Cover

Der Wunsch des Prinzen

Kani ließ den Blick über den, unter einer flauschigen Schneedecke verborgenen, Garten des Schlosses gleiten. Ein leichter Wind kam auf und blies ihm Schneeflocken ins Gesicht. Lächelnd atmete er die klare Luft ein, füllte damit seine Lungen.

Schon seit fast neunzehn Jahren lebte er hier, genoss das Leben. Als Prinz hatte er noch nie Entbehrungen erfahren, musste sich nie um etwas sorgen, könnte also glücklich und zufrieden sein, war es jedoch nicht.

Yoann, sein älterer Bruder, der sich gerade mit seiner Frau und den gemeinsamen Kindern im parkähnlichen Garten unterhalb seiner Position befand und sich im Schnee amüsierte, war der Thronfolger, unterstützte schon jetzt ihren Vater im Hinblick auf die Regierungsgeschäfte, ging darin auf und war, zumindest machte es nach außen den Anschein, rundherum zufrieden.

Dieses Glück wünschte sich auch Kani, wollte jemanden wie Jara, die Frau seines Bruders, wollte geliebt werden und sich verstanden fühlen.

Doch für ihn schien im ganzen Reich kein passendes Gegenstück zu existieren. Er war nicht anspruchsvoll, sehnte sich nicht nach Perfektion, sondern nach Zuneigung und Nähe. Seine bessere Hälfte sollte ein sanftes Herz haben, das voller Liebe war, mehr erwartete er gar nicht.

Vielleicht erwartete ihn aber auch ein Schicksal wie das seines Onkels. Dieser war ein wenig jünger als sein Vater und seit Kani denken konnte, war da niemand, dem je dessen Herz gehört hatte. Manchmal saß er traurig in seinem Sessel und starrte aus dem Fenster in die Ferne.

Unwirsch schüttelte er den Kopf. Nein, so wollte er nicht leben. Er wollte sich verlieben. Am besten sprach er mit seiner Mutter und bat sie um Hilfe. Sie liebte Feste und würde sich sicher etwas einfallen lassen, damit er endlich in den Hafen der Ehe einlaufen konnte.

Schwungvoll stieß er sich von der Balustrade ab, die den Balkon umgab, auf dem er seit einer Weile saß und ging hinein. Die Wärme im Inneren umfing ihn, ließ ihn lächeln.

Sein Weg führte ihn direkt zu den Gemächern seiner Eltern. Er wusste, dass sein Vater schon unterwegs war, da er meist nach dem ersten Hahnenschrei in den Tag startete.

Tief atmete er durch, ehe er den Arm hob und anklopfte.

Nur einen Augenblick später erschien Tila, die Kammerzofe seiner Mutter, die die Tür öffnete und ihn knicksend hinein bat.

„Eure Mutter wird gleich zu Euch kommen“, teilte sie ihm mit und verschwand lächelnd wieder im Ankleidezimmer.

Wenige Minuten später betrat die Königin den Raum. Ihr Kleid war elegant, doch nicht übermäßig prunkvoll. Sie war eine bescheidene Frau, die auch ihre vier Kinder stets dazu anhielt, nicht zu hochmütig zu sein, auch das Leid und die Sorgen der Bevölkerung im Blick zu haben und nicht nur die eigenen Vorteile und Wünsche.

„Mein Sohn, schön dich zu sehen. Was führt dich schon so früh am Morgen zu mir?“

Kurz schmiegte er sich an den Körper der Frau, die ihn gebar, ehe er sich etwas von ihr löste und sie mit einem kaum merklichen Lächeln auf den Lippen ansah: „Natürlich freue ich mich ebenfalls, dich zu sehen, doch ich habe auch eine Bitte an dich. Ich weiß nicht, ob du es bemerkt hast, aber ich fühle mich von Jahr zu Jahr einsamer. Vor allem Yoanns Glück zeigt mir nur zu deutlich, was mir fehlt. Mein größter Wunsch ist es, mich endlich zu verlieben. Würdest du für mich einen Ball geben, damit ich ebenso wie mein Bruder eine Frau finden kann, die mich liebt?“

Mit jedem Wort wurde er leiser. Er fühlte sich so schwach, wollte sich doch selbst nicht wirklich eingestehen, dass er unfähig war, die eine für sich zu finden, die dazu bestimmt war, ihr Leben an seiner Seite zu verbringen. Etwas fühlte sich nicht richtig an. Doch es brachte nichts, sich hinter falschem Stolz zu verschanzen, wenn dies möglicherweise bedeutete, bis an sein Lebensende allein zu sein.

Besorgt sah seine Mutter ihn an, hob dann ihre zierliche Hand und legte sie ihm an die Wange.

„Selbstverständlich werde ich ein Fest organisieren. Schließlich ist einer meiner sehnlichsten Wünsche, meine Kinder glücklich zu sehen. Vertraue auf das Schicksal, Kani, auch für dich wird es dort draußen jemand besonderen geben. Schon bald wird dein schönes Gesicht wieder erstrahlen.“

Dankbar schloss er sie in die Arme, fühlte sich befreiter als zuvor und hoffte, dass ihm das Glück hold war.

