zu sagen, was in ihm vorging.

Man hätte ihm das Leben zur Hölle gemacht.
Doch nun lebte er, zumindest für ein paar Wochen, in München, einer Großstadt und auch wenn diese nicht zu den offenen Städten wie Köln oder Berlin zählte, konnte er hier leben und lieben wie er wollte.

Zum ersten Mal würde er sich heute offen zeigen, sich nicht verstellen. Seine erste Pride-Week. Ganz besonders freute er sich auf die sogenannte Politparade am kommenden Wochenende, bei der Fahrzeuge und Gruppen, die zu Fuß unterwegs waren, durch die Innenstadt zogen und alle Teilnehmer auf friedliche Art für die Rechte der LGBTQI-Community demonstrierten.

Früher sah er sich heimlich Videos von Pride-Paraden auf der ganzen Welt an, die in Deutschland meist als CSD bezeichnet wurden und wünschte sich nichts sehnlicher, als selbst Teil davon zu sein. Man sah, wie viel Spaß alle hatten, wie sie sich von der guten Stimmung mitreißen ließen.

Natürlich gefiel es ihm auch, wie offen alle waren, das sie sich ihre Zuneigung ganz ohne Scham zeigten.

Ob er in ein paar Jahren auch jemanden haben würde, mit dem er gemeinsam feiern konnte?

Der Gedanken an einen Partner trieb ihm die Wärme in die Wangen. All das, was mit Sexualität zu tun hatte,war für ihn Neuland.

Vor einigen Jahren war er kurz mit einem Mädchen zusammen, doch mehr als küssen war nicht passiert. Er wollte dazu gehören, jedoch ging das Ganze nach hinten los. Sie erzählte überall herum, das er ein totaler Schlappschwanz sei, keinen hoch kriegen würde. Von da an schnitten ihn die meisten in seinem Alter, woraufhin sich Len immer mehr zurückzog und sich voll und ganz in seinen Büchern vergrub.

Irgendwann begann er selbst zu schreiben. In diesen Geschichten konnte er all das ausleben, was ihm selbst verwehrt wurde. An wie viele Verlage er seine Manuskripte schickte, konnte er nicht sagen, die Absagen würden, hätte er sich nicht gleich vernichtet, um zu verhindern, das seine Eltern sie fanden, ganze Aktenordner füllen.

Doch vor einem Jahr war ihm gelungen, woran er schon nicht mehr glaubte. Ein Verlag nahm ihn unter Vertrag, bestellte gleich mehrere Bände einer Fantasygeschichte, in der es um die Abenteuer eines gleichgeschlechtlichen Paares ging.

Endlich konnte er seinem alten Leben, den Vorurteilen und dem Mobbing den Rücken kehren, um hier neu anzufangen.

Hier lebte er nun erst einmal vorübergehend für drei Wochen in einer Wohngemeinschaft, in der er als Schwuler kein Außenseiter war. Nele war lesbisch, Biggy bisexuell, Elias schwul und Michi ein schwuler Transmann. Michi lernte er über ein Forum kennen, in dem sich vor allem Autoren und Autorinnen tummelten, die Bücher mit queeren Figuren schrieben. Er lud ihn ein und Len nahm die Chance wahr, all das belastende erst einmal hinter sich lassen zu können.

Bei ihnen gehörte er von Anfang an dazu und sie waren auch der Grund, wieso er gerade in einer Hotpants und einem Crop Top, die beide mehr zeigten als verbargen, im Gästezimmer stand.

»Du bist heiß, musst dich nicht verstecken. Zeig doch, was du hast«, waren Elias Worte gewesen, als er ihm die Sachen in die Hand drückte und ihm zweideutig zuzwinkerte.

War er das wirklich? Würden ihn die Männer dieser Stadt attraktiv finden? Seine Unerfahrenheit war für viele sicher ein Abtörner. Doch nur um etwas vorweisen zu können, würde er sicher nicht mit jedem ins Bett springen, der sich anbot. Eine Zwickmühle, für die er sich später immer noch eine Lösung überlegen konnte. Gerade sollte er die Sorgen, die in umtrieben, beiseite schieben und versuchen, die Zeit, die vor ihm lag, zu genießen.

Sein Blick glitt zur Uhr.

Noch zwei Stunden, dann würde er mit den anderen zusammen ins Heaven gehen, einer schwulen Disco, die sich heute und in den kommenden Tagen unter dem Motto Pride vor allem jene richtete, die der LGBTQI+ Community angehörten.

Dort konnte er tanzen, sich amüsieren und auch etwas trinken. Abschießen würde er sich aber nicht, diesen Fehler beging er vor ein paar Jahren auf dem „großen“ Scheunenfest in seinem Heimatdorf einmal und hatte es schnell bereut. So elend wie damals fühlte er sich noch nie und konnte gut darauf verzichten, schließlich wollte er das Leben hier kennenlernen und genießen, bis er hier dann selbst seine Zelte aufschlagen würde.

Musik drang aus der Küche, als er, etwas unsicher, seinen Raum verließ und zu den anderen ging.

Ausgelassen saßen diese beisammen und sahen auf, als er herein kam.

»Und, hatte ich nicht Recht?! Unser Len hier ist eine Sahneschnitte, die allen den Kopf verdrehen wird. Wenn ich nicht glücklich vergeben wäre, würde ich wohl selbst mein Glück versuchen.«

Augenblicklich begannen Lens Wangen zu glühen. Na wundervoll, wenn er nun bei jedem Kompliment den Feuermelder spielte, würden alle schnell Reißaus nehmen.

