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Prolog

Seit gut zwei Monaten trainierte Anayo schon mit den anderen Männern und Frauen der neu gebildeten Einheit. Sie kamen aus allen Teilen der Welt, gehörten vollkommen unterschiedlichen Rudeln an.

Die Gemeinschaften hatten sich über die vergangenen Jahrzehnte zwar angenähert, aber es gab trotzdem noch Vorurteile und Abneigungen, die man nicht so schnell aus den Köpfen vertreiben konnte.

Ihre Gruppe jedoch war jetzt schon so weit zusammengewachsen, dass man einander bedingungslos vertraute, sich aufeinander verlassen konnte.

Ihnen allen war bewusst, wie wichtig ihre Aufgaben waren, wie viel davon abhing.

Die International Shifter Task Force, kurz ISTF, wurde ins Leben gerufen, um gemeinschaftlich gegen einen Feind vorzugehen, der Männer, Frauen und Kinder der Wandler gleichermaßen entführte und an den meistbietenden verkaufte. Viele der Opfer kamen um, überlebten die Misshandlungen nicht, denen sie ausgesetzt wurden.

Jedes einzelne der Teammitglieder war mit Feuereifer dabei, wollten sich diesen Mistkerlen entgegenstellen und die Unglücklichen, die sich in ihrer Gewalt befanden, befreien.

Anayo trieb jedoch weit mehr als dieser Wunsch an. Bebend legten sich seine Finger um den Ring, den er an einer Kette um den Hals trug. Er würde nicht ruhen, ehe er denjenigen fand, für den dieses Schmuckstück bestimmt gewesen war.

Nilas gehörte zu jenen, die verschwunden waren.

Vor einigen Monaten hatten sie sich in einer Bar in Berlin kennengelernt. Anayo war nicht auf der Suche gewesen, wollte nur einen ereignisreichen Tag während eines internationalen Wandlertreffens ausklingen lassen. Da war ihm der große blonde Mann aufgefallen, der allein an einem Stehtisch gestanden und die Tanzenden betrachtet hatte. Noch bevor er seine Witterung aufgenommen hatte, war ihm klar geworden, dass er einen Wandler vor sich hatte.

Ihre Blicke trafen sich. Lächelnd kam der schöne Mann zu ihm herüber und verwickelte ihn in ein Gespräch.

Keiner vor ihm hatte Anayo je so fasziniert. Etwas zog ihn zu dem anderen.

Nachdem sie miteinander getanzt hatten, beschlossen sie, frische Luft zu schnappen.

Kaum war ihm vor dem Club Nilas unverfälschter Duft in die Nase gestiegen, erkannte er, wer der andere für ihn war.

Sein Gorilla gebärdete sich wie wild in ihm, als er an die leidenschaftlichen Stunden dachte, die sie anschließend miteinander verbracht hatten.

Die Verbindung zu einem Eisbären war sicher nichts Alltägliches und nicht jeder verstand, wieso er sich darauf eingelassen hatte, doch ihm war egal, mit welchem Tier sein Gefährte seinen Geist teilte.

In sich spürte er das Band, das Nilas und ihn verband, aber noch nicht vollständig war, da sie keine Gelegenheit bekommen hatten, die Verbindungszeremonie zu vollziehen.

Über mehrere Wochen verbrachten sie jede freie Minute, die sie sich nicht bei ihren Alphas während den Verhandlungen aufhielten, zusammen.

Anayo machte sich immer noch Vorwürfe, weil er Nilas allein gelassen hatte. Er war losgezogen, um einen Ring für seinen Gefährten zu kaufen, um ihm diesen zu geben und ihn zu bitten, mit ihm zu kommen, obwohl sie sich zuvor so in die Haare bekommen hatten, dass ihm sogar das Wort Trennung über die Lippen gekommen war. Seine Überreaktion tat ihm sogleich leid. Darum wollte er etwas besorgen, um Nilas zu verdeutlichen, wie ernst es ihm mit ihm war und es niemals einen anderen für ihn geben könnte. Ehe er zum Juwelier aufgebrochen war alles geregelt, selbst Anayos Alpha hatte schon sein okay gegeben, dass er Nilas mitbringen konnte.

Als er zurückgekehrt war, fand er das Hotelzimmer verwüstet vor, von Nilas keine Spur. Überall konnte er menschlichen Geruch wahrnehmen. Doch es war nicht der normale Geruch des Homo Sapiens, sondern besaß etwas, dass Anayo die Haare zu Berge stehen ließ.
Seit diesem schicksalhaften Tag fehlte von seinem Gefährten jede Spur.

Als er davon hörte, dass sie Freiwillige für die International Shifter Task Force suchten, meldete er sich, denn alles, was er bis dahin herausfinden konnte, deutete darauf hin, dass sein Mann diesen Menschen in die Hände gefallen war, die sich eine goldene Nase mit dem Leid unschuldiger Wandler verdienten.

Jeden Tag betete er dafür, dass Nilas schon bald wieder bei ihm sein würde. Er hoffte inständig, dass sein Eisbär nicht dachte, er sei ihm egal und die Trennung Realität.

Dank ihrer Verbindung wusste er zumindest, dass der andere lebte. Dieses Wissen hielt ihn aufrecht.

Kapitel 1

In schneller Folge ließ er seine Fäuste auf den Wolfswandler niedersausen, mit dem er trainierte. Auch er selbst steckte Treffer ein, ließ sich davon aber nicht aus dem Konzept bringen. Jeder Kampf brachte ihn weiter, zeigte ihm auf, wo er sich noch verbessern musste.

Seit gut zwei Wochen verbrachten sie ihre Zeit auf dem Stützpunkt, immer in der Erwartung eines neuen Einsatzes.

Anayo wurde immer unruhiger, wollte sich lieber kopfüber in einen neuen Auftrag stürzen und Unschuldige retten, als sich seinen Hintern platt zu sitzen.

Seit der Gründung der ISTF konnten sie schon mehrere hundert Wandler befreien. Oft waren sie in Einrichtungen eingedrungen, die nur dafür da gewesen waren, diese armen Seelen darin zu verwahren, bis man sie verkauft und an ihre neuen Besitzer weitergeleitet hatte.

Hin und wieder gelang es ihnen auch Käufer auszumachen und die, die in deren Häusern wie Sklaven gehalten wurden, dort herauszuholen. Am schlimmsten war es, wenn es Kinder waren, die sie vorfanden.

Ihnen allen hatte man Anfang Bilder von gequälten Kindern gezeigt, von exhumierten Leichen. Viele von ihnen waren noch keine zehn Jahre alt gewesen.

Es machte ihn wahnsinnig, mitzuerleben, was die Menschen ihnen schon seit Jahrzehnten antaten. Dem Großteil der Menschheit war bis jetzt verborgen geblieben, dass es neben ihnen noch andere Wesen gab, die den Planeten bevölkerten. Die, die davon wussten, waren zumeist als Gefährten Teil der Gemeinschaften oder den einzelnen Rudeln freundschaftlich verbunden. Leider gab es auch jene, die es irgendwann durch Zufall herausgefunden hatten und nun Profit daraus schlugen, dass manche Menschen bereit waren, viel Geld zu bezahlen, um sich mit etwas Besonderem zu umgeben und mit ihnen tun und lassen konnten, was sie wollten.

Die Geheimhaltung, die Abschottung vieler Rudel, um ihre Sicherheit zu gewährleisten, hatte jedoch dafür gesorgt, dass viel geschehen konnte, ohne dass die Wandlergemeinschaft davon Wind bekam. Die Täter hingegen waren weltweit viel zu gut vernetzt, sodass vieles lange nicht entdeckt werden konnte.

Mittlerweile war es anders. Sie waren sich bewusst, was vor sich ging und handelten dementsprechend. Egal wie klein ein Rudel auch sein mochte, es unterstützte die, die gegen diese Verbrecher vorgingen, denn ihnen allen war bewusst geworden, dass sie alle in Gefahr waren. Jeder einzelne konnte zum Opfer werden.

Gerade die dominanten Männer und Frauen unter ihnen waren es gewohnt, die zu beschützen, die sie liebten. Für die Sicherheit ihrer Familien taten sie alles.

Ein Knacksen gefolgt von einem durchdringenden Schmerzlaut riss ihn aus seinen Gedanken. Lewis, der nur unwesentlich kleiner war als Anayo, stand vornübergebeugt da und hielt sich die Nase. Der Geruch nach Blut stieg ihm in die Nase.

„Scheiße! Es tut mir leid, Lewis“, rief er aus und war sofort bei seinem Trainingspartner. Es war nicht ungewöhnlich, dass sie sich auch mal gegenseitig verletzten, doch es tat ihm trotzdem leid. Dieser Mann konnte nichts für den Schmerz und das Sehnen in ihm. Dies würde erst verschwinden, wenn Nilas wieder bei ihm war. Ebenso wenig war der Wolf für die Gräueltaten derer verantwortlich, die sie bekämpften.

Er griff nach einem sauberen Handtuch und reichte es Lewis, der es dankend annahm und sich unter die Nase hielt.

„Mach dir...keinen Kopf. Das wird schnell...wieder aufhören zu bluten“, stieß er abgehackt hervor und versuchte sich an einem Grinsen. „Ich hoffe nur, dass...du niemals wirklich wütend...auf mich sein wirst, das könnte schmerzhaft werden, wenn...du jetzt schon zuschlägst...als wärst du eine außer Kontrolle geratene Dampfwalze.“

Jemand musste nach Colby, ihrem Heiler, geschickt haben, denn dieser tauchte neben ihnen auf und begann, sich um Lewis zu kümmern.

Wie alle anderen hier war er auch ein ausgebildeter Kämpfer, konnte es mit jedem Feind aufnehmen, obwohl er eigentlich eine äußerst sanfte Seele war und dies auch ausstrahlte.

„Jeder von uns muss tun, was nötig ist, um für den Erhalt und die Sicherheit unserer Art zu sorgen, auch wir Heiler“, hatte ihm Colby geantwortet, als er wissen wollte, was ihn dazu bewogen hatte, sich der ISTF anzuschließen.

Wie ein begossener Pudel stand er neben den beiden.

„Ein glatter Bruch, das wird gut und schnell heilen“, meinte Colby und wandte seine Gabe an.

„Siehst du, es ist nicht schlimm. Mach dir keinen Kopf“, sagte Lewis an Anayo gewandt.

Er lächelte schief.

„Da bin ich froh. Danke, Colby.“

Nachdem er Lewis zu dessen Zimmer begleitet hatte, begab er sich in seins.

Seufzend schloss er die Tür hinter sich. Wie von selbst legten sich seine Finger um den Ring. Seine Gedanken drehten sich um Nilas, seine Seele sehnte sich nach ihrem Gegenstück.