Unter den Adligen des Reiches gab es viele unverheiratete Töchter und auch einige Könige der angrenzenden Länder, mit denen Kanis Heimat freundschaftlich verbunden war, konnten mit heiratswilligen Nachkommen aufwarten, die er nur zu gerne kennenlernen wollte. Schon immer war er wissbegierig, wollte alles wissen und bekam nicht genug davon, jedes einzelne Buch der riesigen Bibliothek des Schlosses zu lesen. Sicherlich könnte er so viel Neues erfahren und seinen Horizont erweitern. Am spannendsten wäre es selbstverständlich, wenn seine Seelenverwandte zu einer anderen Gestaltwandlerart gehören würde, doch dies war unmöglich, da der Kontakt zu ihnen kaum gepflegt wurde. Zumeist trafen nur die diplomatischen Vertreter der einzelnen Reiche aufeinander, um zu verhindern, dass es wie früher zu kriegerischen Auseinandersetzungen kam. So blieben nur die, die wie er zu den Kaninchenwandlern gehörten.

Lange Zeit unterschätzte man sie, hielt sie für schwach, weil ihre Gestalt nicht so beeindruckend war wie die der Wölfe oder Bären. Viele rechneten nicht damit, dass sie in ihrer menschlichen Gestalt hervorragende Kämpfer waren und sich so manche tödliche Kampfkunst aneignen konnten. Seit sie sich darüber im Klaren waren, hörten die Angriffe auf sie nahezu auf.

„Ich danke dir, Mutter. Es muss schön sein, bis über beide Ohren verliebt zu sein.“

„Oh ja, das ist es auch. Dein Vater und ich verliebten uns schon in der Minute, in der wir uns zum ersten Mal trafen. Du wirst es tief in dir, in deinem Herzen und deiner Seele, spüren, wenn du diese allumfassende Liebe fühlst, sie von dir Besitz ergreift. Ich empfand es damals, als würde ich fliegen und mich gleichzeitig dem Tier in mir hingeben. Mein Herz raste, als ich ihn sah, als wäre ich in meiner zweiten Gestalt stundenlang durch die Wälder gerannt.“

Schief grinsend sah Kani seine Mutter an. „Dann hoffe ich sehr, dass auf mich auch so jemand wartet und mich so vollkommen aus dem Konzept bringt.“

Leise lachend strubbelte sie ihm durchs Haar.

„Das wird geschehen, ganz sicher, du bist ein so liebenswerter, intelligenter und bildschöner junger Mann. Wenn die Richtige dich sieht, wird sie dir nicht mehr widerstehen können. Und dich wird es zu dem Herzen ziehen, das mit deinem im Gleichklang schlägt.“

Nach einer guten Stunde war alles Wichtige besprochen und seine Mutter würde sich noch heute daran machen, das Fest zu planen und die entsprechenden Einladungen zu versenden.

Innerlich ziemlich aufgewühlt trat Kani aus dem großen Haupttor hinaus. Die Sonne stand nun schon hoch am Himmel. Er spürte ihre wärmenden Strahlen im Gesicht. Kurz stand er mit geschlossenen Augen einfach nur da und genoss es.

Doch dann wurde der Drang in ihm übermächtig, sich zu wandeln.

Deshalb lief er durch die weiße Pracht in die Richtung, in der der Wald begann und wandelte sich noch im Lauf. Es war ein berauschendes Gefühl, endlich wieder in seiner Tiergestalt zu sein. Die kalten Temperaturen machten ihm dann auch wenig aus.

Seine Pfoten berührten den weichen Boden. Der einzigartige Duft dieser Umgebung, der auch in den Wintermonaten unglaublich intensiv war, stieg ihm in die Nase. Immer schneller rannte er. Die Bäume, Sträucher und allerhand andere Gewächse flogen nur so an ihm vorbei.

Auf einer Lichtung hielt er schließlich inne und ließ sich, an einer trockenen Stelle unterhalb einer Tanne, ins Gras sinken.

Während er rannte und rannte, sich anstrengte, war sein Kopf frei von Gedanken, doch nun stürmten sie wieder auf ihn ein. Kani freute sich darauf, all die jungen Frauen kennenzulernen und dabei hoffentlich die Eine zu finden, doch er war sich bewusst, dass seine Suche auch länger dauern konnte. Manche fanden ihr Gegenstück erst nach Jahren und bei anderen zeigte sich, dass sie an der vollkommen falschen Stelle suchten, da sie dem eigenen Geschlecht zugetan waren. Konnte es bei ihm auch so sein? War er deshalb nicht fähig, eine Frau zu finden, da dies nicht war, was er eigentlich wollte?

In den Himmel starrend, über den im Moment nur vereinzelt kleine Wolken hinweg zogen, schüttelte er den Kopf. Bis jetzt konnten ihn ausschließlich Mädchen und Frauen beeindrucken. Auf Jungs und Männer reagierte er nicht auf diese Weise, auch wenn er ohne Zweifel sagen konnte, wenn sie attraktiv waren. Verliebt war er jedoch in keine von ihnen gewesen.

Schnaubend drehte und wendete er sich, blieb dann wieder auf den Rücken liegen. Wütend auf sich selbst grummelte er vor sich hin. Schon immer war er gut darin, sich über Dinge den Kopf zu zerbrechen, die es gar nicht wert waren, sich deswegen selbst verrückt zu machen. Es betraf ihn nicht, deshalb schob er diesen Gedanken ganz weit von sich und stellte sich lieber vor, wie seine Zukünftige aussehen würde.

Erst als er begann, die Kälte trotz seines dichten Wandlerfells zu spüren, begab sich Kani mit laut knurrendem Magen zurück zum Schloss.

 

Die folgenden Tage waren, bis auf die beginnenden Vorbereitungen und notwendige Einkäufe, eher beschaulich. Dies sorgte nicht unbedingt dafür, dass seine kreisenden Gedanken zur Ruhe kamen, denn noch immer befürchtete er, die Richtige nicht zu finden und zum Gespött aller zu werden.

