Wie gut ihm diese enge Jeans stand und dazu noch das körperbetonte T-Shirt. Verdammt, Mik wusste ganz genau, wie er sich und seinen Body am besten in Szene setzen konnte.
Immer wieder wanderte Feros Blick hinüber zum Tresen, an dem Mik lehnte und sich mit seiner Kollegin unterhielt. Das recht kurze schwarze Haar stand gewollt wirr von seinem Kopf ab.
Leise seufze Fero und starrte in den mittlerweile leeren Eisbecher, der vor ihm stand.
»Wenn du nicht mit ihm sprichst, wirst du nie erfahren, an welchem Ufer er fischt«, sagte Conny leise neben ihm. Conny war seit dem Kindergarten mit ihm befreundet. Sie wusste genau, das Fero den Spitznamen Angsthase in der Schule nicht umsonst bekam.
Fero Ängste erstreckten sich auf fast alle Bereiche des Lebens. Höhenangst, Phobien vor Spinnen, Hunden und oft auch Menschen waren nur einige Dinge, die ihm das Leben schwer machten.
Dazu kam noch diese schon fast krankhafte Schüchternheit, die verhinderte, das er neue Leute kennenlernte.
»Das ist mir klar, aber ich kann einfach nicht. Wahrscheinlich steht er eh auf Kati, mit der hat er es ja immer ganz wichtig«, antwortete er Conny und sah wieder zu Mik, der sich mit erwähnter Kati unterhielt, immer wieder leise lachte und dabei so verflucht gut aussah. Ja, er stand sicher auf sie, da würde er sich sicherlich nicht zum Idioten machen. Wahrscheinlich bekäme er eh kein vernünftiges Wort über die Lippen, wenn er vor ihm stünde.
Conny war da vollkommen anders als er. Sie ging aus sich heraus, fühlte sich immer und überall wohl, dachte nicht stundenlang über ungelegte Eier nach, so wie er es gerne tat.
Als ihr Sebastian, den alle nur Basti nannten, auffiel, ging sie geradewegs zu ihm und bat ihn um seine Nummer, die er ihr auch sofort gab. Fast ein Jahr waren die beiden nun schon ein Paar, würden im Sommer, nach bestandenem Abitur, zusammenziehen.
Er selbst würde wahrscheinlich für immer bei seinen Eltern wohnen, denn wie sollte er einen Mann kennenlernen, wenn er sich nicht einmal traute, mit ihnen zu sprechen?
Sein Outing vor zwei Jahren, er war gerade 16 geworden, hätte er sich auch sparen können, denn er würde ihnen niemals einen Schwiegersohn präsentieren. Sie reagierte damals toll, gingen seitdem genauso mit ihm um, wie davor. Seine Mutter fragte ihn immer wieder, ob er nicht jemanden habe. Sie meinte er nicht böse, machte sich nur Sorgen um ihren Kleinen, denn im Gegensatz zu seiner fünf Jahre älteren Schwester Tami, die schon verheiratet und Mutter eines einjährigen Mädchens war, brachte er niemanden mit nach Hause. In seinem Alter konnte Tami schon drei längere Beziehungen vorweisen. Die einzige Beziehung, die er führte, war die mit seiner eigenen Hand, wenn er sich die Jungs oder Männer vorstellte, die ihm gefielen. In den letzten Monaten war es vor allem Mik, der in all seinen Phantasien die Hauptrolle spielte. Mit seinen achtzehn Jahren war er noch nicht einmal geküsst worden. Sein Leben war ein Witz.
»Das glaube ich eher nicht. Zufällig weiß ich, das Kati lesbisch und mit der Cousine von Basti verlobt ist.« Sie nahm grinsend einen Schluck von ihrem Cappuccino. »Soll ich zu ihm gehen und mal mit ihm reden?«
»Oh...okay. Nein, untersteh dich! Hörst du?! Das alles ist schon peinlich genug, ich muss mich nicht vollkommen lächerlich machen. So wie ich immer vor mich hin stammle, denkt er sowieso, das ich nicht ganz dicht bin.«
»Willst du denn ewig allein bleiben?«, fragte sie sanft, sah ihn mitfühlend an.
