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(K)ein guter Vorsatz

Hinter sich hörte er seine Freunde lachen, sie amüsierten sich gut. Seufzend schloss er die Glastür. Die Musik drang nun nur noch gedämpft zu ihm auf die Terrasse.

Diese Feiern waren sonst ganz seine Welt, doch in diesem Jahr wurde ihm alles zu viel. Im September verließ ihn sein Freund...nein, das was nicht korrekt. Damals kam Birk früher nach Hause und erwischte den Mistkerl mit einem anderen, wie sie sich nackt in den Laken wälzen. Froh darüber, dass er bei seinen Eltern in der Einliegerwohnung unterkam, zog er schon wenige Tage später aus.

Man könnte denken, dass sein Ex nur ein Fehlgriff war und er sicher bald jemanden treffen würde, der ihn und seine Liebe zu schätzen wusste. Doch seit mehreren Jahren reihte sich eine beziehungstechnische Katastrophe an die nächste. Wieso geriet er immer an Typen, die entweder fremdgingen oder ihn wie Dreck behandelten? Vielleicht war er ja verflucht, anders war das alles nicht mehr zu erklären.

Von Männern wollte er erstmal nichts mehr wissen, so viel stand fest. Alle redeten von ihren Vorsätzen fürs neue Jahr. Seiner war, sich von Typen, die ihm gefielen, fernzuhalten, denn sie entpuppten sich alle durch die Bank als Frösche. Ein Prinz war für ihn wohl nicht vorgesehen.

Verdammt, so wählerisch war er doch gar nicht, wollte nur jemanden an seiner Seite, der ihn aufrichtig liebte. War das zu viel verlangt? Anscheinend schon.

Zugern würde er nun eine rauchen, oder zwei...na vielleicht ne ganze Schachtel. Blöd nur, das er dieses Laster vor Jahren ablegte.

Ihre Gastgeber sorgten zumindest dafür, dass sie alle nicht auf dem trockenen sitzen würden, wobei Birk sich nicht komplett abschießen wollte.

Fuck, es war wahrlich ein Teufelskreis.

Tief durchatmend setzte er einen Fuß vor den anderen und lief weiter in den großzügigen Garten hinein. Die kühle Luft tat gut, klärte seinen Verstand, ließ ihn ruhiger werden.

Im kommenden Jahr würde er einfach nur auf sich achten, mit seinen Freunden etwas unternehmen und die Projekte über die Bühne bringen, die bei ihm auf der Arbeit anstanden. Damit wäre er erst einmal eine Weile beschäftigt. Sex konnte er sich auch so holen, wenn er es gar nicht mehr aushielt. Ein Hoch auf all die Apps, mit deren Hilfe man schnell und unkompliziert jemanden fand, der zu allem bereit war.

Grummelnd blieb er stehen und trat gegen einen Baumstamm vor sich. Schmerz flammte auf und Birk hüpfte auf einem Bein herum. Na super, er war nicht einmal in der Lage, seiner Wut freien Lauf zu lassen, ohne sich dabei zu verletzen.

Sollte er den Abend nicht besser abhaken und nach Hause gehen? Da musste er wenigstens niemandem etwas vormachen.

Nein, das konnte er Rebecca nicht antun, die sich für dieses Fest so ins Zeug legte.

Irgendwie würde er es schon überstehen.

Leicht humpeln lief er zurück zur Terrasse, auf der nun ein paar seiner Freunde standen und eine rauchten.

»Hey Mann, wo kommst du denn her?«

»Ich musste den Kopf freibekommen«, gab er wahrheitsgemäß zurück.

»Bist du immer noch wegen diesem Arschloch so mies drauf? Man, der verdiente dich eh nicht. Du wirst sehen, irgendwann begegnet dir Mister Right und dann sind all die Idioten vergessen.«

Birk mochte Sven, sie waren seit vielen Jahren befreundet, doch er sah das Leben gerade in Rosarot, war frisch verliebt und konnte wohl nicht nachvollziehen, wie verletzt Birk immer noch war.

Und was den perfekten Mann für ihn anging, da gab es nur einen, den er auch nach Jahren nicht vergessen konnte.