Er griff nach eine der Colaflaschen, die vor ihm auf dem Tisch standen, öffnete sie und trank einen großen Schluck, um seine Unsicherheit etwas zu überspielen.

»Na, das glaube ich erst, wenn ich es sehe. Mir ist es wichtiger, das ich mich heute mal so richtig amüsieren kann und dazu brauche ich nicht zwingend einen Mann«, erklärte er.

Den Anwesenden musste er ja nicht gleich auf die Nase binden, das er mit seinen knapp dreiundzwanzig Jahren noch Jungfrau war. Es würde schon peinlich genug werden, wenn er das einem potentiellen Bettgefährten mitteilen musste.

»Unser Elias war ein ganz Wilder, bevor Roman ihn eingefangen und gezähmt hat. Er erwartet, das jeder ebenso drauf ist. Aber ich bin der Meinung, dass jeder sein eigenes Tempo hat und sich zu nicht drängen lassen sollte«, mischte sich nun Michi ein.

Len schenkte ihm ein dankbares Lächeln.

»Wer redet denn von drängen? Ich möchte nur, das er seine erste Pride-Week in vollen Zügen auskosten kann. Alles kann, nichts muss«, stieß Elias brummig hervor.

»Ich werde mich nicht verstecken oder schreiend vor jedem Typen, der mir gefällt, davonrennen, aber ich will es eher langsam angehen lassen. Von One-Night-Stands halte ich nicht viel.«

»Das ist das Beste, glaub mir. Wenn du hier erst einmal lebst, kannst du dir ja immer noch die Nächte um die Ohren schlagen«, sagte Biggy. Aus ihrer Tasche, die vor ihr auf dem Esstisch lag, nahm sie etwas heraus, das sie Len reichte. »Mir wäre trotzdem wohler, wenn du die einsteckst, nur für den Fall.«

Kurz darauf hielt er eine kleine Packung Kondome in der Hand. Nun wusste er auch, wieso Michi Biggy als ihre WG-Mama bezeichnet hatte. Sie sorgte sich um alle und half jedem, egal wie lange sie jemanden kannte.

»Danke...«, brachte er schüchtern hervor und verstaute sie in der schmalen Umhängetasche, in der sich bis jetzt nur sein Mobiltelefon und sein Geld befanden.

Froh darüber, das ihm Nele einen bunten Cocktail reichte, setzte er das Glas an und nahm mehrere Schlucke. Zu spät wurde ihm klar, dass Wodka enthalten war. Die Mischung war zu stark für ihn. Hustend klopfte er sich auf die Brust und bemühte sich darum, wieder normal atmen zu können.

»Sorry, ich hätte dich vorwarnen sollen«, rief sie leise lachend und versorgte auch die anderen mit etwas alkoholischem.

»Kein Ding, konntest ja nicht wissen, das ich es gleich wie Wasser runter schütten würde«, gab er zurück und trank nun bedachter.

Als sie schließlich aufbrachen, schmückte ein Regenbogen seine rechte Wange. Auch die anderen hatten sich mit dem speziell dafür hergestellten Schminkstift verschönert.

Während sie sich lachend und miteinander scherzend vorwärts bewegten, wurde Len immer aufgeregter.

Elias schien den Türsteher zu kennen, so das sie sich, mit einem Stempel auf dem Handrücken, schnell im Inneren wiederfanden.

Len war nicht zum ersten Mal in einer Diskothek, doch das hier war etwas vollkommen anderes. Überall sah man gleichgeschlechtliche Paare, die tanzten, sich küssten und dabei sehr glücklich wirkten. Niemand störte sich daran.

An der Theke bestellte er sich einen Drink. Mit diesem stand er wenig später an einem Stehtisch in der Ecke und ließ den Blick über die Tanzfläche gleiten, bevor er sich selbst ins Getümmel stürzte.

Hin und wieder suchten Männer Blickkontakt mit ihm, flirteten.

Noch war ihm das alles nicht geheuer, so das er blieb wo er war und erst tanzte, als sich alle bis auf Elias und sein Partner, der mittlerweile zu ihnen gestoßen war, dazu entschlossen, das Tanzbein zu schwingen.

Zuerst tanzte er kaum merklich, hielt sich zurück, doch dann lief ein Lied, das ihn mit sich riss. Mit geschlossenen Augen bewegte er sich, meinte, den Rhythmus bis tief hinein fühlen zu können.

Erst als er spürte, wie sich ein Arm eng um ihn legte, hob er die Lider. Wahrscheinlich war es einer seiner neuen Freunde. Doch das Lächeln, das bis eben auf seinen Lippen lag, verschwand schnell, denn hinter ihm stand ein Mann, der mindestens doppelt so alt zu sein schien wie er. Aufgrund der engen Hose des Fremden blieb Len nicht verborgen, dass dessen Schwanz steinhart war. Als er sich nun auch noch eindeutig an ihm zu reiben begann, erwachte Len aus seiner Starre und versuchte, sich loszumachen.

»Nimm deine Hände weg!«, schrie er gegen die laute Musik an, verstand sich selbst kaum. Wo waren die anderen?

Er war nicht schwach, doch dieser Kerl hielt ihn umklammert wie in einem Schraubstock.

