Erste Stunde Literatur. Oh ja, ich kann euch sagen, das sich meine Euphorie in diesem Moment in überschaubaren Grenzen gehalten hatte.
Heute war der erste Schultag nach den Sommerferien. Und obwohl dieses Fach eigentlich eines meiner Lieblingsfächer war, konnte ich mich heute überhaupt nicht darüber freuen.
Ich war sowieso seit ein paar Wochen schlecht drauf, denn mein bester Freund ist im Sommer mit seinen Eltern nach Berlin gezogen.
Für mich hier in München war Berlin so weit weg wie Australien. Irgendwie fühlte ich mich ziemlich einsam und verloren. Es war nicht meine Stärke Freundschaften zu knüpfen. Dennis, mein bester Freund, und ich kannten uns seit dem Kindergarten. Wir hatten im selben Haus gewohnt und hingen ständig miteinander ab.
Doch gegen den Umzug hatte Dennis nichts ausrichten können. Er war nicht begeistert davon in dieses, wie er sich ausgedrückt hatte, Ghetto zu ziehen.
Aber sein Vater hatte endlich, nach fast fünf Jahren Arbeitslosigkeit, einen gut bezahlten Job gefunden. Da Dennis, genau wie ich, erst sechzehn war, musste er natürlich mit. Wir hatten uns versprochen in Kontakt zu bleiben. Aber es war eben nicht dasselbe, als wenn man sich den ganzen Tag sah.
Dennis war auch, mit Ausnahme meiner kleinen Schwester Lisa und Sarah, meiner besten Freundin, der einzige gewesen, der wusste, dass ich auf Jungs stehe. Als ich mich ihm gegenüber geoutet habe, meinte er nur: „ Und?! „ Das war alles. Dass er so cool reagiert hatte, nahm mir viel von meiner Unsicherheit.
Nun saß ich ganz hinten in der Klasse, schaute trübsinnig auf den leeren Platz neben mir und hoffte, dass der Tag heute schnell vorbeigehen würde.
Doch bevor ich euch erzähle, was nur ein paar Minuten später passierte, möchte ich euch kurz ein Bild von mir geben. Ich bin 1,75m groß, schlank, habe braune Augen und halblange schwarze Haare. Da ich seit einigen Monaten trainierte, kann ich auch mit gutem Gewissen behaupten, dass ich nicht wirklich schlecht gebaut bin. Mein Name ist Timo. Timo Müller.
Aber jetzt wieder zurück zum Geschehen.
Ich saß wie gesagt allein an meinem Pult, am Tisch nebenan saß Sarah und unterhielt sich mit ihrer Banknachbarin Tanja. Direkt vor mir saßen Ben und Justin, der von allen nur Jay genannt wurde. Sie gehörten zu dem kleinen Kreis der Leute, die ich als meine Freunde bezeichnete. Fast alle anderen saßen auch schon an ihren Tischen und unterhielten sich lautstark als Frau Berger in den Raum kam. Nach ein paar Sekunden hatten auch die letzten gemerkt dass sie am Lehrerpult stand und so wurde es allmählich ruhig in der Klasse.
»Guten Morgen. Ich hoffe ihr hattet alle einen angenehmen Sommer. Wir wollen uns heute mal einem etwas anderen Thema widmen als im letzten Schuljahr. Im vergangenen Jahr haben wir uns ja vor allem mit den großen deutschen Schriftstellern der letzten Jahrhunderte beschäftigt. Allzu weit in die Gegenwart werden wir uns zwar auch mit dem neuen Thema nicht bewegen, aber ich denke mal, dass es vielen von euch besser gefallen wird als die vorangegangenen Themen. Thomas und Robin, würdet ihr mir einen Gefallen tun und diese Bücher hier verteilen. Danke!«
Thomas und Robin waren die Oberstreber der Klasse. Sie waren die ersten die kamen, um ja in der ersten Reihe sitzen zu können. Wenn irgendwelche Aufgaben für die Lehrer zu erledigen waren, dann konnte man sicher sein, das sie die ersten waren die sich meldeten. Ich war nun auch kein schlechter Schüler, aber ich würde mich nie so anbiedern wie diese beiden.
Als ich das Buch vor mir liegen hatte und den Titel las, verbesserte sich meine Laune schlagartig. Shakespeare – Sonette. Genial, echt genial. Ich stand total auf die Sachen von Shakespeare.
»Wie ihr, wenn ihr euch den Titel anschaut, sehen könnt, werden wir uns dieses Jahr mit Shakespeare beschäftigen. Wie ich von Frau Baumann erfahren habe, wird sie in Englisch ebenfalls mit ihm arbeiten. Also lohnt es sich, hier aufzupassen, es kommt ihnen in Englisch zu gute. Dann wollen wir mal anfangen. Herr Müller, würden sie bitte das erste Sonett vorlesen?«
Ich wollte gerade anfangen, als die Tür geöffnet wurde. Der Direktor kam herein, gefolgt von einem Jungen. Auch was rede ich hier, von einem verdammt gutaussehenden blonden Engel. Ich saß da und bekam wortwörtlich den Mund nicht mehr zu. Ich fühlte mich, als wäre ich gerade, hier mitten im Klassenzimmer, vom Blitz getroffen worden.
»Entschuldigen sie vielmals Frau Berger das ich ihren Unterricht unterbreche, aber ich bringe ihnen heute einen Neuzugang.« Er zeigte auf den Engel. »Das ist Marco Teubert.«
Frau Berger reichte Marco die Hand zur Begrüßung, die dieser ergriff und schüttelte.
»Gut, dann werde ich mich nun zurückziehen und ihren Unterricht nicht länger stören. Auf Wiedersehen.«, sagte der Direktor.
»Auf Wiedersehen.«, schallte es von der Klasse zurück.
»Gut, dann stellst du dich am besten kurz der Klasse vor, bevor wir mit dem Unterricht weitermachen.«, sagte Frau Berger zu Marco.
Sie setzte sich wieder an ihr Pult und der Engel stand allein vor der Klasse und schien sich ziemlich unwohl in seiner Haut zu fühlen.
»Also ich bin, wie ihr ja gerade erfahren habt Marco und bin sechzehn Jahre alt. Ich bin mit meinen Eltern vom Bodensee nach München gezogen. Ich hab noch einen jüngeren Bruder.«
»Gut, wenn das alles war, dann setz dich bitte hin. Neben Timo in der letzten Reihe ist noch ein Platz frei.«, sagte sie, nachdem sie ein paar Augenblicke gewartet hatte ob Marco noch was sagen würde und merkte, dass das wohl wirklich alles war was er zu sagen hatte.
»Man, der ist ja mal überhaupt kein Mann großer Wort.«, sagte Andre, der vorn in der zweiten Reihe saß und seine Anhänger stimmten ihm durch lautes Gelächter zu.
Ich hasste Andre. Seit der Grundschule kamen wir nicht miteinander aus.
»Darf ich um Ruhe bitten. Wenn sie heute noch einmal unangenehm auffallen, dann verbringen sie nächste Woche ihre freien Nachmittage beim Nachsitzen. Ich hoffe wir haben uns verstanden, Herr Vogel.«
In diesem Moment mochte ich die Berger noch mehr als sonst. Sie konnte Andre und seine Freunde auch nicht leiden.
Nun sah ich wie Marco auf mich zukam, gleich würde er da sein. Wie ihr euch denken könnt lief mein Hirn seit dem Augenblick Amok, als sie gesagt hatte, er solle sich neben mich setzen sollte. Irgendwie hätte ich ja auch von allein drauf kommen können, den der Platz neben mir, war der einzige, der in der gesamten Klasse noch frei war. Ich konnte nicht klar denken. Zwanghaft versuchte ich mein Hirn wieder unter Kontrolle zu bringen.
»Hallo, ich bin Marco. Freut mich dich kennen zu lernen.«, sagte der Engel Namens Marco, als er sich neben mir niederließ.
»Ich bin...ich meine...Timo.« Tolle Vorstellung Alter, das setzt zu Hause ordentlich Prügel, darauf kannst du dich verlassen. Wenn es in diesem Moment nicht zu sehr aufgefallen wäre hätte ich mir am liebsten schon jetzt ein paar Mal kräftig in den Arsch getreten. Er musste ja denken, ich sei der totale Vollspaten.
Ich warf einen Hilfesuchenden Blick zu Sarah, doch die grinste mich nur mit diesem wissenden Blick an, den sie immer dann aufsetzte, wenn sie merkte, dass ich einen Jungen gut fand, und widmete sich dann wieder ihrem Buch. Danke für nichts, dachte ich mir.
Nun, da ich keine Hilfe von meiner angeblich besten Freundin zu erwarten hatte, überlegte ich fieberhaft, wie ich diese Situation irgendwie wieder geradebiegen könnte. Ich wandte mich ihm zu.
»Sorry, war mit den Gedanken gerade woanders. Ich bin Timo, freut mich auch dich kennen zu lernen.«
Er grinste mich an. Oh mein Gott, damit sollte er nie wieder aufhören. Bei wem kann man hier einen Antrag stellen, der es ihm verbietet, je wieder damit aufzuhören? Braucht der dafür eigentlich einen Waffenschein?
Frau Berger kam nach hinten.
»Marco leider habe ich für dich kein Exemplar mehr dabei, aber ich denke Timo hat nichts dagegen dich heute mit reinschauen zu lassen.«
Und ob ich nichts dagegen hatte.
»Was lest ihr den gerade?«, fragte mich Marco.
»Shakespeares Sonette.«, antwortete ich und hielt ihm das Taschenbuch hin.
»Wirklich, ich bin ein großer Fan von ihm. Ich war schon in vielen Vorstellungen seiner Bühnenstücke und hab selbst mal den Romeo in einer Schulaufführung gespielt.«
»Echt? Ist ja cool, ich bin total vernarrt in alles was er geschrieben hat.«
»Ist ja echt mal ein Zufall, dass ich jemanden kennenlerne, der sich ebenso für Shakespeare interessiert wie ich. Findet man nicht oft.«
»Ja stimmt, aber ich freue mich jemanden gefunden zu haben.«, gab ich zurück.
»Herr Müller, würden sie bitte aufhören zu schwatzen und endlich mit dem lesen anfangen!«
In diesem Moment hätte ich die Berger, so gern ich sie auch hatte, am liebsten mit einem Tritt in den Hintern auf den Mond befördert. Gerade hatten wir uns so gut unterhalten und sie machte, ohne es zu ahnen, alles kaputt. Etwas verärgert begann ich zu lesen.
Als ich zu Ende gelesen hatte, blickte ich auf und bemerkte, dass einige Mädchen zu unserm Tisch sahen und in ihren Blicken lag durch die Bank etwas Schmachtendes. Mich sahen sie garantiert nicht so an, mich kannten die meisten seit Jahren. Also war ich hier in der Klasse wohl nicht der einzige, der ein Auge auf Marco geworfen hatte. Mal schauen wer von uns als Sieger vom Platz gehen wird, dachte ich so bei mir, als ich Marco vorsichtig aus dem Augenwinkel begutachtete.
Vom ersten Anschein her war er ziemlich gut gebaut. Seine Muskeln zeichneten sich unter seinem eng anliegenden T-Shirt ab. Seine blonden Haare waren kurz geschnitten, so vier, fünf Zentimeter. Sie luden einen förmlich ein, sie zu verwuscheln. Mann, mich kostete es echt Überwindung es nicht zu tun.
Der restliche Tag verlief recht ereignislos, wenn man mal davon absah, dass ich Marco die Schule zeigte. Wir verstanden uns sehr gut. So konnte ich mit ihm Zeit verbringen ohne dass es jemanden aufgefallen wäre. Vor allem er sollte keinen Verdacht schöpfen, den Heteros reagieren meistens ziemlich sensibel, wenn sie mitbekamen das ein Mann auf sie stand.
Nach der letzten Stunde standen wir, Marco, Sarah und ich, zusammen auf dem Schulhof und unterhielten uns über den ersten Schultag. Ben und Jay waren schon weg. Sie hatten gemeint, sie müssten noch was Wichtiges erledigen.
»Na Marco, wie war dein erster Tag bei uns so?«
»Ganz gut, hab es mir schlimmer vorgestellt.«
»Wie meinst du das? Hattest du Angst wir würden dich fressen, oder so?«, fragte Sarah breit grinsend.
»Nein das nicht. Aber an meiner alten Schule hatte ich ziemliche Probleme und nun hatte ich eben die Angst, es könnte hier genauso werden.«
»Was waren das den für Probleme, die du auf deiner alten Schule hattest, wenn ich fragen darf?«, erkundigte sich Sarah. Da war jemand ja mal wieder überhaupt nicht neugierig. Aber ich war ihr nicht böse, den so konnte ich mehr von meinem Engel erfahren, ohne ihn selbst löchern zu müssen.
»Darfst du. Da waren ein paar Typen, die haben mich wo sie konnten schikaniert. Ich war echt schon kurz davor zu sagen, ich breche die Schule ganz ab. Aber Gott sei Dank hat mein Vater hier einen Job bekommen und so hat sich die ganze Sache fast von selbst geregelt.«
»Solche Typen kenne ich, gibt es hier an der Schule leider auch.«, sagte ich mit ernster Miene zu Marco.
»Ja, ich glaub solche Dachplatten gibt es überall. Das ist eben die natürlich Artenvielfalt, dagegen kann man nichts machen.«, erwiderte Marco und lächelte wieder so verdammt süß. Ach bitte, lass ihn nie wieder damit aufhören.
»Sorry Leute, aber ich muss los. Meine Mutter wartet auf mich. Wir sehen uns morgen. Tschau.«, sagte er nach einem kurzen Blick auf die Uhr.
»Ja, bis morgen.«, kam es von Sarah und mir wie aus einem Mund.
Wir blickten ihm noch kurz nach und sahen, dass er in ein wartendes Auto einstieg und dann war er weg.
»Er ist verdammt süß, oder?«
»Ja ist er. Und erst seine Grübchen!«
Sarah sah mich an und fing an zu lachen.
»Was ist denn daran jetzt bitte so komisch das du hier fast zusammenbrichst?«
»Ach nichts, ich hab nur gerade an deinen Gesichtsausdruck denken müssen, als der Direx und Marco heute in die Klasse kamen. Dein Gesichtsausdruck konnte mit den meisten der Mädchen in diesem Moment gut mithalten.«
»Ach du, ich finde ihn eben süß. Anschauen wird ja auch erlaubt sein. Chancen werde ich sowieso keine bei ihm haben, ich glaub der ist leider eine waschechte Hete.«
»Sag niemals nie, man kann schließlich nicht wissen, was das Schicksal mit einem vorhat. Ich glaube dich hat es diesmal so richtig erwischt, oder?«
»Ach was du wieder redest!«, antwortete ich, schulterte meine Schultasche und ging davon. Klar hatte sie Recht, aber das musste ich ihr echt nicht auf die Nase binden, jedenfalls jetzt noch nicht.
»Hey Timo, jetzt warte doch und spiel nicht die beleidigte Leberwurst.«
»Tu ich nicht, ich will nur nach Hause gehen. Ich hab Hunger und will was essen.«, entgegnete ich mit gespielter Zickigkeit.
Sie holte auf und lief dann neben mir her. Sie wohnte nur eine Querstraße weiter als ich und so gingen wir den Schulweg eigentlich immer zusammen.
Ich kannte sie, ebenso wie Dennis, schon seit unserer gemeinsamen Kindergartenzeit.
Sie war, als wir dreizehn gewesen waren, in mich verliebt und ich sah am Ende einfach keinen anderen Weg ihr begreiflich zu machen, das ich nie etwas von ihr wollen würde, als ihr klar zu sagen was Sache war.
Zunächst war sie schockiert gewesen und hat die nächsten zehn Minuten kein Wort gesagt. Dann war sie auf mich zugekommen, hatte mich in den Arm genommen und seitdem waren wir die allerbesten Freunde.
Aber sie hatte ja wie gesagt leider recht. In meinem Kopf fuhren meine Gedanken gerade Achterbahn. Ich war schon oft von einem Jungen fasziniert gewesen, hatte gedacht ich wäre verliebt, doch dieses Gefühl, das mich seit dem ich meinen Engel zum ersten Mal erblickt hatte, ließ mich nicht mehr los und fraß sich immer tiefer hinein. So hatte ich wirklich noch nie empfunden.
Doch was soll es, ich konnte ihn sowieso abschreiben, zumindest mal als meinen FREUND. Gute Freunde konnten wir werden, aber nicht mehr. Ach, es war echt nicht einfach ein junger Schwuler zu sein. Zumindest in Sachen Liebe nicht.
An der Kreuzung, an der ich abbiegen musste, verabschiedete ich mich von Sarah. Sie würde morgen hier auf mich warten, so dass wir zusammen zur Schule gehen konnten.
Die letzten Meter wollte ich über die Wiese abkürzen, doch von oben schallte die nervig hohe Stimme der alten Zuber. Die hatte den ganzen Tag nichts anderes zu tun, als anderen Leuten das Leben schwer zu machen.
»Junger Mann, du weißt, das Betreten des neuen Rasens ist verboten.«
»Ja, ich weiß.«, sagte ich und verschwand im Hauseingang. Ich konnte die Zuber einfach nicht ausstehen, seit sie mich bei meinen Eltern angeschwärzt hatte, als ich einmal, als meine Eltern nicht da waren, erst um eins von einer Party zurückgekommen war. Das setzte damals zwei Wochen Hausarrest und in diesen zwei Wochen hatte ich mir überlegt, wie ich mich am besten an ihr rächen könnte. Mir waren viele, verdammt gute Sachen eingefallen. Leider hatte ich bis jetzt noch nicht den Mut, eine dieser Ideen in die Tat umzusetzen. »Noch nicht!«, murmelte ich vor mich hin, als ich die Treppen zum dritten Stock hinaufstieg. Im zweiten Stock kam ich an der Wohnung vorbei, in der Dennis gewohnt hatte. Anscheinend zog heute jemand neues ein, denn vor der Wohnungstür stapelten sich die Umzugskisten.
Im dritten Stock angekommen streifte ich meine Turnschuhe ab, schloss die Wohnungstüre auf und schon stieg mir der Duft von Schnitzel und Pommes in die Nase. Mein Lieblingsgericht.
»Hallo Mom, bin wieder da.«
»Hallo Timo. Das Essen ist gleich fertig, Könntest du so lange drüben den Tisch decken?«
»Klar, mach ich.«, sagte ich und verschwand mit Tellern und Besteck bewaffnet Richtung Wohnzimmer.
Nach zehn Minuten war das Essen dann auf dem Tisch. Mom und ich saßen schon, nur Lisa, meine drei Jahre jüngere Schwester fehlte noch. Wir hatten schon angefangen als sie endlich auftauchte.
»Was hast du denn so lange gemacht? Sonst bist du immer die erste am Tisch.«, fragte Mom.
»Ich hab gelernt.«
»Freiwillig?!? Du bist schon meine Tochter und nicht ein Alien, das ihre Gestalt angenommen hat, oder?«
»Sehr witzig Mom, wirklich witzig.«
Ich grinste in mich hinein, den ich wusste, weshalb Lisa in letzter Zeit so strebsam war. Am Ende des letzten Schuljahres hatten sie in ihrer Klasse einen Neuzugang und der war, wie sich herausgestellt hat, einer der klügsten in der Klasse. Und weil sich mein kleines Schwesterlein ein wenig in ihn verguckt hatte, stand bei ihr jetzt lernen vor fast allem anderen. Schließlich wollte sie ihn ja beeindrucken.
Nach dem Essen ging ich in mein Zimmer, ließ mich aufs Bett fallen und dachte über den Tag nach. Mann, ich bekam einfach Marcos Bild nicht mehr aus dem Kopf. Sarah würde vor Schadenfreude vergehen, wenn sie es erfahren würde, aber ich war wirklich in ihn verliebt, kein Zweifel.
Irgendwann kam meine Mutter herein und schickte mich mit einer elendig langen Einkaufsliste los. Etwa eineinhalb Stunden später war ich voll bepackt wie ein Lastenesel auf dem Weg zurück nach Hause. Ich konnte meine Arme kaum noch spüren, so schwer waren die Tüten. Vor dem Haus parkte nun ein großer Umzugswagen und einige Möbelpacker waren damit beschäftigt, all die Möbel aus dem Wagen in die Wohnung im zweiten Stock zu bringen. Ich schlängelte mich durch die vor der Haustür abgestellten Möbel und wünschte mir, einer von ihnen möge sich erbarmen und mich von meiner Last befreien. Keuchend erreichte ich den zweiten Stock.
»Kann ich dir tragen helfen?« Ich sah zur Seite und erstarrte. Mir gegenüber stand Marco. »Und, soll ich dir nun helfen?«, fragte er und setzte dann wieder sein umwerfendes Lächeln auf.
»Ja, gern.« Das war das einzige was ich erwidern konnte. Er schnappte sich die Hälfte der Tüten und folgte mir dann. Im dritten Stock angekommen suchte ich in meiner Hosentasche den Wohnungsschlüssel. Mir zitterten die Hände, hoffentlich bemerkte er das nicht.
»Ah, da ist er ja.« Erleichtert öffnete ich die Tür. »Mom, dein persönlicher Packesel ist wieder da.«
»Ach du, sei doch nicht so melodramatisch. Und wenn hast du da mitgebracht?«
»Das ist Marco. Er ist mit seinen Eltern unten in der Wohnung von Dennis eingezogen.«
»Nett dich kennen zu lernen.«
»Freut mich auch.«, erwiderte Marco und schüttelte meiner Mutter die Hand.
Das war aber jetzt auch mal was. Mein Engel stand bei mir zu Hause in der Küche und freundete sich gerade mit meiner Mutter an.
»Ich muss wieder runter und weiter mithelfen. Wir sehen uns ja morgen.« Er wandte sich schon zum Gehen als er sich noch einmal umdrehte. »Würde es dir was ausmachen, wenn wir morgen zusammen zur Schule gehen könnten? Ich kenne mich noch nicht so aus und möchte mich nicht verlaufen.«
»Klar können wir zusammen gehen, kein Problem.«
»Also ist das abgemacht.«
»Ja, ich hol dich ab wenn ich geh. Man sieht sich.«
»Gut, bis morgen.«
Als er gegangen war half ich meiner Mutter noch mit dem Einkauf und ging dann wieder in mein Zimmer. Am liebsten hätte ich laut geschrien, so glücklich war ich. Mein Engel wohnte im selben Haus wie ich, wir würden morgen zusammen zur Schule gehen. Man Sarah würde Augen machen, wenn die uns beide gemeinsam ankommen sah.
Um halb sieben in der Früh wachte ich auf und konnte nicht mehr einschlafen. Normalerweise stand ich erst in der allerletzten Minute auf, meist nach mehrmaligem ermahnen durch mein wertes Muttertier. Aber heute konnte ich einfach nicht mehr still liegen bleiben. Deshalb stand ich auf, suchte mir aus meinem Schrank ein paar Klamotten und hier ist kurz anzumerken das ich gesucht habe, normalerweise stecke ich meine Hand in den Schrank, zieh irgendwas raus und wenn es nicht zu schrecklich aussieht, dann zieh ich es an und dackelte ins Bad. Auf dem Weg ins Bad traf ich auf meine Mutter.
»Bist du krank?«
»Wieso, nur weil ich mal früher aufstehe?«
»Ja, sonst muss ich dich fast aus dem Bett prügeln und heute bist du schon frisch und munter. Das ist schon etwas seltsam. Aber wenn es so bleibt, dann hab ich nichts dagegen. Was auch immer der Grund für dein frühes Aufstehen ist, ich hoffe es hält an.«
»Ach du!«, erwiderte ich darauf und verschwand im Bad. Eine Viertelstunde später saß ich frisch geduscht und gestylt am Küchentisch und ließ mir ein Brot mit Nutella schmecken.
»Timo, denkst du bitte daran, dass du heute zum Zahnarzt musst!«
»Ach Mom, das hatte ich schon erfolgreich verdrängt. Du weißt ich hasse den Zahnarzt.«
»Wäre es dir lieber, dass dir alle Zähne abfaulen? Was glaubst du würden die Mädchen dazu sagen?«
Als ich zu meiner Schwester sah erhaschte ich ein kurzes Grinsen. Ja, mir war egal was die Mädchen von mir hielten. Aber ich war mir sicher, dass Männer, ob schwul oder hetero, auch nicht auf abgefaulte Zahnstummel standen. Also würde mir nichts anderes übrig bleiben, ich musste da hin.
Begierig saß ich danach in meinem Zimmer, immer einen Blick zur Uhr und wartete darauf dass es endlich halb acht wurde. Endlich war es fünf vor halb acht. Ich schnappte mir meine Schultasche, verabschiedete mich von meiner Mutter und ging federnden Schrittes einen Stock tiefer.
Ich klingelte. Drinnen waren Stimmen zu hören. Dann öffnete Marco die Tür.
»Mom, ich bin dann weg.«
»Ist gut, bis heute Nachmittag. Viel Spaß in der Schule.«
»Danke Mom, werde ich haben.«, sagte Marco, aber man sah seinem Gesicht an, das er es nicht wirklich ernst meinte.
»Guten Morgen Timo.«
»Guten Morgen. Na gut geschlafen? Weißt du noch was du geträumt hast? Es heißt ja, dass das, was man in der ersten Nacht träumt in Erfüllung geht.«
»Ja, aber ich hab was total Albernes geträumt, weiß kaum noch worum es eigentlich wirklich ging.« Marco wirkte irgendwie ein wenig niedergeschlagen. Ich wechselte das Thema.
»Gehst du gerne in Discos oder so?«
»Wenn ich ehrlich bin eigentlich nicht so wirklich. Ich steh nicht so auf tanzen und Koma saufen.«
Ich musste lachen.
»Was ist daran so komisch?« , fragte er und sah mich irritiert an.
»Ach nichts, ich hatte nur eben denselben Gedanken. Kennst den Spruch: Zwei Dumme, ein Gedanke? Also ich mag es eher ruhiger, unterhalte mich. Das ist in einer Disco ja kaum möglich. Und bevor ich mich volllaufen lasse, investiere ich mein Geld lieber in ein gutes Buch. Da hab ich wenigstens was von.«
»Ja genau, das ist auch meine Meinung. Ich bin echt froh mal einen kennen zu lernen, der genauso darüber denkt, meist bin ich mit dieser Meinung allein auf weiter Flur.«
Wir kamen an die Kreuzung an der Sarah wartete. Wie ich gedacht hatte. Sie stand da und brachte den Mund kaum zu.
»Guten Morgen Marco, Timo.«, sagte sie zur Begrüßung und gab uns jeweils ein Küsschen auf die linke und rechte Wange.
»Guten Morgen Sarah.«, kam es von Marco und mir wie aus einem Mund. Wir sahen uns an und begannen alle drei laut loszulachen.
In der ersten Stunde hatten wir Mathe beim alten Mayer. Der war für die erste Stunde so geeignet wie eine Packung Valium für einen Jetpiloten. Doch alles würde schließlich vorbei gehen.
Leider war Mathe mein absolutes Hass Fach. Ich war mathematisch in keiner Weise auch nur ein klein wenig begabt. Aber es konnte auch daran liegen, dass wir Mathe seit dem Wechsel auf die Realschule beim Mayer hatten und ich in seinem Unterricht immer gegen die mich übermannende Müdigkeit ankämpfen musste und so vom Unterricht nicht wirklich viel mitbekam. Ich warf einen kurzen Seitenblick auf Marco. Er schien begeistert bei der Sache zu sein.
Der Mayer kritzelte in seiner fast nicht zu entziffernden Schrift etwas an die Tafel. Nach nicht mal 30 Sekunden ging Marcos Arm hoch.
»Herr Teubert, wie lautet ihrer Meinung nach die richtige Lösung?«
»Der Flächen des Turms beträgt 234 m2.«
»Das ist richtig. Nehmt euch an ihm ruhig ein Beispiel, er ist neu hier und rennt euch allen davon.«
»Ach, nicht jeder kann so ein Streber sein wie der.«, sagte Andre laut zu seinem Kumpel Peter.
»Dazu kann ich nur eines sagen, Herr Vogel, lieber ein Streber als eine Dachplatte. Von denen findet man für meinen Geschmack eindeutig zu viele in dieser Klasse.«
Die halbe Klasse warf sich weg vor Lachen und selbst Marco, der nach dem verbalen Angriff von Andre etwas deprimiert aus der Wäsche geschaut hatte, ließ sich davon mitreißen und lachte herzhaft mit. Jeder in der Klasse wusste, wen der Mayer meinte, denn Andre und seine Kumpels waren fast alle die mit Abstand schlechtesten der Klasse und das nicht nur in Mathe.
»So, jetzt haben wir genug gelacht, wenden wir uns nun wieder etwas ernsterem zu.«
Der Mayer war zwar ein Idiot, aber manchmal traf er den Nagel auf den Kopf.
»Wie es aussieht sitzt ein kleines Mathegenie neben mir.«, flüsterte ich.
»Also als Genie würde ich mich jetzt nicht wirklich bezeichnen, aber ich mag Mathe.«, erwiderte er ebenfalls flüsternd.
»Ich kann gar nicht verstehen dass jemand Mathe mag. Ich steh damit auf Kriegsfuß und das schon fast immer.«
»Wenn du willst kann ich dir ja mal Nachhilfe geben.«
»Würdest du das echt machen?«
»Ja klar, sonst würde ich es dir ja nicht anbieten.«
»Gut, dann betrachte ich dich hiermit als meinen persönlichen Mathelehrer.«
»Okay, aber was bekomme ich dafür?«
»Wie viel würdest du den... ?« Er unterbrach mich.
»Ich meinte nicht was ich verdiene. Gestern hab ich mitbekommen, dass du in Bio ganz gut bist. In Bio bin ich schlechter als schlecht. Wenn ich dir in Mathe helfe, würdest du mir vielleicht mit Bio helfen?«
»Klar mach ich das, eine Hand wäscht die andere.«
Der weitere Tag plätscherte so dahin. Auf die letzte Stunde freute ich mich am meisten. Wir hatten wieder Literatur mit der Berger. Diese Stunde war wunderbar, doch leider viel zu schnell vorbei. Das war doch immer so, wenn einem was nicht gefiel zog es sich wie Kaugummi und wenn man endlich mal etwas machen kann, was einem gefiel, dann war es in null Komma nichts vorbei. Als Hausaufgabe sollten wir uns unser Lieblingssonett aussuchen und in der nächsten Stunde vorlesen.
»Weißt du schon welches du vorlesen wirst?«
»Nein, mir gefallen so viele, ich muss erst noch überlegen. Und du, weißt du es den schon?«
»Ja, ich werde „Fürwahr“ vorlesen. Das ist echt mein absolutes Lieblingssonett.«
»Ja, das ist echt schön. Aber wer die Wahl hat, hat die Qual.«
»Du findest sicherlich eins.«
»Das mit Sicherheit.«, sagte er und lächelte wieder so süß.
Ich merkte wie mir das Blut in den Kopf schoss und so beugte ich mich schnell nach vorn umso zu tun, als würde ich etwas in meiner Schultasche suchen. Nur leider übersah ich die Tischkante und knallte voll mit dem Kopf dagegen. Die halbe Klasse drehte sich erschrocken um, so laut hatte es geknallt.
»Oh, scheiße, tut das weh.«, jaulte ich und hielt mir meinen schmerzenden Kopf.
»Ey Mann, das gibt ne Beule.«, sagte Ben und konnte sich dabei nicht verkneifen breit zu grinsen.
»Tut es sehr weh Timo?«, fragte Jay. Ich schenkte ihm nur einen kurzen, vielsagenden Blick. Nein, hat überhaupt nicht wehgetan, kennst mich doch, ich jaule immer mal wieder, einfach nur so zum Spaß, dachte ich mir.
Die Berger kam nach hinten und begutachtete meinen Kopf.
»Herr Müller, was haben sie den jetzt wieder gemacht? Ich glaube das gibt eine schöne Beule. Am besten gehen sie zur Schulkrankenschwester. Sie soll es sich mal ansehen.«
Andre und seine Kumpane bekamen sich vor lauter Lachen kaum noch ein. Solche W.....r.
»Okay.« Ich wollte gerade aufstehen, als mich ein massiver Schwindel überkam und ich mich fast neben meinen Stuhl gesetzt hätte. Marco hatte mich geistesgegenwärtig festgehalten.
Er berührte mich. Wenn mir mein Kopf nicht so wehgetan hätte, hätte ich diesen Moment jetzt sicher in vollen Zügen genossen.
»Ich glaube ich begleite ihn. Nicht das er noch die Treppe runter fällt.«
»Ich denke auch dass das die beste Lösung sein wird. Sie wissen wo das Krankenzimmer ist?«
»Ja, der Direktor hat mit mir einen Rundgang gemacht und da hat er es mir gezeigt.«
»Gut, dann machen wir nun mit unserem Unterricht weiter.«
Als wir auf dem Gang waren, wurde mir noch schwindliger. Marco musste mich stützen, sonst wäre ich mit Sicherheit umgefallen wie ein nasser Sack.
»Mann, ich glaub du hast eine Gehirnerschütterung. Könnte gut sein, so wie das vorher geknallt hat.«
»Hoffentlich nicht.« Ich versuchte zu grinsen. »Ich würde mich echt nicht zum Klassenclown eignen. Ich unterhalte die Leute, aber verstümmle mich dabei selbst.«
»Glaub ich auch nicht. Aber die Farben dafür hättest du schon. Deine Beule leuchtet jetzt in allen Regenbogenfarben. Sieht echt gut aus.«
»Vielen Dank, mit einem armen Invaliden wie mir kann man es ja machen.«, antwortete ich darauf und grinste.
»Ach du, weißt du nicht, einen schönen Mensch kann nichts entstellen.«
Wir sahen uns an. Er sagte nichts und ich war zu perplex etwas zu sagen. Er wirkte verwirrt. »Kennst du den Spruch nicht?«, fragte er etwas zu nervös.
»Doch klar.« Konnte es sein, das er mir gerade ein Kompliment gemacht hatte?
Ach du und deine Wunschträume. Er hatte unbedacht etwas gesagt, dass ich ihm vielleicht als schwul oder so auslegen könnte und ist deshalb so komisch. Ich sollte echt aufhören, mir solche Sachen einzubilden.
Der stechende Schmerz meiner Beule zerrte mich abrupt zurück in die Realität. Ich stöhnte auf.
»Wir bringen dich jetzt am besten zur Krankenschwester. Du bist ganz weiß im Gesicht, nicht das du mir noch umkippst.« Er schien sich wieder gefangen zu haben. Er stützte mich wieder und so erreichten wir kurz darauf das Krankenzimmer.
»Wie hast du denn das hinbekommen? Hast du versucht das Mädchen eines anderen zu küssen und der hat dir dann eine vor den Latz geknallt, oder was?«
Die Krankenschwester hieß Mandy Zimmermann. Sie war wirklich nicht das was man sich unter dem Wort Krankenschwester vorstellte. Ihre Haare hatte sie bis auf 5 oder 6 Millimeter abrasiert und den letzten kläglichen Rest Haare in grün, rot und schwarz gefärbt. In der Nase und den Ohren reihte sich ein Piercing an das andere.
Sie war einfach cool.
»Ne, er hat versucht den Tisch zu küssen und der hat aus Angst zugeschlagen.«
Mandy sah Marco einen Moment lang an und brach dann in schallendes Gelächter aus.
»Oh man, du bist echt ein Komiker.«
Sie lachte immer noch als sie mir einen nicht unbedingt ansehnlichen Salben-Verband um meine Stirn wickelte. Anschließend gab sie mir noch einen Kühl Akku. Den sollte ich drauf legen, damit die Beule nicht noch mehr anschwoll. Sonst könnte ich ja, wie Mandy es so treffend formuliert hatte, als Einhorn durchgehen.
»Bleib bitte noch etwas liegen, dann müsste sich der Schwindel verzogen haben. Falls der Schwindel in den nächsten 24 Stunden noch einmal wiederkommen sollte, dann gehst du bitte zum Arzt. Mit einer Gehirnerschütterung ist nicht zu Spaßen.« Und an Marco gewandt fügte sie hinzu: »Bleibst du noch bei ihm, ich muss noch schnell zum Direx und mit ihm was besprechen?«
»Klar, kein Problem. Ich bleib gern noch bei ihm.«
»Gut, dann noch einen schönen Tag und auf ein nicht zu baldiges Wiedersehen.«
»Tschau.« Mandy rauschte zu Tür raus und war verschwunden.
»Die ist ja mal echt ne Marke, oder?«
»Manchmal ist sie schon ziemlich schräg drauf, aber sie versteht ihr Handwerk und hat echt was im Kopf.«
»Glaub ich dir gern.«
»Aber sag mal, dein Scherz von grade eben. Der war echt gut. Auf meine Kosten zwar, aber trotzdem gut.«
»Ab und zu hab ich so Eingebungen und dann sprudelt es.«
»Dann lass es weiter sprudeln. Wie viel Uhr haben wir?«
»Kurz vor halb zwei. Wieso?«
»Ich hab um zwei nen Zahnarzttermin. Wenn ich nicht zu spät kommen will sollte ich jetzt los.«, sagte ich und stand auf. Mir war immer noch ein wenig schwindlig.