Finjas war der erste Junge, für den Birk schwärmte, von ihm bekam er seinen ersten Kuss und er war der erste, mit dem er Zärtlichkeiten austauschte. Damals waren sie dreizehn und beide noch vollkommen unerfahren. Doch zu mehr als Petting kam es nie, da Finjas Eltern beschlossen umzuziehen und er musste natürlich mit. Sie blieben noch einige Monate in Kontakt, doch dann hörten die Briefe auf. Zugern wüsste Birk, wie Finjas heute wohl aussah. Als Jugendlicher war er schlaksig, seine Haare waren halblang und fielen ihm immer ins Gesicht. Immer wieder nutzte Birk damals die Ausrede, sie ihm hinters Ohr streichen zu wollen, um ihn zu berühren. Finjas war wohl das einzige männliche Wesen, das für ihn keine Amphibie war.

Ach, was hing er in der Vergangenheit. Höchstwahrscheinlich war er vergeben, glücklich mit dem Mann seiner Träume und verschwendete seinerseits nicht einen Gedanken an den etwas pummeligen schüchternen Jungen von früher.

»Wenn das geschieht wäre es ein Wunder und an die glaube ich schon lange nicht mehr.«

Sven legte ihm den Arm um die Schulter und drückte ihn an sich. Der Geruch nach Rauch stieg ihm in die Nase und er war kurz davor, seinen Kumpel nach einer Kippe zu fragen, als dessen Freundin erschien und Sven komplette Aufmerksamkeit auf sich zog. Nun könnte eine Bombe im Garten explodieren, die beiden bekämen es nicht mit.

Leicht grinsend schüttelte er über die beiden Turteltauben den Kopf und begab sich hinein ins Warme. Seine Jacke hängte er an die Garderobe und nahm sich in der Küche eine Flasche Wein und ein Glas mit.

Damit bewaffnet ließ er sich auf der Couch in der Ecke nieder und goss sich etwas ein. Wie bei Rebecca nicht anders zu erwarten, war der Wein sehr gut. Nach dem zweiten halben Glas fühlte sich Birk schon besser, lockerer.

Sein Fuß wippte im Takt der Musik und er summte leise den Text mit.

Einige tanzten ausgelassen, viele unterhielten sich angeregt. Zu seinem Leidwesen waren fast nur Paare anwesend, so dass ihm das, was ihm trotz seinem erst aufgestellten Vorsatz fehlte, immer wieder unter die Nase gerieben wurde.

Bemüht, sich davon nicht runterziehen zu lassen, konzentrierte er sich auf die Gespräche der Leute, die neben ihm saßen. Es ging um Fußball und solche Dinge, mit denen Birk nur wenig bis gar nichts am Hut hatte, doch das war allemal besser, als sich selbst immer wieder daran zu erinnern, das er wohl nicht für eine feste Beziehung vorgesehen war.

Als sein Magen knurrte, schnappte er sich am Buffet einen Teller und belud diesen mit allen möglichen Leckereien, die er sich anschließend schmecken ließ. Die Sachen waren super lecker, was kein Wunder war, da Beccas Partner als Sternekoch arbeitete.

Mittlerweile war er, durch regelmäßiges Training, auch nicht mehr so kräftig wie früher. Seine Freunde meinten, er sehe sogar richtig gut aus. Da war er sich aber selbst nicht so sicher. Wahrscheinlich machten sie ihm Komplimente, weil sie nett sein wollten. Denn mal ehrlich, wäre er ein Sahneschnittchen, würden sich die Typen, mit denen er zusammen war, nicht jemand anderes suchen.

Den leeren Teller stellte er auf dem Tischchen vor sich ab, trank einen großzügigen Schluck Wein und begab sich dann zu den Tanzenden. Allein bewegte er sich zur Musik, schloss irgendwann die Augen, wollte nichts mehr sehen, nichts mehr wahrnehmen, sich nur noch den Frust von der Seele tanzen.

Die Playlist war gut, viele schnelle Stücke, bei denen er sich so richtig auspowern konnte. Gerade endete der aktuelle Song, weshalb er die Augen öffnete und sich etwas verplant umsah. In den letzten Minuten war er vollkommen in seiner eigenen kleinen Welt versunken.

Becca kam gerade auf ihn zu, einen großen Mann im Schlepptau, der mit Sicherheit nicht ihr Partner war. Er sagte etwas zu ihr, was sie herzhaft auflachen ließ. Flirtete der Typ mit ihr? Das würde Rainer, ihrem Freund, sicher nicht gefallen.