Aus dem Spiegel über dem Waschbecken in der Ecke sah ihn sein Spiegelbild an. Er war noch er selbst, doch er erkannte sich kaum wieder. Das Lächeln, das zu ihm gehört hatte wie das Atmen, war verschwunden. Seine ganze Haltung machte deutlich, wie sehr ihm die Trennung von Nilas zusetzte.

Auf seiner dunklen Haut glänzte der Schweiß. Wehmütig dachte er daran zurück, wie Nilas nach dem Sex oft auf ihm zusammengesunken war. Seine hellen Finger waren streichelnd über Anayos Körper geglitten. Es hatte ihm gefallen, wie unterschiedlich sie gewesen waren und dennoch eine unzerstörbare Einheit gebildet hatten. In diesen Momenten war es egal gewesen, zu welcher Art sie gehörten, niemanden interessierte sich dafür, dass sie nicht dieselbe Hautfarbe hatten. Es war nur wichtig, dass sie einander liebten.

Die Tränen zurückdrängend, die in seinen Augen brannten, schnappte er sich ein Handtuch und frische Klamotten und begab sich zu den Duschen.

Eine Weile später war er wieder in seinen vier Wänden und saß auf seinem Bett. In der Hand hielt er ein gerahmtes Bild, das Nilas und ihn zeigte. Anayo wusste noch ganz genau, was er in dem Moment, als dieses Foto entstanden war, gefühlt hatte.

Zärtlich strich er über Nilas Gestalt. Verdammt, er vermisste ihn so sehr, hatte das Gefühl, als würde die Wunde in seinem Inneren mit jedem Tag noch ein wenig größer.

„Bald, Nilas, bald werde ich dich finden und dann lasse ich dich nie wieder los. Ich liebe dich so sehr und werde rächen, was auch immer sie dir angetan haben.“

Immer wieder nahm er Unbehagen und sogar Schmerz wahr, den Nilas empfand. Es kam ihm jedoch so vor, als würde der andere ihn abschirmen wollen, da er das, was er empfand, nur gedämpft zu fühlen schien.

Nach einem gemeinsamen Abendessen zog sich Anayo wieder zurück, musste allein sein und versuchen, seine Mitte wiederzufinden.

Wie so oft lief er über das Gelände, drehte seine Runden und fand doch nicht die innere Ruhe, die er sich wünschte.

Die Sonne war schon lange hinter dem Horizont verschwunden. Der Mond eroberte sich gerade seinen Platz am Firmament.

Anayo saß auf einem Hügel und betrachtete die Gebäude des Stützpunkts, die vor ihm lagen. Dies war nun seine Welt, seine Aufgabe. Er wusste, dass er nur so die Gelegenheit bekommen würde, Nilas aufspüren zu können. Es tat ihm gut, etwas Sinnvolles zu tun und seiner Art damit helfen zu können.

Jedes Mal, wenn sie aufbrachen, flutete ihn eine gespannte Vorfreude, die dann ab einem gewissen Punkt jäh von der Angst abgelöst wurde, ihn doch noch verlieren zu können. In seinen Albträumen gelang es ihnen, den Ort aufzuspüren, an dem sie die Liebe seines Lebens festhielten, nur um miterleben zu müssen, wie man ihn vor seinen Augen tötete. Immer und immer wieder erwachte er schreiend aus diesen Träumen.

Drei Monate war es her, dass Nilas entführt worden war. All diese Wochen des Hoffens und Bangens, der Ungewissheit. Was tat man seinem Gefährten an, während er hier zum Nichtstun verdammt war?

Mit der Hand fuhr sich Anayo über sein sehr kurz geschnittenes Haar.

Wenn er nicht bald wieder etwas zu tun bekam, würde er noch durchdrehen. Sein Gorilla gebärdete sich ohnehin wie wild in ihm, machte ihm zusätzlich das Leben schwer. Seine wilde Seite verstand nicht, was ihn davon abhielt, ihren Gefährten zurückzuholen. Sie wollte Rache nehmen, den Mann, dem ihr Herz gehörte, beschützen. Als ob es ihm anders ging. Würde man ihm jetzt die Täter zeigen, er würde Amok laufen, sie alle töten, für das, was sie unzähligen Wandlern und vor allem Nilas angetan hatten.

Abgrundtief seufzend erhob er sich, lief langsam zurück. Bis auf die Wachposten, die das Gelände im Auge behielten, war niemand mehr unterwegs. Auch er sollte sich ausruhen und versuchen, ein wenig zu schlafen.

Völlig erschöpft, da er seit Tagen nicht mehr durchgeschlafen hatte, versank er kurz nachdem er sich entkleidet und hingelegt hatte, in einem tiefen Schlaf.

Viel zu früh wurde er nur wenige Stunden später aus dem Schlaf gerissen.

Jemand hämmerte gegen seine Tür.

„Der Boss hat einen neuen Auftrag für uns. In fünfzehn Minuten im Besprechungsraum“, teilte Lewis ihm lautstark durch die geschlossene Tür mit.

Sofort war er auf den Beinen, machte sich fertig und war einer der Ersten, die in Uniform und bewaffnet auf einem der dort aufgereihten Stühlen Platz nahm.

Nur wenige Minuten später waren sie vollzählig.

Romero, ein Tigerwandler, dem die Dominanz immerzu aus allen Poren zu dringen schien, trat vor sie. Ihr Vorgesetzter war ein erfahrener und unnachgiebiger Kämpfer, dem Anayo bedingungslos vertraute.

„Wie ihr wisst, macht es uns der Feind nicht gerade einfach, ihn aufzuspüren, vor allem seit sie mitbekommen haben, dass wir ihnen auf den Fersen sind. Sie verlegen viele der Entführten regelmäßig, um uns ins Leere laufen zu lassen. Einer unserer Techniker konnte eine Nachricht abfangen. Alles spricht dafür, dass sie in den kanadischen Bergen eine Einrichtung errichtet und dort viele der noch nicht verkauften Wandler eingesperrt haben. Der Satellit, der uns zur Verfügung steht, hat uns die notwendigen Aufklärungsbilder geliefert. Dort gibt es tatsächlich mitten im Nirgendwo, einen riesigen Komplex. Wir werden noch in dieser Stunde aufbrechen. Die zivilen Stellen wurden schon über diesen Einsatz informiert. Für die, die wir heute hoffentlich befreien können, wird gesorgt werden.“

Konzentriert bereiteten sie sich alle auf die bevorstehende Abreise vor, überprüften die Waffen, die sie mitnehmen würden und fanden sich schließlich auf dem Rollfeld des sich in Europa befindlichen Stützpunktes ein. Die Transportmaschine würde sie zügig an ihr Ziel bringen. Vor Ort standen dann genug Fahrzeuge bereit, um sie alle transportieren und zu ihrem Bestimmungsort bringen zu können.

Obwohl er während dem Flug versuchte konzentriert zu bleiben, schweiften seine Gedanken immer wieder ab, glitten zu Nilas. So sehr er sich auch bemühte, es zu verhindern, es funktionierte nicht.

Mit einem kaum merklich Lächeln ließ er die Erinnerungen an die schönen Momente, die sie geteilt hatten, zu.

Kapitel 2

Nach einem, bis auf seine innere Unruhe, ereignislosen Fluges, landeten sie auf einem kleinen, abgelegenen Militärflughafen.

Ihre Einheit wurde schon erwartet und befand sich schon bald, auf mehrere Wagen verteilt, auf dem Weg. Dieser führte sie immer weiter hinein in die tiefen, unbewohnten Wälder.

Anayo verstand, wieso ihr Gegner sich dorthin zurückgezogen hatte. Meilenweit gab es nichts als Natur. Selbst wenn einem der Opfer die Flucht gelingen würde, wäre die Chance, sich wirklich in Sicherheit bringen zu können, nicht sehr groß. Vor allem dann, wenn man bedachte, dass die meisten von ihnen misshandelt wurden und dadurch zu schwach waren, sich gegen ihre bewaffneten Wärter zu wehren.

Das unwegsame Gelände erschwerte ihnen immer wieder das Vorankommen, sodass es Stunden dauerte, bis sie ihr endgültiges Ziel endlich erreicht hatten.

Ihr Tross an Fahrzeugen, zu dem auch weitere, noch leere Transporter gehörten, in denen man die transportieren konnte, die sie retten würden, hielt gut einen Kilometer vor einem hohen Zaun an, der militärisch gesichert worden war.

Einer ihrer Krieger, der zusätzlich zu seinen Kampfkünsten auch ein begnadeter Hacker war, verschaffte sich Zugang und ermöglichte es ihnen, die Anlage zu überwinden, ohne dass sie in Gefahr gerieten. Auch das Sicherheitssystem auf dem weiteren Gelände und im Gebäude wurde so weit außer Kraft gesetzt, dass sie es ohne Schwierigkeiten überwinden konnten.

Mithilfe der neusten Generation von nicht aufspürbaren Drohnen verschafften sie sich einen Überblick darüber, wo sich die patrouillierenden Wachen befanden.

Lautlos wurden diese durch Anayo und seine Kameraden ausgeschaltet. Es war ihm ein Rätsel, wie fahrlässig diese Menschen waren. Sie unterschätzten die Fähigkeiten derer, die gegen sie kämpften, vollkommen, obwohl sie wussten, mit wem sie es zu tun hatten.

Über einen Empfänger im Ohr wurden sie stetig auf dem Laufenden gehalten. Die Technik war so konzipiert, dass sie sich während der Wandlung anpasste und so auch von ihnen genutzt werden konnten, wenn sie sich in ihrer Tierform befanden.

Anayos Tier saß direkt unter seiner Haut, wollte handeln, die vernichten, die es gewagt hatten, sich an ihrer Art zu vergreifen. Trotzdem war er konzentriert, ließ die menschliche Seite handeln, um die anderen und sich selbst nicht in Schwierigkeiten zu bringen.

Schon bald erreichten sie die ersten kleineren Nebengebäude, in denen sich, wie sich herausstellte, noch ungenutzte, modern ausgestattete Labore befanden. Anayo wollte nicht daran denken, was diese Scheißkerle dort tun wollten.

Diese Entdeckung machte sie alle wütend. Man konnte ihre jeweiligen Tiere in den Augen erkennen, hörte verhaltenes fauchen und knurren, dass sie, selbst als Menschen, nicht zurückdrängen konnten.

Die Entwicklungen in Technik und Medizin waren teilweise atemberaubend, doch wenn man sie dazu benutzte, andere Lebewesen zu quälen, ihnen unaussprechliches anzutun, dann wünschte er sich die Zeiten zurück, in denen die Rudel nur andere Wandler fürchten mussten. Seit der Mensch auf der Bildfläche erschienen war und sich auf der gesamten Erde ausgebreitet hatte, mussten sie auch immer ein Auge auf das haben, was dieser tat, um rechtzeitig reagieren zu können.

Für diese Kerle waren Wandler nicht mehr als Tiere und aus diesem Grund war ihnen egal, was mit ihnen geschah.