»Nein, natürlich nicht, aber ich kann nicht über meinen Schatten springen. Du kannst das eben nicht verstehen, dir fällt es so leicht, auf andere zuzugehen. Ich wünschte, ich wäre nur ein wenig wie du. Es tut so weh immer all die Paare zu sehen und selbst niemanden zu haben. Das einzige, was mir bleibt, sind meine Träume.« Sehnsüchtig wanderte sein Blick wie von selbst wieder zu Mik, der gerade einen Gast abkassierte und deren Tisch abräumte.
In dem kleinen Cafe war nicht mehr viel los, die Sonne ging schon unter.
Als habe er gespürt, das Fero ihn anstarrte, drehte sich Mik um, sah ihn direkt an und lächelte.
Nach Luft schnappend drehte sich Fero weg, seine Wangen glühten.
»Ich glaube, nun ist er eingeschnappt«, raunte Conny und sah an Fero vorbei zum Tresen. »Zumindest sieht er nicht glücklich aus.«
»Ich mach kurz Pause«, hörte er Mik rufen, vernahm einen seltsamen Unterton in dessen sonst so fröhlicher Stimme.
Mit hängenden Schultern saß Fero nun am Tisch und wollte sich am liebsten nur noch verkriechen.
»Das heute war mein letzter Besuch hier. Nach der Aktion kann ich mich doch nicht mehr blicken lassen.«
»Das musst du wissen, aber ich würde es mir an deiner Stelle gut überlegen. Irgendwann solltest du deinen inneren Schweinehund überwinden und all deinen Mut zusammennehmen. Mik scheint mir nett zu sein, er wird dich nicht beißen, selbst wenn er hetero ist. Es wäre doch auch schön für dich, außer mir noch einen guten Freund zu haben.«
»Denkst du echt, ich könnte mit ihm befreundet sein, wenn er weiß, das ich auf ihn stehe?«
»So schlimm ist das doch auch nicht. Vielleicht fühlt er sich auch geschmeichelt.« Lächelnd trank sie ihr Getränk aus. »Du solltest mehr Vertrauen in andere haben, Fero, sie könnten dich positiv überraschen.«
In diesem Moment vibrierte ihr Mobiltelefon, das neben ihr auf der Tischplatte lag und kündigte eine eingehende Nachricht an. Sie nahm es hoch und las diese.
»Basti ist gleich da. Willst du nicht doch mit ins Kino kommen, wird sicher toll?«
»Ne du, lass mal lieber, ich würde euch nur stören. Bei euch bin ich sonst schon zu oft das fünfte Rad am Wagen, da muss ich euch nicht das Date versauen. Ich lauf nach Hause und sehe mir dann noch ein paar Folgen Game of thrones oder so an.«
Keine fünf Minuten später erschien Basti. Er war ein ganzes Stück größer als Conny und er selbst, seine blonden Haare trug er seit einer Weile schulterlang, was ihm sehr gut stand.
Strahlend sprang Conny auf und umarmte ihren Freund stürmisch, der sie seinerseits erst einmal ausgiebig küsste.
Schmunzelnd sah er den beiden dabei zu und freute sich für seine beste Freundin. Sie verdiente jemanden wie Sebastian. Er war immer für sie da, beschützte sie, wenn es sein musste, las ihr viele Wünsche von den Augen ab, unterstützte sie bei allem, was sie tat und das wichtigste natürlich, er liebte sie von ganzem Herzen.
Nachdem sie sich wieder voneinander lösten, begrüßte Basti auch ihn und bezahlte anschließend Connys Eis und den Cappuchino.
»Wir telefonieren morgen, okay?« Fragend sah Conny ihn an.
»Klar, das machen wir. Und ihr beiden genießt euer Date.«
Conny umarmte ihn fest, ehe sie zusammen mit Basti Hand in Hand den Laden verließ. Er sah ihnen nach, bis er sie in der Dunkelheit nicht mehr erkennen konnte.
Nachdenklich zog er seine Jacke über, bezahlte bei Kati und trat dann den Heimweg an.
Für diese Jahreszeit war es noch angenehm draußen. Fero liebte den Frühling, wenn die Natur aus ihrem Winterschlaf erwachte, alles blühte und wundervoll duftete.