»Ich werde dich aber begleiten, wenn du nichts dagegen hast. So wie du im Moment drauf bist, läufst du noch vor eine Straßenbahn.«
»Okay, dann mal los.«
Marco lief direkt neben mir. Er wollte mich wahrscheinlich falls nötig festhalten oder auffangen. Es war schon irgendwie nett wie er sich um mich kümmerte. So jemanden wünschte sich doch jeder. Bei dem Gedanken, dass ich ihn nie würde bekommen können, bekam ich einen Kloß im Hals. Das war echt nicht fair.
Gerade noch rechtzeitig kamen wir beim Zahnarzt an. Marco lieferte mich im Behandlungszimmer ab und ließ es sich nicht nehmen, im Wartezimmer auf mich zu warten. Er meinte, schließlich hätten wir ja den gleichen Weg nach Hause.
Etwa zwanzig Minuten später befanden wir uns schon auf dem Weg Richtung Heimat. Der Zahnarzt hatte mir ein perfekt gepflegtes Gebiss bescheinigt.
»Bin ich froh dass ich so glimpflich davon gekommen bin. Ich bin echt kein Fan von Zahnärzten.«
»Kann ich nachvollziehen. Darf ich dich mal was fragen?«
»Ja, klar.«
»Wie kam es eigentlich zu deinem lautstarken Auftritt heute? Ich meine, wieso wolltest du so schnell unter dem Tisch verschwinden?«
Okay Timo, jetzt überlege dir mal was, aber schnell.
»Ich hab gedacht, dass mein Handy geklingelt hat. Die Berger kann diese Dinger auf den Tod nicht ausstehen und sie hätte es mir sicherlich weggenommen.«
»Ach so.«, erwiderte Marco und in seinem Blick lag etwas, das ich nicht einschätzen konnte. Ich war mir nicht sicher, ob er es mir abgekauft hatte.
Zuhause angekommen begleitete mich mein Engel noch bis zur Wohnungstür. Noch bevor ich aufsperren konnte, wurde die Tür von innen geöffnet und Mom stand vor uns.
»Was ist denn mit dir passiert? Hattest du einen Unfall oder hast du dich geprügelt?«, fragte Mom mit besorgter Miene.
»Weder noch, ich bin bei dem Versuch mich mit meinem Pult anzulegen als Verlierer hervorgegangen.«
»Du machst Sachen.«
»Das hör ich heute nicht zum ersten Mal. Aber am besten war die Reaktion von Dennis Cousine, die arbeitet jetzt bei meinem Zahnarzt. Als sie zum mir ins Behandlungszimmer kam hat sie mich gleich erkannt und gefragt, was ich den mit meinem Kopf gemacht hätte. Sie hat sich halbtot gelacht als ich ihr die Geschichte erzählt habe.«
Mom und Marco mussten sich in diesem Moment ebenfalls ein Lachen verkneifen. »Der beste Spruch kam aber von ihm hier. Na los Marco, leg los.«
»Ach ich hab nur als wir bei der Schulkrankenschwester waren gemeint, als sie gefragt hat was passiert sei, das er versucht hat den Tisch zu küssen und der aus Angst zugeschlagen
hat.«
Mom erging es wie Mandy. Sie begann zu lachen und konnte sich erst nach ein paar Minuten wieder unter Kontrolle bringen.
»Ha, ha, ich finds ja riesig wie sich hier alle auf meine Kosten amüsieren können.«, sagte ich und spielte den Beleidigten.
»Mein Sohn, du kennst doch den Spruch: Wer den Schaden hat braucht für den Spott nicht zu sorgen.«
Aber das war im Moment sowieso egal. Marco war die ganze Zeit bei mir geblieben. Obwohl mir fast die ganze Zeit mein Kopf weggetan hatte, war es doch richtig schön, meine Zeit mit ihm verbringen zu können.
»Hast du jetzt was bestimmtes vor?«
»Nein, wieso?«
»Na, weil ich die ganze Mathesache von heute nicht wirklich geschnallt hab und du mir angeboten hast mir Nachhilfe zu geben. Also, wie wär’s?«
»Gut, ich sag nur kurz noch meiner Mutter Bescheid, das sie sich keine Sorgen machen braucht.«
Ich ging schon mal in mein Zimmer. Mir war ganz recht dass er noch kurz nach unten gegangen war, denn mein Zimmer war nicht wirklich aufgeräumt.
Schnell schnappte ich die Sachen, die überall auf dem Boden herumlagen und stopfte sie in den Schrank. Ich hatte gerade meine „Aufräumaktion“ beendet, als es auch schon an der Türe läutete. Kurze Zeit später wurde die Tür zu meinem Zimmer geöffnet und Marco kam herein. Er sah sich ein wenig um.
»Ich hab das selbe Zimmer, nur einen Stock tiefer.«
»Das war früher auch Dennis Zimmer.« Und mit einem Blick auf den ein wenig verwirrt dreinschauenden Marco fügte ich hinzu. »Dennis hat mit seiner Familie vor euch in eurer Wohnung gelebt und war mein bester Freund.«
»Ach so.« Er sah mich an. »Dann fangen wir doch gleich mal an.«, sagte er, schnappte sich seinen Rucksack und zog sein Mathebuch heraus.
»Wo kann ich mich hinsetzen?«
»Wo du willst. Ist egal.« Mein Zimmer war Sitzgelegenheiten technisch nicht sonderlich gut ausgestattet. Vor einem halben Jahr hatte ich noch eine Schlafcouch, doch nachdem Sarah, Dennis und ich ein paar Mal darauf herumgetobt hatten, war sie irgendwann in sich zusammengefallen. Schließlich hatte das Ding ja auch schon einige Jahre auf dem Buckel gehabt.
»Nun, dann setze ich mich aufs Bett. Sieht gemütlich aus.«
Er saß auf meinem Bett! Habt ihr gehört Leute, auf meinem Bett!!!
Ich ließ mich demonstrativ cool neben ihn aufs Bett fallen und wäre beinahe, in einer nicht unbedingt als cool zu bezeichnenden Art und Weise, am hinteren Ende wieder heruntergefallen.
»Mein Bett hat ziemlich gute Federn.«, sagte ich und grinste breit.
»Ja, scheint ganz so. Pass nur auf, sonst brichst du dir heute noch was. Bei deinem Glück wäre es zumindest nicht verwunderlich.«, erwiderte er grinsend.
Also ich weiß nicht ob es an Marcos Anwesenheit gelegen hatte oder daran das er es einfach besser erklärte als der Mayer, aber als Marco sich gegen 18 Uhr verabschiedete, hatte ich zum ersten Mal in meinem Leben das gute Gefühl, nicht der Matheloser zu sein, für den ich mich immer gehalten hatte. Marco war auch ziemlich zufrieden mit mir.
Ich brachte ihn noch zur Tür und ging dann zu meiner Mutter in die Küche. Sie bereitete das Abendessen vor.
»Kommt Dad heute pünktlich zum Essen?«
»Ich hoffe es, aber du weißt ja, bei ihm weiß man das nie. Es muss nur irgendwo ein Server abstürzen und wir sehen euren Vater nicht vor Mitternacht.«
Mein Vater war Chefprogrammierer. Meistens sah ich ihn zweimal die Woche für ein paar Stunden. Aber so war das eben. Ich durfte nicht meckern, schließlich lebten wir nicht schlecht davon.
Ihr fragt euch sicherlich, wieso wir dann nicht in einem Haus lebten? Wir hatten ein Zweifamilienhaus, das momentan vermietet war. Meine Eltern hatten es vor zehn Jahren oder so gebaut, aber es ist momentan einfach zu weit ab vom Schuss und Dad müsste zu lange zur Arbeit fahren. Gab es bei ihm in der Firma ein Problem, so muss er innerhalb einer halben Stunde vor Ort sein. Das würde er von unserem Haus aus nie schaffen. Irgendwann würden wir dorthin umziehen, doch momentan fand ich es hier ganz gut. Vor allem wohnte mein Engel nun auch in diesem Haus, da würde ich nicht weg wollen. Wenn es sein müsste, würde ich sogar alleine hier wohnen bleiben, das könnt ihr mir glauben.
Dad kam mal wieder nicht rechtzeitig. Mom wollte sich nichts anmerken lassen, doch sie war wirklich sauer. Darum verzog ich mich gleich nach dem Abwasch in mein Zimmer und legte mich aufs Bett. Die Decke roch noch nach Marcos Parfüm. Ich atmete ein paar Mal ganz tief ein. Hätte mich in diesem Moment jemand gesehen, er hätte mich auf der Stelle für verrückt erklären.
Unten hatte Marco anscheinend seine Anlage aufgedreht, denn nun schallte Rockmusik zu mir nach oben. Ich legte mich auf den Rücken, verschränkte meine Arme hinter dem Kopf, schloss die Augen und genoss die Vorstellung, Marco würde gerade dasselbe tun.
Ich musste wohl eingeschlafen sein. Jemand rüttelte an meiner Schulter.
»Timo, wach auf! Timo, so fest kann doch keiner schlafen!«
»Was is den?« , fragte ich und sah meinen Vater verschlafen an.
»Ich hab hier was für dich. Hoffe du hast Spaß dabei.« Ich sah auf das, was mein Vater mir hinhielt.
»Wow, Karten für die Vorstellung von Romeo und Julia. Die sind doch ausverkauft. Ich hab noch versucht welche zu bekommen, aber da waren schon keine mehr da.«
»Da siehst du mal, wo dein alter Vater alles ran kommt. Nein, Spaß beiseite. Ich hab sie schon vor drei Monaten bestellt. Hast du den jemanden der mitgeht?«
Ich dachte darüber nach, was ich ihm jetzt am besten für eine Antwort geben sollte. Er wünschte sich so, dass ich endlich mal mit einer Freundin auftauchen würde. Ahnte er schon etwas, ich meine ich war immerhin schon sechzehn und hatte noch nie ein Mädchen mit nach Hause gebracht. Außer Sarah natürlich, aber die war meine beste Freundin. Würde ich ihn auf dumme Gedanken bringen, wenn ich sagte, dass ich mit Marco hingehen würde? Vorausgesetzt natürlich er würde überhaupt mit mir dahin gehen wollen.
»Nein, weiß ich noch nicht, mal schauen. Aber vielen, vielen Dank Dad, das ist echt eine schöne Überraschung.«
»Freut mich dass es dir gefällt. Gute Nacht.«
»Gute Nacht.«
Schnell zog ich mir meine Sachen aus.
Nur noch mit Boxershorts bekleidet legte ich mich ins Bett. Ich war gespannt, was Marco wohl sagen würde, wenn ich ihn morgen fragte, ob er Lust hätte, mit mir zu Romeo und Julia zu gehen. Nach einiger Zeit, in der meine Gedanken um Marco gekreist waren, schlief ich ein.
Am nächsten Morgen war ich wieder einer der ersten die im Bad verschwanden. Als ich mich anschließend an den Küchentisch fallen ließ, drehte sich meine Mutter zu mir um.
»Wie heißt das Mädchen?«
»Was meinst du?«
»Du stehst plötzlich so früh auf, bist gut gelaunt. Da steckt doch sicherlich ein Mädchen dahinter.«
»Darf man hier nicht mal seine Angewohnheiten ändern, ohne das gleich jeder was hinein deutet?«, erwiderte ich aggressiver als gewollt.
»Schon gut, war je nur eine Frage. Musst mich ja nicht gleich fressen.«
»Entschuldige Mom, doch Dad fragt mich andauernd solche Sachen. Er macht das fast jedes Mal wenn er die Gelegenheit dazu bekommt.«„
»Ich weiß Timo, dein Vater macht sich halt Gedanken, meistens eben auch um Sachen, die ihn gar nichts angehen.«
Nach dem Frühstück schnappte ich mir meine Schulsachen und machte mich auf den Weg einen Stock tiefer. Mir ging noch immer durch den Kopf was Mom gesagt hatte. Worüber machte sich Dad Gedanken? Über meine sexuelle Orientierung? Wie würde er reagieren, wenn er es herausfand? Ein paar Mal war ich schon kurz davor gewesen, es ihm und Mom zu sagen, doch jedesmal übernahm der „Angsthase“ Timo das Kommando.
Ich klingelte. Marcos Mutter öffnete.
»Guten Morgen Frau Teubert.«
»Guten Morgen Timo. Mein Sohn ist gleich fertig. Er hat ein wenig verschlafen.«
»Ist gut, wir haben ja noch Zeit.«
Nach weiteren fünf Minuten, Frau Teubert hatte mich inzwischen in die Küche bugsiert, kam Marco, ein wenig gehetzt wirkend, herein, schnappte sich ein Butterbrot und schon waren wir weg.
»Zu spät ins Bett?«
»Wie bitte?«
»Hast du verschlafen, weil du zu spät ins Bett gegangen bist?«, sagte ich in meinem extremsten Hochdeutsch.
»Ach so, ne, hab nur nicht sonderlich gut geschlafen. Das ist alles.« Er schien immer noch nicht ganz wach zu sein.
Wir gingen ein paar Minuten nebeneinander her ohne miteinander zu reden.
Plötzlich viel mir ein, was ich ihn fragen wollte.
»Du Marco, mein Vater hat mir gestern zwei Karten für Romeo und Julia geschenkt. Hättest du Lust mich dahin zu begleiten? Ich hab sonst niemand, der mit hingehen würde und es wäre doch schade, wenn die Karte verfallen würde, oder?«
»Ich würde gern mitkommen. Romeo und Julia hab ich zwar schon mal gesehen, aber es ist einfach eines seiner besten Stücke und die kann man sich mehr als einmal anschauen.«
Mein Herz schlug Purzelbäume. Ich würde mit meinem Engel in eines der romantischsten, wenn auch tragischsten, Stücke überhaupt gehen. Ich konnte nicht anders und grinste den restlichen Weg vor mich hin. Auch Marcos Stimmung schien nun wieder besser zu werden.
An der Kreuzung zur Wiedemannstraße stieß dann Sarah zu uns.
»Was bist du den am frühen Morgen schon so gut gelaunt?«, fragte Sarah und sah mich mit diesem wissenden Blick an, den ich nicht ausstehen konnte.
»Wieso, darf man nicht auch mal gut drauf sein?«
»Natürlich darfst du das, aber für dich ist es einfach ungewohnt. Sonst hast du immer ein Gesicht auf, als würde man dich zum Schlachter bringen. Das ist alles.«
Marco musste sich bei diesem Kommentar ein Lachen verkneifen.
»Ich bin einfach zu der Überzeugung gekommen, dass es besser ist positiv an die Sache ran zugehen. Macht einem das Leben einfacher.«
Sarah hakte sich bei mir unter und meinte: »Na dann, hoffentlich färbt dein neu gewonnener Optimismus auf mich ab, könnte es gebrauchen.« Sie wirkte auf mich ziemlich deprimiert.
»Wieso das denn? Hast du was?«, fragte ich und sah sie besorgt von der Seite an.
»Ich hab dir doch von Mark erzählt. Du weißt schon, der aus der Fußballmannschaft meines Bruders. Ich bin doch zweimal mit ihm ausgegangen und jetzt redet er plötzlich nicht mehr mit mir. Nur so eine kurze, dumme SMS. >>Sorry Sarah, aber ich brauch mal ne Auszeit, das Training und so. Hoffe du verstehst das. Gruß Mark. << Ach so ein Depp, ich könnte ihm so in den Hintern treten das er den Mond von hinten begutachten kann. Er ist doch ein Idiot, oder nicht? Was meint ihr zwei dazu?«
»Also ich finde, das man ein Mädchen so nicht behandeln sollte. Am besten ist es, man macht von vorn herein klar, was man will und was man vom anderen erwartet, dann kommt es auch nicht zu Missverständnissen oder ähnlichem. Jeder sollte beim anderen wissen woran er ist. Oder was sagst du Timo?«, fragte mich Marco.
»Ich bin genau der gleichen Meinung. Ehrlichkeit ist echt wichtig.« Und an Sarah gewandt fügte ich hinzu: »Lass diesen Mark einfach links liegen. Wenn er was von dir will, soll er kommen. Du bist zu nett und siehst zu gut aus, als das du dich von einem dahergelaufenen Fußballer verarschen lassen musst.«
Ehrlich, Sarah sah echt gut aus. Wenn ich Hetero wäre, wüsste ich nicht ob sich mein kleiner Timo bei ihrem Anblick hätte beherrschen können. Ob Marco Sarah hübsch fand?
»Genau, Timo hat recht, lass dich nicht verarschen.«
»Vielen Dank ihr zwei.«, rief sie leise aus und lächelte uns beide dankend an.
»Oh Mann, wie die Zeit vergeht. Da vorn ist schon die Penne.« Dass diese Tatsache bei uns nicht unbedingt Begeisterungsstürme ausgelöst hatte, kann man sich ja denken.
Der Vormittag plätscherte dahin.
Am Nachmittag hatten wir Sport. Der Trommler ließ uns zum Aufwärmen erst mal eine Runde laufen. Ich war eigentlich ein ziemlich guter Läufer, doch heute war irgendwie der Wurm drin. Und dann wurde mir auch noch schwindlig. Ich versuchte mich noch irgendwo festzuhalten, doch es war zu spät. Ich legte mich ziemlich elegant auf die Nase. Mir wurde schwarz vor Augen. Als ich wieder klarer sehen konnte, sah ich wie der Trommler sich mit einem besorgten Gesichtsausdruck über mich beugte. Neben ihm knieten Marco und Sarah.
»Er wird wach, sehen Sie er macht die Augen auf.«
»Was ist den los?«
»Sie waren kurz ohnmächtig. Wie geht es Ihnen den jetzt.«
»Gut, denke ich... .«
»Dann setzen sie sich bitte für den Rest der Stunde auf die Bank. Ich werde Ihre Mutter anrufen, dass sie nachher kommt und sie zum Arzt bringt. Ihre Freunde haben mir erzählt was gestern passiert ist und ich denke, dass Sie vielleicht eine leichte Gehirnerschütterung haben. Damit ist nicht zu spaßen.«
Ich versuchte zu protestieren, doch gegen den Trommler hatte ich keine Chance. Wenn der sich mal was in den Kopf gesetzt hatte, dann brachte ihn niemand wieder davon ab.
Schweren Herzens ließ ich mich auf der Bank am Turnhallenrand nieder und sah den anderen beim Basketball spielen zu. Oh man, wie gern ich selbst mitgespielt hätte. Die Stunde war schon fast vorbei, da kam Andre auf die tolle Idee, mir den Ball mit Absicht an den Kopf zu werfen. Ich sah ihn gerade noch kommen als er mir auch schon heftig gegen den Kopf knallte. Jeder der schon mal einen Basketball mit voller Wucht abgekriegt hat weiß, dass das recht schmerzhaft sein kann. Augenblicklich sah ich wieder Sternchen und mir wurde schwarz vor Augen. Als ich diesmal wieder klar wurde, lag ich auf der Bank auf der ich eben noch gesessen hatte und hatte etwas Kühles, Feuchtes auf der Stirn. Die anderen aus der Klasse standen um mich herum und blickten mich mit besorgten Mienen an. Etwas weiter entfernt stand der Trommler mit Andre und machte ihn so klein, der hätte unterm Teppich bestimmt Fallschirmspringen können.
»Sind sie eigentlich von allen guten Geistern verlassen? Ihm mit voller Absicht den Ball an den Kopf zu werfen, wo er eh schon eine Verletzung hat. Das setzt zwei Wochen Nachsitzen und einen verschärften Verweis, darauf können sie sich verlassen. Und sollten sie sich noch einmal etwas erlauben, egal was, dann werden noch ihre Kinder nachsitzen, ist das klar.«
So ging das noch eine Zeitlang weiter. Doch viel wichtiger war mir, dass Marco ganz nah bei mir saß und mich erleichtert anlächelte, als er bemerkte, dass ich aufgewacht war.
»Na Timo, wie geht’s dir?«
»Ganz gut würde ich sagen. Aber frag mich das noch mal wenn ich aufstehen und laufen muss, da wird es mir mit Sicherheit wieder schwindlig.«
»Ja, kann gut sein. Aber ich helfe dir, kannst dich drauf verlassen.«
»Danke Marco, echt nett von dir.« Ich kannte ihn nun genau drei Tage und doch war es, als wären wir schon ewig befreundet. Klar hatte ich immer noch starke Gefühle für ihn, die eher noch stärker wurden, die er wahrscheinlich nie erwidern würde, doch in diesem Augenblick erkannte ich, das er, wenn er schon nicht mein FREUND werden würde, dann zumindest einer meiner besten Freund sein könnte.
»Gott sei Dank Timo, Sie sind wieder wach.« Der Trommler stand mit erleichtertem Gesichtsausdruck vor mir. »Ihre Mutter kommt in zehn Minuten, ich würde sagen, Sie gehen sich schon mal umziehen.« Dann wandte es sich an Marco. »Könntest Sie mit ihm in die Umkleidekabine gehen und ein bisschen nach ihm schauen, nicht das er wieder ohnmächtig wird.«
»Ist gut, mach ich.«, erwiderte Marco und half mir auch schon hoch. Und wie ich gesagt hatte, sofort übermannte mich wieder der Schwindel. Marco musste mich stützen, sonst hätte ich mich wieder flachgelegt.
In der Umkleide ließ ich mich erst mal auf eine Bank sinken.
»Oh Mann, ich hab nen Schädel auf, in den würden glatt noch zwei von meiner Sorte reinpassen.«
»Du hast aber auch ein Glück. Bist du eigentlich immer so ein Glückspilz?«, er grinste mich frech an.
»Ha, ha, ha, saukomisch. Nein, normalerweise ist es noch ein bisschen schlimmer.« Ich sah ihn ernst an, musste dann aber lachen. Das Lachen verging mir allerdings ziemlich schnell, da sich in meinem Kopf ein stechender Schmerz ausbreitete. Marco sah erschrocken in mein schmerzverzerrtes Gesicht.
»Alles okay mit dir, du bist ganz blass? Ist dir schlecht?«
»Ja, geht schon. Ich sollte mir nur verkneifen zu lachen.«
Er kniete sich vor mich und sah mich ernst an. In seinen braunen Augen lag so ein komischer Schimmer. Ich hätte in ihnen versinken können.
»Komm, ich helfe dir dich umzuziehen, deine Mutter ist bestimmt gleich da.« Mit diesen Worten beendete Marco das seltsame Schweigen zwischen uns. Das war auch gut so, denn je länger ich ihn ansah, desto munterer wurde der kleine Timo, wenn ihr wisst was ich meine. Denk an was anderes, los, denk an was anderes, schoss es mir durch den Kopf. Marco durfte die Beule in meine Hose nicht sehen. Es war ja wohl zu eindeutig, weshalb ich gerade einen Ständer bekam. Kein Mädchen weit und breit, Marco war der einzige hier und ich saß da und brachte mein zweites Gehirn nicht so wirklich unter Kontrolle.
»Komm zieh dein Hemd aus, ich helfe dir dann bei der Hose.«
»Gut.«, murmelte ich, den so hatte ich noch ein paar Sekunden Zeit, den kleinen Timo in die Schranken zu weisen. Oh endlich, geschafft.
Als mir Marco aus der Hose half, hatte er sich wieder beruhigt. Hey Mann, das war jetzt aber gerade noch mal gut gegangen.
Ich ließ mich, nachdem ich meinen Reißverschluss geschlossen hatte wieder auf die Bank sinken und widmete mich nun meinen Schuhen.
Währenddessen begann Marco sich ebenfalls umzuziehen. Ich blickte auf die Uhr. Die Stunde war so gut wie vorbei. Er streifte sich sein T-Shirt ab, gefolgt von seiner kurzen Sporthose. Er stand mit dem Rücken zu mir, doch was ich sehen konnte gefiel mir ziemlich gut. Was man wenn er seine Klamotten anhatte nur erahnen konnte, bestätigte sich jetzt. Er war sehr gut gebaut und trainierte anscheinend. Ich konnte meinen Blick kaum von ihm abwenden und in meiner Hose zuckte es schon wieder. Denk an stinkende Socken, denk an stinkende Socken, schoss es mir durch den Kopf. Beruhige dich Kleiner, beruhige dich.
Plötzlich hörte man von draußen Lärm. Die anderen kamen. Ich stand auf und wollte zur Toilette. Wieder wurde mir schwindlig, doch ich hielt mich an der Garderobe fest und schaffte es so ohne große Schwierigkeiten zu den Toiletten. Bevor Marco es bemerkt hatte war ich schon in einer der Kabinen verschwunden. Da ich gar nicht musste, aber nicht lange stehen konnte ohne dass es mich umhaute, setzte ich mich auf den geschlossenen Klodeckel. Mann Timo, du musst dich echt beherrschen, sonst endet eure Freundschaft bevor sie richtig angefangen hat. Wie würde er den reagieren, wenn er es das nächste Mal mitbekommt? In Jubelstürme würde er mit Sicherheit nicht ausbrechen. Er würde dich für einen kleinen, notgeilen, perversen Schwulen halten, mit dem er lieber nichts zu tun haben will. Also, wenn du dir die Freundschaft zu Marco nicht schon jetzt kaputtmachen willst, dann reiß dich am Riemen und bleib cool, sagte ich mir im Stillen selbst. Nach ein paar Minuten, das Geschrei in der Umkleide war schon wieder weniger geworden, ging ich zurück.
Marco saß auf der Bank neben meinen Sachen und wartete.
»Wenn du nicht bald wiedergekommen wärst, hätte ich den Trommler und den Hausmeister geholt, damit sie die Klotür aufbrechen. Ich dachte schon, du wärst wieder ohnmächtig geworden oder so.« Täuschte ich mich oder lag in seiner Stimme etwas ängstlich, besorgtes? Ach du, hör auf zu träumen, schließlich bist du doch hellwach.
»Sorry, aber ich musste eben ganz dringend und dann hat es einfach ein wenig länger gedauert.«
»Ist schon gut, aber ... .« Weiter kam er nicht. Sarah steckte den Kopf durch die Tür, die Hand vor den Augen. »Seid ihr alle angezogen?«
»Klar, kannst reinkommen.« , rief ich und schon stand sie neben mir und hatte den selben besorgten Gesichtsausdruck wie Marco.
»Geht es dir wieder besser? Hast mir echt Angst gemacht als du umgekippt bist, nachdem dich der Ball am Kopf getroffen hat.«
Es klopfte. Ein paar Sekunden später stand meine Mom in der Umkleide und sah mich ebenso besorgt an wie schon Marco und Sarah.
»Wir fahren jetzt erst mal ins Krankenhaus, mein Sohn. Ich will wissen was mit deinem Kopf los ist, nicht das es was Ernsteres ist. Geht es dir einigermaßen?«
»Ja Mom, alles bestens. Ich hatte ja Marco, der hat mir die ganze Zeit geholfen.«
»Danke Marco, ich bin froh das mein Sohn endlich wieder einen Kumpel hat, der so hilfsbereit und nett ist wie du.«
»Mach ich gern, ist doch Ehrensache.«, erklärte er meiner Mom und grinste mich an. »Ich muss doch auf meinen Nachhilfelehrer aufpassen, sonst rassle ich noch wegen Biologie durch.«
»Was du gibst Nachhilfe?«, fragte sie ziemlich verblüfft.
»Wieso den nicht, Marco hilft mir mit Mathe und ich ihm mit Bio. Eine Hand wäscht die andere.«
»Du willst es dir wirklich antun, meinem Sohn Mathe beizubringen?«
»Klar, und er hat auch schon ein paar Fortschritte gemacht. Man muss nur wissen wie man es jemandem erklärt.« »Wenn du meinst, ich wäre natürlich froh, wenn er sich verbessern würde, vor allem das dies ja euer Abschlussjahr ist, also macht weiter so.«
Marco ging neben mir her nach draußen. Wir verabschiedeten uns von Sarah, die zu ihren Freundinnen hinüberlief. Am Wagen meiner Mutter angekommen wollte er sich schon zu Fuß auf den Weg nach Hause machen.
»Wenn du willst kannst du bei uns mitfahren Marco. Falls es dir nichts ausmacht den Umweg übers Krankenhaus mitzumachen.«
»Ich fahr gern mit.«, erwiderte er und ließ sich neben mich auf den Rücksitz fallen. Da meine Mutter einen verhältnismäßig kleinen Wagen fuhr war auf der Rückbank nicht sonderlich viel Platz und wir beide wussten kaum wohin mit unseren Beinen. Ich hatte eine Position gefunden in der ich einigermaßen gut sitzen konnte. Marco, der ja ein wenig größer war wie ich, kämpfte noch immer ein wenig damit, sich hinter dem Fahrersitz bequem hinzusetzen.
»Tut mir leid Marco, aber weiter vor rutschen kann ich nicht.«
»Ist schon okay.« Nun saß er endlich ruhig. Etwas schräg, die Füße in der Mitte zwischen den beiden Vordersitzen. Seine nackten Unterschenkel berührten meine. Es ging wie ein elektrischer Schlag durch meinen Körper. Er machte auch keine Anstalten ihn wieder wegzunehmen. Anscheinend dachte er sich nichts dabei. Doch durch meinen Kopf schossen die Gedanken wie verrückt. In meiner Hose regte sich jetzt schon wieder etwas, doch diesmal musste ich keine Angst davor haben er könne es sehen. Ich hatte eine weite Sommerhose an und meinen Rucksack auf dem Schoß.
»Hey Timo, geht es dir nicht gut?«
„»Was.. ich... ne, mir geht es gut, war nur mit den Gedanken woanders.« Mensch Timo, deine gedankliche Abwesenheit, wenn Marco in der Nähe ist, wird langsam auffällig. Wenn er nicht ganz von gestern ist, dann kriegt er das irgendwann mit.
Im Krankenhaus angekommen, gingen wir in die Notaufnahme. Es war ruhig, nur ein Mann mit seinem Arm in der Schlinge war vor uns. Während Marco und ich uns in Wartezimmer setzten erledigte meine Mutter alle Formalitäten.
»Bin ja mal gespannt was bei der Untersuchung jetzt rauskommt. Hoffentlich ist es keine Gehirnerschütterung.«
»Wird schon nicht.«, antwortete er und klopfte mir aufmunternd auf die Schulter. Aber in seinen Augen spiegelte sich Zweifel.
Nach einer weiteren Viertelstunde kam der Mann mit Gips Arm, der vorhin mit seinem Arm in der Schlinge dagesessen hatte aus dem Behandlungszimmer.
»Herr Timo Müller?!«, sagte die junge Ärztin, die nach dem Patienten den Behandlungsraum verlassen hatte und sah sich suchend um.
Ich folgte ihr allein in das Zimmer.
»Na Herr Müller was haben Sie den für Beschwerden?«
»Ach bitte, würden Sie mich bitte duzen, ich bin doch erst sechzehn und Herr Müller ist mein Vater, okay?« Leicht grinsend sah ich sie an.
»Okay, dann du. Was fehlt dir den?«
»Ich bin gestern mit dem Kopf ziemlich hart aufgeschlagen und heute habe ich dann noch einen Basketball mit voller Wucht gegen den Kopf bekommen. Und zweimal war ich heute schon für kurze Zeit ohnmächtig.«
»Hört sich nicht gut an. Wir werde erst mal eine Röntgenaufnahme von deinem Kopf machen und dann sehen wir weiter.«
»Gut.« Mehr konnte ich dazu auch nicht sagen.
Nach gut einer Stunde und mehreren Untersuchungen stand fest, dass ich eine Gehirnerschütterung hatte. Eine leichte zwar, aber trotzdem hatte mich die Ärztin zu zwei Tagen Krankenhaus verdonnert. Zur Beobachtung, wegen der häufigen Ohnmacht.
»Toll, echt toll. Ich hab echt keine Lust auf Krankenhaus.«, jammerte ich, obwohl ich wusste, dass ich nichts dagegen machen konnte.
Ich bekam ein Bett in einem noch leeren Zweibettzimmer im dritten Stock. Mom wollte mir noch ein paar Sachen von zu Hause bringen.
»Marco, soll ich dich jetzt gleich mitnehmen?«
»Wenn Timo nichts dagegen hat, dann leiste ich ihm noch so lange Gesellschaft bis sie zurück sind. Sie können mich ja nachher mitnehmen.«
»Und, soll er noch bleiben oder willst du deine Ruhe haben?« Meine Mom sah mich fragend an.
»Gut, er kann noch bleiben.«, versuchte ich so cool wie möglich zu sagen. Doch innerlich war ich alles andere als cool. Am liebsten wäre ich jetzt auf dem Bett auf und ab gehüpft, nur um meiner Freunde darüber Ausdruck zu verleihen, wie sehr ich mich freute, das er noch bei mir bleiben wollte.
Aber warum tat er das? Er hätte doch auch jetzt mit meiner Mutter zurückfahren können. Es könnte schon noch einige Zeit dauern bis sie zurück sein würde. Schon seltsam, oder? Ach du, genieße es doch einfach und denk nicht immer so viel über alles nach. Ich hasste es, wenn meine innere Stimme Recht hatte.
»Würden Sie mir nur einen kleinen Gefallen tun?«
»Ja klar.«
»Könnten Sie meinen Eltern sagen wo ich bin, sie machen sich schnell mal Sorgen wenn ich nicht pünktlich nach Hause komme.«
»Ist gut, mach ich. Also bis nachher ihr zwei.«
»Tschau.«, sagte ich lächelnd.
»Deine Mutter ist ziemlich gut drauf, oder?«
»Ja, sie ist allem gegenüber offen, lacht gern und macht auch oft mal Blödsinn.«
»Aha, jetzt weiß ich wo du dein komödiantisches Talent her hast.« Er grinste mich breit an. »Aber deine Mutter sollte dir mal zeigen wie man sich dabei nicht verletzt, oder?«
»Ach du Depp, aber mit mir kann man es ja machen.«, erwiderte ich und verschränkte beleidigt die Arme.
»Jetzt spiel nicht die beleidigte Leberwurst, war doch nur Spaß.« Er wirkte etwas bedrückt.
»Ich bin doch gar nicht beleidigt.«, gab ich wieder und kniff ihn in die Seite. Er jaulte auf.
»Lass das, ich bin kitzlig.«
»Das hab ich gemerkt.«
Eine Weile blödelten wir herum.
Dann erzählte er mir ein wenig von früher, von seiner Zeit am Bodensee. Er kam aus einer kleinen Stadt in der Nähe von Konstanz. Wie er ja schon erzählt hatte, mochte er die Schule dort nicht. Wieso genau, wollte ich ihn nicht fragen, wenn er es wollte, dann würde er es mir sicherlich sagen.
Ich fühlte mich in seiner Gegenwart sehr wohl und ihm schien meine auch nicht wirklich unangenehm zu sein. Die Zeit flog dahin. Nach circa einer Stunde war meine Mutter auch schon wieder da.
»Hallo Jungs, da bin ich wieder. Habt ihr euch gut unterhalten?«
»Ja, haben wir.«, antworteten wir wie aus einem Mund.
Sie legte mir Schlafzeug hin, die anderen Sachen räumte sie in meinen Schrank.
»Die Schwester hat gesagt, dass wir dich morgen ab 14 Uhr wieder besuchen kommen können. Jetzt gehen wir am besten, du solltest dich ausruhen.«
»Wenn es sein muss.«
»Okay, dann sehen wir uns morgen.«, sagte Mom und gab mir einen Kuss auf die Stirn.
»Ja, bis morgen.«
»Wenn du nichts dagegen hast, komm ich dich morgen nach der Schule besuchen und bring dir die Hausaufgaben.«
»Das mit dem besuchen geht klar, aber der Teil mit den Hausaufgaben ist echt gemein von dir.«, gab ich zurück und grinste dabei breit.
»Dann also bis morgen.«, erwiderte er ebenfalls breit grinsend.
»Bis morgen.«
Dann waren die beiden auch schon weg. Gott sei Dank hatte ich meinen MP3-Player dabei und auch genug Batterien. Ohne müsste ich wahrscheinlich eingehen, denn sehr unterhaltsam war es hier nicht wirklich. Ich lag allein in einem Zweibettzimmer.
Der folgende Vormittag plätscherte langsam vor sich hin und auch das mehr oder weniger genießbare Mittagessen war nicht wirklich aufregend. Ich war froh, als es endlich auf zwei Uhr zuging. Die Schule sollte heute um 13 Uhr zu Ende sein und Marco hatte versprochen, gleich danach vorbei zu kommen. Ich konnte es kaum erwarten ihn wiederzusehen.
Es klopfte, gleich darauf ging die Türe auf und Marco stand im Zimmer.
»Na, wie war die Schule?«
»Toll, wie immer.«, erklärte Marco mit gespielt gequältem Gesichtsausdruck.
»So schlimm wird es schon nicht gewesen sein.«
»Woher willst du das den wissen, du hast dich ja erfolgreich davor gedrückt.«
»Ach du, ich kann dieses tolle „Fünf – Sterne – Hotel“ ja so genießen. Mein absoluter Traumerholungspunkt.«, erwiderte ich extra theatralisch.