Gerade als sie an dicht an der Hauswand entlangliefen, um zu einem der seitlichen Zugänge zu gelangen, öffnete sich direkt vor Anayo eine Tür, die scheinbar in den Keller führte und ein Mann, mit einem Maschinengewehr bewaffnet, trat ins Freie. In seiner Hand hielt er eine Zigarette.

Noch waren sie noch nicht bemerkt worden. Damit dies auch so blieb, musste Anayo schnell und effizient handeln.

Seine Hände schnellten nach vorne, packten den Mann und drehte ihn zu sich herum. Noch ehe der andere die Waffe auch nur ein wenig anheben konnte, riss er dessen Kopf herum. Ein, für seine Ohren, lautes Knacken war zu hören. In sich zusammengesunken, hing er in Anayos Armen. Den leblosen Körper legten sie hinter einigen Mülltonnen ab, wo ihn so schnell niemand entdecken würde.

Nach kurzer Rücksprache beschlossen sie, sich sofort ins Innere zu begeben. Von dort aus würden sie überall hin gelangen können.

Insgesamt waren es sechs Gruppen, die an unterschiedlichen Stellen eindringen würden.

Noch hatten sie weder Schüsse noch anderen Kampflärm vernommen, was gut war. Je weiter sie kamen, ohne auf Gegenwehr zu stoßen, umso besser. Sie würden früh genug auf Widerstand stoßen.

Immer wieder schalteten sie einzelne Wachen aus, die sich im Gebäude aufhielten.

Jeder einzelne Feind, der ihnen nicht mehr gefährlich werden konnte, würde ihnen die Erfüllung des Auftrages erleichtern.

Ihm stiegen unglaublich viele Witterungen in die Nase. Sie gehörten zu den unterschiedlichsten Wandlern, von Pflanzenfressern bis hin zu allen möglichen Fleischfressern war alles dabei.

Es erschien Anayo, dass sie dieses Mal wirklich an etwas richtig Großem dran waren.

Auch wenn sie gut vorankamen, wurden sie nicht unvorsichtig. Unterschätze nie einen Feind, egal wie schwach er einem auch erscheinen mochte. Dies hatte man ihm und den anderen Kriegern und Kriegerinnen der ISTF schon von Kindesbeinen an vermittelt. Der Homo Sapiens war den meisten Wandlern zwar, was die reine Körperkraft betraf, weit unterlegen, doch sie hatten im Laufe der Geschichte gelernt, diese Defizite auszugleichen. Es war nur ein Gegner mit gezogener Schnellfeuerwaffe nötig, den sie übersahen, um ihre Gruppe zu töten, bevor sie auch nur die Möglichkeit bekamen, zu reagieren.

Keiner von ihnen wollte sterben.

Als Anayo Schritte vernahm, die zwar noch weit entfernt waren, sich ihnen jedoch näherten, gab er den anderen ein Zeichen. Schnell suchten sie Deckung.

Sein Herz schlug schnell, als er, hinter einem Schrank versteckt, den Gang im Blick behielt.

Vier Männer in Tarnanzügen eilten auf sie zu.

„Sie melden sich nicht! Keiner von ihnen“, meinte einer von ihnen, während er weiterhin versuchte, seine Leute zu erreichen, von denen Anayo wusste, dass sie ausgeschaltet worden waren.

„Möglicherweise liegt es an der Technik“, mutmaßte ein anderer.

„Sicher nicht! Die ganze Anlage wurde erst gewartet.“

Kurz war es still. Die vier Männer waren stehen geblieben, als plötzlich ein Schuss ertönte.

„Fuck! Los, bewegt euch“, schrie derjenige, der das Sagen zu haben schien und rannte in ihre Richtung.

Anayos Kameraden machten sich ebenso bereit wie er.

Nur noch Sekunden, bis sie auf ihrer Höhe sein würden.

Dann ging alles ganz schnell. Anayo trat in das flackernde Licht der Deckenbeleuchtung und schnappte sich den Mann, der ihm am nächsten war. Mit vor Überraschung weit aufgerissenen Augen starrte er ihn an. Er kam nicht mehr dazu, die anderen zu warnen oder etwas zu tun. Keine Minute später lagen die Menschen auf dem Boden.

Einer der ISTF-Kämpfer, ein Löwenwandler, beugte sich vor und löste einen Schlüsselbund und die Zugangskarte, die einer der Toten am Gürtel trug.

„Es kann nicht schaden“, meinte er leise. Anayo konnte ihm nur zustimmen. Es würde ihnen ihre Arbeit erleichtern.

Immer wieder ertönten Schüsse aus anderen Bereichen der weitläufigen Anlage.

Damit war klar, dass man sie entdeckt hatte und alle Kräfte mobilisiert wurden, um gegen sie zu kämpfen.

So sehr es ihn auch zu den Gefangenen zog, um sie zu befreien, sie mussten zuerst sicherstellen, dass sie niemanden übersehen hatten, was sie im schlimmsten Fall das Leben kosten könnte.

Deshalb arbeiteten sie sich weiter Stockwerk für Stockwerk vor, bis sie auf niemanden mehr trafen, der sich ihnen in den Weg stellte.

Einige von ihnen bekamen Streifschüsse ab, doch der Großteil blieb weitestgehend unverletzt.

Erst jetzt konnten sie sich daran machen, den Zellentrakt zu betreten, der die gesamte rechte Seite des Gebäudes einnahm.

Hier schien es keine wirkliche Ordnung zu geben, was die dort Eingesperrten betraf.

Männer, Frauen und erschreckend viele Kinder waren nebeneinander untergebracht.

Beim Anblick der Wandler rutschte ihm mehr wie einmal das Herz in die Hose. Kaum einer war unverletzt, viele waren verstört und aggressiv, wieder andere schienen sie gar nicht zu bemerken, wirkten vollkommen apathisch.

„Wir werden noch mehr Wagen benötigen, um alle von hier wegbringen zu können“, sagte Anayo zu einem der anderen.

„Sie haben hier einige in ihrem Fuhrpark, die werden wir uns nehmen. Die Techniker sind schon dabei, eventuelle Sender aufzuspüren und unschädlich zu machen.“

Die nächsten Stunden verbrachten sie damit, die Befreiten zu den wartenden Fahrzeugen zu schaffen, was oft nicht so einfach war, da sie berechtigterweise Angst hatten und erst nach gutem Zureden bereit waren, mit ihnen zu kommen.

Nach und nach fuhren immer mehr vollbesetzte Autos davon.

Anayos Wut über das, was er zu sehen bekam, kochte in ihm, doch er schluckte es runter, verschob den Ausbruch auf später, wenn er in seiner Tiergestalt durch die Wälder ihres Stützpunkts jagen würde.

Schnelle Schritte näherten sich Anayo. Wer immer es war, musste gerannt sein.

„Anayo, du musst mir folgen“, rief der andere aus, machte auf dem Absatz kehrt und war schon wieder den Gang entlang davongeeilt, bevor Anayo hatte reagieren können.

Stirnrunzelnd verharrte dieser einen Moment, dann setzte er seinem Kameraden nach.

Schnell holte er ihn ein.

„Was ist los?“, fragte er ihn, während er neben ihm her rannte.

„Ich denke, dass ich ihn gefunden habe“, erwiderte dieser und sah ihn durchdringend an.

Dies traf Anayo unvorbereitet, sodass er strauchelte und fast gestürzt wäre.

„Nilas?! Er ist hier?“

Ein einfaches Nicken war die Antwort.

Ehe er noch etwas anderes sagen konnte, erreichten sie einen Zellentrakt, der sich mindestens drei Stockwerke unter der Erde befand.

Wie ein Vorschlaghammer traf Anayo dieser eine besondere Geruch, den er überall wiedererkannt hätte. War die Unruhe und die Wut, die er schon die ganze Zeit über empfunden und die sich, seit er hier war, nur noch verstärkt hatte, nicht das normale, was er während ihren Einsätzen spürte, sondern ein Zeichen dafür gewesen, dass er sich seinem Gefährten genähert hatte?

„Wir kommen nicht an ihn heran. Er ist, als wir die Verriegelung der Zellen öffneten, herausgestürmt und verschanzt sich nun in einer der anderen. Ich fürchte, dass er gerade nicht klar denken kann. Vielleicht erreichst du etwas.“ Einer seiner Vorgesetzten stand ihm gegenüber und hatte ihm eine Hand auf die Schulter gelegt, um ihn daran zu hindern, kopflos hineinzustürmen.

Darum bemüht, sich zu beruhigen, nickte Anayo und lief langsam weiter den Flur zwischen den leeren Gefängniszellen entlang. Von weiter hinten vernahm er ein bedrohliches Knurren.

Nilas Witterung umgab ihn, schien ihn ganz und gar zu erfüllen.

Unter dem Protest der anderen legte er seine Waffen ab und reichte sie ihnen.

„Er ist mein Gefährte. Glaubt ihr wirklich, ich könnte eine Waffe auf ihn richten oder sie gar benutzen?“

Tief durchatmend trat er vor den kleinen Raum. Bei dem, was er sah, wollte ihm das Herz schier brechen.

Kapitel 3

In der Ecke stand Nilas. Dieser war vollkommen außer sich, knurrte wild.

Die Kleidung, die er trug, war dreckig und großteils zerrissen.

Sein strähniges, ungewaschenes Haar hing ihm in wirren Strähnen ins Gesicht, seine Augen waren die seines Eisbären. In ihnen konnte Anayo nichts Menschliches erkennen.

Als der andere Anayo bemerkte, wurde er noch wilder und schien kurz davor zu sein, sich auf ihn zu stürzen.

Es war eindeutig, dass sein Gefährte ihn nicht erkannte, dafür war er zu sehr in seiner Wut gefangen.

Deshalb blieb Anayo stehen, wo er war, hob beschwichtigend die Hände, sodass sein Gegenüber sah, dass er unbewaffnet war.

Das Knurren des anderen ließ nicht nach, die wilden Augen huschten unruhig hin und her.

In sich hinein spürend suchte er nach ihrem Band, über das ihn all die Emotionen trafen, die ihn mit in die Spirale aus Wut reißen wollten. Er schob alles von sich, ließ sich nicht überwältigen und konzentrierte sich darauf, Nilas all seine Liebe zu senden, die er für ihn empfand.

Zuerst war es, als würde dies nichts bewirken, doch dann wurde Nilas merklich ruhiger, atmete nicht mehr abgehackt. Der Eindruck des in die Ecke getriebenen Tiers verlor sich, wenn auch nur langsam.

Erleichtert stelle Anayo fest, dass er in den ihn noch immer fixierenden Augen hin und wieder den Mann erkennen konnte, den er liebte.