Langsam kam Panik in ihm hoch. So hatte er sich diesen Abend sicher nicht vorgestellt.

»Hey du Wichser, nimm die Pfoten von meinem Freund!« Die Stimme, die er nun hörte, kam ihm nicht bekannt vor, aber das war ihm egal, denn er versuchte ihm zu helfen. Er streckte dem anderen, der nur ein wenig älter schien als er selbst, die Hand hin und dieser ergriff sie.

Zuerst passierte nichts, der schmierige Typ funkelte Lens Retter wütend an. Als dann aber Michi und die restliche Truppe neben ihnen erschien, ließ er ihn los.

»Prinzessin, du weißt nicht was dir entgeht«, meinte er noch an Len gewandt, ehe er abzog.

Zitternd drückte sich dieser an den muskulösen Körper vor sich, als ihm klar wurde, was er da tat.

Während er sich löste, wurde er rot. Seine Schüchternheit übernahm wieder einmal die Kontrolle. Am Liebsten wollte er wegrennen, sich in sein Bett flüchten und am Besten erst mal dort bleiben, doch er bezweifelte, dass das einer der anderen zulassen würde.

»Sorry...tut mir leid...ich.. . Danke für deine Hilfe«, schrie er dem anderen entgegen.

»Gern geschehen«, entgegnete der Unbekannte. Nun, da er ihn zum ersten Mal wirklich ansah, traf es ihn wie ein Vorschlaghammer. Der Mann war wunderschön, sein absoluter Traummann. Man, für ein Lächeln wie dieses brauchte der doch sicher einen Waffenschein.

»Len, ist bei dir alles okay?«, fragte ihn Biggy, musterte ihn besorgt. Nur am Rande bekam er die Frage überhaupt mit, war jedoch nicht in der Lage zu antworten.

»Ich glaube, er sollte mal an die frische Luft«, meinte nun das Bild von einem Mann vor ihm. Noch immer lief sein Hirn auf Sparflamme. Wahrscheinlich musste er froh sein, das er noch wusste, wie man aus und einatmete.

Michi nickte und schob ihn schließlich durch die tanzen Leiber Richtung Ausgang. Len ließ sich das nur gefallen, weil sein Helfer in der Not ihnen folgte.

Draußen war es inzwischen dunkel, aber noch angenehm warm.

Nach ein paar Metern blieben sie stehen.

»Danke das du Len geholfen hast«, bedankte sich Michi. »Ich kenne dich doch vom sehen?! Rico oder?«

»Nichts zu danken. Der Drecksack versucht es immer wieder. Wenn sich einer ködern lässt, dann füllt er ihn ab. Es gibt einige, die mir erzählt habe, das er es gerne hart mag und es ihn nicht interessiert, ob das seinem Auserwählten gefällt oder nicht.« Lächelnd schüttelte er den Kopf. »Nicht ganz. Ich heiße Rocco. Eigentlich ja Richard, aber Rocco ist mir lieber.«

Nach und nach nahm Lens Verstand seine Arbeit wieder auf.

Wie gebannt hing er an Roccos Lippen.

Bei seiner Schilderung, was den Unglücklichen widerfuhr, die das Pech hatten, in die Fänge dieses Kerls zu geraten, lief es ihm kalt den Rücken runter.

»Am Besten ich lass das mit dem Feiern und geh nach Hause«, meinte er geknickt. Er hatte keine Lust auf ein weiteres Erlebnis dieser Art.

»Nichts da. Lass dir von diesem Schwein nicht den Abend verderben.« Rocco blickte ihn ernst an.

»Wenn du willst, kann ich dich ja beschützen«, meinte er mit einem süßen Zwinkern und einem Lächeln, das jeden Eisberg zum schmelzen gebracht hätte.

Unwillkürlich nickte Len. Hoffentlich grinste er nicht so dämlich wie er befürchtete.

»Na dann wäre das ja geklärt. Du bist für heute Lens Bodyguard.« An der Art, wie ihn Michi anblickte, war Len klar, das sein Kumpel ahnte, wie viel Eindruck Rocco auf ihn machte. Die Aussicht, den Abend zusammen mit ihm verbringen zu können, gefiel ihm.

Nach weiteren fünf Minuten gingen sie wieder hinein und fanden schnell ihren Platz wieder.

Obwohl es so ungut begann, entwickelte sich diese Nacht zur Besten in Lens Leben, denn Rocco blieb immer in seiner Nähe, tanzte mit ihm. Nicht einmal versuchte er, sich ihm aufzudrängen, obwohl ihm sicher schnell klar war, das Len ihn mochte. Subtilität lag ihm leider nicht.

Als sie sich verabschiedeten, nahm sich Rocco Lens Mobiltelefon und gab seine Nummer ein.

»Melde dich gern bei mir, war echt ein schöner Abend«, sagte er mit seiner angenehmen Stimme, die über ihn hinweg zu gleiten schien, beugte sich vor und hauchte ihm ein Küsschen auf die Wange.

Auf dem Nachhauseweg berührte er diese Stelle immer wieder mit den Fingerspitzen.

»Leute, ich glaube hier hat es jemanden total erwischt.« Elias grinste breit.

»Keine Ahnung...er ist der Hammer. Aber ich glaube nicht, das er wirklich was von mir will«, gab Len ehrlich zu, auch wenn das deutlich machte, wie unsicher er war.