Zumindest gingen nach und nach die Bestätigungen ein, wer am Fest teilnehmen würde. Nur wenige sagten ab, so dass der Stapel der Zusagen stetig anwuchs. Bei all diesen möglichen Heiratskandidatinnen musste doch die passende für ihn dabei sein.

Trotz seiner inneren Unruhe begann er, sich richtig auf das Kommende zu freuen.

Die restlichen zwei Wochen zogen sich noch einmal in die Länge, doch dann ging es sehr schnell, so dass der große Tag bevorstand.

Die meisten kamen im Laufe des Freitags an, damit sich die Reisenden und ihre Gefolge noch ein wenig von den Strapazen der Reise erholen konnten. Erst Samstag würde die große Feier stattfinden,

Kani lehnte an der Umrandung des großen Balkons oberhalb des weitläufigen Innenhofes und sah dabei zu, wie seine Mutter all ihre potentiellen Schwiegertöchter und deren Gefolge begrüßte. Soviel er sehen konnte, waren wahre Schönheiten dabei.

Seit zwei Tagen konnte er kaum richtig schlafen, war unglaublich nervös. Er war noch nie der draufgängerische Typ, zeigte sich zurückhaltend, wenn es um den Austausch von Zärtlichkeiten außerhalb seiner Familie ging. Bis auf intensive Küsse verfügte er über keinerlei Erfahrung, was Kani bis jetzt nie als etwas Schlechtes sah, doch nun fragte er sich, ob er sich nicht vollkommen lächerlich machen würde, sollte seine Auserwählte mehr Kenntnisse haben als er.

Sein Herz sackte ihm kurzzeitig gefühlt bis in die Kniekehlen, als sich eine leichte Panik zur Unsicherheit der letzten Zeit gesellte. Sehnsüchtig blickte er in Richtung des wilden Waldes, der direkt an die Schlossmauer angrenzte. Sich dorthin zu flüchten und sein Leben als Kaninchen zu verbringen, erschien ihm im Augenblick äußerst reizvoll. Aber das konnte er nicht tun, denn weder seine Mutter noch sein Vater würden ihm verzeihen, sie vor den Töchtern all dieser wichtigen Männer derart bloßzustellen. Deshalb ballte er die Hände zu Fäusten, bis die Knöchel weiß hervortraten und atmete so lange tief ein und aus, bis er sich zumindest einigermaßen gefangen hatte.

In seinem Schlafgemach fiel sein Blick direkt auf den maßgeschneiderten Anzug, den der königliche Schneider extra für diesen Anlass anfertigte. Dieser brachte seine Vorzüge hervorragend zur Geltung. Zumindest konnten sich all die Frauen, die nun das Schloss bevölkerten, nicht darüber beschweren, dass er hässlich war.

Seine zitternden Finger glitten über den feinen Stoff. Du wirst es schaffen, alles wird gut gehen, diese Worte wiederholte er stumm, wie ein innerliches Mantra.

Um am nächsten Tag nicht zu wirken, als wäre er der wandelnde Tod höchstpersönlich, nahm er ein paar Tropfen einer Mixtur, die ihm der königliche Heiler gab, damit er die kommende Nacht ruhen konnte.

Kaum berührte sein Kopf das weiche Kissen, war er auch schon eingeschlafen.

 

Für sein Gefühl viel zu früh am nächsten Morgen wachte er auf. Heute war der Tag gekommen, an dem sich hoffentlich sein größter Wunsch erfüllen würde.

Die Bediensteten richteten ihm in seinen Räumen ein üppiges Frühstück, doch er konnte sich kaum dazu bewegen, etwas zu essen.

Nach einer erfrischenden Dusche zog er sich an und wanderte durch die Gänge des alten Gemäuers. Um niemandem zu begegnen, hielt er sich in den obersten Stockwerken auf und wagte nur hin und wieder einen Blick hinunter, wenn er über das Treppengeländer blickte. Ihm kam es vor wie ein außer Kontrolle geratener Ameisenhaufen, so wie sie alle aufgeregt hin und her liefen.

Viel zu schnell verging der Tag. Am späten Nachmittag musste er sich zurück in seine Gemächer begeben, um sich ankleiden und herrichten zu lassen.

Sein Kammerdiener, der kaum älter war als er selbst, half ihm zuletzt in die Anzugjacke und strich die letzten Falten glatt. Auch er trug dem Anlass angemessene Kleidung, die seine schlanke Gestalt umschmeichelte. Das schulterlange Haar war zu einem ordentlichen Pferdeschwanz gebunden, was die sanften Konturen seines Gesichts deutlich hervorhob.

„Seid Ihr schon aufgeregt?“, fragte er Kani leicht grinsend. Selbstverständlich wusste Toren, wie es ihm ging, denn er sah ihn jeden Tag.

„Ja, ein wenig“, gab er deshalb zurück und lachte kurz nervös auf.

„Ihr werdet sehen, es gibt keinen Grund Euch zu sorgen. Dort unten wartet Euer Gegenstück, da bin ich mir sicher. Genießt diesen Abend, denn er ist der Beginn von etwas Wundervollem.“

Wie immer war Toren die Ruhe selbst und half ihm damit, seine Mitte zu finden.

„Was würde ich nur ohne dich machen?“, fragte Kani leise. Er war dankbar, jemanden wie Toren in seiner Nähe zu haben.

„Es ist meine Aufgabe, Euch hilfreich zur Seite zu stehen und ich erfülle diese mit Freude, denn Ihr seid ein guter Mann. Wenn Ihr glücklich seid, dann bin ich es auch.“

Lächelnd reichte ihm Toren den königlichen Schmuck, den er bei offiziellen Anlässen trug und setzte ihm am Ende die einfach gearbeitete Krone auf, die mit einem einzelnen Rubin besetzt war. Dieser Kopfschmuck war das deutlichste Zeichen dafür, dass er ein Prinz war.