»Du armer Kerl, du tust mir ja so leid.«, antwortete er und ich konnte es mir nicht verkneifen, ihm dafür ein Kissen an den Kopf zu werfen.
»Hey, was soll denn das?!«, rief er und war schon drauf und dran es zurückzuwerfen, als er inne hielt und sagte: »Ich kann das nicht machen, sonst tu ich dir noch weh. Dein Kopf verträgt noch einen Treffer glaub ich nicht.«
»Könntest du Recht haben. Da hab ich ja noch mal Glück gehabt.«
»Aber wenn es dir wieder besser geht fordere ich Revanche.«
»Versprochen.«, erwiderte ich lächelnd. Darauf freute ich mich insgeheim schon.
»Na, dann werde ich dir mal den Unterrichtsstoff von heute ein wenig näher bringen, soweit ich ihn selbst verstanden hab.«
»Oh je, wenn es sein muss.«
»Ja, muss.« sein Blick war unerbittlich.
Wir verbrachten den restlichen Nachmittag damit zu lernen und uns zu unterhalten. Ich genoss diese gemeinsame Zeit. Wir waren schon jetzt so vertraut miteinander, als würden wir uns schon ewig kennen. Meine Mutter hatte angerufen und gesagt, dass sie erst am späten Nachmittag kommen würde. Obwohl ich sie echt lieb hatte, kam es mir ganz recht.
Doch leider verging die Zeit, wie immer wenn man etwas genießt, wie im Flug. Um 18 Uhr packte Marco seine Schulsachen zusammen.
»Also, ich komm dann morgen wieder. Bis dann und lass die Finger von den netten Krankenschwestern.«, meinte er leise lachend.
»Ja, ich versuch mich zusammenzureißen.«, erwiderte ich und dachte insgeheim, wenn du wüsstest, von wem ich nicht die Finger lassen könnte. Gerade als er die Tür öffnen wollte ging diese auf und meine Mom kam herein.
»Hallo Marco. Wie geht es dir?«
»Gut. Ich muss dann los. Bis morgen Timo.«
»Tschau, bis morgen.«, rief ich und schon war er verschwunden.
Mom setzte sich neben mein Bett auf den Stuhl auf dem Marco die ganze Zeit über gesessen hatte und sah mich an. Es war dieser Ich-bin-deine-Mutter-und-ich-weiß-das-dich-etwas-beschäftigt-Blick. Den hatte sie echt gut drauf.
»Hattet ihr einen schönen Nachmittag?«
»Wenn du Mathe und Physik lernen als schön bezeichnen willst, dann ja, wir hatten einen wunderschönen Nachmittag.«
»Du Spaßvogel. Ihr versteht euch sehr gut, oder?«
»Ja, schon. Für das, das wir uns erst seit ein paar Tagen kennen, verstehen wir uns echt gut.«
»Ich bin froh das du wieder jemanden hast mit dem du dich so gut verstehst. Du warst ein bisschen deprimiert, als Dennis weggezogen ist.«
»Ich bin auch froh, mit Marco kann man echt gut reden. Er mag Shakespeare fast so sehr wie ich, das findet man nicht oft.«
»Ist doch schön. Hast du eigentlich schon jemand gefragt wegen dem Shakespeare Stück?«
»Ich hab, wenn ich ehrlich bin Marco gefragt. Dad wird das nicht gefallen, er wollte wahrscheinlich dass ich mit einem Mädchen hingehe. Aber ich kenne kein Mädchen das Shakespeare mag.«
»Ach, vergiss deinen Vater. Freust du dich darauf mit ihm hinzugehen?«
»Ja, sehr sogar.«, rutschte mir heraus, noch ehe ich wusste was ich da gerade sagte. Ich merkte wie ich rot anlief. Das schien auch meiner Mutter nicht zu entgehen. Sie lächelte mich an.
»Du magst ihn, oder?«
»Hab ich doch schon gesagt. Ich bin froh dass wir Freunde sind.«, gab ich schnell zurück.
»Du weißt wie ich das meine Timo. Ich will dich nicht zu irgendwas drängen, aber ich hab mitbekommen, dass du dich in seiner Gegenwart veränderst. Du blühst dann irgendwie auf.«
Was sollte ich jetzt sagen? Ich saß mit hochrotem Kopf neben meiner Mutter und wusste, dass nun der Zeitpunkt gekommen war, ihr zu sagen was Sache war. Mir brach der Schweiß aus und mein Herz begann wild zu schlagen.
»Du hast recht. Ich mag ihn und zwar sehr.«
»Und mag er dich auch?«
»Weiß ich nicht, ich glaub aber, dass er nicht schwul ist.«
»Wie lang weißt du es schon? Dass du schwul bist meine ich.«
»Seit drei, vier Jahren.« Ich sah ihr direkt ins Gesicht. »Was denkst du jetzt von mir?«
»Was sollte ich denn denken? Du bist mein Sohn, ich liebe dich, egal was auch kommt. Schwul sein ist doch nichts Schlimmes. Kannst du dich noch an deinen Onkel Alfred erinnern? Der hat eine Tochter die lesbisch ist und die meisten in der Familie haben überhaupt kein Problem damit, die waren sogar fast alle dabei, als sie sich mit ihrer Frau verpaartnert hat oder wie man dazu sagt.«
»Ich hab dich lieb Mom.« Ich umarmte sie ganz fest und war echt erleichtert. »Könntest du es aber noch für dich behalten? Ich möchte, dass es Dad von mir selbst erfährt.«
»Ist gut, wie du möchtest.«
Das hätte ich nie gedacht. So einfach hatte ich es mir nicht vorgestellt. Jetzt musste ich nur noch den richtigen Zeitpunkt finden, um es Dad zu sagen. Das würde wahrscheinlich nicht so glimpflich verlaufen. Dad war ein echt guter Vater, aber er hatte manchmal noch ziemlich altmodische Ansichten. Wie er auf einen schwulen Sohn reagieren würde, wusste ich nicht.
»Ist es wirklich so offensichtlich das ich ihn mag?«
»Für eine Mutter schon. Ich kenne dich und weiß, wann es dir gut geht und wann nicht. Und im Moment geht es dir glaub ich ziemlich gut, abgesehen natürlich von deinem Kopf.«
»Da bin ich erleichtert, ich will nicht dass er es merkt, er würde wahrscheinlich nichts mehr mit mir zu tun haben wollen. Die wenigsten in unserem Alter können damit umgehen, das sich ein Junge in sie verliebt hat.«
»Von mir erfährt er nichts, doch ich denke, dass du ihm Unrecht tust. Er ist ein netter und wie ich von seiner Mutter erfahren habe, auch ziemlich sensibler junger Mann. Ich denke nicht, dass er ein Problem damit haben würde. Und nur dann, wenn du ihm gegenüber ehrlich bist, kannst du herausfinden, wie er fühlt. Denk einfach mal darüber nach und entscheide dann. Ich würde dir natürlich wünschen, dass er genauso für dich empfindet wie du für ihn.«
»Das wünsch ich mir auch. Wir werden sehen.«
Ich glaube, so froh wie gerade war ich schon lang nicht mehr. Mein Herz fühlte sich so viel freier und leichter an.
In dieser Nacht schlief ich wunderbar.
Nach dem Frühstück nahm ich das Buch vom Nachttisch, das Mom mir gestern vorbei gebracht hatte. >>Was ihr wollt<< von Shakespeare. Ich begann zu lesen, unterbrach nur kurz um mein Mittagessen zu essen und las dann weiter. Die Zeit flog nur so dahin.
Es klopfte. Dann stand Marco auch schon im Zimmer. Es sah auf das Buch in meiner Hand.
»Ah, du hast ja eine Beschäftigung, dann kann ich ja wieder gehen.«, meinte er mit einem breitem Lächeln im Gesicht.
»Wage es ja nicht, ich vergehe sonst noch vor Langeweile.«
»Hast es doch bald geschafft, oder?«
»Ja, der Doc hat gemeint, wenn alle Werte so bleiben, dann darf ich morgen früh raus.«
»Das ist doch eine gute Nachricht. Ich hab auch eine für dich. Mathe ist heute ausgefallen und so werde ich dich damit heute nicht quälen.«
»Das sind wirklich mal echt gute Neuigkeiten.«, erklärte ich erleichtert.
»Ja, denk ich auch. Bist du dann am Sonntag wieder fit genug um das Stück anzuschauen?«
Das hatte ich ja total vergessen. Sonntag. Romeo und Julia! Ich würde mich durch nicht davon abhalten lassen, mit Marco da hin zu gehen. Und wenn sie mich auf einer Bahre rein tragen müssten, ich würde trotzdem hingehen.
»Klar, auf jeden Fall. Ich freue mich schon total drauf.«
»Ich mich auch. Noch mal danke dass du mich eingeladen hast.«
»Gern geschehen.«
»Darf ich dich was fragen Timo?«
»Na klar, frag einfach.«
»Wieso hast du mich und nicht zum Beispiel Sarah oder so gefragt?« Als er mich das fragte, lag ein seltsamer Ausdruck in seinem Blick, den ich nicht deuten konnte.
Was sollte ich darauf nur antworten? Ich kam mir ein wenig wie ein Rehkitz vor, das in die Ecke gedrängt und von Wölfen umringt, darauf wartet in die ewigen Jagdgründe einzugehen.
»Ich hab dich gefragt, weil du der einzige bist, den ich kenne, der Shakespeare so sehr mag wie ich. Sarah kann mit Shakespeare nicht viel anfangen und sonst kenne ich niemanden, den ich gern dabei gehabt hätte.«
Marcos Züge hellten sich wieder auf.
Der restlich Tag verging wie von selbst. Marco hatte sich ans untere Ende meines Bettes gesetzt und wir unterhielten uns über alles Mögliche. Immer wenn er von seiner Zeit am Bodensee erzählte, verdunkelte sich sein Blick. Zugern hätte ich gewusst, was ihn so beschäftigte, doch mir war klar, das wenn ich ihn zu einer Antwort drängen würde, er sich dann vor mir verschließen und ich es nie erfahren würde.
Timo, warte einfach ab, irgendwann erzählt er es dir mit Sicherheit.
Um halb sieben verabschiedete er sich, versprach aber morgen bei mir zu Hause vorbei zu schauen und mir einen Krankenbesuch abzustatten.
Endlich war Sonntag. Ich hatte die letzte Nacht kaum ein Auge zugemacht, so aufgeregt war ich.
Um 20 Uhr sollte die Vorstellung beginnen, ich war schon um kurz nach 18 Uhr fertig und saß vollkommen nervös bei meiner Schwester im Zimmer und sah ihr beim Lesen zu.
»Du machst mich ganz nervös. Hör auf damit mich anzustarren!«
»Ich starr überhaupt nicht!«
»Tust du wohl. Aber gut.« Sie legte ihr Buch zur Seite und sah mich an. »Was ist den los?«
»Ich bin total aufgeregt, habe eine scheiß Angst und hab das Gefühl, ich müsste mich gleich übergeben.«
»Aber bitte nicht auf meinem Bett.«, sagte sie verschmitzt grinsend. »Du bist so aufgeregt wegen Marco, stimmt´s?«
»Ja, ich glaub mich hat es echt voll erwischt.«
»Glaub ich auch. Hast du es ihm schon gesagt?«
»Nein, ich... .«
»Du hast Schiss, oder?«
»Könnte man so ausdrücken, ja.«
»Weißt du ob er dich auch mag?«
»Ich denke schon, dass er mich mag, sonst würde er nicht so viel mit mir machen. Aber er mag mich wahrscheinlich nur als guten Freund und nicht mehr. Leider.«
»Aber das weißt du nicht genau, oder?«
»Nein, aber ich kann ihn ja auch schlecht danach fragen, oder?«
»Nein, aber so besteht noch eine kleine Chance, das er dich auch so mögen könnte wie du ihn.«
»Du bist Mom echt ähnlich, weißt du das?«
»Wie meinst du denn das jetzt wieder?«
»Die hat fast dasselbe gesagt.«
»Wie, hast du ihr gesagt, dass du schwul bist?«
»Ja, als ich im Krankenhaus war. Aber sie hat mich darauf angesprochen, hat anscheinend schon länger was geahnt. Mütter eben, ich glaub, die haben so was wie ein Mutterradar für so was.«
»Ja, manchmal könnte man das echt meinen. Du freust dich sehr auf heute Abend?«
»Mehr als auf alles andere.«
»Dann genieße diesen Abend und denk nicht so viel nach, das macht nur Kopfschmerzen und führt zu Stirnrunzeln. Ist beides nicht gut.«
»Meine kleine Schwester, wenn ich dich nicht hätte. Hab dich lieb.«
»Ich dich auch.«, sagte sie, setzte sich neben mich und nahm mich fest in den Arm. »Wird schon alles werden, ganz bestimmt.«
»Dein Wort in Gottes Ohr Schwesterherz, dein Wort in Gottes Ohr.«
Dad wollte uns hinfahren und wieder abholen. So ging ich um sieben nach unten um Marco abzuholen. Seine Mutter öffnete die Tür.
»Was ist das den für ein gutaussehender junger Mann vor unserer Tür? Komm rein, Marco ist noch nicht ganz fertig. Kannst dich derweil zu Alexander ins Wohnzimmer setzen.«
Alexander war Marcos kleiner Bruder. Er war ein Jahr älter wie Lisa und gerade auf einem ziemlich nervigen Gangster-Rapper,-ich-bin-auch-einer-Trip. Als ich mich zu ihm gesellte, las er gerade ein Buch. Alex las ziemlich gern, hatte mir Marco erzählt. Doch er droht jedem, der es wusste, ihn in der Luft zu zerreißen, der es weiter erzählen würde. Aber ganz ernst zu nehmen war Alex nicht, da er fast einen Kopf kleiner war wie ich.
»Hi Alex, na was geht?«
»Nichts Besonderes. Les nur. Ist ganz interessant. Kennst Sakrileg? Dan Brown?«
»Ne, aber hab schon davon gehört. Kannst es mir ja mal ausleihen wenn du fertig bist damit.«
»Kann ich machen.«, sagte er und widmete sich wieder seinem Buch. Für seine Verhältnisse war das eben eine echt lange Unterhaltung gewesen. Er redete nicht viel.
Ich ließ mich in einem der Sessel nieder und sah mich ein wenig um. Im Wohnzimmer war ich erst zwei Mal ganz kurz gewesen, denn meistens lernten wir bei Marco im Zimmer. An der einen Wand hingen unzählige Familienfotos. Ich stand wieder auf, um sie mir genauer anzusehen. Vor allem Kinderbilder von Alex und Marco, ein paar Bilder mit den Eltern und Großeltern und ein Foto von Marco in Badehose, wie er ganz oben auf dem Treppchen stand und strahlend eine Goldmedaille in die Kamera hielt. Er sah verdammt gut aus in dieser extrem eng anliegenden Badehose. Ich musste aufpassen, dass sich nicht wieder Klein Timo zu Wort meldete. Dass er Schwimmer gewesen war, hatte er nie erzählt. Ob das mit dem was an seiner Schule passiert war zu tun hatte?
»Wartest du schon lange?« Marco war unbemerkt ins Wohnzimmer gekommen. Ich drehte mich zu ihm um.
»Ne, nur ein paar Minuten. Können wir los? Mein Vater fährt uns und holt uns wieder ab, so bleibt uns schon der Bus erspart.«
»Ist gut, wenn es nach mir geht können wir. Ich bin fertig.«
»Gut, dann los. Tschau Alex.« Er nickte nur kurz ohne von seinem Buch aufzusehen.
Zehn Minuten später saßen wir auf dem Rücksitz im Auto meines Vaters und ich warf Marco immer wieder Seitenblicke zu. Er sah in seinem schwarzen Anzug einfach zum Anbeißen aus.
Marco riss mich aus meinen Gedanken.
»Hast du Romeo und Julia schon mal gesehen?«
»Nein, aber Hamlet und Ein Sommernachtstraum. Ich finde all seine Stücke super.«
»Die beiden hab ich noch nicht gesehen, aber ich kann mir vorstellen das die gut waren.«
Nach zehn Minuten erreichten wird das Theater. Wir stiegen aus, verabschiedeten uns von meinem Dad und machten uns auf dem Weg zum Haupteingang.
Auf dem Weg dahin lief ein offenbar schwules Pärchen Hand in Hand an uns vorbei. Marcos Gesicht nahm einen nicht definierbaren Ausdruck an. Er blickte ihnen kurz nach und schüttelte dann leicht den Kopf. Offensichtlich hatte er ein Problem mit Schwulen. Echt toll, warum muss ich das gerade heute Abend herausfinden?
Mir saß ein dicker Kloß im Hals, als wir uns auf unsere Plätze setzten. Marco schien mein Stimmungswechsel aufgefallen zu sein, da er mich etwas besorgt von der Seite ansah.
»Ist mit dir alles klar? Ist dir wieder schwindlig?«
»Ja, ein bisschen.«, log ich. Wenn er nur wüsste, wie mein Herz im Moment schmerzte. Ich hätte losheulen können.
»Wenn es schlimmer wird dann sag Bescheid, okay?«
»Ja, mach ich.«
Gott sei Dank wurde in diesem Moment das Licht gedämmt. So konnte er nicht sehen, dass mir eine Träne die Wange hinunterlief. Ich wischte sie weg und zwang mich das Stück zu genießen.
Es war echt gut, doch immer dann, wenn ich es zu genießen begann, kam mir Marcos Gesichtsausdruck wieder vor Augen und meine Stimmung sank wieder unter null.
»Das war echt noch besser als beim letzten Mal. Hat es dir auch gefallen?«
»Klar, war verdammt gut.«, versuchte ich mit fester, überzeugender Stimme zu antworten. Es schien zu funktionieren, zumindest sagte er nichts.
»Das ist schon ne ziemlich tragische Liebesgeschichte. Doch die Liebe der beiden muss unendlich gewesen sein, sonst wären sie nicht füreinander in den Tod gegangen, oder? Was denkst du Timo?«
»Denk ich auch, aber das Stück zeigt auch, wie grausam Liebe sein kann.«
»Ja, Liebe ist nicht einfach. Oft tut man jemand weh den man liebt oder einem wird von jemand weh getan, von dem man es nie gedacht hätte.« Er blickte traurig zu Boden. Für einen kurzen Augenblick meinte ich das seine Augen von Tränen schimmerten.
»Was hast du Marco?«
»Nichts, sind nur Erinnerungen. Schmerzliche Erinnerungen.«
»Willst du darüber reden?«
»Nein, im Moment noch nicht. Vielleicht später mal.«
»Gut.«, sagte ich und wollte ihn und mich wieder auf andere Gedanken bringen. »Ich hab in eurem Wohnzimmer ein Bild von dir gesehen, auf dem du ne Goldmedaille um hast. Warst du in einer Mannschaft?«
»Ja, mein halbes Leben, aber das ist jetzt vorbei.« Ich hätte nie gedacht, dass die Stimmung noch mieser hätte werden können. Doch es war so. Anscheinend war das etwas, an das er keine allzu guten Erinnerungen zu haben schien und ich Trottel muss das auch noch ansprechen. Wir warteten auf Dad. Die zehn Minuten standen wir stumm nebeneinander und ich hätte mich am liebsten in ein Mausloch verkrochen. Mir war Hundeelend als Dad endlich um die Ecke kam. Während der gesamten Rückfahrt schwieg ich. Ich wollte nicht wieder in ein Fettnäpfchen treten.
Zu Hause verabschiedeten wir uns kurz und knapp.
In meinem Zimmer angekommen schmiss ich mich aufs Bett und heulte. Dieser Abend, der so schön hätte sein können, war zu einer einzigen Katastrophe geworden. War er sauer auf mich? Den ganzen Weg nach Hause hatte er nicht ein Wort zu mir gesagt, mich nicht einmal angesehen. Am liebsten hätte ich laut geschrien.
Ich hatte nicht gehört, wie die Tür geöffnet wurde. Jemand setzte sich zu mir auf die Bettkante und legte mir liebevoll den Arm auf den Rücken.
»Timo, was hast du?« Es war Lisa. Sie hatte das Zimmer neben meinem und hatte anscheinend mitbekommen, dass ich zurück war.
»Lisa, alles ist scheiße.« Das war das einzige was ich sagen konnte. Ich setzte mich auf, sah Lisa an und sie nahm mich liebevoll in den Arm.
Ich ließ meinen Tränen freien Lauf. Obwohl sie jünger war wie ich, war sie doch in manchen Situationen erstaunlich reif.
Nachdem ich mich beruhigt hatte, verließ Lisa das Zimmer und ich zog meine Sachen aus, legte mich ins Bett und fiel bald darauf in einen traumlosen Schlaf.
Am nächsten Morgen wachte ich auf und hatte starke Kopfschmerzen. Es war fast so als hätte ich gestern Abend zu tief ins Glas geschaut. Oh Mann, gestern Abend! Ich hätte echt nie gedacht, dass dieser Abend, auf den ich mich schon so lange gefreut hatte, so unendlich schief laufen konnte. Aber er war schief gelaufen. Nein nicht nur schief! Er war total den Bach runtergegangen. Schlimm genug, das Marco etwas gegen Schwule hatte, nein, ich erinnere ihn auch noch an etwas schlimmes, das er lieber vergessen würde. Am liebsten wäre ich im Bett liegen geblieben. Doch da schallte schon die Stimme meiner Mutter vor meiner Zimmertür.
»Timo, du kommst noch zu spät zur Schule wenn du nicht bald aufstehst!«
Ich quälte mich aus dem Bett, schlurfte ins Bad. Mein Spiegelbild sah so aus, wie ich mich fühlte. Scheiße! Aus dem Badezimmerschrank nahm ich mir noch ein Aspirin, die Kopfschmerzen waren kaum zu ertragen.
Auf Frühstück hatte ich keine Lust, vor allem, weil meine Mutter meine miese Stimmung bemerkt hätte und mich sicherlich ausquetschen würde. Ich schnappte mir meine Schulsachen und ging. Ich klopfte bei Marco und fünf Minuten später waren wir auf dem Weg zur Schule. Wenn wir über etwas sprachen, dann eigentlich nur über Belangloses. Kurz bevor wir an die Stelle kamen, an der Sarah wartete blieb Marco einfach stehen.
»Du Timo, ich wollte mich wegen gestern Abend bei dir entschuldigen. Ich hab echt scheiße reagiert, doch da sind so einige Sachen an meiner alten Schule vorgefallen und ich hab die noch nicht so ganz verkraftet. Es ist nicht deine Schuld und ich hätte meine schlechte Laune nicht an dir auslassen dürfen. Es tut mir echt leid. Irgendwann erzähl ich dir, was damals passiert ist, doch nicht heute.«
»Ist schon gut, aber nächstes Mal red mit mir, wir sind doch schließlich Freunde, oder?«
»Ja, sind wir.«
Als wir Sarah an der Ecke aufsammelten, war meine Laune schon ein wenig besser.
Sarah musste wohl bemerkt haben, dass meine Stimmung nicht sonderlich gut war, denn als Marco sich in der großen Pause aufs Klo verzog, nahm sie mich zur Seite.
»Hey Mann, was ist denn mit dir heute los?«
»Nichts, was soll den los sein?«
»Nichts? Das kannst du vielleicht deiner Oma erzählen, aber nicht mir. Du siehst aus, als hätte man dir gesagt, du müsstest durch eine Grube mit giftigen Schlagen, Krokodilen und Skorpionen laufen. Was ist denn los, Mensch?«
»Nichts, hab ich doch schon gesagt!«
»Bin ich nun deine beste Freundin, oder nicht?«
»Klar bist du meine beste Freundin.«
»Dann lüge mich nicht an und sag mir was los ist!«
»Okay, ich sag es dir ja. Du weißt doch, dass wir, Marco und ich, gestern zu dem Shakespeare-Stück gegangen sind. Als wir zum Eingang gelaufen sind, da ist an uns ein schwules Pärchen Hand in Hand vorbeigelaufen. Und nachdem, wie Marco geschaut und den Kopf geschüttelt hat, kann er Schwule nicht ausstehen. Ist das nicht toll? Jetzt kann ich ihn mir nicht nur als meinen FREUND von der Backe schmieren, nein jetzt muss ich auch noch Angst davor haben, ihn als Freund zu verlieren, wenn er herausfinden sollte, das ich schwul bin. Ich könnt nur noch heulen.«
»Ich dachte mir schon das es was mit Marco zu tun haben muss.«
»Wieso das denn?«
»Na, erstens, weil ich deine Freundin bin und gemerkt hab, das sich deine Art ihm gegenüber ein wenig verändert hat. Und zweitens, du siehst ihn kaum noch direkt an, geschweige denn indirekt. Seit dem du ihn das erste Mal gesehen hast, hast du ihn immer wieder von der Seite beobachtet, doch heute, nicht ein Mal. Das ist mir schon etwas komisch vorgekommen. Aber nach dem was du gerade erzählt hast, kann ich das verstehen. Aber bist du dir wirklich sicher, das Marco was gegen Schwule hat?«
»Schon ziemlich. Du hast seinen Gesichtsausdruck nicht gesehen, als das Pärchen an uns vorbeigegangen ist. Manchmal wünschte ich, ich wäre hetero, dann wäre mein Leben wenigstens nicht ganz so kompliziert.«
»Was ist kompliziert?«, fragte Marco, der unbemerkt zu uns herangetreten war.
»Mathe. «, sagte ich hastig und lief ein wenig rot an. Hatte er gehört was ich gesagt hatte? Ich war echt ein Trottel, warum musste ich das auch hier auf dem Pausenhof bereden, wo uns Hinz und Kunz belauschen könnte?
»Ja, aber wenn du weiter so gut weiter übst wie bisher, da wird sich das auch bald geben.«, sagte er und grinste mich an.
»Ja, hoffe ich auch.«, erwiderte ich und zwang mich ebenfalls zu einem kurzen Grinsen.
Der restliche Schultag verlief ziemlich ruhig.
Nach dem Nachmittagsunterricht liefen wir zwei schweigend nebeneinander her. Sarah hatte sich mit Mark verabredet, um sich mit ihm auszusprechen.
Ich hasste diese Stille, die zwischen uns herrschte, doch ich traute mich nicht, als erster das Wort zu ergreifen.
»Geht es dir nicht gut, du bist heute schon den ganzen Tag so komisch?«, fragte mich mein Engel und riss mich damit ziemlich abrupt aus meiner Gedankenwelt.
»Was...wieso, ich... nein, ich meine doch, mir geht es gut.«
»Ja, klar und ich bin der Kaiser von China!«, sagte er. Er glaubte mir kein Wort. »Ist es wegen mir, bist du sauer auf mich?«
»Nein, es liegt nicht an dir.« Wenn du nur wüsstest, schoss es mir durch den Kopf. »Es liegt an mir. Ich hab momentan ein paar Sachen die ich klären muss. Ehrlich, du bist nicht schuld.«
Er stand direkt vor mir, ich konnte sein Parfum riechen. Oh Mann, am liebsten hätte ich mich ihm an den Hals geworfen und seinen geilen Duft eingeatmet. Kleiner, nur nicht die Selbstbeherrschung verlieren. Denk daran deinen Kopf zu benutzen und fang nicht an, mit einem anderen Körperteil als mit deinem Kopf denken zu wollen. Das geht nicht gut aus.
Er hatte nun den Kopf schräg gelegt und sah mich mit einer Mischung von Hundeblick und zweifelndem beäugen an. So wie es aussah glaubte er mir nicht.
»Ich bin mir nicht sicher ob du mir die Wahrheit sagst. Aber okay, wenn du kein Vertrauen zu mir hast, dann gut. Hab nur gedacht, wir würden Freunde werden.« Er drehte sich auf dem Absatz um und rannte davon.
Was war nun schon wieder? Wieso rannte er einfach weg?
Hatte ich ihn unabsichtlich verletzt? Anscheinend bedeutete ihm die Freundschaft zu mir schon jetzt, obwohl wir uns nun wirklich noch nicht lange kannten, ziemlich viel. Aber würde er immer noch genauso denken, wenn er herausfinden würde, dass der Typ, den er sich zum besten Freund erkoren hat, auf Schwänze steht? Das wage ich sehr zu bezweifeln.
Ich blickte ihm hinterher und sah noch, wie er in unsere Straße einbog. Ich beschloss ihm und mir selbst ein paar Minuten Zeit zu geben. Ruhig ging ich die letzten Meter bis zum Haus, stieg in den zweiten Stock hinauf und stand dann vor der Wohnungstür der Teuberts.
Mein Herz schlug so hart gegen meine Brust, das es schon wehtat. Langsam, unendlich langsam bewegte sich mein Finger auf die Klingel zu. In diesem Moment kamen mir einige Erinnerungen hoch. Dennis und ich vor ein paar Jahren, wie wir uns im Sommer einen Spaß daraus machten, alle möglichen Klingeln an einem Hauseingang gleichzeitig zu drücken und dann schallend, uns hinter einer Hecke die Bäuche haltend, darüber kaputt lachten. Oh Dennis, wie sehr du mir gerade jetzt fehlst. So dringend bräuchte ich jemand, mit dem ich über meine Sorgen und Ängste reden könnte. Ich seufzte laut und drückte dann schließlich die Klingel. Kaum war das Läuten verhallt, öffnete mir auch schon Marcos Mutter die Tür.
»Hallo Timo, du willst zu Marco, oder?«
»Ja, ist er denn da?«
»Ja, er ist in seinem Zimmer. Du, kann es sein, das du dich mit ihm gestritten hast oder so? Als er vor nicht mal zehn Minuten nach Hause kam, warf er seine Sachen in die Ecke und ging ohne viele Worte zu sagen in sein Zimmer.«, sagte sie und zeigte auf den Rucksack, den Marco achtlos in die Ecke gepfeffert hatte.
»Wir haben nur geredet und dann ist er plötzlich weggelaufen.«
»Komisch.«, sagte sie mehr zu sich als zu mir. »Dann geh mal zu ihm und red mit ihm.«
Sichtbar vor sich hin grübelnd ging sie in Richtung Küche davon und ließ mich allein im Flur stehen. Zweimal atmete ich tief ein und klopfte dann an die Tür meines Engels.
»Mama, ich hab doch gesagt, dass ich keinen Hunger habe.«, kam es gereizt von drinnen.
»Ich bin es, nicht deine Mutter.«, sagte ich und setzte nach. »Darf ich reinkommen?«
»Ist ein freies Land, mach was du willst.«, rief er extrem zickig. Ich hab gar nicht gewusst, dass Jungs auch so zickig sein können.
Was hatte er nur? So aggressiv hatte ich ihn noch nicht erlebt.
Ich ging hinein und schloss die Tür hinter mir. Marco saß an seinem Computer und schien zu spielen. Ich stand noch immer an der Tür und kam mir vor wie bestellt und nicht abgeholt.
»Können wir reden?«
»Worüber den?«
»Über das was gerade war? Wieso bist du weggelaufen? Ich versteh das nicht.«
»Du willst wissen wieso ich weggelaufen bin? Ich werde es dir sagen. Du willst doch gar nicht wirklich mit mir befreundet sein. Das ist mir heute klar geworden, oder vielmehr schon gestern Abend. Wir haben gestern nach dem Stück doch kaum noch ein Wort gewechselt, du hast mich einfach ignoriert. Und heute? Ich kam mir den ganzen Tag vor wie das fünfte Rad am Wagen. Ich hatte wirklich gehofft, dass wir gute Freunde werden würden. Ich Depp entschuldige mich heute Morgen auch noch bei dir und du tust so, als wären wir die besten Freunde.«
Ich stand immer noch wie angewurzelt an der Tür und so sehr ich es auch wollte, ich war nicht in der Lage, mein Gehirn an zuschmeißen und etwas zu sagen.
»Keine Antwort ist auch eine Antwort. Du weißt ja wo es rausgeht!«, sagte er scharf ohne sich umzudrehen.
Nun endlich entschied sich mein Gehirn doch noch mal dazu, sich am Gespräch zu beteiligen.
»Spinnst du eigentlich?«, schrie ich fast.
»Was?!?«
»Ich hab dich gefragt ob du spinnst?«
»Wieso das den jetzt?«, entgegnete er ziemlich gereizt.
»Wieso? Ich bemühe mich, mich mit dir anzufreunden und du merkst das anscheinend nicht mal. Ich hab dich gestern Abend ignoriert, aber nur weil ich nicht noch mal in ein Fettnäpfchen treten wollte. Als ich das mit deiner Schwimmmannschaft erwähnt habe, ging es dir nicht gut dabei. Ich wollte dir nicht noch mal wehtun, indem ich was sage, das schmerzlich für dich ist.
Und das was mich heute den ganzen Tag beschäftigt hat, hat nicht sehr viel mit dir zu tun. Es ist etwas, das ich noch mit mir selbst klären muss, bevor ich darüber reden kann und will. Aber eines weiß ich mit Sicherheit, ich möchte, dass wir beide Freunde werden.«
Mein Engel saß immer noch auf seinem Schreibtischstuhl, hatte sich aber mittlerweile zu mir umgedreht und sah ein wenig verwirrt aus. Dabei zog er einen leichten Schmollmund, hinter dem aber schon der Anflug eines Lächelns zu erahnen war.
»Ist das dein Ernst? Du willst also wirklich mit mir befreundet sein?«
»Klar du Torfkopf, würde ich sonst hier stehen und mich von dir beleidigen lassen?«, antwortete ich breit grinsend.
»Sorry. Und danke.«
»Gern geschehen.« Und in Gedanken fügte ich hinzu: Ich handle schließlich eigennützig.
Nach einer Weile, in der wir uns unterhalten hatten, gingen wir in die Küche zu Marcos Mutter.
»Aha, der Herr hat wohl doch Hunger!?!«
»Ja. Kann Timo mit uns was essen?«
»Wenn er möchte gern.«
»Klar. Meine Mutter ist heute nicht da und bei uns heißt das dann kalte Küche, den weder ich noch meine Schwester können so wirklich kochen und Dad ist wahrscheinlich wieder länger beim Arbeiten.«
»Gut, dann deckt schon mal den Tisch.«
Wir ließen uns die Käsespätzle, die Marcos Mutter frisch zubereitet hatte, schmecken. Mir war immer wieder, als würde mich jemand beobachten, doch immer wenn ich aufblickte, saßen sowohl Marco als auch seine Mutter da und begutachteten die noch in ihren Tellern vorhandenen Spätzle. Vielleicht hatte ich mir die ganze Sache auch nur eingebildet.
Nach fast drei vollen Tellern konnte ich beim besten Willen nicht mehr.
»Danke, aber wenn ich auch nur noch ein einziges Spätzle esse, dann gibt es ein Unglück und eine mächtige Sauerei, den dann verreißt es mich bestimmt.«, sagte ich lachend, als mich Frau Teubert fragt, ob ich nicht noch einen Nachschlag wollen würde.
»Also, wie du bei so einer guten Küche so schlank bleibst ist mir echt ein Rätsel.«, sagte ich grinsend an Marco gewandt.
Gegen 19 Uhr verabschiedete ich mich von Marco und seiner Mutter und ging nach oben.
Die nächsten Wochen vergingen wie im Flug. Da es unser Abschlussjahr war, versuchten die Lehrer uns schon jetzt auf die kommenden Prüfungen vorzubereiten. Marco freundete sich auch mit Ben, Sarah und Jay an. Man sah uns fünf fast nur noch zusammen rumhängen. Wie schon mal erwähnt, hatte ich nicht sonderlich viele Freunde, doch die, die ich hatte, waren richtig gute Freunde.
Ich versuchte, immer in seiner Nähe sein zu können. Während der Herbstferien waren Jay und Ben mit ihren Eltern in Urlaub und Sarah, die sich anscheinend wieder mit Mark versöhnt hatte, bekamen wir auch nur äußerst selten zu Gesicht. So kam es, dass wir beide oft allein unterwegs waren.
Wir gingen ins Kino, Pizza essen oder hingen einfach zu Hause herum. Als die Schule wieder losging traf sich unsere Fünferclique regelmäßig zum Lernen, da alle Lehrer der unsinnige Idee verfallen waren, es wäre an der Zeit Schulaufgaben zu schreiben. Eine oder zwei wären ja noch zu verkraften gewesen, doch drei oder vier innerhalb von einer Woche waren nach meinem Geschmack etwas zu viel des Guten.
Mitte Dezember war es dann endlich vorbei und der Schulalltag verlief wieder normal. Zu meiner großen Überraschung bekam ich sogar in Mathe eine gute Note.
»Hättest du nicht die beiden Leichtsinnsfehler gemacht, dann hättest du mit Sicherheit auch eine eins.«, sagte Marco mit gespielt verärgertem Ton und grinste mich an.
Wir saßen alle zuhause bei mir im Zimmer.
»Was, du hast ne zwei?«, fragte Jay entsetzt.
»Ja, wieso den auch nicht?«, fragte ich leicht zickig zurück.
»Schon gut, musst ja nicht gleich zickig werden. Aber von dir ist man eher gewöhnt, dass du so zwischen einer vier und einer fünf liegst.«
»Ja, das war mal. Jetzt nehme ich Nachhilfe und wie man sieht, das hilft.«
»Bei wem nimmst du Nachhilfe? Sag bitte nicht, dass du dich mit den Oberstrebern aus der ersten Reihe eingelassen hast.«
»Nein, ich hab meinen persönlichen Streber.«, antwortete ich grinsend und zeigte auf Marco.
