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Prolog

Der Zug hielt endlich und Chris konnte aussteigen.

Seit Stunden saß er sich schon den Hintern platt und wurde mit jedem Meter, den er näher kam, nervöser.

Nun stand er auf dem Bahnsteig. Der Wind zerrte unangenehm an seiner Kleidung und er wusste nicht, wo er die heutige Nacht verbringen sollte. Sich durch die Menschenmenge schlängelnd bewegte er sich mit seinem Trolley auf den Ausgang zu und schlug dann den Weg ein, der ihn seiner Meinung nach am ehesten zu einem günstigen Hotel führen würde. Eine Karte der Stadt besaß er nicht.

Langsam kamen ihm Zweifel, ob die Entscheidung, einfach seine Sachen zu packen und loszufahren, die richtige war.

Doch jetzt befand er sich hier. Und dort, wo er die letzten Jahre gelebt hatte, hielt ihn nichts mehr, seit er seine Mutter vor knapp einem Monat zu Grabe tragen musste.

Seitdem überlegte er, ob er den Mann aufsuchen sollte, der ihn erzeugt hatte, der sein einziger noch lebender Verwandter war. Gestern dann wollte er es nicht mehr hinauszögern. Chris musste wissen, ob er auf seinen Vater zählen konnte.

Das Gefühl von Einsamkeit erfüllte ihn, machte ihm das Herz schwer. Unwirsch wischte er die unwillkommenen Tränen fort, die ihm in die Augen stiegen. Er hatte genug geheult, wollte nicht mehr so schwach sein.

Schnellen Schrittes bog er um eine Ecke, als ihm urplötzlich jemand im Weg stand. Beim Versuch der Person auszuweichen, stolperte er über sein Gepäck und setzte sich unsanft auf den Hintern. Der Boden unter ihm war kalt. Schnell rappelte er sich hoch.

„Entschuldigen Sie bitte, ich habe nicht darauf geachtet, wo ich hinlaufe”, entschuldigte Chris sich bei dem Mann, der ihn mit einem Lächeln ansah.

„Ist ja nichts passiert. Geht es Ihnen gut?” Seine Frage klang ehrlich besorgt.

„Ja, alles okay. Ich bin hart ihm nehmen.”

Der Fremde ließ den Blick über seinen Koffer wandern.

„Haben Sie sich verlaufen? Die meisten Hotels befinden sich in entgegengesetzter Richtung.”

Ganz toll, also war er genau den falschen Weg gegangen.

„Wenn ich ehrlich bin weiß ich nicht genau, wo ich heute Nacht noch hin soll. Meine Reise war spontan, deshalb habe ich nichts gebucht. Und was Teures kann ich mir sowieso nicht leisten.”

„Das mag sich nun seltsam anhören, aber ich führe hier eine kleine Pension und hätte noch einige freie Zimmer. Sie sind nichts Besonderes, aber gemütlich und auch nicht zu teuer.”

Das freundliche und offene Lächeln, das der Mann ihm schenkte, machte ihm die Entscheidung leicht.

„Sehr gern.”

„Dann mal rein in die gute Stube. Mein Name ist übrigens Arik Mertens”, sagte der attraktive, etwas ältere Mann. Chris folgte ihm die wenigen Meter vom Bürgersteig bis zur Haustür und trat nach ihm in die angenehme Wärme des Flurs.

„Mein Name ist übrigens Chris Young.

 

Kapitel 1

Es passierte ihm selten, dass er seine Gäste von der Straße auflas.

Aber bei diesem Mann mit den unglaublich sanften Augen, konnte er sich nicht zurückhalten.

Und nun saß er hier, allein in seinem Zimmer und grübelte darüber nach, was nur in ihn gefahren war. Als Chris da vor ihm auf dem Boden saß und zu ihm aufblickte, war bei ihm eine Sicherung durchgeschmort. Anders konnte er es sich nicht erklären, wieso er andauernd redete, ohne darüber nachzudenken. Arik dachte sonst immer nach.

Mit seinen 39 Jahren hatte er schon einiges erlebt, war seinen Weg gegangen und lebte nun ein gutes Leben, mit dem er, bis auf wenige Ausnahmen, auch zufrieden war.

Im Augenblick bestimmte aber ein einziger Gedanke sein Bewusstsein. Chris, dieser schöne junge Mann, den eine seltsam traurige Aura umgab.

Sein Gast wirkte verloren und einsam. Während er Chris kurz alles gezeigt hatte und dann auf sein Zimmer brachte, musste er sich andauernd selbst zügeln, um seinen Gast nicht einfach in seine Arme zu ziehen.

Verdammt, er kannte Chris doch nicht mal und selbst wenn, war er viel älter als Chris. Vor allem glaubte er nicht, dass dieser schwul war. Leise vor sich hin fluchend ließ er sich aufs Bett fallen und legte einen Arm über die Augen.

Gerade fühlte er sich so seltsam und verwirrt wie damals, als Teenager. Aus dem Alter, sich Hals über Kopf in jemanden zu vergucken, war er doch nun wirklich schon lange raus.

Entnervt machte er sich bettfertig. Lange konnte er nicht einschlafen.

Am nächsten Morgen wachte er wie gerädert auf. Doch liegenbleiben konnte er nicht, dafür war in der Pension, auch wenn sie klein war, zu viel zu tun.

Eine schnelle Dusche später und mit frischen Klamotten am Leib, begab er sich in die Küche, wo er das Frühstück für die Gäste herrichtete.

Anschließend erledigte er all das, was sonst noch so an Kleinigkeiten anfiel, um sich abzulenken, denn schon wie am Abend zuvor, war Chris ein wiederkehrender Gedanke in seinem Verstand.

Als der dann plötzlich, wie eine nubische Gotteserscheinung, vor ihm stand, ließ er den Hammer fallen, mit dem er gerade einen Nagel in die Wand schlug. Das schwere Werkzeug fiel ihm direkt auf seinen Zeh. Mal wieder trug er im Haus nur Sandalen.

„Au, verflucht...”, rief er schmerzerfüllt aus und hielt sich den Fuß.

„Oh nein, das wollte ich nicht. Tut mir leid”, sagte Chris zerknirscht.

Arik sah von seinem schmerzenden Zeh auf. Sein Blick blieb sofort an den unvergleichlichen Iriden seines Gegenübers hängen. Wie konnte ein Mann nur so schöne Augen haben?

„Ist ... schon okay ... wirklich”, stammelte er vor sich hin und wünschte sich nichts sehnlicher, als ein Mauseloch, um sich schnell darin zu verkriechen. Chris hielt ihn sicher für nicht ganz dicht.

„Aber Sie bluten. Haben Sie Verbandsmaterial?”, fragte Chris.

„Ja, im Regal des Badezimmers auf diesem Stockwerk steht ein Verbandskasten, da kann ich ... ”

Weiter kam er nicht, denn Chris stürmte schon davon und kehrte kurz darauf mit dem Kasten zurück. Gegen Ariks Protest führte er ihn zum Gemeinschaftsraum und brachte ihn dazu, sich zu setzen.

So wie Chris sich verhielt und die Utensilien handhabte, machte er das nicht zum ersten Mal.

„So, das sollte erstmal ausreichen. Wie es scheint, ist es nur eine oberflächliche Verletzung.”

Chris‘ Finger glitten ein letztes Mal über seine Haut. Seit wann gefiel es ihm, dass jemand seine Füße berührte? Und wieso wollte er, dass Chris damit weitermachte?

„Sind Sie Sanitäter oder etwas in der Art?”

Chris, der gerade aufräumte, hielt inne und sah ihn an.

„Nein, das nicht, aber ich habe jahrelang geholfen meine Mutter zu pflegen, da schaut man sich so einiges ab”, erwiderte er lächelnd. Dieses Lächeln jagte Arik Schauer über den Rücken und er bekam eine Gänsehaut.

Gern hätte Arik noch mehr Fragen gestellt, wollte seinem Gegenüber aber nicht zu nahetreten.

„Ich danke Ihnen sehr für die Hilfe. Normalerweise bin ich nicht so ungeschickt.” Das musste er unbedingt hinzufügen, damit Chris wusste, dass er im Allgemeinen kein Tollpatsch war.

„Gern geschehen.”

Den restlichen Tag sah er Chris kaum.

Auch die beiden darauffolgenden Tage schien es, als wäre sein Gast sehr beschäftigt.

Beim Essen trafen sie sich meistens kurz und Chris schenkte ihm jedes Mal ein Lächeln, das ihm die Knie weich machte. Trotz allem oder gerade deswegen traute er sich nicht, wirklich mit Chris zu sprechen. Was, wenn Arik sich ihm gegenüber weiter wie ein Vollidiot benahm?

Der Herbst war schon fast vorbei und um das Haus herum lag eine dicke Schicht Blätter, denen er sich regelmäßig widmete. Als Selbstständiger mit nur einer weiteren Angestellten, war er das Mädchen für alles.

Mit Schwung rechte er alles zusammen, das Blattwerk flogen nur so durch die Luft.

„Das nenn ich mal stürmisch”, rief plötzlich jemand. Erschrocken wandte sich Arik um und sah mit Entsetzen, das Chris vor ihm stand, über und über mit Laub bedeckt. Vor lauter Eifer hatte er ihn unabsichtlich mit den feuchten Blättern beworfen.

„Ich ... also ... es tut mir leid. Ich habe Sie nicht gesehen.”

Leise lachend pflückte Chris die letzten Blätter von seiner Kleidung. Seine helle Jacke, die in einem deutlichen Kontrast zu seiner dunklen Haut stand, wies einige Flecken auf.

„Schon okay, ich habe mich ja auch mehr oder weniger durch den Garten angeschlichen. Sie haben es wirklich hübsch hier. Es muss schön sein, wenn im Frühling alles zu blühen beginnt.”

„Danke. Ich versuche immer, eine Balance zwischen dem Wilden, Natürlichen und dem Ästhetischen zu finden.” Sein Blick wanderte wieder zu den Flecken. „Die Reinigung geht auf mich”, sagte er und deutete auf seine Jacke.

Erst jetzt schien Chris das Malheur zu bemerken.

„Das müssen Sie nicht.”

„Aber ich würde es gerne tun.” Tief atmete Arik durch. „Es ist ja mein Fehler, also komme ich dafür auf. Keine Ahnung, wieso es gerade Sie sind, der immer wieder Zeuge meiner Tollpatschigkeit wird.”

Wieder ertönte Chris‘ Lachen. Tief und doch sanft klang es und ging Arik durch und durch. Er war auf jeden Fall in Schwierigkeiten, denn was da in ihm aufkeimte, war eindeutig Verliebtheit.

„Na, vielleicht bin ich ein Glückspilz”, erwiderte Chris und sah dann verlegen zur Seite, zumindest wirkte es so auf Arik.

„Was halten Sie davon, wenn ich Sie, als kleine Entschuldigung, zu Kaffee und Kuchen einlade?”

Chris‘ Augen wurden schmal, als würde er abwägen, ob das eine gute Idee war. Arik verfluchte sich schon für seine eigene Dummheit, als sein Gast nickte.

„Das wäre toll. Aber halte ich Sie dann nicht von der Arbeit ab?”

„Das Laub läuft mir nicht davon und im Augenblick sind Sie der einzige Gast.”

„Gut, dann bin ich beruhigt.”

Gemeinsam gingen sie hinauf ins Dachgeschoss, wo Arik eine eigene Wohnung bewohnte. Es war schon ewig her, dass jemand anderes außer ihm oder seiner Familie diese Räume betrat. Die Jacke und seinen Schal hängte er an die Garderobe und streifte seine Schuhe ab. Chris tat es ihm gleich.

Als er in die Küche ging, folgte ihm der Jüngere. Er bemerkte, dass sich dieser interessiert umsah. Was Chris wohl über seinen Stil dachte? Sehr wahrscheinlich war es ihm viel zu altbacken.

„Setzen Sie sich doch”, sagte er und deutete auf den Esstisch. Nachdem er den Kaffee aufgesetzt hatte, stellte er noch Teller und Tassen auf den Tisch und legte Kuchengabeln dazu. Milch und Zucker standen schon da.

Während er den Kuchen anschnitt, den er heute Morgen gebacken hatte, spürte er Chris‘ Blick förmlich auf sich ruhen. Ihm wurde heiß und kalt und er musste aufpassen, den Kuchen, den er auf einer gläsernen Platte anrichtete, nicht auf den Boden fallen zu lassen.

Doch am Ende brachte er ihn sicher zum Tisch und setzte sich, nachdem er jedem ein Stück auf den Teller gegeben hatte.

„Guten Appetit. Ich hoffe, er schmeckt Ihnen. Das Rezept habe ich zum ersten Mal ausprobiert.”

„Das wird er sicher, sieht schon mal sehr lecker aus. Guten Appetit.”

Er sah Chris zu, wie dieser zu essen begann. Hoffentlich vergiftete er seinen Gast damit nicht.

Das Lächeln auf Chris‘ Gesicht wurde breiter.

„Wow, der ist mega lecker.” Genüsslich ließ er sich auch den Rest schmecken.

Erleichtert konnte nun auch Arik sein Stück genießen.

Nach einem zweiten Kuchenstück lehnte sich Chris zufrieden zurück und sein Blick ruhte auf Arik.

„Keine Ahnung, ob ich gleich zu weit gehe, aber ich würde Ihnen gern das du anbieten. Irgendwie finde ich es albern, dass wir uns immer so förmlich ansprechen.” Etwas unsicher sah er Arik an.

„Ich hätte nichts dagegen”, stimmte er zu und versuchte, nicht dämlich zu lächeln, weil er sich so darüber freute.

„Das freut mich sehr, Arik.” Bildete er es sich nur ein oder bekam Chris‘ Stimme einen seltsamen Unterton, als er ihn beim Vornamen nannte?

Kapitel 2

Seit etwas mehr als einer Woche wohnte Chris nun schon in der kleinen, aber unglaublich gemütlichen Pension. Er fühlte sich dort sehr wohl, was hauptsächlich an Arik lag. Er beherrschte seit dem ersten Augenblick seine Gedanken. Chris ließ sich keine Gelegenheit entgehen, diesem schönen Mann nahe zu sein.

Zu Beginn war er nicht sicher gewesen, ob Arik auch schwul war, doch die Blicke, die Arik ihm schenkte, sprachen für sich.

Chris stand schon immer auf etwas ältere Männer, jüngere oder gleichaltrige zogen ihn nicht sonderlich an. Und Arik merkte man nicht an, das er schon 39 Jahre alt war. Durch einen glücklichen Zufall sah er ihn oben ohne, als Arik sich, nachdem er sich mit Kaffee bekleckerte, ein frisches T-Shirt anziehen musste und die Tür des Badezimmers nur angelehnt war, in dem er sich umzog. Arik war verdammt sexy.

Doch obwohl er Chris anscheinend anziehend fand, hielt Arik sich ihm gegenüber zurück. Möglicherweise waren seine Gefühle weniger stark als die von Chris.

Dabei schien Arik die Stunden zu genießen, die sie zusammen verbrachten. Seit dem gemeinsamen Kuchenessen machten sie viel miteinander und freundeten sich an.

Aber Chris konnte nichts erzwingen, schließlich blieb er wahrscheinlich auch nicht mehr lange hier. Da brachte es nichts, nun sein Herz zu verlieren.

An diesem Nachmittag würde er endlich tun, was er bis jetzt hinausgezögert hatte. Dafür war er ja in diese Stadt gekommen.

Heute begegnete er zum ersten Mal seinem Erzeuger und war so aufgeregt, wie selten zuvor in seinem Leben. Bis jetzt schob er es vor sich her, obwohl er seit Tagen wusste, wo sein Vater wohnte.

In seinen besten Klamotten verließ er die Pension und begab sich zu der Adresse, unter der der Mann gemeldet war, der ihn vor all den Jahren gezeugt hatte.

Fast eine Stunde stand er vor dem Haus, bevor er den Mut fand, um endlich zu klingeln.

Nach endlosen Augenblicken wurde die Tür geöffnet und ein Mann mittleren Alters tauchte auf.

„Ja? Was willst du?”, blaffte sein Vater ihn an und ließ seinen Blick abfällig über Chris gleiten.

„Ich ... also ... ich bin Chris. Chris Young. Sie ... kannten meine Mutter. Das ist etwas über 26 Jahre her”, erklärte er stockend. Durch die unfreundliche Begrüßung war er total verunsichert.

In dem harten Gesicht des Mannes, der sein Vater war, zeichnete sich kurz darauf etwas wie Erkenntnis ab.

„Okay. Und was willst du nun von mir? Geld?”

Chris sank das Herz in die Kniekehlen. Viel hatte er nicht erwartet, aber das traf ihn doch sehr.

„Nein, ich brauche kein Geld. Mom ist gestorben und ich ... ich wollte einfach nur wissen, wer mein Vater ist”, brachte er leise hervor.

„Woher will ich wissen, dass du überhaupt mein Kind bist? Deine Mutter ... sie hatte viele Männer, ich war nicht der einzige”, sagte der Mann und sah Chris abfällig an. Seiner Haltung und seinem Gesichtsausdruck war zu entnehmen, dass sein Vater ihn regelrecht verabscheute.

„Das ... das ist nicht wahr!” Er fuhr sich mit der flachen Hand übers Gesicht. „Es war ein Fehler hierher zu kommen.”

„Dem kann ich nur zustimmen. Selbst wenn du aus meiner kleinen Sommerromanze mit deiner Mutter entstanden bist, habe ich kein Interesse daran, dich in meine Familie einzubinden. Ich bin glücklich mit meiner Frau und den Kindern und will nicht, dass du, ein Unfall vor all den Jahren, das durcheinanderbringst. Vor allem ... was würden die Nachbarn denken, wenn hier plötzlich ein Nege ... ich meine ein Schwarzer ein- und ausgeht?”

„Nun weiß ich, wieso meine Mutter nicht wollte, dass ich dich früher kennenlerne. Du bist ein Arschloch. Ich hasse dich!”, schrie Chris seinem Vater ins Gesicht und lief davon. Dieser Mistkerl sollte nicht auch noch seine Traurigkeit sehen.

Den ganzen Weg zurück rannte er, auch wenn er vor lauter Tränen kaum etwas sah. Seine Lungen brannten.

Die Haustür stand offen, also ging er schnellen Schrittes hinein und lief die Treppe hinauf.

Im Flur, der zu seinem Zimmer führte, stolperte er und schlug hart auf dem Boden auf. Er blieb kraftlos liegen. Weinkrämpfe schüttelten ihn.

„Chris?! Um Gottes Willen, was ist passiert?” Die Stimme und eine Hand auf seinem Rücken ließen ihn aufblicken.

Arik kniete neben ihm.

Ohne zu überlegen stemmte er sich hoch und schlang seine Arme fest um den Körper des anderen. Ihm war egal, dass Arik ihn so sah. Sie waren Freunde und die waren füreinander da.

Chris presste sich fest an Arik, der ihn an sich zog.

Lange weinte er nur, aus Wut, Enttäuschung und zum ersten Mal seit dem Tod seiner Mutter vergoss er Tränen um die verlorene Liebe, die sie ihm geschenkt hatte. Nun gab es niemanden mehr. Er war vollkommen allein auf dieser Welt.

„Ich bringe dich zu mir hoch”, sagte Arik leise, hob ihn auf seine Arme und trug ihn in seine Wohnung. Auf der Couch setzte er Chris ab, zog ihm die dicke Jacke aus, legte ihm eine weiche Decke um und machte ihm einen Tee.

Eng an den Mann, der sich neben ihm niedergelassen hatte, geschmiegt saß er da, war dankbar, das Arik sich um ihn kümmerte. Eine Hand glitt unablässig über seinen Rücken, was ihn tatsächlich beruhigte.

„Er hasst mich”, flüsterte er sehr leise, als er sich wieder beruhigte.

„Wer hasst dich, Chris?”

„Mein Vater. Ich war bei ihm, weil er doch der einzige ist, der mir nun noch geblieben ist. Aber er ... er will mich nicht.” Nur mit Mühe drängte er die Tränen zurück, die ihm wieder in die Augen stiegen. In Situationen wie dieser verfluchte er, nicht stärker oder abgeklärter zu sein. Alles ging ihm viel zu nahe.

„Das ... das kann ich nicht nachvollziehen. Ich würde mich freuen, wenn ich herausfinden würde, dass ich ein Kind hätte. Vielleicht ändert er seine Meinung ja noch”, sagte Arik, aber es klang nicht so, als würde er das tatsächlich glauben.

Schwach schüttelte Chris den Kopf.

„Du hast seinen Blick nicht gesehen. Er hat mich außerdem als Neger und als Unfall bezeichnet. Von jemandem wie ihm will ich nichts mehr wissen. Es wird das Beste sein, wenn ich bald wieder abreise und möglichst viel Abstand zwischen ihn und mich bringe.”

Arik wurde noch stiller als sonst. Seine Hand auf Chris‘ Rücken hielt kurz inne, bevor er das Streicheln wieder aufnahm.

„Du solltest es nicht überstürzen. Hier fühlst du dich doch wohl, oder? Möglicherweise findest du ja Arbeit und jemanden, für den es sich lohnt zu bleiben.” Ariks Stimme klang belegt, was sich Chris nicht wirklich erklären konnte. Sie waren doch nur Freunde, kannten sich kaum, wieso sollte Arik seine Abreise also treffen?

Sein Kopf war so voller Gedanken, die alle wild durcheinander wirbelten, dass er sich nur schwer konzentrieren konnte.

Irgendwann war er wohl eingeschlafen, denn als er die Augen aufschlug, lag sein Kopf auf etwas weichem, das unglaublich intensiv nach Arik roch. Nach einigen Momenten wurde ihm klar, dass er auf Ariks Schoß lag. Die Decke war über ihn gelegt und die Hand des anderen ruhte auf seinem Rücken. Langsam drehte er sich etwas, so dass er nach oben schauen konnte.

Ariks schlief im Sitzen, sein Kopf war nach vorn gesackt. Trotz all der dunklen Gedanken, die sich nun wieder einstellten, musste er lächeln. Dieser Mann war so schön, liebevoll und einfach wunderbar. Er war froh, ihn als Freund zu haben und beneidete denjenigen, der sein Herz einmal erobern würde.

Wohl durch die Bewegung aufgeschreckt, öffnete Arik die Augen und guckte sich irritiert um. Dann fiel sein Blick auf Chris und seine Züge erhellten sich.

Seine Augen hielten ihn förmlich gefangen. Ein Kribbeln durchfuhr Chris, sein Herzschlag beschleunigte sich. Wie gern er Arik in diesem Moment geküsst hätte.

„Geht es dir besser?”, fragte Arik liebevoll, mit vom Schlaf rauer Stimme und legte seine Hand auf Chris‘ Brust.

„Ja ... dank dir.” Seine Antwort war kaum mehr als ein Hauch.

„Ich war gern für dich da”, erwiderte Arik und Chris erschien es, als würde er sich zu ihm beugen.

Die Schmetterlinge in seinem Bauch liefen Amok, so sehr sehnte er sich danach, dass dieser tolle Mann ihn küsste, ihm nahe war.

Die Luft zwischen ihnen schien zu knistern, er wagte kaum zu atmen. Dann war Ariks Gesicht wirklich über ihm.

„Das sollte ich nicht tun”, stieß er dann aber hervor, wollte sich schon wieder aufrichten, als Chris Ariks Hals mit seinen Armen umschlang und ihn zu sich zog.

„Doch, genau das solltest du tun”, flüsterte er leise nah an dessen Lippen, bevor sie sich warm und weich auf seine legten.

Chris durchlief es heiß und kalt. Er hielt Arik eng bei sich, wollte nicht, dass sich der andere von ihm löste.

Für ihn schmeckte Arik wie der Himmel. Er brauchte mehr davon. Frech glitt seine Zunge über die Lippen des Mannes, verlangte Einlass. Kaum hatte Arik seinen Mund auch nur ein wenig geöffnet, stahl sich seine Zunge hinein, umspielte leicht ihr Gegenstück. Arik stöhnte leise in den Kuss hinein und vertiefte diesen.

Da war Chris wohl doch nicht der einzige, der hier mehr als freundschaftliche Gefühle entwickelte.

Kapitel 3

Arik konnte es immer noch nicht glauben, dass sich der wunderschöne Chris wirklich für ihn interessierte, aber es war so und er genoss es in vollen Zügen.

Seit ihrem ersten Kuss waren fast zwei Wochen vergangen, in denen sie, nachdem Arik seine Arbeit erledigt hatte, viel unternahmen, spazieren gingen. Zum ersten Mal seit Jahren führte er jemanden, der ihn interessierte, ins Kino und ins Restaurant zum Essen aus. Auch körperlich kamen sie sich näher, ließen sich aber Zeit und wollten beide nichts überstürzen.

Er war unglaublich glücklich, was sogar seiner Schwester auffiel, die sich immer Sorgen um ihn machte.

Gerade saßen sie in Ariks Küche und aßen gemeinsam zu Abend.

„Arik, ich werde spätestens Mitte der Woche ausziehen müssen”, erklärte Chris traurig.

Vor Schreck ließ Arik fast seine Gabel fallen.

„Aber wieso?”, fragte er geschockt. Hatte er etwas falsch gemacht?

„Mein Geld geht zur Neige und du weißt, dass ich nicht will, dass du mich hier einfach so wohnen lässt. Ich käme mir vor wie ein Schmarotzer.”

Fast erleichtert atmete Arik durch.

„Wenn es darum geht, dann machen wir es offiziell. Du hilfst mir eh schon andauernd hier und willst nicht, dass ich dir dafür etwas von der Logis erlasse. Ich mach dich zu meinem Helfer. In deinem Lohn sind das Zimmer und die Verpflegung inklusive. Was hältst du von der Idee?”

Chris‘ trauriges Gesicht hellte sich auf.

„Das ist eine super Idee. Dann kann ich arbeiten und bin gleichzeitig bei dir.” Er legte seine Hand auf Ariks und drückte leicht zu.

Lächeln hob er die Finger seines Freundes an seine Lippen und hauchte einen Kuss darauf.

Nach einem langen Blick stand Chris auf, kam zu ihm herum und setzte sich auf seinen Schoß.

„Du strahlst wie ein Honigkuchenpferd. Freust du dich so sehr, dass ich bleibe?”, fragte er schmunzelnd.

Seine Arme schlang er sofort um Ariks Körper.

„Freuen ist kein Ausdruck. Ich weiß nicht wie du es machst, aber ich bin wie verzaubert von dir. Der Gedanke daran, dass du gehen könntest, jagt mir Angst ein. Ich weiß, es klingt kitschig und total irre, weil wir uns noch nicht so lange kennen, aber ich denke, dass ich mich in dich verliebt habe. Vollkommen und bis über beide Ohren.” Bei diesem Geständnis stieg Arik die Röte ins Gesicht.

Chris legte die Hände an seine Wangen und kam seinem Gesicht ganz nahe.

„Ja, du bist kitschig und möglicherweise auch etwas irre, aber das bin ich ja auch. Denn meine Gefühle für dich sind ebenso stark. Ich hab mich auf den ersten Blick in dich verliebt, obwohl ich mir bei einem Mann wie dir nie wirkliche Chancen ausgerechnet habe.”

Zärtlich küsste er Chris und sie versanken in einen nie enden wollenden Kuss, den sie schließlich nur lösten, um zu Atem zu kommen.

„Aber bin ich dir nicht viel zu alt? Ich bin 13 Jahre älter als du und was ist wenn ...?” Weiter kam er nicht, denn Chris legte ihm einen Finger auf die Lippen.

„Du bist was ich will. Ja, ich stehe auf Männer, die etwas reifer sind. Männer in meinem Alter finde ich nur wenig anziehend. Du hingegen bist sexy wie die Hölle und bringst Lebenserfahrung mit, die dich noch attraktiver macht. In meinen Augen gibt es niemanden, der dir das Wasser reichen kann. Du hast vor allem auch ein großes Herz, bist liebevoll und einfach vollkommen, zumindest für mich. Mach dir nicht zu viele Gedanken, denn wenn du mich nicht wegschickst, werde ich nirgendwo hingehen.”

„Das Schicksal meint es sehr gut mit mir. Du bist so schön, könntest jeden haben, willst aber mich. Hoffentlich kann ich dir gerecht werden. Ich werde mir auf jeden Fall Mühe geben.” Er legte seine Hand auf Chris‘ Brust. „Ich glaube, ich würde dich nie gehen lassen oder gar wegschicken.”

„Du bist viel schöner, Arik, glaub mir. Ich bin dankbar, dass du mich willst.” Glücklich lächelnd schmiegte er sich an Arik.

„Wie könnte ich dich nicht wollen?” Sanft hauchte er Chris einen Kuss auf die Schläfe. Nach einer Weile, die sie in angenehmem Schweigen verbrachten, suchte er Chris‘ Blick. „Morgen hat meine Nichte Geburtstag. Ich würde mich freuen, wenn du mich begleitest.”

Der Mann in seinen Armen richtete sich etwas auf und sah ihn erstaunt an.

„Du willst mich deiner Familie vorstellen?”

„Ja, genau das möchte ich. Meine Schwester fragt mich schon die ganze Zeit, was mich im Moment so strahlen lässt. Den Grund würde ich ihr gern zeigen ... wenn du das möchtest.”

„Und was bin ich dann für sie, also, als was stellst du mich vor? Als einen guten Freund?”

Arik entwich ein leises Auflachen.

„Du stellst Fragen ... wenn es nach mir geht, dann würde ich ihr gern sagen, dass du der Mann bist, der mein Herz berührt hat, mein Freund.”

Über die Bezeichnung ihres Beziehungsstatus hatten sie noch nicht gesprochen, auch weil Ariks Angst groß war, Chris damit zu vertreiben, wenn er zu schnell zu viel von ihm wollte.

„Dein Freund?! Ja, das wäre ich gern”, erwiderte Chris, ohne einen Moment zu zögern.

 

Am nächsten Morgen machten sie einen Abstecher in die Innenstadt, da Chris für Maya etwas besorgen wollte. Am Ende fanden sie eine Puppe, die mehrere Outfits mitbrachte. Seine Nichte würde sich bestimmt sehr darüber freuen.

Nervös ging er am Nachmittag neben Arik her. Er hielt Chris‘ Hand und drückte sie leicht.

„Was ist, wenn sie mich nicht mögen?”, fragte er unsicher.

„Wenn sie dich kennengelernt haben, dann werden sie dich lieben, vertrau mir. Meine Familie ist toll.”

„Das muss sie sein, schließlich bist du Teil davon.”

Liebevoll grinsend beugte er sich zu Chris und küsste ihn. Er hatte keine Probleme damit, seine Zuneigung auch hier, in aller Öffentlichkeit zu zeigen.

Am Haus seiner Schwester angekommen klingelte er. Schon hörte er Maya laut rufen und Sekunden später wurde die Tür aufgerissen.

„Onkel Arik!” Schwungvoll warf sie sich in seine Arme. Arik hob sie hoch, küsste sanft ihre Stirn und knuddelte sie ausgiebig.

„Hallo, ich bin Maya. Wer bist du?”, fragte sie lächelnd und sah zwischen ihm und Chris hin und her. „Bist du der Freund von Onkel Arik?”

„Hallo Maya, ich bin Chris. Schön dich kennenzulernen”, erwiderte Chris auf die Frage von Ariks Nichte. „Und ja, ich bin der Freund von deinem Onkel.”

„Du musst aber immer lieb sein zu ihm, denn er ist immer voll nett und braucht einen, der auch zu ihm nett ist. Okay?”

Schmunzelnd wartete Arik darauf, was Chris sagen würde.

Dieser beugte sich zu Maya. „Ich verspreche dir, dass ich ihn immer liebhaben werde. Er ist nämlich wirklich der tollste und netteste Mann und so einen kann man doch nur liebhaben, oder?”, flüsterte er ihr zu. Maya kicherte auf.

„Ich mag dich, Chris. Du, spielst du nachher mit mir?”

„Sehr gern”, erwiderte er und lächelte glücklich. Arik freute sich, dass er Chris zumindest so etwas Ähnliches wie Familie bieten konnte, da er ja keine mehr hatte.

Nachdem er seine Nichte abgesetzt hatte, griff sie nach der Hand seines Freundes und zog ihn fröhlich lachend hinter sich her.

„Mami, Onkel Arik ist da und er hat Chris mitgebracht. Der spielt nachher mit mir”, verkündete sie kichernd.

Schmunzelnd ging Arik hinterher, nachdem er die Tür hinter sich geschlossen hatte.

Jacke und Schuhe zog er aus und betrat dann das Wohnzimmer, wo seine Schwester Eva und ihr Mann Thomas Chris schon begrüßten.

Wie seine Schwester nun mal war, zog sie Chris sofort in eine enge Umarmung. Thomas war etwas zurückhaltender, aber auch er begrüßte Chris freundlich.

„Du hattest Recht, er ist süß”, flüsterte Eva ihm ins Ohr, als sie Arik zur Begrüßung umarmte. Verlegen grinsend blickte er seine Schwester an.

„Das ist er. Aber er ist auch in allen anderen Bereichen toll. Ich könnte mir keinen besseren wünschen”, sagte er und sah zu Chris, der mittlerweile mit Maya auf dem Teppich saß und sich ihre Teddybären- und Puppensammlung zeigen ließ. Seine Jacke und die Schuhe lagen ordentlich in einer Ecke.

„Wow. Dich hat es lange nicht so erwischt. Ich freu mich sehr für dich.”

„Danke. Auch dafür, dass ihr ihn alle so nett aufnehmt. Maya scheint ihn ja schon fast adoptiert zu haben. Er hat sonst niemanden mehr. Seine Mutter ist verstorben und sein Erzeuger ... lassen wir das lieber.” Als er an den Abend dachte, an dem sich Chris in den Schlaf geweint hatte, ballte er die Hände zu Fäusten. Am liebsten würde er diesem Kerl für seine verletzenden Worte eine verpassen.

Beruhigend legte Eva ihm eine Hand auf die Schulter.

„Er ist nicht mehr allein. Du bist für ihn da und wir auch, wenn ihr uns braucht. Du weißt, dass ich mir für dich jemanden wünsche, mit dem du glücklich wirst. Wenn es Chris ist, dann gehört er nun zu uns”, sagte sie leise und lächelte. Arik liebte seine Familie gerade noch ein wenig mehr.

Der Nachmittag wurde sehr schön. Maya packte ihre Geschenke aus. Sie aßen die Torte, die Thomas für seine Tochter gebacken hatte und alle amüsierten sich.

„Deine Familie ist der Hammer. Du kannst dich glücklich schätzen, sie zu haben“, stellte Chris auf dem Heimweg fest.

Hand in Hand liefen sie die dunkle Straße entlang. Nach und nach gingen die Straßenlaternen an.

„Das bin ich auch. Aber sie haben dich auch sehr gern. Meine Nicht hätte dich am liebsten gar nicht mehr gehen lassen. Ich wäre fast eifersüchtig geworden”, erklärte er grinsend und zog Chris zu einem Kuss heran.

„Das musst du nicht. Für mich gibt es nur dich”, sagte Chris, nachdem sich ihre Lippen wieder voneinander gelöst hatten.

Kapitel 4

Die Wochen vergingen und Chris fühlte sich mit jedem verstrichenen Tag wohler bei Arik.

Sein Zimmer hatte er mittlerweile gegen Ariks Wohnung eingetauscht, da er dort die meiste Zeit und so gut wie jede Nacht verbrachte.

Er konnte sich nicht mehr vorstellen, dass es je anders gewesen war.

Alles lief gut. Mit Ariks Familie verstand er sich blendend, die Gäste mochten ihn und selbst die direkten Nachbarn der Pension hatten ihn ins Herz geschlossen.

Obwohl die Situation nicht gerade lustig gewesen war, musste Chris immer noch schmunzeln, wenn er an die Reaktion einer älteren Nachbarin auf seinen homophoben Vater dachte.

Arik und er waren gerade vom Einkaufen nach Hause gekommen, hielten einander wie immer an der Hand, als sein Erzeuger sie in der Einfahrt abpasste und sofort begann, auf sie loszugehen.

„Dass du dich nicht schämst! Schlimm genug, dass du dich bei dem da ins gemacht Nest setzt, nein, du musst auch noch jedem hier zeigen, dass du eine gottverdammte Schwuchtel bist. Hast du eine Ahnung wie ich dastehen werde, wenn rauskommt, das du mein Sohn bist? Die werden sich über mich das Maul zerreißen. Such dir eine andere Bleibe, hast du gehört?”, fuhr er Chris aggressiv an, kam ihm bedrohlich nahe.

Bevor Arik sich einmischen konnte, trabte von rechts die alte Frau Miller an, ihren Gehstock schwingend.

„Hauen Sie ab! Lassen Sie die beiden in Ruhe, sonst bekommen Sie es mit mir zu tun. Wie kann man nur so ein gemeiner Mensch sein? Sie sollten sich schämen, Ihr Kind so zu behandeln. Chris ist ein so höflicher und aufmerksamer junger Mann und er hilft Arik, wo er kann. Von diesen beiden könnten Sie sich ruhig eine Scheibe abschneiden.”

Schimpfend war sie seinem Vater immer näher gekommen, bis der freiwillig das Weite suchte. Die halbe Straße bekam das Schauspiel mit. Sein Erzeuger blamierte sich total. Dafür drückte er Frau Miller lang und ausgiebig.

„Schon gut, mein Junge, das reicht. Nicht dass dein Freund noch eifersüchtig wird”, flüsterte sie ihm zu und zwinkerte zweideutig, ehe sie wieder zu ihrem Haus zurückgegangen war.

„Ich glaube du hattest zu viel Glühwein, so wie du grinst”, sagte Arik, der gerade mit dem letzten Karton gefüllt mit Weihnachtsdekoration ins Wohnzimmer kam. Das restliche Haus war schon festlich geschmückt, schließlich ging es auf Weihnachten zu.

Nun fehlte nur noch ihr Reich samt Weihnachtsbaum.

„Nein, davon hatte ich nur eine Tasse. Ich musste gerade an Frau Millers Aktion denken. Keiner schwingt den Gehstock so bedrohlich wie sie”, erklärte Chris leise lachend.

„Sie ist wirklich großartig. Ich bin froh, dass es in unserer Nachbarschaft nicht viele gibt, die sich so verhalten wie dein Erzeuger. Es tut gut zu wissen, dass sie uns akzeptieren.” Arik stellte die Dekoration ab, trat hinter Chris und schlang seine Arme eng um ihn. Sofort schmiegte Chris sich an seinen Freund.

„Da hast du Recht. Sie haben auch nicht wirklich ein Problem damit, dass ich schwarz bin. Obwohl ich aus einer großen Stadt komme, in der so viele unterschiedliche Nationalitäten zusammenleben, erlebe ich hier, in dieser recht kleinen Stadt, mehr Toleranz als dort.”

„Darüber bin ich sehr froh, gerade weil man so viel Negatives hört. So muss ich mir um dich keine Sorgen machen, wenn du unterwegs bist.”

Liebevoll küsste Arik seinen Nacken. Die Bartstoppeln kratzten leicht über seine Haut und bescherten ihm wohlige Schauer.

„Mir geht es genauso. Ich möchte mich nicht fürchten müssen. Hier kann ich in Ruhe mit meinem Freund leben, seine Hand halten und ihn küssen, wenn mir danach ist.”

Minutenlang standen sie beieinander, genossen das gute Gefühl, das ihnen die Nähe des anderen vermittelte.

„Was wünscht du dir eigentlich zu Weihnachten?”, fragte Arik, ohne ihn loszulassen.

Chris drehte sich zu seinem Partner um.

„Nichts! Das, was ich mir immer ersehnt habe, habe ich schon bekommen, mehr brauche ich nicht”, erklärte er und ließ Arik nicht aus den Augen. Mehr konnte er sich wirklich nicht wünschen. Noch vor einigen Monaten war er allein. Nachdem seine Mutter gestorben war, gab es niemanden mehr und nun war da ein Mann an seiner Seite, mit dem er glücklicher war als jemals zuvor in seinem ganzen Leben. So lange er Arik hatte, war er wunschlos glücklich.

Arik küsste ihn so zärtlich, dass er wohlig seufzte und sich eng an den Mann drückte.

„Das glaube ich dir sogar, doch ich werde mir etwas einfallen lassen, um dir eine Freude zu machen.”

„Einverstanden. Du würdest dich eh nicht davon abhalten lassen”, erwiderte Chris grinsend.

„Genau, ich bin ein Sturkopf.”

„Mein Sturkopf”, gab Chris zurück und merkte selbst, dass es ein wenig besitzergreifend klang.

„Nur deiner, keine Sorge. Du musst mich nur mit Maya teilen.”

„Mit ihr teile ich dich gern. Sie belegt uns beide mit Beschlag und wickelt uns gekonnt um den Finger.” Ariks Nichte war ihm sehr ans Herz gewachsen. Ihre Zuneigung war so rein und unverstellt, das erlebte man heutzutage viel zu selten.

Den restlichen Abend verbrachten sie damit, die fehlende Dekoration anzubringen. Dabei sangen sie Weihnachtslieder mit, die im Radio liefen und naschten hin und wieder eines der leckeren Plätzchen, die Arik gebacken hatte.

Eng aneinander gekuschelt lagen sie am Ende auf der Couch und Chris kam sich vor wie in einem Märchen, alles erschien ihm in diesem Moment rundherum perfekt.

„Soll ich dich dann an den Adventswochenenden begleiten, wenn du die Krankenhäuser und das Kinderheim als Weihnachtsmann besuchst?”, fragte er in die Stille hinein.

„Wenn du möchtest, hätte ich dich gern dabei. Es ist immer wieder schön zu sehen, dass man Menschen nur mit einer Kleinigkeit und ein paar netten Worten ein Lächeln aufs Gesicht zaubern kann. Und die Kinder strahlen immer richtig, wenn sie mich sehen, da geht mir das Herz auf. Es wird dir gefallen”

„Ich möchte sehr gern mit. Dann kann ich dir helfen und selbst etwas Gutes tun. Aber ich muss kein Weihnachtselfenkostüm tragen, oder?”

Arik lachte sein schönes tiefes Lachen.

„Keine Angst, du musst dich nicht verkleiden. Höchstens eine dieser roten Zipfelmützen anziehen.”

„Damit kann ich leben”, sagte Chris und drehte leicht den Kopf, so dass er Arik direkt anschauen konnte. „Das wird für mich das schönste Weihnachtsfest seit langem werden.”

„Für mich auch, weil du hier bist. Und ich freue mich schon jetzt auf all die anderen Feste, die wir gemeinsam feiern werden.”

Das konnte Chris auch kaum erwarten.

Spielerisch ließ er seine Hände unter Ariks T-Shirt verschwinden, streichelte sanft über seinen straffen Bauch.

Arik schloss die Augen, genoss die Berührungen. Frech stahl er sich einige heiße Küsse, bevor er Arik das T-Shirt ganz auszog. Wenig später folgte die Jeans. Nur in Boxershorts lag Arik vor ihm und Chris konnte sich an ihm kaum sattsehen. Seine helle Haut stand in einem wundervollen Kontrast zu seiner dunklen.

Zwischen ihnen war es sexuell gesehen immer ein Geben und Nehmen. Chris liebte es, von Arik verwöhnt und genommen zu werden. Er brachte aber auch gern Arik dazu, sich ihm vollkommen hinzugeben.

Lächelnd beugte er sich vor und umspielte Ariks Brustwarzen mit seiner Zunge. Ein leises Stöhnen erklang. Chris wusste, dass sein Schatz es liebte, dort berührt zu werden.

Seine Hände wanderten über Ariks Körper, bereiteten ihm Lust.

Bald wand sich sein Freund, stöhnte laut. Ariks Schwanz stand schon hart von seinem Körper ab, wölbte den Stoff deutlich.

Mit einer schnellen Bewegung befreite Chris das heiße Fleisch aus seinem Gefängnis und beugte sich darüber.

Gierig umspielte er die vor Lusttropfen glänzende Spitze und nahm ihn dann in den Mund. Erst langsam, dann immer schneller verwöhnte er Arik, bekam nicht genug von den Lustlauten, die er ihm entlockte.

Arik krallte sich in das Polster, als sich Chris‘ Finger um seine Hoden legte und diese massierte.

Das heiße Fleisch in seinem Mund schwoll noch mehr an, das Stöhnen wurde immer lauter. Ariks Atem ging schnell und stoßweise.

Lange würde er nicht mehr brauchen, aber das was Chris egal. Die Nacht war schließlich noch jung und es gab viel, was er mit Arik anstellen wollte.

Als sich sein Freund anspannte, verwöhnte Chris ihn unaufhörlich und immer intensiver weiter.

Mit einem langgezogenen Aufstöhnen kam Arik, ergoss sich in seinem Mund.

Chris schluckte alles, was er ihm gab, ehe er nach oben kam und es sich neben Arik gemütlich machte.

„Für Runde zwei schleppe ich meinen sexy Mann ins Schlafzimmer”, raunte er Arik ins Ohr.

Mit lustverhangenen Augen blickte Arik ihn an.

„Und was hast du da mit mir vor?”, fragte er leise und immer noch etwas außer Atem.

„Dich fressen natürlich, mit Haut und Haaren.” Chris knabberte sanft an Ariks Ohrläppchen. „Und dann bringe ich dich zum Schreien”, hauchte er verrucht.

Breit grinsend sah er Chris an.

„Dann sollten wir schnell ins Schlafzimmer verschwinden, damit du mich ausgiebig kosten kannst”, erklärte er zwinkernd und stand auf.

Lachend zog Arik, der so herrlich nackt vor ihm stand, Chris ins andere Zimmer.

Oh ja, das würde eine unvergessliche Nacht werden.

Kapitel 5

Obwohl Arik nun schon seit einigen Jahren den Weihnachtsmann spielte, war es dieses Mal anders, wahrscheinlich weil Chris dabei war und die Freude mit ihm teilte.

Heute war ihr letzter Einsatz. Sie waren im Kinderkrankenhaus, verteilten kleine Geschenke, die nette Menschen über die vergangenen Monate hinweg gespendet hatten, erzählten Geschichten und sangen mit den Kleinen. Chris besaß eine so unglaublich schöne helle Stimme, dass ein Mädchen Arik sogar danach fragte, ob er ein Engel wäre.

Daraufhin war Chris rot angelaufen.

Für Arik war er einer, denn er machte ihn jeden Tag aufs Neue glücklich. Denn auch wenn es mal nicht so gut lief, sie gestresst waren und ein wenig stritten, versöhnten sie sich schnell wieder, weil sie ohne einander nicht konnten. Chris war nicht nachtragend, nur selten schlecht gelaunt und erhellte, einfach nur durch seine reine Anwesenheit, Ariks Tag.

Gerade spielte er mit einigen der Kinder Karten. Sie lachten und waren gut drauf. Die Eltern, die in seiner Nähe standen, waren dankbar dafür, dass Chris ihren kranken Kindern ein Lächeln ins Gesicht zauberte.

„Unglaublich, wie gut er mit Kindern umgehen kann. Dieser junge Mann wird sicher mal ein guter Vater werden”, sagte eine Mutter, deren Sohn gerade jubelnd die Arme in die Luft warf, weil er gewonnen hatte.

„Das denke ich auch”, erwiderte Arik und fragte sich gleichzeitig, ob Chris die Möglichkeit dazu bekommen würde. Die Zeiten änderten sich. Seit kurzem durften sie heiraten. Aber ein Kind? Das war sicher nicht einfach.

Arik blickte zu Chris, dem eines der Mädchen seine rote Zipfelmütze klaute und nun damit herumstolzierte. Ob er Kinder wollte? War Arik, wenn es soweit kommen würde, dazu bereit?

Grinsend schüttelte er den Kopf über sich selbst.

Sich jetzt schon, nach ein paar Monaten, Gedanken darüber zu machen, war doch verrückt. Erst einmal mussten sie richtig zusammenwachsen, sich ein gemeinsames Leben aufbauen und sehen, wohin sie ihr Weg führte. Er sah bei so vielen seiner Freunde, dass Liebe oft nicht von Dauer war.

Wenn sie in ein paar Jahren immer noch zusammen und glücklich waren, konnten sie dieses Thema immer noch angehen. Im Augenblick war er froh darüber, wie es war.

Chris hob den Kopf, als habe er Ariks Blick gespürt und schenkte ihm ein umwerfendes Lächeln. Später würde er ihn in Grund und Boden küssen, das stand fest.

„Ihr beide seid ein schönes Paar”, sagte eine leise männliche Stimme neben Arik.

Dort stand ein Mann, etwas in Chris‘ Alter. Hinter ihm, den Arm um ihn gelegt, befand sich ein weiterer Mann, der etwas älter schien.

„Danke”, brachte er leise hervor. „Ist es so offensichtlich?”

Die beiden lachten leise auf.

„Nicht für jeden, aber wir haben die Blicke gesehen, die ihr einander zuwerft. Wir spielen ja im selben Team.” Grinsend drehte sich der Mann so, dass er seinem Partner einen Kuss geben konnte. „Die kleine freche junge Dame, die ihm die Mütze gemopst hat, ist Tiara, unsere Tochter”, erklärte der Typ und zeigte auf das Kind, das Arik schon zuvor aufgefallen war.

„Wie ... also, ich meine, haben Sie sie adoptiert?”

„Ja, das haben wir. Zuerst war sie als Pflegekind bei uns. Sie kam in unsere Familie, da war sie ein halbes Jahr alt. Vor einem guten Jahr hat sich ihre leibliche Mutter dazu entschlossen, einer Adoption durch uns zuzustimmen. Es war alles insgesamt ein langer und auch nicht immer einfacher Weg, der uns viel abverlangt hat, aber für Tiara hat es sich gelohnt. Sie ist alle Tränen, Sorgen und schlaflose Nächte wert.”

Eine Weile unterhielten sie sich noch und tauschten am Ende Handynummern aus.

Dieser Nachmittag gab Arik viel zum Nachdenken.

Da ihnen beiden der Magen knurrte, beschlossen sie, essen zu gehen.

„Möchtest du nach Hause?”, fragte Chris und sah ihn über den Tisch hinweg an. Vor ihnen stand noch das Dessert, das sie bestellt hatten.

„Nein, ich genieße es sehr, mit dir hier zu sein. Ich musste nur gerade an Eddie und Roman denken, an das, was sie alles erlebt haben und wo sie heute stehen.”

„Sie zeigen einem, was möglich ist, wenn man darum kämpft. Ich finde es toll zu sehen, dass auch wir als schwule Männer oder zwei Frauen eine Familie sein können. Tiara ist ein so aufgewecktes Mädchen, das ihre Väter abgöttisch liebt.” Chris aß einen Bissen von seinem Tiramisu und sah ihn lächelnd an.

„Wäre es denn etwas, das du dir für dich wünschst?” Auch wenn es sich um Zukunftsmusik handelte, neugierig war Arik trotzdem.

„Vielleicht, ich weiß es nicht genau. Bis vor einigen Jahren habe ich nicht darüber nachgedacht, doch jetzt bin ich älter. Man sieht andere mit ihren Familien und fragte sich, ob es für einen selbst auch möglich sein könnte. Mit dem richtigen Partner und zum richtigen Zeitpunkt würde ich die Frage wahrscheinlich mit ja beantworten. Und du?”

„Ich sehe es genau wie du. Wenn alles passt, dann wäre ein Kind die Krönung des Ganzen, würde das bestehende Glück vollkommen machen.”

Chris ergriff Ariks Hand.

„Du bist der erste, mit dem ich mich über so etwas unterhalte und es mir nicht seltsam vorkommt. Mit dir freue ich mich darauf zu sehen, was die Zukunft bringt.”

Arik beugte sich zu Chris und küsste ihn zärtlich. Wie in so vielem lagen sie auch dabei auf einer Wellenlänge. Wenn es einmal so sein sollte, dann mit Chris.

Spät am Abend verließen sie das Restaurant und liefen zu Fuß zurück nach Hause.

Ihre Schritte wurden durch den frisch gefallenen Schnee gedämpft. Es war kalt und doch fühlte Arik in sich eine Wärme, die er noch nie empfunden hatte. Nachdem er so oft enttäuscht wurde, immer wieder und wieder, gab er die Hoffnung auf, dass es für ihn den Einen, den Richtigen geben könnte. Und nun gab es Chris an seiner Seite und er entsprach genau dem, was er sich von einem Mann wünschte.

Obwohl es nur wenige Monate waren, fühlte es sich für ihn länger an und er wünschte sich noch viele glückliche Jahre mit ihm.

Chris drückte seine Hand, als er sich enger an ihn schmiegte.

„Du strahlst richtig”, sagte er schmunzelnd und küsste Arik auf die Wange.

„Wegen dir. Ich kann mein Glück kaum fassen. Wir haben unsere Fehler, aber alles scheint perfekt ineinander überzugehen.”

Arik blieb stehen. Um sie herum wurde das Schneetreiben dichter, doch er nahm es kaum wahr.

Liebevoll strich er über Chris‘ kühles Gesicht, konnte sich kaum sattsahen. Dieser Mann war so wunderschön, innerlich wie äußerlich.

„Glaube es ruhig. Mich wirst du so schnell auch nicht wieder los. Denn ich liebe dich über alles. Ich kam in diese Stadt, um denjenigen zu finden, der mich gezeugt hat, weil ich dachte, er sei meine Familie. Doch mit dir und den Deinen habe ich etwas viel besseres erhalten. Einen Ort, an den ich gehöre, Menschen, denen ich wichtig bin. Ich erfahre zum ersten Mal, was es heißt, so sehr geliebt und begehrt zu werden. Das mit uns werde ich, solange es geht, in vollen Zügen genießen.”

„Mit dir zusammen zu sein fühlt sich so richtig an. Selbst das Streiten. Denn ich weiß, dass wir, nachdem wir Dampf abgelassen haben, einander immer noch so lieben wie zuvor.”

Breit grinsend sah Chris ihn an.

„Weißt du, manchmal beginne ich mit dir einen kleinen Streit, nur damit wir uns ausgiebig versöhnen können”, erklärte er und zwinkerte frech. Arik lachte auf. Er griff nach unten, nahm etwas Schnee in die Hand und warf ihn nach Chris. Sofort entbrannte eine kleine Schneeballschlacht.

„Du bist ganz schön durchtrieben, mein Lieber.” Ein Schneeball traf Arik am Kopf und etwas Eis lief ihm am Hals entlang, den Rücken herunter. Er schüttelte sich. Lachend bewarfen sie sich weiter. So ausgelassen benahm sich Arik selten. Es tat ihm unglaublich gut.

„Ach, ich doch nicht. Ich weiß nur, was ich möchte und wie ich es bekomme. Denn du musst wissen, mein Freund ist so heiß, da kann ich kaum die Finger bei mir behalten. Und er wird nach einer wilden Versöhnungsorgie so unglaublich anhänglich. Das Kuscheln mit ihm ist fast genauso schön wie der Sex”, gab Chris unumwunden zu. Seine Ehrlichkeit war eine weitere Sache, die Arik an Chris liebte. Seine Wangen glühten nach diesen Worten.

„Lass uns weitergehen, bevor wir festfrieren.” Auf ihrer Kleidung lag schon eine leichte Schneeschicht.

„Gute Idee. Deine Schwester macht uns fertig, wenn wir an Heiligabend nicht bei ihr feiern, weil wir krank sind.”

Da stimmte er seinem Freund zu. Eva würde sie rund machen, schließlich war schon alles geplant und besorgt. Und Arik wollte, dass der Tag perfekt wurde. Hoffentlich freute sich Chris über das Geschenk, das er ihm machen würde.

Kapitel 6

Noch im Schlafanzug saß Chris in der kleinen, gemütlichen Küche am Esstisch und blickte hinüber zu Arik, der gerade die Brötchen aus dem Ofen holte.

In der Tasse vor ihm dampfte Tee, der wunderbar nach Weihnachten duftete.

Da in der Pension im Moment niemand wohnte, hatten sie viel Zeit für sich, konnten ausschlafen und alles Mögliche tun, ohne ständig auf die Uhr sehen zu müssen.

Heute Morgen hatte Arik ihn mit einem sanften Kuss geweckt. Lange waren sie liegengeblieben und kuschelten miteinander.

Nun würden sie frühstücken und sich dann langsam, ohne Hast, fertig machen, denn sie waren ja bei Ariks Schwester und deren Familie eingeladen. Chris genoss es, wie selbstverständlich sie ihn als Teil ihrer familiären Gemeinschaft akzeptierten. Für sie gehörte er zu Arik und somit auch zu ihnen. Erst vor ein paar Tagen hatte sich Thomas, Evas Ehemann, sogar schützend vor Chris gestellt, als dieser unvermittelt auf seinen Erzeuger traf und dieser wieder einmal die Gelegenheit nutzte, um auf ihn loszugehen und ihn zu beschimpfen. Thomas, der als Polizist arbeitete, machte seinem Vater deutlich, dass er das Weite suchen und weitere Belästigungen unterlassen sollte, sonst würde er Chris darin bestärken, die Sache auf juristischem Wege zu beenden. Daraufhin war sein Vater mit eingezogenem Schwanz abgezogen. Hoffentlich für immer. Jemanden wie ihn wollte er nicht um sich haben. Aber diese Situation zeigte ihm, dass er sich nicht nur auf Arik, sondern auch auf den Rest verlassen konnte.

Ariks inniger Kuss, den er nur zu gern erwiderte, holte ihn aus seinen Gedanken.

Sie ließen sich das üppige Frühstück schmecken, der Tisch war reichlich gedeckt.

Arik ging danach noch kurz durchs Haus, um sicherzugehen, dass alles in Ordnung war, damit sie später ohne Sorgen das Haus verlassen konnten, während Chris schon mal unter die Dusche verschwand. Gemeinsam hatten sie natürlich viel mehr Spaß, doch dann würden sie sicher ewig nicht mehr aus dem Badezimmer kommen. Er wollte Eva auf keinen Fall erklären, wieso sie unpünktlich waren. Sie war zwar offen und nahm selten ein Blatt vor den Mund, aber das blieb dann doch besser unter ihnen beiden. Keine Schwester wollte wissen, dass ihr Bruder unersättlich war, wenn es um seinen Partner ging.

Frisch geduscht und umgezogen stand Chris etwas später vor dem Spiegel im Schlafzimmer.

Zum wiederholten Mal kontrollierte er, ob er auch gut aussah.

Seine Schwägerin in spe kannte ihn zwar schon, aber dieser Tag war trotzdem etwas Besonderes und er wollte einen guten Eindruck hinterlassen. Schließlich war es das erste Weihnachtsfest im Kreise seiner neuen Familie.

„Mach dir nicht so viele Gedanken, du siehst toll aus”, sagte Arik, der nur in Boxershorts ins Zimmer kam. Dieser Anblick war immer wieder aufs Neue atemberaubend.

„Du aber auch. Das machst du absichtlich, oder? Dir ist schon klar, dass ich dich gerade am liebsten vernaschen würde? Sei froh, dass uns deine Familie erwartet, ansonsten würdest du schon auf dem Bett liegen.”

„Ein bisschen Absicht steckt dahinter, das gebe ich zu. Ich weiß ja, wie gern du mich so siehst. Bewahre dir die Stimmung bis heute Nacht, da bin ich dann ganz dein, versprochen.”

„Ich nehme dich beim Wort.” Er trat auf Arik zu und raubte sich einen schnellen Kuss. Grinsend schlug er Arik auf den Hintern. „Und nun ab in die Klamotten, sonst kommen wir wirklich noch zu spät.”

Einige Küsse später waren sie fertig und bereit zu gehen.

Ariks Geschenk befand sich in seiner Hosentasche.

Die anderen Präsente waren schon bei Eva und lagen unterm Weihnachtsbaum.

Als sie aus dem Haus traten, schneite es wieder. Zusammen mit den festlich geschmückten Häusern der Nachbarschaft, ergab es für ihn das Bild eines kleinen Winterwunderlandes. Kaum jemand war auf den Straßen unterwegs. Die meisten befanden sich schon Zuhause und begingen mit ihren Liebsten diesen Abend.

Chris vermisste seine Mutter gerade heute sehr, aber Arik war für ihn da, tröstete ihn. Er sorgte dafür, dass es ihm gut ging und Chris war ihm sehr dankbar.

Während er klingelte, küsste Arik ihn nochmal sehr innig.

„Mami, die küssen sich schon wieder”, rief Maya, die schwungvoll die Eingangstür öffnete.

„Das macht man eben, wenn man sich liebhat”, erklärte Eva und strich ihrer Tochter sanft übers Haar, als sie hinter ihr auftauchte.

„Das weiß ich doch. Du und Papa machen das ja auch immmmerrrrrr”, erklärte Maya theatralisch. „Kommt rein. Ich habe Hunger und bald kommt das Christkind”, rief sie aufgeregt und lief ins Esszimmer.

„Ihr habt sie gehört. Rein mit euch ins Warme.”

Arik schob Chris vor sich her ins Haus. Nachdem sie gemütlich Evas gutes Essen genossen hatten, begaben sie sich ins Wohnzimmer, wo Maya schon aufgeregt vor dem hell erleuchteten Baum herumhopste.

Sie war natürlich als erste dran, ihre Geschenke auszupacken. Danach verteilten auch die anderen ihre Gaben.

Chris reichte Arik das, was er besorgt hatte.

„Es ist nichts Besonderes, aber ich hoffe, es gefällt dir trotzdem.”

Lächelnd packte Arik es aus. Staunend nahm er die silberne Kette mit dem schlichten kleinen Medaillon heraus.

„Das ist wunderschön. Danke Schatz.”

„Es freut mich, dass es dir gefällt. Mach es mal auf.” Der Bitte kam Arik sofort nach und Chris schien es, als träten seinem Freund Tränen in die Augen. „Das ist das erste gemeinsame Foto von uns. Es ist mein Lieblingsbild. So hast du uns immer bei dir, auch wenn wir mal getrennt sind.”

Arik zog Chris eng an sich.

„Ich werde die Kette nicht mehr ablegen”, erklärte er leise, als er sie sich umlegte.

„Nun musst du Chris aber auch sein Geschenk geben”, rief Maya verschmitzt grinsend und klatschte in die Hände. Das machte Chris sehr neugierig.

„Warte einen Moment, Schatz. Ich bin gleich wieder da.”

Irritiert blickte er Arik nach. Neben ihm kicherten Maya und Eva, was ihn noch mehr verunsicherte.

Kurz darauf erschien Arik mit einer etwas größeren Box und stellte diese vor ihm ab.

Mit leicht zitternden Fingern öffnete er die große Schleife, hob den Deckel hoch und erstarrte, als ein leises Maunzen ertönte.

„Du bist verrückt”, stieß er leise hervor, als er die kleine, rote Katze auf den Arm nahm.

Vor ein paar Wochen hatte er Arik gegenüber erwähnt, dass seine Mutter und er immer Katzen hielten, als Chris noch klein war und er es vermisste, eine um sich zu haben.

„Aber nur ein kleines bisschen. Ich wollte dir etwas schenken, das dir wirklich Freude macht. Sie hat noch keinen Namen, das wollte ich dir überlassen.”

Glückstränen rannen Chris übers Gesicht, während er mit dem Kätzchen schmuste, dem das sehr zu gefallen schien.

„Ich durfte Onkel Arik beim Aussuchen helfen. Sie war die allersüßeste von allen und sie schmust voll gerne”, sagte Maya, als sie sich zu ihm kniete und ganz vorsichtig über das weiche Fell strich. „Jetzt hat sie zwei Papis, die sie lieb haben. Bei euch hat sie es viel besser als im Tierheim, da musste sie in einem Käfig sitzen.”

„Bei uns hat sie, wenn es Frühling wird, einen großen Garten zum Spielen.”

Eifrig nickte Maya und streichelte das kleine Fellknäul weiter.

Über ihren Kopf hinweg blickte er Arik an, der ihn ansah, als wäre Chris das größte Geschenk an diesem Tag. Seine Lippen formten ein stummes ‚ich liebe dich‘.

Wie er hier so saß, inmitten all dieser Menschen, die er vor einem Jahr noch nicht kannte und die ihm nun näher standen, als jemals jemand zuvor, mit Ausnahme seiner Mutter natürlich, fühlte er sich angekommen. Hier musste er sein, das war nun seine Heimat. Mit Arik zusammen würde er sich eine Zukunft aufbauen. Möglicherweise würden sie dann auch irgendwann eine eigene kleine Familie haben, wer konnte das heute schon sagen. Aber egal, was auch kommen würde, er freute sich darauf, selbst auf die Tiefs, denn erst wenn man diese überwand und gestärkt daraus hervorging, konnte man mit Sicherheit sagen, dass man eine stabile Beziehung führte.

Hierher zu kommen war die richtige Entscheidung gewesen, auch wenn er nie gedacht hätte, seine große Liebe zu treffen.

Er hatte sich so sehr eine Familie gewünscht.

Manchmal, ja manchmal wurden Wünsche wirklich wahr.

Epilog

„Hast du den Handwerker schon benachrichtigt? Die Toilette in Zimmer 5 funktioniert immer noch nicht. Ich habe Frau Möller ein anderes Zimmer gegeben.” Chris stand in der Tür zu Ariks kleinem Büro und sah ihn fragend an.

Sie waren nun seit gut zweieinhalb Jahren ein eingespieltes Team, das die kleine Pension am Laufen hielt. Natürlich gab es viel Arbeit, aber das machte Chris nichts aus. Er konnte schlecht still und untätig herumsitzen und seinem Partner ging es ebenso. Sie passten gut zusammen.

„Ja, er kommt morgen gleich in der Früh vorbei und dann wissen wir hoffentlich bald, was los ist. Komm her.” Arik streckte die Hand nach ihm aus, Chris ergriff sie und kam um den Schreibtisch herum, bevor er sich auf seinem Schoß niederließ.

Zärtlich legte er Chris die Hand in den Nacken, zog sein Gesicht zu sich heran und küsste ihn drängend.

„Danach sehne ich mich schon den ganzen Nachmittag”, raunte Arik an seinen Lippen, als er den Kuss beendete.

„Du bist eben unersättlich, mein Schatz.”

„Da könntest du recht haben. Aber ist mir das zu verdenken, bei einem Mann wie dir?” Er legte Chris eine Hand auf die Brust und strich sanft darüber.

„Ich denke nicht und mir geht es mit dir ja ebenso. Du bist einfach viel zu sexy”, sagte Chris und stahl sich einen Kuss.

„Habe ich dir heute schon gesagt, wie sehr ich dich liebe?”

„Hast du, aber ich höre es immer wieder gern.” Seine Finger glitten über Ariks Dreitagebart, der ihn für Chris noch anziehender machte. „Ich liebe dich ebenso sehr. Jeden Tag ein wenig mehr.”

Arik berührte mit seinen Fingerspitzen Chris‘ linke Hand, strich über das dünne Edelmetallband am Ringfinger.

„Ich kann es noch immer kaum glauben, dass du wirklich ja gesagt hast”, flüsterte er Chris ins Ohr.

„Was hätte ich denn sonst antworten sollen? Du bist die Liebe meines Lebens. Hier bei dir ist mein Platz, mein Zuhause. So sehr wie dich, habe ich noch nie zuvor jemanden geliebt. Wenn ich jemanden heirate, dann kannst es nur du sein. Wenn es nach mir ginge, dann lieber gestern wie morgen. Ich habe dir am Anfang gesagt, dass du mich nicht mehr loswirst und dazu stehe ich. Ich gehe nur, wenn du mich fortschickst und selbst dann würde ich noch um dich kämpfen. Egal wie du bist, ob liebevoll und verschmust oder brummig und verschlossen, du bist mein und das bald für immer.”

Mit einem lauten Miauen sprang Kira auf Chris' Schoß und sah sie mit schräg gelegtem Köpfchen an. Aus dem kleinen Fellknäul war eine stattliche Katzendame geworden, die genau wusste, wie sie ihre beiden Papis um den Finger wickeln konnte.

„Na, Kira, bist du etwa eifersüchtig?”, fragte Chris und bekam als Antwort ein noch lauteres Maunzen. Arik brach in schallendes Gelächter aus.

„Wunderbar, nun muss ich wohl doch noch mit einem weiblichen Wesen um dich kämpfen.”

Chris lachte und schmuste mit Kira.

„Musst du nicht. Sie ist zwar unsere fellbesetzte Tochter und ich liebe sie, aber dir gehört mein Herz. Ich gehöre dir mit Haut und Haaren.”

„Du machst mich nach all der Zeit immer noch ganz sentimental, wenn du so etwas sagst. Ich weiß, normalerweise ist man erst eine Weile verlobt, bevor man heiratet, aber ich möchte, dass du so schnell es geht mein Mann wirst. Bist du damit einverstanden, dass wir bald alles Notwendige in die Wege leiten? Eva hat ja schon ihre Hilfe angeboten”, fragte Arik.

„Was für eine Frage. Natürlich bin ich dafür. Dann ist es offiziell und ich trage endlich deinen Namen. Chris Mertens klingt super.”

„Das tut es. Dann bist du mein Ehemann. Kaum zu glauben, dass ich das noch erleben darf. Viel zu lange haben wir um dieses Recht kämpfen müssen. Am liebsten würde ich das einigen ehemaligen Klassenkameraden unter die Nase reiben, die mich damals fertiggemacht haben und meinten, dass ich ewig allein sein oder an Aids sterben würde.”

„Du spuckst diesen Mobbern schon allein dadurch ins Gesicht, dass du glücklich bist. Ich bin mir sicher, dass viele von denen heute einsam und allein auf der Couch sitzen. Du hast mich, für immer.”

Ein Lächeln erhellte Ariks Gesicht.

„Da hast du Recht. Und das werden wir heute ausgiebig feiern gehen. Ab Morgen planen wir dann unseren großen Tag.”

 

Ende

Impressum

Texte: © Ann Salomon
Bildmaterialien: Pixabay
Tag der Veröffentlichung: 15.11.2018

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