Sein Weg führte ihn ein Stück am Ufer des kleinen Sees entlang. Der Mond spiegelte sich darin, erhellte alles ein wenig. Einen Moment blieb er stehen, ließ diese friedliche Stimmung auf sich wirken. Als ein älteres Ehepaar an ihm vorbei ging, straffte er sich und lief weiter.
Nach einigen Metern bog der Pfad ihn in ein Waldstück ein. Die Straße führte eigentlich darum herum, doch der Umweg würde ihm zu Fuße gut eine halbe Stunde kosten, die Abkürzung hingegen nur knapp zehn Minuten.
Je weiter er hineinging, desto dunkler wurde es, der Mond war kaum zu sehen und es gab auch keine Beleuchtung. Angst kroch langsam in ihm hoch, doch nun war er schon einmal hier, würde nicht die ganze Strecke zurückgehen.
Er nahm sein Mobiltelefon aus der Hosentasche, schaltete die integrierte Lampe ein und leuchtete sich selbst den Weg.
Ein Knacken im Unterholz ließ ihn zusammenzucken. Als er sich umdrehte, konnte er jedoch nichts erkennen. Sein Herz raste wie verrückt.
Unwisch schüttelte er den Kopf über sich selbst. Er war in der Natur, da gab es das ein oder andere wilde Tier, die Geräusche verursachten. Er war schließlich keine fünf mehr und glaubte nicht an Monster, die aus den Schatten hervor sprangen, um einen zu fressen.
Trotzdem beschleunigte er seine Schritte etwas, wollte sich hier nun nicht länger als nötig aufhalten.
Immer wieder knackte es, ihm war, als würde er Schritte hören.
»Ganz ruhig, alles ist okay, niemand folgt dir«, sagte er flüsternd zu sich selbst, wiederholte die Worte wie ein Mantra.
Immer wieder drehte er sich um.
Erschrocken stellte er fest, dass dort tatsächlich eine Gestalt war, die schnell näher kam.
Sollte er sich verstecken? Die Polizei rufen? Oder lieber die Beine in die Hand nehmen und weglaufen?
Nach kurzem nachdenken entschied er sich für letzteres.
So schnell er konnte rannte er den Waldweg entlang, stolperte immer wieder.
Oh man, wieso war er nicht weiter auf der hellen Straße geblieben, wo auch um diese Uhrzeit noch Menschen waren? Würde ihm seine Bequemlichkeit nun teuer zu stehen kommen? Und für was das alles, nur dafür, dass er schneller zuhause war, um alleine in seinem Zimmer zu sitzen und eine Serien anzusehen?
Das Telefon glitt ihm aus seinen schweißnassen Händen. Strauchelnd blieb er stehen, hob es auf und eilte dann weiter. Die Schritte näherten sich ihm, der Schatten würde ihn bald erreichen.
Hoffentlich würde wer auch immer es war, ihn nur ausrauben und nicht zusammenschlagen.
»Hey, bleib stehen!«, rief eine laute männliche Stimme, die wie er außer Atem zu sein schien.
Nein, er würde nicht einfach aufgeben. Wenn der Kerl an seine Wertsachen wollte, dann würde er es ihm nicht noch leichter machen.
Vor sich sah er schon den Waldrand, als sich plötzlich eine Hand auf seine Schulter legte und ihn festhielt.
Mit einem Aufschrei riss er sich los, wollte nur noch weg. In seinen Augen brannten Tränen.
Sein Fuß verhakte sich in etwas, was ihn der Länge nach hinschlagen ließ. Ein stechender Schmerz breitete sich von seinem Knöchel her aus. Schluchzend schlug er die Hände über seinem Kopf zusammen, wollte sich schützen.
»Bitte, lass mich, ich gebe dir auch mein Geld und das Handy!«, rief er aus, hoffte, dass ihm das das Schlimmeres ersparte.
Die Schritte waren ihm nun ganz nahe.
»Ich will weder dein Geld noch dein Telefon«, sagte eine leise Stimme neben ihm, die er nur allzu gut kannte.
Verwundert sah er zur Seite. Tatsächlich, neben ihm kniete Mik, der ihn besorgt musterte.
»Du...wieso?«, brachte Fero stockend hervor.
Mik zog etwas aus seiner Jackentasche. Feros Geldbeutel.