»Hey, Birk, schau nicht so ernst, sonst meinen die Leute noch, du willst jemanden fressen«, sagte sie grinsend zu ihm. Der Kerl blieb neben ihr stehen. Wieso verzog er sich denn nicht? Sollte er etwas sagen? Schließlich war er sowohl mit Becca als auch ihrem langjährigen Partner befreundet.

»Ich schaue nicht ernst. Weiß gar nicht was du hast«, entgegnete er und versuchte ein freundlicheres Gesicht zu machen.

Nun wandte sich der Fremde direkt an ihn, so dass er ihn zum ersten Mal deutlich erkannte. Irgendwie kam er ihm bekannt vor. Vor allem diese blaugrauen Augen.

»Schon besser«, kommentierte sie sein Lächeln. »Darf ich dir Finjas vorstellen? Er ist ein neuer Kollege und erst hierher gezogen.«

Jetzt traf Birk die Erkenntnis wie ein Schlag vor den Kopf und ihm wurde klar, woher er ihn kannte.

»Finjas und ich, wir kennen uns...von früher«, brachte er stockend hervor. Zuerst wirkte Finjas verwundert, dann breitete sich auch in seinem Gesicht Überraschung aus.

»Birk, das kann doch nicht sein. Das muss jetzt fast 15 Jahre her sein.«

»Ihr kennt euch? Na das nenne ich mal Zufall. Ich muss weiter, mich um die Gäste kümmern, aber ihr kommt sicher auch ohne mich klar«, erklärte sie, gab ihnen je ein schnelles Küsschen auf die Wange und war dann auch schon in der Masse der Anwesenden verschwunden.

»Ja, es ist lange her. Du hast damals keine Briefe mehr zurück geschrieben.« Das klang selbst für ihn wehmütig. Man, lass es sein, mach dich nicht für eine Sache zum Affen, die so lange zurück lag, wies er sich selbst zurecht. Sein Gegenüber konnte sich daran wahrscheinlich nicht einmal mehr erinnern.

»Ich weiß, das tut mir heute noch leid. Mein Vater, er ist ausgerastet, als er erfuhr, das wir was miteinander hatten, das ich schwul bin. Er hat mich verprügelt und mir dabei sogar den Arm gebrochen. Deine Briefe und alles, was mit dir auch nur Ansatzweise in Verbindung stand, hat er weggeworfen und mir verboten, zu dir Kontakt aufzunehmen. Ein Jahr war es die Hölle, bis meine Mutter sich endlich von ihm trennte und mit mir zusammen auszog. Da hätte ich nach dir suchen, deine Adresse herausfinden können, doch ich dachte, dass du mit mir nichts mehr zu tun haben willst, da es für dich ja so ausgesehen haben musste, als wolle ich mit dir nichts mehr zu tun haben.«

Birk klappte der Mund auf. Was er hörte schockierte ihn. Finjas Vater war immer streng und wurde schnell laut, aber das er seinem Kind so zusetzen würde, das traute er ihm nicht zu. Eltern sollten ihre Kinder lieben, egal was auch war.

»Das...man, es tut mir leid, dass ich nicht länger versuchte, dich zu erreichen«, sagte Birk und war kurz davor, den anderen so wie früher einfach in den Arm zu nehmen. Doch er tat es nicht. Sie waren nun beide erwachsen und der andere wollte sicher nicht mit einem fast Fremden auf Tuchfühlung gehen.

»Mein Vater hätte es nicht zugelassen, glaub mir. Ich durfte ja nicht mal mehr meine männlichen Klassenkameraden besuchen oder sie zu uns einladen, weil er fürchtete, das ich mit ihnen etwas anfangen könnte und das wollte er nicht auch noch unterstützen.«

Da standen sie nun, am Rande der Tanzfläche und die Stimmung war, obwohl alle um sie herum tanzten, lachten und sich freuten, auf dem Tiefpunkt.

Finjas wirkte, als bräuchte er ein paar Minuten, um sich wieder zu sammeln.

»Komm, lass uns etwas in den Garten gehen. Die kühle Luft wird uns beiden gut tun«, schlug er vor und sein Freund aus Kindertagen lächelte ihn dankbar an.

Zusammen gingen sie, nachdem sie ihre Jacken anzogen, nach draußen und zum zweiten Mal an diesem Abend lief Birk weiter in den Garten hinein. Finjas folgte ihm schweigend.