„Nilas, ich bin es, Anayo. Ich kann dir gar nicht sagen, wie glücklich ich bin, dass ich dich endlich gefunden habe.“ Er wandte sich ein wenig und hob betont langsam den Arm, um in die Richtung zu zeigen, in denen seine Kameraden noch immer verharrten. „Wir alle sind Wandler, gehören zur International Shifter Task Force, die dafür sorgt, dass die, die euch hier eingesperrt haben, zur Rechenschaft gezogen werden und ihr alle befreit werdet. Niemand hier wird dir etwas tun, ich schon gar nicht. Du weißt warum, habe ich recht? Du weißt, was wir füreinander sind?“

Eindringlich sah er seinen Mann an, schickte ihm weiterhin seine tiefen Gefühle. Sein Herz hämmerte wie wahnsinnig in seiner Brust. So lange hatte er diesen Moment herbeigesehnt. Er wollte nichts mehr, als zu Nilas zu eilen und ihn in die Arme zu nehmen. Doch er wusste, dass er seinem Gefährten Zeit geben musste, ansonsten würde dieser in seiner Raserei Dinge tun, die er sich niemals verzeihen würde.

Wut, Erkenntnis und Angst wechselten sich in Nilas Gesicht ab. Nach all den Monaten, in denen man ihm sicher Schlimmes angetan hatte, wusste er nicht mehr, was er denken und fühlen sollte.

Geduldig wartete Anayo, ließ Nilas die Zeit, die er brauchte.

„Du...du bist mein...Gefährte“, sagte dieser schließlich in die Stille hinein. Seine Stimme klang rau.

„Genau, ich bin dein Gefährte. Ich liebe dich, Nilas und habe niemals aufgegeben, nach dir zu suchen.“ Er machte einen kleinen Schritt auf seinen Mann zu. Da ertönte ein leiser Schrei, der nicht von Nilas kam.

Irritiert sah sich Anayo um. Die angrenzenden Zellen waren alle leer, daher konnte er also nicht gekommen sein. Einer Eingebung folgend atmete Anayo tief ein und versuchte mehr wahrzunehmen, als er mit bloßem Auge erkennen konnte.

Da war eine weitere Witterung neben der von Nilas, die ihm bis jetzt nicht aufgefallen war, da sich in diesem großen Raum so viele verschiedene miteinander vermischt hatten.

Alarmiert richtete sich Nilas auf, knurrte wieder.

Da erhaschte Anayo für einen kurzen Augenblick etwas hinter seinem Gefährten. Neben der einfachen Pritsche, verborgen unter einer Decke, kauerte jemand. Der Größe nach zu urteilen, war es ein Kind.

Heftig schluckend machte er einen Schritt zurück. Sein wundervoller Mann war so aufgewühlt, weil er ein Wandlerkind beschützte, es, wenn nötig, mit seinem Leben verteidigen würde.

„Ich werde dem Kind nichts tun. Du kannst spüren, was in mir vorgeht. Niemals würde ich dich belügen. Keiner von den Männern und Frauen, die mit mir zusammen kämpfen, würde dir oder dem Kleinen schaden.“ Er sprach ganz bewusst leise, tat alles, um seinen Liebsten zu beruhigen. Ein Wandler, der etwas so Unschuldiges wie ein Kind beschützte, war ein tödlicher Gegner.

Anayo hörte die anderen, die noch immer im Eingang standen, scharf Luft holen. Jeder von ihnen würde in einer vergleichbaren Situation ebenso handeln.

„Sie haben seine Mutter...getötet.“ Traurigkeit breitete sich in Nilas Gesicht aus. „Er hat niemanden mehr. Ich...muss ihn beschützen. Keiner wird ihm je wieder etwas antun. Bis zu meinem letzten Atemzug werde ich tun, worum mich seine Mutter bat, als sie starb, nämlich ihren Sohn zu lieben, als wäre er mein eigener“, brachte er entschlossen hervor und sah Anayo zum ersten Mal für längere Zeit direkt an.

Auf Anayos Gesicht breitete sich ein Lächeln aus.

„Das trifft sich gut, denn ich werde euch beide bis zu meinem letzten Augenblick beschützen.“ Damit stellte Anayo klar, dass er bereit war, dieses unschuldige Leben ebenso vor Schaden zu bewahren wie Nilas. Sie würden dem Jungen ein Zuhause und die Liebe einer Familie geben. „Kann ich zu dir kommen? Ich würde dich so gern berühren.“

Alles in ihm schrie danach, bei Nilas zu sein, zu spüren, dass dieser tatsächlich hier vor ihm stand und es nicht bloß eine grausame Illusion war.

Wortlos nickte Nilas. Nur einen Herzschlag später war Anayo bei ihm, zog ihn sanft und doch bestimmt an sich. Die Gefühle, die in ihrem Band hin und her zu fließen schienen, waren überwältigend. Nach diesem Moment hatte er sich gesehnt, so oft von ihm geträumt.

Hauchzart küsste er Nilas. Ebenso zaghaft erwiderte dieser den Kuss.

Bald spürte er die Feuchtigkeit auf Nilas Wangen, als dieser zu weinen begann.

„Oh, Ayo, ich dachte, ich würde dich niemals wiedersehen“, flüsterte er kaum hörbar nah an Anayos Ohr. Den Spitznamen gab ihm Nilas und er war auch der einzige, der ihn verwendete. Es war wundervoll, ihn aus seinem Mund hören zu können.

„Diese Angst hatte ich auch. Es tut mir so leid, dass ich nicht bei dir war und auch, dass wir gestritten haben, bevor ich gegangen bin. Ich liebe dich, Nilas, für immer.“ Er schob den anderen etwas von sich, um ihn ansehen zu können. „Stellst du mir unseren Sohn vor?“

Mit einem schiefen Lächeln sah Nilas ihn an.

„Du meinst es wirklich ernst“, raunte er bewegt. Dann straffte er sich, beugte sich nach unten und hob das Kind, es konnte kaum älter sein als zwei Jahre, samt Decke hoch. Große, kindliche Augen starrten ihn an. „Das ist Josua. Josua, das ist mein Gefährte Anayo. Er ist ein Gorilla, so wie du und wird dich ebenso beschützen wie ich.“

„Selbstverständlich, ich stehe zu meinem Wort. Du, dieser kleine Mann und ich, wir sind von jetzt an eine Familie.“

Ein zaghaftes Lächeln umspielte Josuas Mund.

„Hallo“, stieß er leise hervor und kuschelte sich an Anayos Gefährten.

Erst jetzt kamen auch die anderen näher.

Die Freude darüber, dass Anayo seinen Liebsten wieder bei sich hatte, war groß. Sie hatten mitbekommen, wie niedergeschlagen er in den letzten Monaten gewesen war. Nichts konnte ihn aufmuntern.

„Es ist mir eine Freude, dich kennenzulernen, Nilas.“ Sein Vorgesetzter reichte diesem die Hand. Nilas ergriff sie nach einem kaum merklichen Zögern und schüttelte sie. „Wir sollten gehen, die meisten unserer Fahrzeuge sind schon weg. Ich bin sicher, dass jeder von uns diesen Ort gern verlassen will.“

Eine von Anayos Mitstreiterinnen reichte Nilas Kleidung, die sie in einem der Aufenthaltsräume gefunden hatte. Schnell zog er sich um und schien sich anschließend schon bedeutend wohler in seiner Haut zu fühlen.

Die Computerfachleute unter ihnen hatten alle Daten, derer sie habhaft werden konnten, sichergestellt. Sie würden sich auch um deren Auswertung kümmern.

Es gab keinen Wandler der ISTF, der nicht darauf brannte, die Organisation, die hinter all den Entführungen und dem Handel mit Wandlern stand, mit Stumpf und Stiel zu beseitigen, damit sie nie wieder eine Gefahr darstellen würden.

Auch wenn Anayo nun seinen Mann wieder bei sich hatte, würde er nicht eher ruhen, bis dies erreicht worden war. Kein anderer Mann, keine Frau und kein Kind sollte je durchmachen müssen, was ihnen und so vielen anderen widerfahren war.

Hand in Hand liefen sie durch die inzwischen seltsam stillen Gänge und gelangten schließlich über eine ausladende Treppe ins Freie.

Nilas atmete hörbar durch und schenkte ihm ein Lächeln.

„Weißt du, worauf ich mich freue?“ Als Anayo grinsend mit den Schultern zuckte, meinte dieser: „Zusammen mit dir die Freiheit genießen.“

„Oh ja, darauf freue ich mich auch. Und darauf, dass du auch ganz offiziell mein Gefährte wirst.“

„Ich möchte dies so schnell wie möglich werden. Während der Gefangenschaft, all dem Mist und der Angst, was noch auf mich zukommen würde, warst du mein Ruhepol. Ich habe mir vorgestellt, wie unsere gemeinsame Zukunft aussehen würde. Da sich mein Traum, dich wiedersehen zu können, jetzt erfüllt hat, möchte ich nicht mehr warten. Wir laden unsere Familie ein und feiern gemeinsam mit ihnen unser Glück.“

Nilas sprach Anayo aus dem Herzen. Zu lange waren sie getrennt gewesen, um jetzt noch abwarten zu können. Sie wussten, wie schnell sich alles ändern konnte.

„Dann wird es so geschehen. Auch ich will nicht länger als nötig darauf warten. Sobald wir auf dem Stützpunkt der ISTF sind, werden wir alles nötige in die Wege leiten.“

Aufregung breitete sich in ihm aus, vermischte sich mit der von Nilas und machte ihn ganz hibbelig.

Während sie zusammen mit Sonis, einem der anderen Krieger in das letzte Auto einstiegen, fuhr der Transporter, der vor ihnen stand, vom Gelände.

Kaum saßen sie, ergriff Anayo, der mit Nilas und Josua auf der Rückbank Platz genommen hatte, die Hand seines Mannes. Der Kleine schmiegte sich erschöpft an Anayos Gefährten und würde sicher bald einschlafen.

In ihm rumorte sein Gorilla, war außer sich vor Freude, dass Nilas wieder bei ihnen war. Er freute sich schon darauf, diesen im Arm halten zu können, wenn er heute Nacht einschlief.

Der Wald um sie herum lag dunkel vor ihnen, die Nacht war schon weit fortgeschritten. Während sie im Inneren der Anlage gewesen waren, hatte es stark zu schneien begonnen, sodass die Welt um sie mit jeder Minute mehr im Schnee versank. Was für ein wundervoller und friedvoller Anblick.



Kapitel 4

Ohne Vorwarnung zerriss ein Schuss die Stille. Kurz darauf zerbarst die Heckscheibe des Wagens.

Josua schrie vor Angst und klammerte sich in seiner Panik an Anayo. Dieser hatte seine Waffe gezogen, war zu allem bereit.

Neben ihm war Nilas, ebenso wie er selbst, soweit in Deckung gegangen wie möglich.

Ihr Fahrer beschleunigte das Fahrzeug, was sich auf dem schneebedeckten, unebenen Untergrund schwierig gestaltete.

„Bleibt unten!“, rief er Nilas zu. Dieser nickte, griff sich jedoch die andere Handfeuerwaffe, die Anayo in einem Holster trug und entsicherte diese. Er war, wie er, ein Krieger, würde kämpfen, wenn es nötig war.

Immer wieder pfiffen Kugeln über sie hinweg, doch es sah so aus, als würden sie denjenigen, die sie angriffen, entkommen können.

Doch dann wurde Sonis an der Seite getroffen und verriss das Lenkrad. Hart war der Aufprall, als der Wagen mit einem Baum kollidierte.

Verdammt, sie würden in der Falle sitzen, wenn man sie innerhalb des Wagens vorfinden würde.

Anayo zog Josua an sich und wandte sich an die beiden anderen Männer.

„Wir müssen raus hier! Im Wald können wir uns verschanzen, dadurch steigen unsere Überlebenschancen.“

„Ich würde euch nur aufhalten, Anayo, die Kugel muss irgendetwas Wichtiges getroffen. Aber ich werde euch Feuerschutz geben. Bring deine Familie in Sicherheit! Dafür kämpfen und sterben wir, wenn es sich nicht vermeiden lässt.“ Sonis Gesicht wirkte unnatürlich blass, doch er wirkte fest entschlossen.

Für einen Moment überlegte Anayo, was er tun sollte, wollte den Kameraden, mit dem er Seite an Seite gekämpft hatte, nicht zurücklassen, doch er wollte auch nicht riskieren, seinen Gefährten und das Kind zu verlieren.

„Halte durch, hast du gehört?! Du bist stärker, als sie es je sein könnten“, sagte er zu Sonis, ehe er sich seinem Mann zuwandte. „Wir werden uns in die umgebenden Wälder flüchten. Dort können wir uns besser verteidigen. Sicher werden uns die anderen bald suchen und uns zur Hilfe kommen. Renne so schnell du kannst, sieh dich nicht um.“

Auch Nilas sah man an, wie schwer es ihm fiel, jemanden zurücklassen zu müssen, auch wenn er Sonis nicht kannte. Trotzdem nickte er. Josua kroch zu ihm und klammerte sich an ihm fest. Irgendwie schien der kleine Kerl genau zu wissen, was zu tun war.

„Halte dich gut fest, Äffchen. Hab keine Angst. Es wird laut werden, aber wir lassen nicht zu, dass dir jemand etwas tut. Nilas und ich, wir werden dich beschützen“, flüsterte Anayo dem kleinen Gorilla sanft zu.

Ernst nickte Josua, schniefte leise.

Anayo war stolz auf dieses Wandlerkind, das schon so viel durchmachen musste und doch so viel Stärke besaß, sich dem Kommenden, auch wenn es ihn ängstigte, zu stellen.

Liebevoll strich er ihm übers Haar.

Leise zählte er von drei rückwärts.

In dem Moment, als er die Tür auf seiner Seite öffnete, begann Sonis zu feuern. So schnell sie konnten, rannten sie in den immer dichter werdenden Wald.
Zu Beginn hatten ihre Verfolger noch auf sie geschossen, doch nach einer Weile hatten sie diese soweit hinter sich gelassen, dass sie keine Bedrohung mehr darstellten.

Viel zu schnell erstarben auch alle anderen Geräusche. Für einen Moment hielt er inne und dankte Sonis für seinen Mut und die Bereitschaft, sich für sie zu opfern. Die ISTF würde ihn rächen.

Auch wenn sie hinter sich keine Bewegung oder irgendwelche Geräusche wahrnehmen konnten, blieben Nilas und er nicht stehen. Solange sie nicht genau wussten, wie viele Verfolger es gab und wie gut diese ausgestattet waren, würden sie nicht innehalten.

Sie mussten einen Platz finden, an dem sich Zuflucht finden und den sie gut verteidigen konnten. Dort konnten sie abwarten, bis Anayos Team sie aufspüren und retten würde.

Gedankenverloren strich Anayo sich über den Nacken. Dort befand sich unter seiner Haut ein Ortungsgerät der neusten Generation, welches seinen Standort ständig an die Computer des Stützpunktes sendete. Lange hatte er sich gefragt, ob es eine gute Idee gewesen war, ihn sich einpflanzen zu lassen, jetzt war er dankbar dafür.

„Wie geht es dem Kleinen?“, fragte er leise und sah Nilas an.

Dieser hielt das Kind, welches warm und sicher in eine Decke gehüllt war, an seine Brust gepresst.

„Josua ist eingeschlafen“, erwiderte der andere, trat näher an ihn heran und lehnte sich an Anayo. „Wird das je aufhören? Werden wir je sicher sein?“ Seine Stimme klang resigniert.

„Wir werden kämpfen, solange es nötig ist. Unsere Leute, Kämpfer wie auch die zivilen Mitarbeiter der ISTF, arbeiten Tag und Nacht und dringen immer tiefer in die Strukturen vor, die diese Mistkerle aufgebaut haben. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis wir alle Schuldigen aufgespürt und die Unschuldigen befreit haben. Du wirst sehen, die Wandler werden am Ende siegen.“ Anayos Hand legte sich in Nilas Nacken, begann ihn zu kraulen. Ein Brummen erklang, das deutlich machte, wie gut es dem Eisbären gefiel. „Ich habe dich gesucht und endlich gefunden. Mein Gorilla und ich werden für und mit dir kämpfen. Du bist mein Gefährte und ich werde immer alles geben, damit du in Sicherheit sein wirst, du, unser Sohn und all die Kinder, die wir noch haben werden. Nilas, du warst und bist ein Krieger, dies kann dir keiner nehmen. Du wirst, wenn du dich erholt hast, ebenso für mich kämpfen, wie ich für dich. Mein starker Krieger!“

Sie versanken in einem innigen und doch unglaublich zärtlichen Kuss, in den Anayo all seine Gefühle legte.

Ihr Weg führte sie weiter hinein in die Wildnis. Der Schneefall war noch stärker geworden. Nilas konnte die Kälte, dank seiner Eisbärnatur, nicht viel anhaben. Auch Anayo, der Kleidung trug, die sich an die Gegebenheiten anpasste, konnte sich nicht beschweren. Der Einzige, um den sich Anayo sorgte, war der kleine Gorillawandler, der nichts weiter trug als die dünne Kleidung, die er im Gefängnis getragen hatte.

„Reicht ihm die Decke aus?“ In diese war eine Thermodecke eingearbeitet, was aber nicht heißen musste, dass es ihm ausreichend Schutz bot.

„Ja, er ist ganz warm“, erwiderte Nilas lächelnd, nachdem er es nachgeprüft hatte.

„Gut, falls er aber mehr brauchen sollte, dann kann er meine Jacke haben. Ich komme mit den Temperaturen besser zurecht als sein kleiner, ohnehin geschwächter Körper.“

„Das wird erst mal nicht nötig sein.“ Intensiv sah Nilas ihn an. „Ich bin so dankbar, dass das Schicksal uns füreinander vorgesehen hat. Du besitzt so viel Mut und Kraft, aber auch ein riesiges Herz.“

Anayo reichte dem anderen die Hand, als sie weitergingen. Seine aufgewühlten Gefühle beruhigten sich nur langsam, doch es half ihm, dass sein Liebster bei ihm war und sie alles zusammen durchstehen konnten.

Nach einigen Stunden erreichten sie bei Tagesanbruch den Hang eines Berges, der zu den kanadischen Rocky Mountains gehörte.

„Lass uns eine Höhle suchen. Wir sollten uns ausruhen.“

Zustimmend nickte Anayo. Dort konnten sie ein Feuer machen, falls sie genügend trockene Zweige fanden.

Schneller als gedacht war ihre Suche erfolgreich. Der Eingang war schmal, der Raum dahinter jedoch geräumig. An einer der Wände entdeckten sie einen ordentlich aufgeschichteten Stapel Feuerholz. Scheinbar wurde diese Höhle hin und wieder von Menschen genutzt. Der Witterung, die Anayo aufnehmen konnte, nach zu urteilen, war hier schon seit Wochen niemand gewesen.

Während er sich daran machte, ein Feuer zu entzünden, legte Nilas das Kind in seiner Nähe auf einer provisorischen Schlafstätte ab und kam zu ihm.

„Ich werde uns ein paar Fische besorgen.“ Sie waren an einem Fluss vorbeigekommen, in dem es auch in den kalten Monaten genügend davon gab. „Wenn er aufwacht, wird er Hunger haben. Ich bin froh, dass ihr beide, im Gegensatz zu euren tierischen Verwandten, nicht vegetarisch lebt. Dann hätten wir, bei diesen Temperaturen, auf jeden Fall ein Problem.“

Anayos Herz machte einen Satz, als er seinen so entschlossen wirkenden Mann ansah. In diesem war noch Angst, es würde Zeit brauchen, bis er das, was geschehen war, verarbeiten konnte, doch er ließ sich nicht unterkriegen.

„In Ordnung, aber bitte pass auf dich auf.“ Er deutete auf die Waffe, die Nilas bei sich trug. „Ich hoffe, dass du sie nicht brauchst, aber ich finde es wichtig, dass du sie bei dir hast.“

Nach einem langen Kuss, der Anayos Herz zum Rasen brachte, verschwand Nilas durch den schmalen Eingang.

Das Lagerfeuer brannte und wärmte Josua und ihn. Sie saßen in dessen Nähe und Anayo sang leise für den Kleinen, was diesen zu beruhigen schien. Zuerst hatte er geweint, als er gemerkt hatte, dass Nilas nicht da war, doch Anayo konnte ihn Gott sei Dank schnell beruhigen.

Jetzt schmiegte er sich eng an ihn und schien sich ebenso geborgen zu fühlen wie bei seinem Gefährten.

Gerade als er begann, sich Sorgen zu machen, hörte er Schritte. Kurz darauf betrat Nilas die Höhle.

Sein Beutezug war ein voller Erfolg gewesen.

Den bereits ausgenommenen Fisch bereiteten sie über dem Feuer zu und ließen ihn sich anschließend schmecken.

Eine Weile sahen sie Josua in einträchtigem Schweigen zu, wie er mit ein paar Steinen und Stöckchen spielte, als sie wie aus dem nichts Stimmen hörten.

Schnell eilte Anayo zum Ausgang, sah hinaus und lauschte. Diese Stimmen kamen ihm nicht bekannt vor.

„Sie haben uns gefunden?!“, flüsterte Nilas ihm angespannt zu, als er lautlos neben ihn trat.

„Noch sind wir hier sicher, im noch immer fallenden Schnee können sie uns nicht anhand von Fußspuren aufspüren. Es sind nur drei, wenn ich nach den Stimmen und der Witterung gehe. Mit ihnen werden wir fertig, sollten sie bis hierher gelangen.“

Er zog Nilas in eine feste Umarmung, die der andere ebenso erwiderte.

Sie waren beide Krieger, dazu ausgebildet, die zu beschützen, die sie liebten. Diese Menschen begingen den Fehler, sie zu unterschätzen, was sie am Ende das Leben kosten würde.

„Kümmere du dich um Josua, ich übernehme die erste Wache“, meinte Nilas und schenkte ihm ein verliebtes Lächeln. „Mann, es fühlt sich gut an zu wissen, dass ich mich endlich wieder gegen sie wehren kann. Niemals wieder werde ich ein Opfer sein“, stieß er leise und trotzdem energisch hervor.

Nach einem letzten Kuss begab er sich zu ihrem Kind, das ihm ängstlich entgegenblickte und sich an ihn klammerte, nachdem er es erreicht hatte. Obwohl er noch so klein war, bekam er mit, dass etwas nicht in Ordnung war und dies machte ihm Angst.

Kapitel 5

Obwohl er spürte, dass die Müdigkeit immer mehr von ihm Besitz ergriff, blieb er aufmerksam. Nach einer Weile war es ihm gelungen, Josua dazu zu bringen, sich wieder seinem Spiel zu widmen, trotzdem blieb der Kleine in seiner unmittelbaren Nähe. Immer wieder glitt sein Blick zu Nilas, der Wache hielt. Manchmal erschien es Anayo, als würde das Kind auf die Geräusche außerhalb der Höhle lauschen.

Die Situation war für keinen von ihnen einfach.

In Anayo kochte immer wieder die Wut hoch, die durch die wilden Gefühle seines Gorillas noch verstärkt wurden. Weder der menschliche noch der tierische Teil von ihm würde zulassen, dass Nilas etwas zustieß. Dieses Mal war er bei ihm, konnte für ihn, für ihre kleine Familie kämpfen. Er würde sich, sollte es nötig sein, auch für ihn opfern, denn er liebte diesen Mann mehr als sein eigenes Leben.

Mit einem sanften Lächeln wandte sich Nilas zu ihm um. Natürlich spürte dieser, was in Anayo vor sich ging. Wortlos formten seine Lippen ein Ich liebe dich. Auch in ihrem Band nahm er die überwältigenden Emotionen des anderen wahr. Nein, niemals würde er zulassen, dass man ihm ein zweites Mal die Liebe seines Lebens entriss.

Diese Mistkerle würden schnell merken, dass sie sich mit dem Falschen angelegt hatten.

Während der nächsten Stunde waren immer wieder die Stimmen ihrer Verfolger zu hören, doch sie waren ihnen noch nicht wirklich so nahe gekommen, dass sie hätten reagieren müssen.

Dann schlug jedoch einer von ihnen vor, ihre Suche auszuweiten und zu überprüfen, ob die, die sie suchten, sich in dem schwer zugänglichen Bereich am Hang des Berges verborgen hielten.

Leise stand Anayo auf und begab sich zu Nilas. Beide waren sie alarmiert und äußerst angespannt.

„Ich hoffe, dass du das, was ich gleich sage, nicht persönlich nimmst“, flüsterte er Nilas zu. „Wir müssen etwas tun, ehe sie uns hier entdecken und wir in der Falle sitzen. Dir hat die Gefangenschaft zugesetzt und ich bin im Moment besser trainiert. Darum würde ich dich darum bitten, dass du mit Josua hier bleibst. Wenn es nicht anders gehen sollte, dann weißt du ja trotzdem, wie du dich zu wehren hast.“

Inständig hoffe Anayo, dass ihm sein Gefährte die Worte nicht übelnahm. Er wusste, wie gut sein Mann war und wollte nicht, dass Nilas dachte, er würde ihn für unfähig halten.

„Hey, mach dir keine Gedanken, Ayo, ich sehe es ebenso. Noch habe ich nicht meine volle Stärke zurück. Du wirst dieses Mal für uns kämpfen, in Zukunft werden wir es dann zusammen tun.“ In Nilas Augen stand so unendlich viel Liebe, dass es Anayo einen wohligen Schauer bescherte.

„Das werden wir. In Zukunft tun wir alles gemeinsam.“

Nach einem schnellen Kuss lief Nilas zu Josua und verbarg sich mit ihm in einer Ecke. Die Handfeuerwaffe hatte er bei sich, um im Fall der Fälle handeln zu können.

Im Normalfall würde Anayo sich wandeln, entschied sich jedoch dagegen.

Bald hatte er den Eingang der Höhle hinter sich gelassen. Er achtete darauf, keine Fußspuren im Neuschnee zu hinterlassen und sprang deshalb von einem Felsen zum nächsten und nutzte auch umgestürzte Bäume, um denen, die sie jagten, keinen Anhaltspunkt zu geben, wo sie sich verbargen.

Durch die dunkle Uniform und seine Hautfarbe hob er sich sehr von der schneeweißen Umgebung ab, das war ihm bewusst. Doch er konnte sich verdammt schnell bewegen, hatte früh gelernt, sich zu verbergen und dann lautlos zuzuschlagen.

Einer ihrer Feinde befand sich gut fünfhundert Meter vor ihm und hatte ihm den Rücken zugewandt. Es war Anayo wirklich unbegreiflich, wie wenig sich diese Menschen der Tatsache bewusst zu sein schienen, dass sie es mit erfahrenen Wandlerkriegern zu tun hatten, die ihnen kräftemäßig und von ihrer Schnelligkeit her weit überlegen waren. Bildete man sie nicht gut genug aus? Was es auch war, ihm konnte es egal sein. Anayo würde sie auslöschen, denn sie gehörten zu jenen, die seinem Gefährten und so vielen anderen wehgetan hatten.

Der Mensch sprach mit jemandem über sein Funkgerät, war abgelenkt. Soviel Dummheit musste einfach bestraft werden.

Kraftvoll stieß sich Anayo ab und sprang, als sie nur noch wenige Meter trennten. Sein Schwung brachte sie beide zu Fall.

Erschrocken starrte der andere ihn an, wollte nach seiner Waffe greifen, doch soweit ließ es Anayo nicht kommen. Fest umschloss er den Kopf des anderen mit seinen Händen, riss sie herum. Ein lautes Knacken war alles, was daraufhin zu vernehmen war.

Einer weniger, zwei lagen noch vor ihm.

Für einen Moment hielt er inne, blickte sich um, um nichts zu übersehen.

Sein gutes Gehör zeigte ihm, dass der nächste Angreifer sich nur gut zehn Meter westlich von ihm befand.

Schnell war er auf den Beinen und arbeitete sich im Schutz der Bäume weiter vor.

Unruhig bewegte sich der Mann, war sich, im Gegensatz zu dem anderen, wohl sehr bewusst, dass sie es mit gefährlichen Gegnern zu tun hatten.

Auch dieses Mal kam er dem Typen nahe, ohne dass dieser ihn bemerkt hatte.

Doch dann knackte ein im Unterholz verborgener Ast und ließ den Kerl herum schnellen.

Wie zuvor sprang er ab, um seinen Gegner von den Beinen zu holen. Während er sich noch in der Luft befand, gelang es dem Kerl, seine Waffe abzufeuern.

Etwas traf ihn am Oberarm. Es fühlte sich an wie ein glühend heißer Pfeil. Schmerz ergoss sich in ihn, ließ ihn unterdrückt aufschreien.

Anayo riss den Schützen zu Boden. Obwohl er sich gerade nur schwer konzentrieren konnte, in seinem linken Arm kaum Kraft hatte, gelang es ihm, auch diesen Scheißkerl zu töten.

Stöhnend rollte er sich zur Seite.

Er musste aufstehen, sich bereit machen, auch den letzten Gegner ausschalten.

Schwindel erfasste ihn, als er endlich kniete. Sein Ärmel war schon von Blut getränkt. Scheiße, er musste eine Arterie erwischt haben. Darum konnte er sich jetzt jedoch nicht kümmern.

In seiner Nähe hörte er Schritte, auch wenn der gefallene Schnee sie dämpfte.

Mit der unverletzten Hand griff er sich seine Pistole, machte sich bereit. Würde es heute enden? War ihm nicht vergönnt, ein langes Leben an Nilas Seite haben zu können?

Zumindest war dieser sicher und könnte sich gegen einen einzelnen Angreifer verteidigen. Er und Josua würden leben.

Ein Knurren entkam ihm, als er den Menschen immer deutlicher erkennen konnte. Gehässig grinste ihn dieser an.

„Na, sieh mal einer an, wenn wir hier haben. Dachtest du, ihr würdet damit davonkommen, uns unser Eigentum zu stehlen? Diese Tiere gehören uns!“

Anayo erwiderte nichts darauf, hatte nicht die Kraft dazu. Der Blutverlust machte sich immer mehr bemerkbar. Mehr als ein weiteres Knurren brachte er nicht zustande.

„Du bist auch einer von denen?! Dann sollte ich dich vielleicht nicht umbringen und versuchen, dich am Leben zu halten. Es gibt viele, die für eine dunkle Schönheit wie dich viel Geld bezahlen werden.“ Lachen erklang, das so falsch klang, dass es sich für Anayo anfühlte, als würde jemand gegen den Strich durch sein Fell fahren.

Er versuchte sich zu erheben, doch seine Beine vermochten nicht mehr ihn zu tragen.

Mit jedem Schritt kam der andere näher, den Lauf der Waffe auf ihn gerichtet.

Welches Schicksal würde Anayo vorziehen? Zu sterben oder womöglich bis ans Ende seines Lebens ein Sklave zu sein?

Bevor er sich diese Frage beantworten konnte, ertönte von irgendwoher ein Schuss. Sein Gegenüber sackte in sich zusammen und schlug neben Anayo auf. In seiner Stirn prangte ein Loch.

Ehe ihm die Sinne schwanden, konnte er einige Gestalten ausmachen, die auf ihn zu rannten. Dann wurde alles schwarz und er versank in endloser Dunkelheit, aus der er sich nicht hinaus kämpfen konnte.

Er kämpfte, wusste, dass er leben musste, um zu Nilas und Josua gelangen zu können.

Endlich begann sich alles zu verändern, Geräusche drangen wieder an seine Ohren. Da war ein Geruch, der ihm so vertraut war, dass er ihn überall wiedererkannt hätte.

„Nil..as...“, stieß er hervor, hoffte, dass ihn jemand hörte. Sie mussten seinen Gefährten finden, ihn retten.

„Ayo, ich bin hier. Öffne deine schönen Augen, oh bitte, sieh mich an.“ Das war Nilas Stimme. Sie klang verzweifelt.

Es kostete ihn viel Kraft, seine Lider zu heben.

Alles um ihn herum war weiß. Lag er noch immer im Wald?

Da erschien neben ihm Nilas Gesicht. Jetzt wurde auch alles andere um ihn herum klarer. Er befand sich in einem Raum der Krankenstation.

„Geht...es dir...gut?“, fragte er kaum hörbar.

„Ja, mir geht es gut, Josua auch. Und endlich bist du auch du wieder wach. Du warst fast einen ganzen Tag ohne Bewusstsein. Ich fürchtete schon... .“ Schluchzend beugte sich sein wunderschöner Eisbärwandler über ihn, schmiegte sich an ihn und weinte leise. Sein lockiges, blondes Haar umrahmte Nilas Gesicht.