»Ich denke, das er dich wirklich gern wiedersehen würde. Wir kennen uns von früher, waren in derselben Clique. Er ist eine ehrliche Haut, jemanden wie ihn findet man in der Szene hier leider nicht oft. So wie er sich heute um dich bemüht hat, wäre es doch möglich, das er mehr will. Und hey, selbst wenn nicht, wäre es denn so schlimm, dich während deines Urlaubs hier ein wenig zu amüsieren? Du könntest es bei einem Urlaubsflirt wirklich schlechter treffen«, mischte sich nun Roman, Elias Freund, ein.

»Darüber muss ich nachdenken.« Schweigend lief er den anderen hinterher nach oben und verabschiedete sich schnell in sein Zimmer. Ihm schwirrte der Kopf.

Lange lag er wach, seine Gedanken wanderten immer wieder zu Rocco. Konnte ein Mann wie er, der jeden haben konnte, wirklich an ihm interessiert sein?

Wenn er ehrlich war, dann musste er Roman zustimmen. Wieso sollte er es nicht ausnutzen, das er scheinbar jemandem gefiel? Ein paar Erfahrung sammeln zu können und dann noch mit einem Traummann wie Rocco, der auch noch unglaublich nett war, wäre mehr, als er sich wünschen konnte. Aber erst einmal musste er herausfinden, ob die Jungs und Mädels richtig lagen.

Er beschloss, die Nacht darüber zu schlafen.

Nach dem Frühstück ließ er sich auf dem kleinen Balkon nieder, von dem aus man einen tollen Blick auf den Hinterhof hatte, den die Bewohner in eine kleine wild blühende Oase mitten in der Stadt verwandelt hatten.

Immer wieder tippte er eine Nachricht an Rocco, nur um sie dann wieder zu löschen. Die Angst vor einer Zurückweisung war riesig. Doch es half ja nichts, wenn er ihm nicht schrieb würde er es bereuen, da war er sich sicher.

 

>Hi Rocco, ich bin´s, Len. Wollte dir nochmal für dein Eingreifen danken. War dann, mit dir, noch ein sehr schöner Abend. Hättest du Lust, in den nächsten Tagen etwas zu unternehmen?<

 

Sein Finger schwebte über dem Sendebutton, als plötzlich die Balkontür geöffnet wurde und Biggys Kopf erschien. So in Gedanken, wie er war, erschreckte er sich. Bevor er reagieren konnte, war die Nachricht verschickt.

»Mensch, Biggy, musste das sein?« Wie ein Reh, das sich einem Autoscheinwerfer gegenüber sah, starrte er auf den Bildschirm des Mobiltelefons, traute sich kaum zu atmen.

Im gegenüber ließ sie sich nieder und schmunzelte.

»Müssen, nein, aber hin und wieder überkommt es mich«, erklärte sie grinsend. »Hast du ihm geschrieben?« Nein, Biggy war nicht neugierig, zumindest dann nicht, wenn sie alles wusste.

»Ja, habe ich. Und nun...er hält mich sicher für aufdringlich«, brachte er leise hervor. Selbst ihm entging der verzweifelte Unterton in seiner Stimme nicht.

»Hey, ganz ruhig. Er wird dich nicht fressen, schließlich hat er dir gestern seine Nummer freiwillig gegeben.« Aufmunternd lächelnd beugte sie sich zu ihm und legte ihm den Arm um die Schulter. »Mach dir nicht so viele Gedanken, jeder von uns hat mal klein angefangen. Den ersten Schritt zu wagen braucht Überwindung, doch danach wird es einfacher. Glaub mir. Rocco ist ein lieber Kerl.«

Seufzend lehnte sich Len an seine Gesprächspartnerin.

»Ich will mir nur nicht zum Affen machen. Von all dem habe ich keine Ahnung, weiß nur, was ich im Internet gelesen und gesehen habe. Es ist ein Teufelskreis, wenn ich das ändern will, muss ich ins kalte Wasser springen, doch das kann auch total nach hinten losgehen.« Für einen Augenblick schloss er die Augen und versuchte, tief durchzuatmen. »Man, ich bin echt der größte Feigling vor dem Herrn.«

»Vertrau mir, ich habe schon viel erlebt. Du bist nicht feige, nur unerfahren. Gestern habe ich dich zum ersten Mal, seit du in der Stadt bist, richtig entspannt erlebt, du hast gelacht und bist aus dir raus gegangen. Immer dann, wenn Rocco in deiner Nähe war, haben deine Augen gestrahlt. Ich hoffe, das ich das in nächster Zeit noch öfter sehen werde. Michi hat ein wenig über deine Eltern und die Situation bei dir Zuhause erzählt und es tut mir leid, dass dich dort niemand unterstützt, denn das ist, was Freunde und Familie tun sollte. Du hast verdient, glücklich zu sein. Genieße was kommt.«

Len war erstaunt, wie sehr ihn eigentlich Fremde unterstützten und gleichzeitig traurig, das es sonst niemanden gab, dem er etwas bedeutete.

»Du hast vollkommen Recht. Ich werde mich darauf einlassen, egal was kommt, das bin ich mir selbst schuldig. Ich danke dir, Biggy.« Leise lachend gab er ihr ein Küsschen auf die Stirn.

Als plötzlich das Telefon vibrierte und den Eingang einer Nachricht ankündigte, zuckte Len heftig zusammen und ließ fast das Gerät fallen.