An einen Baum gelehnt blieb Finjas stehen.

»Wie ist es dir ergangen?«, fragte er und sah Birk neugierig an.

Die Haare trug er immer noch halblang, doch sein Körper wirkte gut trainiert auf Birk. Aus dem schönen Jungen war ein wunderschöner Mann geworden.

»Bis zum Abi blieb ich zuhause wohnen, bin dann hierher um zu studieren und nun versuche ich, Fuß zu fassen.«

»Wissen deine Eltern, das du auf Männer stehst?« Die Frage klang zögerlich, als ob Finjas fürchtete, damit in ein Fettnäpfchen zu treten.

»Ja, das wissen sie. Ich habe mich bei ihnen geoutet, als ich vierzehn wurde. An meinem Geburtstag waren alle meine Freunde da und doch war ich totunglücklich.« Schief lächelnd sah er den anderen an, der immer noch an dem glatten Stamm lehnte. »Der, der mir damals am Wichtigsten war, war nicht da und meldete sich auch nicht. Abends saß ich in meinem Zimmer und habe geheult, als meine Eltern hereinkamen und mich fragten was los sei. Da bin ich dann vollkommen zusammengebrochen und hab es ihnen erzählt. Sie reagierten richtig gut«, erzählte er peinlich berührt. Nur ungern gab er zu, wie sensibel er damals war und bis heute blieb.

Nun stieß sich Finjas ab und kam die zwei Schritt zu ihm. Direkt vor ihm kam er zum Stehen. Zögerlich legte er ihm die Hand an die Wange.

»Glaub mir, ich wollte an diesem Tag so gerne bei dir sein oder zumindest mit dir telefonieren, aber mein Vater passte auf wie ein Schießhund, ließ es nicht zu.«

Kurz gestattete er sich, sich an die warme Hand zu schmiegen. Dann jedoch löste er sich, drehte sich um und sah hinauf zum Mond.

»Das glaube ich dir. Aber es ist lange her und nicht mehr wichtig. Jemand wie du hat sicher jemanden und sollte sich nicht mit einem wie mir abgeben. Ich ziehe das Unglück wie magisch an.«

Eine Hand legte sich auf seine Schulter und brachte ihn sanft, aber dennoch bestimmt dazu, sich wieder umzudrehen.

»Doch, es ist wichtig. Es bedrückt dich bis heute, du bist von mir verletzt worden, auch wenn ich das nicht wollte.« Seine Finger strichen nun sanft an Birks Hals entlang. »Und was meinen Beziehungsstatus angeht, ich bin Single. Du wirkst auf mich nicht wie ein Unglücksbringer. Im Gegenteil, seit langem fühle ich mich wieder richtig gut. Das liegt an dir, denn schon damals warst du jemand, bei dem ich mich wohl und geborgen fühlte.«

Das Streicheln war wundervoll, verpasste ihm ein Kribbeln, das bis in seine Zehen vordrang. Doch wieso tat Finjas das? War es Mitleid, weil Rebecca ihm erzählte, was mit ihm los war?

»Hat Becca dich darauf angesetzt, mich aufzumuntern?«, fragte er gerade heraus und sah sein Gegenüber ernst an. Gut, seine Freundin konnte von der gemeinsamen Vergangenheit nichts wissen, aber es war trotzdem denkbar, dass sie, wenn sie wusste, das Finjas wie er auf Männer stand, diesen dazu brachte, sich um den frisch verlassenen zu kümmern.

Denk an deinen Vorsatz, Männer bedeuten nur Ärger, ging es ihm durch den Kopf. Wegen diesem ganz speziellen vergoss er schon zu viele Tränen.

Stirnrunzelnd sah dieser ihn an, zwischen seinen Augen bildete sich eine steile Falte, die er auch als Jugendlicher schon bekam, wenn er angestrengt nachdachte.

»Wie kommst du auf sowas? Weswegen sollte ich dich aufmuntern? Rebecca lud mich ein, weil sie wusste, dass ich an Silvester sonst allein in meiner Wohnung versauert wäre. Dass ich auf dich treffe, hätte ich im Traum nicht erwartet. Aber ich...ich freue mich sehr, dass es so kam.«

Birk bekam das Gefühl, das ihm bald der Kopf platzen würde, so viele Gedanken und Gefühle wie ihn gerade heimsuchten.