»Den hast du vergessen, als du bezahlt hast. Kati meinte, das du erst raus bist und deshalb bin ich dir nach, um ihn dir zu geben. Ich wollte dich nicht erschrecken, aber ich musste mich beeilen, sonst hätte ich dich nicht mehr erwischt.« Umständlich setzte sich Fero auf, hielt sich seinen Knöchel, der schmerzhaft pochte. Mik reichte ihm sein Portemonnaie, das er gleich einsteckte.
»Danke...das ist nett von dir«, sagte er, sich vollkommen darüber im Klaren, wie dünn sich seine Stimme anhörte.
»Gern geschehen. Ich war mir nicht sicher, wie du darauf reagiern würdest, wenn ich sie dir bringe...du scheinst mit mir ein Problem zu haben.«
»Ich...nein, habe ich nicht...nicht wirklich. Mit Leuten zu reden...das fällt mir nicht leicht, es macht mir Angst«, erklärte er leise, sah beschämt zu Boden. Als Kerl und in seinem Alter so etwas zu gestehen, war so unendlich peinlich. Am Liebsten würde er sich verkriechen, doch leider gab es, wenn man es brauchte, nie ein Loch, um sich darin zu verstecken. Mik hielt ihn nun sicher für vollkommen bescheuert.
»Ok, na das erklärt einiges.« Er zeigte auf Feros Knöchel. »Hast du dich verletzt?«
Fero nickte, sah aber nicht auf. Mik war so nah, brachte ihn noch mehr durcheinander als sonst.
»Kann ich einen Blick drauf werfen?«
»Klar...«, war alles, was er erwidern konnte.
Sein Puls erreichte astronomische Höhen, als Miks warme Finger seine Haut berührten. Vorsichtig zog er ihm den Schuh aus, warf im Licht seiner Handy Taschenlampe einen Blick auf den Knöchel. Jede Bewegung, jede Berührung tat ihm weh.
»Er ist angeschwollen und rot, ich denke, das er verstaucht oder sogar angeknackst sein könnte. Du solltest damit zum Arzt gehen.«
»So ein Mist. Ich komme so...nicht nach Hause.«
»Ich kann dir helfen. Meine Schicht war sowieso zu ende. Komm, ich stütze dich.«
Ohne auf Feros Antwort zu warten, griff Mik ihm unter die Arme, zog ihn hoch und legte sich dann Feros Arm um die Schulter. Den Schuh in der freien Hand haltend, stand er da und wusste nicht, wie ihm geschah.
Miks Geruch stieg ihm in die Nase, benebelte seine Sinne.
Obwohl die Panik in ihm laut nach Flucht schrie, schmiegte sich Fero an Mik. Wieso sollte er nicht die Gelegenheit ergreifen und ihm nahe sein, wenn sich ihre Wege eh viel zu schnell wieder trennen würden? Das war eine einmalige Chance für ihn.
»Wohin müssen wir?«
Fero nannte dem anderen seine Anschrift.
Langsam gingen sie los. Sie kamen nur schwerlich voran, so das Mik ihn nach zehn Minuten einfach hochhob und weitertrug.
Für einen Augenblick nahm es Fero den Atem. Das alles war wie ein wirrer Traum. Würde er gleich alleine in seinem Bett erwachen?
Nach Luft schnappend atmete er schließlich ein. Mik sah ihn einen Moment grinsend an, ehe er seinen Blick wieder auf den Weg richtete, schließlich wollte er nicht mitsamt Fero stürzen.
Wie gern hätte er sich ganz ohne Jacke an den anderen gekuschelt. Doch das hier, diese Momente, waren mehr, als er sich je vorstellen konnte. Davon würde er sehr lange zehren, das wusste er jetzt schon.
»Welche Hausnummer war es nochmal?«, fragte Mik etwas außer Atem.
»Die 34, gleich da vorne, das Einfamilienhaus am Ende der Straße«, erklärte Fero und deutete auf das hell erleuchtete Gebäude. »Du kannst mich auch runterlassen, ich bin doch viel zu schwer und du hast mich weit genug getragen.« Die Worte kamen ihm nur schwerlich über die Lippen, denn er wollte diese Nähe noch viel länger spüren, doch er wusste, dass dies nicht möglich war.