„So, nun ist meine Verwandlung abgeschlossen“, stieß er gepresst hervor. „Ich würde mich in meiner alltäglichen Kleidung viel wohler fühlen, doch was sein muss, muss sein. Schließlich haben sich meine Gäste auch herausgeputzt.“

Mit einem letzten Blick auf sein Abbild im bodentiefen Spiegel straffte er sich und verließ zusammen mit Toren seine Gemächer.

Von weitem hörte er schon die Musik und das Gewirr von dutzenden Stimmen. Als er in den Gang trat, der ihn direkt zum Ballsaal führte, schlug ihm das Herz bis zum Hals.

Angemessenen Schrittes durchquerte er den Raum, begrüßte die Anwesenden und gesellte sich schließlich zu seinen Eltern, die am oberen Ende des Saals auf ihren ihrer Stellung würdigen, thronartigen Stühlen saßen.

„Atme tief durch, mein Sohn, du siehst aus, als würdest du bald in Ohnmacht fallen“, sagte sein Vater leise und schenkte ihm ein wissendes Lächeln. „Sei unbesorgt, du wirst finden, was du dir ersehnst.“

Auch wenn er seinen Vater stets als streng erlebte, so wusste er doch, dass dieser ihn liebte und ihn glücklich sehen wollte.

„Ich tue mein Bestes, Vater. Es ist nur so seltsam, heute im Mittelpunkt zu stehen. Sonst kann ich mich ja eher im Hintergrund halten.“

Schmunzelnd blickte ihn sein Gegenüber an.

„Wenn du dich versteckst, dann wirst du niemanden finden und machst es auch anderen unmöglich, dir näher zu kommen. Ich weiß, dass du nicht so offenherzig bist wie dein älterer Bruder, dass du lieber für dich bist und deinen Gedanken nachhängst, aber es würde dir guttun, mehr auf die, die dich umgeben, zuzugehen“, sagte sein Vater so leise, dass nur seine Mutter und Kani es verstehen konnten.

„Da hast du Recht. Ich werde mich bemühen, mein Verhalten zu ändern.“

„Das ist gut. Ich möchte schließlich nur das Beste für dich. Du sollst dich am Leben ebenso erfreuen wie Yoann.“

Nach einer herzlichen Begrüßung durch die Königin und einigen Worten des Königs wurde das Fest eröffnet. Wie geplant tanzte Kani mit jeder unverheirateten jungen Frau des Adels, amüsierte sich auch, doch das Gefühl, das seine Mutter ihm beschrieb, empfand er bei keiner von ihnen.

Zu seiner Erleichterung wurde, nachdem er mit allen potenziellen Partnerinnen das Tanzbein geschwungen hatte, das Festmahl serviert, was ihm eine Pause verschaffte. In Gedanken versunken starrte er auf seinen fast noch vollen Teller und bekam kaum etwas von den vielen Gesprächen um ihn herum mit. Er wusste, wie unhöflich er sich verhielt, schließlich waren alle Anwesenden nur wegen ihm angereist, aber die aufkommende Erkenntnis, dass hier und heute wahrscheinlich die Eine wirklich nicht dabei war, verdüsterte sein Gemüt zusehends und raubte ihm einen Großteil seiner Energie. Wie sollte er es nur seinen Eltern vermitteln? Würde er sich vor allen hier und dem ganzen Volk lächerlich machen?

Wie so oft in den letzten Tagen sehnte er sich danach, allein in den Wäldern zu sein, nur die Natur um ihn herum und der weite, endlose Himmel über ihm. Weil er wusste, dass es von ihm erwartet wurde, riss er sich schließlich doch zusammen und trug nach außen eine Fröhlichkeit zur Schau, die er nicht mal annähernd empfand.

Der Ball wurde fortgesetzt. Die ganze Atmosphäre war weniger gezwungen als zuvor. Um nicht sofort aufzugeben beschloss er, noch einmal sein Glück zu versuchen, doch auch dieses Mal gab es kein anderes Ergebnis. Sie waren alle nett, intelligent und wunderschön, würden höchstwahrscheinlich perfekte Ehefrauen abgeben, doch es gab nicht eine, die ihm auch nur ein wenig Herzklopfen verursachte.

Frustriert fuhr er sich durchs Haar, als er an einer der verglasten Terrassentüren stand und in den in Dunkelheit gehüllten Garten blickte, der nur von den sporadisch aufgestellten Fackeln romantisch beleuchtet wurde.

Verdammt, er war wirklich eine Enttäuschung und seine Eltern waren sicher froh darüber, dass Yoann ihr Kronprinz war und nicht Kani. Nicht auszudenken, wenn das Königreich ohne Erben blieb, weil der König es nicht fertigbrachte, sich eine Partnerin zu suchen.

„Du wirkst nicht wie jemand, dem heute alle sehnsuchtsvolle Blicke zuwerfen und der sich unter all diesen Schönheiten seine Zukünftige aussuchen kann“, hörte er eine männliche Stimme in seiner Nähe sagen. War ja klar, dass man ihm sein Unvermögen unter die Nase reiben musste.