»Weil ich meinen Ex beim fremdvögeln erwischte. War nicht der erste, wird aber der letzte sein, denn ich habe beschlossen, als Vorsatz für das neue Jahr, mich von Männern die mir gefallen, fernzuhalten. In meinem Leben küsste ich schon zu viele Frösche, ich habe genug. Meine Stimmung zieht Becca wohl runter, sie ist sehr harmoniebedürftig. Also, wenn das hier einer ihrer Ideen entspringt, dann lass es bitte.«

Den Kopf schief gelegt, betrachtete ihn Finjas und sein Blick war für Birk nur schlecht zu deuten.

»Du bist immer noch davon überzeugt, dass dich keiner von sich aus begehren würde, oder? Weißt du noch, du dachtest damals auch erst, ich würde dich verarschen wollen, als ich dir sagte, dass ich dich mehr als nur ein wenig mag. Aber das war zu der Zeit nicht der Fall und ist es auch heute nicht. Ich habe mich in dich verliebt, mir war egal, dass du damals ein paar Kilos zu viel gewogen hast. Du warst schön und heute, man Birk, weißt du eigentlich, wie gut du aussiehst? Keine Ahnung, wieso das diese anderen Typen nicht sahen, aber es ist so.«

Unaufhörlich streichelten Finjas Finger sanft über die empfindliche Haut seines Halses, sein Daumen glitt über sein Kinn. Das alles brachte den gefassten Vorsatz deutlich ins Wanken. Konnte er es wagen, sich auf etwas einzulassen, nur um dann wieder enttäuscht zu werden? War es möglich, dass es gerade seine Jugendliebe sein würde, mit der er glücklich werden konnte? So etwas passierte, wenn überhaupt, nur in Hollywoodfilmen.

»Ich bin vielleicht nicht mehr der Fettkloß von damals, aber ich bin nur Durchschnitt. Es muss ja wohl einen Grund geben, wieso mich alle entweder wie den letzten Dreck behandelten oder betrogen haben. So ein toller Fang kann ich daher nicht sein«, stellte Birk nüchtern fest.

»Für mich wärst du das aber. Ich weiß nicht, wie das sein kann, aber gerade habe ich dieselben Schmetterlinge im Bauch wie mit dreizehn. Wie kann ich dich davon überzeugen, dass ich es gerade verdammt ernst meine?«

Traurig zuckte Birk mit den Schultern. Alles in ihm schrie danach, Finjas zu vertrauen, sich an ihn zu schmiegen und ihm eine Chance zu geben, an das, was sie vor all den Jahren begannen, anzuknüpfen, doch die Stimme in seinem Kopf sprach all die Zweifel aus, die ihn dazu bringen wollten, sich umzudrehen und diesen Mann hier einfach stehen zu lassen.

»Vielleicht hilft das, damit du begreifst, dass ich es ehrlich meine«, sagte er, beugte sich zu Birk, der einen halben Kopf kleiner war als Finjas und legte seine Lippen ganz sanft auf seine.

Wie von selbst schlossen sich Birks Augen. Plötzlich war er wieder dreizehn, zuhause in seinem Kinderzimmer. Dort saßen sie vor so langer Zeit zusammen, sahen sich, nachdem Finjas ihm sagte, dass er ihn mehr mochte als nur als seinen besten Freund, ewig an und redeten, als sich Finjas auf die Lippe biss, zu ihm rutschte und ihn einfach küsste. Zuerst wollte er ihn von sich stoßen. Sowas taten Jungs nicht miteinander, das war nicht normal. Sie sagten anderen Jungs auch nicht, dass sie diese mochten, obwohl das ja noch irgendwie in Ordnung war, es wussten ja nur sie beide.

Doch dann spürte er, wie gut er sich fühlte, wie schön es war die anderen Lippen auf seinen zu spüren. Und erst die Horde Schmetterlinge, die in seinem Bauch wilde Kapriolen schlug.

Gierig wie zu jener Zeit erwiderte er auch jetzt den Kuss, schlang seine Arme um den anderen.

Finjas lächelte in den Kuss, das spürte er deutlich, als er ihn eng an sich zog und festhielt.

Atemlos sah er Finjas eine Weile später an, der den Blick erwiderte und so niedlich lächelte, das Birk sich zusammennehmen musste, ihn nicht sofort wieder zu küssen.

