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Epilog

Valentin, von allen nur Tino genannt, verließ das Freibad durch den Haupteingang.

Ihm tat alles weh. Der Samstag war immer sehr anstrengend und seine Pause war kürzer ausgefallen als gedacht. Das städtische Schwimmbad, in dem er über den Sommer als Bademeister jobbte, war bis auf den letzten Platz gefüllt gewesen und wie meistens waren auch einige Idioten dabei, die es nicht fertig brachten, sich an die einfachsten Regeln zu halten.

Sein Blick glitt zum Himmel, der sich immer mehr verdunkelte. Es war erst kurz vor 19 Uhr.

Nun sah Valentin die dunklen Gewitterwolken.

Ein Blitz erhellte den Parkplatz, Donner grollte, bevor der Himmel die Schleusen öffnete und erste Tropfen fielen.

Leise vor sich hin fluchend rannte er los, um sein Auto zu erreichen.

Auf dem Weg dorthin erblickte Valentin eine gebeugte Gestalt, die auf einem der Bänke saß. Wer auch immer es war, schien das Unwetter überhaupt nicht zu bemerken.

Er konnte nicht weiterrennen. Sein bester Freund Mario würde sagen, dass da sein Helfersyndrom zum Tragen kam.

Das Donnergrollen wurde lauter, der Regenguss zunehmend ungemütlicher.

Entschlossen hielt er auf die Person zu.

„Hallo, kann ich dir helfen?”, fragte er freundlich, mit besorgtem Unterton in der Stimme.

Der Mann zuckte zusammen und sah auf.

Als Valentin erkannte, wer da vor ihm saß, rutschte ihm das Herz in die Hose.

Kein anderer als Rafael, der Typ, in den er schon zu Schulzeiten verschossen war, blickte ihn aus geröteten Augen traurig an. Auf den ersten Blick war Valentin klar, dass er geweint haben musste.

„Mir kann...keiner helfen. Alles ist scheiße!”, erwiderte Rafael unter Schluchzern und so leise, dass Valentin ihn kaum verstehen konnte.

Vor Rafael ging er in die Knie.

„So schlimm kann es nicht sein. Man kann alles wieder gerade biegen.”

„Das nicht... ”, gab Rafael verzweifelt zurück.

Valentin überlegte, was er tun sollte. Unter keinen Umständen würde er Rafael in diesem Zustand alleine lassen.

„Was hältst du davon, wenn du mit zu mir kommst? Dann kannst du dir was Trockenes anziehen und wenn du willst, können wir reden.”

Schniefend und immer wieder aufschluchzend dachte Rafael anscheinend kurz nach.

„Okay...danke, Valentin.”

Also hatte er ihn erkannt. Valentin war sich nicht sicher gewesen und trotz der Umstände freute er sich, dass Rafael auch noch wusste, wer er war. Zwar waren sie zu jener Zeit Klassenkameraden gewesen, doch das war schon lange her und in all der Zeit, hatte sie sich nur selten gesehen. Damals war Valentin viel zu schüchtern, um direkt auf ihn zuzugehen und ihm zu zeigen, das er ihn mehr als nur gern hatte.

„Dann komm, mein Wagen steht gleich dort vorne.” Er wies in die entsprechende Richtung.

Langsam erhob sich Rafael. Gemeinsam rannten sie zu Valentins 1er BMW, den ihm sein Vater letztes Jahr zum Geburtstag geschenkt hatte.

Ohne Schwierigkeiten verfrachtete er seinen Gast auf den Beifahrersitz. Rafael war total neben der Spur, was für den ansonsten so fröhlichen Kerl ungewohnt war.

Schnell lief er auf die Fahrerseite und stieg ebenfalls ein.

Seine Kleidung klebte ihm am Körper.

Zügig fuhr er vom Parkplatz und schlug den Weg zu seiner kleinen, aber feinen 3-Zimmer-Wohnung ein.

Kapitel 1

Nach gut einer halben Stunde standen sie vor seiner Wohnungstür. Valentin schloss auf.

Er ging vor und Rafael folgte ihm. Seine Bewegungen wirkten mechanisch. Langsam machte Valentin sich wirklich Sorgen. Hoffentlich würde Rafael ihm nachher erzählen, was geschehen war.

„Die zweite Tür rechts ist das Badezimmer. Ich würde sagen, du wirst erstmal die nassen Sachen los. Eine warme Dusche wird dir gut tun. Ich schaue währenddessen, dass ich dir etwas zum Anziehen raussuche. Da wir ungefähr gleich groß sind, stehen die Chancen gut.” Er lächelte Rafael an. Dieser schien mit seinen inneren Dämonen zu kämpfen und nickte nur.

Schweigend sah Valentin ihm nach, bis er die Tür hinter sich zuzog und ging ins Schlafzimmer.

Zuerst zog er sich selbst etwas Trockenes an. Nach einigem Suchen fand er eine Jogginghose und ein T-Shirt, in dem der schmalere Rafael nicht ersaufen würde.

Die Sachen legte er im Bad aufs Waschbecken und verließ den Raum schnell wieder. Über den Spiegel hatte er mehr von seinem Schwarm zu sehen bekommen, als es in diesem Augenblick gut war.

Als er in der Küche stand, um Kaffee zu kochen, schlug sein Herz noch wie wild in seiner Brust. Was war er nur für ein Schwein! Der Mann in seinem Badezimmer schien offenbar wirklich Probleme zu haben und er starrte Rafael an, als hätte er es ganz besonders nötig.

Gerade stellte er ein paar belegte Brote auf den Küchentisch, als er das Geräusch der sich öffnenden Badezimmertür hörte. Kurz darauf erschien Rafael. Sein Haar war noch feucht.

„Danke für die Klamotten.” Unschlüssig stand Rafael im Türrahmen.

„Kein Problem, gern geschehen. Setz dich ruhig. Ich habe Kaffee gemacht und wenn du Hunger hast, greif ruhig zu.”

Valentin setzte sich ebenfalls an den Tisch, nachdem Rafael Platz genommen hatte.

Eine Weile schwiegen sie, aßen die Brote und wärmten sich mit Kaffee auf.

„Möchtest du mir sagen, was passiert ist? Vielleicht kann ich dir ja helfen”, fragte Valentin in die Stille hinein, die sich unangenehm zwischen ihnen ausbreitete.

Rafael kaute nervös auf seiner Unterlippe herum.

„Mein Vater...er hat mich rausgeschmissen.”

Valentin runzelte die Stirn. Er konnte sich noch schwach an Rafaels Vater erinnern. Ihm war er als netter Mann erschienen, dem seine Familie am Herzen lag.

„Wieso hat er das getan? Hast du Mist gebaut?”

Seufzend sank Rafael in sich zusammen und nickte leicht.

„Denn größten überhaupt. Ich habe jemandem vertraut und bin damit so richtig auf die Schnauze gefallen,”, erklärte Rafael. Valentin verstand nur Bahnhof. Wieso war das ein Grund, sein Kind rauszuwerfen?

„Das musst du mir genauer erklären. Ich versteh überhaupt nichts.”

„Ich...ich hatte bis vor ein paar Monaten jemanden. Auf ihn habe ich mich verlassen, doch er hat mein Vertrauen mit Füßen getreten. Wir waren fast zwei Jahre zusammen. Ich weiß, es ist dumm, jemandem zu glauben er sei treu, der bekannt dafür ist, früher kein Kostverächter gewesen zu sein. Aber ich habe es getan. Bis ich ihn, vor ein paar Monaten, mit einem Kerl erwischt habe. Danach hab ich Schluss gemacht. Nun habe ich vor ein paar Tagen erfahren, dass er...dass er HIV positiv ist. Ich muss mich jetzt auch testen lassen, aber ich habe solchen Schiss davor. Da schützt man sich so lange, vertraut dem Falschen und schon ist das Leben ruiniert”, erzählte Rafael leise und schien wieder kurz davor, in Tränen auszubrechen.

Was ihm Rafael da anvertraute, war harter Tobak. Kein Wunder, dass er so durch den Wind war.

Valentin erhob sich, schob seinen Stuhl näher zu Rafael und setzte sich wieder. Sanft legte er ihm den Arm um die Schulter. Er spürte, wie sehr sein Gegenüber zitterte.

„Das ist echt heftig. Dein Ex ist ein Arschloch. Niemand sollte so mit dem Leben anderer spielen.”

In diesem Moment drückte sich Rafael an ihn, von Weinkrämpfen geschüttelt.

Ohne etwas zu sagen, hielt Valentin ihn fest, strich beruhigend über seinen Rücken und versuchte, ihn zu trösten.

„Hast du keine Angst vor mir? Wegen Ansteckung und so, meine ich?”, fragte Rafael, nachdem er sich beruhigt hatte.

Valentin hielt ihn immer noch, wollte ihm zeigen, dass er für ihn da war.

„Nein, wieso sollte ich? Ich weiß, auf was ich achten muss. Das ist das gute am Medizinstudium. Und bis jetzt steht doch auch noch gar nicht fest, dass du positiv bist. Ich weiß, es ist leicht daher gesagt, aber versuche dich nicht jetzt schon irre zu machen.”

Rafaels dankbarer Blick traf ihn. Schon in der Schule hatte dann jedes Mal sein Herz für einen Schlag ausgesetzt. Scheinbar war es bis heute so. Für ihn war klar, dass er Rafael helfen würde, egal, worum es sich handelte.

„Mein Vater sieht das vollkommen anders. Es war schon schwer genug für ihn eine Schwuchtel als Sohn zu haben. Doch als ich ihm heute von der HIV Sache erzählt habe, ist er ausgerastet. Ich sei selbst schuld, jemand wie ich verdiene nichts anderes. Nun würde ich ihn und alle anderen mit dieser Seuche anstecken. Er habe keinen Sohn mehr. Dann hat er mich ohne irgendetwas auf die Straße gesetzt. Ich habe nur noch das, was ich am Körper trage, mehr nicht.”

In Valentin kam der Wunsch hoch, zu Rafaels Erzeuger zu gehen und ihm zu sagen, was er davon hielt. So ein Verhalten war unglaublich. Sein Sohn bräuchte den Vater nun als Unterstützung an seiner Seite, denn die nächste Zeit würde schwer genug werden.

„Es tut mir echt leid, dass sich dein Vater so idiotisch aufführt. Wenn du willst, kannst du erstmal hier bleiben. Ich hab ein Zimmer, das im Moment leer steht.”

Ungläubig sah ihn Rafael an.

„Ich kann hierbleiben? Wieso? Du musst das nicht tun. Wir kennen uns doch kaum noch.” Seine Lippen bebten.

„Klar, sonst hätte ich es dir nicht angeboten. Mich muss keiner dazu zwingen. Ich tue das, weil ich es will. Weißt du, Rafael, in unserer Schulzeit war ich viel zu schüchtern, um dir das zu sagen, aber ich hätte dich schon damals gerne näher kennengelernt. Ich wäre dumm, wenn ich die Möglichkeit nun ungenutzt verstreichen lassen würde.”

Eine Träne löste sich und lief Rafael über die Wange.

„Ich mochte dich damals auch, aber ich...ich wusste nicht, das du auch auf Männer stehst. Doch jetzt...ich versteh nicht, dass du mich um dich haben willst, wo du doch weißt, dass ich vielleicht eine tödliche Krankheit in mir trage. Keiner will jemanden wie mich in seiner Nähe.”

„Wie ich vorhin schon sagte: ich weiß auf was ich zu achten habe. Denkst du, ich würde dich noch im Arm halten, wenn ich Angst hätte, mich anstecken zu können? Klar ist es wichtig, dass man die Wege kennt, wie es übertragen wird, aber man weiß heute so viel mehr darüber als noch vor einigen Jahren, vor allem, dass man niemanden ausgrenzen sollte. Ich habe einen guten Freund, der ist schon Jahre mit seinem Partner zusammen, obwohl dieser HIV positiv ist. Er hat sich den Virus eingefangen, als er nach einem Unfall im Urlaub eine verseuchte Blutkonserve erhielt. Glaub mir, ich möchte dich besser kennenlernen, egal, was bei dem Test herauskommen wird.”

„Du bist was Besonderes, Valentin. Ich wäre froh, wenn ich jemanden hätte, mit dem ich reden könnte. Meine Freunde sind...die verstehen das sicher nicht. Ich nehme das Angebot an, aber ich kann dir dafür nichts geben. Keine Ahnung, ob mein Vater mich nochmal ins Haus lässt, um meine Sachen zu holen. Mein Sparbuch und alle Unterlagen sind in meinem Zimmer.”

„Mach dir wegen Geld keine Sorgen. Mein Dad unterstützt mich, zahlt die Wohnung und überweist mir monatlich genug, damit ich gut davon leben kann. Ich arbeite in den Semesterferien nur, weil ich mir etwas ansparen möchte und die Arbeit im Schwimmbad Spaß macht.”

„Stimmt, deinem Vater gehört diese erfolgreiche Werbefirma.”

„Genau. Und er möchte, dass ich mich voll und ganz aufs Studium konzentriere. Deshalb fällt die Unterstützung so großzügig aus”, erwiderte Valentin. Leicht drückte er Rafael an seine Seite. „Also, wie sieht es aus? Sind wir nun eine WG?”

Ein leichtes Lächeln huschte über Rafaels Gesicht.

„Ja, sind wir. Aber ich schaue, dass ich mir einen Job suche. Ich will dir und deinem Vater nicht auf der Tasche liegen.”

„Mach das. Aber erstmal klären wir das wichtige ab, danach nimmst du die Jobsuche in Angriff. Mir ist es gerade wichtiger, dass es dir gut geht, als dass du dir wegen Geld Gedanken machst.”

„Es bedeutet mir wirklich viel, dass du mir hilfst. Danke, ich kann einen guten Freund gerade brauchen.”

„Ich bin für dich da. Komm, lass uns ins Wohnzimmer gehen und ein wenig Netflix schauen.”

Wieder schenkte er Valentin ein kleines Lächeln.

„Gute Idee. Das lenkt mich sicher etwas ab.”

Nickend erhob sich Valentin und reichte Rafael die Hand, die dieser zögernd ergriff und aufstand. Wie es schien saß die Angst, jemanden möglicherweise mit einer Berührung infizieren, sehr tief. Valentin hoffe sehr, ihm helfen zu können, diese zu überwinden, egal was auch am Ende für ein Ergebnis herauskommen würde. Als Freund würde er alles dafür tun.

Und wer wusste schon, was die Zukunft brachte? Was ihn betraf, war er für alles offen. Natürlich würde sich ein Traum erfüllen, wenn sich dieser wunderschöne Mann für ihn entscheid. Ihm wurde klar, dass er seit ihrer gemeinsamen Schulzeit alle Männer, die er im Laufe der Jahre kennenlernte, unbewusst mit Rafael verglichen hatte.

Sanft drückte er Rafaels Hand und dirigierte ihn in den angrenzenden Wohnraum.

Schnell war entschieden, dass sie sich einen lustigen Film ansehen würden.

Valentin machte es sich gemütlich und auch Rafael entspannte sich.

Draußen regnete es noch immer, was dazu führte, dass es merklich abkühlte. Als er bei einem Seitenblick auf seinen Gast bemerkte, dass dieser eine Gänsehaut hatte, nahm er die stets bereitliegende Decke und hüllte sie zusammen darin ein.

„Nicht, dass du noch krank wirst”, flüsterte er, als Rafael ihm einen fragenden Blick zuwarf.

Sie saßen so nah beieinander, dass gegen Ende des Films Rafaels Kopf auf Valentins Schulter zum Liegen kam. Sein Atem ging ruhig und regelmäßig. Er war vor Erschöpfung eingeschlafen.

Eine Weile genoss Valentin die Nähe des anderen Körpers.

Dann stand er vorsichtig auf, um Rafael nicht zu wecken und bezog schnell das Bett im Gästezimmer frisch.

Als er zurückkam, hatte Rafael sich auf der Couch zusammengerollt. Er sah so friedlich aus. Nichts wies darauf hin, durch welche Hölle er gerade ging.

Behutsam hob Valentin ihn hoch, trug ihn ins Bett, wo er ihm die Jogginghose auszog. Dann breitete er die dünne Bettdecke über Rafael aus.

„Schlaf gut, Rafael.” Zart strich Valentin ihm über die Wange, stahl sich diesen kleinen Moment, ehe er den Raum verließ und die Tür hinter sich schloss.

Im Flur lehnte er an der Wand und wunderte sich darüber, welch seltsame Wege das Schicksal einzuschlagen pflegte.

Kapitel 2

Schweißgebadet fuhr Rafael hoch. Sein Herz schlug heftig in seiner Brust und Tränen strömten über seine Wangen, die auch nicht versiegen wollten, als er ganz wach war.

Sein Leben war ein einziger Scherbenhaufen. Alles, was er je wollte, stand nun auf der Kippe. Es fühlte sich an, als würde er vor einem tiefen Abgrund stehen, der nur darauf wartete, ihn zu verschlingen.

Nach Hause konnte er nicht gehen. Die meisten seiner Freunde würden sich von ihm abwenden, wenn sie erfuhren, was los war, das stand für Rafael fest. So gut kannte er sie, dass er wusste, dass sie angeekelt das Weite suchen würden. Nach seinem Outing hatten die meisten lange gebraucht, damit klar zu kommen und zu vielen von ihnen veränderte sich danach die Art des Kontaktes.

Er dachte an Tino und schluchzte auf. Für Rafael war er schon in der Schule derjenige, der seine feuchten Träume bestimmte. Allerdings dachte er damals, dass Tino hetero wäre. Dass es ihm ebenso ergangen war wie Rafael, erfüllte ihn kurz mit Freude, ehe sich die dunklen Wolken wieder über alles legten.

Egal, was Tino ihm auch sagte: wenn er wirklich positiv war, würde Tino ihn sicher nicht mehr wollen. Weder eine Freundschaft, noch sonst irgendetwas. Ihn brachte die Angst selbst fast um, diese Krankheit zu haben und möglicherweise jemanden anzustecken. Wieso sollte es Tino, der gesund war, nicht ebenso ergehen? Eine unbedachte Situation und er wäre schuld daran, dass ein weiteres Leben für immer zerstört war.

Aufseufzend schlug er die Decke zurück und sah, dass er nur noch T-Shirt und Boxershorts trug. Die Jogginghose hing neben dem Bett über der Lehne eines Stuhls.

Er stand auf und zog sie an. Das Beste war, wenn er jetzt sofort ging. Das machte es für sie beide leichter.

Wieder schluchzte er auf, sah keine Chance, der Tränenflut Einhalt zu gebieten.

Hinter ihm hörte er ein Geräusch und drehte sich erschrocken um.

Ein verschlafen wirkender Tino stand in der Tür und sah ihn verwirrt an.

„Ist alles okay?” Der Blick, der ihm zugeworfen wurde, zeigte Rafael, wie besorgt Tino war.

„Ich...ich gehe. Ist für alle besser. Du wirst mich auch irgendwann loswerden wollen, da gehe ich lieber freiwillig”, erklärte er leise unter Tränen, den Blick gesenkt.

„Du willst gehen? Jetzt? Es ist Mitten in der Nacht. Und was noch viel wichtiger ist: ich werde dich nicht einfach so gehen lassen.” Langsam kam Tino ins Zimmer und stellte sich vor ihm auf. „Ich bin kein Lügner. Wenn ich etwas verspreche, dann halte ich mich daran. Du brauchst Hilfe und ich bin für dich da, werde dir die Unterstützung geben, die du brauchst. Keine Ahnung was dich dazu bringt, dich so misstrauisch zu verhalten. Bei mir musst du es nicht sein. Du kennst mich, wenn auch nur von früher. Du weißt, dass ich dich mag und gern die Chance hätte, dich besser kennen zu lernen. Ich war bis jetzt ehrlich zu dir, wieso sollte ich nun anfangen, dir etwas vorzumachen?”

Verzweifelt und unendlich müde sank Rafael an Ort und Stelle in sich zusammen und schlug die Hände vors Gesicht.

Sofort war Tino bei ihm. Er spürte, wie sich starke Arme um ihn legten. Wie sollte er jetzt noch die Kraft finden zu gehen? Diese Umarmung vermittelte ihm eine Sicherheit, die er noch nie zuvor empfunden hatte.

„Ich habe solche Angst. Wenn ich diesen Virus in mir trage...dann ist mein Leben zu Ende. Schon jetzt bin ich allein.”

Seine Finger krallten sich in Tinos T-Shirt. Er brauchte den Halt, hatte das Gefühl sonst endlos zu fallen.

„Bin ich denn niemand?”, fragte Tino leise, als er Rafael hochhob und zum Bett trug.

Vorsichtig, als würde er sonst zerbrechen, legte Tino ihn ab und setzte sich, nachdem er ihn zugedeckt hatte, auf die Bettkante.

„Doch...natürlich. Aber wie kannst du mich nicht abstoßend finden...denn ich tue es.”

Überraschend sanfte Finger legten sich unter sein Kinn, hoben es soweit an, dass er in Valentins sanfte braune Augen schaute.

„Du bist NICHT abstoßend! Im Gegenteil, du bist wunderschön. Und du hast ein gutes Herz, Humor, bist schlau und ich bin mir sicher, dass da noch viel mehr ist, was dich zu etwas Besonderem macht.”

So gern er Tino glauben wollte, in seinen Ohren hallten noch die Worte seines Vaters wider: ,Du bist eine Schande für diese Familie, für alle die dich kennen. Niemand wird sich für ein Stück Dreck wie dich interessieren. Keinem bist du wichtig genug, um sein Leben zu riskieren. Verlasse mein Haus. Du bist hier nicht mehr willkommen.'

„Ich will mich nicht einer Hoffnung hingeben, die sich dann in nichts auflöst”, sagte er leise. Sein Widerstand bröckelte. Ihn zog es zu Tino. Er wollte, nein, musste ihm vertrauen.

„Im Augenblick bin ich hier und habe nicht vor, zu verschwinden. Du musst mir jetzt noch nicht vertrauen, das braucht eben Zeit. Aber lass mich für dich da sein.” Tino streckte eine Hand aus und ergriff Rafaels, hielt sie sanft in seiner.

Für diese Nacht würde er seine Angst beiseiteschieben und das Angebot annehmen. Ihm fehlte die Kraft zu widerstehen.

„Würdest du mich dann bitte heute Nacht in den Arm nehmen? Ich...kann nicht allein sein...”, brachte Rafael leise weinend hervor. Es kostete ihn keine große Überwindung das zu tun. Er fühlte sich schwach, doch er wusste, dass Tino das nie ausnützen oder gegen ihn verwenden würde. Dessen liebevolles Lächeln ruhte auf ihm und vermittelte ihm ein gutes Gefühl.

„Natürlich. Wenn du das möchtest, bleibe ich bei dir.”

Er rutschte etwas zur Seite, so dass Tino genügend Platz hatte.

Dieser legte sich neben ihn und zog die Decke über sie.

Plötzlich schüchtern schmiegte er sich an Tino, der den Arm um ihn legte und ihn hielt. Ohne Worte, ohne Hintergedanken. Er war einfach da und für seine verwundete Seele fühlte es sich an, als würde Tino ihn vor der Welt und all ihren Schrecken beschützen.

Es brauchte eine Weile, bis die Tränen weniger wurden und schließlich ganz versiegten.

Den Kopf an Tinos Brust gelegt, lauschte er dem stetigen Herzschlag, wurde ruhiger und konnte sich, zum ersten Mal seit der Hiobsbotschaft, etwas entspannen.

In seinem Kopf tauchten Bilder das jüngeren Valentin auf, wie dieser mit ihm und den anderen aus der Klasse auf dem Schulhof Fußball spielte; wie er im Deutschunterricht ein Referat über die großen Dichter und Denker hielt. Am deutlichsten stand ihm die Szene aus dem Theaterstück vor Augen, in dem Tino den Romeo spielte. In seinen Gedanken war es nicht Emma alias Julia, die Tino küssen durfte, sondern er.

„Geht es besser?”, flüsterte Tino an seinem Ohr und bescherte ihm damit eine wohlige Gänsehaut.

„Ja, viel besser. Danke, dass du hier bist”, erwiderte er ebenso leise.

„Es gibt keinen Ort, an dem ich gerade lieber wäre.” Offen, direkt und ehrlich, das war Tino schon immer gewesen. Auch wenn Rafael noch total aufgewühlt war und kaum einen klaren Gedanken fassen konnte, wusste er, spätestens jetzt, dass er Tino vertrauen konnte. Egal, wie lang sie einander nicht gesehen hatten, wie viel seit ihrer gemeinsamen Teenagerzeit auch geschehen sein mochte, die Kameradschaft von damals hatte überlebt und konnte möglicherweise zu mehr werden. Doch daran sollte er jetzt noch nicht denken. Tinos schützende Arme und wohltuende Nähe waren im Augenblick mehr, als er sich wünschen durfte.

Noch einmal rutschte er näher an Tino heran, schmiegte sich enger an ihn und schloss die Augen. Solange Tino bei ihm war, konnte ihm nichts passieren. Mit diesem Gedanken schlief er ein.

Kapitel 3

Valentin schlug die Augen auf und das erste, was er spürte, war der warme Körper, der sich an ihn schmiegte.

Es tat ihm so leid, dass Rafael gerade durch die Hölle ging. Stumm betete er darum, dass der kommende Test negativ sein würde. Wie er Rafael schon gestern sagte war HIV nichts, was ihn dazu bringen würde, die Flucht zu ergreifen. Natürlich wollte er keinesfalls, dass Rafael damit sein Leben lang zu kämpfen hatte, nur weil er einmal dem Falschen vertraute.

Andererseits hatte sie die mögliche Infektion erst in die Situation gebracht, in der sie sich gerade befanden. Ein zweischneidiges Schwert...

Bevor er aufstand, strich er dem Schlafenden liebevoll durchs Haar.

Auf Zehenspitzen verließ er das Zimmer.

Sein erster Weg führte ihn ins Badezimmer. Nachdem er dort fertig war, begab er sich in die Küche und richtete den Frühstückstisch her.

Er war sehr froh, dass er den heutigen Dienst mit einem Kumpel getauscht hatte, um mal einen freien Sonntag zu haben. Dafür würde er dessen Schicht am Mittwoch übernehmen.

Um nichts in der Welt wollte er Rafael allein lassen.

Er goss gerade den Kaffee in die Thermoskanne, als er das Knarren der Bodendielen im Flur hört und kurz darauf Rafael in der Tür erschien.

„Guten Morgen. Setz dich, das Frühstück ist fertig.” Valentin wies mit der Hand auf den gedeckten Tisch.

„Guten Morgen.” Rafael setzte sich. „Du hättest dir nicht so viel Mühe machen müssen, ein Toast hätte auch gereicht.”

Lächelnd ließ sich Valentin auf seinen Stuhl fallen.

„Ich weiß, aber mir war danach. Selten habe ich die Gelegenheit, jemanden zu verwöhnen. Also, lass es dir schmecken.”

Rafael suchte seinen Blick und kurz blitzten seine Augen glücklich auf.

„Das werde ich. Danke, dass du das alles für mich machst.”

Rafael nahm sich ein Brötchen, schnitt es auf und belegte es mit Wurst und Käse, bevor er hineinbiss. Langsam und bedächtig kauend, sah er sich um.

Valentin schnappte sich ebenfalls ein Brötchen und tat es ihm gleich, auch wenn er den Käse wegließ.

„Das mache ich gern”, erwiderte er und biss herzhaft in die Brötchenhälfte.

Das Frühstück verlief schweigend. Sie hingen ihren Gedanken nach. Es war aber keine unangenehme Stille.

„Was hältst du davon, wenn wir nachher ein bisschen an den See fahren? Das Wetter ist super”, schlug Valentin schließlich vor.

Rafael knetete seine Finger.

„Ich weiß nicht...bin gerade keine gute Gesellschaft. Aber du kannst gerne gehen.”

Valentin hatte mit solcher Antwort gerechnet, aber er würde Rafael nicht so leicht von der Angel lassen.

„Allein macht es aber keinen Spaß und du solltest nicht den ganze Tag in der Wohnung sitzen und Trübsal blasen.”

Seufzend sah ihn sein Gegenüber an.

„Da du wohl keine Ruhe geben wirst, bis ich ja sage, werde ich also mitkommen.”

Grinsend erwiderte Valentin den Blick.

„Es wird dir auch gefallen, da bin ich mir sicher.”

Zusammen räumten sie die Küche auf, packten alles zusammen, was sie für den Tag brauchten und waren schon bald auf dem Weg zum nahen See.

Valentin kannte eine Stelle, an der normalerweise nicht so viel los war, da sie ziemlich versteckt etwas abseits der normalen Wege lag. Dorthin liefen sie und machten es sich auf der mitgebrachten Decke gemütlich.

Trotz der frühen Uhrzeit war es schon richtig warm. Bald würde die Sonne ihre volle Kraft entfalten.

Nachdem er sich eingecremt hatte, reichte er die Sonnencreme an Rafael weiter.

„Nicht, dass wir nachher aussehen wie Grillhähnchen.”

Ein kurzes Lachen entkam Rafael. Der fröhliche Laut ging Valentin durch und durch. Erinnerungen an ihre gemeinsame Schulzeit flammten in ihm auf.

Einige Zeit lagen sie nebeneinander in der Sonne und Rafael schien sich etwas entspannen zu können. Das entlockte Valentin ein erleichtertes Lächeln. Er würde alles tun, um ihn aufzumuntern und für ihn da zu sein.

„Und? Gefällt dir dein Studium?” Rafael guckte ihn interessiert an, als sie sich nach ihrem Sonnenbad ein wenig Obst schmecken ließen.

„Oh ja. Ich bin wirklich froh, dass ich mich für diesen Weg entschieden habe, auch wenn er lange und sehr arbeitsintensiv ist. Es war schon immer mein Traum, Menschen helfen zu können. Nun werde ich in absehbarer Zeit sogar in der Lage sein, Leben zu retten.”

„Du studierst auch, oder?”, fügte Valentin nach einem Moment hinzu.

Sein Gegenüber nickte.

„Pädagogik. Ich möchte später mal in der Jugendhilfe arbeiten.”

„Das finde ich super, es passt zu dir. Du konntest schon früher gut mit Menschen umgehen.”

Wehmütig lächelnd sah Rafael auf das ruhige Wasser des Sees hinaus.

„Mal sehen, wie es weitergehen wird. Ich bezweifle nämlich, dass ich als Positiver noch willkommen sein werde.”

„Du darfst nicht so schwarzsehen. Nicht jeder wird dich ablehnen”, erwiderte Valentin sanft.

Als sich Rafael ihm zuwandte, konnte er die Tränen sehen, die ihm über die Wangen kullerten.

Sofort war er bei ihm, drückte ihn an sich. So war es eigentlich nicht geplant. Es sollte ein fröhlicher Nachmittag werden und nun brachte er Rafael schon wieder zum Weinen.

Rafael schlang die Arme um ihn und brauchte eine Weile, um sich zu beruhigen.

„Entschuldige. Ich bin echt eine Heulsuse.”

Liebevoll strich Valentin ihm eine letzte Träne fort.

„Es gibt nichts zu entschuldigen, Rafael. Die ganze Situation ist nicht leicht für dich. Aber ich bin da für dich...immer.”

Ihm war es, als wollte Rafael etwas sagen, doch als dieser schwieg fuhr er fort, ihm beruhigend über den Rücken zu streichen.

Der Tag wurde dann doch noch recht angenehm. Sie schwammen viel, unterhielten sich über Gott und die Welt und mieden verfängliche Themen. Als sie am Abend alles zusammenpackten war es für Valentin, als wären die vergangenen Jahre auf einige Tage zusammengeschmolzen. Sie waren sogar vertrauter miteinander wie damals.

Auf dem Rückweg zu seinem Wagen sah ihn Rafael ein paarmal aus dem Augenwinkel an und ließ dann zögerlich seine Hand in Valentins gleiten. Er musste sich beherrschen, um nicht wie ein grenzdebiler Vollidiot zu grinsen, so sehr freute es ihn, dass Rafael seine Nähe auch in der Öffentlichkeit suchte.

Zurück in der Wohnung begab sich Valentin in die Küche, um ihnen etwas Leckeres zu zaubern und Rafael verschwand im Badezimmer.

Morgen würde, aufgrund der Blutentnahme für den HIV-Test, ein schwerer Tag für Rafael werden, daher wollte er ihn heute so gut ablenken wie nur möglich.

Zu den Klängen der neusten Popsongs wirbelte er durch die Küche, nachdem er mit seinem Chef telefoniert und abgeklärt hatte, dass er sich aufgrund eines Notfalls den Montag freinehmen musste.

Gerade schmeckte er die Soße ein letztes Mal ab, als er hörte, dass Rafael den Raum betrat.

Lächelnd drehte er sich um.

„Danke für den schönen Tag.” Rafael kam langsam auf ihn zu. „Er hat mir vor Augen geführt, wieso ich mich als Teenager so magisch von dir angezogen fühlte.”

Wie selbstverständlich schmiegte er sich an Valentin, der sofort die Arme um ihn schlang.

„Ich muss mich bedanken. Seit langem gab es niemanden, dessen Gegenwart ich so genossen habe wie deine. Es ist schön, dich hier bei mir zu haben.”

Rafael hob den Kopf. Ihre Blicke trafen sich, verhakten sich miteinander. Jede Sekunde, die sie sich schweigend ansahen, verstärkte in Valentin den Wunsch, diesen wundervollen Mann nie wieder gehen zu lassen. Zu gern hätte er seine Lippen auf Rafaels gelegt, doch er wollte den emotionalen Ausnahmezustand, in dem sich sein Gegenüber im Augenblick befand, nicht ausnutzen. Deshalb begnügte er sich mit der Umarmung.

Rafael flüsterte: „Es ist irgendwie, als wären nicht Jahre ins Land gezogen, sondern nur Wochen. Bei dir fühle ich mich, trotz diesem ganzen Mist, gut und geborgen. Du gibst so viel, ohne dass du dafür etwas verlangst. Noch nie habe ich jemanden gekannt, der so ist. Ich hoffe, dass ich Gelegenheit bekomme, jeden Aspekt von dir kennenzulernen.”

Valentin konnte nicht anders und fuhr mit den Fingern durch Rafaels seidigen Haarschopf.

„Wenn es nach mir geht, auf jeden Fall. Ich meinte es zu hundert Prozent ernst als ich dir sagte, dass ich dich um mich haben will”, bekräftigte Valentin sanft, ohne den Blickkontakt abzubrechen.

Unendlich langsam näherte sich Rafaels Gesicht, bis nur noch wenige Zentimeter sie trennten.

„Das musst du nicht tun”, hauchte Valentin kaum hörbar.

„Ich weiß”, erwiderte Rafael, überbrückte die letzte Distanz und küsste ihn zärtlich.

Rafaels Geschmack war überwältigend, die Lippen so unendlich weich und sein Geruch, der Valentin in die Nase stieg, ließ sein Denken aussetzen. Es gab nur noch Gefühle.

Fast schüchtern lächelte Rafael ihn an, als sie den Kuss nach gefühlten Sekunden lösten.

„Entschuldige. Ich wollte dich nicht überrumpeln”, erklärte er, was Valentin schmunzeln ließ.

„Von dir lasse ich mich nur zu gerne überrumpeln.”

Kapitel 4

So schön der gestrige Tag auch verlaufen war, erfolgte das nächste Erwachen mit Grausen.

Mit einem unterdrückten Aufschrei schreckte Rafael aus dem Schlaf hoch. Tino, der neben ihm lag, war daraufhin ebenfalls hellwach.

Er kümmerte sich liebevoll um Rafael, sagte kein Wort, sondern hielt ihn nur.

Auch wenn Rafael nicht verstand, womit er es verdiente, dass dieser Mann ihn mochte, war er darüber unendlich dankbar.

Ihren Kuss würde er so schnell nicht vergessen. Küssen hatte ihn nie zuvor so überwältigt.

Möglicherweise war das ein Zeichen dafür, dass dieses Mal der Richtige in seinen Armen lag.

Er wünschte es sich.

Doch zuvor musste er diesen und die kommenden Tage überstehen.

Valentin ließ es sich nicht nehmen, ihn zum Arzt zu begleiten, blieb die ganze Zeit über bei ihm und hielt seine Hand, als ihm Blut abgenommen wurde.

„Lass uns etwas spazieren gehen”, schlug Tino vor, als sie die Praxis verlassen hatten und vor dem Gebäude in der Sonne standen.

Mechanisch nickte er und ließ sich zu einem nahegelegenen Park führen.

Die ganze Zeit über hielt Tino seine Hand.

„Wie fühlst du dich?”, fragte Tino und erst da bemerkte Rafael, dass sie auf einer Bank am Ufer des kleinen Sees inmitten des Parks saßen.

Auf einer Wiese in ihrer Nähe spielte eine Gruppe junger Leute Fußball und auf dem Spielplatz daneben amüsierten sich Kinder, lachten und freuten sich ihres Lebens.

„Wenn ich ehrlich bin, weiß ich es nicht. Einerseits ist da die Hoffnung, dass alles gut wird und andererseits stelle ich mir vor, wie mein Leben verlaufen wird, wenn nächste Woche um diese Zeit das positive Ergebnis des Tests feststeht.”

Mitfühlend legte Tino den Arm um seine Schulter und er kuschelte sich dankbar an diesen unglaublichen Mann, der so selbstlos für ihn da war und ihm mehr Kraft gab als er ahnte.

„Bewahre dir die Hoffnung, denn selbst wenn das Resultat erstmal ein Schlag ist, bedeutet es nicht das Ende der Welt. Du hast so viele Möglichkeiten der Behandlung, dass dein Leben fast normal weitergehen wird. Und ich werde da sein, egal, was nächste Woche auch herauskommen mag. Mich interessiert dieser Virus nur bedingt, denn du bist mir viel wichtiger.”

Behutsam legte Tino seine Lippen auf seine und nur zu gern erwiderte er den Kuss. Er riss ihn aus seinen wirbelnden Gedanken und seiner Angst, ließ ihn daran glauben, dass seine Zukunft trotz allem schön sein konnte.

„Du weißt gar nicht, wie viel es mir bedeutet, dass du bei mir bist”, verriet er leise und genoss es, Tinos Körper an seinem zu spüren.

„Ich tue es ja nicht nur für dich, denn deine Nähe tut mir auch gut. Also ist es schon ein wenig eigennützig.”

Die sommerliche Hitze begann schon zu drücken. Bald würde man es in der direkten Sonne kaum noch aushalten. Am Himmel war keine einzige Wolke zu sehen.

„Würdest du mich begleiten, wenn ich versuche, meine Sachen aus meinem Elternhaus zu holen?”

„Natürlich. Möchtest du es gleich heute machen?”

Rafael nickte zustimmend.

„Je schneller, desto besser. Denn egal, was am Montag rauskommt, nach Hause werde ich nicht mehr zurückgehen.”

„Das kann ich gut verstehen. Du bleibst erstmal bei mir, dann kannst du immer noch überlegen, was du machen möchtest.”

Auf der Fahrt zu dem Haus, in dem er seine Kindheit verbracht hatte, kroch Unsicherheit in ihm hoch. Was würde passieren, wenn sein Vater zu Hause war?

Tinos Hand legte sich auf seine, die auf seinem Oberschenkel lag und drückte sanft zu.

„Es klappt sicher alles reibungslos. Ich bin ja dabei.”

Rafael lächelte dankbar.

Wieso hatte er Tino nicht schon vor seiner letzten Beziehung wiedersehen können? Ihm wäre all das erspart geblieben, denn Tino war nicht wie sein Ex, würde ihm so etwas nie zumuten.

„Wir sind da.” Tino stellte den Motor ab.

Tief durchatmend ließ er seinen Blick an der Fassade emporwandern. Seit dem Tod seiner Mutter war es nicht mehr dasselbe gewesen, denn die Wärme und Zuneigung war mit ihr gestorben.

Er stieg aus, holte seinen Schlüssel aus der Tasche und öffnete die Haustür. Sein Vater hatte die Schlösser noch nicht austauschen lassen. Immerhin etwas.

Zusammen mit Tino eilte er zu seinen Räumen.

Schnell waren die Koffer und Taschen gepackt. Er nahm nur seine Lieblingskleidung und die wichtigsten Erinnerungstücke mit. Und natürlich alle Ordner mit seinen Unterlagen.

Kurz stand er in seinem Schlafzimmer, umgeben von den wenigen Habseligkeiten und fragte sich etwas deprimiert, ob das wirklich seine ganze Existenz sein konnte.

Doch dann trat Tino an seine Seite und verdrängte die trüben Gedanken. Vielleicht lag sein Leben, das Schöne, noch vor ihm und man würde gemeinsame Erinnerungen schaffen.

„Bist du fertig?”

„Ja. Hier ist sonst nichts mehr, was mir wichtig wäre.”

Schwer bepackt gingen sie die Treppe hinunter und waren schon auf dem Weg zur Haustür, als diese geöffnet wurde und sein Vater in den Flur trat.

Wütend funkelte er Rafael an.

„Du wagst es, dich hier blicken zu lassen?”, schleuderte sein Vater ihm entgegen und machte drohend einen Schritt auf ihn zu, fast so, als würde er ihn gleich schlagen wollen.

Im Gegensatz zu ihrem letzten Aufeinandertreffen war er heute jedoch nicht allein.
Tino stellte sich seinem Vater entschlossen in den Weg. Mit knappen eins siebzig war sein Vater deutlich kleiner als Tino, dazu weniger muskulös gebaut.

„Rafael ist Ihr Sohn! Er hat jedes Recht hier zu sein. Also wagen Sie es nicht, ihn anzugreifen.”

Irritiert guckte sein Vater Tino an, fing sich aber leider schnell wieder.

„Wer sind Sie, mir in meinen eigenen vier Wänden vorzuschreiben, was ich sagen und tun darf? Da hat mein Sohn wohl schon wieder einen neuen Stecher. Er wird einfach nicht schlauer...aber was will man von einer Schwuchtel wie ihm auch erw...” Weiter kam sein Vater nicht, da Tino so dicht an ihn heran trat, dass kaum ein paar Zentimeter zwischen ihnen blieben und von oben auf ihn herab sah.

„Ich bin jemand, dem Ihr Sohn wichtig ist. Ihnen ist er ja egal. Sie sind eine Schande. Jemand wie Sie hat in meinen Augen das Recht verwirkt, sich Vater nennen zu dürfen.” Tino hob die Hand und pikste seinem Vater unsanft in die Brust. „Noch einmal eine Beleidigung aus Ihrem Mund in Richtung Ihres Kindes und ich vergesse meine gute Kinderstube! Haben Sie mich verstanden?”

„Ja...verstanden”, stieß sein Vater mit deutlichem Widerwillen hervor.

„Gut.” Lächelnd sah Tino Rafael an. „Komm, lass uns gehen.”

Rafaels Herz pochte noch wie wild, als sie Tinos Auto erreichten. Dort stellte er alles ab, schlang die Arme um Tino und hauchte ihm einen Kuss auf die Lippen.

„Ich danke dir. Das war unglaublich. Noch nie hat sich jemand meinem Vater so entgegen gestellt...für mich.”

Ein Koffer kippte zur Seite und eine der Taschen landete mit einem dumpfen Geräusch auf dem Asphalt, als Tino sie losließ, um die Umarmung zu erwidern.

„Für die, die mir etwas bedeuten, setze ich mich ein. Und du bist mir wichtig. Keiner hat das Recht dich zu beleidigen oder zu bedrohen.”

Gemeinsam brachten sie seine Sachen in Tinos Gästezimmer unter.

Während er ein paar Dinge auspackte, die er in nächster Zeit benötigen würde, verschwand Tino. Nach einigen Momenten hörte er in der Küche Geschirr klappern.

Lächelnd erschien Tino nach einem Weilchen in der Tür und hielt ihm die Hand hin. „Komm, für heute hast du genug gemacht.”

Rafael ging zu ihm und legte seine Hand in Tinos.

Dieser führte ihn durchs Wohnzimmer und auf den kleinen Balkon, der mittlerweile größtenteils im Schatten lag, so dass es trotz strahlenden Sonnenscheins angenehm war, sich dort längere Zeit aufzuhalten.

Auf dem Boden hatte Tino eine Decke ausgebreitet. Darauf stand ein Korb mit frischen Erdbeeren und eine große Schale Eis mit zwei Löffeln.

„Für den Strand oder den Park ist es zu heiß, da würden wir eingehen. Deshalb dachte ich mir, wir machen hier ein kleines Picknick. Was meinst du?” Fragend sah Tino ihn an.

„Ich finde, dass du ein klein bisschen verrückt bist. Aber mir gefällt es.” Breit grinste er sein Gegenüber an, ließ offen, ob er von Tino oder der kleinen Überraschung sprach.

Sie ließen sich nieder, jeder auf einer Seite des Korbes. Das Gefühl von Geborgenheit, das er in Tinos Nähe verspürte, verstärkte sich immer mehr.

Schweigend und sich nicht aus den Augen lassend, verspeisten sie das Eis und fütterten sich anschließend mit den Erdbeeren.

Tino besaß eine romantische Ader, die er auch nicht zu verbergen suchte. Das hatte Rafael in seinen früheren Beziehungen vermisst. Oft war es nur um das eine gegangen. Er mochte Sex, aber wenn das die Grundlage einer Beziehung darstellte, war diese von Beginn an zum Scheitern verurteilt. Doch Tino tickte da ganz anders. Im Augenblick waren sie nur Freunde, die ihre Nähe genossen, kleine Zärtlichkeiten und Küsse austauschten und trotzdem bemühte sich Tino um ihn, zeigte ihm, dass er wichtig für ihn war.

Wenn er jemals wieder eine Beziehung einging, dann mit Tino oder zumindest einem Mann, der so war wie dieser. Er hatte aufgegeben, an Wunder zu glauben. Noch mochte Tino Interesse haben, aber was würde sein, wenn der Sommer, die Hitze und die Zeit für überbrodelnde Gefühle vorbei war? Der Alltag Einzug hielt und Rafael womöglich einem vollkommen anderen Leben entgegen sah, als er es sich erträumte? Das Damoklesschwert, das über ihm schwebte, machte ihm das Herz schwer.

Tino, der mittlerweile neben ihm saß, schob sich hinter ihn, zog ihn an seine breite Brust und hielt ihn einfach nur fest.

Zärtlich hauchte er Rafael Küsschen in den Nacken. Erschaudernd schmiegte er sich an Tino, ergab sich dem guten Gefühl, dass die Angst, die ihn wahrscheinlich noch eine Weile verfolgen würde, in den Hintergrund drängte.

„Danke.” Das war alles was er sagen konnte. Mehr musste er auch nicht sagen.

Tino wusste, wie es in ihm aussah, wie aufgewühlt seine Emotionen waren.

Das Wichtigste für ihn war, zu wissen, dass er nicht allein und jemandem wichtig war.

Und das vermittelte ihm Tino immerzu.

Kapitel 5

Die Woche verging nur schleppend.

Während Valentin arbeiten musste, konnte Rafael dennoch in seiner Nähe sein. Zuhause war jenem die Decke auf den Kopf gefallen, denn allein sein fiel ihm begreiflicherweise schwer.

Deshalb hatte Valentin dafür gesorgt, dass Rafael eine Dauereintrittskarte fürs Schwimmbad erhielt.

So wurde er abgelenkt und konnte das sommerliche Wetter trotz allem ein bisschen genießen.

Nach Feierabend und abends gingen sie manchmal aus oder machten es sich auf der Couch gemütlich. Ihr Filmgeschmack war ähnlich, so fand sich immer etwas, das sie sich gemeinsam ansehen wollten. Zumeist schaffte er es ganz gut, Rafael von den trüben Gedanken abzulenken.

Im Augenblick saßen sie im Wohnzimmer, Rafael zwischen seinen Beinen, an ihn gelehnt und schauten sich eine romantische Komödie an.

Rafael war besonders anschmiegsam und Valentin der Grund dafür bewusst. Morgen früh erfuhr er, ob er infiziert war oder nicht. Dieser Montag würde entweder sein Glückstag oder der Beginn eines langen Weges werden, der ihm bestimmt viel abverlangte.

Valentin war es im Prinzip egal, ob der Mann, den er ihm Arm hielt und am liebsten nie wieder losgelassen hätte, ein positives oder ein negatives Ergebnis erhielt. Doch für Rafael, für dessen Seelenfrieden, betete er natürlich seit Tagen darum, dass das Testresultat negativ ausfiel.

In dieser Nacht schliefen sie nicht gut. Rafael wälzte sich, von Alpträumen geplagt, hin und her und Valentin machte sich zu viele Sorgen um den Mann an seiner Seite, als dass er auch nur ein Auge zu bekommen hätte.

Nur wenn er Rafael streichelte, wurde dieser ruhiger.

Wie gerädert stand er am nächsten Morgen, frisch geduscht und angezogen, in der Küche und machte Kaffee.

Rafael war unterdessen im Badezimmer.

Nach einem Frühstück, das nur aus dem koffeinhaltigen Getränk bestand, verließen sie die Wohnung und fuhren zur Arztpraxis.

Hibbelig saß Rafael neben ihm auf einem unbequemen Plastikstuhl im Wartezimmer, während sie darauf fieberten, aufgerufen zu werden. Die ganze Zeit über hielt er Rafaels Hand.

Die Sprechstundenhilfe erschien und brachte sie ins Besprechungszimmer des Arztes. Trotz der Einwände, als sie bemerkte, dass Valentin ihn begleiten wollte, ließ sich Rafael nicht davon abbringen. Er brauchte Valentin bei sich und der wollte nirgendwo anders sein als hier.

„Mein Herz springt mir gleich aus der Brust”, flüsterte er, als sie erneut im Arztzimmer warteten mussten.

Liebevoll strich Valentin ihm über die Wange.

„Ich weiß, aber ich bin da für dich, egal was ist und werde nirgendwo hingehen.”

Der Arzt begrüßte sie freundlich und setze sich ihnen gegenüber hin

„Guten Morgen Herr Avens. Die Testergebnisse sind da und ich möchte Sie auch gar nicht weiter auf die Folter spannen. Es freut mich, ihnen mitteilen zu können, das das Ergebnis negativ ist. Es konnten keine Antikörper nachgewiesen werden.”

Rafaels Hand zitterte stark, woraufhin Valentin sie noch fester hielt.

In seinem Gesicht spiegelte sich unendliche Freude.

„Ich danke Ihnen, danke!”, stieß Rafael hervor und sah vom Arzt zu Valentin. „Oh Gott Tino, ich bin gesund.”

Euphorisch zog Rafael ihn aus dem Raum, schien es kaum begreifen zu können.

Selbst als sie kurz darauf unten vor dem Haus standen, war sein Gegenüber weiterhin unfähig, etwas zu sagen.

Der Anblick von Rafaels strahlender Miene freute Valentin ungemein und war so viel besser, als die ständige Angst in dessen Augen zu sehen.

„Gerade könnte ich schreien, lachen, weinen, Bäume ausreißen und wie wild durch die Gegend springen und das alles gleichzeitig.”, brachte Rafael atemlos, wie nach einem Sprint, hervor.

Leise lachte Valentin auf.

„Dann tue es. Ich werde dich nicht aufhalten.” Zwinkernd küsste er Rafaels Nasenspitze.

„Genau, und dann holen sie die netten Männer mit den Hab-mich-lieb-Jacken und ich lande in einem gepolsterten Zimmerchen. Ne, kein Interesse. Ich bleibe lieber bei dir.” Mit einem seltsamen Blick betrachtete Rafael ihn und senkte dann den Mund auf seinen.

„Niemals würde ich zulassen, dass einer dich mir wegnimmt. Schließlich habe ich dich nach all den Jahren endlich wiedergefunden”, flüsterte Valentin dicht an den wundervollen Lippen, die er so gern küsste.

„Du bist so süß, weißt du das? Ich möchte dich noch besser kennen lernen, sehen, wohin das mit uns führt. Nun schwebt ja kein Damoklesschwert mehr über mir. Ich kann mich auf etwas einlassen, ohne diese Angst im Hinterkopf zu haben, jemanden möglicherweise anzustecken.”

Man sah Rafael an, wie groß die Last war, die nun von seinen Schultern genommen worden war.

„Was hältst du davon, wenn ich dich heute Abend, zur Feier des Tages, zum Essen einlade?”

„Das wäre toll. Und jetzt gehen wir an den See. Einverstanden?”

„Auf jeden Fall bin ich dabei.”

Gesagt, getan. Eine Stunde später richteten sie sich am Seeufer häuslich ein.

„Irgendwie ist alles leuchtender, schöner”, fand Rafael, als er sich auf das große Handtuch setzte.

„Du hast erst jetzt wirklich den Kopf dafür, es richtig zu genießen.”

Lächelnd schmiegte sich Rafael an ihn und er konnte nicht anders, legte ihm den Arm um die Schulter und drückte ihn an sich.

„Das ist wahr. Diese ganze Sache ist mir eine Lehre. Blindes Vertrauen, vor allem wenn man weiß oder ahnt, dass der andere nicht treu ist, kann einen die Gesundheit kosten.” Rafaels sanfter Blick suchte seinen. „Ich weiß, das zerstört wahrscheinlich gleich die Stimmung, aber ich möchte ehrlich mit dir sein und es soll nichts zwischen uns stehen. Ich fühle mich sehr zu dir hingezogen, das weißt du, aber ich kann und will mich nicht kopflos in eine Beziehung stürzen. Es liegt nicht an dir. Ich hoffe du verstehst das. Und wenn das mit uns ernster wird, über küssen und berühren hinausgeht, dann möchte ich, dass du dich auch testen lässt.”

„Du ruinierst hier überhaupt nichts. Für mich ist es vollkommen okay, dass wir uns Zeit lassen. Ehrlich gesagt hätte ich es schon seltsam gefunden, wenn du zu schnell zu viel gewollt hättest, vor allem nach der Sache mit deinem Ex. Du bist bei mir, wir genießen unsere Nähe. Das reicht mir fürs erste. Und was den Test angeht: Ich lasse den regelmäßig machen. Nicht, weil ich ein so reges Sexleben hätte, sondern weil ich auf Nummer sicher gehen will. Der nächste Test stünde sowieso bald an”, erklärte Valentin.

„Du bist echt der Beste. Ein Glück, dass du mich an diesem Tag gefunden und mit zu dir genommen hast. Vielleicht war es ja sogar so etwas wie Schicksal.”

Ja, es musste tatsächlich eine schicksalhafte Fügung gewesen sein und Valentin dankte dem Universum dafür.

„Ich glaube ganz fest daran”, gab Valentin zurück und küsste ihn.

„Komm, lass uns eine Runde schwimmen”, rief Rafael, sprang auf und zog einen grinsenden Valentin mit sich ins Wasser. So ausgelassen war Rafael früher immer gewesen. Schön, dass dieser Teil von ihm nun wieder zu Tage trat.

Zusammen verbrachten sie eine tolle Zeit am See, lachten viel und unterhielten sich über alles Mögliche.

Am Abend führte er Rafael nobel aus und anschließend ließen sie den Tag, bei einem Spaziergang im Schein der Sterne und des Mondes, ausklingen. Nie zuvor hatte er etwas Romantischeres erlebt.

Die Tage verstrichen.

Natürlich musste Valentin arbeiten, Rafael war aber trotzdem in seiner Nähe.

An den Abenden blieben sie meistens zu Hause, grillten auf dem Balkon und fühlten sich unglaublich wohl in ihrer Gesellschaft.

Für Valentin wurde es immer schwerer sich vorzustellen, wie es gewesen war, bevor Rafael wieder in sein Leben trat. Jede Nacht schliefen sie aneinander gekuschelt ein und wachten jeden Morgen zusammen auf.

Nach ein paar Wochen fühlte es sich so an, als wäre es schon ewig so.

Valentin schwebte wie auf Wolken. Im Hinterkopf blieb jedoch die Sorge, dass sich alles in Wohlgefallen auflösen könnte; ein heißer Sommerflirt, der endete, sobald die ersten kühlen Tage heraufzogen.

Rafael hatte nichts mehr gesagt, was ihren Beziehungsstatus anging, schien voll und ganz mit der lockeren Atmosphäre zwischen ihnen zufrieden zu sein.

Noch würde er ein bisschen abwarten, wollte es nicht ansprechen, da er Rafael nicht unter Druck setzen wollte. Gerade erst hatte der sich mit seinem Vater, nach einem langen und heftigen Streit, bei dem Valentin mehr wie einmal an sich halten musste, um nicht auf den Kerl loszugehen, darauf geeinigt, dass Rafael bis zum Ende des Studiums finanzielle Unterstützung erhielt. Vermutlich sollte keiner denken, er würde seinen Sohn schlecht behandeln.

Gemeinsam saßen sie am Freitagabend in der Küche am Esstisch und ließen sich die Spagetti mit Meeresfrüchten schmecken, die Rafael gezaubert hatte. Mit einem so guten Koch zusammen zu wohnen war eine Herausforderung für ihn, schließlich wollte er sich nicht irgendwann nur noch rollend fortbewegen.

„Du wärst sicher der Traumschwiegersohn für meine Mutter, denn so wüsste sie, dass ich auch anständig esse”, erklärte Valentin grinsend und nippte an seinem Wein.

„Sie kennt mich doch gar nicht. Vielleicht bin ich für ihren Sohn überhaupt nicht gut.”

Valentin runzelte die Stirn.

„Wie kommst du denn darauf?”

„Keine Ahnung. Es ist aber eine Tatsache, dass ich oft dumme Entscheidungen treffe.” Rafael sah von seinem Teller auf. „Lass uns über etwas anderes reden. Okay?!”

Zaghaft nickend stimmte Valentin zu. Was ging nur in Rafael vor, dass er so etwas dachte? Eine dunkle Ahnung griff nach seinem Herz. War das nun das von ihm gefürchtete Ende?

Nachdem sie das Geschirr abgewaschen und aufgeräumt hatten, setzten sie sich auf die Couch. Rafael schmiegte sich wie immer an ihn, aber irgendetwas war anders.

„Morgen Nachmittag kommen meine Eltern vorbei”, sagte Valentin leise. Eigentlich sollte es der Tag werden, an dem sich die wichtigsten Menschen in seinem Leben kennen lernten. Doch sein Plan schien zu einem unpassenden Zeitpunkt zu kommen.

„Was? Wieso hast du mir das nicht vorher gesagt?”

„Weil meine Mutter und ich das erst gestern beschlossen haben und ich dich damit überraschen wollte.”

„Das ist dir gelungen.” Rafael setzte sich etwas auf.

In unangenehmem Schweigen saßen sie beisammen und sahen weiter fern.

Na, das würde ein toller Tag werden.

Kapitel 6

„Kann ich mich deinen Eltern so präsentieren?”, fragte Rafael und sah in den Spiegel. Er trug seine beste Jeans und ein dunkles T-Shirt.

„Klar, du siehst gut aus.”

Die Stimmung zwischen ihnen hatte sich seit dem vorigen Abend normalisiert, aber trotz allem fühlte sich Rafael nicht wohl in seiner Haut.

Was, wenn sie ihn nicht mochten? Tino liebte seine Familie und würde sich sicher nicht mit ihnen streiten, schon gar nicht wegen ihm.

Er verspürte solche Angst davor, dass Tino ihn abservieren könnte, dass er nichts ansprach, was mit ihrer Beziehung zu tun hatte.

Das Läuten der Türglocke ließ ihn zusammenzucken.

Einige Augenblicke später öffnete Tino die Tür. Der Mann, der davor stand, sah aus wie Tino, nur älter. An Tinos Vaters Seite eine Frau, die ein sanftes Gesicht und die gleichen unglaublichen Augen hatte wie Tino.

Nervös trat er neben Valentin und begrüßte die beiden:

„Guten Tag. Ich bin Rafael, Valentins...Mitbewohner.”

Seine Eltern tauschten einen verwunderten Blick, begrüßten ihn dann ebenfalls.

Auf Rafael wirkten sie freundlich, daher entspannte er sich allmählich, während sie den Kuchen aßen, den Tinos Mutter mitgebracht hatte. Nach einer Weile waren sie schon per du.

„Du magst meinen Sohn?” Tinos Vater sah ihn fragend an. Sie befanden sich allein im Wohnzimmer. Tino und seine Mutter waren in der Küche zugange.

„Ich...also...ja. Tino bedeutet mir viel”, gestand er leise und betrachtete seine Füße.

„Er mag dich auf jeden Fall. Noch nie hat er uns so viel von jemandem erzählt und was noch wichtiger ist: du bist der erste, den er uns vorstellt.” Ein wissendes Lächeln huschte über das Gesicht, das Tinos so glich. „Valentin verschenkt sein Herz nicht leichtfertig. Wenn, dann ist es ihm sehr ernst. Tue ihm bitte nicht weh”, bat Tinos Vater eindringlich.

Er saß wie zur Salzsäule erstarrt da. Das hatte er nicht erwartet.

„Das habe ich nicht vor, dafür empfinde ich zu viel für ihn.”

„Gut, das war die richtige Antwort. Meine Frau und ich wünschen uns schon so lange einen Mann an seiner Seite, der so ist wie du: freundlich und zuvorkommend. Und mit einem großen Herz.” Tinos Vater trank einen Schluck Kaffee, bevor er weitersprach: „Tino hat uns ein wenig über die Probleme mit deinem Vater berichtet. Wenn du Hilfe brauchst oder jemanden zum Reden, dann scheue nicht davor zurück, zu uns zu kommen. Denn wie es scheint, wirst du wohl bald zur Familie gehören.” Er zwinkerte vielsagend.

Der restliche Nachmittag verlief angenehm. Auch zu Tinos Mutter fand er schnell einen Draht.

Deshalb bedauerte er es, als sie aufbrachen. Andererseits wollte er endlich allein mit Tino sprechen.

Sie winkten den beiden vom Balkon aus noch zu, als sie wegfuhren.

Tino wollte sich schon abwenden, als ihn Rafael am Arm festhielt.

„Tino, ich muss mit dir reden.”

„Worüber denn? Darüber, dass ich in das mit uns zu viel hinein interpretiert habe? Das habe ich eingesehen. Deine Reaktion gestern war eindeutig. Wir sind wohl nicht mehr als Mitbewohner, die sich ab und zu küssen.”

„Jetzt hör mir doch zu, verdammt! Ja, ich habe komisch reagiert, aber nur weil ich Angst hatte, dass du mich bald abservieren könntest. Das mit dir...mit uns ist so schön, viel zu schön. Ich dachte, der Traum wäre spätestens am Ende des Sommers vorbei. Doch als dein Vater mir heute sagte, dass du ihnen so viel von mir erzählt hast und ich der erste bin, den du deinen Eltern vorstellst, da wurde mir klar, dass das alles kein Traum ist, der zerplatzen wird, sondern der Anfang von etwas wunderschönem.”

Ungläubig sah Tino ihn an.

„Du bist ein Idiot, Rafael. Ich, verdammt nochmal, ich bin verliebt in dich, bis über beide Ohren. Siehst du das denn nicht?”

„Manchmal bin ich wohl etwas schwer von Begriff. Denn ich liebe dich auch.” Seine Hand legte sich in Tinos Nacken und zog ihn sanft zu sich. „Ich möchte nichts mehr, als mit dir zusammen zu sein, so richtig. Kannst du dir vorstellen, mich länger an der Backe zu haben?”

Grinsend nickte Tino.

„Das möchte ich auch. Also bist du dann mein Freund oder immer noch nur mein Mitbewohner mit Extras?”

Laut lachend umschlang Rafael Tino und küsste ihn verzehrend.

„Ich werde dein Partner sein, der Mann mit dem du alles teilst und den du nicht mehr loswirst.”

Er löste die Umarmung, griff nach Tinos Hand und zog ihn mit sich ins Schlafzimmer.

Mit großen Augen sah Tino dabei zu, wie er sich auszog. Auch als er anfing, Tino zu entkleiden, rührte sich dieser nicht.

„Muss ich denn alles allein machen?” Verschmitzt sah er Tino an und da kam endlich Bewegung in den halbnackten Mann.

Gleich darauf wälzten sie sich in den Laken, bekamen nicht genug davon, einander zu berühren. Zu lange staute sich ihr beider Verlangen schon auf.

Schwer atmend hielt Tino jedoch inne.

„Bist du dir ganz sicher, wir müssen nicht...”

„Ja, bin ich und doch, genau das müssen wir, sonst werde ich nämlich noch wahnsinnig vor Lust.”

Rafael griff zum Nachttisch, nahm die Tube Gleitgel, die dort bereit lag und reichte sie dem Mann, den er mehr liebte und begehrte als irgendjemanden zuvor. „Ich muss dich spüren.”

Vor einigen Wochen hätte er nicht gedacht, hier nun mit Tino zu liegen, drauf und dran, ihn auf die intimste aller Arten zu spüren und keine Angst zu empfinden. Doch mit ihm war es anders, als mit seinem Ex. Tino vertraute er, auch weil dieser sich erst vor zwei Wochen testen hat lassen. Beide waren sie negativ, konnten diesen Moment also voll und ganz genießen.

Übers ganze Gesicht strahlend nahm Tino ihm die Tube ab.

Jeden Augenblick dessen, was Tino mit ihm machte, um ihn vorzubereiten, genoss er in vollen Zügen. Bis in die Haarspitzen erregt wartete er darauf, dass Tino ihn endlich nahm, zu dem seinen machte.

Unendlich langsam und sanft schob Tino sich in ihn, ließ ihm Zeit, sich an den großen Schwanz zu gewöhnen. Nach einem kurzen Brennen war da nur noch Erregung.

So schön war es zuvor nie gewesen. Gerade sein Ex war mehr darauf bedacht, seine eigene Lust zu befriedigen, als dafür zu sorgen, dass auch Rafael auf seine Kosten kam.

Tino hingegen schien genau das das Wichtigste zu sein. Seine Stöße waren kraftvoll, aber nicht zu hart. Immer wieder veränderte er den Winkel, traf dabei auf den einen Punkt, der Rafael heftige Schauer durch den Körper jagte und ihn Sternchen sehen ließ.

Er krallte sich in Tinos Schultern, brauchte den Halt.

Immer schneller stieß Tino zu, küsste ihn voller Leidenschaft, bis sie beide fast gleichzeitig und heftig zum Höhepunkt kamen.

Eng umschlungen lagen sie beieinander und genossen die Nachwehen dessen, was sie gerade erlebt hatten.

„Ich liebe dich so sehr”, hauchte er Tino ins Ohr, der leicht erschauderte.

„Und ich liebe dich ebenso sehr.”

Kaum zu glauben, dass er zuvor solche Angst gehabt hatte, dass er Tino verlieren könnte. Nun waren sie zusammen, ein Paar, würden sich allem, was auf sie zukam, gemeinsam stellen.

Rafael war zum ersten Mal in seinem Leben vollkommen glücklich.

Prolog

Drei Jahre war der schicksalhafte Sommer nun her.

Für beide lief es, was das Studium oder die Arbeit anging, sehr gut. Auch beziehungstechnisch könnte es nicht besser sein.

Deshalb hatte sich Valentin dazu entschlossen, Rafael heute, während der Feier zum Hochzeitstag seiner Eltern, die entscheidende Frage zu stellen. Die ganze Familie war im Garten seines Elternhauses versammelt.

Seine Hände tasteten immer wieder nach der kleinen Box in der Tasche seines Sakkos.

Nervös ließ er den Blick über die kleine Tanzfläche wandern. Dort war Rafael und tanzte mit seiner Mutter.

Die beiden waren mittlerweile ein Herz und eine Seele. Für Rafael kam sie dem, was er sich von einer Mutter wünschte, sehr nahe und sie liebte es, einen Schwiegersohn in spe zu haben, den sie ebenso bemuttern konnte wie Valentin.

Als der DJ einen langsamen Song auflegte, trat er zu den beiden.

„Darf ich abklatschen?”, fragte er seine Mutter und griff nach Rafaels Hand.

Sanft drückte sie ihnen je ein Küsschen auf die Wange, ehe sie zu seinem Vater ging, um mit ihm zu tanzen.

„Gefällt es dir?”, fragte Valentin.

„Auf jeden Fall. Die Feier ist toll und deine Familie einfach der Wahnsinn”, gab Rafael zurück und schmiegte sich an ihn. Im Takt der Musik bewegten sie sich langsam hin und her.

Sein Liebster gehörte für alle hier dazu, war Teil seiner großen und etwas irren Familie geworden.

„Du gehörst zu diesem Haufen Verrückter dazu.”

„Es gibt schlimmeres als das. Wichtig ist, dass ich dank dir wieder eine Familie habe, die es wert ist, so genannt zu werden”, erwiderte Rafael lächelnd. Mit seinem Vater hatte er kaum noch Kontakt und legte darauf auch keinen Wert.

„Könntest du dir denn vorstellen, mit mir zusammen eine Familie zu werden?”

Abrupt blieb Rafael stehen und starrte ihn an. Sein Mund klappte auf und zu, doch nichts kam heraus.

Valentin holte die Box hervor, öffnete sie, trat einen Schritt zurück und sank auf ein Knie.

„Rafael Avens, du bist die Liebe meines Lebens. Egal was auch geschah, wir haben es gemeinsam durchgestanden, waren füreinander da. Unsere Liebe wuchs und wurde immer stärker. Mein Leben kann und will ich mir ohne dich nicht mehr vorstellen. Deshalb frage ich dich hier und heute, vor allen, die mir wichtig sind: Willst du mich heiraten?”

Die Augen seines Mannes füllten sich mit Tränen, als der vor ihm auf die Knie fiel und ihn stürmisch umarmte.

„JA...ja ich will dich heiraten”, stieß Rafael schluchzend hervor.

Selbst um Beherrschung kämpfend nahm er Rafaels Ring heraus und steckte ihn an dessen Finger. Sein Schatz tat es ihm mit dem anderen Reif gleich. Nun würde jeder sofort sehen, dass sie zusammengehörten.

Um sie herum brandete Applaus auf.

Alle freuten sich und beglückwünschten sie zu ihrer Verlobung.

Auch wenn ihr erneutes Zusammentreffen, damals, vor drei Jahren, nicht unter den besten Vorzeichen standfand, so hatte sich daraus etwas Schöneres entwickelt, als Valentin jemals zu hoffen gewagt hatte.

Ihr Leben war perfekt.

 

Ende

Impressum

Texte: © Ann Salomon
Bildmaterialien: Pixabay
Lektorat: Sissi Kaiserlos
Tag der Veröffentlichung: 04.07.2018

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