„Es ist nicht immer so, wie es den Anschein hat. Ich ... ich träume von der großen Liebe und das scheint zu viel verlangt zu sein, denn es ist hier und heute keine dabei, die mein Herz höher schlagen lässt“, gab er leise zu, sah jedoch weiterhin hinaus, wollte nicht in das gehässige Gesicht des Sprechers schauen. „Dieses Fest war ein Fehler. Hätte ich meine Mutter nur nie gebeten, mir zu helfen...“

Da sein Gesprächspartner schwieg, drehte Kani dann doch den Kopf. Iin dem Augenblick, als er einem jungen Mann, der nicht älter war als er selbst, direkt ins Gesicht blickte, stockte ihm der Atem. Sein Herz setzte aus und raste dann wie wild weiter, schlug hart gegen seine Brust. Alles um ihn herum wurde unscharf und er meinte, gleich zerspringen zu müssen, so unglaublich viele Gefühle stürmten auf einen Schlag auf ihn ein.

Wie konnte es sein, dass er derart heftig auf den Mann reagierte? Bis heute zeigte er nie ein ausgeprägtes Interesse an Angehörigen desselben Geschlechts. Bei den meisten Wandlern lag keine eindeutige Veranlagung vor. Sie ließen sich sowohl auf Männer als auch auf Frauen ein. Für Kani gab es bis jetzt, wenn überhaupt, nur Frauen, auch wenn er mit ihnen kein Glück hatte. Und nun war es ein Mann, der gerade seine ganze Welt ins Wanken brachte.

Panisch keuchte er auf und lief, ohne darüber nachzudenken, hinaus in den Garten. Seine Füße trugen ihn bis zu einer steinernen Bank, die von teilweise mannshohen Hecken umgeben war. Dort ließ er sich auf einem weichen Fell nieder, das einen wärmen sollte, ballte die Hände zu Fäusten und hätte liebend gern etwas zerschlagen, nur um diese seltsame Anspannung loszuwerden, die von ihm Besitz ergriffen hatte. Hunderte Gedanken schossen wie Pfeile durch seinen Verstand, jedoch bekam er nicht einen davon zu greifen.

Plötzliche Schritte auf dem gekiesten Weg in seiner Nähe ließen ihn den Kopf heben. Dort stand er, sah ihn an, während er langsam einen Schritt vor den anderen setzte und schlussendlich direkt vor ihm stehenblieb.

„Wieso bist du vor mir weggerannt?“, fragte er sanft. Seine Stimme hatte einen angenehm tiefen Klang, der wie eine sanfte Berührung über Kani hinweg glitt.

„Weil es nicht sein kann ...“, gab er zurück und wusste, wie dumm er sich anhörte. Gegen das Schicksal konnte man sich nicht wehren, es führte zusammen, was zusammen gehörte.

„Es ist aber so. Gerade eben, also du mich angesehen hast, ist mit mir etwas geschehen. So verwirrt und gleichzeitig glücklich habe ich mich noch nie zuvor gefühlt.“ Seufzend setzte der andere sich zu Kani, war ihm auf dieser kleinen Bank so verflucht nahe. „Glaub mir, es ist auch für mich nicht so leicht zu verstehen. Bis vor wenigen Minuten dachte ich, dass ich in absehbarer Zeit eine Frau finden und heiraten würde. Ich habe keine Ahnung, was mein Vater sagen wird, wenn er davon erfährt. Neben mir hat er nur Töchter und da ich nun keine Kinder haben werde, muss er sich wegen der Thronfolge etwas überlegen.“

Kani kam bei den letzten Worten seines Sitznachbarn eine Tatsache in den Sinn, die er bis jetzt verdrängte, da sie für sein Leben bislang nicht von Bedeutung war.

„Wenn du und ich ... wenn wir ... zusammenkommen, dann kannst du Kinder haben“, stieß er heiser hervor, errötete und war dankbar, dass es in dem kaum vorhandenen Licht nicht weiter auffallen würde.

Mit schief gelegtem Kopf sah ihn der wunderschöne Prinz an, schwieg aber.

Kani räusperte sich.

„Die Heiler fanden schon früh heraus, dass ich mich von anderen Männern unterschied. Sie sagten meinen Eltern, dass das Schicksal mich segnete, denn ich sei einer von denen, die die Gabe besäßen, einem Kind das Leben zu schenken. Wenn ich ehrlich bin vergaß ich, dass es so ist, denn bis jetzt ging ich ja davon aus, mit einer Frau zusammen zu kommen und da wäre es unwichtig gewesen.“

Als Kani plötzlich eine warme Hand auf seiner spürte, die zitternd auf seinem Oberschenkel lag, zuckte er zusammen und sah wohl aus wie ein verschrecktes Reh, das kurz davor war, vor dem Jäger zu fliehen.

„Nicht nur du wirst Kinder haben können, wir werden es. Ich verstand lange nicht, wieso das Schicksal so grausam ist und mir diese starke Zuneigung zu Männern mit auf den Weg gibt, wenn ich doch derjenige sein muss, der einen Thronfolger hervorbringt. Du bist mein Wunder, die Erfüllung eines Wunsches, den ich schon verloren glaubte.“ Seine Finger verschränkten sich mit Kanis, der dies zuließ und es genoss, als der andere begann, ganz zart über seinen Handrücken zu streicheln.

Unverwandt starrte Kani diesen Mann an, der, wie es schien, für ihn bestimmt war.

„Wie ist dein Name?“, war das einzig sinnvolle, das er über die Lippen brachte.

„Arley“, antwortete der Prinz lächelnd. „Entschuldige, dass ich mich nicht früher vorstellte, aber ich bin noch vollkommen verwirrt.“

Mit einem schiefen Lächeln nickte Kani. „Genauso geht es mir auch. Ich fühle mich so unendlich durcheinander und zum selben Zeitpunkt ist da so viel Freude in mir.“

Zaghaft legte Arley den Arm um ihn und Kani schmiegte sich wie von selbst an ihn. Ihre Gesichter waren nur wenige Zentimeter voneinander entfernt.