»Wie es scheint, haben wir beide nichts verlernt«, flüsterte Finjas, ohne den Blick abzuwenden. Oh je, in diesen Augen wollte er versinken, doch davor musste er wissen, was das war, ob es überhaupt irgendwo hin führte oder nur ein wenig Spaß für die letzte Nacht des Jahres sein würde.

»Ich hoffe für uns, dass wir dazu gelernt haben. Aber mal Spaß beiseite. Was ist das gerade? Ein kurzes Aufflammen von etwas, das wir einmal fühlten?«

»Es ist eine Erinnerung an etwas, das lange zurück liegt, aber auch etwas, das mir immer im Gedächtnis blieb. Jeden Mann, den ich in all den Jahren kennenlernte, verglich ich mit dir. Daher hoffe ich, das wir zwei an das was war anschließen und etwas Neues, wundervolles daraus entstehen lassen.«

Unsicher sah Birk ihn an. Er kämpfte mit sich. Die letzte Enttäuschung lang nur dreieinhalb Monate zurück und doch sehnte sich sein Herz nach Liebe, nach Nähe und dem Wissen, jemandem wichtig zu sein. Das alles schien mit Finjas nun greifbar nahe zu sein.

»Dich habe ich auch nie vergessen. Trotz meiner Enttäuschung warst du der einzige, der sich nicht als Frosch entpuppte.« Sanft berührte er mit kalten Fingern Finjas warmes Gesicht. »Ich würde auch gerne sehen, wohin uns das führt«, gestand er ihm.

Für einen Moment sah ihn sein Gegenüber nur an, dann hob er ihn an und drehte sich mit ihm. Leise lachend schmiegte er sich an den anderen Körper, nachdem er wieder auf seinen eigenen Füßen stand.

»So freute sich noch keiner, weil ich mit ihm zusammen sein wollte.«

»Das ist mein Glück, denn nur weil die anderen Vollidioten waren, habe ich eine zweite Chance erhalten, die ich nutzen werde, das verspreche ich dir.« Wieder legten sich Finjas weiche Lippen auf seine. Er küsste ihn innig, ließ dann seine Zunge in Birks Mund gleiten und begann mit ihrem Gegenstück einen sinnlichen Tanz, der ihn langsam in einen Zustand versetzte, der einem Rausch gleichkam.

Nach einiger Zeit begann Birk zu frieren, zitterte, ignorierte es aber, denn dafür war das gerade zu schön. Natürlich bemerkte es Finjas und löste den Kuss.

»Lass uns reingehen, nicht das du dich noch erkältest«, sagte er nah an seinen Lippen.

Bevor Birk etwas erwidern konnte, nahm Finjas seine Hand, verschränkte ihre Finger miteinander und zog ihn mit sich zurück ins Haus.

Grinsend folgte er ihm und dachte bei sich, dass ihm die leicht dominante Art gefiel, die der andere an den Tag legte. Aus dem zurückhaltenden Jungen war ein Mann geworden, der wusste was er wollte und aus einem ihm unbegreiflichen Grund schien er das zu sein.

Nachdem sie ihre Jacken loswurden, setzten sie sich auf die Couch. Da dort wenig Platz war, zog ihn Finjas einfach auf seinen Schoss. Birk wehrte sich nicht dagegen, sondern kuschelte sich eng an den anderen.

Wie selbstverständlich küsste Finjas ihn immer wieder, machte damit deutlich, dass er es tatsächlich ernst meinte. Hier sah sie, im Gegensatz zur Einsamkeit des Gartens, jeder.

Je weiter die Zeit voranschritt, desto mehr begann er sich auf das kommende Jahr zu freuen. Mit Finjas an seiner Seite würde es wundervoll werden.

Kurz vor Mitternacht begaben sich alle in den Garten. Becca verteilte an alle gefüllte Sektgläser und Wunderkerzen. Sie beschlossen, in diesem Jahr selbst kein Feuerwerk abzubrennen und sich stattdessen das der Nachbarn anzusehen.

Birk stand mit dem Rücken an Finjas Brust geschmiegt da. Alle zählten den Countdown mit.

»Frohes neues Jahr«, riefen sie zusammen aus und stießen mit denen an, die in ihrer Nähe standen.

»Auf das schönste Jahr seit langer Zeit«, raunte Finjas, als er Birk zu sich herumdrehte und ihm tief in die Augen blickte.