»Hey!«, kam es entrüstet von ihm.
»Nicht aufregen, unser Timo ist einfach so, kann man nichts mehr machen, ein absolut hoffnungsloser Fall. Er ist immer wie ein Elefant im Porzellanladen. Du müsstest mal hören, was der schon alles zu mir gesagt hat. Manchmal liege ich zu Hause und weine mich deswegen in den Schlaf.«, sagte Ben, der sich nun auch ins Gespräch eingeklinkt hatte breit grinsend und knuffte mich in die Seite.
»Ja, kann man halt nichts machen, ein Weichei bleibt ein Weichei.«, sagte ich und sah ihn provozierend an.
»Du nennst mich ein Weichei, du Weichei?«
So ging das noch eine Weile hin und her und endete damit, das sich sowohl Ben, wie auch Jay und Marco auf mich stürzten und begannen mich durch zu kitzeln, da ich in meinem jugendlichen Übermut zu einem Rundumschlag ausgeholt hatte und nun alle drei einen guten Grund hatten, sich an mir zu rächen. Hatte ich schon erwähnt, dass ich verdammt kitzlig bin? Gut, dann hab ich es hiermit nachgeholt. Irgendwann lag ich halb unter den drei begraben, bekam vor lauter lachen kaum noch Luft und bettelte um Gnade.
»Na, sollen wir heute noch mal gnädig mit ihm sein? Vielleicht war ihm das jetzt ne Lehre.«
»Glaub ich nicht, aber ich kann auch nicht mehr. Für heute bist du noch mal davon gekommen. Aber merk dir, man legt sich nicht ungestraft mit den drei Musketieren an.«
»Ich hab es verstanden. Werde ich nie wieder machen, zumindest heute nicht. Könntet ihr nun wieder von mir runter gehen.« Einerseits sahen alle drei ja nicht sonderlich schlecht aus, doch andererseits war das genau der Grund wieso ich sie so schnell wie möglich von mir runter haben wollte, den Klein Timo kündigte sein kommen an. Könnt ihr euch vorstellen, wie peinlich es mir gewesen wäre, wenn die drei das mitbekommen hätten? Nicht auszudenken wie sie reagiert hätten. Wahrscheinlich von dem Krach angelockt, klopfte es an meiner Tür und Mom steckte den Kopf herein.
»Was ist das den für ein Krach hier drin? Was treibt ihr eigent...... ?«, fragte sie, hielt mitten im Satz inne und sah etwas irritiert von einem zum anderen, was ja nicht sonderlich schwer war, da wir noch alle aufeinander lagen, und war dann auch schon wieder verschwunden. Wir sahen uns kurz an und prusteten dann wie auf Kommando gleichzeitig los.
»Also Timo, ich glaub heute Abend wir deine Mutter ein ernstes Gespräch mit dir führen. So wie die geschaut hat, denkt die sich noch, dass du andersrum bist.«, sagte Jay und grinste mich an.
In mir zog sich bei diesen Worten alles zusammen. Unauffällig suchte ich den Blick von Marco, doch in ihm konnte ich nichts erkennen. Er lachte mit den anderen beiden mit.
Ben setzte noch einen drauf.
»Also ich muss ja sagen, dass diese Situation schon ziemlich anregend war, oder Jungs?«, sagte er so weiblich klingend wie irgend möglich und fuchtelte wild gestikulierend mit den Händen. Wir bogen uns vor Lachen, weil es einfach zu witzig aussah und so gar nicht zu Ben passte.
Irgendwie kamen wir dann noch richtig hinein in dieses Thema. Wir diskutierten darüber und ich stellte fest, dass ich meine Meinung über Jay und Ben korrigieren musste. Ich hatte immer gedacht, sie wären in dieser Beziehung totale Machos und meist ziemlich unsensibel. Doch ich hatte mich echt getäuscht. Ben erzählte uns von einem seiner Cousins, Andi, der versucht hatte sich das Leben zu nehmen, weil seine Eltern nicht hinter ihm standen als er sein Coming Out hatte, sondern in stattdessen einfach vor die Tür setzten. Er lebte nun bei seiner Schwester hier in München. Ben hatte nie verstanden, wie sein Onkel und seine Tante so reagieren konnten. Seine Eltern hatten ihn zu Toleranz und Liebe erzogen und so war ihm diese Art von Ablehnung total fremd.
»Also wenn ich mal Kinder hab und die kommen zu mir und sagen, sie wären schwul oder lesbisch, dann würde ich sie nicht wegjagen, sondern sie in den Arm nehmen und sagen, dass es okay ist. Es ist doch mein Kind, das ich liebe seit es auf der Welt ist, oder? Wie könnte ich da dann, nur weil mein Sohn einen Freund statt einer Freundin, oder meine Tochter eine Freundin statt einem Freund mit nach Hause bringt, mein Kind plötzlich nicht mehr lieben, nur weil seine oder ihre Liebe gleichgeschlechtlich ist? Ich finde so was total bescheuert.«
Mann ich hätte echt nie gedacht, dass Ben so ein sensibler Kerl war.
»Mann, du hast ja Tränen in den Augen!«, sagte Jay zu Ben.
»Was dagegen?«, fragte er ihn ziemlich gereizt zurück.
»Nein.«, entgegnete Jay verunsichert.
»Sorry, aber Andi ist mein Lieblingscousin und als er versucht hat sich das Leben zu nehmen war ich total fertig. Er hat versucht sich mit Tabletten zu vergiften. Nachdem die Ärzte ihm den Magen ausgepumpt hatten und er soweit wieder stabil war, lag er noch zwei Tage im Koma und es war nicht sicher, ob er die Vergiftung überleben würde. Und wisst ihr, wo seine Eltern in dieser Zeit waren? Die sind nach Mallorca geflogen, sagten, sie hätten die Reise schon vor Monaten gebucht und könnten sie nicht so einfach verfallen lassen. Ihr Sohn liegt im Sterben und die beiden fahren in Urlaub! Es war ihnen egal, was mit ihm passieren würde. Ihre Tochter sei ja da und könne sie über den Stand der Dinge informieren. Sie haben während der ganzen Woche, die er im Krankenhaus war, nicht einmal angerufen und sich nach seinem Zustand erkundigt, nicht ein einziges Mal. Wir haben ihn jeden Tag besucht. Seine Schwester saß jeden Tag an seinem Bett und hat Gott angefleht, er möge Andi nicht zu sich holen. Nach fast drei Tagen ist er dann Gott sei Dank wieder aufgewacht. Meine Cousine Tina hatte sie daraufhin angerufen und gefragt, wie es nun weitergehen sollte. Sie meinten nur, dass das ab jetzt nicht mehr ihr Problem sei. Sowohl Tina als auch Andi haben seit dem keinen Kontakt mehr zu ihren Eltern. Nun lebt er hier in München bei seiner Schwester, dessen Mann und den beiden Kindern, ist wieder ganz gesund und hat seinen ersten Freund. Ich finde, die beiden sind echt ein total süßes Paar, insoweit ich das beurteilen kann.«, erzählte er und zog ein paar Fotos aus seinem Geldbeutel.
»Hast recht.«, sagte Jay zustimmend. Marco und ich nickten ebenfalls bejahend. Marco hatte während der ganzen Zeit kaum ein Wort dazu gesagt und starrte nun still vor sich hin. Doch es war kein angeekelter oder hasserfüllter Blick, sondern, so schien es mir zumindest, war er eher traurig. Hatte ich ihn auch falsch eingeschätzt? Hatte er doch nichts gegen Schwule? Und wieso wirkte er plötzlich so traurig und verunsichert? Fragen über Fragen, auf die ich keine Antwort hatte.
Gegen 18 Uhr verabschiedeten sich die drei und ich ging in die Küche. Mein Magen hatte sich schon ziemlich lautstark zu Wort gemeldet, was mir natürlich einen blöden Spruch von Jay eingebracht hatte.
»Na, hattet ihr einen schönen Nachmittag?«, fragte sie breit grinsend.
»Ja, wir hatten es ziemlich lustig.«
»Oh ja, das hab ich gesehen. „
»Jay hat schon gemeint, du würdest dich beim Abendessen mal mit mir ernsthaft unterhalten wollen. Jedenfalls hat er deinen Blick so gedeutet.«
»War schon ein komischer Anblick. Vier gutaussehende Jungs auf dem Boden ineinander verknotet, von denen, wie ich ja weiß, mindestens einer schwul ist.«, sagte sie verschmitzt grinsend.
»Ja, Klein Timo ist das auch aufgefallen.«, erklärte ich und musste im nächsten Moment losprusten. Mom konnte sich ebenfalls nicht mehr beherrschen und lachte ebenfalls herzhaft mit. Während des Essens wurde ihre Stimmung wieder ein wenig ernster.
»Wie hat Marco eigentlich auf das Thema reagiert?«, fragte sie. Ich hatte ihr erzählt, dass sich nach Jays Spruch eine Diskussion entwickelt hatte.
»Irgendwie so gut wie gar nicht. Ab und zu hat er mal was gesagt, aber meistens hat er nur zugehört was wir so gesagt haben. Am Schluss war er komisch drauf, irgendwie traurig.«
»Wenn ich nicht ganz falsch liege, dann hast du mit ihm noch nicht über deine Gefühle gesprochen, oder?«
»Nein, ich hab einfach total Angst davor wie er reagiert. Ich möchte ihn nicht verlieren. Und wenn ich ihn schon nicht als meinen FREUND haben kann, dann zumindest als einen guten Freund. Doch ich hab einfach Schiss, dass mein Outing ihm gegenüber, alles, was sich zwischen uns entwickelt hat, zerstören würde. Ich weiß nicht, wie es weitergehen soll.«
»Ich sag jetzt nicht das ich weiß wie du dich fühlst, den das kann ich nicht wissen. Aber ich kann mir vorstellen, wie er reagiert, wenn du ihm erst nach Monaten oder Jahren die Wahrheit über dich sagst. Niemand verlangt von dir, das du hingehst und zu jedem den du triffst sagst: Hallo, mein Name ist Timo und ich bin schwul!. Aber ich denke, zumindest deine besten Freunde sollten über dich Bescheid wissen, oder nicht?«
Wie ich es hasste. Klar hatte sie Recht, aber das war alles leichter gesagt als getan. Bei Jay und Ben machte ich mir nach dem heutigen Gespräch nicht mehr solch große Sorgen wie ich sie mir früher, als Dennis noch hier war, machte. Marco hingegen machte mir Sorgen.
»Klar, du hast Recht. Aber ich muss erst mal darüber nachdenken, bevor ich etwas übers Knie breche, das ich später bereuen werde.«
»Ist gut, du musst für dich den richtigen Zeitpunkt finden. Dabei kann ich dich unterstützen, wenn du das möchtest, aber du triffst die Entscheidung, wann und wie es passieren wird.«
»Danke Mom, ich bin so froh das ich dich hab.« Ich ging zu ihr und umarmte sie.
An diesem Abend lag ich noch lange wach und dachte über all das nach, was in den letzten Monaten geschehen war. Irgendwann schlief ich über all das Grübeln einfach ein.
Es war jetzt nur noch eine Woche bis Weihnachten. Ich hatte alle Geschenke beisammen, alle, bis auf ein ganz bestimmtes. Wie ihr euch denken könnt, tat ich mir ziemlich schwer damit, etwas für meinen Engel zu finden. Wenn der wüsste, wie ich ihn in meiner Phantasie nannte. Einmal wäre es mir schon fast raus gerutscht, als ich mit Ben und Jay kurz über ihn gesprochen hatte. Ich fing es aber noch gekonnt auf und so merkten sie nichts, hoffe ich zumindest.
Heute waren wir vier in der Stadt unterwegs, um die letzten, noch fehlenden Geschenke zu besorgen. Wir schlenderten durch die Fußgängerzone. Irgendwann trennten wir uns von Ben und Jay, da sie in ein anderes Kaufhaus wollten. Hier gab es alles. Nach fünf Minuten trennten auch wir uns und verabredeten, in einer halben Stunde wieder zurück zu sein. Mein Herz schlug mir bis zu Hals, als ich am Tresen des Juweliers stand und mir einige Ketten mit Partneranhängern anschaute. Es gab so viele verschiedene Symbole, auch ziemlich eindeutige Gay – Symbole, aber die waren zu auffällig. Und so entschied ich mich für einen Anhänger mit einem Halbedelstein, auf dessen Rückseite ich etwas eingravieren ließ. Zur Sicherheit besorgte ich aber auch noch ein anderes Geschenk, da ich nicht wusste, ob ich vor Weihnachten schon den Mut haben würde, es ihm zu sagen und schließlich wusste ich ja auch nicht, wie er reagieren würde.
Wie versprochen trafen wir uns pünktlich um 16 Uhr am Eingang, wo wir auch auf die anderen beiden trafen.
»Na, habt ihr alles was ihr braucht gefunden?«
»Ja klar, endlich, ich kann diesen Weihnachtsstress nicht mehr ab. Jeder rennt noch genervter wie der andere durch die Läden und man hat Angst eine Verkäuferin zu fragen, wo man was findet, da die auch schon so genervt sind, das man meint, sie wollen einen mit Haut und Haaren fressen.«
Wir fuhren mit der U-Bahn zurück und verabschiedeten uns von Jay und Ben, da sie in der entgegengesetzten Richtung wohnten.
Marco schien seit dem Einkaufsbummel irgendwie nervös zu sein, doch ich wollte nicht fragen, was los war, denn wenn er es sagen wollte, dann würde er es sicherlich tun.
Fünf Tage vor Weihnachten traf mich Marcos Mitteilung, er würde Weihnachten bei seinen Großeltern am Bodensee verbringen, wie ein Dampfhammer. Gott sei Dank saß ich in diesem Moment schon, sonst hätte es mich mit Sicherheit umgehauen.
»Ich finde es auch doof, aber was soll ich machen?«
»Bleib doch hier und feiere mit uns.«, entfuhr es mir, noch ehe ich wusste, was ich da von mir gab. Ich merkte wie mein Gesicht zu glühen begann. Oh Mann Timo, das war mal wieder ein gelungenes Eigentor.
»Würdest du mich den dabei haben wollen?«, fragte er mich ungläubig.
»Klar, du bist doch mein bester Freund.«, antwortete ich und versuchte möglichst gleichgültig zu klingen.
»Soll ich mal meine Eltern fragen ob die was dagegen hätten?«
»Klar, fragen kostet ja nichts.«
»Gut, ich geh dann mal fragen. Bin gleich wieder da.«
Nach gut zwanzig Minuten klingelte es und vor der Türe stand Marco zusammen mit seiner Mutter. Es sah zum Schießen aus, wie Marco neben seiner Mutter bei uns in der Küche stand und nervös von einem Bein aufs andere hüpfte. Er hatte dabei wie ein fünfjähriger ausgesehen, der die Bescherung kaum noch erwarten konnte.
Nach kurzer Zeit hatten die beiden Mütter geklärt, dass es kein Problem sei, das Marco hier blieb. Marco freute sich so, dass er mich überschwänglich umarmte, mich dann aber ziemlich schnell, zu schnell, wieder losließ. Für einen Moment glaubte ich zu sehen, wie sich meine und Marcos Mutter einen kurzen, wissenden Blick zuwarfen. Doch im nach hinein war ich mir nicht mehr sicher, es überhaupt gesehen zu haben.
Vor gut einer Woche hatte ich mir ein neues Schlafsofa gekauft, hatte aber noch nicht die Zeit, es vom Keller in die Wohnung hoch zu bringen. Vor allem war es für mich allein einfach zu schwer. Ich bin kein Schwächling, aber Herkules bin ich auch nicht.
Da aber nun Marco die nächsten Tage bei uns verbringen würde, seine Eltern würden nämlich schon am Zwanzigsten fahren, also morgen, hab ich jemanden gefunden, der mir beim herauftragen behilflich sein kann.
»Klar helfe ich dir.«, antwortete Marco auf die Frage hin, ob er mir helfen würde, das Sofa aus dem Keller zu holen.
Ihr könnt euch doch sicherlich denken wie aufgeregt ich darüber war, das Marco nun fast eine Woche bei mir sein würde. Wenn es nicht zu sehr aufgefallen wäre, hätte ich am liebsten einen Freudentanz durch die Wohnung veranstaltet, aber leider, wie gesagt, wäre es zu sehr aufgefallen.
Am Abend vor der Abreise von Marcos Eltern saßen diese zusammen mit Mom und Dad im Wohnzimmer und schienen sich prächtig miteinander zu verstehen.
Marco saß auf meinem Bett, neben sich einen kleinen Rucksack mit den nötigsten Sachen und war gerade dabei, unter größter Anstrengung seine Luftmatratze aufzublasen. Sein Gesicht war schon ganz rot angelaufen. Er würde schon heute bei uns übernachten, da seine Eltern morgen ziemlich früh los wollten. Gegen 22 Uhr machten sich seine Eltern auf zu gehen. Wir saßen, gemeinsam mit Lisa, auf dem Boden und spielten Monopoly.
»Also Schatz, wir gehen dann jetzt. Mach uns keine Schade, ja?«
»Kennst mich doch Mom, würd ich doch nie machen.«
»Klar mein Sohn, dafür kenn ich dich zu gut.«, sagte sie lachend, umarmte Marco.
»Sei nett zu den Müllers und tu nichts was ich nicht auch tun würde.«, sagte sein Vater und stupste ihn freundschaftlich in die Seite.
»Mach ich nicht.«
»Wir rufen an sobald wir bei Oma angekommen sind.«
»Ja, gut. Ich wünsch euch ne schöne Zeit.«
»Wir dir auch Marco. Hoffe du genießt die Zeit hier.«
»Werde ich mit Sicherheit.« Täuschte ich mich oder wurde Marco rot?
»Gut, dann spielt mal schön weiter.«
Und dann waren sie auch schon weg. Gegen 23 Uhr kam Mom und schickte Lisa ins Bett. Wir sollten auch nicht mehr allzu lange machen.
Ich ging noch kurz in die Küche um mir noch was Essbares zu sichern, da ich echt Hunger hatte. Als ich am Wohnzimmer vorbeikam war es mir, als würde sich mein Mutter mit jemandem unterhalten. Redete sie mit Marco? Soweit ich mitbekommen hatte, war Dad doch schon im Bett, da er morgen schon sehr früh raus musste. Na egal, ich muss jetzt erst mal aufs Klo. Gesagt, getan. Ich öffnete die Tür und stutzte erst mal.
Jemand stand unter der Dusche. Also war mein Vater doch noch nicht im Bett.
Ich hätte natürlich warten können, doch meine Blase verlangte ziemlich eindrücklich nach ihrem Recht. Bei uns in der Familie war es üblich, dass sich auch die männlichen Familienmitglieder zum Pinkeln hinsetzten. Da saß ich nun und fühlte mich gleich merklich erleichtert.
Da ging das Wasser aus und jemand tastete nach dem Handtuch, das gleich neben der Duschkabine an der Wand hing. Ich achtete nicht weiter drauf, zog meine Hose an und drehte mich dem Waschbecken zu, um mir die Hände zu waschen. Dann ging die Milchglastüre hinter mir auf und was ich da zu sehen bekam, war mehr als ich erwartet hatte. Da stand nämlich nicht mein Vater, sondern Marco, nackt, nackt wie Gott ihn schuf. Abrupt drehte ich mich um und starrte in das nicht minder erschrocken dreinblickende Gesicht von Marco. Der stand da wie angewurzelt, das Handtuch lose über die Schulter geworfen. Ich konnte nicht verhindern, dass ich ihn möglichst unauffällig von oben bis unten musterte und dabei so rot anlief wie eine überreife Tomate. Keiner von uns sagte ein Wort.
Gott sei Dank hatte ich die Hose schon wieder an, denn Klein Timo war gerade auf dem besten Weg ein ganz Großer zu werden. Ohne noch irgendetwas zu sagen, eilte ich aus dem Badezimmer und in mein Zimmer.
Oh Scheiße, Scheiße, Scheiße.
Wenn er bis jetzt noch nicht mitbekommen hatte, was mit mir los war, dann allerspätestens jetzt. So wie ich ihn angestarrt hatte. Der würde sicherlich gleich abhauen und mit seinen Eltern mitfahren. Timo Müller, du hast den ersten Platz im Rennen um den >Vollidioten des Jahre< redlich verdient.
Fieberhaft überlegte ich, wie ich ihm die Situation eben im Badezimmer am besten erklären könnte. Doch mir fiel einfach nicht das Richtige ein. Ich konnte ja schlecht sagen: Oh sorry, ich dachte du wärst mein Vater und deshalb hab ich dich angestarrt wie ein verliebtes Schulmädchen. Nein, ich war echt auf ganzer Linie geliefert.
Ich stellte mich ans Fenster und starrte hinaus in die Dunkelheit. Irgendwo da draußen musste es doch ein passendes Mauseloch für mich geben, in das ich mich mal schnell verkriechen könnte.
Irgendwann hörte ich wie die Tür aufging und gleich wieder geschlossen wurde.
Niemand sagte etwas und ich hatte Angst mich umzudrehen. Dann tippte mir jemand auf die Schulter und ich zuckte zusammen.
»Sorry, wollte dich nicht erschrecken.«
»Hast du nicht, ich war nur in Gedanken.«
»Ich wollt dich fragen, ob ihr ne Luftpumpe habt, denn wenn ich die Luftmatratze weiter so aufblasen muss, dann fall ich mit Sicherheit in Ohnmacht.«
»Klar, ich hol sie dir.« Wieso tat er so, als wäre nichts passiert? Hatte er nicht bemerkt, wie ich ihn angestarrt hatte? Verwirrt suchte ich im Wandschrank nach der Luftpumpe. Ich fand sie erst, nachdem mir eine vollbepackte Kiste auf den Kopf gefallen war. Sie war nämlich in dieser Kiste.
Als ich ins Zimmer zurückkam, saß er schon in seinen Schlafsachen auf meinem Bett und lächelte mich freundlich an, als ich hereinkam.
»Danke.«
»Gern geschehen.«
Wenn er die Sache nicht zur Sprache brachte, dann würde ich mich davor ebenfalls drücken. Ein paar Mal war es mir, als wollte er etwas sagen, doch jedes Mal brach er den Versuch ab.
Nach fünf Minuten war die Matratze fertig aufgeblasen und ich half meinem Engel dabei, seinen Schlafplatz herzurichten.
Ich schnappte mir schnell meine Schlafsachen, zog mich im Bad um und ging umgezogen zurück ins Zimmer.
Marco lag schon auf seiner Matratze und ich ließ mich quer in mein 1.40m Bett fallen.
Jetzt werdet ihr euch doch sicherlich alle fragen, wieso ich Marco nicht angeboten hab, mit in meinem Bett zu schlafen. Könnt ihr euch das nicht denken? Erstens mal bin ich nicht einer der mit der Tür ins Haus fällt. Zweitens wäre es schon ziemlich komisch, wenn ich ihm anbieten würde, gemeinsam mit mir in meinem Bett zu schlafen, vor allem nach dem, was im Bad passiert war. Und Drittens, war sagt mir, dass ich mich nachts, im Halbschlaf, beherrschen kann und ihn nicht vielleicht aus >versehen< berühre? Niemand! So oft wie ich in den letzten Wochen von gemeinsamen Nächten mit meinem Engel geträumt habe, wäre das jedenfalls schon im Bereich des Möglichen. Und das wollte ich vermeiden. Vor allem nach der Sache vorhin, war ich darüber mehr als froh.
Wir reden noch einige Zeit über alles Mögliche. Irgendwann höre ich Marco langsam und gleichmäßig atmen. Er war eingeschlafen. Ich beuge mich vorsichtig über den Rand meines Bettes und sehe ihm im Licht meiner Nachttischlampe noch einige Zeit beim Schlafen zu. Er sah so süß aus während er schlief. Immer wieder lächelt er im Schlaf. Ich wüsste zu gern, von was er gerade träumt. Irgendwann bin ich dann aber wohl auch eingeschlafen.
»Guten Morgen ihr beiden, aufwachen, so leid es mir tut, ihr müsst heute noch mal in die Schule.«
»Achnö... .«, kam es verschlafen von uns beiden. Alex hatte es gut, er war noch krankgeschrieben gewesen und musste heute nicht in die Schule.
»Ach, die jungen Leute von heute, nichts halten die mehr aus.«, sagte sie und zog uns gleichzeitig die Bettdecken weg.
»Hey... .«, kam es wieder wie aus einem Mund von uns.
»Wer bis um drei Uhr Nachts reden kann, der kann auch aufstehen.«
Sie war unerbittlich und so standen wir unter murren auf.
Nacheinander gingen wir ins Bad und setzten uns anschließend zu meiner Mom an den Küchentisch, um noch kurz zu frühstücken. Dad war schon beim Arbeiten.
Der heutige Schultag verging wie im Flug. Wir waren uns einig, dass man es sich auch hätte sparen können, da sowieso nichts produktives dabei heraus kam.
Am Nachmittag mühten sich Marco und ich mit dem Sofa ab. Mann, ich konnte mich gar nicht daran erinnern, dass es beim in den Keller tragen auch so verdammt schwer gewesen war.
Die letzten Meter bis in mein Zimmer waren die reinste Qual. Als es endlich an der richtigen Stelle stand, ließen wir uns erschöpft darauf sinken.
»Oh Mann, ich glaub ich brauch nen neuen Rücken!«
»Ich brauch glaub auch ein paar Ersatzteile. Ich kann meine Arme kaum noch spüren.«
»Armer alter Mann!«
»Hey, werd nicht frech.«, gab ich energisch zurück.
»Ich doch nicht. Ich sag doch nur die Wahrheit.«
»Wirklich?! Dafür gibt’s Rache.«
»Du kommst doch gar nicht gegen mich an.«, warf Marco ein und lachte.
»Ach glaubst du?!«, rief ich und begann ihn durch zu kitzeln. Natürlich ließ er sich das nicht gefallen und revanchierte sich ausgiebig bei mir.
Nach einiger Zeit konnte ich nicht mehr. Ich japste verzweifelt nach Luft. »Oh Gnade. Bitte, Gnade!«
Mittlerweile kniete Marco halb auf mir und drückte meine Arme aufs Sofa um mich davon abzuhalten, ihn weiter zu kitzeln. Langsam bekam ich wieder Luft.
Plötzlich veränderte sich sein Gesichtsausdruck. Seine Augen fixierten meine. Mein Herz fing an unregelmäßig zu schlagen. Mir wurde heiß und kalt.
Langsam kam sein Gesicht auf mich zu. Nun wagte ich kaum noch zu atmen. Was ging den nun ab? Würde nun das passieren was ich mir schon seit Monaten wünschte, was ich mir in meinen Träumen vorstellte? Aber Marco war doch hetero, das konnte nicht sein. Gleich wird er einen blöden Spruch bringen und lachen.
Doch nun waren seine Lippen nur noch wenige Zentimeter von meinen entfernt.
Und dann passierte es. Er küsste mich! Es war wie ein Blitz, es durchzuckte mich von den Lippen bis zu den Zehen. Der Kuss schien ewig zu dauern. Seine Zunge suchte sich zaghaft den Weg in meinen Mund und begann zärtlich mit meiner zu spielen. Ich erwiderte den Kuss, wagte kaum zu atmen, um den Moment nicht zu zerstören.
Doch dann stand er ruckartig auf und sah mich erschrocken an.
»Entschuldige, das wollte ich nicht. Es tut mir leid.« In seinen Augen standen Tränen und sie waren vor Angst weit aufgerissen.
Bevor ich noch etwas darauf erwidern konnte rannte er zur Tür hinaus.
Scheiße, was lief den hier ab? Ich verstand nichts mehr.
Nach einigen Sekunden hatte ich mich aus meiner Starre befreit und lief ihm hinterher. Als ich an der Garderobe vorbeikam schnappte ich mir noch meine Jacke, Schal und Handschuhe. Was ich dort sah war nicht gut. Marco hatte seine Jacke nicht dabei. Ich schnappte mir deshalb auch seine Jacke.
Als ich ins Treppenhaus stürzte, hörte ich noch wie die Haustür ins Schloss fiel. Oh nein, draußen waren es mindestens –15°C und mein Engel hatte nichts an als sein dünnes T-Shirt. Sein Pulli lag noch in meinem Zimmer. Er hatte ihn ausgezogen als wir vollkommen verschwitzt samt Sofa in meinem Zimmer angekommen waren.
Als ich hinaus in die beißende Kälte trat, es ging ein eisiger Wind, sah ich mich verzweifelt nach allen Seiten um. Wo war er nur hin? Einige Augenblicke stand ich unschlüssig herum.
Dann entschloss ich mich, erst einmal die Hauptstraße entlang Richtung Schule abzusuchen. Doch als ich auf dem Schulhof ankam, konnte ich niemanden sehen. Ich rief mehrmals seinen Namen, doch erhielt keine Antwort. Ich rannte die Straße zurück. Der Wind nahm zu und es sah ganz so aus, als wolle er mich daran hindern Marco zu finden.
Wieder stand ich ratlos und schon ziemlich durchgefroren vor unserem Haus. Doch ich spürte die Kälte kaum. Ich wollte nur eines, nämlich Marco endlich finden.
Wie ein aufgescheuchtes Huhn lief ich alle Querstraßen ab und kam schließlich zum Stadtteilpark. Dort waren wir mit Jay und Ben in diesem Sommer oft gewesen. Wir hatten dort einen Stammplatz, direkt am Ufer des kleinen Sees.
So schnell ich konnte rannte ich durch den ganzen Park, rief immer wieder laut seinen Namen. Nach gut 5 Minuten erreichte ich den See. Schon fast panisch blickte ich mich um. Erst konnte ich nichts und niemanden sehen. Mir standen schon die Tränen in den Augen. Was soll ich nur machen, wenn ich ihn nicht fand? Was sollte ich Mom und Dad sagen, wenn sie fragten was passiert war? Ich wusste es ja schließlich selbst nicht so genau. Erst küsste er mich, dann rannte er plötzlich weg.
Halb blind vor Tränen stolperte ich am Seeufer entlang zu unserem Stammplatz. Als ich nur noch einige Meter entfernt war, sah ich es. Dort lag jemand. Oh Gott, bitte lass es nicht Marco sein, bitte nicht. Ich begann wieder zu rennen. Mein Herz überschlug sich fast.
Aber dann wurde es zur Gewissheit. Die Person die vor mir am Boden lag und sich nicht rührte war Marco.
Ich ließ mich auf die Knie fallen und versuchte ihn zu wecken. Doch er rührte sich nicht. Plötzlich durchfuhr mich ein eisiger Schauer. Was wenn er nicht mehr am Leben war? Schnell tastete ich nach seinem Puls. Sein Puls war vorhanden. Gott sei Dank. Er war schwach, aber er schlug. Sein Atem ging langsam und war ziemlich flach. Was sollte ich jetzt bloß machen? Den Notarzt rufen, genau! Ich taste in meiner Jacke nach dem Handy, aber da war nichts. Scheiße, das lag zu Hause auf meinem Schreibtisch.
Hier jemanden zu finden der mir half war auch aussichtslos. Bei diesem Wetter war niemand im Park unterwegs. Und ihn hier einfach liegen lassen, um Hilfe zu holen, wollte ich auch nicht. Er war schon jetzt unterkühlt und würde nicht mehr sehr lange durchhalten, da war ich mir sicher.
Mir blieb nichts anderes übrig, als ihn zu tragen. Bevor ich ihn hochhob, zog ich ihm noch seine Jacke, meinen Schal und die Handschuhe an. Dann legte ich ihn mir vorsichtig über meine Schulter und schloss meine Hände fest um seine Beine. So schnell ich konnte lief ich zurück zu mir nach Hause. Für den Weg brauchte ich fast eine halbe Stunde, obwohl der Weg normalerweise nicht länger als zehn bis fünfzehn Minuten dauerte.
Aber ich wollte vorsichtig sein und ganz so leicht war Marco dann doch nicht. Müde und schon am Rand der totalen Erschöpfung kam ich zu Hause an. Ich wollte grad die Türe aufschließen, als mich jemand rief.
»Timo, was ich los, wenn trägst du da?« Es war mein Dad mit meiner Mom im Schlepptau.
In diesem Moment versagten mir die Knie und ich hatte Mühe, aufrecht stehen zu bleiben.
Gott sei Dank hatte Dad das bemerkt und stürzte zu mir.
»Oh Gott, das ist ja Marco. Was ist denn nur geschehen?«
»Ach Bernd, als ob das jetzt wichtig ist, wir sollten die beiden erst mal reinbringen.«
»Hast ja recht.« Dad nahm mir Marco vorsichtig ab und trug ihn nach oben.
In der Wohnung angekommen, brachte er Marco, der immer noch nicht bei Bewusstsein war, in mein Zimmer und legte ihn in mein Bett. In jeder anderen Situation wäre ich über den Anblick Marcos in meinem Bett unendlich glücklich gewesen. Doch jetzt war das einzige, was ich empfand, pure Angst. Mom kam herein und brachte noch einige warme Decken und nach ein paar Minuten eine heiße Wärmflasche.
»Wir müssen einen Arzt holen!«, sagte sie und war wieder verschwunden.
Nachdem Dad Marco noch in die Wolldecken eingehüllt hatte wandte er sich zu mir.
»Kannst du mich jetzt bitte mal drüber aufklären, was eigentlich los war? Wir sind ein paar Stunden nicht da und gleich so was.«
»Es war...ich meine...also ich weiß auch nicht... .«, stammelte ich vor mich hin.
»Langsam werde ich aber sauer mein Sohn. Wir haben schließlich die Verantwortung für ihn übernommen. Was glaubst du werden die mit uns machen, wenn ihm etwas geschieht?«
»Ich glaube ihr zwei unterhaltet euch im Wohnzimmer weiter.«, sagte Mom mit ernstem Gesichtsausdruck und schob Dad und mich aus dem Zimmer.
Als sie meinen zwiespältigen Gesichtsausdruck bemerkte sagte sie: »Keine Sorge, ich kümmere mich um ihn.«
Langsam und noch immer nicht sicher ob und was ich mit Dad bereden würde, ging ich langsam ins Wohnzimmer und setzte mich aufs Sofa. Dad saß auf dem Sessel auf dem er auch sonst immer saß und blickte mich fragend an.
»Also Timo, kannst du mir bitte all das erklären?«
»Ich weiß aber nicht, wie ich anfangen soll. Das ist nämlich gar nicht so einfach.«
»So schwer wird es schon nicht werden, ich bin doch schließlich dein Vater.«
»Gut. Also, es ist so, dass ich seit Monaten unglücklich verliebt bin.«
»Verliebt? Wie heißt sie denn? Aber was hat das mit all dem hier zu tun?«, fragte er und schien sichtlich irritiert zu sein.
»Dad, lass mich bitte zu Ende erzählen, das ist alles schon schwer genug.«
»Gut, dann erzähl weiter.« Ich konnte seinen musternden Blick auf mir spüren.
»Ich bin verliebt, aber.. . Oh Mann, wie soll ich das nur sagen?« Verzweifelt schlug ich die Hände vors Gesicht und wie schon einmal an diesem Tag liefen mir Tränen die Wangen hinunter. Vor Dads Reaktion hatte ich solche Angst, hatte keinen blassen Schimmer, wie er auf mein Outing reagieren würde. Wenn er mich anbrüllen und beschimpfen würde, dann wäre es ganz vorbei. Das konnte ich heute nicht auch noch ertragen. Er setzte sich zu mir aufs Sofa und legte mir den Arm um die Schulter.
»Timo, du weißt das ich dich liebe, egal was du mir sagen willst.« Mit tränennassem Gesicht sah ich zu ihm auf. In seinem Gesicht glaubte ich für einen Moment einen wissenden Ausdruck zu erkennen. Okay. Ich atmete einige Male tief ein, wischte mir die Tränen aus dem Gesicht und sah ihn wieder an.
»Es ist so, dass ich mich nicht in ein Mädchen verliebt habe. Ich habe mich in Marco verliebt.« So jetzt war es raus.
Einige Sekunden sah Dad mich nur an.
»Das ist alles. Wieso war das jetzt so schlimm?«
»Ich dachte, du würdest mich jetzt hassen.« Bei diesen Worten riss er die Augen weit auf.
»Wieso das denn? Nur weil du dich in einen anderen Junge verliebt hast? Ich dachte, du würdest mich besser kennen.«, sagte Dad und mir schien, als würde in seinen Worten etwas Traurigkeit mitschwingen.