„Ich würde dich so gern küssen, möchte aber keine Grenze überschreiten, schließlich sind wir uns erst begegnet.“ Unsicher sah Arley ihn an.

„Küss mich“, war alles, was Kani sagen konnte, doch es reichte aus.

Nur einen Wimpernschlag, nachdem seine Worte verklungen waren, lagen Arleys Lippen auf Kanis. Sie waren weicher als er es erwartete und schmeckten besser als alles, was er je kostete. Eine Mischung aus Wimmern und Stöhnen entwich ihm und ließ ihn noch mehr erröten. Schon wollte er sich verschämt wegdrehen, als sich Arleys Arme eng um ihn legten, ihn an Ort und Stelle hielten.

„Nein, bitte bleib“, bat dieser, küsste sanft Kanis Nasenspitze. „Dir scheint zu gefallen, was wir gerade tun und ich möchte es hören. Schäme dich nicht deiner Gefühle, denn sie sind Teil von dir, gehören zu uns.“

„Ich bleibe“, raunte er an Arleys Lippen und war nun derjenige, der den Mund des anderen eroberte, seine Zunge langsam und träge mit ihrem Gegenstück tanzen ließ.

In seiner Brust schlug sein Herz so schnell, als wäre es ein gefangener Vogel, der zu entkommen versucht. Seine Seele war schon jetzt, obwohl sie sich noch keine Stunde kannten, erfüllt von den starken Gefühlen, die Arley in ihm auslöste. Ja, ihn hatte es erwischt. Er war dabei, diesem Mann sein Herz zu schenken.

Ein lautes Räuspern ließ sie erschrocken auseinander fahren. Verwirrt sah Kani sich um und entdeckte Yoann, der im Durchgang der Hecke stand und sie mit einem Gesichtsausdruck musterte, den er nicht zuordnen konnte.

„Yoann, ich kann es erklären“, brachte Kani hervor, sprang auf und überbrückte die paar Meter bis zu seinem Bruder. Der Schnee unter seinen Schuhen knirschte.

„Das ist nicht nötig, ich sehe es selbst. Dann sind wohl Glückwünsche angebracht.“ Ein breites Lächeln erschien auf Yoanns Gesicht.

„Glückwunsch?! Ich weiß nicht, ob dies das richtige Wort ist. Wie soll ich das nur unseren Eltern erklären. Sie werden sicher wütend sein.“ Mit hängenden Schultern stand Kani da.

Ob seine Eltern es akzeptieren würden? Kanis Cousin Duron akzeptierten sie, doch es musste nicht bedeuten, dass sie bei ihm ebenso reagieren würden. Sein Cousin gehörte zwar zur königlichen Familie, seine Aussichten auf den Thron waren aber verschwindend gering, so dass das, was er tat, nicht im Fokus der Öffentlichkeit stand. Bei ihm als Prinz legte man aber sicher andere Maßstäbe an. Auch wenn die Liebe zwischen zwei Männern in ihrer Gesellschaft nichts Ungewöhnliches war, bedeutete es nicht, dass seine Familie es zulassen würde. Ihm wurde kalt, was nicht nur an den Temperaturen und der unzureichenden Kleidung lag, die er trug.

Eine sanfte Hand legte sich auf Kanis unteren Rücken und schon erschien Arley neben ihm. Seine Nähe tat gut. Dies war aber auch das einzige, dessen er sich vollkommen sicher war.

„Kani, unsere Mutter weiß, ebenso wie Vater, dass man gegen das Schicksal und die Wege, die dieses einschlägt, nichts tun kann. Es klopft nicht an und fragt um Erlaubnis, sondern es überfällt uns, macht uns ganz trunken vor Glück. Oh, ich weiß noch, wie es war, als ich Jara kennenlernte. Es war, als hätte ich nur darauf gewartet, auf sie zu treffen. Du weißt es wahrscheinlich nicht, warst noch zu jung, aber ich war zuvor kein Kostverächter. Mit den schönsten Männern und Frauen des Reiches habe ich das Bett geteilt, doch als ich sie erspähte, wollte ich niemand anderen mehr, nur sie und so ist es bis heute. Ich bin der glücklichste Mann überhaupt, denn sie erwidert meine Liebe. Was das Ausleben der Wünsche und Sehnsüchte angeht, bist du vollkommen anders als ich. Ich kann mich nicht entsinnen, dich jemals mit jemand gesehen zu haben. Wahrscheinlich bist du deshalb unsicher und stellst dir all die Horrorszenarien vor, die eintreten könnten. Glaub mir, entspann dich. Solange du dein Herz und deine Seele öffnest, kann eigentlich nichts schiefgehen. Sieh dir an, wie er dich ansieht. Genau das, diese reinen Gefühle, die man dir entgegenbringt, habe ich mir immer für dich gewünscht. Und Mutter und Vater sehen es mit Sicherheit ebenso.“

„Ich hatte einfach nie das Bedürfnis, mich auszuleben. Und nun spielt mein Verstand verrückt. Er lässt mich das Wundervollste sehen, was ich jemals wahrnahm und gleichzeitig zeigt er mir, was alles geschehen könnte. Mein Herz weiß schon jetzt, dass ich ohne Arley nicht mehr sein kann, doch es fürchtet auch, dass ich meine Familie verlieren werde, wenn ich mich auf ihn einlasse. Schließlich gehöre ich zur königlichen Familie und nicht zum einfachen Volk.“ Traurig lehnte er sich an Arley, der den Arm wieder fester um ihn legte.