Oh ja, das würde es werden. Birk wünschte sich so sehr, das sich dieser Mann als sein persönlicher Mister Right entpuppte.

»Ja und auf diesen unglaublichen Zufall, der uns wieder zusammenführte.«

»Und, wie sieht es mit deinem Vorsatz aus?«, fragte Finjas schmunzelnd.

»Ach der, ich glaube, das war kein guter Vorsatz, denn es gibt immer einen Lichtblick. Du bist meiner.«

Überglücklich kuschelten sie sich aneinander und sahen sich das Feuerwerk an.

So fühlte er sich schon sehr sehr lange nicht.

Also gab es für ihn vielleicht doch ein Happy End, aber das konnte nur die Zeit zeigen. Gerade jetzt genoss er es, das der Mann hinter ihm ihn hielt und dabei sanft über seine Hand streichelte.

Wahrscheinlich grinste er wie blöde vor sich hin, aber das war ihm egal. Nach so vielen Enttäuschungen war das gerade ein Freudenfest. Er würde alles dafür geben, das aus ihnen etwas Dauerhaftes wurde.

 

Silvester, drei Jahre später

 

»Ich kann es immer noch nicht glauben, dass du mich mit dieser Reise nach Paris überrascht hast«, stieß Birk begeistert aus und sog all die Eindrücke in sich auf.

Nach einem ausgedehnten Einkaufsbummel und einem Besuch im Louvre waren sie nun auf dem Weg in eines der besten Restaurants in der Stadt.

Finjas erzählte ihm, das er das alles schon seit einem Jahr plante. Der Kerl war doch verrückt, aber zur selben Zeit unglaublich süß.

Hand in Hand liefen sie die Straßen entlang, auf der schon jetzt unzählige Menschen, Touristen wie Einheimische anzutreffen waren, die später zusammen das neue Jahr begrüßen würden.

Im Restaurant führte sie ein Kellner zu einem Tisch und reichte ihnen die Speisekarten. Gut das Finjas Französisch sprach, er war da leider ziemlich unbegabt.

Deshalb bestellte er für sie beide.

Als der Kellner wieder verschwand, griff er nach Birks Hand und verflocht ihre Finger miteinander.

»Ich hoffe, dass ich dir mit dieser Reise eine Freude machen konnte. Du wolltest ja schon immer mal hierher.«

»Mehr als nur eine Freude. Es ist der Wahnsinn und ich werde dir im Leben nicht genug dafür danken können. Das muss doch alles sauteuer gewesen sein. Das noble Hotel, die vielen Einkäufe, das ganze Sightseeing-Programm.«

»Du bist es mir wert«, entgegnete er, hob ihre verbundenen Hände an und hauchte Birk einen Kuss auf den Handrücken.

»Du bist ein Spinner...mein süßer Spinner.«

»Nur der deine«, raunte er ihm zu, bevor ihr Essen gebracht wurde. Sie genossen die Leckereien und den guten Wein. Das alles war so verdammt romantisch. Finjas war der erste, der sich so um ihn bemühte, ohne dass er ihn darum bat. Er tat es, weil es ihm ein Bedürfnis war.

Zu Beginn ihrer Beziehung, heute vor drei Jahren, war er teilweise etwas überfordert, da er so etwas nicht gewohnt war. Doch sie redeten miteinander und fanden einen Mittelweg, der für beide in Ordnung war.

Das machte ihre Liebe aus, sie kommunizierten viel miteinander, egal um was es ging. Wenn sie stritten, versöhnten sie sich recht schnell wieder, da es beide nicht ertrugen, lange wütend aufeinander zu sein.

Seit gut eineinhalb Jahren lebten sie zusammen. Viele rieten ihnen davon ab, so schnell etwas Gemeinsames zu suchen, aber für sie beide war es die beste Entscheidung. Jeden Tag wuchsen sie noch enger zusammen, liebten es, nach einem langen Arbeitstag noch miteinander kuschelnd im Bett zu liegen und über das zu sprechen, was so den Tag über geschah.

Birk sah seinen Partner über den Tisch hinweg an und schmunzelte. Er war schon der glücklichste Schweinehund auf diesem Planeten. Dieser Kerl war seiner, was er auch gern immer wieder demonstrierte, wenn er meinte, jemand anderes würde sich an ihn heranmachen. Dann zog er ihn, ganz egal wo sie sich befanden, an sich und küsste ihn so verzehrend, das Birk dabei hören und sehen verging. Im Gegensatz zu seinem Schatz entging es ihm nämlich, wenn jemand mit ihm flirtete.