»Entschuldige Dad, aber ich hatte immer den Eindruck, dass du, na ja, in mancherlei Hinsicht ein wenig konservativ bist.«
»Du musst dich nicht entschuldigen. Es stimmt schon, manchmal sind einige Dinge, die ich so von mir gebe, vielleicht wirklich ein wenig altmodisch, aber ich bin lernfähig.« Er grinste mich an und entlockte mir damit auch ein zaghaftes Lächeln. »Aber du musst dir eines merken. Du bist mein Kind, ich liebe dich, niemals würde ich zulassen dass dir jemand wehtut. Mir ist am wichtigsten, dass du so glücklich wie nur irgend möglich bist. Wie du das bist, das musst du ganz allein entscheiden. Und wenn du zum Glücklich sein anstatt einer Frau eben einen Mann brauchst, dann ist das eben so. Daran ist meiner Ansicht nach nichts schlimm oder verwerflich. Jeder Mensch ist wie er ist. Und das ist auch gut so.«
»Jetzt zitierst du den ehemaligen Berliner Bürgermeister.«
»Ja, weil der damit absolut recht hatte.«
»Danke Dad, ich hab dich lieb.«
»Ich dich auch mein Sohn. Aber eines sag ich dir. Nie wieder will ich hören, das du dich für das was du bist schämst oder Angst davor hast, zu dem zu stehen, was du bist. Liebe ist etwas Wunderbares und nichts ist schlimm daran, einen anderen Menschen zu lieben. Oder?«
»Nein, natürlich nicht.«, erwiderte ich lächelnd.
Wir fielen uns in die Arme. Nie hätte ich gedacht, das Dad so cool reagieren würde. Doch ab jetzt würde ich ihn nie wieder so unterschätzen.
Nach wenigen Minuten löste sich Dad von mir und sah mich an.
»Aber was war denn bei euch los?«
»Wir haben das Sofa nach oben getragen und im Zimmer haben wir uns dann gegenseitig aufgezogen und haben herumgealbert. Dann irgendwann haben wir dann angefangen zu raufen. Aber plötzlich kippte die Stimmung. Ich lag am Boden und Marco über mir. Er sah mich an und dann hat er mich geküsst. Du glaubst ja gar nicht, wie sehr ich mir das die ganzen Monaten, seit dem ich ihn kennen gelernt hatte, gewünscht habe. Es war so schön. Doch dann ist er plötzlich aufgesprungen, hat sich bei mir für den Kuss entschuldigt und gesagt dass es ihm leidtun würde und ist dann einfach weggerannt. Ich konnte ihm nicht sagen, dass es absolut nichts zu entschuldigen gab. Dann bin ich hinter ihm her und hab ihn dann schließlich im Park gefunden. Da bin ich aber schon fast ne Stunde durch die Gegend geirrt weil ich ihn nicht finden konnte. Und den Rest der Geschichte kennst du.«
»Oh Mann, die heutige Jugend. Das soll mal einer verstehen.«
Durch das Klingeln der Haustür wurden wir hochgeschreckt.
Ich stürzte förmlich zur Tür und riss sie auf. Dort stand Dr. Braunmann. Er war seit Jahren unser Hausarzt und wohnte nur zwei Häuser weiter.
»Guten Abend Timo. Wo ist denn der Patient? Deine Mutter meinte es wäre sehr dringend.«
»Ja, er ist in meinem Zimmer. Ich bring sie hin.«
Mit Dr. Braunmann im Schlepptau trat ich in mein Zimmer. Ich hätte ihn nicht hinführen brauchen, den nach all den Jahren kannte er den Weg zur Genüge. Als Kind war ich ein kleiner Unglücksrabe gewesen und der Arzt somit mindestens alle zwei Monate bei uns. Ich wollte einfach kurz mit hinein und nachsehen, wie es Marco ging. Mom saß neben Marco und hielt seine Hand. Als sie den Arzt bemerkte stand sie auf und begrüßte ihn.
»Danke Dieter, dass du so schnell kommen konntest. Ich glaube Marco ist total unterkühlt und ist auch schon einige Zeit nicht mehr bei Bewusstsein.«
»Wie lange ist er schon ohne Bewusstsein?«, fragte er, als er um das Bett herum zu Marco ging.
»Ich weiß es nicht genau, aber ich glaube so ne halbe bis dreiviertel Stunde oder so bestimmt.«, antwortete ich.
»Ah, gut, dann lasst mich mal mit ihm allein, das ich ihn untersuchen kann.«
»Komm Timo, Dieter weiß was er zu tun hat. Wir würden ihm nur im Weg stehen.«
Widerwillig folgte ich meiner Mom.
Nach endlosen zwanzig Minuten öffnete sich meine Zimmertür und der Doc kam heraus.
»Also so wie ich die Sache einschätze ist er noch leicht unterkühlt, aber er ist schon wieder auf dem Weg der Besserung. Gebt ihm Tee und warme Suppe, das wärmt ihn zusätzlich von innen.«
»Aber wie soll das gehen, er ist doch nicht wach?«
»Ach, habe ich das noch nicht gesagt. Marco ist aufgewacht. Und er hat nach dir gefragt Timo.« Mir schlug das Herz vor Freude bis zum Hals.
»Darf ich zu ihm?«
»Natürlich, aber er soll sich noch ein wenig ausruhen.«
»Ist gut.« Ich trat ins Zimmer. Auf meinem Nachttisch brannte die Lampe. Marco saß etwas erhöht im Bett und sah mich an.
»Hallo. Na, wie geht’s dir?«
»Ganz gut glaube ich. Dank dir.«
»Wieso dank mir?«
»Der Doktor meinte, wenn du mich nicht so schnell gefunden hättest, dann wäre die ganze Sache nicht so glimpflich ausgegangen.«
»Wieso bist du eigentlich weggelaufen?«
»Ich wollte...ich meine es ist so, das...ich muss dir was sagen.« Sein Gesicht hatte die Farbe einer reifen Tomate angenommen. Wenigstens nach dem zu urteilen, was ich es im Schein der Nachttischlampe erkennen konnte.
Ich ließ mich am Fußende dass Bettes nieder und sah ihn an. Er begutachtete jetzt schon einige Zeit seine Finger.
»Was willst du mir den sagen?«
Ihr könnt euch natürlich denken was ich hören wollte. Mein Magen veranstaltete Moment irgendwelche seltsamen Turnübungen, so fühlte es sich zumindest an.
Als er weitersprach sah er mich nicht an.
»Ich bin so froh dass ich dich kennen gelernt habe. Noch nie hatte ich einen so guten Freund wie dich. Doch da ist noch etwas anderes. Am Anfang wollte ich es nicht wahrhaben, doch jetzt bin ich mir sicher.«
»Mit was bist du dir sicher?«
»Das ich verliebt bin.«
»In wen?« Hoffentlich in mich, hoffentlich in mich, hallte es durch meinen Kopf.
»In wen wohl? In dich natürlich! „ Ja, ja, ja! »Es tut mir so leid, dass ich dich vorhin geküsst habe, doch es ist einfach so über mich gekommen. Das kommt nie wieder vor, ich verspreche es dir. Ich will deine Freundschaft auf keinen Fall verlieren.«
»Wie bitte? Sag das noch mal!«, entgegnete ich energisch. Hatte ich mich gerade verhört?
»Was? Ich meine.... . Das kommt nicht mehr vor, ich rühr dich nicht nicht mehr an.«
»Du bist ein Idiot!«
»Wieso bin ich ein Idiot? Es war zwar nicht okay das ich dich einfach so geküsst habe, aber deshalb musst du mich doch nicht gleich beschimpfen. Es war doch nur ein Kuss.«
»Du Idiot, hast du den nicht gemerkt, dass mir der Kuss mehr als gefallen hat? Wenn du nicht so schnell abgedampft wärst, hätte ich dir sagen können, das ich das alles toll fand.«
»Wie.. ich meine, bist du etwa auch... ?«
»Schwul?! Ja das bin ich und in dich verliebt. Seit dem Moment als ich dich zum ersten Mal gesehen habe.«
Marco sah mich mit immer größer werdenden Augen an.
»Ist das dein Ernst? Oder verarscht du mich jetzt? So nach dem Motto, die dumme Schwuchtel kann man ruhig demütigen.«
»Klar, natürlich verarsche ich dich!« Ich sah ihn an und schüttelte den Kopf. »Bist du noch nicht ganz wach? Ich habe dir gerade meine Liebe gestanden. Und glaubst du denn wirklich, dass ich dir wehtun würde?«
»Also magst du mich wirklich?«
»Nein!«, rief ich etwas zu laut. Marco sah mich entsetzt und total verwirrt an. »Nein, ich liebe dich. Du Depp!«
Nach einem Augenblick des Begreifens hellte sich sein Gesicht auf und er strahlte mich überglücklich an.
Ich stand auf, setzte mich direkt neben ihn und sah ihm tief in die Augen. Seine Wangen verfärbten sich rot.
»Weißt du eigentlich das du total süß aussieht wenn du rot wirst?!«
»Du aber auch.« Er hatte Recht, in den letzten Sekunden war mir total warm geworden. Wahrscheinlich konnte ich im Moment einer Tomate oder einem Feuerlöscher ohne Probleme ernsthafte Konkurrenz machen, zumindest was die Farbe betraf.
Zögernd hob ich die Hand und strich ihm über die Wange.
»Jag mir nie mehr wieder solche Angst ein!«
»Mach ich nicht, versprochen.« Seine Antwort war kaum mehr als ein Flüstern.
Unsere Gesichter näherten sich einander. Nach endlosen, in gespannter Erwartung verbrachten Sekunden, trafen sich unsere Lippen. Erst sanft und zögerlich, dann immer fordernder küssten wir uns. Meine Zunge suchte sich ihren Weg zwischen seine Lippen. Etwas zurückhaltend begann er mit seiner Zunge meine zu umspielen.
Es war ein unglaubliches Gefühl. Endlich, nach so vielen Monaten, war der Moment gekommen, nach dem wir uns beide gesehnt hatten. Er fuhr mir mit seiner Hand durch meine Haare und suchte sich dann langsam den Weg unter mein T-Shirt. Seine Finger auf meiner Haut zu spüren ließ mich erschauern.
»Soll ich damit aufhören?«, fragte er flüsternd. Als Antwort schob ich meine Hand unter sein T-Shirt und begann seinen Bauch und seine Brust zu liebkosen.
Durch ein lautes Räuspern wurden wir unsanft wieder in die Wirklichkeit gezerrt.
»Na, wie ich sehe geht es dem Patienten schon wieder sehr gut. Kein Wunder bei der guten Medizin.« In der Tür stand Doktor Braunmann, dahinter Mom und Dad, und alle drei grinsten schelmisch.
Ich merkte wie mir wieder das Blut in den Kopf schoss. Marco ging es genauso. Zwei Feuermelder, man das musste ein toller Anblick gewesen sein.
»Oh, schaut mal, die beiden werden ja ganz rot. Das es das heute noch gibt. Richtig süß die beiden, oder?«
»Ach, Bernd, lass die beiden doch. Sie sind noch jung und das soll man genießen. Wir waren doch nicht anders in dem Alter, oder?« Ohne die Antwort abzuwarten küsste Mom Dad liebevoll auf den Mund.
Oh man, Eltern! Als ob die ganze Situation gerade nicht schon peinlich genug gewesen wäre, nein, die beiden müssen natürlich noch einen Draufsetzen.
Aber sonst wären es wohl kaum meine Eltern, oder?
An ein frühes zu Bett gehen war natürlich nicht zu denken. Der Arzt blieb noch zum Essen und Marco erholte sich ziemlich schnell. Es war ja Gott sei Dank nur eine leichte Unterkühlung gewesen und ich nahm mir vor, mein Bestes zu geben um meinen Engel heute Nacht warm zu halten. In eine warme Wolldecke gehüllt saß er neben mir am Esstisch und schlug sich den Bauch mit Kartoffelpüree und Hackbraten voll.
»Es geht ihm wirklich wieder gut. Seht euch mal an wie der reinhaut!«
»Ach Dad, sei nicht so. Ich bin froh dass ihm nichts passiert ist. Er soll so viel essen wie er will. Das ist doch ein gutes Zeichen.«
»Na klar kann er so viel essen wie er will. Ich finde es nur bemerkenswert. Wenn ich solch riesige Portionen verdrücken würde, dann käme ich in zwei Wochen nicht mehr durch die Tür. Wo steckt ihr beiden das alles hin? Das würde ich zu gern wissen.«
»Weißt du Paps, wer kann der kann.«
Zuerst prustete Mom los und auch wir anderen konnten nicht mehr an uns halten und begannen ebenfalls zu lachen. Dad sah uns etwas pikiert an, bevor er selbst nicht mehr dagegen ankam und ebenso loslachen musste.
Ich half Mom beim Abräumen, während es sich Dad und Marco im Wohnzimmer gemütlich machten.
»Du kannst ruhig auch schon ins Wohnzimmer gehen, das hier schaff ich allein.«
»Danke Mom.«
»Ich weiß doch dass du so schnell wie möglich zu Marco willst. Timo, ich freue mich wirklich für dich. Für euch.«
»Danke. Ja das will ich wirklich.«, sagte ich und umarmte sie. »Mom, ich hab dich lieb.«
»Ich dich auch. Nun mach schon, geh und lass meinen zukünftigen Schwiegersohn nicht zu lange warten.«, erwiderte sie und bugsierte mich lachend in Richtung Gang.
Als ich das Wohnzimmer betreten wollte, bemerkte ich dass sich Marco und mein Dad unterhielten. Ich weiß, lauschen ist eine schlechte Angewohnheit, aber ich konnte nicht anders.
»Mein Sohn scheint dich sehr zu lieben.«
»Ja, ich denke schon.«, antwortete Marco.
»Und du? Liebst du ihn auch?«
»Ja, ich habe mich schon am ersten Schultag hoffnungslos in ihn verliebt. Ich hab ihn gesehen und da war es um mich geschehen.«
»Das ist gut. Ich finde ihr beiden passt gut zusammen.«
»Also haben sie mit uns beiden kein Problem?«
»Wieso sollte ich? Weil ihr schwul seid? Nein, ich hab das schon vorhin Timo gesagt. Ich liebe meinen Sohn und egal was auch ist, ich werde ihn immer lieben. Und ich mag auch dich. Du bist ein lieber Kerl und scheinst meinen Sohn sehr gern zu haben. Aber vergiss eines nie, tust du meinem Sohn weh, dann tu ich dir weh!«
»Ich würde ihm niemals wehtun, glauben sie mir. Dafür liebe ich ihn viel zu sehr.«
»Das war die richtige Antwort.«
Ich hörte wie sich jemand erhob und betrat nun selbst das Wohnzimmer.
Dort standen Dad und Marco und umarmten sich.
»Also ich weiß ja nicht, aber ich habe das Gefühl, als müsste ich eifersüchtig sein.«
»Nein, ich hab nur gerade meinen zukünftigen Schwiegersohn feierlich in die Familie aufgenommen.«
»Was du und Mom mit dem Schwiegersohn habt, von der Wiege bis zur Bahre alles durchgeplant, oder was?«, fragte ich meinen Dad breit grinsend. »Ja, so ungefähr. Nur mit der Ausnahme, das in unserer Planung eigentlich eine Frau und fünf Kinder vorgekommen wären. Aber Planungen kann man überdenken und so ist das auch gut. Aber auf die fünf Enkel werden wir trotzdem nicht verzichten.«
»Ja dann. Marco, wer von uns beiden bekommt die? Also ich nicht.«
»Wir können sie uns ja aufteilen, zwei du, zwei ich und beim fünften Knobeln wir einfach. Okay?!«
»Mal sehen. Aber eigentlich ist Lisa doch auch noch da. Die muss sich eben ein bisschen mehr ins Zeug legen.«
»Was muss ich?«, fragte Lisa, die urplötzlich in der Tür stand. Keiner von uns hatte sie hereinkommen hören.
»Nun, kleines Schwesterlein, du musst nun die komplette Last der Nachkommenschaft tragen. Meine fünf und deine eigenen, so wollen es Mom und Dad. Dann mal viel Spaß!«, erwiderte ich auf ihre Frage und sah sie nun ernst an. Sie sah verwirrt in die Runde.
»Lass dich von Timo nicht ärgern. Der redet mal wieder einen vollkommenen Bockmist.«, warf Marco ein.
»Vielen Dank Marco, das du mir in den Rücken fällst! Komm du mir heute Nacht ins Bett!«
Nun war Lisas Verwirrung komplett. Sie schaute nun immer wieder verwirrt von Marco zu mir und die Fragezeichen in ihren Augen wurden von Sekunde zu Sekunde immer größer.
»Ja, Dad weiß das ich schwul bin und seit heute sind Marco und ich ein Paar.«
Nun hellte sich ihr Gesicht schlagartig auf. Sie rannte auf mich zu und umarmte mich stürmisch. Auch Marco kam in den Genuss dieser Liebesbezeugung.
»Das ist ja toll. Ich freue mich so für dich. Ich meine für euch.«
»Danke Schwesterlein. Du warst mir in den letzten Monaten eine große Hilfe. Das werde ich dir nie vergessen.«
»War doch Ehrensache. So traurig wie du manchmal warst, ich musste dich einfach trösten. Ich kann einfach nicht sehen dass du traurig bist.« Sie sah von Marco zu mir. »Aber so happy wie ihr beide seid, glaube ich nicht, dass du meine Dienste in naher Zukunft sehr oft in Anspruch nehmen wirst.», sagte sie und lächelte verschmitzt.
»Ich werde mein Bestes tun um ihn glücklich zu machen.«, sagte Marco und grinste Lisa an.
»Das will ich doch hoffen.«
So wie es nun mal ist, verging die Zeit ziemlich schnell und schon war es Heiligabend. Ich glaube so glücklich wie an diesem Abend war ich schon sehr lange nicht mehr. Mein Freund, das müsst ihr euch auf der Zunge zergehen lassen, Marco ist MEIN FREUND!!! sitzt dicht neben mir im Kreise meiner Familie und alle sind glücklich. Ich habe echt verdammtes Glück, so eine tolle Familie zu haben. Wir singen ein paar Weihnachtslieder, wobei sich Marco ein wenig zurückhält, da er sich durch seine ich-renn-mal-weg-und-erfriere-fast-Aktion eine ziemlich starke Erkältung zugezogen hat und er sich deshalb im Moment etwas seltsam anhört.
Dann kommt natürlich das worauf sich alle am meisten freuen, zum Verteilen der Geschenke. Doch ich war schon überglücklich. Ich hatte mein Geschenk ja schon vor Weihnachten bekommen. Aber natürlich machte ich mich daran, meine Eltern und Lisa mit einem Geschenk zu beglücken. Natürlich bekam ich auch etwas von meinen Eltern und Lisa, und Marco packte die Geschenke aus, die seine Eltern für ihn dagelassen hatten. Nun lagen nur noch zwei kleine Päckchen unter dem Baum. Das eine war mein Geschenk für Marco, also musste das andere sein Geschenk an mich sein. Wir überreichten uns die kleinen Päckchen und ich war total aufgeregt, als ich das Geschenkpapier entfernte. Ich öffnete das kleine Etui das zum Vorschein gekommen war und nahm eine Kette heraus. Sie hatte als Anhänger ein Medaillon mit eingefasstem Onyx. Onyx war mein absoluter Lieblingsstein.
»Danke Marco, das ist wirklich wunderschön. Am liebsten würde ich dich jetzt küssen, weißt du das?«
»Tut euch keinen Zwang an und macht es einfach.« Diese Ansage kam von meinem Dad, der mit einem ziemlich breiten Grinsen im Gesicht auf dem Sofa saß.
Das ließen wir uns natürlich nicht zweimal sagen und versanken in einen zärtlichen Kuss.
»Nun mach du aber auch dein Geschenk auf.«, sagte ich, nachdem wir uns wieder voneinander gelöst hatten.
Er öffnete sein Geschenk-Etui. Zum Vorschein kam ebenfalls eine Kette. Es war sogar das selbe Medaillon, nur hatte Marcos in der Mitte einen Türkis.
»Dreh deinen Anhänger mal um.«, sagte Marco und strahlte mich total süß mit seinem Waffenschein pflichtigen Lächeln an.
Auf der Rückseite war eine Gravur: >In Liebe dein Marco.<
»Tu mir bitte den Gefallen und dreh deinen Anhänger auch mal um.«, bat ich ihn grinsend.
Dort stand: >In Liebe dein Timo<.
Wir sahen uns ein paar Sekunden tief in die Augen und versanken dann in einen wunderbar zärtlichen Kuss.
»Ich hab an dem Stand gleich zwei davon gekauft, einen mit Gravur und einen ohne, denn ich wusste ja nicht, ob ich den Mut haben würde, dir meine Gefühle zu gestehen.«, sagte Marco und lief wieder ein wenig rot an.
»Dasselbe hab ich auch gemacht. Ich wollte dich ja nicht durch ein unbedachtes Quting als guten Freund verlieren.«
»Oh man, das sind hier mal zwei Spezialisten.«, sagte Lisa, und kaum fünf Sekunden später brachen wir alle fünf in schallendes Gelächter aus.
So im Nachhinein betrachtet muss sich der Händler schon ein bisschen gewundert haben, gleich vier von den Ketten zu verkaufen und dann auch noch zwei mit einer fast gleichen Gravur. Und beiden Gravuren von einem Jungen an einen Jungen. Das erlebt der mit Sicherheit auch nicht jeden Tag.
Nach einem wunderbaren Weihnachtsessen gingen wir recht bald ins Bett. Die nächsten Tage waren wunderschön. Ich war glücklich, so viel Zeit mit Marco verbringen zu können. Erst gegen Ende der Woche fiel ein Schatten auf unser Glück. Marcos Eltern würden morgen wiederkommen und er hatte beschlossen, ihnen noch dieses Jahr reinen Wein über sich einzuschenken. Doch so stark wie er nach außen tat, war er nicht. Er hatte eine tierische Angst davor, wie seine Eltern darauf wohl reagieren würden.
Marcos Eltern kamen am 30.12. zurück. Sie waren ein paar Tage länger geblieben als geplant.
Nun saßen Marco und ich zusammen mit seinen Eltern in deren Wohnzimmer und seit zwei Minuten hatte keiner mehr etwas gesagt. Marco neben mir begann zu zittern. Er hatte solche Angst, seinen Eltern die Wahrheit zu sagen.
»Marco, was ist so schlimm das du solche Angst hast es uns zu sagen?«, fragte seine Mutter besorgt.
»Ich weiß nicht...ich meine das ist....ach ich kann das nicht.«
»Egal was du gemacht hast, wir kriegen das schon wieder hin. Also bitte, sag uns endlich was los ist.«
»Ich hab nichts gemacht. Also ich meine, ich hab nichts angestellt. Es ist etwas, das mit mir los ist. Ich...ich... .« Er blickte hilfesuchend zu mir. Ich nickte ihm aufmunternd zu und signalisierte ihm damit, dass ich für ihn da sein würde, egal wie das jetzt gleich ablaufen würde.
»Okay. Ich habe mich verliebt.«
»Oh schön, in wenn denn? Aber wieso konntest du uns das nicht sagen?«
»Na, weil....ich meine ich hab mich in jemanden verliebt, ihr kennt diese Person.«
Oh man, wenn man irgendwann mal einen Preis für das um den heißen Brei herum Reden vergeben würde, dann hätte Marco echt gute Chancen darauf.
»Mein Sohn, ich weiß aber immer noch nicht wo da das Problem sein soll.«, sagte sein Vater und dessen Blick glitt immer wieder zu mir.
»Ich hab mich in....in Timo verliebt.«, erklärte er, griff nach meiner Hand und ließ seine Finger sanft in meine gleiten. Er blickte zu Boden, als würde er jetzt auf ein Donnerwetter warten, das jeden Augenblick über ihn hereinbrechen würde. Aber erst mal geschah nichts. Dann, nach vielleicht einer Minute stand Marcos Vater auf, kam auf uns zu und für einen Augenblick dachte ich, er würde Marco schlagen wollen. Aber im Gegenteil. Er kniete sich vor seinen Sohn, der mittlerweile leise zu weinen begonnen hatte, umarmte ihn.
»Ich liebe dich Marco, das wird sich nie ändern. Schon gar nicht aus so einem banalen Grund. Ich hab kein Problem einen Schwiegersohn zu bekommen, vor allem dann nicht, wenn es ein so netter ist wie Timo.«
Marco blickte seinen Vater an und dann fielen sich die beiden in die Arme. Seine Mom saß derweil immer noch auf dem Sofa, ebenfalls mit Tränen in den Augen und breit grinsend.
»Wir haben uns schon länger so etwas gedacht, nachdem du, als wir hierher gezogen sind plötzlich von einem Tag auf den anderen total verändert warst. Du hast seit Monaten wieder richtig glücklich ausgesehen, hast wieder gelacht. Und für all das konnte es nur einen Grund geben: Timo. Ich war so froh, dich endlich wieder glücklich zu sehen.« Marcos Mom hatte sich neben uns auf das Sofa gesetzt und ihren Sohn fest in den Arm genommen.
»Dann würde ich sagen: Timo, willkommen in unserer Familie.«
»Danke Herr Teubert.«
»Nichts zu danken. Ihr seid ein nettes Paar und ich hoffe du passt weiterhin so gut auf meinen Jungen auf.«
Verwundert sah ich ihn an.
»Deine Mutter hat angerufen und gesagt, dass mit Marco etwas los war, es jetzt aber wieder in Ordnung sei. Dank dir hat sie gesagt. Sie hat nicht genau gesagt was los war. Könntet ihr beide uns da ein bisschen auf die Sprünge helfen?«
Marco wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und begann dann zu erzählen.
»Es war so, dass ich Timo geholfen hab, sein Sofa aus dem Keller in die Wohnung zu bringen. Da haben wir dann herumgealbert. Irgendwie hab ich mich dann dazu hinreißen lassen ihn einfach so zu küssen. Total erschrocken von dem was ich da getan hatte, bin ich kopflos aus dem Haus gerannt, ohne Jacke. Timo hatte nicht mal Gelegenheit mich aufzuhalten. Ich bin dann in den Park gerannt, zu dem Platz an dem sich unsere Clique immer getroffen hat. Es war ja ziemlich kalt, doch das hab ich nicht so wirklich wahrgenommen. Als ich an den Platz kam hab ich mich im Windschatten von einem der Felsen die da sind gelegt und wollte nur noch sterben. Ich dachte ich könnte Timo und euch nie wieder in die Augen schauen. Ich dachte, er würde es euch gleich brühwarm erzählen und ihr würdet mich verstoßen oder so. Irgendwann bin ich dann eingenickt und hätte Timo mich nicht so schnell gefunden, dann hätte es ziemlich schlimm ausgehen können.«
Seine Eltern hatten schweigend zugehört und sahen ihren Sohn nun geschockt an.
»Timo, ich danke dir dafür, dass du dich so um unseren Großen gekümmert hast. Bei dir ist er, wie wir gesehen haben, in den allerbesten Händen. Du wirst ihm nie wehtun, da bin ich mir sicher.«, sagte Marcos Mutter zu mir, als sie sich wieder gefasst hatte.
»Ich bin immer für ihn da und ich könnte ihm niemals wehtun. Dafür liebe ich ihn viel zu sehr.«
Wir saßen noch bis weit in die Nacht mit Marcos Eltern zusammen. Wie ich vermutet hatte, hatten sich Marcos und meine Mutter mehrfach darüber unterhalten, wie es um uns beide stünde. Sie hatten gewusst, das wir sehr viel füreinander empfanden, doch sie wollten es uns beiden überlassen zueinander zu finden. Deshalb hatten Marcos Eltern auch so schnell zugestimmt, dass er Weihnachten bei mir feiern durfte. Also, ich konnte kaum glauben, wie listig manche Eltern sein können.
Silvester feierten wir dieses Jahr im großen Kreis, Marcos und meine Eltern, Lisa und Alexander, und natürlich Marco und meine Wenigkeit. Am Vormittag hatte Marco noch seinen Bruder zur Seite genommen und ihm die Sache erzählt. Laut Marco muss der einzige Kommentar, den Alexander von sich gegeben hatte, gewesen sein: »Das weiß ich doch schon lange. War das etwa der Grund, wieso du mich von meinem PC-Game weggeholt hast?«
Natürlich kam es wie es kommen musste, die Schule fing wieder an.
Der erste Schultag nach den Ferien verlief ziemlich ruhig, denn es schien so als wären sowohl die Schüler als auch die Lehrer noch in Urlaubsstimmung.
Nach der letzten Stunde nahmen wir Jay und Ben beiseite.
»Marco und ich würden gern was mit euch besprechen. Aber nicht hier. Hättet ihr Lust mit uns im Valencia was trinken zu gehen?«
»Klar kommen wir mit. Aber wieso so geheimnisvoll?«
»Später. Wir wollen das nicht hier besprechen.«
Marco und ich hatten lange darüber geredet und waren zu dem Entschluss gekommen, dass wir mit unseren besten Freunden ehrlich sein wollten.
Im Café Valencia angekommen nahmen wir an einem der hinteren Tische Platz, so dass wir unsere Ruhe hatten und bestellten erst einmal eine Runde Cola.
Immer wieder warf mir Marco nervöse Blicke zu. Das blieb von Ben und Jay natürlich nicht unbemerkt.
»Also, spannt uns jetzt nicht länger auf die Folter, was ist los?«
»Okay. Könnt ihr euch beide noch an das Gespräch erinnern, das wir kurz vor Weihnachten in Timos Zimmer geführt haben?«
»Das Gespräch wo er so frech wurde das wir ihn bestrafen mussten, oder?«, fragte Ben grinsend.
»Genau das. Es war so, dass wir uns dann noch länger über ein gewisses Thema unterhalten haben. Wisst ihr was ich meine?«
»Über Schwule und so. Klar, wir sind doch noch nicht senil.«, kam es von Jay.
»Ja genau. Also ich übernehme das mal, wenn es dir recht ist Marco.«
»Ist okay, mach nur.«
»Gut, wie sag ich das jetzt am besten?« Bevor ich weitersprach nahm ich noch einen ziemlich großen Schluck Cola. »Es ist so, dass ich mich verliebt hab. Und zwar in eine Person die ihr auch kennt.«
»In wen den? Aus unserer Klasse? Aber was hat das dann mit dem Thema Homosexu...oh.« Nun schien bei Ben der Groschen gefallen zu sein. Man konnte ihn fast fallen hören.
»Du hast dich in einen Jungen verliebt, oder?«
»Ja, der Kandidat hat hundert Punkte.«, erwiderte ich so lässig wie ich konnte, obwohl ich total nervös und angespannt war. Meine Hände schwitzten so sehr, dass ich sie an meiner Hose abwischen musste.
»In wenn denn?«
»In den hier neben mir.«
»In Marco?!« Ben sah zwischen uns hin und her.
»Ja genau.«
»Und wie sieht er die ganze Sache?«, fragte Jay grinsend.
»Frag ihn doch selber.«
»Na Alter, wie siehst du die Sache?«
»Ich liebe ihn auch.«
»Oh man, das glaubt einem echt keiner.«, rief Ben, sprang von seinem Stuhl auf, kam um den Tisch herum und umarmte uns beide stürmisch. »Ich freue mich echt für euch.«
»Danke Ben, ich bin echt froh das ihr beide das so cool seht.«
»Ich glaube, dass es dazu noch etwas zu sagen gibt, oder liege ich da falsch Jay?«, sagte Ben verschmitzt lächelnd zu seinem besten Freund.
»Nein, tust du nicht. Ich würde euch beiden gern auch was sagen. Ich bin so froh, endlich Leute zu kennen, die so sind wie ich.«
»Was, du bist auch schwul?!«, kam es von Marco und mir wie aus einem Mund. Ich war wirklich erstaunt. Damit hätte ich nie gerechnet.
»Bingo. Ben war bis jetzt der einzige, dem ich das anvertraut habe. Ich wusste ja schließlich nicht, wie ihr beiden reagieren würdet.«
»Und Ben, wie fühlst du dich den jetzt, wo du weißt, das du die einzige Hete hier in unserer Runde bist?«
»Ziemlich gut, da bleiben nämlich mehr Mädels für mich übrig. Und ich würde sagen, dass ihr mit dieser Aktion einigen Mädchen in unserer Klasse das Herz brechen werdet, wenn es die dann mal erfahren.«
»Ja, was das angeht, ist Jay glaube ich einer Meinung mit uns, das wir das erst mal für uns behalten. Sarah würde ich es aber gern erzählen, da sie es von mir sowieso schon weiß und wir so oft miteinander rumhängen das es einfach bescheuert wäre wenn sie es nicht weiß, da wir uns dann immer verstellen müssten. Und sie kann ein Geheimnis auch ganz gut für sich behalten.«
»Also ich hab kein Problem damit das sie es weiß.«, erwiderte Jay. »Irgendwann werde ich hoffentlich auch so ein Glück haben wie ihr zwei und dann möchte ich mich mit ihm nicht vor ihr verstecken müssen.«
Am nächsten Tag nahmen wir Sarah zur Seite. Sie sah ein wenig verwundert von einem zum anderen und wusste nicht was sie von dieser Aktion zu halten hatte.
»Kann mir einer von euch Helden endlich mal sagen was ihr eigentlich von mir wollt?«
»Klar können wir das. Wie hoch schätzt du die Chance, das von uns vier hier noch einer schwul ist?«
»Wie?! Oh, ist Marco also auch schwul?«, rief sie erfreut aus.
»Ja. Und wir sind zusammen.«
»Und du bist nicht auf die Idee gekommen deine beste Freundin anzurufen und ihr diese Neuigkeit mitzuteilen? Seit wann seid ihr den eigentlich schon ein Paar?«
»So circa eineinhalb Wochen.«
»So lange schon und ich weiß davon noch nichts? Echt nicht fair so was. Monatelang hab ich dein Gejammer ertragen und nun bin ich ja wie es scheint die letzte die es gesagt bekommt.«, sagte sie und versuchte verärgert auszusehen. Doch so richtig klappte das nicht.
»Ach du Depp, ich bin froh das ihr jetzt zusammen seid. Aber nächstes Mal will ich eine der ersten sein die über so was informiert wird. Verstanden?«, verkündete sie, während sie mich stürmisch umarmte.
»Ja, verstanden!«, antwortete ich leise lachend.
»Gut, dann kriegst du von mir auch gleich noch was zu hören.«, sagte Jay.
»Wie darf ich das jetzt verstehen?«
»Na, du willst doch immer Top informiert sein. Dann hab ich jetzt eine fast brandneue Info für dich. Ich bin schwul!«
»Das meinst du ernst, oder?! Oh man, drei von vier, das ist mal eine Quote. Oder hat uns der liebe kleine Beni auch noch was zu sagen?«
»Ne, da muss ich dich leider enttäuschen, ich bin eine Hete, durch und durch.«
»Da sag ich nur, sag niemals nie. Oder eher, ein bisschen bi schadet nie. Oder vielleicht, das ist ein Grund aber kein Hindernis.« Sarah schien es viel Spaß zu machen, Ben zu ärgern.
»Da habt ihr drei mir aber was eingebrockt. Unsere gute Sarah wird nicht damit aufhören bis ans Ende meines Lebens. Hoffentlich hab ich bald mal wieder ein Mädchen, dann kann ich ihr wenigstens den Beweis antreten.«
»Ja aber wie gesagt, eine Frau ist ein Grund, aber kein Hindernis.«
»Man die Frau macht mich echt fertig.«, rief Ben dramatisch.
»Ben, du wirst es überleben.«, sagte ich und klopfte ihm aufmunternd die Schulter.
»Dein Wort in Gottes Ohr Timo.«
In den folgenden Wochen hingen wir dann meist zu fünft ab.
Jay, Marco und ich entschlossen uns dazu, mal zu einer der schwulen Jugendgruppen hier in München zu gehen.
So ganz wohl fühlte ich mich nicht, als wir vor der Tür des Treffs „Teen – Pride“ standen. Wie würde es dort sein? Man hatte ja schon so viel gehört und nun war ich mir nicht mehr sicher, ob es richtig gewesen war mitzukommen. Aber es gab nun kein Zurück mehr.
Marco nahm meine Hand und zog mich hinter sicher her. Drinnen war es eingerichtet wie ein ganz normales Café, nur das die Gäste, die im Augenblick dort waren, ausschließlich männlichen Geschlechts waren. Jay kam nach uns herein und schloss die Tür hinter sich. Wir setzten uns an einen Tisch vorn am Fenster und bestellten erst einmal eine Runde Cola. Ich weiß, ist nicht gesund, aber für meine Nerven war es genau das richtige.
Das treffen der Schwulen Jugendgruppe sollte um 15 Uhr beginnen, doch wir hatten uns schon für 14 Uhr verabredet, da wir uns erst einmal alles ansehen wollten und, falls es uns gar nicht gefiel, so ohne viel Aufsehen wieder verschwinden konnten. Doch bis jetzt gefiel es mir hier. Langsam aber sicher entspannte ich mich. Auch Jay und Marco schien es zu gefallen.
Gegen halb drei kamen ein paar Jungs in unserem Alter herein und setzten sich an einen Tisch in unserer Nähe. Ich bemerkte wie einige aus der Gruppe zu uns hinüber sahen und uns zu mustern schienen.
»Hallo ihr drei, ihr seid neu hier, oder?« Einer der Jungs war aufgestanden und kam an unseren Tisch.
»Ja, wir sind heute zum ersten Mal hier, wollten uns einfach mal anschauen, wie das hier so ist.«
»Die Jungs aus der Jugendgruppe sind alle total nett. Natürlich haben wir ein paar exzentrische dabei und ein, zwei kleine Zicken, aber was will man machen, die gibt es überall. Ich bin übrigens Robert. Aber nennt mich Robbie, das machen eigentlich alle hier.«
»Das sind Jay, Marco und ich bin Timo. Nett dich kennen zu lernen.« Wir schüttelten einander die Hand.