„Du wirst niemanden verlieren, vertraue mir. Liebe, in all ihren Formen, gab es schon immer und wird es immer geben. Daran ist nichts falsch oder verwerflich. Sie erschüttert unsere ganze Welt, lässt uns Dinge fühlen, die über all das, was wir bis dahin spürten, hinausgeht. Das Leben ist dafür da, gelebt zu werden und es in vollen Zügen zu genießen. Arley hier ist der Eine für dich, der dein Leben auf positive Weise vollständig auf den Kopf stellen wird und daran ist nichts verkehrt. Und bedenke, dass das Schicksal dir die Gabe schenkte. Es wusste, dass du mit einem Mann an deiner Seite dein Leben gestalten wirst und wollte euch beiden die besten Voraussetzungen mit auf den Weg geben. Wieso hättest du sonst gesegnet werden sollen?“ Als Yoann merkte, dass Kani bei seinen offenen Worten am liebsten im Boden versunken wäre, begann er leise zu lachen. Schon bald stimmte Kani mit ein und auch Arley konnte nicht mehr ernst bleiben.

Mann, dass würde noch was werden. Erst musste er seiner Familie und allen Anwesenden zeigen, wie sich alles entwickelte und später würde er hoffentlich mit Arley allein sein und dann musste er zugeben, dass er über kaum nennenswerte sexuelle Erfahrungen verfügte.

Arleys Umarmung wurde noch inniger, als sich Kani stärker an ihn schmiegte.

„Ich möchte euch nicht unterbrechen, aber ich fürchte, dass wir zurückgehen sollten. Hier wird es langsam ungemütlich und unser Fehlen wurde sicher schon bemerkt. Ihr solltet es nicht länger als nötig hinauszögern, mit unseren Eltern zu sprechen, denn sie werden es ohnehin merken. Keine Sorge, ich bleibe bei euch“, versprach Yoann.

Hand in Hand liefen sie hinter Yoann her zurück zum Gebäude. Je näher sie dem Ballsaal kamen, desto lauter wurde der Geräuschpegel.

Kaum hatten sie den Raum betreten, erstarben zuerst die Gespräche um sie herum und dann verklang die Musik. Sich der unzähligen Blicke bewusst, die auf Arley und ihm und vor allem auf ihren miteinander verbundenen Händen ruhten, liefen sie auf die Empore zu, auf der die Stühle von Kanis Eltern standen.

Obwohl er vor ihrer Reaktion Angst hatte, schritt er erhobenen Hauptes, wollte sich die Sorgen nicht anmerken lassen. Vor ihnen kamen sie zum Stehen. In Kanis Ohren rauschte das Blut und er konnte nach außen nur so ruhig erscheinen, da Arley seine Hand fest in seiner hielt, ihm damit mehr Kraft verlieh, als dieser ahnte.

„Würdest du uns dies bitte erklären?“, fragte sein Vater und deutete auf Arley und ihn.

Bebend atmete er ein, sah dem König dann direkt ins Gesicht.

„Er ist der Eine für mich, Vater! Ich dachte nicht daran, dass dies möglich wäre, doch es ist so und ich werde Arley nicht aufgeben.“ Woher er den Mut nahm, sich seinem Vater so entschieden entgegen zu stellen, wusste Kani nicht, aber es fühlte sich befreiend an.

„Niemand sagte etwas von aufgeben, mein Sohn. Es verwundert mich nur, da du nie Interesse an Männern gezeigt hast. Wobei sich auch jenes an Frauen in sehr überschaubaren Grenzen hielt.“ Der König erhob sich und kam gemessenen Schrittes auf sie zu. Ernst sah er Arley an. „Ich hoffe, dass Euch bewusst ist, was für einen wundervollen Ehemann Ihr bekommen werdet.“

Arley senkte kurz bejahend den Kopf, ehe er antwortete: „Es ist mir bewusst. Ich schwöre Euch, dass ich ihm immer der beste Mann sein werde. Er wird an meiner Seite das Land regieren, sobald ich den Thron besteige und ich werde ihn immer beschützen“, erwiderte er und suchte dann Kanis Blick.

„Dies war, was ich hören wollte, Prinz Arley. Ich würde vorschlagen, wir setzen die Feierlichkeiten fort und zelebrieren die Tatsache, dass mein Sohn den für ihn Bestimmten gefunden hat.“ Er gab dem Orchester ein Zeichen und kurz darauf war der Raum wieder von Musik erfüllt.

Kani betrachtete Arley. „All das, was du sagtest, gilt auch für mich. Zusammen können wir alles schaffen.“

Ohne auf die Umstehenden zu achten beugte sich Arley zu ihm und verschloss seine Lippen mit einem unendlich sanften Kuss. Natürlich war ihm bewusst, dass er viele der Frauen, die sich heute hier befanden und zu denen auch Arleys Schwester gehörte, enttäuschte, doch gegen etwas Vorherbestimmtes konnte und wollte er sich nicht stellen.

Wie in Trance erlebte Kani die nächsten Stunden, glitt wie auf Wolken dahin.

Selbst als sie sich in den Morgenstunden endlich in Kanis Gemächer zurückzogen, fühlte er sich noch wie berauscht. Hinter ihnen fiel die Tür ins Schloss. Arley lehnte sich dagegen und zog Kani an sich, küsste ihn drängend, was er nur zu gern erwiderte.

Immer leidenschaftlicher wurde der Kuss, ließ Kani erbeben und er fragte sich, wieso er in all den Jahren nie das Bedürfnis gehabt hatte jemandem nahe zu sein, so gut wie er sich gerade fühlte. Wahrscheinlich lag es daran, dass niemand zuvor ihn derart tief berührte, keiner vor ihm war der oder die Eine. Er musste erst Arley treffen, den Richtigen, für den er alles tun und alles sein wollte.