Langsam setzte sich alles in seinem Kopf wieder zusammen. Sie waren auf dem Stützpunkt, in Sicherheit, Nilas und ihrem Kind ging es gut. Vor Glück konnte auch er die Tränen nicht mehr zurückhalten.

Der Heiler untersuchte ihn später und war zufrieden damit, wie sein Körper heilte.

Zwei Tage später entließ er ihn und Anayo bezog zusammen mit seiner Familie eines der größeren Zimmer der Unterkunft.

Auf dem Bett sitzend sah er am Abend Nilas dabei zu, wie er Josua frisch machte und in sein Bettchen legte.

Nur in Boxershorts kam er zu ihm. Verdammt, an diesem Anblick würde er sich niemals sattsehen können. In seinen Augen gab es nichts Schöneres als diesen Mann.

Lächelnd legte er sich neben Anayo und kuschelte sich sofort an ihn.

„So wie es gerade ist, ist es einfach perfekt“, raunte er Nilas ins Ohr. „Ich liebe dich so sehr, mein Gefährte.“

Anstelle einer Erwiderung reckte sich Nilas und verschloss Anayos Mund mit seinem.

Kapitel 6

Anayo stand mit Nilas, auf dessen Schultern Josua saß, vor dem Hauptgebäude des Stützpunktes. Sie warteten darauf, dass ihre Familien eintrafen, um mit ihnen gemeinsam am kommenden Tag ihre Verbindung zu feiern.

Von der Seite her musterte er Nilas. Körperlich hatte er sich in den vergangenen zwei Wochen erholt, doch die psychischen Verletzungen würden noch Zeit brauchen, um zu heilen. Anayo würde ihm beistehen, ihn unterstützen.

Auch Josua würde Hilfe brauchen, die sie ihm auf jeden Fall zukommen lassen würden.

Anayo war stolz auf seine Familie und konnte es gar nicht erwarten, sie zu vergrößern.

Die ISTF scheute keine Kosten und Mühen, um sich den veränderten Gegebenheiten anzupassen.

Es wurden schon Familiengebäude geplant, die in den nächsten Monaten gebaut werden würden und auch für Josuas Betreuung war gesorgt worden. Eine sanftmütige Leopardenwandlerin war als seine Nanny eingestellt worden.

Keiner der Verantwortlichen ging davon aus, dass Anayo der einzige Soldat blieb, der eine Familie gründen würde.

Nilas fand nach und nach wieder in den Alltag eines Kriegers zurück und hatte sich dazu entschlossen, sich ebenfalls der International Shifter Task Force anzuschließen.

Als er die Motorgeräusche des Reisebusses vernahm, sah er auf.

„Sie sind da“, raunte Nilas und drückte Anayos Hand, die er hielt, ein wenig fester. Zwar hatten sie die Familie des anderen schon über Videoanrufe kennenlernen können, doch heute würden sie sich erstmals wirklich gegenüberstehen.

Josua klatschte in die Hände und freute sich sichtlich.

Kurz nachdem das Fahrzeug zum Stillstand gekommen war, stiegen auch schon die ersten aus.

Anayos Geschwister rannten auf ihn zu und rissen ihn fast um, da sie ihn so stürmisch umarmten. Auch Nilas kam in den Genuss ihrer Freude.

Wie es aussah, hatten sich ihre Eltern schon angenähert, da sie sich, als sie auf sie zu zukamen, angeregt unterhielten.

Wie Anayo erwartet hatte, verstanden sie sich alle gut und freuten sich schon auf die Zeremonie.

Den restlichen Tag und den Abend verbrachten sie mit ihren Liebsten, bis sie Abends müde ins Bett fielen.

Am nächsten Morgen frühstückten sie ausgiebig mit allen, verbrachten den Großteil des Nachmittags mit ihren Familien, ehe sie Josua in der Obhut seiner Großeltern zurückließen, um sich vorzubereiten.

Nach einer ausgedehnten Dusche rieben sie sich mit dem gesegneten Öl ein, welches ihnen der Heiler und Schamane der Einheit gegeben hatte. Anayo war dankbar, dass sie sich dafür Zeit lassen konnten, denn es war wundervoll, seinen Gefährten auf diese Weise berühren zu dürfen.

Die in dunklem Bordeauxrot und hellem Cremeton gehaltenen Roben lagen in ihrem Zimmer schon für sie bereit.

„Ich glaubte schon nicht mehr daran, dass wir diesen Tag erleben würden. Dass es jetzt so ist, lässt mein Herz überlaufen vor Glück.“

„Mir geht es ebenso. Ich habe die Hoffnung nie aufgegeben und könnte jetzt nicht glücklicher sein.“ Anayo beugte sich zu Nilas, der ihm entgegenkam. Seufzend versanken sie in einem langen Kuss.

Hier, mit Nilas, fühlte er sich endlich angekommen und wusste, dass er den einen gefunden hatte, bei dem er sich auch einmal fallenlassen konnte. Bei ihm musste er nicht immer der Starke sein.

Ihre Liebe war stark, würde alles überstehen.

Als sich Nilas das traditionelle Gewand überstreifte, unter dem er nackt war, kroch in Anayo ein lustvolles Knurren nach oben. Wie sollte er nur den restlichen Tag überstehen, ohne über ihn herfallen zu wollen?

Nilas Eisbär sah ihn aus dessen wunderschönen Augen an, was ihm zeigte, dass sein Mann dasselbe empfand wie er.

Sich mühsam am Riemen reißend, zog sich auch Anayo an.

Beide wussten sie, dass sie die gemeinsame Nacht nicht erwarten konnten.

Sich noch einen letzten Kuss stehlend, begaben sie sich Hand in Hand zu dem vom Schamanen geweihten Ort, an dem dieser sie von allem negativen reinigen würde, damit sie die gemeinsame Ewigkeit rein beginnen konnten.

Mit vor Aufregung wild pochendem Herzen betraten sie den aus dunklen Steinen bestehenden Kreis, um den sich schon all ihre männlichen Verwandten versammelt hatten, die diesem Teil des Rituals beiwohnen würden. Unter ihnen befand sich auch Josua, der sie mit großen Augen anstrahlte.

Diesen Ort und den Festplatz hatten sie als Einheit errichtet und weihen lassen, denn es war auch für sie als Kämpfer wichtig einen Ort wie diesen zu haben.

Colby umrundete sie langsam. Dabei verteilte er kleine, brennende Säckchen, die mit Kräutern gefüllt waren. Der Duft benebelte Anayo ein wenig, sodass er kaum noch etwas anderes wahrnehmen konnte.

In der alten Sprache der Wandler sang er leise Worte.

„Sie sind nun bereit.“

Diese wenigen Worte ließen seine Aufregung ins Unermessliche ansteigen. Er konnte sich nicht daran erinnern, dass er je so aufgewühlt gewesen war. Seinem Mann erging es ebenso, wie er über ihre Verbindung spürte.

Gemessenen Schrittes folgten sie dem Schamanen zum eigentlichen Festplatz, der ebenso üppig dekoriert worden war, wie er es von Zuhause her kannte. In der Dekoration vereinten sich die unterschiedlichen Wandlergattungen miteinander, spiegelte die Vielfalt der ISTF wider.

Um den Altar herum hatten sich ihre Familien, Freunde und Kameraden schon versammelt.

Direkt davor standen ihre Mütter. Die große Freude, die sie empfanden, war ihnen deutlich ins Gesicht geschrieben.

Anayo konnte kaum den Blick von Nilas nehmen. Dieser Tag war einer der wichtigsten in seinem Leben, denn er würde auf ewig mit dem Mann verbunden werden, den er mehr liebte als sein eigenes Leben.

Zusammen traten Nilas und er vor den Altar. Dieser war, wie der andere Platz, von dunklen Steinen umgeben. Ihre Gäste trugen alle ihre festlichen Gewänder und schienen sich aufrichtig für sie zu freuen. Die Spannung, die über allem zu liegen schien, war fast mit Händen greifbar.

Um Nilas und wohl auch sich selbst ein wenig zu beruhigen, sandte er ihm über ihr Band seine Liebe. Der andere tat es ihm gleich und es half ihnen tatsächlich ein wenig dabei, ihre Mitte wiederzufinden.

Das auf dem Altar wild auflodernde Feuer war wie ein sichtbares Zeichen für all die Gefühle.

Sanft lächelnd trat Colby vor sie. Er trug ein Gewand aus reinem Weiß und einem zarten Sonnengelb, was Sonne und Mond symbolisierte.

Als dieser die Hände hob, erstarben alle Geräusche um sie herum. Anayo meinte, nur Nilas und seinen eigenen rasenden Herzschlag wahrnehmen zu können.

Die Zuneigung der Anwesenden bedeutete ihnen so viel, gab ihnen Zuversicht und stärkte sie.

„Wir haben uns heute an diesem Ort versammelt, um die Verbindung von Nilas und Anayo zu feiern. Das Schicksal selbst hat diese beiden zusammengeführt, sie wenig später jedoch auf eine harte Probe gestellt. Sie kämpften um ihre Liebe und fanden wieder zueinander. In ihnen schlummert neben der unendlichen Liebe füreinander auch viel Kraft. Für Josua, dem sie ein Zuhause gaben, werden sie die besten Väter sein, die sich ein Kind nur wünschen kann. Diese beiden Männer sind ausgezeichnete Krieger und wir können uns glücklich schätzen, dass sie Seite an Seite mit uns anderen für das Gute kämpfen. Sie beweisen uns jeden Tag aufs neue ihre Stärke. Ihre von tiefer Liebe erfüllten Herzen schlagen im Gleichklang. Unter diesem Vollmond, gestärkt durch die Kraft von Sonne und Mond, werden sie nun vollkommen, untrennbar, über den Tod hinaus, miteinander verbunden. Der heute geschlossene Bund wird unsere Gemeinschaft stabilisieren. Wir werden für sie einstehen, so wie sie dies für uns tun werden.“

Schon jetzt setzten Anayo seine Emotionen zu. Tränen brannten heiß in seinen Augen, doch er ließ sie nicht zu.

Während er versuchte, sich zu sammeln, trat Romero, ihr Vorgesetzter und in gewisser Weise ihr Alpha, zu Colby und nahm dessen Platz ein.

„Ihr beide seid herausragende Krieger. Anayo hat sein Können schon in unzähligen Einsätzen unter Beweis gestellt. Nilas hat uns inzwischen ebenfalls gezeigt, wie viel Kraft in ihm steckt. Sie stärken uns und wir können uns glücklich schätzen, dass sie Teil dieser Einheit sind. Steht immer zueinander, bleibt, wie ihr seid und lasst in eurer Liebe füreinander nicht nach.“

Mit einem breiten Lächeln legte Romero ihnen je eine Hand auf die Schulter, umschloss diese fest mit seinen Fingern. Anayo bemerkte sofort, dass sich die Verbindung, die er zu seinen Kameraden spürte, noch verstärkte. Dem glücklichen Gesichtsausdruck seines Mannes nach zu urteilen, nahm er dasselbe wahr.

„Es erfüllt mein Herz mit Freude, dich in unserer Gemeinschaft willkommen heißen zu können. Du bist schon jetzt ein Teil von uns. Sei gewiss, dass wir immer zu dir stehen werden. Du, Anayo und Josua habt nun eine weitere große, zusammengewürfelte Familie dazugewonnen.“ Jetzt war Nilas auch ganz offiziell einer von ihnen.

Nilas bebte, schluckte merklich. Anayo spürte deutlich, wie sehr all dies seinen Gefährten bewegte und schickte ihm, um ihm zu zeigen, dass er für ihn da war, seine Zuneigung.

Nun kehrte Colby an seinen Platz zurück, trat an den Altar und nahm einen Dolch in die Hand. In dessen Griff war ein großer Diamant eingearbeitet worden, in dem sich das sanfte Licht des Mondes brach.

Er streckte die Arme gen Himmel und hielt den Dolch dem Mond entgegen.

„Die Kraft des Vollmondes strömt in uns, macht uns frei. Die Kraft des Vollmondes öffnet unsere Herzen und unsere Seelen. Sie segnet diesen Bund, den Anayo und Nilas heute, hier vor uns allen, eingehen werden. Keiner von uns kann seinem Schicksal entfliehen, manche werden aber durch ihres noch stärker werden und größeres leisten als andere.“ Überall auf der Welt wurden dieselben Worte verwendet, besaßen Macht. Anayo lief ein wohliger Schauer über den Rücken, der sich noch verstärkte, denn jetzt kam der Teil der Zeremonie, der sein Leben für immer verändern würde.

„Reicht mir jetzt eure Hände“, bat sie der Schamane.

Als sich Nilas und Anayos Hände berührten, durchzuckte ihn ein wilder Impuls. Seine Finger kribbelten, als habe er einen elektrischen Schlag erhalten

Colbys kraftvolle Hände umschlossen die ihren.

„Dieser Bund ist stark. Ich kann eure Herzen spüren, die aufeinander zustreben. Eure Augen strahlen das reine Glück aus. Nun folgt noch ein letzter, aber unglaublich wichtiger Schritt, damit das Band eurer Seelen sich später, während eurer Vereinigung, vollkommen schließen kann. Blut ist Kraft, Blut ist Leben, Blut verbindet uns. Ihr werdet eures geben und im Gegenzug das des anderen erhalten. Es wird eure Energien für immer verbinden. Untrennbar. Über den Tod hinaus.“

Mit dem rituellen Dolch vollführte er dann an Anayos und Nilas Handgelenken einen schnellen Schnitt, aus dem sogleich die ersten Blutstropfen hervortraten.

Anayo konnte seinen Blick nicht von Nilas abwenden, als sie das Handgelenk des jeweils anderen ergriffen, es an ihre Lippen führten und ganz sanft zu saugen begannen.

Sofort, als Nilas Blut seine Zunge berührte, rastete in ihrem Band etwas ein, war nun vollständig, geschmiedet für die Ewigkeit.

Niemand würde ihm diesen wundervollen Mann mehr nehmen können. Sie gehörten einander jetzt und für alle Zeit.

Sein Gorilla warf sich in die Brust und tat seine Freude darüber kund, dass Nilas jetzt ein Teil von ihm war.

Nur schwer konnten sie voneinander ablassen. Nilas intensiver Blick war nicht einen Augenblick von ihm gewichen.

„Nun sind diese beiden für immer verbunden, nichts kann sie trennen, nicht einmal der Tod. Besiegelt nun den geschlossenen Bund mit einem Kuss.“

Ein wenig zu stürmisch riss er Nilas in seine Arme, verschloss dessen Lippen mit seinen und küsste ihn voller Leidenschaft.

Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis sie sich wieder voneinander gelöst hatten.

Schon waren sie von ihren Familien umringt, die ihnen ihre Glückwünsche aussprachen. Anschließend taten es ihnen ihre Kameraden und Kameradinnen gleich.

Wie berauscht erlebte Anayo die folgenden Stunden, feierte und amüsierte sich mit allen, die ihm wichtig waren.

Doch er war froh, als er sich mit seinem Liebsten endlich zurückziehen konnte.

In ihrem Zimmer erwarteten sie unzählige Kerzen und andere Dinge, die dem ansonsten kahlen Raum etwas Romantisches verliehen.

Sie fielen regelrecht übereinander her, sehnten sich so sehr danach, wahrlich eins zu werden und ihren Bund mit neu geschaffenem Leben zu krönen. Anayo gab sich Nilas hin, vertraute ihm auf einer Ebene, von der er nie geglaubt hatte, dass es sie geben könnte.

Gefühlte Stunden verwöhnte und bereitete er ihn vor, brachte Anayo immer wieder bis kurz vor die Klippe, ließ ihn jedoch nicht fliegen.

Es war unglaublich, ihn dann endlich in sich zu spüren, zu fühlen, wie sich nach einer Weile sein Körper veränderte, kurz bevor sie beide zum Höhepunkt kamen.

Als der Morgen graute, lag er in Nilas Armen und konnte sein Glück kaum fassen. Ihr Traum von einer gemeinsamen Zukunft war in Erfüllung gegangen und er würde bis zu seinem letzten Atemzug darum kämpfen, alles Schlechte von seiner Familie fernzuhalten.

Epilog

Noch immer erschauderte Anayo, wenn er an die Zeit zurückdachte, als sein Mann nicht bei ihm gewesen war. Seine Rettung lag über ein Jahr zurück, viele Geschehnisse hatte er inzwischen aufarbeiten und so zum Großteil verarbeiten können, doch hin und wieder suchten ihn noch Alpträume heim. Zumindest konnte er ihm zur Seite stehen, ihn halten und beruhigen, wenn es nötig war.

Nilas war inzwischen ein festes und angesehenes Mitglied der ISTF und gab sein Bestes, das Böse zu bekämpfen.

Sie alle hatten gehofft, dass sie dieses Problem schnell und endgültig würden beseitigen können. Leider war die Sache größer und besser organisiert, als sie zu Anfang vermutet hatten.

Wenn es ihnen gelang, ein Zentrum wie das, in dem Nilas und Josua gefangengehalten worden waren, auszumachen und die armen Seelen daraus zu befreien, tauchten anderswo gefühlt dutzende neue auf.

Insgesamt waren sie auf einem guten Weg, hatten Erfolg, wenn auch nicht in dem Ausmaß, den sich alle ersehnten.

Doch Anayo war sich sicher, dass sie irgendwann diejenigen seien würden, die siegten. Etwas anderes war einfach undenkbar.

Von der Terrasse des Hauses aus, in dem sie lebten und das auf dem Stützpunkt neben einigen anderen in den vergangenen Monaten errichtet worden war, sah er hinüber zum kleinen Sandkasten. In diesem saß Josua und spielte vergnügt, während sein Gefährte auf einer Decke daneben lag und sich um ihre vor wenigen Monaten geborenen Babys kümmerte.

Sein Herz machte bei diesem Anblick einen Satz, schlug schneller weiter. Wie sehr er diese vier liebte, konnte er kaum mit Worten beschreiben.

Lächelnd legte er den Stift zur Seite, ließ die Einsatzberichte unvollständig zurück und lief die wenigen Meter zu Nilas, neben dem er sich niederließ.

„Hey“, raunte er leise, wollte Alika und Keano nicht wecken.

„Selber hey.“ Nilas beugte sich zu ihm und küsste ihn sanft. An diesem Mann würde er sich nie sattsehen können, was nicht nur an dem durchtrainierten, sexy Körper lag. Sein Gefährte war im Gesamten wundervoll, besaß ein Herz voller Liebe und eine sanfte Seele. Für seinen Liebsten war es andersherum ebenso, was er ihm auch bei jeder Gelegenheit sagte.

Anayos Finger glitten durch sein schulterlanges Haar, was Nilas ein leises Brummen entlockte.

Leise Geräusche von sich gebend erwachten die beiden Kleinen, sahen zu ihnen auf und glucksten fröhlich. Sie hatten Anayos dunkle Haut geerbt, doch es schien ganz so, dass sie Nilas blauen Augen haben würden. Doch egal, wie es kommen würde, er liebte die beiden, denn sie waren das Produkt ihrer Liebe zueinander. Josua setzte sich bald darauf zu ihnen und bespaßte mit einer Freude, die Anayo das Herz aufgehen ließ, seine Geschwister.

Nilas und er machten keinen Unterschied zwischen Josua und den Zwillingen, sie waren ihre Kinder, für die sie Himmel und Hölle in Bewegung setzen würden.

Noch hatten sich ihre zwei Jüngsten noch nicht gewandelt, doch man konnte schon jetzt wahrnehmen, dass ihre Tochter ein Eisbär war, ihr Sohn hingegen ein Gorilla. Er konnte es kaum erwarten, mit seinen drei Kindern in Gestalt herumtoben zu können.

„Stehen die nächsten Ziele schon fest?“, fragte Nilas, da er an der letzten Besprechung nicht hatte teilnehmen können, weil er bei ihrer Rasselbande bleiben musste, denn deren Nanny hatte einen wichtigen Termin gehabt und war so nicht verfügbar gewesen.

„Es gibt mehrere, die bestätigt wurden. Eine größere Anlage befindet sich zum Beispiel auf dem afrikanischen Kontinent, eine weitere in Nordamerika. Jetzt muss nur noch entschieden werden, mit welcher wir beginnen. Ich bin froh, dass sich unsere Einheit in den letzten Monat vergrößert hat. Auf Dauer hätten wir es alleine nicht mehr stemmen können.“

„Romero wird die richtige Entscheidung treffen, da bin ich mir sicher. Ich hoffe nur, dass es mir vergönnt sein wird mitzuerleben, wie wir diesen Mistkerlen ein für alle Mal das Handwerk legen.“

Nilas Eisbär stand in seinen Augen, ein Knurren stahl sich über seine menschlichen Stimmbänder.

„Wir beide werden diesen glorreichen Sieg miterleben.“ Versicherte er dem anderen, ehe er ihn umarmte. Nie wieder würden sie getrennt werden. Anayo war glücklich, denn ihre Trennung lag hinter ihnen und seit sie wieder beieinander waren, war er mit dem Leben versöhnt. Die Welt war nicht vollkommen, doch sie würden helfen, sie zu einem besseren Ort zu machen.

Auch wenn der Feind mächtig war, am Ende würde das Gute über das Böse triumphieren.

Sie kämpften jeden Tag für ihre gesamte Art, würden nicht nachlassen, alles geben. Versagen war keine Option.

Impressum

Texte: © Ann Salomon
Bildmaterialien: Pixabay
Tag der Veröffentlichung: 15.11.2022

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