»Wie viele sind eigentlich in der Gruppe?«
»Wenn mal alle da sind, dann sind wir 25. Aber meist sind wir so 15 bis 20 Leute. Es macht echt Spaß mal nur mit Leute rumzuhängen, bei denen man sich keine Gedanken machen braucht, was sie über einen denken oder sagen weil man schwul ist.« Er warf einen kurzen Blick in unsere Runde. »Ihr kennt euch, oder?«
»Ja, wir sind schon ewig Freunde, doch das wir alle drei schwul sind, das haben wir erst vor ein paar Wochen herausgefunden.«
»Und ihr beide seid ein Paar, oder?« Er zeigte auf mich und Marco.
»Seit Weihnachten, ja.«
»Ihr passt gut zusammen. Und ihr tut unserem Pärchen Durchschnitt ganz gut. Wenn ihr dabei bleibt, dann seid ihr das dritte Pärchen.«
Wir unterhielten uns noch einige Zeit und langsam kamen auch die anderen dazu. Wie Robbie waren auch David, Simon, Andi und Thorsten sehr nett.
Während wir uns angeregt unterhielten trafen immer mehr Jungs ein.
»Hallo. Die meisten kennen mich ja schon, aber wir haben heute drei neue Gesichter in unserer Mitte und so werde ich mich jetzt kurz mal vorstellen. Ich bin Tim May. Wenn ihr irgendwelche Fragen, Probleme oder sonstige Sorgen habt, dann kommt einfach zu mir. Die anderen können bestätigen, dass ich noch nie jemanden gebissen hab.«, erklärte der Leiter der Jugendgruppe, der selbst erst Mitte Zwanzig zu sein schien.
»Außer er wollte es!« Die Runde brach in lautes Lachen aus.
»Vielen Dank Aaron, ja, ich beiße nur die Leute die gebissen werden wollen. Aber jetzt mal wieder zum eigentlichen Thema. Wärt ihr drei so freundlich euch nur mal kurz den anderen vorzustellen?«
Nach dem üblichen Vorstellungsgeplänkel unsererseits übernahm Tim wieder das Kommando.
»Wie ihr ja wisst, werden wir dieses Jahr einen eigenen Wagen für den CSD entwerfen und ich möchte euch nun bitten, bis zum nächsten Mal Vorschläge zu machen, wie ihr euch den Wagen vorstellen könntet. Thomas wird die Vorschläge sammeln. Wo ist er eigentlich? Kommt er heute den nicht?«
»Doch, ich denke er hat vielleicht den Bus verpasst. Vorhin hab ich noch kurz mit ihm telefoniert und da hat er gemeint, er müsse seiner Mutter noch bei was helfen. Ich denke er taucht jeden Moment auf.«
Wie auf Kommando ging hinter uns die Tür ein wenig zu schwungvoll auf und jemand stürzte in den Raum. Die Tür schlug scheppernd gegen die Wand, das Glas klirrte ziemlich böse.
»Sorry...bin zu spät...konnte nicht früher...meine Mutter...ich..... .«
Mein Herz blieb für einen Augenblick stehen. Vor uns stand einer der besten Freunde von unserem Klassenarschloch Andre. Dieser sah mich genauso erschrocken an. Nun bemerkte er auch Marco und Jay. »Wie...ich meine wieso....ihr drei...warum?«
»Also Thomas du warst ja noch nie ein Mann großer Wort, aber was ist denn jetzt mit dir los? Das sind nur drei Neue, nichts weiter.«
»Wir kennen uns. Die drei gehen in die gleiche Klasse wie ich.«
»Also Thomas, von dir hätte ich das echt am allerwenigsten erwartet. Weiß Andre dass du schwul bist?«, fragte ich immer noch total geschockt. Die Antwort hätte ich mir aber eigentlich auch selbst geben können.
»Bist du verrückt?! Ihr kennt ihn doch, der würde mich wahrscheinlich alle machen.«
»Ja, so wie ich ihn kenne würde er ziemlich sicher Kleinholz aus dir machen.«
»Okay Leute, setzt du dich erst mal Thomas, ihr könnt ja nachher noch darüber reden, den ich denke ihr vier habt da noch einiges zu klären. Wo waren wir vor Thomas phänomenalen Auftritt stehen geblieben? Ach ja, beim Wagen für den CSD. Bitte überlegt euch alle ein Thema und nächstes Mal werden wir dann den besten Vorschlag durch Abstimmung herausfinden. Gut, dann zum nächsten Tagesordnungspunkt. Ich glaube jeder von uns war, ob nun direkt oder indirekt, schon einmal Opfer von Gewalt Aufgrund seines Schwul seins an seiner Schule. Nun haben sich einige Schwulen – und Lesbenverbände etwas überlegt, wie man dieser Entwicklung entgegen wirken könnte. Eine Idee war, dass man in Schulen geht und mit den einzelnen Klassen Diskussionen zu diesem Thema führt. Was haltet ihr davon?«
»Also ich finde die Idee nicht schlecht, aber wer soll das denn machen?«, fragte Thorsten.
»Das ist eine gute Frage und die werde ich euch gleich beantworten. Ihr!«
»Wir? Ist das dein Ernst?«
»Klar ist das mein Ernst. Ihr seid diejenigen, die wissen wie es ist, jung und schwul zu sein. Ihr wisst am besten welche Probleme es mit sich bringen kann zu entdecken dass man nicht so ist wie die anderen. Wie schwierig der Weg zum Coming Out sein kann und welche Reaktionen von den Mitmenschen kommen können. Also wer wäre da besser geeignet als ihr?! Ihr seid sozusagen die Experten.«
»Ist ja schön und gut, aber was machen wir wenn uns da jemand erkennt? Einige von uns sind schon länger out, bei anderen wissen es nur die engsten Freunde. Wie soll das gehen, ohne dass wir Gefahr laufen, uns unfreiwillig selbst zu outen?«, fragte Simon ernst.
»Ich kann euch wirklich verstehen. Doch überlegt mal, wie die Zeit war, als ihr gemerkt habt, das bei euch was anders läuft als bei den meisten in euren Klassen. Also ich hätte mich in dieser Zeit darüber gefreut zu erfahren, dass ich nicht der einzige bin und wohin ich mich wenden kann, wenn ich jemanden zum Reden brauche.« Tim schwieg kurz und blickte in die Runde. »Vor allem müsst ihr das nicht hier und heute entscheiden. Ich wollte den Vorschlag nur einmal in den Raum stellen. Überlegt es euch und sagt mir dann Bescheid.«
Das restliche Treffen war recht lustig, die Zeit verging ziemlich schnell und so dämmerte es schon als wir aufbrachen. Vor der Tür blieben wir noch kurz stehen und warteten auf Thomas. Als einer der Letzten verließ er den Treff. Als er uns drei sah, kam er auf uns zu und sein Blick verriet dass er sich momentan in seiner Haut alles andere als wohl fühlte.
»Also wirklich, das du schwul bist hatte ich echt nicht gedacht.«, sagte Marco und grinste ihn an.
»Und ich hätte nie gedacht dass es außer mir noch einen Schwulen in der Klasse gibt. Und jetzt sind wir dann gleich mal zu viert. Ich glaub dass echt nicht.«
»Kannst es ruhig glauben. Aber wie kannst du als Schwuler mit solch homophoben Vollspaten befreundet sein? Das versteh ich irgendwie nicht so wirklich.«, sagte Jay.
»Ganz einfach. Andre, die anderen und ich sind schon seit dem Kindergarten Freunde. In den letzten Jahren hab ich dann gemerkt das bei mir was „nicht stimmt“. Plötzlich hatte ich ziemlich heftige Gefühle für einen Jungen. Deshalb versuchte ich zwanghaft einen auf Hete zu machen und hoffte darauf, dass die anderen, aber vor allem Andre, davon nichts mitbekamen. Immer wieder ließ ich die übelsten Sprüche über Schwule los, immer darauf bedacht möglichst cool zu sein. In meinem Innersten bin ich daran fast zerbrochen. Doch mich outen, vor diesen Idioten? Nein, das war und ist undenkbar. Den Kontakt zu ihnen abbrechen konnte ich aber auch nicht, da wir ja zusammen in einer Klasse sind und wenn ich mich zurückgezogen hätte, dann wären hundertprozentig irgendwelche komischen Fragen aufgekommen. Also blieb alles beim Alten. Ich lebe in zwei Welten. In der SCHWULEN – Welt und in der NORMALEN – Welt. Nur in der schwulen Welt kann ich sein wer ich bin. Leider, den ich würde gern offen dazu stehen wer und was ich bin. Doch wenn ich das wirklich mache, dann muss ich mir vorher ein Bett im Krankenhaus reservieren, denn Andre uns seine Gefolgschaft lassen mich sicherlich nicht ungeschoren davonkommen.«
»Das glaube ich allerdings auch. Aber von nun an hast du, wenn die anderen beiden nichts dagegen haben, drei neue Freunde mit denen du jederzeit rechnen kannst. Also Jungs, was sagt ihr beiden dazu?«
»Ist doch Ehrensache. Wir müssen zusammenhalten.«, sagten Marco und Jay synchron.
»Vielen Dank. Ihr seid echt klasse.«
»Nichts zu danken. Die einzigen die du noch überzeugen musst sind Sarah und Ben. Sie sind fester Bestandteil unserer Gruppe und ich denke mal, nach all dem was du so in den letzten Jahren von dir gegeben hast, nicht unbedingt gut auf dich zu sprechen.«
»Ja, das kann noch was werden. Sie ist, denke ich, ein starkes Frauenzimmer, das weiß was es will. Und mit Ben ist nicht gut Kirschen essen wenn er sauer ist.«
»Damit könntest du Recht haben. Nur nenn sie nicht so, sonst verpasst sie dir vielleicht noch ein blaues Auge. Mit Ben hast du ganz Recht.«
Wir sahen uns an und mussten alle vier gleichzeitig losprusten.
Marco lag neben mir auf meinem Bett und streichelte sanft über meine Brust.
»An was denkst du?«, fragte er, ohne mich anzusehen.
»An Thomas. Ich kann immer noch nicht glauben dass er wirklich schwul ist.«
»Ja, ich hätte das auch nie gedacht, aber ich muss sagen, dass er mir, jetzt wo ich weiß das er schwul ist, viel sympathischer ist wie vorher. Das hört sich dumm an, ich weiß, aber es ist einfach so.«
»Mir geht es da genauso wie dir. Ich denke das liegt daran, dass wir nachvollziehen können, was er die letzten Jahre durchmachen musste. Für uns war es, obwohl auch nicht einfach, leichter zu dem zu stehen was wir sind. Er dagegen hat sich immer nur verstecken müssen.«
Ich kuschelte mich näher an meinen Engel und genoss seine Nähe. Einige Zeit schwiegen wir und hingen einfach nur unseren Gedanken nach.
»Hast du dir schon Gedanken wegen dem Projekt gemacht, das Tim beim Treffen erwähnt hat?«, fragte ich Marco.
»Gedanken hab ich mir schon gemacht, aber noch bin ich noch zu keinem Ergebnis gekommen.«
»Also ich bin mir da auch noch recht unschlüssig. Wenn uns da einer erkennt?« »Ja schon, aber sei mal ehrlich. Willst du dich denn immer verstecken und dich selbst verleugnen? Gut, wir haben unsere Clique in der wir ganz wir selbst sein können, doch manchmal würde ich dich einfach mal so ganz spontan in den Arm nehmen, dich küssen oder einfach mal deine Hand nehmen, egal wo wir gerade sind. Eben ganz genauso wie es die Hetenpaare machen.«
»Mir geht es doch genauso, aber du kennst die Idioten in unserer Klasse und von denen gibt es noch eine ganze Menge an der Schule. Was glaubst du würde passieren, wenn wir morgen Händchenhaltend auf dem Schulhof einlaufen?« Marco wirkte auf mich sehr bedrückt, doch ich wollte nicht nachbohren.
»Ich weiß doch auch nicht.«
»Ich eben auch nicht. Lass uns beiden einfach noch ein bisschen Zeit. Das Projekt steht ja auch erst in ein paar Monaten an. Wir können es ja entscheiden wenn es soweit ist. Okay?!«
»Das wird das Beste sein, denke ich.«, antwortete ich und küsste meinen Engel liebevoll.
Es war Samstag und wir waren mit Ben, Thomas, Jay und Sarah verabredet. Wir wollten ins Kino. In eines von diesen kleinen, in denen oft auch Filme in der Originalfassung und alternative Filme liefen. Im Treff hing ein Plakat von einem Film, der sich mit Coming Out beschäftigte, >>Beautiful Thing<<, einige hatten ihn schon gesehen und waren total begeistert.
Thomas hatte erst gestern am späten Abend endgültig zugesagt. Es war für ihn in der letzten Zeit nicht leicht gewesen, denn es bestand immer die Gefahr, das Andre und die anderen Idioten etwas mitbekommen könnten, da er nun nicht mehr so viel mit ihnen machte wie zuvor. Immer wenn er mit uns etwas unternahm musste er sich Entschuldigungen und hanebüchene Ausreden ausdenken. Doch man merkte auch wie froh er war, endlich auch mal Leute um sich zu haben, die genauso waren wie er, bei denen er sich nicht verstecken musste und einfach mal er selbst sein konnte.
Sarah und Ben waren aus allen Wolken gefallen als wir vor gut drei Wochen einen DVD – Abend bei mir gemacht hatten und neben Jay und Marco auch Thomas auf dem Sofa saß.
»Was macht der den hier?«, hatte Sarah gefragt. Beide hatten ihn beide verächtlich angesehen. Sie konnten sich noch gut an die schwulen feindlichen Sprüche erinnern, die er in der Vergangenheit immer wieder vom Stapel gelassen hatte.
»Ist schon gut ihr beiden, er gehört zu uns.«, hatte ich für ihn geantwortet und den beiden besänftigend den Arm um die Schultern gelegt.
»Timo, wärst du bitte so freundlich mich darüber zu informieren in welchem absurden Theaterstück ich gerade mitwirke?«, hatte Ben gesagt und Sarah zustimmend genickt.
Mit einem kurzen Blick auf Thomas, der nickte, erzählte ich es ihnen in aller Kürze.
»Wir sind wie du ja weißt in einer schwulen Jugendgruppe. Und wenn treffen wir da vor drei Wochen? Diesen Kandidaten hier.«
»Was, du bist schwul? Du?!?«
»Ja, ich bin schwul.«
»Aber wieso hast du dich dann immer so homophob aufgeführt?« Sarah sah ihn fragend an, doch bevor er antworten konnte sagte sie: »Das kann ich mir glaube ich selbst beantworten. Bei den Leuten mit denen du sonst so rumhängst, kann ich vollkommen verstehen dass du lieber einen auf arschige Machohete gemacht hast.«
Damit war er auch von Sarah und Ben akzeptiert und in die Gruppe aufgenommen worden.
Aber jetzt zurück zum Text. Wo waren wir? Ach ja, bei >>Beautiful Thing<<.
In der Jugendgruppe hing wie gesagt ein Filmplakat und wir hatten uns kurzerhand dazu entschlossen, uns den Film anzusehen.
Ben und Sarah ließen es sich natürlich nicht nehmen uns zu begleiten. Wir hatten verabredet, dass wir uns um 19.30 Uhr vor dem Eingang treffen.
Gemeinsam gingen wir in Richtung Kasse. Gut das wir die Karten schon vorab reserviert hatten, den sonst hätten wir mit Sicherheit keine Karten mehr bekommen. Ich glaube, dass ich noch nie so viele schwule Pärchen auf einem Haufen gesehen habe, außer vielleicht während des CSD. Die Eingangshalle war brechend voll und so waren wir froh, als wir endlich auf unseren Plätzen saßen. Der Film war echt gut und zeigte eindrucksvoll das Coming out zweier Jungen, ihre Schwierigkeiten und die Akzeptanz ihrer Umwelt.
Ich fand ihn echt gut, und als ich nach dem Film in die Gesichter meiner Freunde blickte, sah ich dass er ihnen auch sehr gefallen hatte.
Wir saßen an diesem Abend noch lange zusammen in einem gemütlichen Café und unterhielten uns über Gott und die Welt.
Es tat gut, einen so tollen Freundeskreis zu haben. Auf diese Leute konnte ich mich immer verlassen.
Wir hatten alle sehr lange überlegt, in unserer Clique wie auch in der Jugendgruppe, und waren zu dem Entschluss gekommen, an dem Projekt teilzunehmen.
Die Verteilung der Gruppe auf die infrage kommenden Schulen war so geplant, das wir in die Schulen gehen würden, in denen die Gefahr nicht sehr groß sein würde, von jemanden erkannt und bei den Leuten geoutet zu werden, die es nicht wissen sollten, wie zum Beispiel Andre.
Wir vier, Jay, Thomas, Marco und ich, hatten eine Gruppe gebildet.
Mein Herz schlug heftig gegen meinen Brust als wir zu unserem ersten Vortrag unterwegs waren. Natürlich war ich fest entschlossen gewesen das durchzuziehen, doch nun zeigte sich wieder einmal, dass ich tief in meinem Inneren doch ein kleiner Feigling war.
Wir hatten das Klassenzimmer fast erreicht und ich hatte das Gefühl, als würde ich jeden Augenblick ohnmächtig werden.
»Geht es dir nicht gut mein Schatz?«, fragte Marco und sah mich etwas besorgt an.
»Ich bekomme nur grade etwas Muffen sausen, das ist alles.«
»Kann ich nachvollziehen Mann, mir geht es genauso.«, sagte Jay und atmete einige Male tief ein und aus.
»Das kriegen wir schon hin Leute. Sind wir Männer oder Memmen?«
»Ich würde sagen, im Moment eine Mischung aus beidem.«, erwiderte Marco mit einem breiten Grinsen. Wir alle mussten lachen. Danach fühlten wir uns etwas besser.
Marco klopfte an, nach ein paar Sekunden wurde die Türe von innen geöffnet und eine junge Frau kam heraus.
»Ihr seid bestimmt die Jungs von der schwulen Jugendgruppe.«
»Ja, die sind wir.«, erwiderten wir alle gleichzeitig, was uns ein Grinsen einbrachte.
»Gut, meine Klasse freut sich schon auf euch. Ich bin Frau Müller.«
»Da bin ich mir nicht so sicher.«, sagte ich. Der kleine Feigling war anscheinend noch nicht ganz verschwunden.
»Doch, glaubt mir, ich kenne meine Klasse, die sind in Ordnung.«
»Gut, dann wollen wir sie nicht noch länger warten lassen.«, sagte Thomas. Er wirkte bei diesem Satz so wie ich mich gerade fühlte.
Die Lehrerin öffnete die Tür und wir folgten ihr.
»Also Klasse, das sind die Jungs der schwulen Jugendgruppe „Teen – Pride“. Hört ihnen erst mal zu und wenn ihr Fragen habt, könnt ihr sie danach stellen. Ich bin mir sicher, die Jungs hier antworten euch gerne.«
Da standen wir nun, fast dreißig Augenpaare waren auf uns gerichtet.
»Genau, wir werden auf alle eure Fragen antworten, so gut es uns möglich ist.«, sagte Jay fröhlich grinsend.
Wir begannen damit über die Themen Coming Out, Verliebt sein, Vorurteile, Klischees und vieles mehr zu sprechen, und zu unserer Verwunderung hörte uns die Klasse aufmerksam zu.
Auch in der anschließenden Fragerunde überraschte uns die Offenheit, mit der diese Kids an das Thema herangingen.
Nach mehr als zwei Stunden verabschiedeten wir uns total geschafft aber glücklich. Die Lehrerin begleitete uns noch nach draußen.
»Ihr habt das toll gemacht Jungs. Die Klasse stand total in eurem Bann, so hab ich sie noch nie erlebt.«
»Wir sind auch froh dass es so gut gelaufen ist. Eigentlich hatten wir mit mehr Ablehnung gerechnet.«, erklärte Jay.
»Macht euch da keine Sorgen. Also ich werde euch beim Direktor und der Schulbehörde loben und hoffe, dass das in Zukunft eine feste Einrichtung wird. Habt ihr noch ein paar von den Flyern, die ihr vorhin in der Klasse verteilt habt? Ich würde sie gern auch in der Aula auslegen, denn es gibt mit Sicherheit ein paar Jugendliche an dieser Schule, die sich heute nicht hierher getraut haben, aber gern Kontakt zu euch, eurer Jugendgruppe und zu anderen Einrichtungen dieser Art aufnehmen würden.«
»Natürlich haben wir noch welche. Marco, könntest du mir gerade welche aus deinem Rucksack geben, in meinem sind keine mehr drin.«
Marco reichte sie Jay und dieser übergab sie Frau Müller. Wir verabschiedeten uns und machten uns dann auf den Weg nach Hause.
In den nächsten drei Wochen wiederholten wir das noch an drei weiteren Schulen und in fast allen lief es so gut wie in der ersten. Natürlich gab es ab und zu auch negativere Äußerungen, doch meist waren es die anderen Kids in der Klasse, die ihren Mund aufmachten und ihnen so den Wind aus den Segeln nahmen.
Alles in allem also ein gutes Ergebnis, das uns entspannter an die Prüfungsvorbereitung herangehen ließ, die wir auch nicht aus den Augen verlieren durften.
Zwei Wochen nach Abschluss des Projekts saßen wir in gemütlicher Runde im Treff zusammen, als die Türe aufging und zwei uns bekannte Gesichter hereinkamen.
Es waren zwei Jungs aus der ersten Klasse in der wir unseren Vortrag gehalten hatten.
»Hallo ihr beiden. Kommt doch rüber zu uns. Toll, dass ihr hier seid.«
»Hallo. Wir haben uns lange überlegt ob wir wirklich hierher kommen sollen, doch ihr habt so davon geschwärmt, das wir uns dachten wir sehen es uns einmal an.«
»Es freut mich echt dass ihr hier seid. Wie heißt ihr noch mal?«
»Ich bin Max und das ist Julian. Wir sind echt mal gespannt wie das hier so ist.«
»Es wird euch gefallen, die anderen sind auch alle voll nett.«
»Das glaub ich euch. Wir hatten uns schon überlegt an dem Tag an dem ihr bei uns in der Schule ward mit euch zu sprechen, aber wir hatten zu viel Schiss. Wir haben erst vor kurzem herausgefunden das wir beide schwul sind und wissen noch nicht so genau wie wir damit umgehen sollen.«, sagte Max.
»Kann ich verstehen, bei mir war es nicht anders.«, sagte ich und grinste aufmunternd.
»Seid ihr zwei eigentlich ein Paar?«, fragte Marco neugierig nach.
»Nein, aber die allerbesten Freunde.«, antwortete Julian.
Sie wurden gut in die Jugendgruppe aufgenommen und man sah sich ab dann fast jede Woche.
Leider lief es bei uns in der Klasse nicht so gut. Andre benahm sich uns gegenüber irgendwie noch ätzender wie sonst. Thomas tat mir richtig leid. Er versuchte sich so wenig wie möglich an den Pöbeleien gegen uns zu beteiligen, aber er musste mitmachen, sonst wäre es aufgefallen.
Die anderen aus der Klasse verhielten sich wie sonst und mischten sich nicht sonderlich viel ein. Wer konnte es ihn verdenken, Andre und seine Clique waren in unserer Schule berühmt berüchtigt.
An den Nachmittagen, die wir meist bei mir oder Marco verbrachten, konnten wir alle wir selbst sein. Thomas genoss es am allermeisten sich nicht verstellen zu müssen. Immer wieder sprach er davon, wie einfach es wäre, wenn wir uns outen würden. Dann müssten wir uns nicht mehr verstellen.
»Thomas, ich weiß wie es dir geht, aber wenn Andre das herausfindet, dann macht er uns allen und vor allem dir das Leben zur Hölle. Es ist deine Entscheidung, aber ich für meinen Teil hab nicht vor mich in der nächsten Zeit vor der Klasse zu outen.« Jay sah Thomas ernst an.
»Ich weiß, aber manchmal bin ich so wütend, da würde ich am liebsten auf jemanden einschlagen. Und im nächsten Moment würde ich am liebsten losheulen. Warum muss das Leben so kompliziert sein?« »Vielleicht wäre es einfacher für dich, wenn du dich wenigsten vor deinen Eltern outen würdest.«, sagte ich.
»Timo, du hast leicht reden, deine Eltern sind super. Sie haben auf dein Coming Out super reagiert. Ich bin mir sicher, dass mein Vater mich rausschmeißen oder verprügeln oder vielleicht sogar beides machen würde. Aber andererseits ist es für mich kaum mehr auszuhalten, mich immer verstellen zu müssen und nie ich selbst sein zu können. Am liebsten würde ich mit dem Kopf gegen die Wand rennen, nur um mal für fünf Minuten an etwas anderes denken zu können, und wenn es auch nur starke Kopfschmerzen sind.« Thomas lächelte, aber das Lachen erreichte seine Augen nicht. Wir konnten alle nachvollziehen wie er sich fühlte. In unserer kleinen Runde war er der einzige, der nicht vor seinen Eltern geoutet war.
Jay hatte es knapp zwei Wochen nachdem er sich vor Marco und mir geoutet hatte seinen Eltern erzählt. Sein Vater hatte damit kein Problem, im Gegensatz zu seiner Mutter. Die brauchte ein paar Wochen um es zu verarbeiten. Doch jetzt hatte sie es einigermaßen akzeptiert und saß nun oft mit Marcos und meiner Mutter zusammen, um sich Tipps und Rat zu holen.
Die nächsten Wochen plätscherten so vor sich hin. In den meisten Fächern steuerte alles auf die Prüfung zu und lernen war Teil unseres Nachmittagsprogramms.
Marco und ich verbrachten viel Zeit zu zweit, da die anderen anderweitig beschäftigt waren. Ich für meinen Teil war darüber überhaupt nicht böse. Unsere Beziehung wurde immer enger und ich wollte einfach jeden Augenblick bei ihm sein, auch wenn wir nebenbei lernen mussten. Sich gegenseitig abzufragen machte auf jeden Fall mehr Spaß, als sich den zum Teil trockenen Stoff allein zu Gemüte führen zu müssen.
Es wurde erst wieder interessanter, als die zwei Projektwochen an der Schule anstanden.
Dieses Jahr sollte es um Toleranz gehen.
Und wie der Teufel es wollte gab es auch einen Workshop zum Thema Homophobie.
Jay hatte, als er die Themen durchgelesen hatte, zu uns geschaut, die Augen verdreht und mit dem Kopf in Richtung Andre gedeutet.
»Ob die diese Workshops auch für Einzel-Intensivkurse benutzen können? Ich würde Andre da mit Freude anmelden.« Wir hatten alle gelacht, aber er hatte Recht, so viel wir wussten war er der größte Schwulenhasser der ganzen Schule.
Wir hatten eigentlich ziemlich viel Spaß während der ersten Woche, es war einfach etwas anderes, mal nicht Mathe oder Chemie pauken zu müssen.
Am Freitag Ende der ersten Woche kündigten die Projektleiter an, dass es zu jedem Thema eine Präsentation geben sollte, die Teams wurden zusammengestellt. Aus jeder Klassenstufe waren Leute vertreten.
Wir bekamen es hin, dass unsere Clique zusammen in ein Team kam. Sogar Thomas machte bei uns mit, gezwungenermaßen sagte er laut, weil in dem Moment gerade Andre mit einigen seiner Idioten vorbeiging.
Andres Verhalten Thomas gegenüber wurde immer schlimmer. Erst vor einer Woche hatte Thomas ein blaues Auge gehabt, und das nur weil er gewagt hatte, Andre wegen einer Lappalie zu widersprechen. Wenn man mich fragen würde, gehörte der Wichser in eine geschlossene Anstalt mit intensiver psychologischer Betreuung, aber mich fragte ja keiner.
Am Dienstag saß unser Team zusammen und wir besprachen wie wir der Schule das Thema Homophobie nahe bringen könnten. Es kamen viele gute Ideen zusammen.
Wir würden es in vier Teile aufspalten: Alltägliche (versteckte) Homophobie, Homophobie in der Politik, Homophobie im privaten/familiären Umfeld und Folgen von Homophobie.
Frau Berger war unsere Projektberaterin und fand unsere Idee gut und half uns bei der Umsetzung. So verging die restliche Woche wie im Flug und es war Freitag, der Tag an dem die einzelnen Vorträge vorgetragen werden sollten.
Etwas aufgeregt waren wir schon, vor allem da unsere Clique von diesem Thema mehr wie einmal selbst betroffen gewesen war, aber wir wollten der Schule dieses wichtige Thema nahe bringen, denn nur wir waren uns einige, das nur wer handelt etwas verändern kann.
Unsere Gruppe saß beisammen und wir lauschten den anderen Vorträgen, die so gut wie alle wirklich nicht schlecht waren. Wie zu erwarten gab es immer wieder Zwischenrufe und dumme Sprüche, die zeigten, dass nicht alle an unserer Schule mit dem Thema Toleranz etwas anfangen konnten. Am auffälligsten war, wie zu erwartend, die Gruppe um Andre.
Thomas, der bei uns saß, ballte immer wieder die Fäuste. Ich machte mir echt Sorgen. Was wenn er ausrastete und auf sie losgehen würde?
Gott sei Dank kam es nicht dazu, denn wir wurden aufgerufen.
Im Gänsemarsch gingen wir nach vorn und auf die kleine Bühne der Aula.
Dort stand ein Mikrofon, um das wir uns im Halbkreis aufstellten.
Mit Hilfe von Frau Berger hatten wir Plakate angefertigt, die das, was wir sagten, optisch nochmal verdeutlichten.
Andre schien sich von unserem Gruppenthema persönlich beleidigt zu fühlen, denn er hörte überhaupt nicht mehr auf, seine selten dämlichen Sprüche abzulassen.
Mehr wie einmal brachte er einen von uns damit total aus dem Konzept, obwohl wir versuchten, ihn zu ignorieren. Aufregen würde nichts bringen und ihm nur die Genugtuung geben, uns verunsichert zu haben.
Als es überhandnahm, wurden er und seine Freunde erst ermahnt und dann der Aula verwiesen. Die Zeit würden sie beim Nachsitzen nachholen müssen.
Endlich war Ruhe und wir bekamen das Projekt gut über die Bühne.
Als wir die Bühne wieder verließen, waren wir froh, es hinter uns zu haben.
Nach zwei weiteren Gruppenpräsentationen waren die Projektwochen beendet.
Jay, Thomas, Marco und ich wollten das feiern und zusammen zum Italiener gehen. Ben und Sarah würden sich später mit uns treffen.
Gerade verließen wir das Schulgelände, als wir hinter uns Schritte hörten, die schnell näher kamen. Mit einem unguten Gefühl im Magen drehte ich mich um und sah den auf uns zukommen, den ich befürchtet hatte, gefolgt von seinem dämlichen Anhang.
Als er bei uns ankam, starrte er Thomas mit hochgezogenen Augenbrauen skeptisch an.
»Seit wann hängst du freiwillig mit der Schwuchtel Brigade ab Thomas? Reicht es nicht, das die dich gezwungen haben, mit ihnen dieses scheiß Projekt zu machen, nun willst du noch mit denen abhängen?«, stieß Andre wütend hervor.
Neben mir nahm ich war, wie sich Thomas versteifte. Er war gerade in einer echten Zwickmühle.
»Fahr runter Mann! Die drei haben mich eingeladen und ich hab nichts gegen kostenlose Pizza.«, erwiderte Thomas so gleichgültig wie möglich.
Wie ich befürchtet hatte, schien Andre ihm das nicht abzukaufen.
»Das kannst du erzählen wem du willst, aber nicht mir. Stimmt es also doch, das du auch sonst mit den drei Warmduschern hier rumhängst?«, fuhr er Thomas an und trat bedrohlich auf ihn zu.
Reflexartig trat ich einen Schritt nach vorne, wollte ihm zur Seite stehen, doch Marco hielt mich am Arm zurück. Er sah mich eindringlich an und schüttelte leicht den Kopf.
»Wir müssen ruhig bleiben, sonst gibt es hier noch eine Schlägerei.«, sagte er leise zu mir.
»Na sieh einer an, zwei Schwuchteln am turteln.« Andres Blick lag auf Marco und mir und der Hass war deutlich zu erkennen.
»Halt den Mund Andre und lass uns einfach in Ruhe!«, entgegnete ich gereizt.
»Ich soll euch in Ruhe lassen?! Ha, das ich nicht lache. Ihr drei habt Thomas zu einer Lusche gemacht, so wie ihr welche seid. Dafür sollten wir euch mal richtig aufmischen.«
Er gab seinen Kumpels ein Handzeichen und diese stellten sich um unsere Gruppe herum auf, so dass wir keine Möglichkeit hatten, zu flüchten.
»Lass das lieber, das bringt dir nur noch mehr Ärger ein.«, sagte Jay und versuchte ruhig zu blieben, auch wenn ich bemerkte, wie er sich suchend umsah. Doch der Schulhof war leer, die Schüler und Lehrer, die noch auf dem Gelände waren, befanden sich im Gebäude und sahen nicht, was sich hier abspielte.
Wie es aussah, waren wir auf uns allein gestellt.
Ich sah die Jungs an, die um uns herum standen und schätzte unsere Chancen ein. Gegen diese Muskelpakete hatten wir nicht wirklich einen Chance zu gewinnen, wenn es zu einer Schlägerei kommen würde.
Marco war von uns allen der Kräftigste, doch er war eher ein ruhiger Kerl, der nicht gern körperliche Gewalt anwendete. Jay war groß, aber ebenso wie mir fehlte es ihm an Kraft. Thomas wusste sich zwar zu wehren, doch allein gegen eine Überzahl an Gegnern, konnte auch er nichts ausrichten.
Innerlich stellte ich mich deshalb schon darauf ein, wieder mal im Krankenhaus zu landen.
»Verdammt Andre, ich habe auf diesen ganzen Scheiß keinen Bock mehr! Du führst dich auf wie der totale Oberarsch, meinst du bist etwas Besseres als alle um dich herum. Doch das bist du nicht. Du bist ein Prolet, ein armes kleines Würstchen, das es im Leben zu nichts bringen wird und das sich nur groß fühlt, wenn er andere fertig machen kann. Ich habe keine Lust mehr hinter dir her zu rennen. Dein Kumpel bin ich schon lange nicht mehr. Du und deine Ansichten kotzen mich an. Es macht mich krank, in deiner Nähe sein zu müssen, es widert mich an, dich dabei zu unterstützen, anderen fertig zu machen und zu verprügeln. Such dir einen anderen Idioten, genug Auswahl hast du ja.« Die Worte brachen aus Thomas heraus. Auf mich wirkte er in diesem Moment total befreit. Es tat ihm gut, dass alles mal laut auszusprechen, doch das es sich rächen würde, das war uns allen klar.
Andre starrte ihn einen Augenblick fassungslos an. Bis jetzt hatte noch keiner je gewagt, so mit ihm zu reden.
»Was hast du gesagt?«, fragte er gefährlich ruhig.
»Du hast mich schon ganz richtig verstanden.« Thomas trat dicht an ihn heran, versuchte ihn so etwas einzuschüchtern. »Ich hasse dich Andre, aus tiefstem Herzen! Du bist mir so zuwider.«
Jay versuchte noch, Thomas zurück zu ziehen, doch da war es schon zu spät.
Andre holte aus und schlug Thomas mit der Faust so fest in den Bauch, das dieser in die Knie ging und vor Schmerzen aufstöhnte.
»Fühlst du dich jetzt besser?«, brachte er gepresst hervor, das Gesicht vor Schmerz verzerrt.
»Ich werde mich besser fühlen, wenn du am Boden liegst.«, schrie Andre Thomas entgegen, als er ihm einen Tritt gegen den Oberkörper versetzte, der ihn noch mehr taumeln ließ, doch Thomas hielt sich noch aufrecht.
Marco, Jay und ich wollten ihm zur Hilfe kommen, doch Andres Schläger hielten uns davon ab, indem sie uns in den Schwitzkasten nahmen oder uns die Arme auf dem Rücken verdrehten.
»Du Schwächling, du fühlst dich nur in der Gruppe stark, ansonsten bist du ein Feigling! Weißt du was? Ich werde dir mal was sagen. Du homophobes Arschloch hast immer gegen Schwule und Lesben gehetzt und wusstest nicht, das direkt neben dir eine sitzt. Andre, ich bin schwul und mir ist scheißegal, was du von mir hältst.«
Die Augen traten Andre fast aus den Höhlen, als er Thomas geschockt anstarrt.
Kurz schien es, als würde er sich angewidert von ihm abwenden, doch dann holte er aus und schlug Thomas so hart ins Gesicht, das dieser mit einem dumpfen Schlag hart zu Boden ging.
Wie wild geworden stürzte er sich auf Thomas, prügelte wie von Sinnen auf ihn ein.