Nach einem Nachtisch bezahlte Finjas und sie spazierten noch ein wenig durch die Straßen dieser wundervollen Stadt.

Schließlich erreichten sie die Seine und ließen sich dort auf einer Parkbank nieder. Von diesem Platz aus sahen sie den Eifelturm und würden nachher perfekte Sicht auf das Lichterspektakel haben.

Finjas legte seinen Arm um ihn. Lächelnd lehnte er sich an ihn und bettete seinen Kopf auf Finjas Schulter.

»Noch perfekter kann dieser Tag nicht mehr werden. Danke, mein Schatz, das du mich zum glücklichsten Mann der Welt machst.«

Weiche Lippen legten sich auf seine Schläfe.

»Für mich ist es das Schönste, dich glücklich zu sehen. Deine Augen strahlen dann immerzu. Das möchte ich jeden Tag sehen.«

»Das hast du schön gesagt. Solange du mich nicht loswerden willst, wirst du es jeden Tag zu sehen bekommen«, erwiderte Birk und spürte einen kleinen Stich im Herzen, wenn er daran dachte, das irgendwann der Tage käme, an dem er auch für Finjas nicht mehr gut genug war und er ihn verließ. Innerlich schüttelte er den Kopf über diese Gedanken. Er sollte lieber die Zeit genießen, als sich selbst mit was wäre wenn verrückt zu machen.

In wenigen Minuten war Mitternacht, um sie herum wurde es immer voller.

»Glaub mir, dich loszuwerden ist das letzte, das ich will. Ich sehne mich danach, dass du für immer bei mir bist, das wir uns ein Leben, mit allem Drum und Dran, aufbauen, das viele Erlebnisse wie dieser Urlaub folgen. Mein Vorsatz für das kommende Jahr ist, das ich dich jeden Tag glücklich machen werde.« Plötzlich hielt Finjas eine kleine Box in seiner freien Hand und klappte diese auf. Darin waren zwei schlichte und doch wunderschöne Ringe. Oh, bei allem was Birk heilig war, sein Freund war tatsächlich dabei, ihm einen Antrag zu machen. Sein Herz wummerte in seiner Brust, sprengte sie fast, während er immer wieder ungläubig zwischen Finjas und dem Ring hin und her sah. »Birk, meine einzige, wahre Liebe, möchtest du mich heiraten?«, fragte er leise und wandte den Blick nicht von ihm ab.

»Ja...ja...ja...ich möchte dich heiraten! Du bist unglaublich!«, rief er übermütig aus, seine Stimme überschlug sich fast dabei.

Als Finjas ihm freudestrahlend den Ring ansteckte, erhellte des Lichtspektakel den Himmel und alle um sie herum wünschten sich in unterschiedlichsten Sprachen ein gutes neues Jahr.

Total neben sich stehend betrachtete Birk den Ring an seinem Finger, nachdem er Finjas den seinen ansteckte.

Kaum zu glauben, er war verlobt und das Ganze auch noch in der Stadt der Liebe. Mit vielem rechnete er, aber damit nicht.

Wie es schien, empfand sein Freund, nein, sein Verlobter, genau wie er, wollte, das das mit ihnen, ihre Liebe, nie endete.

»Dir ist bewusst, dass ich nun noch aufgekratzter bin als ohnehin schon. Du wirst mir helfen müssen, die überschüssige Energie loszuwerden«, flüsterte er Finjas ins Ohr, der ihn unter halb geschlossenen Lidern betrachtete.

»Oh und wie ich dir helfen werde. Wir haben schließlich was zu feiern. Heute Nacht werde ich dich nach allen Regeln der Kunst vernaschen«, raunte er ihm zu und bescherte Birk eine Gänsehaut vom Feinsten.

»Dann lass uns gehen, ich kann es kaum erwarten«, entgegnete er heiser und sah Finjas hungrig an.

Grinsend erhob sich dieser, zog ihn mit und bahnte sich dann seinen Weg durch die Menge.

Birk war sich sicher, dass er diese Nacht niemals vergessen würde.

Impressum

Texte: © Ann Salomon
Bildmaterialien: Pixabay
Tag der Veröffentlichung: 21.01.2020

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