Seine Finger zitterten so sehr, das er den Bildschirm erst beim dritten Anlauf entsperren konnte.

Die Textnachricht war von Rocco.

 

>Guten Morgen, Len, schön das du dich meldest. Ich hatte gehofft, das ich dich gestern mit dem Abschiedsküsschen nicht verschreckt habe. Wenn du möchtest, können wir uns gern heute Nachmittag treffen und ich zeige dir ein wenig die Stadt.<

 

Wie vom Blitz getroffen saß er da, hielt das Mobiltelefon in der Hand und konnte nicht glauben, dass das alles gerade wirklich passierte.

»Und? Was schreibt er?« Abwartend blickte Biggy ihn an.

»Er will sich mit mir treffen«, antwortete er atemlos.

Vor Freude quietschend zog sie ihn in eine fest Umarmung.

Als sie sich wieder von ihm löste schrieb er zurück. Rocco würde ihn um 14 Uhr abholen.

»Das wird sicher schön.«

»Was wird schön?« Elias streckte den Kopf heraus und sah in seiner Neugierde verdammt jung aus.

»Rocco will sich mit mir treffen.« Wie ein Honigkuchenpferdchen grinsend saß er da und konnte machen, was er wollte, seine Freude war nicht zu verbergen.

»Glückwunsch. Ich wünsche dir viel Spaß«, meinte er und umarmte ihn kurz, ehe er verschwand, Roman wartete schließlich im Bett auf ihn.

Die kommenden Stunden war er aufgedreht, stand unter Strom. Ein passendes Outfit zusammenzustellen nahm eine kleine Ewigkeit in Anspruch.

Nach einer sehr gründlichen Dusche rasierte er sich und trug sein Lieblings-Aftershave auf.

Die anderen versuchten ihn abzulenken, doch jedes Mal, wenn er auf die Uhr sah, schlug sein Herz schneller.

Schon eine gute halbe Stunde vor der Zeit war er vollständig angezogen, saß wie auf glühenden Kohlen.

Die schrille Klingel, die pünktlich um 14 Uhr ertöne, verpasste ihm fast einen Herzinfarkt.

Unten vor dem Haus wartete Rocco und schenkte ihm sein umwerfendes Lächeln, das Len schon am Vorabend so beeindruckte.

»Hi. Danke, das du für ein Landei wie mich den Stadtführer machst.«

»Das mache ich gern.« Verdammt, seit wann erregte ihn die Stimme eines Mannes? Möglichst unauffällig sorgte er während sie losliefen dafür, dass man nichts sehen konnte. Nicht auszudenken, wenn Rocco es bemerkte. Es wäre an Peinlichkeit kaum zu übertreffen.

Nach einem kurzen Fußmarsch begaben sie sich in den Untergrund. Von seiner ersten U-Bahnfahrt bekam er nicht viel mit, da er sich nur auf seinen Begleiter konzentrierte.

Die Fußgängerzone war riesig und es war unglaublich viel los.

Immer wieder erklärte der Mann neben ihm etwas, wusste viel über die unterschiedlichen Sehenswürdigkeiten und hatte sichtlich Freude daran, seine Informationen an den Mann zu bringen.

»Was hältst du davon, wenn ich dir das Glockenbachviertel ein wenig näherbringe? Es gilt als „das Schwulenviertel“ und da du ja gesagt hast, dass du bald hierher ziehen wirst, dachte ich mir, das es ja nicht schaden könnte, wenn du dich schon einmal ein wenig auskennst.«

»Keine schlechte Idee«, meinte er. Rocco hatte ihm tatsächlich zugehört, als er von seinen Plänen erzählte.

In einem gemächlichen Tempo liefen sie die Straßen entlang. Len war es ganz Recht, das sie sich Zeit ließen, so konnte er den Mann neben sich genau betrachten.

»Wir sind da«, riss ihn Roccos Stimme urplötzlich aus seinen Gedanken. Von einer Sekunde auf die andere wurde ihm unglaublich heiß und das hatte nichts mit den sommerlichen Temperaturen zu tun. Er war gerade dabei erwischt worden, wie er wie ein verliebtes Schulmädchen einen Typen begaffte. »Hey, alles okay bei dir? Willst du dich kurz hinsetzen?«

Len schüttelte den Kopf.

»Bei mir ist alles gut...«, stieß er rasch hervor und versuchte das Ganze zu überspielen.

»Keine Ahnung ob ich da etwas fehlinterpretiere, aber ich glaube, das ich dir gefalle. Glaub mir, so wie du hat mich noch keiner angesehen. Mir gefällt es, dass du zurückhaltend bist, nicht gleich mit der Tür ins Haus fällst, das ist eine willkommene Abwechslung zu all den Kerlen, die nur das Eine im Sinn haben. Du gefällst mir, sehr sogar.« Nun erröteten auch Roccos Wangen leicht. Lächelnd hielt er Len die Hand hin, die dieser nach kurzem Zögern ergriff. Sofort prickelte sein ganzer Körper auf angenehme Weise. Hand in Hand gingen sie weiter.

»Du hast Recht, du gefällst mir«, gab er leise zu. Der Griff um seine Hand wurde fester.

Als es Stunden später zu dämmern begann, hatte Rocco ihm gefühlt jede Bar, jedes Lokal und alle anderen Plätze gezeigt, die es hier gab.

»Möchtest du mit zu mir kommen, ich wohne hier gleich um die Ecke oder möchtest du nach Hause?«, fragend sah Rocco ihn mit seinen sanften braunen Augen an, in denen sich Len fast verlor.

»Das würde ich gern.«

Schnell erreichten sie ein nobles Wohnhaus und nahmen den Aufzug. Auf der angebrachten Schaltfläche tippte Rocco etwas ein. Ganz oben öffneten sich schließlich die Türen und Len staunte nicht schlecht.

»Du wohnst hier? Das...das ist der Hammer.« Das gesamte Dachgeschoss schien aus einer einzigen Wohnung zu bestehen. Eine Dachterrasse zog sich einmal komplett darum herum. Sogar einen Whirlpool entdeckte er beim Blick durch die großen, bodentiefen Fenster.

»Ja, das ist mein Reich.« Lässig lehnte Rocco sich an die Rückenlehne der Couch, die vor ihnen stand. »Muss ja einen Vorteil haben, wenn die Eltern sich sonst schon nicht um einen scheren.«

Die bis jetzt so fröhliche Miene war verschwunden, stattdessen wirkte Rocco unendlich traurig.

Woher er den Mut nahm, konnte er nicht sagen, aber er wollte ihm bestehen, deshalb schlang er seine Arme um ihn, hielt in bei sich. Rocco erwiderte die Umarmung.

»Willst du mir davon erzählen?«

»Da gibt es leider nicht allzu viel zu erzählen. Ich habe mich mit fünfzehn bei ihnen geoutet, ab diesem Tag verhielten sich meine Eltern mir gegenüber anders, wurden immer distanzierter. Nach meinem Abitur haben sie mir mein Erbe ausgezahlt, diese Wohnung für mich gekauft und mich „gebeten“ zu gehen. Sie schämen sich für ihren Sohn, wollen mit meinem Lebensstil nichts zu tun haben. Erst wenn ich zur Besinnung komme, einsehe, das dieses sündige Leben mir nur schadet, ich mir eine Frau suche und eine Familie gründe, werden sie wieder mit mir reden. Doch darauf können sie lange warten, vorher gefriert die Hölle.«

Liebevoll strich er Rocco durch sein kurzes braunes Haar, konnte nicht glauben, wie dessen Eltern, Menschen, die ihn eigentlich bedingungslos lieben sollten, ihn behandelten.

»Das tut mir alles so unsagbar leid. Auch das ich durch meine Frage all das wieder aufgewühlt habe.«

Minutenlang standen sie nur beisammen und schwiegen, was aber nicht unangenehm war.

»Dir muss nichts leid tun, ich hätte es ja nicht erzählen müssen. Es tut gut zu wissen, das man nicht allein ist. Persönliches erzähle ich selten, denn wenn man einen im Club oder so trifft, dann geht es diesen Typen meistens nur um Sex. Doch du bist anders.« Der intensive Blick, der ihn nun traf, verpasste ihm eine Gänsehaut. Rocco leckte sich über die vollen Lippen. Zugern wollte Len wissen, wie der andere schmeckte, doch um den letzten Schritt zu gehen, fehlte ihm der Mut.

Dafür kam ihm Rocco aber näher.

»Darf ich dich küssen?«, fragte dieser rau. Er war nur noch wenige Zentimeter von Lens Mund entfernt, sein Geruch hüllte ihn vollkommen ein.

»Küss mich«, bat Len kaum hörbar, hielt den Körper des anderen immer noch nah bei sich. Roccos Hände glitten in Lens Nacken, zogen ihn näher heran. Als seine Lippen auf ihre Gegenstücke trafen, war es, als würde sich Lens Verstand auflösen. Leise wimmerte er, als der andere den Kuss vertiefte

Wie lange sie sich küssten, konnte er nicht sagen, doch irgendwann fanden sie sich auf der Couch wieder. Obwohl sie sich so nahe waren, ging Rocco nicht weiter, strich ihm nur immer wieder durchs Haar.

Als sie sich schließlich voneinander lösten, konnte Len den Blick nicht von dem Mann nehmen.

»An was denkst du?« Sanft lächelnd hielt Rocco ihn im Arm, genoss es wohl ebenso sehr wie er, das sie sich gerade so nahe waren.

»Eigentlich an nichts bestimmtes, ich bin nur froh, hier bei dir zu sein.«

»Glaub mir, ich bin ebenso froh, das du da bist.« Nach einer Weile begann Rocco über Lens Seite zu streicheln, schob dann seine Hand zaghaft unter den Stoff seines T-Shirts. Obwohl es ihm gefiel, zuckte Len zusammen, was diesen dazu brachte, sich zurückzuziehen.

Sofort lief Len ein kalter Schauer über den Rücken. Es war offiziell, er war ein Vollidiot, der sich gerade die Chance darauf verbaute, einem Mann nahe zu kommen.

Er richtete sich ebenfalls auf, konnte den anderen dabei nicht ansehen.

»Ich...ich sollte besser gehen«, brachte er gerade so hervor.

»Was? Wieso? Ist es, weil ich dich berührt habe? Es tut mir leid, damit bin ich zu weit gegangen.«

Mit einer Unsicherheit im Blick, die nicht zu Rocco, wie er ihn bis jetzt kannte, zu passen schien, sah er Len an.

»Nein...ich meine ja...also... . Das alles ist neu für mich. Verdammt...als du mich vorhin geküsst hast, war das mein erster Kuss mit einem Typen. Alles andere habe ich auch noch nicht getan. Mein Wissen beschränkt sich nur darauf, was man im Internet nachlesen kann und was ich in Pornos sah. Als du deine Finger unter mein T-Shirt geschoben und meine nackte Haut berührt hast, da bin ich erschrocken, obwohl es sich richtig gut angefühlt hat. Ich bin ein Freak, eine Jungfrau und ich mache mich hier zum Affen, weil dich das alles sicher überhaupt nicht interessiert.«
Seine Wangen glühten, die Scham kroch ihm in jede Körperzelle.

Bevor Rocco überhaupt die Gelegenheit bekam, etwas zu erwidern, stand Len auf und lief so schnell er konnte in Richtung Aufzug.

Eine Hand legte sich auf seine Schulter, hielt ihn fest.

Wie in Zeitlupe drehte sich Len um, erwartete einen wütenden Rocco zu sehen, doch dem war nicht so.

»Beruhige dich, Len, bitte! Jemand wie du ist mir noch nie begegnet. Die meisten haben mit achtzehn schon mehr Erfahrung als andere in ihrem ganzen Leben. Auch ich bin kein unbeschriebenes Blatt, aber ich bin keiner, der nur auf das Eine aus ist, vor allem dann nicht, wenn ich jemanden wirklich mag. Mir war bewusst, das du wahrscheinlich noch nicht viele Erfahrungen gemacht hast. Ich wollte mich zurückhalten, nichts überstürzen, um dich nicht in die Flucht zu schlagen, was, wie wir gerade merkten, nach hinten losging. Wenn du mir noch eine Chance gibst, würde ich dich gern besser kennenlernen, wer weiß, vielleicht wird aus uns ja mehr. Aber auch wenn nicht, würde ich mich freuen, dich als einen guten Freund zu haben. Und ich halte dich nicht für einen Freak, rede dir das bitte nicht ein. Du bist ein wunderschöner, intelligenter Mann, dem die ganze Welt offensteht und den ich gerne auf seinem Weg begleiten würde, in jeder Hinsicht.«

Schweigend hörte er zu, brauchte eine Weile, um die Worte zu verarbeiten.

»Du willst mich trotzdem noch kennenlernen? Und du hältst mich für schön?«

Rocco stand nun direkt vor ihm, sein warmer Atem strich über sein Gesicht.

»Beides kann ich nur mit ja beantworten. Du bist perfekt. Am Liebsten würde ich meine Hände in deinen lockigen Haaren vergraben, dich die ganze Zeit in meinen Armen halten, so wie bis eben auf der Couch und dich in Grund und Boden küssen. Kannst du dir vorstellen, wie anstrengend es war, mich den ganzen Tag zurückzuhalten?«

Schief grinsend sank Len gegen den Körper vor sich.

»Du wirst am Ende enttäuscht sein, denn ich bin alles andere als perfekt, aber ich kann dir gar nicht sagen, wie glücklich es mich macht, das du so denkst.« Er beugte sich vor und flüsterte in Roccos Ohr: »Es wäre schön, wenn aus uns etwas werden könnte«, gab er leise zu, doch sein Gegenüber verstand ihn, riss ihn förmlich an sich. Das ließ er sich zu gern gefallen.

Die Nacht verbrachte er bei Rocco und auch wenn nichts außer kuscheln geschah, war es die beste Nacht in seinem bisherigen Leben.

Die kommenden Tage verbrachten sie meist zusammen, ab und an waren auch Michi und die anderen der Gruppe mit von der Partie. Sie alle freuten sich für Len, der richtiggehend aufblühte.

Am Freitag gingen sie an die Isar zum Baden. Rocco kannte ein Plätzchen, an dem nicht viel los war und so konnten sie sich küssen, ohne das jemand ihnen dumm kam.

Für Len war München und die Zeit hier wie eine wundervolle Seifenblase, die jeden Moment platzen konnte, darum ließ er störende Gedanken nicht zu, unternahm mit Rocco so viel wie es ging, erlebte zum ersten Mal, wie unkompliziert viele mit Angehörigen der LGBTQI+ Community umgingen. In seinem Dörfchen würde es beispielsweise niemals gleichgeschlechtliche Paare als Ampelmännchen geben oder Regenbogenfähnchen auf Bussen. Akzeptiert zu werden tat gut, auch wenn er wusste, dass das Leben, trotz aller Fortschritte, nicht immer rosarot war.

Zusammen mit Rocco und den anderen Jungs und Mädels der WG machte er sich am Wochenende fertig für seinen ersten CSD. Er trug eine Kette mit einem Regenbogenanhänger, denn ihm sein Traummann am Vortag schenkte, dazu ein Shirt in Regenbogenfarben und die Hotpants von Elias, die er ihm zuvor geliehen hatte. Heute wollte er auffallen, sein wie er wollte, ohne sich zu verstecken. Sein Outfit schrie das jedem förmlich ins Gesicht.

Als Rocco zu ihnen stieß, brauchte er ein paar Sekunden, um bei Lens Anblick den Mund wieder zu zubekommen. Natürlich errötete dieser wieder, aber bei ihm war es Len mittlerweile egal, denn der andere mochte ihn so, wie er war.

Ungefähr auf halber Strecke des kommenden Umzugs, in der Nähe des Sendlinger Tors, suchten sie sich einen Platz.