»Das ist schon okay, ich habe es ja freiwillig gemacht und werde dich bis zur Haustüre bringen. Und nein, du bist mir nicht zu schwer.« Das Lächeln, das er ihm schenkte, brachte ihn fast dazu, laut zu seufzen. Gerade noch verkniff er es sich.
Als sie den Vorgarten betraten, schloss Fero noch einmal die Augen, atmete Miks Geruch tief ein.
»So, da wären wir«, sagte Mik leise und ließ ihn vorsichtig runter.
»Danke, Mik, das war echt nett von dir.« Seine Schüchternheit, die sich zuvor etwas zurückhielt, griff nun wieder mit ihren Pranken nach ihm. Seine Wangen glühten. Gott sei Dank war es so dunkel, das man es wahrscheinlich nicht erkennen konnte.
»Hab ich sehr gerne gemacht, so konnte ich zumindest ein paar Worte mit dir wechseln. Ich wollte das nämlich schon länger, aber... .«
Bevor sein Gegenüber den Satz beenden konnte, öffnete sich die Haustür und Feros Mutter stand da.
»Fero?!« Sie sah von ihm zu Mik. »Hallo, ich bin Jana Mazur.«
»Hallo Frau Mazur, ich bin Mik. Ich habe Fero geholfen, er ist umgeknickt und hat sich den Knöchel verletzt.«
Sofort schaltete seine Mutter in den Panikmodus, so wie immer, wenn mit ihren Kindern etwas geschah.
Mik lächelte sie jedoch sanft an.
»Soweit geht es ihm gut. Ich schlage vor, das ich ihn reinbringe und sie besorgen ihm etwas gegen die Schwellung.« Kurz sah sie ihn irritiert an, dann nickte sie aber und verschwand Richtung Küche.
»Nicht einmal mein Vater kann sie so schnell beruhigen«, stellte Fero fest, als ihn Mik schon wieder hochhob.
»Ich habe auf die meisten so eine Wirkung. Du bist der erste, der wegen mir in Panik geriet. Wo finde ich das Wohnzimmer?«, fragte er und lächelte liebevoll. Man, er beneidete diejenige, die diesen Mann einmal abbekommen würde.
»Die zweite Tür links. Ich...das war nicht wegen dir...ich habe nur einen Schatten gesehen...deshalb bin ich erschrocken.« Beschämt starrte Fero auf seine Hände, die er nervös knetete. Mik hielt ihn auf jeden Fall für seltsam.
Auf dem Sofa setzte er Fero ab, als seine Mutter mit einem, in ein sauberes Geschirrtuch eingewickelten, Kühlakku wiederkam.
»Hier, ich denke das sollte helfen. Danke, das sie meinem Sohn beigestanden haben.«
»Ja, das ist gut. Ich habe gern geholfen, sie müssen sich nicht bedanken.« Neben Fero ließ Mik sich nieder, nahm ganz selbstverständlich dessen Bein und legte er sich über den Oberschenkel, um dann behutsam den Kühlakku an den Knöchel zu halten.
»Ich bin gleich wieder da«, sagte Feros Mutter nach einigen Minuten, in der alle schwiegen und verließ den Raum.
Er sah seiner Mutter nach. Sie würde sicher seinem Vater Bescheid sagen, der im Moment wohl noch arbeitete.
»Sie scheint sehr besorgt zu sein«, stellte Mik fest.
»Oh ja, das ist sie. Sie weiß, wie ich bin, daher ist sie immer auf der Hut.«
»Wie bist du denn?« Interessiert sah Mik ihn an.
»Ein Feigling, der sich an schlechten Tagen selbst vor seinem Schatten fürchtet. Egal um was es geht, ich habe sicher eine Phobie dagegen oder einfach nur Angst. Conny, mit der ich heute bei euch in der Eisdiele war, ist meine einzige wirkliche Freundin.« Er sah an Mik vorbei, starrte an die Wand hinter ihm. »Mit jemandem wie mir gibt sich keiner freiwillig ab, was ich gut verstehen kann.«
Als er Miks Finger an seiner Wange spürte, zuckte er vor Schreck zusammen, sah ihn mit großen Augen an. Seufzend ließ Mik die Hand sinken.
»Also hast du auch Angst vor mir, obwohl ich dir nichts tue?«
Hart schluckte Fero gegen den Kloß an, der sich in seinem Hals bildete, schüttelte dann den Kopf.
»Bei dir ist es etwas anderes. Ich...ich mag dich, sehr sogar und...ach, ich will einfach nicht hören oder zu spüren bekommen, das du mich nicht magst.«
»Wer sagt denn, das ich dich nicht mag? Du hast dich bis jetzt immer so komisch verhalten, das ich nie wusste, woran ich bei dir bin. Kati meinte zwar, das sie denkt, dass du ein Augen auf mich geworfen hast, aber immer wenn ich versuchte, mit dir zu flirten, hast du mich abgeblockt.«
Bei diesen Worten schoss ihm die Hitze ins Gesicht, er wusste kaum, wohin er schauen sollte. Könnte er laufen, hätte er wohl die Flucht ergriffen. Kati merkte, das er mehr für Mik empfand und sagte es ihm? Er kam sich so bloßgestellt vor.
Aber halt, sagte Mik gerade, das er versuchte, mit ihm zu flirten?
»Du hast...du wolltest...aber wieso?« Fero brachte die Frage kaum über die Lippen.
»Na, vielleicht, weil du mir gefällst, schon eine ganze Weile lang. Um genauer zu sein, seit dem Tag, an dem ich dich das erste Mal im Laden sah«, gab Mik zu, seine Wangen schimmerten rosa und seine Ohren waren knallrot. Sonst so selbstsicher, wirkte sein Gegenüber nun verunsichert, biss sich nervös auf die Unterlippe.
»Aber ich bin...eine Katastrophe«, stieß Fero aus, konnte kaum glauben, was Mik sagte.
»In meinen Augen nicht und selbst wenn du es bist, ich liebe Herausforderungen. Die Frage ist nur, ob du mir überhaupt eine Chance gibst, dir das zu beweisen.«
Fero starrte den anderen an, hörte, was dieser sagte, doch sein Verstand schien es nur sehr langsam zu verarbeiten.
»Was...was bedeutet das genau?«
»Es bedeutet, das ich dich gern besser kennenlernen würde, so richtig, mit allem drum und dran. Natürlich nur, wenn du das willst.«
»Also, ich...ich denke...das ich das will«, nuschelte er leise in seinen nicht vorhandenen Bart. Immer wieder senkte er den Blick, seine Augen huschten hin und her, er war vollkommen überfordert.
»Ja?! Das freut mich.« Miks Finger berührten Feros Hals, dann seine Wange. »Ich würde dich gerne küssen, wenn das in Ordnung ist.«
Wenn er zuvor schon aufgeregt war, erreichte sein Puls nun kaum messbare Höhen. Seine Panik kämpfte mit seinem Bedürfnis, diesem Mann nahe zu sein.
»Ich würde dich...auch gerne küssen«, gestand Fero atemlos.
Seine Hände an Feros Wangen gelegt, kam ihm Mik immer näher, senkte seine Lippen auf Feros und küsste ihn zärtlich.
In dem Augenblick, in dem sich ihre Münder trafen, jagten tausende Energieimpulse durch seinen Körper, sein Hirn hörte auf, alles zu zerdenken. In ihm hüpfte sein Herz, schien sich ebenso zu freuen, wie er selbst. Sein erster Kuss und dann gleich mit einem so unglaublichen Mann wie Mik.
Zaghaft legte er seine Hände an Miks Oberkörper. Dieser lächelte in den Kuss hinein, als er es spürte.
Nach einer kleinen Ewigkeit und doch viel zu früh löste sich Mik von ihm. Fero leckte sich über die Lippen, schmeckte den anderen darauf und grinste.
»Wow...ich hätte nicht gedacht, das es so sein würde, aber ich hätte mir mir meinen ersten Kuss in meiner Fantasie auch nicht schöner ausmalen können.«
»Das war dein erster Kuss? Dafür küsst du verdammt gut«, raunte Mik, nah an seinen Lippen.
»Ja, das war er und bis heute dachte ich, ich hätte etwas verpasst. Doch nun denke ich, das es sich gelohnt hat, darauf zu warten. Denn es war nun mit jemandem, an dem mir wirklich etwas liegt.« Zum ersten Mal in seinem Leben brachte er mehrere Sätze auf einmal heraus, fühlte sich hier bei Mik im Moment so sicher, verspürte Aufregung, aber keine Angst. »Wer hätte das gedacht, der Angsthase ist nun nicht mehr ungeküsst.« Leise lachend schmiegte er sich an Mik.
Als seine Mutter wenige Minuten später zurückkam und ihn so vertraut mit Mik erlebte, breitete sich ein glückliches Lächeln auf ihrem Gesicht aus.
»Oh, wie schön«, sagte sie und seufzte leise. Fero konnte sehen, wie viel ihr es bedeutete, ihn so glücklich zu sehen. »Ich richte noch eine Brotzeit für deinen Vater her, wenn ihr etwas möchtet, meldet euch bei mir.«
Mit einem letzten Blick auf Mik und ihn schwebte sie förmlich aus dem Zimmer.
»Ich wünschte, meine Mutter würde so reagieren.« Mik ließ die Schultern sinken.
»Hey, nicht traurig sein. Meine Mutter wird dich wahrscheinlich von der Stelle weg adoptieren wollen. Es ist schade, das die Frau, die dich geboren hat und dich bedingungslos lieben sollte, dies nicht tut, aber du hast sicher Menschen, die dich um deinetwillen gern haben und zu denen zähle ich auch«, brachte er ernst hervor, wollte Mik zeigen, das er nicht alleine war.
Sich an ihn zu schmiegen machte ihn selbstbewusster, vermittelte ihm so viel Sicherheit, das er dem anderen diese Gefühle ebenso vermitteln wollte.
»Viele sind es nicht, aber auf die, die ich habe, kann ich mich in allen Lebenslagen verlassen. Und nun habe ich sogar das, was ich mir schon so lange gewünscht habe. Kati wird sich nicht mehr einkriegen vor Lachen, wenn ich ihr erzähle, dass wir uns geküsst haben. Dir ist es doch recht, wenn andere von uns wissen?«
»Gibt es denn ein uns?« Unsicherheit kroch wieder in ihm hoch. War er wirklich gut genug für einen so gutaussehenden und perfekten Kerl wie Mik?
»Ich würde mich auf jeden Fall freuen, wenn du es mit mir versuchen würdest. Das es ein uns gibt, wäre mein größter Wunsch, aber ich will dich auf keinen Fall bedrängen.«
»So lange wie ich dir schon heimlich, na ja, zumindest dachte ich, das ich es nicht zu offensichtlich tat, hinterher schmachte, wäre es eine glatte Lüge, wenn ich behaupten würde, das ich nicht mehr von dir wollen würde. Lass uns einfach sehen...wohin uns das führt, okay? Ich möchte auch nicht, das sie dich damit aufziehen, dass du mit einem Mauerblümchen wie mir zusammen sein willst, du bist viel offener, dich mögen alle.«
Mik streichelte ganz sanft über Feros Wange.
»Wir lassen es auf uns zukommen, überstürzen nichts. Solange ich dich küssen darf, ist alles okay.« Bestimmt und dich behutsam nahm Mik Feros Kinn und brachte ihn dazu, Mik direkt in die Augen zu sehen. »Mir ist egal, was irgendwer sagt. Du bist eben nicht so extrovertiert wie andere, aber das macht mir nichts aus. So wie du bist, ist es perfekt. Schließlich habe ich mich in dich, so wie du bist, verguckt. Vielleicht kann ich dir helfen, ein paar deiner Ängste abzulegen, aber das nicht, weil du mir peinlich wärst, sondern weil ich möchte, das du dich in deiner Haut wohler fühlst.«
Anders als sonst bei Gesprächen hielt er nun dem Blick aus diesen sanften Augen stand, lächelte bei Miks Worten.
»Du...du darfst mich immer küssen«, brachte er rau hervor, spürte, wie er schon wieder rot wurde. »Bei dir fühle ich mich schon weniger ängstlich als sonst, was bemerkenswert ist. So wie mit dir gerade unterhalte ich mich sonst höchstens mit Conny oder meinen Eltern, bei allen anderen finde ich nie die richtigen Worte. Du hast etwas an dir, das dazu führt, das ich mich entspanne.«
»Na dann werde ich wohl noch ein wenig mehr für Entspannung sorgen«, sagte Mik leise, legte seine Lippen sanft auf Feros und küsste ihn ein wenig drängender als zuvor.