»Scheiße Andre...hör auf! Du bringst ihn noch um!«, schrie ich laut und versuchte mich aus dem Griff von demjenigen zu befreien, der mich festhielt, doch es gelang mir nicht. Ich trat nach ihm, traf ihn auch, doch es nützte nichts.
Andre schien vollkommen außer Kontrolle zu sein. Immer wieder schlug er hart zu, störte sich nicht daran, dass Thomas blutete und vor Schmerzen stöhnte.
Thomas hob schützend die Arme vor sein Gesicht, um zu verhindern, dass Andres Fäuste ihn dort weiterhin trafen.
Die Typen, die uns festhielten, tauschten Blicke aus, die verwirrt wirkten. Mit einem derartigen Ausraster hatten selbst sie nicht gerechnet.
Nacheinander ließen sie uns los und zogen sich Schritt für Schritt zurück.
Bevor sie jedoch abhauen konnten, hörte ich hinter uns das aufheulen von Polizeisirenen, die immer näher kamen.
Hatte jemand mitbekommen was geschehen war und die Polizei gerufen?
Gerade als Marco und ich Andre von Thomas herunterziehen wollten, zog Andre etwas aus seiner Hosentasche. Ein kurzes Aufblitzen und dann war nur noch Thomas entsetzlicher Schmerzensschrei zu hören.
Erst begriff ich nicht was los war, sah dann aber geschockt auf das Messer, das in seinem Bauch steckte.
Hilflos kniete ich mich zu Thomas, während Jay und Marco Andre festhielten, der hatte flüchten wollen.
»Hey Thomas, halt durch, die Polizei ist gleich hier, die holen dir einen Krankenwagen. Alles wird gut.«
Mit einem Blick auf das Messer hoffte ich sehr, dass ich damit Recht behalten würde.
Keine Minute später war die Polizei da. Andre wurde festgenommen und einer der Beamten half mir, mich um Thomas zu kümmern. So gern ich die Waffe auch entfernt hätte, ich ließ sie an Ort und Stelle, schließlich wollte ich ihn nicht noch mehr verletzten.
Wir machten Platz, als der Notarzt und der Krankenwagen kurze Zeit später eintrafen. Nach einem kurzen Check wurde Thomas auf eine Tragbahre gelegt und in den Krankenwagen geschoben.
Wir sahen ihnen nach, als sie schnell vom Schulhof fuhren. Ich für meinen Teil wollte so schnell wie möglich ins Krankenhaus, um zu erfahren, wie es Thomas ging.
Geschockt standen wir beisammen und konnten nicht glauben, was gerade geschehen war.
Dass Andre ein Arsch war, das wussten wir, doch das er so kaltblütig sein konnte und versuchen würde, jemanden abzustechen, das hätte wirklich keiner von uns erwartet.
Die Beamten, die Andre und seine Freunde verhaftet hatten, standen nun bei uns und stellten alle möglichen Fragen zu dem, was vorgefallen war.
Wie in Trance beantwortete ich die Fragen und schmiegte mich dabei an Marco. Mir war gerade so was von egal wer das mitbekam, ich brauchte die Nähe zu meinem Freund, sonst würde ich wohl noch durchdrehen.
Am Ende gaben wir der Polizei noch die Nummer von Thomas Eltern, damit diese informiert werden konnten, dass sich ihr Sohn im Krankenhaus befand.
Nachdem sie uns entlassen hatten, beschlossen wir, zusammenzulegen und uns ein Taxi zu nehmen. Keiner von uns wollte jetzt noch essen gehen. Viel wichtiger war, dass wir erfuhren, was mit unserem Freund los war.
Zehn Minuten später saßen wir im Taxi und erreichten schnell unser Ziel.
Schnell eilten wir ins Gebäude und nach kurzer Suche und einigen Nachfragen, fanden wir die richtige Abteilung.
Leider durften man uns keiner Auskünfte geben, so blieb uns nichts anderes übrig, als vor der Tür des Raumes zu warten, in dem Thomas vorsorgt wurde und zu hoffen, das seine Eltern bald erscheinen und uns sagen würden, was mit ihrem Sohn war.
Die Zeit zog sich wie Kaugummi. Immer wieder verließ eine Krankenschwester den Raum und kaum zurück. Nach einer guten halben Stunde öffnete sich schließlich die Tür und Thomas wurde herausgeschoben.
Das Gesicht unseres Freundes sah schlimm aus. Er hatte eine aufgeplatzte Lippe, eine Platzwunde an der Stirn, ein blaues Auge und einige Schürfwunden im Gesicht.
Sein blutiges T-Shirt war in der Mitte durchgeschnitten worden und enthüllte einen Verband, der die Stelle verdeckte, an der ihn Andres Messer verletzt hatte.
Die Augen hatte er geschlossen und er wirkte, als würde er schlafen.
Wieder schmiegte ich mich an Marco, der liebevoll den Arm um meine Schultern legte und mich an sich zog. Ich machte mir wirklich große Sorgen.
»Keine Sorge, euer Freund wird wieder. Er hat etwas gegen die Schmerzen bekommen, deshalb schläft er.«, sagte eine angenehm tiefe Stimme neben uns.
Als ich den Kopf hob, sah ich in lebhaft grüne Augen, die uns interessiert musterten.
»Danke für die Info. Wir machen uns echt Sorgen um Thomas.«, sagte Jay und wirkte sehr ernst. So kannte ich ihn nicht, er hatte meist einen witzigen Spruch auf Lager und war sonst auch eher fröhlich.
»Ich kann euch gut verstehen. Wir bringen ihn nun auf Station. Ihr könnt mit nach oben, müsst aber warten, bis ihr zu ihm könnt.«
»Kein Problem, wir warten gern.«, erklärte Marco und wir folgten dem jungen blonden Mann nach oben.
»Falls etwas ist, ihr findet mich dort vorne im Schwesternzimmer. Ich bin übrigens Milos, einer der Zivis und Mädchen für alles.« Mit einem Zwinkern verschwand er.
Wir setzten uns auf die Stühle, die im Gang standen und hofften, dass Thomas Eltern bald auftauchen würden.
Milos lief in der folgenden Zeit immer wieder an uns vorbei, um nach Thomas zu sehen und lächelte jedes Mal freundlich.
»Der scheint ein echt netter Kerl zu sein. Und ich glaube, der spielt in unserem Team.«, erklärte Jay, als Milos wieder im Raum der Krankenschwestern verschwunden war.
»Wie kommst du denn darauf?«, fragte ich ihn.
»Bist zu blind Timo? Normalerweise lächelt ein Typ andere Typen nicht so an wie er es tut.«
»Vielleicht ist er nur sehr höflich.«, sagte ich, war mir aber nun nicht mehr sicher, ob Jay nicht doch Recht haben könnte. Meine Antennen für das Erkennen anderer schwuler Jungen und Männer mussten wohl noch richtig eingestellt werden.
»Genau und der Papst ist ein Partygänger.« Grinsend schüttelte Jay den Kopf.
Wir alberten noch eine Weile herum, die Ablenkung tat uns allen gut.
Dann hörten wir schnelle Schritte und sahen zur Seite.
Ich erkannte Thomas Mutter sofort, ein paar Mal hatten wir sie schon gesehen.
Sie war eine sehr schlanke Frau, mit gehetztem Gesichtsausdruck, die selten einmal lächelte.
Wir sprangen auf und begrüßten sie.
»Wo ist mein Junge?«, fragte sie, als wir ihr alle zur Begrüßung die Hände geschüttelt hatten.
»Hier im Zimmer. Soviel wir mitbekommen haben, geht es ihm soweit gut. Sie durften uns aber nicht mehr sagen.«
Sie griff nach der Tür und öffnete sie.
»Kommt mit rein, Thomas freut sich sicher, wenn er Gesellschaft hat.«
Das ließen wir uns nicht zweimal sagen und gingen ihr nach ins Zimmer.
Inzwischen war Thomas aufgewacht und sah uns entgegen, als wir hinter seiner Mutter den Raum betraten.
Schnell lief sie zu ihrem Sohn.
»Oh mein Junge, was hast du nur angestellt? Geht es dir soweit gut?«, fragte sie leise aufschluchzend und ließ ihren Blick besorgt über all die größeren und kleineren Verletzungen wandern, die Thomas davongetragen hatte.
»Sie haben mich wieder zusammen geflickt Mom, alles wird gut.«
»Die Polizei hat gesagt, dass es Andre war. Aber wieso nur? Ihr seid doch Freunde.« Sie sah Thomas verunsichert an.
»Das...es ist kompliziert.. . Und nein, wir sind keine Freunde mehr.«, antwortete er ausweichend und sah dann zu uns.
»Geht es euch gut...?«, fragte er schwach.
Ich runzelte die Stirn. Wollte er seine Mutter ablenken?
»Ob es uns gut geht? Du bist hier doch derjenige, dem dieser Idiot so übel mitgespielt hat.«, gab ich zurück und sah ihn mit einem leichten Lächeln an.
»Bitte Thomas, sag mir was los war.«, bat sie ihn eindringlich.
Thomas sah von uns zu seiner Mutter.
Für mich sah es so aus, als würde ihm das, was er gleich sagen musste, Schmerzen verursachen. Marco legte mir eine Hand auf den Rücken, als ich mich leicht an ihn lehnte.
»Andre...er hat etwas erfahren...das ihm überhaupt nicht gepasst hat.«, sagte er leise. Seine Mutter sah ihn weiter schweigend an und wartete darauf, dass er weitersprach. »Mom, ich hab ihm gesagt das ich...das ich... . Scheiße... .«
Unwirsch fuhr er sich durch die Haare und sein Blick ruhte auf uns. Ich versuchte ihm zu verstehen zu geben, das wir für ihn da waren, egal was auch kommen würde.
»Mom...ich bin schwul. Das hab ich ihm gesagt und er ist ausgerastet... .«, stieß er hervor.
Seine Mutter beugte sich zu ihm und lächelte liebevoll. Bevor sie aber etwas sagen konnte ließ uns das Quietschen der Tür herumfahren.
»WAS?« Ein Mann stand in der Tür und wirkte unglaublich wütend. Seine Hände waren zu Fäusten geballt. »Mein Sohn ist eine SCHWUCHTEL?«, brüllte er uns entgegen.
Thomas Vater wirkte gefährlich. Mir wurde klar, wieso unser Freund so große Angst davor gehabt hatte, sich vor ihm zu outen. Es sah aus, als würde er sich gleich auf Thomas stürzen wollen.
Seine Mutter stellte sich schützend vor ihren Sohn, doch dieser zog sie sanft aber bestimmt zur Seite.
»Nein Mom, du hast mich so oft beschützt, ich lasse es nicht zu, das er dich noch einmal anrührt!«, sagte Thomas und schenkte ihr ein Lächeln.
Dann sah er zu seinem Vater.
»Ja Dad, ich bin schwul, schon immer gewesen. Egal was du machst, ich bin so wie ich bin. Tu uns allen einen Gefallen und lass uns in Ruhe.«
Von der Tür wehte mir ein Geruch nach abgestandenem Zigarettenrauch und Alkohol entgegen. Wenn man den Mann genauer ansah, wirkte dieser auch nicht ganz nüchtern.
»Du wagst es so mit mir zu reden?! Was bildest du dir eigentlich ein du kleiner Scheißer?«, polterte er los und machte sich daran auf seinen Sohn loszugehen, als Milos an uns vorbeihuschte und sich schützend vor Thomas und dessen Mutter stellte.
Sein schönes und sanftes Gesicht wirkte hart.
»Verlassen sie das Krankenhaus, sonst bin ich gezwungen, den Sicherheitsdienst und die Polizei zu rufen!«
Kurz war er irritiert, doch dann schnaubte er wütend und stürzte sich auf Milos.
Mir entwich ein Aufschrei. Würde er ihn nun schlagen?
Doch als er ihn erreichte und zum Schlag ausholte, wich der Zivildienstleistende geschickt aus, stand hinter Thomas Vater und packte ihn so, dass er sich kaum noch rühren konnte.
Mit einem Grinsen sah er zu uns.
»Tut ihr mir einen Gefallen? Bitte sagt den Beamten, die vorne am Schwesternzimmer stehen Bescheid, das wir hier ein kleines Problem haben.«
Jay nickte und lief hinaus.
Ohne Anstrengung hielt Milos den größeren und schwereren Mann fest, der versuchte, sich aus dem Griff zu befreien.
»Ich mache seit meiner Kindheit Kampfsport, da lernt man so einiges was einem nützlich sein kann.«, erklärte er, als er meinen verwunderten Gesichtsausdruck bemerkte.
Thomas tröstete seine Mutter, die leise zu weinen begonnen hatte.
Kurz darauf erschien Jay mit den beiden Beamten, die eigentlich gekommen waren, um Thomas zu befragen und die nun den laut vor sich hin schimpfenden Mann festnahmen. Sie würden am nächsten Tag wiederkommen, um Thomas Aussage aufzunehmen.
Milos gab Thomas Mutter etwas zu trinken. Langsam konnte sie sich wieder beruhigen.
»Du solltest ihn endlich verlassen Mom. Er wird dir immer wieder wehtun und mir auch. Du siehst doch, wie er drauf ist. Er hat versprochen nicht mehr zu trinken und doch kann ich den Wodka immer noch riechen.«
Sie schloss ihren Sohn in eine feste Umarmung.
»Du hast ja Recht. Ich werde mir Hilfe suchen.«, gab sie leise zurück.
»Wenn sie möchten, kann ich ihnen Informationsmaterial mitgeben, wir haben hier leider immer wieder mit Opfern häuslicher Gewalt zu tun.«, erklärte Milos leicht lächelnd, der immer noch bei ihnen stand. Sie nickte zustimmend in Milos Richtung.
»Danke Milos, der Griff war echt Hammer. Gut das du da warst, das hätte böse ausgehen können.«, sagte Marco.
»Ja, danke Milos. Mein Vater ist immer so aggressiv, es ist schwer sich gegen ihn zu wehren. Du hast meine Mom und mich beschützt, ich stehe in deiner Schuld.«, sagte Thomas und ich hätte schwören können, das seine Wangen sich röteten, als er Milos direkt ansah.
»Tust du nicht, ich habe gern geholfen. Viele unterschätzen einen, weil man nicht wie der typische Kämpfer aussieht. Das hat Vorteile, vor allem in solchen Situationen.«, gab Milos zurück und sein Blick, der auf Thomas ruhte, hatte fast etwas zärtliches.
Nach gut einer Stunde verabschiedeten wir uns von Thomas und versprachen, ihn am nächsten Tag wieder zu besuchen.
»Haltet mich für irre, aber ich glaube Thomas mag Milos. Habt ihr gesehen, wie er immer gelächelt hat, als er reinkam oder auf dem Flur vorbeigelaufen ist?« Marco sah uns grinsend an.
»Da könntest du Recht haben. Ich habe unseren Thomas noch nie so oft erröten sehen.« Jay öffnete die Eingangstür des Krankenhauses und ließ uns durch.
»Ich würde mich für ihn freuen, in den letzten Jahren hatte er ja nicht allzu viel zu lachen, daher drück ich ihm die Daumen.«, sagte ich, als wir Richtung Bushaltestelle liefen.
Dort angekommen mussten wir noch warten, bis unser Bus kommen würde.
Nun, da ich zur Ruhe kam, fröstelte es mich, was aber wenig mit den Temperaturen zu tun hatte.
»Der Tag war echt heftig. Kaum zu glauben das Andre so etwas getan hat. Er hätte Thomas umbringen können verdammt.« Ich sah meine Freunde an, die meinen Blick ebenso betreten erwiderten.
Wir waren alle geschockt und nun drang langsam die ganze Tragweite dessen, was geschehen war, in unsere Köpfe vor.
»Und das alles nur, weil dieser Arsch was gegen Schwule hat. Wie kann man nur so hasserfüllt sein?«, fragte Jay leise. Darauf wusste keiner von uns eine Antwort.
Marco griff nach meiner Hand und drückte sie, schwieg aber, bis wir wieder zu Hause waren.
In seinem Zimmer machten wir es uns gemütlich.
Als er nach einer ganzen Weile immer noch nichts gesagt hatte, setzte ich mich auf und sah ihm ins Gesicht.
»Dich beschäftigt doch etwas. Rede mit mir Marco.«
Sein Gesichtsausdruck wirkte gequält, als er endlich anfing zu reden.
»Das heute hat mich an etwas erinnert. Seit Monaten versuche ich es zu verdrängen. Du weißt doch, dass ich an meiner alten Schule Probleme hatte. Ich war im Schwimmteam meiner Schule, wir waren echt gut. Mein bester Freund Simon war auch im Team. Du musst wissen, ich war schon ewig in ihn verknallt, doch nie hatte ich mich getraut, ihm das zu sagen. Wir hatten einen Wettkampf gewonnen und haben gefeiert. Am Schluss waren nur noch Simon und ich in der Umkleide. Wir haben herum geblödelt und ich habe mich dazu hinreißen lassen, ihn zu küssen, keine Ahnung wieso. Ab dem Zeitpunkt wurde alles anders. Er hat mir die Freundschaft gekündigt, mich mit anderen zusammen auf dem Schulhof abgepasst um mich zusammen zu schlagen. Und er hat herumerzählt, dass ich eine Schwuchtel sei, die sich an alle heran macht. Keiner wollte mehr etwas mit mir zu tun haben. Von einen Tag auf den anderen hatte ich keinen mehr. Deshalb wollte ich auch die Schule verlassen. Ich habe das nicht mehr ausgehalten. Zu sahen, wie weit Andre gegangen ist, nur weil ihm nicht gepasst hat, das Thomas schwul ist, hat diese Erinnerungen wieder hervorgeholt.«
Die ganze Zeit hatte ich schweigend zugehört, doch nun schlang ich meine Arme eng um ihn und drückte ihn an mich. Wieso hatte er mir das nicht schon längst erzählt, ich wäre doch für ihn dagewesen?
Marco begann leise zu weinen und ich tat alles, um ihn zu trösten. Das alles hatte er viel zu lange in sich hineingefressen und nun drängte es an die Oberfläche.
Einige Minuten später hatte er sich wieder beruhigt und wir lagen aneinander gekuschelt nebeneinander im Bett. Noch immer hielt ich ihn bei mir, wollte dass er wusste, dass ich für ihn da war.
»In Zukunft kommst du mit etwas, das dich so belastet, zu mir Marco, okay? Du musst das nicht mit dir allein ausmachen, schließlich bin ich doch dein Freund.«
Liebevoll küsste ich ihn, unterstrich damit meine Worte.
Mir war es wichtig, dass Marco wusste, das er mit allem zu mir kommen konnte.
»Das werde ich, das verspreche ich dir. Ich bin so froh, dass ich dich habe Timo. Ich liebe dich.«, antwortete er, als sich unsere Lippen nach einer halben Ewigkeit wieder voneinander lösten.
»Und ich liebe dich.«
Die ganze Sache war schon zum verrückt werden. Nun war Thomas endlich aus dem Krankenhaus entlassen worden und jetzt schockte mich mein Engel mit der Nachricht, er würde an meinem Geburtstag nicht da sein. Das eine wird gut, das andere zieht dich gleich wieder runter. Da konnte man ja mal echt gespannt sein, was die nächsten Tage da noch so zu bieten haben würden.
Nun saß ich bei Thomas zu Hause und versuchte ihm den Stoff der letzten zwei Wochen nahe zu bringen. Aber irgendwie klappte das nicht so ganz, was aber eher an mir als an Thomas lag.
»Hey Mann, was ist denn mit dir los? Stress mit Marco?!«
»Ja, nein, ich meine…ach lassen wir das. Lass uns lieber weiterlernen.«
»So wie du grade drauf bist, bring ich mir den Stoff dann wohl doch lieber selbst bei. Du bist mit deinen Gedanken grade ganz woanders, aber nicht hier bei Englisch.«
»Du hast ja recht, irgendwie. Wir hatten nicht wirklich Streit, ich bin nur etwas enttäuscht.«
»Wieso das denn?«
»Du weißt doch, dass ich nächste Woche Geburtstag hab und Marco hat mir gestern gesagt, er sei nicht da. Seine Oma hat Geburtstag oder Hochzeitstag, ist mir auch egal. Ich hätte ihn nur einfach gern hier bei mir.«
»Ach du, lass den Kopf nicht hängen. Wir anderen sind ja alle da.«
»Ja klar, darüber freue ich mich ja auch, aber es ist eben nicht dasselbe.«
»Ich weiß das das nicht dasselbe ist, aber ihr könnt ja zu zweit nachfeiern, macht doch auch viel mehr Spaß, oder?«, sagte Thomas und grinste mich zweideutig an.
»Du denkst doch echt nur an das eine.«
»Ja, meistens schon. Du, kann ich auf die Party jemanden mitbringen?«
»Hast du jemanden kennen gelernt?«
»Kann man so sagen«, erwiderte er mit strahlenden Augen.
»Wer ist es denn? Kenne ich ihn?«
»Sei nicht so neugierig, das wirst du noch früh genug sehen.«
»Du bist gemein, du weißt doch wie neugierig ich bin.«
»Deshalb macht es ja auch so viel Spaß, dich damit aufzuziehen.«
»Ach du. Wir sollten jetzt wieder mit Englisch weitermachen.«
»Jetzt bist du aber gemein«, sagte er und schaute gespielt gequält.
»Was muss das muss«, erwiderte ich breit grinsend.
Die Woche verging ziemlich schnell. Am Donnerstag bekamen wir eine gute Nachricht. Andre und seine Kumpels, die alle schon einen Schulverweis erhalten hatten, würden jetzt auch angeklagt werden. Andre würde wohl wegen schwerer Körperverletzung in den Jugendknast gehen und auch die anderen sollten nicht ungeschoren davonkommen, da sie sich der Beihilfe schuldig gemacht hatten.
In der Klasse brach daraufhin Jubel aus. Obwohl die meisten ja nicht wussten wieso diese Vollidioten Thomas überfallen und niedergeschlagen hatten, so standen sie auf seiner Seite.
Thomas lächelte kurz schüchtern in die Runde. So viel Aufmerksamkeit war ihm sichtlich peinlich.
Doch was auch immer in dieser Woche so alles passierte, es kam der Tag des Abschieds unaufhaltsam auf uns zu. Freitag nach der Schule liefen wir gemeinsam nach Hause. Die ganze Zeit über hatte ich einen riesigen Kloß im Hals. Am liebsten hätte ich losgeheult. Ich konnte kaum glauben, wie sehr er mir schon jetzt, obwohl er noch gar nicht weg war, fehlte. Den ganzen Weg über hatten wir uns an geschwiegen.
Marco brach diese Stille so plötzlich das ich vor Schreck zusammenfuhr.
»Es tut mir leid, Timo. Bitte sei mir nicht böse. Ich würde doch hier bleiben wenn ich könnte, aber meine Eltern wollen, das wir alle gemeinsam fahren. Es ist nun mal der Fünfzigste Hochzeitstag meiner Großeltern. Da kann ich leider nichts dagegen machen.«
»Marco, ich könnte dir nie böse sein, dafür liebe ich dich einfach viel zu sehr. Ich bin einfach nur traurig, dich an meinem Geburtstag nicht bei mir zu haben. Und ich kann auch verstehen, dass du deine Großeltern nicht enttäuschen willst.«
»Ich hoffe du sagst das jetzt nicht einfach so.«
»Nein, das tu ich nicht. Würde ich sonst so was machen?«, fragt ich, zog ihn mit mir in einen dunklen Häusereingang und küsste ihn ausgiebig.
Abends um halb neun würde sein Zug Richtung Bodensee fahren, davor wollte er mir noch einen Besuch abstatten und stand um kurz nach sieben in meinem Zimmer.
Mit einem Grinsen im Gesicht überreichte er mir mein Geburtstagsgeschenk.
»Aber erst morgen auf aufmachen! Okay? Versprich es mir!«, sagte er und gab mir einen liebevollen Kuss.
»Versprochen, aber nur wenn du dich nun noch ausgiebig bei mir verabschiedest. Schließlich muss ich ein paar Tage ohne deine Küsse auskommen.«
»Kein Problem!« Gesagt, getan. Nur Sekunden später lag ich auf meinem Bett, Marco halb auf mir. Er küsste mich so intensiv, das ich glaubte den Verstand zu verlieren. Als ich endlich Luft holen konnte war mir ganz schwindlig.
»Das war nur ein Vorgeschmack auf das, was ich mit dir vorhabe, wenn ich wieder zurück bin.« Sein Blick ruhte auf mir und ich konnte erkennen, dass er mir damit mehr sagen wollte. Hier ging es nicht mehr nur ums küssen.
Ich räusperte mich leise bevor ich etwas sagen konnte.
»Meinst du das was ich denke das du damit meinst?«, fragte ich und sah ihn etwas unsicher an.
Natürlich hatten wir uns schon berührt, gestreichelte und uns gegenseitig einen runter geholt, doch weiter waren wir noch nicht gegangen. Wir wollten uns Zeit lassen, nichts überstürzen, nur weil all die anderen immer gleich miteinander in der Kiste landeten.
Seine Augen blitzen auf, als er nickte und seine Wangen sich röteten.
»Ja, ich meine genau das. Es ist nicht so, dass ich es eilig habe, doch ich würde mit dir gern weitergehen. Nur wenn du es willst natürlich.«
Ich setze mich auf und sah Marco lächelnd an.
»Natürlich möchte ich es auch. Es ist nur...ich habe irgendwie etwas Schiss davor. Man hat so viel darüber gehört, wie es sein könnte. Ich will einfach, dass es schön ist, wenn wir zum ersten Mal richtig miteinander schlafen. Wir sollten auf jeden Fall vorher Kondome und Gleitgel kaufen. Und wir brauchen einen Ort, an dem wir unsere Ruhe haben. Hier ist immer wer und ich will nicht, dass meine Mom oder meine Schwester plötzlich im Zimmer steht und bei dir ist es das selbe. Wir brauchen Zeit, es muss die richtige Stimmung aufkommen«, sagte ich, nahm Marcos Hände in meine und sah ihn verliebt an.
Er beugte sich zu mir und küsste mich sanft.
»Ich habe doch auch Schiss. Aber wenn wir uns Zeit lassen, dann wird es sicher toll werden. Perfekt. Wir finden sicher einen Platz, an dem wir ungestört sind.«
Mein Herz klopfte wild allein bei der Vorstellung, dass wir miteinander schlafen würden. Doch ich freute mich sehr darauf, dann wäre ich ihm noch näher als jemals zuvor.
»Marco, ich liebe dich so sehr und kann es kaum erwarten, dass du wieder hier bist.«
Nach einer ausgiebigen Kuss Orgie verabschiedete sich mein Engel von mir.
Ein letzter Kuss, dann war er verschwunden.
Wie ein kleines Häufchen Elend stand ich im Flur, als eine Zimmertür aufging und Lisa auf ihn zukam.
»Hey Brüderchen, was ist los? Weinst du?« Sie sah mich besorgt an.
»Marco ist gerade gefahren. Er ist morgen nicht da und ich weiß nicht, wie ich die nächsten Tage überstehen soll. Es ist echt irre wie sehr ich ihn vermisse, fast so, als könnte ich nicht mehr ohne ihn leben.«
Sie trat dich an mich heran und schlang die Arme um meinen Oberkörper.
»Ich weiß das du ihn vermisst, doch er würde nicht wollen, dass du hier herumsitzt und Trübsal bläst. Amüsiere dich morgen, feire mit deinen Freunden und schon bald ist er wieder da. Und dann wird er sicherlich mit dir alleine feiern wollen«, sagte sie und ein anzügliches Grinsen huschte über ihr Gesicht.
»Du wirst mir eindeutig zu schnell erwachsen kleine Schwester«, gab ich zwinkernd zurück.
Kurz darauf mussten wir beide lachen. Sie schaffte es so gut wie immer, mich aus einer meiner dunklen Stimmungen zu holen.
Den restlichen Abend verbrachten wir zusammen mit Mom und spielten Mensch-ärger-dich-nicht. Es lenkte mich ab. Gegen Mitternacht fiel ich dann erledigt ins Bett und schlief auch schnell ein, nachdem ich kurz mit Marco telefoniert hatte.
Am nächsten Morgen wachte ich ziemlich früh auf. Mein Kopf fühlte sich an, als hätte jemand die ganze Nacht mit einem Vorschlaghammer darauf eingeschlagen oder als hätte ich zu tief ins Glas geschaut. Deshalb führte mich mein erster Weg auf ins Badezimmer, wo ich mir aus dem Medizinschränkchen eine Kopfschmerztablette holte und mit einem Schluck Wasser gleich runter spülte.
Mein Spiegelbild sah mir entgegen und ich fand, dass ich nicht wirklich so aussah, als würde ich mich darüber freuen, heute Geburtstag zu haben.
Ganz eindeutig hatte ich Entzug. Dabei war mein Engel doch noch keine zwölf Stunden weg.
Es brachte aber auch nichts, wenn ich noch mehr darüber nachgrübelte. Wenigstens wurden die Kopfschmerzen besser.
Ich zog mich aus und stieg erst einmal unter die Dusche. Danach fühlte ich mich schon etwas besser.
In meinem Zimmer zog ich mich an und ging dann in die Küche.
Meine Mutter hatte den Tisch festlich gedeckt, auch wenn sie heute schon früh zusammen mit Dad losgefahren war und erst am Montagabend wieder zu Hause sein würden, da sie das lange Wochenende in einem Wellnesshotel verbringen würden. Das entlockte mir ein Lächeln.
Ich setzte mich und nahm mir ein Croissant, als meine noch verschlafener wirkende kleine Schwester hereinkam.
»N´Morgen Timo. Und alles Gute zum Geburtstag«, sagte sie leise, ehe sie mich kurz drückte und sich dann neben mir auf den Stuhl fallen ließ.
»Guten Morgen Schwesterlein. Danke«, erwiderte ich lächelnd.
Schweigend begannen wir mit dem Frühstück.
»Mich wundert es, dass du schon fit bist. An deiner Stelle hätte ich ausgeschlafen. Du musst heute Abend ja fit sein.« Sie sah mich über den Rand ihrer Kakao Tasse an.
»Ich konnte nicht mehr schlafen.«
»Wegen Marco, oder?«, fragte sie und in ihrem Blick stand Mitgefühl.
Seufzend nickte ich und biss lustlos von dem Brötchen ab, das ich mir gerade mit Schinken und Käse belegt hatte.
»Er fehlt mir wahnsinnig. Ich weiß, dass es nicht für lange ist, aber dieses Wissen macht es nicht wirklich besser.«
Sie stand auf und kam zu mir.
»Das glaube ich dir, komm, lass dich drücken«, sagte sie und schlang ihre Arme um mich.
Die Umarmung erwiderte ich natürlich.
Gemeinsam räumten wir die Küche auf.
Im Wohnzimmer fand ich dann die Geschenke, die meine Eltern für mich auf dem Couchtisch aufgebaut hatten. Zusammen mit Lisa setzte ich mich und fing an, sie auszupacken.
Ich staunte nicht schlecht, als ich einen Laptop und allerhand dazugehörige Geräte auspackte. Damit hatten sie mich wirklich überrascht. Nun musste ich nicht mehr den Familien Computer nutzen, sondern konnte mich in mein Zimmer zurückziehen.
Lisa überreichte mir ebenfalls ihr Geschenk.
»Wow, danke Lisa«, rief ich überschwänglich aus, als ich es ausgepackt hatte und zog sie fest in meine Arme. Sie hatte mir eine Erstausgabe von einem meiner Lieblingswerke von Shakespeare besorgt.
»Mom und Dad haben mir beim Suchen geholfen, doch bezahlt habe ich es selbst, ich wusste ja, das du es dir schon so lange wünscht.«
»Es ist ein wunderschönes Geschenk, danke Lisa.«
Gerührt saß ich noch eine Weile da. Ich fühlte mich besser, schon allein deshalb, weil meine Familie mir so wohldurchdachte Geschenke gemacht und mir damit gezeigt hatte, wie viel ich ihnen bedeutete.
Zurück in meinem Zimmer öffnete ich noch Marcos Geschenk. Glücklich lächelnd stand ich da. In der Schachtel, die zum Vorschein gekommen war, lag ein Teddy mit einem Herzchen und einem Herzförmigen Anhänger um den Hals, den ich an meiner eigenen Kette tragen konnte und eine selbst gebrannte CD mit all meinen Lieblingsliedern. Es war total kitschig und romantisch, ich liebte es.
Mit einem Blick auf die Uhr bemerkte ich, dass ich mich fertig machen musste, um einkaufen zu gehen. Schließlich fehlten für die Party am Abend noch einige Sachen.
Schwer bepackt schleppte ich mich fast zwei Stunden später mit vollen Tüten hoch in die Wohnung.
Nachdem ich alles soweit aufgeräumt hatte, musste ich noch die Wohnung dekorieren und alles vorbereiten, was einige Zeit in Anspruch nahm.
So hatte ich viel zu tun und wenig Zeit, mir den Kopf zu zerbrechen, was auch gut war, denn sonst hätte ich mir den ganzen Tag versaut.
Im kam um fünf Uhr nachmittags gerade aus der Dusche, als es an der Tür klingelte. Gott sei dank war Lisa noch da und öffnete sie für mich. Meine Schwester würde heute bei einer Freundin übernachten, so hatte ich wirklich sturmfrei.
Ich hörte, dass Sarah gekommen war und beeilte mich.
Als ich sie gerade begrüßen wollte, klingelte es schon wieder.
»Das geht hier heute zu wie im Taubenschlag«, rief ich und öffnete die Tür.
Mir klappte vor lauter Überraschung der Mund auf, als ich sah wer oder besser gesagt was dort stand.
Neben mir hörte ich Sarah und Lisa, die beide nun zu kichern begannen. Ich konnte es ihnen nicht verübeln, denn vor uns stand ein großer rosa Hase, der mir nun ein kleines Päckchen überreichte und dann zu allem Überfluss noch damit begann, für mich Happy Birthday zu singen.
»Das wünscht dir dein bester Freund Dennis aus dem fernen Berlin«, verkündete der Hase mir, als der letzte Ton verklungen war.
»Dan...danke«, stotterte ich, als er sich verabschiedete.
Mit großen Augen drehte ich mich zu den beiden Mädchen um, die lachend hinter mir an der Wand lehnten und sich kaum beruhigen konnten.
»Das ist...so typisch...Dennis«, sagte Sarah, als sie sich wieder einigermaßen beruhigt hatte.
Auch ich lachte nun lauthals mit. Solche Einfälle waren wirklich typisch für Dennis. Schön, dass er sich extra für meinen Geburtstag so was einfallen ließ.
In den letzten Monaten hatten wir nur telefoniert oder uns geschrieben. An Tagen wie dem heutigen vermisste ich ihn sehr.
Ich schloss die Haustür und ging mit den beiden in die Küche, wo ich begann, das Paket auszupacken.
Oben auf lag ein Brief.
>Hi Timo,
ich hoffe das rosa Hasilein hat dich nicht zu sehr erschreckt.
Wie ich dir ja bei unseren Telefonaten gesagt habe,
kann ich dieses Jahr leider nicht an deiner Geburtstagsfeier teilnehmen.
Wäre echt gern gekommen, aber es lässt sich leider nicht ändern.
In diesem Päckchen findest du drei Umschläge, die mit einer Uhrzeit versehen sind.
Öffne sie bitte erst zur angegebenen Zeit, ansonsten verdirbst du dir die Überraschung.
Ich hoffe du freust dich.
Mach dir mit deinem Schatz und den anderen einen schönen Abend.
Viel Spaß und vergiss nicht, dich zu melden.
Bis dann.
Dein bester Freund,
Dennis.<
Lächelnd las ich ihn laut vor. Nur bei der Erwähnung von Marco seufzte ich unmerklich. Als ich das letzte Mal mit Dennis gesprochen hatte, wusste ich noch nicht, dass mein Freund nicht da sein würde.
Sarah stand hinter mir und legte mir ihre Arme um, schmiegte sich an mich.
»Genieße den Tag Timo, Marco ist schnell wieder da und dann holt ihr das feiern nach«, flüsterte sie mir ins Ohr.
»Ich versuch es«, erwiderte ich leise und lächelte sie an.
Um halb sechs würde Lisa abgeholt.
Zu zwei gingen Sarah und ich noch einmal durch die Wohnung und überzeugten uns davon, dass alles vorbereitet war.
Den ersten Umschlag öffnete ich um 18 Uhr.
Im Umschlag war ein Büchergutschein, auf dessen Einlösung ich mich jetzt schon freute. Mein bester Freund wusste eben, dass ich eine Leseratte war.
Genau in dem Moment, als ich fertig war mit umziehen, stand schon der nächste vor der Tür.
Dieses Mal machte ich auch wieder große Augen, doch nicht wegen einem weiteren plüschigen Tieres, das dort stand, sondern wegen Jay. Oder vielmehr wegen dessen Begleitung. Neben ihm stand ein wirklich schnuckliger Junge, der so groß war wie er, lange schwarze Haare und leuchtend grüne Augen hatte, den ich aber nicht kannte. Jay hielt dessen Hand und grinste mich schief an.