Um sie herum war schon viel los, alle lachten, tanzten, ließen es sich gutgehen. Jede Farbe des Regenbogens war vertreten, jeder schwenkte stolz seine Pride Flagge, Dragqueens stolzierten umher. Für Len war es, als wäre er auf einem anderen Planeten. Sein Herzschlag schien im Rhythmus der lauten Musik zu schlagen. Berauscht beschrieb seinen Zustand nur unzureichend.

»Hast du heute etwas geraucht?«, fragte Rocco, nachdem er ihn minutenlang leidenschaftlich küsste, grinste amüsiert.

»Witzbold. Nein, habe ich nicht, aber die Stimmung hier, die reißt mich mit. Es ist unglaublich hier«, antwortete er ehrlich. »Vor allem, weil ich das alles zusammen mit dir erleben kann«, fügte er hinzu, versank dabei in Roccos Augen.

»Das ist es wirklich. Es erinnert mich an meinen ersten Pride Umzug, wie frei und angekommen ich mich fühlte.«

Frei, ja das war das richtige Wort. Len fühlte sich freier als jemals zuvor. Darum hatte er auch nichts dagegen, als ein Reporter Rocco und ihn darum bat, sie fotografieren zu dürfen. Dafür küsste Rocco ihn mit seinen in Regenbogenfarben geschminkten Lippen. Sollte doch jeder sehen, wie glücklich er gerade war.

Nach und nach zogen die Teilnehmer des Polit-Umzugs an ihnen vorbei. Die Wagen waren aufwendig geschmückt, jeder zeigte hier deutlich, das ihm oder ihr die Themen Gleichberechtigung und Toleranz wichtig waren.

Am Marienplatz lauschten sie später einigen Sprechern, die in ihren politische Reden auf die Situation der Community eingingen, genossen Livemusik und Len bekam seine erst Drag Show zu sehen. An Rocco geschmiegt fühlte er sich als Teil von etwas Großem.

Ausklingen ließen sie den Tag dann beim Rathausclubbing, zu dem Rocco sie alle einlud.

Erst in den frühen Morgenstunden begaben sie sich auf den Heimweg.

»Bleibst du bei mir?«, fragte er Rocco, als die anderen schon im Hausflur verschwunden waren.

»Sehr gern«, antwortete sein Gegenüber lächelnd.

Mit wild pochendem Herzen lief er neben diesem wunderbaren Mann die Treppe nach oben und hätte die ganze Welt umarmen können.

 

Wochen später

 

»War das der letzte Karton?« Fragend blickte sein Freund Rocco ihn an. Aus ihnen war mittlerweile ganz offiziell ein Paar geworden.

»Ja, der Sprinter ist leer«, gab er lächelnd zurück.

Seit ihrem Kennenlernen war viel geschehen. Zum Beispiel zierte ihr Foto die Titelseiten einiger großer Zeitungen der Region, so das seine Eltern schnell erfuhren, was ihr Sohn in seinem Urlaub so trieb. Es gab einen großen Streit, der damit endete, das sie seit knapp zwei Wochen nicht mehr miteinander sprachen.

Len rief daraufhin Elias an und bat ihn und die gesamte WG inklusive Rocco darum, ihm zu helfen, seine Sachen nach München zu bringen. Erst einmal würde er in der Wohngemeinschaft leben, was in der Zukunft geschehen würde, ließ er auf sich zukommen.

Zwischen seinem Freund und ihm lief es gut, sie wuchsen zusammen. Selbst ihr erster kleiner Streit warf sie nicht aus der Bahn. Keiner von ihnen wollten den anderen verlieren.

»Gut, dann bringen wir das noch nach oben und danach nehme ich dich mit zu mir. Nach diesem anstrengenden Tag sehne ich mich nach meinem Whirlpool.« Breit grinsend sah Len ihn an.

»Da bin ich dabei.«

Als sie Roccos Wohnung erreichten, beschlossen sie, nach diesem arbeitsreichen Tag zuerst zu duschen, Len brauchte etwas länger.

Kaum war er, nackt wie er war, aus dem Bad hinausgetreten, bemerkte er, dass das Licht aus war, überall brannten Kerzen und im Hintergrund spielte leise Musik. Eine einzelne Rose lag auf dem Bett.

»Überraschung«, sagte Rocco, der neben der im Raum freistehenden Schlafstätte stand. »Ich dachte, wir feiern ein wenig... .«

Die gefühlvolle Atmosphäre in sich aufnehmend trat Len langsam näher.

»Das werden wir. Ich hatte etwas ähnliches im Sinn«, gab er schüchtern zu. »Du hast echt eine romantische Ader.«

Die Spannung im Raum wuchs sekündlich an, sein ganzer Körper prickelte, sein Schwanz zuckte.

Auch Rocco stand im Adamskostüm vor ihm, sah zum Anbeißen gut aus.

Sich küssend und streichelnd sanken sie aufs Bett, verloren sich in den Gefühlen füreinander.

Zärtlich machte ihn sein Freund nach einem langen Vorspiel ganz zu dem seinen, ließ ihn Dinge fühlen, die besser waren, als alles was er sich je vorstellen konnte. Besser konnte ein erstes Mal nicht sein.

Schon unglaublich, was sich aus einem Urlaubsflirt alles entwickeln konnte.

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Texte: © Ann Salomon
Bildmaterialien: Pixabay
Tag der Veröffentlichung: 14.06.2021

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