Wie von selbst stupste Fero mit der Zungenspitze gegen die fremden Lippen, die sich augenblicklich teilten. Miks Zunge umspielte Feros zaghaft, was dieser sogleich erwiderte.
So entflammt fühlte er sich noch nie, wollte Mik weiterhin schmecken, seine Nähe spüren.
Mutig hob er die Arme, umschlang den anderen und küsste ihn weiterhin.
Ein Räuspern riss ihn dann jedoch aus seinen vollkommen abgeschweiften Gedanken. Leicht benommen blickte er hoch und sah sich seinem Vater gegenüber, der ihn äußerst amüsiert musterte.
»Ich störe euch nur ungern, aber deine Mutter möchte, das ihr beiden zu uns in die Küche kommt. Wir würden deinen Freund gerne besser kennenlernen.«
»Okay...«, stieß Fero peinlich berührt hervor. Sein Vater drehte sich um und begab sich zu seiner Ehefrau. »Ich habe gar nicht gehört, das er heimkam«, erklärte er an Mik gewandt.
»Ich habe auch nichts mitbekommen...du hast mich abgelenkt.« Amüsiert lachte er leise auf, löste den Blickkontakt nicht.
»So wie du mich. Möchtest du denn mit zu meinen Eltern? Sie können manchmal etwas sehr direkt sein. Wenn du also nicht willst, ist dir sicher keiner böse.«
»Ich möchte es. Sie sind dir wichtig, sie machen sich sicher Sorgen um dich und ich möchte, das sie mich kennenlernen, denn ich hoffe ja, das es noch lange ein wir gibt, das wir zu etwas zusammenwachsen, das Bestand hat. Ich bin glaube ich mit meinen knapp 20 auch etwas älter als du, da möchte ich nicht, das sie denken, ich würde dich irgendwie ausnutzen wollen.«
Mik erhob sich, griff nach Feros Hand und zog ihn hoch.
Immer noch etwas ungläubig, dass das gerade wirklich passierte, stand er vor nur auf einem Bein vor dem Mann, der seine Träume so lange beherrschte. All das, was er sich vorstellte, konnte in Erfüllung gehen.
»Dann lassen wir sie nicht länger warten. Ich hoffe, ich kriege nachher noch ein paar Küsse.«
Grinsend zog Mik ihn ruckartig an sich, verschloss Feros Mund mit seinem.
Erst als Fero nach Luft schnappte, lösten sie den Kuss.
»Das war ein Vorschuss, damit du nicht vergisst, wie es sich anfühlt. Später bekommst du davon noch viel mehr.«
Darauf freute er sich, wäre am liebsten hibbelig von einem auf den anderen Fuß gehüpft, doch er riss sich zusammen, da es im Moment wohl auch zu schmerzhaft gewesen wäre und humpelte mit Mik, der wohl bald sein Freund sein würde, zu seinen Eltern.
Dieser Tag begann wie jeder andere, er war deprimiert und allein. Doch nun hielt Mik seine Hand fest und sicher in seiner und würde sie wohl lange Zeit nicht loslassen.
Zum ersten Mal in seinem Leben war er mutig, kein Angsthase und das war ein gutes Gefühl.
Dafür würde er sich später viele süße Küsse als Belohnung abholen.
Glücklich betrat er mit Mik die Küche und ließ sich mit ihm dort nieder. Von einem zum anderen schauend wurde ihm ganz warm ums Herz. Das hier, diese Menschen, waren seine Familie und er konnte sich glücklich schätzen, das sie bei ihm waren.
Mik drückte seine Hand und schenkte ihm einen sanften Blick.
Verdammt, er war schon ein Glückspilz.
Er konnte nicht erwarten, es Conny zu erzählen, seine Freude mit ihr zu teilen.
Schon seltsam, wie sich ein ganzes Leben in nur wenigen Stunden so verändern konnte.
Plötzlich waren Veränderungen etwas gutes für ihn.
All das, was war, begrüßte er mit offenen Armen und würde es festhalten, solange er konnte.
Texte: © Ann Salomon
Bildmaterialien: Pixabay
Tag der Veröffentlichung: 20.05.2020
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