Als Arleys Hand sich am Bund seiner Hose zu schaffen machte, löste er sich schwer atmend von dem wundervollen Mann und sah ihn an.

„Habe ich etwas falsch gemacht?“, stieß Arley atemlos hervor und erwiderte den Blick.

„Nein, hast du nicht. Es ist nur ... verdammt, ist das peinlich. Ich habe keine Erfahrungen, weder mit Frauen noch mit Männern. Und wenn ich keine sage, dann meine ich es genauso. Ich weiß nicht, was du erwartest oder was ich tun soll.“ Nun schoss Kani die Schamesröte ins Gesicht, seine Wangen und die Ohren schienen zu glühen.

Er wandte sich ab, lief zum bequemen Sofa in der entgegengesetzten Ecke des Raums und sank kraftlos darauf. Arley musste ihn für eine totale Witzfigur halten. Die Hochstimmung, die er eben noch empfand, war verflogen, als hätte sie nie existiert.

Schritte näherten sich und Kani spürte, wie sich Arley neben ihn setzte. „Sieh mich bitte an.“

Obwohl er im Gesicht des Prinzen keine Ablehnung sehen wollte, blickt er auf, konnte nicht anders, als im diesen Wunsch zu erfüllen.

„Es gibt keinen Grund, sich zu schämen, Kani. Ich selbst habe mich zwar schon ein wenig ausprobiert, aber auch ich weiß nicht alles. Vor allem bist du nicht irgendeine Eroberung, sondern mein zukünftiger Ehemann. Mit dir wird auch für mich alles neu sein, denn wir werden einander erst entdecken, herausfinden, was uns gefällt und erregt. Du bist etwas Besonderes für mich und ich werde dich, wenn du mich lässt, immer auf Händen tragen und dich in all dem unterstützen, was du tust, so wie du mir hoffentlich beistehen wirst. Irgendwann wirst du der König an meiner Seite sein, doch schon jetzt bist du der König meines Herzens. Wir werden uns in nächster Zeit besser kennenlernen und einander näher kommen. Bei dir zu sein, deine Nähe genießen zu können und deine unvergleichlichen Küsse zu schmecken, reicht mir für heute vollkommen aus.“

Erleichtert atmete Kani durch, brachte sogar ein ehrlich gemeintes Lächeln zustande.

„Ich werde dir in allem beistehen, dich lieben und beschützen, dies steht unverrückbar fest. Du bist für mich ein Geschenk, das ich immer in Ehren halten werde und ich bin dankbar, dass du für mich bestimmt bist. Dein Herz schlägt für mich, so wie meines für dich.“ Er beugte sich zu Arley, hauchte ihm ein Küsschen auf die volle Lippen. „Danke, dass du mich verstehst. Ich freue mich schon jetzt darauf, dich zu erkunden, herauszufinden, wie es sein wird, dein Gefährte zu sein.“

„Glaub mir, es wird wundervoll werden.“ Hände legte sich in Kanis Nacken, begannen ihn zu streicheln. Kraftvolle Finger gruben sich in Kanis Haar, als Arley ihn an sich presste und liebevoll küsste.

Fast sofort war die unglaublich schöne und aufgeladene Stimmung von zuvor zurück, so dass er den Kuss ebenso erwiderte.

Es verging eine Weile, ehe sie sich wieder voneinander lösten. Arley betrachtete ihn unter halb geöffneten Lidern und seine Augen hatten einen Ausdruck angenommen, den Kani von Yoann kannte, der seine Frau auch nach vielen Jahren noch immer so ansah, als könnte er es nicht glauben, dass er tatsächlich der ihre war.

„Bleibst du bei mir? Ich würde so gerne an dich geschmiegt einschlafen.“ Fragend ruhte Kanis Blick auf ihm.

„Nichts würde ich lieber tun. Schon jetzt möchte ich nicht einen Moment ohne dich sein.“

So lagen sie nur wenig später nebeneinander unter Kanis Bettdecke, kuschelten sich so nah aneinander, dass nicht ein Blatt Pergament dazwischen gepasst hätte. Bis auf die Unterwäsche waren sie nackt, begnügten sich jedoch damit, die Gesellschaft des jeweils anderen zu genießen.

Arleys Umarmung ließ ihn, obwohl er noch immer aufgeregt war, zur Ruhe kommen, seine Mitte finden. Genau hier musste er sein. Zum ersten Mal in seinem Leben war er rundherum glücklich und konnte die Zukunft, die ihn früher oft ängstigte, kaum erwarten.

Sein größter Wunsch war in Erfüllung gegangen, nun würde er niemals wieder alleine sein. Ihre Liebe fühlte sich schon jetzt, obwohl sie noch sehr neu war, so berauschend an, dass Kani sich darauf freute zu erfahren, wie sie sich anfühlen musste, wenn sie sich voll und ganz aufeinander einließen.

In den nächsten Tagen würden sie noch vieles zu besprechen haben, denn ihre Verbindung wollte geplant werden und er würde seine Heimat verlassen, um an Arleys Seite sein zu können. Doch diese Tatsache ließ in ihm keine Sorgen aufkommen. Es war aufregend, ein Abenteuer, in das er sich nur zu gerne stürzte.

Ein letztes Mal sah er seinen Zukünftigen an, küsste zärtlich die Wange des schon Eingeschlafenen und rutschte noch ein wenig näher heran, ehe er die Augen schloss.

Arleys regelmäßigem Herzschlag lauschend, glitt Kani in den Schlaf.

Impressum

Texte: © Ann Salomon
Bildmaterialien: Pixabay
Tag der Veröffentlichung: 18.11.2021

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /