Mit bebenden Fingern versuchte Dustin nun zum wiederholten Mal, seine Fliege zu binden, jedoch ohne Erfolg. Frustriert schnaubte er und versuchte es noch einmal.
In seinem ganzen siebzehnjährigen Leben konnte er sich an keine Situation erinnern, wegen der er so nervös gewesen war. Nicht mal der erste Kuss zwischen Cameron und ihm war so nervenzehrend gewesen. Obwohl ihm das Herz selbstverständlich fast aus der Brust gesprungen wäre, als ihn die heftigen Gefühle überwältigt hatten.
Sein Freund konnte küssen, da verging ihm hören und sehen, auch heute noch, fast zwei Jahre, nachdem sie zusammengekommen waren.
Doch das war nicht das Problem, sondern die Tatsache, dass Dustin nicht geoutet war, nur ihre engsten Freunde und Camerons Eltern wussten von ihrer Beziehung.
Bis heute hatte er alles getan, um die Aussprache mit seinem Vater hinaus zu zögern. Bei seiner Mutter und seinem älteren Bruder war er sich ziemlich sicher, dass sie es gut aufnehmen würden. Josh, sein Bruder, hatte selbst ein paar Schwule in seinem Freundeskreis.
Sein Vater war da eine ganz andere Geschichte. Er wuchs in einer strengen, christlichen Familie auf, sein Vater war Pastor. Dustin hatte keine Ahnung, wie er die Neuigkeit, das Cameron, der hier aus und einging, nicht nur sein bester Freund, sondern seine große Liebe war, aufnehmen würde.
Vorsorglich hatte er gestern, als er seinen Freund besuchte, eine Tasche mitgenommen, in der sich die wichtigsten Unterlagen und Kleidung zum Wechseln befanden. Man konnte ja nie wissen, was geschah und er wollte nicht ohne etwas da stehen, falls es schlecht ausging.
Aber egal was ihm alles durch den Kopf ging, welche Ängste ihn auch heimsuchten, er wollte endlich frei sein, sein wie er war und vor allem jedem zeigen, wie viel im Cameron bedeutete.
Heute sollte es passieren, egal was auch nachher geschah.
Er wollte, dass sie gemeinsam als Paar auf ihren Abschlussball gingen, dort tanzten und Spaß hatten. Diesen Abend wollte er in Erinnerung behalten als der Zeitpunkt, an dem er endlich er selbst sein konnte und nicht als eine weitere Episode von wie verstecke ich mich am besten vor der Welt.
Im Herbst würden sie auf dasselbe College gehen. Das war nicht geplant gewesen, aber nun fügte sich alles zusammen, so sollte es sein.
Endlich saß die Fliege, wenn auch schief.
»Besser wird´s wohl nicht werden...«, sagte Dustin halblaut zu seinem Spiegelbild und grinste sich selbst an.
»Hey Lockenkopf, was schaust du so skeptisch? Heute ist doch ein Tag, über den man sich freuen sollte«, rief Josh von der offenen Tür her, kam herein und verwuschelte ihm die lockigen, dunkelblonden Haare. Na zumindest konnte er bei seiner Haarpracht nicht viel Frisur zunichtemachen. Cameron liebte es sowieso, seine Hände in Dustins Haaren zu vergraben.
»Ich freu mich ja...«, gab er zurück.
»Aber? Du warst schon in den letzten Tagen so komisch drauf? Was ist los, hast du Probleme in der Schule?« Das war Josh, sein großer Bruder, der ihn schon immer beschützt hatte. Er war vier Jahre älter als Dustin.
»Nein...bin ich nicht.« Nervös kaute er auf seiner Unterlippe und wollte am liebsten nicht hier sein.
Stirnrunzelnd sah ihn sein Bruder an, ging dann zur Tür, schloss sie und kam zurück. Auf dem Bett ließ er sich nieder und betrachtete ihn mit fragendem Blick.
»Mach mir nichts vor. Ich kenn dich zu gut, Kleiner, was ist los mit dir?«
Aus Angst vor der Reaktion starrte Dustin aus dem Fenster, als er antwortete.
»Es ist kompliziert. Alles könnte sich von heute auf morgen verändern. Dann bin ich hier möglicherweise nicht mehr erwünscht.« Ein Kloss saß ihm im Hals, gegen den er heftig an schlucken musste.
Das Bett knarrte und kurz darauf spürte er, wie sich Joshs Hand auf seinen Rücken legte.
»Du machst mir Angst... .«
»Das will ich nicht, aber es ist gut möglich.« Tief durchatmend drehte sich Dustin ganz zu Josh, sah ihm in die grünen Augen, die sie beide von ihrer Mutter geerbt hatten.
»Bitte, Dustin, rede mit mir, sag mir was los ist und wie ich dir helfen kann. Du bist mein kleiner Bruder, ich liebe dich und bin immer für dich da, egal was ist. Ich hoffe das weißt du?« In seinem Gesicht blitzte etwas auf. Konnte es sein, das sein Bruder es schon wusste oder zumindest ahnte?
Sein Puls raste wie irre, als Dustin allen Mut zusammennahm.
»Es ist...ich bin schwul. Cam und ich, wir sind ein Paar, fast zwei Jahre schon und heute wollen wir als Paar auf den Abschlussball gehen. Und das muss ich Dad sagen. Das macht mir eine Scheißangst.« Seine Worte überschlugen sich fast, so schnell stieß er sie hervor.
Auf Joshs Gesicht erschien ein Lächeln, das immer breiter wurde.
»Das weiß ich doch schon...zumindest das mit dem Schwul sein. Und dass ihr zwei zusammen seid, habe ich mir aber auch schon fast gedacht. Mom wird Augen machen, wenn sie es erfährt. Sie schuldet mir eine Pizza, sie hat gesagt, du wärst bi.«
Von einer Sekunde auf die andere klappte Dustin die Kinnlade herunter und er bekam den Mund einfach nicht mehr zu. Konnte es wirklich sein, das die beiden es wussten, dabei war er doch so vorsichtig gewesen?
»Mach den Mund zu. Hast du gedacht, ich sei blind? Wie du Cameron ansiehst, wenn du denkst, dass es keiner mitkriegt. Wenn wir telefonieren, dann erzählst du andauernd, was ihr so alles macht, in jedem dritten Satz kommt sein Name vor. Und seit ich wieder hier bin, kriege ich natürlich mit, wie vertraut ihr miteinander seid. Kyle und Sam, du kennst die beiden ja, ich dachte immer, die beiden sind schmusebedürftig, du und Cam übertrefft sie bei weitem, auch wenn ihr versucht, dem ganzen immer den Touch einer Freundschaft zu geben. Doch mir kann mein Bruder nichts vormachen.« Josh drückte seine Schulter. »Ich freue mich für euch. Ihr seid ein tolles Paar. Und mach dir wegen Dad nicht zu viele Sorgen, ich denke, dass er damit klarkommen wird. Falls nicht, hast du immer noch Mom, Cam und mich. Also Kopf hoch, das wird sich sicher alles einrenken.«
Josh hatte keine Vorstellung davon, wie sehr Dustin dafür betete.
»Danke. Es bedeutet mir viel, das du hinter mir stehst.« Sein Bruder und er hatten immer ein gutes Verhältnis und Dustin suchte immer wieder den Rat des Älteren. Nur in Hinblick auf seine Homosexualität war die Angst immer stärker als das Vertrauen.
Josh schlang die Arme um ihn.
»Das werde ich immer tun, du kannst dich immer darauf verlassen, dass ich dich unterstützen und dir stets beistehen werde. Als du geboren wurdest, habe ich Mom versprochen, das ich dich beschützen würde, an dieses Versprechen habe ich mich gehalten und das wird auch so bleiben.«
»Du warst immer mein Beschützer.« Dustin schmiegte sich eng an seinen Bruder, genoss es, sich sicher zu fühlen und zu wissen, dass er zumindest diesen Halt nie verlieren würde. »Keine Ahnung wie oft du in der Schule jemandem eins auf die Nase gegeben hast, weil er mich nicht in Ruhe ließ.«
»Für mich war das immer selbstverständlich. Nicht weil du selbst es nicht gekonnt hättest, sondern weil ich es nicht mitansehen konnte.«
Grinsend sah Dustin in das vertraute Gesicht.
»Ich hätte es nicht geschafft, nicht so wie du. Cam sagt auch immer, das ich kein Krieger bin. Doch er will auch keinen Schläger zum Freund, ihm ist es lieber, das ich eine sanfte Seele bin, wie er es nennt.«
»Also ich muss sagen, das mir dein Cameron immer sympathischer wird.« Wieder strubbelte er ihm durchs Haar.
»Das dachte ich mir, ihr beiden verbündet euch gegen mich.« Befreit lachte er auf. Schön das sich zwei der wichtigsten Menschen in seinem Leben verstanden.
»Du musst niemand sein, der sich prügelt, um stark zu sein. Dustin, du bist ein mutiger Kerl, der seine Stärke auf andere Art beweist. Lass dir nie von jemand etwas anderes erzählen.«
»Keine Sorge, das werde ich nicht.«
Dustins Augen wanderten zur Uhr. Sein Bruder folgte seinem Blick.
»Wann wollt ihr los? Holt er dich ab?«
»In einer halben Stunde. Ja, Cam kommt her und holt mich ab. Er hat sogar eine Limo gemietet.« Ein strahlendes Lächeln stahl sich auf sein Gesicht, das jedoch schnell wieder verschwand. Betreten sah er auf seine Hände. »Ich kann dir gar nicht sagen, wieviel Angst ich habe. Mir springt gleich das Herz aus der Brust. Scheiße, wieso muss es so schwer sein, einfach man selbst zu sein?«
Angespannt lief er im Zimmer auf und ab, ballte die Hände zu Fäusten und hatte das Gefühl, gleich heulen oder laut aufschreien zu müssen.
»Kleiner, ich werde nicht sagen, dass ich weiß, wie es dir geht oder wie du dich fühlst. Das kann ich nicht wissen und ich wäre nie so anmaßend, es zu glauben. Aber ich weiß, dass du es schaffen wirst. Dieser Schritt ist wichtig für dich und du weißt, dass du viele hast, die hinter dir stehen und dich weiterhin bedingungslos lieben werden. Wenn Dad schlecht reagiert, dann ist das natürlich erstmal scheiße, aber ich bin mir sicher, dass er dich liebt und mit der Zeit einsehen wird, das es wichtig ist das du glücklich bist und nicht mit wem du es bist.«
Dustin hielt in seinem Lauf inne und sah seinen Bruder an.
»Ich muss es tun, egal was danach sein wird. So kann ich nicht mehr weitermachen. Ihr und alle anderen sollt wissen, wer ich bin. Nun beginnt mein Leben und in das möchte ich frei und ohne Geheimnisse starten. Wenn nur mein innerer Schweinehund nicht so stark wäre. Aber Cam ist bald da, bis dahin wollte ich es erledigt haben. Dad soll wissen, das Cam mich nicht nur mitnimmt, sondern das er mein Date für heute Abend ist.«
Mit schnellen Schritten kam Josh zu ihm und nahm ihn in den Arm.
»Es wird dich befreien. Du hast es verdient, du selbst sein zu können. Keiner hat das Recht, dir das zu verwehren. Solange ihr beiden euch habt und liebt kann euch keiner was.« Liebevoll schlug er Dustin auf die Schulter. »Also auf in den Kampf.«
Auf in den Kampf, das beschrieb die Empfindungen ganz gut, die in Dustin wüteten, als er langsam die Treppe ins Erdgeschoss hinunterging.
Sein Herz schlug ihm bis zum Hals, seine Hände zitterten und wurden feucht. Zu allem Übel fühlte er sich so, als würde ihm etwas die Luft abschnüren.
Im Wohnbereich lief der Fernseher. Wie immer lief an diesem Tag das aktuelle Spiel der lokalen Baseballmannschaft. Normalerweise sahen sie es sich gemeinsam an.
Mehrmals atmete er tief durch, bevor er sich straffte und zu seinem Vater ging.
»Hey Dad, na, wie sehe ich aus?« Grinsend drehte es sich vor der Couch einmal um sich selbst.
Im stillen betete Dustin darum, das ihm sein Vater seine Nervosität nicht ansah. Er brauchte noch einige Augenblicke, bevor er die Bombe platzen ließ.
Lächelnd schaltete sein Vater den Fernseher stumm, legte die Fernbedienung zur Seite und setzte sich auf.
»Die jungen Damen werden sich um dich reißen, mein Sohn. Du hast die guten Gene deines alten Herrn hier geerbt und deine Mutter ist auch nicht ganz unschuldig«, sagte er zwinkernd und klopfte neben sich. »Komm, setz dich, lass uns das Spiel anschauen bis du abgeholt wirst.«
Gezwungen lächelnd ließ Dustin sich neben ihm nieder. Die jungen Damen, klar, was sollte er auch sonst denken. Aber es versetzte ihm einen heftigen Stich. Sein Vater war für ihn immer das gewesen, was einen echten Mann ausmachte. Er war sehr maskulin, interessierte sich für alle möglichen Sportarten, war handwerklich begabt und fuhr einen Pick-up Truck, den er selbst restauriert hatte. Wie würde er reagieren, wenn er erfuhr, dass Dustin diesem Bild nicht entsprach?
Ein paar Minuten blickten sie schweigend zum TV-Gerät, dessen Ton mittlerweile wieder lief.
»Zu meiner Zeit haben sich die Jungs, die allein auf den Abschlussball gingen, nicht so viele Gedanken um ihr Outfit gemacht. Aber die Zeiten ändern sich wohl.« Er wies mit der Hand auf die Ansteckblume, die Dustin an seiner Anzugjacke befestigt hatte. Cameron würde dieselbe tragen, auch ihre Fliegen hatten die selbe Farbe. »Wir hatten solche Sachen nicht, wenn wir kein Mädchen ausführten. Uns war der Aufwand zu groß«, erklärte er grinsend und stupste seinem Sohn gegen den Oberarm.
So, nun war die Zeit gekommen, nun galt es, seinen Mut zu beweisen und kein Schlappschwanz mehr zu sein.
Sich räuspernd wandte er sich seinem Vater zu.
»Dad..., ich muss dir was sagen. Du kennst doch Cameron.«
Etwas verwirrt sah er ihn an und schaltete den Ton des Fernsehers wieder ab.
»Klar kenne ich Cameron, er ist schließlich fast jeden Tag hier. Was ist mit ihm? Kann er dich heute nicht mitnehmen? Soll ich dich hinfahren?« Fragend sah er Dustin an, dessen Herz nun raste, als wolle es die Schallmauer durchbrechen.
Nervös und angespannt stand Dustin auf, lief vor der Couch auf und ab. Das Stirnrunzeln seines Vaters vertiefte sich.
»Nein, es ist alles geplant, er kommt nachher gleich her. Aber...es ist so, dass er mich nicht nur mitnimmt... .«
»Dustin, was ist los? Sag mir bitte was das Problem ist. Langsam fange ich an mir Sorgen zu machen. Du wirkst auf mich total aufgewühlt, so kenne ich dich gar nicht.« Er rutschte an die Kante der Couch und betrachtete Dustin, der seine Finger knetete und nicht wusste, ob er die so wichtigen Worte auch aussprechen konnte.
»Es ist nichts...ich... .« Aufseufzend setzte sich Dustin wieder hin. »Dad, Cameron nimmt mich nicht nur mit zum Ball. Er ist...er ist mein Date... .« Nun war es gesagt, es gab keinen Weg zurück.
Sein Vater saß direkt vor ihm, schien wie vom Donner gerührt zu sein und brachte den Mund nicht mehr zu, seine Halsmuskeln zuckten.
In Dustins Kopf rasten die Gedanken. Würde er ihm gleich eine verpassen? Oder ihn anschreien? Was war, wenn er ihm verbot, mit Cam hinzugehen?
Doch die Sekunden wurden zu Minuten, nichts geschah. Dann veränderte sich der Gesichtsausdruck seines Vaters und es schien, als wolle er etwas sagen, als sie beide beim Klang der Klingel heftig zusammenzuckten.
Mit zitternden Beinen stand Dustin auf und ging zur Tür.
Als er öffnete, stand Cameron davor. Er sah zum Anbeißen aus in seinem schwarzen Anzug. Die halblangen glatten Haare umrahmten sein schönes Gesicht und das Lächeln, das er ihm schenkte, ließ ihm die Knie weich werden.
Schnell merkte er jedoch, dass Dustin bedrückt war und so erstarb es rasch.
»Schatz, ist alles okay?«, fragte er leise und sehr besorgt, schließlich wusste er um Dustins Ängste im Hinblick auf die Reaktion seines Vaters.
»Ja, alles okay. Ich hab es ihm gerade gesagt. Aber er... . Lass uns zu ihm gehen, dann haben wir es hinter uns.«
Sanft lächelnd schloss Cam die Tür und folgte ihm.
Sein Vater war aufgestanden und starrte sie an, als sie zu ihm kamen.
»Guten Tag Sir«, sagte Cam und hielt seinem Dad die Hand hin. Nach einigen Momenten, in denen sich Dustin nicht sicher war, was geschehen würde, ergriff er die dargebotene Hand und schüttelte sie.
»Hallo, Cameron... .« Mehr sagte er nicht, stand einfach nur da.
Der Kloss in Dustins Hals wuchs immer mehr, seine Augen brannten.
Enttäuscht sah er zu Cam.
Irgendeine Reaktion hatte er sich erhofft, doch dieses komplette Fehlen und die gleichzeitig in der Luft liegende Spannung zeigte ihm, dass das große Drama wohl später stattfinden würde.
Resigniert sah er kurz zu seinem Dad, bevor er sich abwandte.
»Komm, Cameron, lass uns gehen... .« Seine Stimme brach. Neben Cam ging er zur Tür.
»Dustin, komm her!« Der laute Ausruf ließ Dustin zusammenfahren, als er gerade nach der Klinke greifen wollte.
Also doch jetzt gleich. Schluckend ließ er Camerons Hand los, die er zuvor ergriffen hatte und drehte sich zu seinem Vater um.
Angst, Unsicherheit und Enttäuschung wechselten sich in ihm ab. Würde er ihn vor Cam schlagen? Würde er vielleicht sogar auf Cameron losgehen?
Er kam sich vor, wie ein in die Ecke getriebenes Tier, das panisch nach einem Ausweg suchte.
»Wieso hast du vorher nichts gesagt?«, fragte sein Dad überraschend leise.
»Weil ich Angst hatte... .«
»Vor mir?«
Dustin nickte leicht.
»Ja, vor dir und wie du darauf reagieren würdest. Wenn...du willst, werde ich wegbleiben. Das wichtigste habe ich schon bei Cam zu Hause. Aber ich musste es dir heute sagen, musste es klarstellen, dass du weißt, wer ich bin, bevor ich aufs College gehe.« Kurz sah er lächelnd zu Cameron, der etwas entfernt stand und ebenso unsicher wirkte wie Dustin sich fühlte. »Ich werde Cam, meine Liebe zu ihm, nicht aufgeben. Wir sind schon fast zwei Jahre ein Paar und wenn es nach mir geht, wird es auch noch lange so bleiben.«
Bei diesen Worten erhellte sich das sanfte Gesicht seines Freundes.
»Wegbleiben? Was redest du für einen Unsinn?! Okay, es ist für mich gerade ein Schock, ich hätte es nie gedacht und ich werde sicher noch etwas brauchen, um es vollkommen zu verstehen, aber du bist und bleibst mein Sohn.«
Ein Zentnerschwerer Felsbrocken löste sich bei diesen Worten von seinem Herzen.
»Du hast kein Problem damit? Ich dachte, wegen der Kirche und Großvater.«
»Ich werde nicht sagen, dass ich das alles verstehe, hab mich nie damit beschäftigt. Doch du bist mein Sohn, mein Fleisch und Blut, wie könnte ich mit dir ein Problem haben? Was Großvater angeht, der wird sich schon damit abfinden und es akzeptieren. Wegen so etwas wird er sich hoffentlich nicht mit uns überwerfen. Und wenn doch, dann ist es sein Problem. Meiner Meinung nach wurden wir alle von Gott erschaffen, jeder so wie er ist, auch du und Cameron. Wer bin ich das ich eine seiner Schöpfungen in Frage stelle?« Er hob die Hand und legte sie an Dustins Wange. »Gib mir etwas Zeit, das alles zu verstehen, okay?«
Nun musste er heftig gegen die aufsteigenden Tränen anblinzeln. Damit, dass er so verständnisvoll reagieren würde, hätte Dustin niemals gerechnet.
»Klar Dad, du kannst dir so viel Zeit nehmen wie du brauchst«, gab er zurück, seine Stimme klang erstickt. Es war selbstverständlich, dass er seinem Vater die Möglichkeit gab, die ganze Sache sacken zu lassen, er selbst hatte es ja auch nicht von heute auf morgen akzeptieren können.
»Danke, meine Junge.« Sanft tätschelte er Dustins Wange. »Na los, geh und habt Spaß heute Abend. Wir sehen uns morgen.«
»Danke, Dad. Es bedeutet mir viel, dass du so reagierst«, sagte Dustin leise. In seinen Worten schwangen so viele Emotionen mit, dass er sich wunderte, nicht schon längst in Tränen ausgebrochen zu sein.
So befreit, losgelöst und gut hatte er sich schon sehr lange nicht gefühlt, vielleicht noch nie.
Natürlich war sein Vater geschockt, wäre er wohl auch, wenn er von jetzt auf gleich eine Information serviert bekommen hätte, aber er liebt ihn noch immer, würde zu ihm stehen. All die Horrorszenarien, die er sich in den durchweinten Nächten vorgestellt hatte, würden nicht eintreten.
Für ihn würde es immer ein Zuhause geben, einen Ort, an den er auch in vielen Jahren zurückkehren konnte.
Liebevoll zog ihn sein Vater in eine feste Umarmung.
Als sie sich voneinander lösten, glänzten die Augen des Mannes, zu dem er immer aufgesehen hatte, verräterisch.
Blinzelnd sah er hoch und suchte Camerons Blick.
»Pass mir auf meinen Sohn auf, okay?«
Dustins Freund lächelte verliebt und nickte.
»Das habe ich immer und werde ich immer, darauf können Sie sich verlassen.«
Schmunzelnd betrachtete er die Szene. Diese Beschützernummer hatten wirklich alle Männer in seinem Leben drauf. Zugegebenermaßen war Cam nicht ganz so schlimm wie Josh und sein Dad, aber er war auf dem besten Weg zu werden wie sie.
»Leute, ich bin hier und schon selber groß«, warf er leise lachend ein.
»Dustin, du wirst immer mein kleiner Junge bleiben. Auch wenn du irgendwann selbst eine Familie haben wirst, bleibst du in meinen Augen immer mein Kind, das ich beschützen muss.«
»Oh Dad. Ich glaube wir gehen lieber, sonst werden wir alle noch ganz sentimental«, antwortete Dustin und auch wenn es als Scherz gemeint war, waren alle im Raum kurz davor, die Kontrolle über ihre Gefühle zu verlieren.
Sie alle brauchten eine Verschnaufpause.
»Du hast Recht. Ab mit euch, nicht das ihr zu eurem großen Abend zu spät kommt.«
Glücklich lächelnd ging Dustin zu Cameron und ergriff seine Hand.
»Wartet, ich habe doch noch etwas vergessen.« Schnell eilte sein Dad zur Kommode und holte die Digitalkamera hervor. »Dieses Ereignis muss man doch festhalten.«
Er bedeutete ihnen, sich vor dem Kamin aufzustellen. Lächelnd machte er einige Aufnahmen.
»Mom wird Augen machen.« Joshs Stimme ertönte. Grinsend stand er am Fuß der Treppe und sah zu ihnen herüber. Wie es aussah, hatte er mitbekommen, wie alles verlaufen war. Er zeigte Dustin den erhobenen Daumen.
»Das wird sie mit Sicherheit.« Er legte die Kamera zurück an seinen Platz. »Aber nun wirklich raus mit euch. Hopp, hopp.«
Grinsend verließen Cameron und Dustin das Haus.
Bis sie bei der Limousine waren, klammerte er sich schon fast an die Hand seines Freundes.
Als sie schließlich saßen und sich angeschnallt hatten, starrte er Cam an.
»Ich hab mich geoutet?! Kannst du das glauben? Und vor allem kannst du glauben, dass mein Vater so gut regiert hat?« Leicht hysterisch kicherte er auf. Nun fiel die Anspannung in ihm vollkommen in sich zusammen.
Cameron, der ihn besser als jeder andere kannte und wusste, wie sehr ihn das alles aufgewühlte, legte die Arme um ihn und vermittelte ihm, das er immer für ihn da sein würde.
Leise schluchzte er auf, Tränen traten in seine Augen.
Sanft glitt Cams Hand an seinem Rücken entlang, spendete ihm ohne Worte Trost.
»Nun müssen wir nur noch den Ball überstehen«, erklärte Dustin, nachdem er sich beruhigt hatte.
Der Wagen hatte sich mittlerweile in Bewegung gesetzt und bald würden sie an der Schule ankommen.
»Nach dem du dich heute vor deinem Dad geoutet hast, wird das gleich doch ein Klacks werden. Lass die Idioten reden. Die finden doch immer etwas, über das sie sich das Maul zerreißen können. Die meisten werden es sicher ganz gut aufnehmen. Und selbst wenn nicht, dann bleiben wir eben für uns, tanzen und haben unseren Spaß. Denn das du da bist, ist mir das allerwichtigste an diesem Abend. So lange habe ich darauf gewartet, allen zu zeigen, wieviel du mir bedeutest, Dustin. Ich liebe dich.« Mit unendlich viel Liebe im Blick sah sein Schatz ihn aus seinen wunderschönen babyblauen Augen an, in denen er jedes Mal zu versinken glaubte.
»Solange du an meiner Seite bist, werde ich den Abend genießen können. Dies ist der Start in unsere Zukunft. Ich kann es nicht erwarten, mit dir zusammen aufs College zu gehen.« Zärtlich strich er mit den Fingerspitzen über Camerons schönes Gesicht. »Heute ist unser Abend. Ich kann es nicht erwarten, mit dir zu tanzen. Ebenso wenig wie ich es erwarten kann, mit dir zusammen in eine gemeinsam Zukunft zu starten. Ich liebe dich über alles, Cam. Und ich hoffe, das sich das nie ändert.«
Niemand wusste, was später einmal geschah, aber sie konnten alles versuchen, damit die Beziehung von Dauer war.
Der Wagen hielt auf dem Parkplatz vor der Turnhalle, in dem der Ball stattfinden würde. Vor dem Gebäude herrschte noch reges Treiben. Nur langsam begaben sich die Leute ins Gebäude.
»Jetzt gilt es!«, raunte Dustin seinem Freund zu und öffnete die Autotür.
Sich gegenseitig aufmunternd anlächelnd stiegen sie aus. Sofort nachdem er neben Cam getreten war, ergriff dieser seine Hand und verschränkte ihre Finger miteinander.
Diese Berührung erdete ihn, ließ ihn ruhig werden.
Mit erhobenem Kopf und rasendem Herzen gingen sie Hand in Hand an ihren Freunden, Bekannten und Klassenkameraden vorbei, grüßten sie und versuchten, sich ganz wie immer zu geben.
Einige grinsten und hielten ihre Daumen nach oben, manche sahen leicht geschockt aus und wieder andere begannen mit dem, der neben ihnen stand, zu tuscheln.
Doch ihnen war es egal. Sie scherten sich nicht darum, wem es gefiel und wem nicht. Es war schließlich ihr Leben, sie mussten am Ende des Tages damit zufrieden und glücklich sein.
Die Szene wiederholte sich in der Turnhalle noch einmal. Diesmal kamen aber einige auf sie zu und beglückwünschten sie zu ihrem Glück, das man ihnen wohl an der Nasenspitze ansah.
Selbstverständlich schwiegen auch die Trottel nicht, die es wohl in jedem Jahrgang gab. Sie riefen ihnen homophobe Beleidigungen zu, wurden aber schnell von anderen zum Schweigen gebracht. Im Großen und Ganzen hatten die meisten kein Problem damit oder hielten sich ihnen gegenüber zurück.
Viel bekam Dustin eh nicht mit. Der Abend glitt an ihm vorbei. Alles an was er sich später erinnern konnte, waren Camerons wundervolle Augen. Nicht einmal in all den Stunden hatte er den Blick von ihm genommen. Sie tanzten miteinander, genossen die Nähe des anderen und die Tatsache, dass sie sich so frei und ungezwungen zeigen konnten.
Während eines Schmusesongs, zu dem sie sich eng aneinander drückten und leicht im Takt der Musik bewegten, beugte sich Cam zu ihm und küsste ihn so innig das sich auch die letzten sinnvollen Gedanken aus seinem Hirn verabschiedeten.
Nachdem der Ball vorüber war, fuhr sie die Limo zu Cameron nach Hause.
»Meine Eltern sind heute Abend nicht da. Mein Vater hat ein geschäftliches Essen, zu dem er Mom mitgenommen hat. Sie werden übers Wochenende im Hotel bleiben und die Zeit ohne Kind genießen«, erklärte Cam grinsend.
»Also haben wir sturmfrei?«
Sich einmal über die Lippen leckend nickte Cam und in seinen Augen blitzte Vorfreude auf, während er die Haustür öffnete und mit Dustin hineinging.
»Genau, heute haben wir das Haus ganz für uns.« Leidenschaftlich küssten sie sich, ihre Hände begaben sich auf Wanderschaft. Langsam gingen sie ins Obergeschoss, wo sich Camerons Zimmer befand. Immer wieder fuhren Cams Hände durch Dustins Haar, hielten sich darin fest. Er liebte es.
Als er mit den Knien an die Matratze stieß, ließ er sich nach hinten fallen und Cameron landete auf ihm. Grinsend sahen sie sich an.
Wie immer, wenn er die Gelegenheit dazu hatte, berührte Dustin Cams Gesicht, fuhr die sanften Konturen nach. Für ihn gab es nichts Schöneres als ihn. Alles an ihm war perfekt. An seinem Körper konnte er sich nicht sattsehen und auch nach fast zwei Jahren wurde es nie langweilig, ihn zu küssen und zu berühren. Noch immer sah ihn sein Freund an, als wäre er etwas ganz besonderes. Und das waren sie füreinander auch.
»Ich liebe dich, Cam. Mit Worten lässt sich kaum beschreiben wie sehr.« Sein Daumen glitt zärtlich über die vollen Lippen. »Wenn es nach mir geht, wird sich das nie ändern. Nach diesem Tag weiß ich, das wir, wenn wir zusammenhalten und füreinander da sind, alles überstehen können.«
»Und ich liebe dich. Dustin, du musst es nicht mit Worten sagen. Jeden Tag lässt du mich durch all die kleinen Dinge, die du tust, wissen, dass es so ist. Ich fühle mich mit dir geborgen und bin glücklich, das ich dich habe.« Behutsam nahm er eine Locke in die Hand, ließ sie durch seine Finger gleiten, spielte damit. »Ich hoffe, das unsere gemeinsame Zeit auf dem College nur der Anfang von etwas Wundervollem sein wird.«
»Das hoffe ich auch«, gab Dustin leise und bewegt zurück.
Er wünschte sich das und noch so viel mehr. Einiges davon hätte er, wenn ihn jemand danach gefragt hätte, nicht mit Worten erklären können. Aber er wusste, dass wenn sie sich weiterhin so sehr liebten und alles dafür taten, das es funktionierte, sie eine tolle Zukunft miteinander haben würden.
Dieser Tag, der Tag X, war nur der erste, wenn auch sehr wichtiger Schritt hinaus in das Unbekannte gewesen. Jeden weiteren Tag, jeden weiteren Schritt würden sie nun Seite an Seite gehen und herausfinden, was das Leben noch so alles für sie bereithielt.
Diese Nacht versprach zumindest schon einmal sehr interessant zu werden, so hungrig wie Cameron ihn ansah, als er ihn unter heißen Küssen und elektrisierenden Berührungen langsam auszog. Gut das sie das Haus für sich hatten, denn so scharf wie sie aufeinander waren, würden sie sich wohl kaum zurückhalten können.
Als er Camerons Lippen spürte, die sich an seinem Schwanz entlangküssten, verdrehte er aufstöhnend die Augen, krallte sich ins Laken und hörte auf an etwas anderes zu denken, als an das hier und jetzt und was sein Liebster noch mit ihm anstellen würde.
Texte: © Ann Salomon
Bildmaterialien: Pixabay
Tag der Veröffentlichung: 02.09.2018
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Diese kleine Kurzgeschichte möchte ich all meinen fleisigen Lesern widmen, die mir trotz der sommerlichen Durststrecke die Treue gehalten haben.
Es bedeutet mir unendlich viel, das ich euch habe, ihr meine Protas ebenso ins Herz geschlossen habt wie ich und euch auf weitere Geschichten freut.
Fühlt euch von mir ganz fest gedrückt. ♥