»Hi Geburtstagskind, alles Gute. Ich hoffe du hast nichts dagegen, dass ich noch jemanden mitbringe. Es hat sich alles ziemlich kurzfristig ergeben«, erklärte er und sein Blick wanderte zu dem Schwarzhaarigen neben sich.
»Hi Jay, nein, kein Problem, kommt doch rein.« Ich trat zur Seite, damit sie an mir vorbei in die Wohnung gehen konnten.
»Das ist übrigens Richie.«
»Schön dich kennen zu lernen Richie, ich bin Timo«, sagte ich, als ich die Tür hinter den beiden geschlossen hatte und hielt ihm die Hand hin, die dieser ergriff und schüttelte.
»Danke, dass ich Jay begleiten darf, ich kenne in München kaum jemanden außer ihn.« Er hatte einen unverkennbar englischen Akzent.
»Darf ich fragen woher du kommst?«, fragte ich, da ich meine Neugierde nicht zügeln konnte.
»Klar, ich komme aus England. Mein Vater hat hier eine Stelle als Universitätsprofessor gefunden. Dank meiner deutschen Mutter kann ich die Sprache, auch wenn ich einen Akzent habe.« Kurz sah er zu Jay. »Jay hab ich in der Jugendgruppe getroffen, wollte schnell Anschluss finden. Das hat wohl geklappt.«
»Cool, ich hoffe du wirst dich hier in München wohl fühlen. Ich bin mir aber sicher, das Jay dir das Ankommen hier sicher angenehm gestalten wird«, gab ich grinsend zurück. »Geht ruhig schon mal ins Wohnzimmer, ich komm gleich nach.«
Ich sah den beiden lächelnd nach. Natürlich freute ich mich für Jay, denn man musste schon blind und taub sein, um nicht zu sehen, dass es bei den beiden mächtig gefunkt hatte.
Mit Schüsseln voller Knabbereien kam ich kurz darauf ins Wohnzimmer, wo Sarah Richie schon ihrem typischen Verhör unterzog. Scheinbar hatte er kein Problem damit und beantwortete brav all ihre Fragen.
So wie ich Richie einschätzte, würde er gut in unsere Runde passen.
Nach und nach kamen weitere Gäste, darunter auch Ben.
Die Stimmung war super.
Als bis auf wenige Ausnahmen alle da waren, verschwand ich zusammen mit Sarah und Jay in der Küche, um mich um die Pizzen zu kümmern.
»Jetzt bin ich mal neugierig und frag dich einfach, ob das mit Richie was ernstes ist?« Schmunzelnd sah ich einen meiner besten Freunde an, der grinste wie ein Honigkuchenpferd.
»Ich denke schon, vor zwei Wochen hab ich ihn zum ersten Mal getroffen. Wir verstanden uns gleich gut. Und dann kam es, dass wir uns fast jeden Tag gesehen haben. Ich wollte es euch nicht verheimlichen, aber ich wollte Richie nicht gleich überfordern und auch erst mal besser kennenlernen.«
»Mach dir keine Sorgen, ich versteh dich. Schön, dass du ihn heute mitgebracht hast. Er scheint wirklich ein netter Kerl zu sein«, sagte ich, während ich auf die belegte Pizza vor mir noch eine Schicht Käse gab.
»Das ist er, ich fühle mich so wohl mit ihm. Er ist ruhiger als ich, das tut mir gut, er bringt mich runter.«
»Bei deinem Temperament tut dir ein ruhiger Pol in deinem Leben wirklich gut«, rief Sarah und lachte leise, als sie eine Scheibe Salami am Kopf traf. »Du kannst mich bewerfen mit was du willst, es ist die Wahrheit.«
»Das sagt die Richtige, du bist doch selbst oft wie ein Kolibri auf Droge.«, gab er zurück und streckte ihr die Zunge raus. Das waren also meine Freunde, mein persönlicher Kindergarten, dachte ich so bei mir, als die erste Pizza im Ofen verschwand.
Um sieben erinnerte mich Sarah daran, den zweiten Umschlag zu öffnen, was ich auch gleich tat.
In dem etwas dickeren Umschlag befanden sich zwei Zugtickets für die Strecke München Berlin.
Mir klappte die Kinnlade herunter.
>Für dich und deinen Schatz, ich hoffe ihr besucht mich bald.
LG Dennis<
»Dennis spinnt doch! Die waren sicher total teuer«, rief ich aus, war aber sehr ergriffen und spürte, wie mir die Tränen in die Augen stiegen.
Was würde noch kommen, wenn mich mein bester Freund jetzt schon so beschenkt hatte?
»Da hat er mit dir etwas gemeinsam.« Sarah sah mich grinsend an und versuchte, sich das Lachen zu verkneifen.
»Vielen Dank auch. Und so was schimpft sich meiner beste Freundin«, entgegnete ich gespielt schnippisch.
Sie beugte sich zu mir und drückte mir einen Schmatzer auf die Wange.
»So liebst du mich doch Timo.«
»Damit hast du leider Recht. Ich und meine seltsame Auswahl meiner Freunde«, erwiderte ich leise lachend.
Auch wenn meine Freund manchmal leicht verrückt waren, liebte ich sich doch über alles und wollte nicht einen von ihnen missen.
Kurz darauf läutete es an der Tür.
Mich fragend, wer das wohl sein könnte, ging ich zur Wohnungstür und öffnete sie.
Was ich da sah, ließ mich breit grinsen.
Thomas stand im Hausflur und es schien ihm wieder richtig gut zu gehen, was wohl auch an der mir wohlbekannten Begleitung lag. Thomas schmiegte sich leicht an Milos, der einen Arm um ihn gelegt hatte. Hatte ich also doch den richtigen Riecher bei den beiden gehabt.
»Hi Thomas, schön dass du...ich meine ihr beide es noch geschafft habt. Ich war mir nicht sicher wie es dir geht, deshalb war ich mir unsicher, ob es klappt. Aber wie ich sehe, geht es dir sehr gut. Ich glaube Love is in the air, Jay hat auch jemanden mitgebracht.«
Leise lachte Thomas auf.
»Das scheint wirklich so zu sein. Bei uns war es Liebe auf den ersten Blick. Er hat mir an dem ersten Abend im Krankenhaus, als ihr schon weg wart, Gesellschaft geleistet, wir haben geredet und geredet. Obwohl seine Schicht zu Ende war, ist er geblieben. Milos hat mir viel geholfen, auch meiner Mutter. Wir ziehen schon nächsten Monat in eine neue Wohnung, alles Dank ihm hier«, erklärte er mir und sah Milos am Ende verliebt an. Der etwas größere Milos beugte sich zu Thomas und hauchte ihm einen Kuss auf die Lippen.
Auch wenn es mir einen leichten Stich versetzte, das nun zwei meiner Freunde auf Wolke sieben schwebten, während ich meinen Engel so sehr vermisste, gönnte ich es sowohl Jay als auch Thomas.
Gerade er hatte so viel durchgemacht in den letzten Jahren und hatte es verdient, nun endlich so glücklich zu sein.
»Ich freue mich sehr für euch«, sagte ich und trat zur Seite, damit die beiden herein kommen konnten.
»Danke Timo. Ich hätte nie gedacht, dass ich mal einen älteren Typen haben würde. Doch ich finde es toll und es sind ja auch nur knapp zwei Jahre.« Grinsend ging Thomas an mir vorbei, gefolgt von Milos, der belustigt schmunzelte.
Ich fand, dass die beiden ein tolles Paar abgaben.
Die fertigen Pizzen fanden reißenden Absatz und nachdem sich alle satt gegessen hatten, spielten wir ein paar lustige Party Spiele.
Mitten in einer Runde Wahrheit oder Pflicht hielt mir Sarah den dritten und letzten Umschlag vor die Nase.
»Vergiss nicht ihn aufzumachen«, rief sie und grinste mich an.
Wusste sie vielleicht, was darin war? Nun war ich natürlich noch neugieriger.
Mit flinken Fingern riss ich ihn auf, die anderen sahen mir aufmerksam dabei zu und es war merkwürdig still im Raum.
>Hi mein Bester, ich bin es nochmal.
Wie du ja nun gesehen hast, habe ich dir einmal etwas geschenkt,
das deine „Sucht“ befriedigt,
zum anderen etwas, das eine schöne Erfahrung für dich und deinen Schatz werden wird,
da ihr beiden noch nie in unserer Hauptstadt wart.
Zu guter Letzt habe ich noch etwas für dich, das ich mir selbst auch geschenkt habe.
Du fragst dich jetzt sicher, was ich dir damit wohl sagen will, oder?
Na dann dreh dich um.<
Irritiert hielt ich den Brief in der Hand und drehte mich um.
Ungläubig starrte ich auf die Wohnzimmertür. Meine Gesichtszüge entglitten mir. Dort stand kein anderer als Dennis.
Er grinste mich an und hatte die Arme ausgebreitet.
»Worauf wartest du? Oder hast du mich nicht mehr lieb?«, fragte er neckend.
Quietschend überbrückte ich die wenigen Meter und fiel meinem besten Freund um den Hals.
Er schloss mich in eine feste Umarmung.
Das tat echt gut. Ich hatte gar nicht bemerkt, wie sehr ich ihn vermisst hatte.
»Das nenn ich mal eine Überraschung. Du bist doch echt verrückt, das alles muss doch ein kleines Vermögen gekostet haben.«
»Mein dir keine Gedanken. Mein Vater hat von seiner Firma einen großzügigen Bonus bekommen und davon haben wir alles was. Die ganze Familie ist zu Besuch bei Verwandten und ich wollte mir die Gelegenheit nicht entgehen lassen, dich an deinem Geburtstag zu besuchen.« Er sah sich im Raum um. »Und wo ist nun dein Marco? Ich möchte ihn kennenlernen«, sagte er fröhlich.
Etwas geknickt sah ich ihn an.
»Er ist leider nicht hier, seine Großeltern haben Hochzeitstag und er musste mit.«
Voller Mitgefühl sah er mich an.
»So ein Mist. Ich hoffe ich lerne ihn noch kennen solange ich hier bin. Er wird sich bei dir hoffentlich ausgiebig dafür entschuldigen und dich entschädigen.« Zweideutig zwinkerte er mir zu.
»Keine Bange, das wird er, das hat er mir versprochen«, erwiderte ich grinsend.
»Na dann viel Spaß euch beiden«, sagte er und wackelte anzüglich mit den Augenbrauen.
So kannte ich ihn, immer frech und nur Blödsinn im Kopf. Um uns hörte ich die Leute kichern.
Durch Dennis Erscheinen ging es mir gleich noch besser und ich konnte die trüben Gedanken, die mich während des Tages immer wieder heimgesucht hatten, verdrängen.
Heute feierten wir jetzt nicht nur meinen Geburtstag, sondern auch die neuen Paare. Die Stimmung war super, wir tanzten und lachten viel, vernichteten alle Knabbereien, die ich besorgt hatte und ließen es uns gut gehen. Marco schrieb mir immer wieder Nachrichten und ich schickte ihm über WhatsApp Fotos, so war er wenigstens so mit dabei, wenn er schon nicht hier sein konnte.
Weit nach Mitternacht gingen die letzten Gäste, nur Sarah, Dennis, Jay, Richie sowie Thomas und Milos blieben noch und halfen mir dabei, die Wohnung aufzuräumen.
Gemeinsam ging das auch Recht schnell, doch wir entschieden trotzdem, das es zu spät war, um jetzt noch nach Haus zu laufen. Deshalb richteten wir uns in meinem Schlafzimmer ein riesiges Matratzenlager ein.
Zwei Tage später stand Marco vor meiner Tür und ich fiel ihm förmlich um den Hals.
So sehr hatte ich ihn vermisst.
Nach einem endlosen Kuss, der wirklich mehr als nötig gewesen war, sah er mich verliebt an.
»Ich sollte öfter weggehen wenn ich dann so begrüßt werde.«
»Untersteh dich, das würde er dir nicht verzeihen«, kam es aus dem Flur und kurz darauf stand Dennis neben uns. »Hi, ich bin Dennis. Du bist dann wohl der berühmte Marco, der dem lieben Timo hier den Kopf verdreht hat.« Dennis hielt Marco die Hand hin, die dieser aber nicht ergriff. Ich runzelte irritiert die Stirn. Was war denn jetzt los?
Augenblicklich veränderte sich Marcos Gesichtsausdruck, wurde ernst.
»Hi, ja der bin ich. Ich lass euch dann wohl wieder allein, hab noch eine Tasche die ich auspacken muss«, gab er angespannt von sich, drehte sich um und lief zur Treppe.
Ich wechselte einen kurzen Blick mit Dennis, der irritiert mit den Schultern zuckte, bevor ich ihm nachging und ihn am Arm festhielt.
»Was ist denn los Marco? So kenne ich dich gar nicht.« Er blieb stehen und drehte sich zu mir um, seine Augen schimmerten vor Tränen. »Verdammt, rede mit mir! Was ist nur los?«
So hatte ich Marco noch nicht erlebt, das machte mir Angst. Mein Magen zog sich zusammen und mein Herz klopfte wie verrückt, doch nicht auf die angenehme Art und Weise.
»Was los ist? Du fragst mich das echt? Ich habe nichts gesagt, weil ich keinen Streit übers Telefon führen wollte, dachte das ich vielleicht zu viel hinein interpretiere, doch nun sehe ich ja, das er immer noch da ist. Dann bin ich wohl abgeschrieben. Ich frag mich nur, wieso du mich dann noch so küsst«, erklärte er traurig, doch ich verstand nur Bahnhof. Was hatte ich nicht mitbekommen?
»Wieso sollten wir streiten? Was ist dein Problem mit Dennis? Er ist mein bester Freund, das weißt du doch.«
Mit einer schnellen Bewegung zog er sein Handy aus der Hosentasche, öffnete die Bildergalerie, suchte nach einem Bild und hielt es mir das Gerät schließlich unter die Nase.
»Davon rede ich. Knutscht du all deine „besten“ Freunde?«
Auf dem Foto waren Dennis und ich zu sehen, als wir Wahrheit oder Pflicht gespielt hatten. Sarah hatte es unglaublich lustig gefunden, uns dazu zu bringen, uns zu küssen. Es war ein Spaß gewesen. Es war, als würde ich meinen Bruder küssen, da waren keine Gefühle dabei entstanden. Kurz darauf hatten wir alle darüber gelacht. Sarah musste davon wohl ein Bild gemacht und es mit anderen, die sie immer wieder über WhatsApp verschickt hatte, an Marco gesendet haben.
Dass er es dermaßen in den falschen Hals bekommen hatte, konnte sie nicht ahnen.
»Beruhige dich bitte. Das war eine Aufgabe in einem Spiel, mehr nicht. Ich habe Dennis zwar gern, aber ich liebe ihn nicht auf diese Weise. Ich liebe nur dich Marco...weißt du das denn nicht?«
»Und ich will nur anmerken, dass ich hetero bin und in Berlin seit kurzem eine Freundin habe. Ich will von Timo wirklich nichts, außer seiner Freundschaft. Und er ist so verliebt in dich, er würde eure Beziehung sicherlich nicht durch so etwas gefährden«, erklärte Dennis lächelnd, bevor er sich in die Wohnung zurückzog, um uns die nötige Privatsphäre zu geben.
Marco sah Dennis nach, bevor sein Blick wieder zu mir glitt. So zerknirscht hatte ich ihn noch nicht erlebt.
»Oh man...ich bin so ein Trottel.« Er ließ den Kopf hängen und betrachtete seine Füße.
Liebevoll legte ich ihm meine Hand unters Kinn und hob es an, so dass er mich ansehen musste.
»Nur ein kleiner. Aber du bist mein kleiner Trottel. Das nächste Mal wenn du denkst, dass ich etwas getan habe, dann komm bitte zu mir und wir klären es. So etwas in sich hinein zu fressen ist nie gut und du siehst ja, was passiert, wenn es dann doch wieder hoch kommt.« Mein Daumen strich sanft über deine Wange. »Egal was auch ist, wie sauer, traurig, wütend oder sonst was ich auch bin, ich würde dich niemals betrügen, glaub mir. Auch wenn wir noch echt jung sind, ich weiß, dass ich dich mehr liebe als alles andere und ich möchte, das das mit uns zu hundert Prozent funktioniert.«
Leise schniefte Marco, als er sich an meine Hand schmiegte. Ein Lächeln erhellte nun sein Gesicht und ich atmete innerlich durch. Das war wohl das erste Mal, dass wir so etwas wie einen Streit gehabt hatten, seit wir ein Paar waren. Und ich kann euch sagen, dass mir diese Gefühle, die er auslöste, gar nicht gefallen hatten. Als würde etwas an meinem Herzen reißen und es gleichzeitig zerdrücken.
Für mich war Marco all das, was ich je wollte, sowohl vom emotionalen her, als auch von seiner Optik. Wieso sollte ich mich nach etwas anderem umsehen, wenn das Beste doch direkt vor meiner Nase war?
Und Betrug in jeder Form verabscheute ich. Wenn es etwas zu klären gab, dann versuchte man, es zu klären und wenn das nichts brachte, dann trennte man sich lieber, als den Menschen, den man einmal mehr als alles andere geliebt hatte, zu hintergehen und ihm weh zu tun.
Liebevoll küsste er mich. Seine Lippen glitten bedächtig über meine und seine Arme legten sich um mich. Ich erwiderte den Kuss ebenso, lehnte mich an ihn und genoss die Nähe, die Wärme seines Körpers, seinen einmaligen Geschmack und zog seinen Geruch tief ein. Nach all dem hatte ich mich in dieser kurzen Zeit gesehnt.
Fest drückte er mich an sich.
»Ich habe dich gar nicht verdient, Timo,...aber ich bin so froh, dass du mich liebst. In diesen wenigen Tagen habe ich dich so sehr vermisst und mir wahrscheinlich deshalb so einen Kopf gemacht, als ich das Bild sah. Da ist mir wohl eine Sicherung durchgeknallt«, flüsterte er an meinem Hals, als sich unsere Lippen wieder voneinander gelöst hatten.
»Doch, das hast du, Marco. So wie ich dich verdient habe. Wir sind Menschen, wir machen Fehler und wir werden aus ihnen lernen. Reden ist das wichtigste, damit sollten wir nie aufhören.«
»Das werden wir auch nie.« Er presste mich so eng an sich, das ich kurz dachte, ich würde ersticken. »Verdammt Timo, ich liebe dich so sehr, es macht mir Angst. Vor allem habe ich Schiss davor, das ich dich verliere.«
Ich löste mich etwas von ihm, um ihn ansehen zu können.
»Du musst keine Angst haben. Mir geht es doch ebenso. Meine größte Angst ist es, dich an jemand anderen zu verlieren. Mit dir erlebe ich so viel zum ersten Mal, da ist es wohl ganz normal, dass man auch die negativen Dinge spürt, wie Verlustangst, Eifersucht und all das. Doch wenn wir uns Mühe geben, kann aus noch viel mehr werden.« Ich sah ihm direkt in die Augen. »Und bald erleben wir beide gemeinsam ein ganz entscheidendes erstes Mal«, flüsterte ich und war mir bewusst, wie belegt meine Stimme klang.
Mein Engel schluckte merklich, sein Adamsapfel hüpfte nervös auf und ab.
»Ich kann es kaum erwarten...sogar bis in meine Träume verfolgt es mich schon«, sagte er grinsend und strich mir über den Hintern.
Die Stimmung zwischen uns war aufgeladen und mir schien, als würde die Luft knistern.
Bevor jedoch einer von uns etwas sagen konnte, ging unten im Haus eine Tür auf und wir zuckten beide zusammen.
Lachend sahen wir uns an.
»Wir sollten zu Dennis gehen, bevor ich hier noch im Hausflur über dich herfalle«, raunte mir Marco zu und bescherte mir damit eine heftige Gänsehaut. Um mich auf andere Gedanken zu bringen, war das nicht der richtige Weg. Es verursachte eher, das sich bei mir etwas zu Wort meldete, das ich vor Dennis nicht unbedingt zu zeigen bereit war.
Wissend grinste mich Marco an.
Kopfschüttelnd ging ich ihm nach in die Wohnung.
Zuerst entschuldigte sich mein Schatz bei Dennis für seinen eifersüchtigen Auftritt. Mein bester Freund nahm es sportlich und meinte sogar, dass er sich nun sicher sei, das sein bester Freund bei Marco auch wirklich in den besten Händen war.
Und glaubt es mir oder nicht, keine halbe Stunde später saßen sie zusammen im Wohnzimmer und unterhielten sich so angeregt, als würde sie sich schon ewig kennen. Nichts deutete darauf hin, das Marco ihm vor nicht mal einer Stunde fast an die Gurgel gegangen wäre.
Ich für meinen Teil fühlte mich wohl mit den beiden, kuschelte mich an Marco und hörte ihnen zu. So musste es sein, meinen Engel an meiner Seite und meinen besten Freund neben mir. Ein kleines Geschenk nachträglich zu meinem Geburtstag.
Wehmütig wanderte mein Blick zum Kalender, der meinem Schreibtisch gegenüber an der Wand hing. In einer Woche würden die Prüfungen endlich vorbei sein.
In meinem Kopf waren so viele Informationen, dass ich den Eindruck hatte, er würde platzen, wenn ich sie nicht bald los wurde.
Seit Wochen taten wir als Clique kaum etwas anderes als zu lernen.
Bald würde Marco vorbeikommen, dann wollten wir ein letztes Mal alles Wichtige durchgehen. Und natürlich wollte ich mir keine Gelegenheit zum kuscheln entgehen lassen.
Ich war so dankbar, dass Marco mich und meine Launen so gut wegstecken konnte. Bei all dem Stress in den letzten Wochen, hatte ich ihn ein paar Mal ziemlich heftig angepflaumt, weil ich nicht wusste wohin mit der ganzen aufgestauten Energie und meiner Sorge, mit wehenden Fahnen durch die Tests zu rasseln.
Zwar wusste ich, das ich gut vorbereitet war, das eigentlich kaum etwas schief gehen konnte, doch von meinem Abschluss hing schließlich meine Zukunft ab. Nur wenn meine Noten gut genug waren, hatte ich realistische Chancen mein Abitur nachholen und danach studieren zu können.
»Hör auf so viel zu grübeln, sonst geht dein Gehirn noch in Flammen auf. Ich brauche dich doch noch.« Die leise, etwas amüsiert klingende Stimme, die hinter mir ertöne, ließ mich mit dem Schreitischstuhl herumfahren. Dort stand mein Schatz und grinste mich an.
Mit einem Satz war ich aufgesprungen und fiel ihm um den Hals. Einen ganzen Tag hatten wir uns nicht gesehen, da musste ich ihn einfach spüren und natürlich ausgiebig küssen.
Er erwiderte den Kuss, vertiefte ihn sogar und verursachte mir eine Gänsehaut am ganzen Körper, als er sanft an meiner Unterlippe knabberte.
»Wir...wir sollten lernen«, stieß ich etwas atemlos hervor, als wir uns endlich, wenn auch widerwillig, voneinander lösten.
Grinsend ließen wir uns auf meinem Bett nieder und so gern ich mich einfach auf ihn geworfen hätte, riss ich mich zusammen und wir taten, für was Marco hergekommen war.
Gegen 18 Uhr legten wir unsere Mappen zur Seite.
»Mehr geht beim besten Willen nicht in meinen Kopf. Was ich jetzt noch nicht kann, werde ich auch nicht mehr lernen können. Jetzt möchte ich lieber etwas Zeit mit meinem Freund verbringen«, sagte mein Schatz und zog mich an sich.
Wie von selbst fanden sich unsere Lippen. Von seinen Küssen würde ich nie genug bekommen.
Egal ob sie sanft und hauchzart oder hart und leidenschaftlich waren, sie gingen mir durch und durch. Marcos Zunge schob sich gierig in meinen Mund und umspielte sofort meine.
Seine Hand lag an meinem Hinterkopf, kraule mich gedankenverloren. Am liebsten hätte ich laut geschnurrt.
»Das ist die beste Ablenkung von meiner Prüfungsangst die ich mir vorstellen kann«, raunte ich nah an seinen Lippen.
»Mir geht es ähnlich. Nichts bringt mich so sehr auf andere Gedanken wie du.«
Zärtlich glitten seine Finger über meinen Hals, verpassten mir ein Kribbeln, das sich in in mir ausbreitete.
Er brachte allein durch diese kleine Geste meinen Körper dazu, sich nach viel mehr zu sehnen.
Eigentlich hatten wir uns schon lange vorgenommen, uns Zeit zu nehmen, um unser erstes Mal zu haben, doch es war immer wieder etwas dazwischen gekommen.
Nur eines stand fest. Wir würden weder bei Marco noch bei mir zuhause Sex haben, da hier die Gefahr zu groß war, von jemandem überrascht zu werden, was in meinen Augen nicht wirklich erstrebenswert war.
Für Marco und mich war klar, dass wir uns Zeit lassen wollten füreinander. Es sollte keine Hauruck Aktion werden, nach der man sich vor lauter Scham, weil alles schieflief was schieflaufen konnte, nicht mehr in die Augen schauen konnte. An diesen Tag sollten wir uns gern zurück erinnern.
Geschick drehte ich Marco so, dass er unter mir auf dem Rücken lag.
Lächelnd löste ich den Kuss und betrachtete meinen wunderschönen Freund ausgiebig, strich ihm sanft durch sein Haar, das er mittlerweile länger trug, da es mir so gut gefiel und er es mochte, wenn ich meine Finger darin vergrub.
Spielerisch wanderten meine Finger über die Konturen seines Gesichts, bis sie schließlich die Lippen erreichten.
»Ich werde von dir nie genug bekommen, das ist dir klar, oder?«, fragte ich ihn leise.
Seine Zungenspitze glitt über meinen Finger, ehe er ihn in seinen Mund sog.
Allein ihm dabei zuzusehen ließ klein Timo stramm stehen und ich gab ein unterdrücktes Stöhnen von mir.
»Ja, das ist mir klar. Von dir werde ich niemals genug bekommen, du bist das was ich will, egal in welcher Hinsicht. Deshalb kann ich es kaum erwarten, dich wirklich zu erobern und von dir erobert zu werden.« Seine Wangen röteten sich, er wandte den Blick aber nicht von mir ab. Auch mir wurde ganz warm wenn ich nur daran dachte.
Das ich seinen Penis durch seine Hose spüren konnte, der von all dem auch nicht unbeeindruckt geblieben war, verstärke meine Sehnsucht ins Unermessliche.
Es war schön, das Marco nicht zu den Typen gehörte, die einem nach dem dritten Date versetzten, weil man noch nicht mit ihnen in die Kiste wollte. Wir beide hatten noch keinerlei Erfahrungen, waren die ersten füreinander und tasteten uns im wahrsten Sinne des Wortes an alles heran.
Wir hatten schon Stunden damit verbracht, den Körper des anderen zu erkunden, zu streicheln und zu verwöhnen.
So herauszufinden, was Marco gefiel und was nicht, war wundervoll gewesen. Es brachte uns enger zusammen.
Klar hatten wir gemeinsam oder auch jeder für sich schon Erwachsenenfilme auf den einschlägigen Plattformen im Internet gesehen. Doch vieles was dort geschah, war für uns aber eher verstörend und sicher nicht für Jungs wie uns geeignet, die ihren ersten richtigen Sex noch vor sich hatten. Doch alles in allem waren diese Clips eine gute Anregung und Ideengeber gewesen, was wir noch so alles ausprobieren konnten. Das war schließlich nichts, bei dem man zum Beispiel seine Eltern um Rat fragen wollte und gerade mir war es auch zu peinlich, um es in der Jugendgruppe anzusprechen. Vor Scham würde ich dort wohl im Boden versinken.
»Ich auch nicht...es wird ein Tag werden, den wir nie vergessen«, erwiderte ich und spürte, wie meine Wangen zu glühen begannen. »Weißt du was ich an dir so mag? Du kannst sehr direkt sein, auch was Intimität und Sex angeht, aber du bist dabei nie vulgär. Versteh mich nicht falsch, ich finde etwas Dirty Talk nicht schlecht, aber bei vielen, die über Sex reden, hat man den Eindruck, dass es nur gut ist, wenn man möglichst unverblümt alles beim Namen nennt. Da ist kein Spielraum mehr für die eigene Phantasie. Ein anderer hätte wahrscheinlich gesagt, dass er es nicht abwarten kann zu ficken, du nennst es erobern. Beides bedeutet dasselbe, aber ich fühle mich mit deinem Ausdruck viel wohler. Weißt du was ich meine?«
Marco nickte, während er mir liebevoll über die Wange strich.
»Du möchtest es nicht abwerten, indem du ordinär wirst. Es gehört für dich, ebenso wie für mich, Romantik mit dazu. Es soll nicht einfach stupides Gerammel sein, sondern etwas, an das man auch in vielen Jahren noch gern zurückdenkt. Ich habe mir in den letzten Monaten viele Videos zum ersten Mal und den positiven und negativen Erfahrungen auf unterschiedlichsten Videoplattformen angesehen und fast alle sagen, dass sie zu überstürzt an die ganze Sache rangegangen sind. Beide Partner waren überfordert, konnten sich nicht entspannen und so wurde es für alle Beteiligten ein schmerzhaftes Unterfangen. Das will ich für uns nicht. Du sollst es genießen, dich entspannt hingeben können und nicht Angst haben müssen, das ich dir wehtue.«
»Genauso ist es. Es soll so perfekt wie möglich sein. Wir nehmen uns viel Zeit. Denn ich möchte dir auch niemals Schmerzen zufügen. Dafür liebe ich dich viel zu sehr.«
Wieder küssten wir uns. Dieses Mal war es, als schwinge darin ein Versprechen auf mehr mit, das meinen Körper zum Kribbeln brachte.
»Hoffentlich geht die kommende Woche schnell vorbei. Ich möchte endlich wieder mehr Zeit mit dir verbringen und das ohne das ständige pauken«, sagte Marco und sah mich sehnsüchtig an.
Über dieses pikante Thema zu reden lenkte uns einerseits von den anstehenden Prüfungen ab, sorgte aber auch dafür, dass ich nun jedes Mal, wenn ich Marco sah, nur an das eine denken würde.
Ach, wenn ich ehrlich war, tat ich oft nichts anderes, als mir Marco in knappem Outfit und sexy Posen vorzustellen.
»Sie geht sicher schnell vorbei. Noch drei Prüfungen, dann haben wir es geschafft. Dann stehen nur noch die Zeugnisvergabe und der Abschlussball an.«
Der Abschlussball. Ja, der verursachte mir schon seit einer Weile Kopfschmerzen. Ich wusste, wen ich gern an meiner Seite gehabt hätte, doch ich hatte keine Ahnung, wie Marco dazu stand.
Schon einige Male hatte ich ihn fragen wollen, doch dann gekniffen. Ein nein würde zu sehr wehtun. Ohne ihn wollte ich nicht hin, schon gar nicht mit irgendeinem Mädchen.
Unsere Schule legte seit Jahren Wert darauf, dass der Schulabschlussball ein unvergessliches Ereignis wurde. Man zog sich schick an, tanzte und zelebrierte diesen Abend.
Die Partner oder Partnerinnen hatten, brachten diese mit und genossen den Abend zusammen. Unter all den Pärchen wollte ich nun wirklich nicht einer der bedauernswerten Single sein, die gelangweilt am Tisch saßen und den anderen beim Spaß haben zusahen.
Am besten redete ich mit Marco nach der letzten Prüfung darüber, dann hatten wir beide den Kopf frei. Ich wusste nämlich, dass es auch Marco zunehmend schwer fiel, sich in der Schule mit dem zeigen von Zuneigung zurückhalten zu müssen.
Ich für meinen Teil würde Marco gern auf dem Flur küssen, einfach so. Genauso wie es all die Heteropaare um uns herum in jeder freien Minute taten. Wieso machten so viele einen Unterschied zwischen ihnen und uns? Ein Kuss war doch einfach nur ein Kuss.
»All dieser ganze Stress, egal woher er auch kommt, macht mich total mürbe«, sagte ich und kuschelte mich an Marcos Brust. Mein Engel war einfach perfekt für mich. Unsere Beziehung wurde mit jedem Tag stärker und ich hoffe natürlich, dass wir noch lange ein Paar sein würden.
Seine Hände strichen über meinen Rücken und vermittelten mir das Gefühl von Geborgenheit.
»Das stimmt, es ist im Augenblick einfach zu viel.« Er sah mich an und grinste. »Wenn alles vorbei ist, dann fahren wir beide nach Berlin. Dennis nervt uns ja schon ewig damit, dass wir unsere Hintern endlich in Bewegung setzen sollen. Das wird sicher ein toller Urlaub werden.«
»Ein toller Plan. Er hat laut eigener Aussage schon alle möglichen Aktivitäten geplant. Dennis will mit uns sogar in einen Schwulenclub oder so gehen. Ich bin mal gespannt, ob er das nicht bereuen wird.«
Mein bester Freund war zwar ziemlich locker drauf, doch ich war mir nicht sicher, wie er auf so viele Männer reagierte, die wild knutschend um ihn herumstanden und ihn möglicherweise sogar an flirten würden.
Ich würde es auf mich zukommen lassen. Spaß hätten wir in dieser Zeit auf jeden Fall. Vor allem da sich auch Dennis und Marco immer besser verstanden. Gott sei Dank wusste ich, dass Marco mich über alles liebte und Dennis stockhetero war und ich nicht befürchten musste, das die beiden sich auf dieser Ebene annähern könnten. Denn auch wenn ich wusste, dass es keinen Grund dafür gab, konnte ich ziemlich eifersüchtig werden.
In mir steckte einfach eine gehörige Portion Dramaqueen.
Um 22 Uhr verabschiedete sich Marco, was ihm sichtlich schwerfiel, doch gleich morgen früh war die erste Prüfung und da sollten wir beide fit sein.
Nach einer ausgiebigen Verabschiedung an der Tür begab ich mich zurück in mein Zimmer, kontrollierte meine Tasche noch ein letztes Mal um sicher zu gehen, das ich für morgen alles Notwendige dabei hatte und ging dann, nach einem kurzen Besuch im Badezimmer, ins Bett.
Seufzend schloss ich die Augen und genoss die Wärme der Sonnenstrahlen, während ich auf dem Platz vor der Schule auf Marco und die anderen wartete.
Der Test war gut verlaufen und ich war zuversichtlich, dass ich dafür eine gute Note erhalten würde.
Ich war gespannt, wie es Marco ergangen war.
Als ich Schritte wahrnahm, öffnete ich die Augen und sah meinen Engel, wie er mit einem breiten Lächeln im Gesicht auf mich zukam.
Schwungvoll ließ er sich neben mich auf den warmen Stein fallen, auf dem ich saß und strich wie zufällig über meinen Handrücken. Zugern hätte ich ihn geküsst, biss mir jedoch, um mich davon anzuhalten, auf die Zunge.
»Und, wie ist es bei dir gelaufen?«, fragte ich ihn.
»Gut, ich denke es wird was anständiges dabei herauskommen«, antwortete er lächelnd.
»Bei mir auch. Jetzt sind es nur noch zwei Tage.«
Jay und Ben stießen nach ein paar Minuten zu uns. Als es läutete, kamen auch Thomas und Sarah aus dem Schulgebäude und ließen sich neben uns nieder.
Alle sahen so erledigt aus, wie ich mich fühlte.
»Wenn das so weitergeht überlebe ich die Woche nicht«, stieß Thomas hervor und grinste schief. »In den ersten fünf Minuten hatte ich einen völligen Blackout und dachte schon, dass es das nun war. Aber dann ging es doch. Man, ich hab echt keinen Bock die Prüfung noch einmal machen zu müssen.« Er schüttelte sich angewidert und brachte uns damit zum Lachen.
»Ich bin mir sicher, das dir Milos gern beim Lernen geholfen hätte.« Breit grinsend sah Jay Thomas an, der mit einem verklärten Gesichtsausdruck vor sich hinstarrte, ehe er sich wieder fing und Jay gegen den Oberarm boxte.
»Wenn du es genau wissen willst, mein Schatz ist ein toller Lehrer«, sagte Thomas mit so verruchter Stimme, dass es dem guten Jay glatt die Sprache verschlug. Das kam ziemlich selten vor.
»Ihr seid echt schlimm Jungs, wisst ihr das? Habt nur das eine im Kopf«, rief Sarah und sah uns gespielt vorwurfsvoll an, ehe sie in lautes Gelächter ausbrach. »Ich glaube keiner von euch kann sich über den Mann an seiner Seite beschweren.«
Da konnte ich ihr nur beipflichten. Über Marco konnte ich mich nun wirklich nicht beklagen.
Die Woche verging langsam, aber dann war doch der Zeitpunkt gekommen, an dem dieser ganze Mist endlich vorbei war.
Jubelnd verließen wir das Schulgelände, bogen nach links ab und gingen zu einer Eisdiele, die sich nicht weit entfernt an einem kleinen Park befand.
Dort holten wir uns als Belohnung riesige Portionen Eis.
Gemeinsam machte es sich unsere Clique im Schatten des kleinen Wäldchens bequem, das sich inmitten des Parks befand.
Genüsslich an meinem Eis schleckend lehnte ich mich nach hinten an Marco, der seine freie Hand um meinen Bauch schlang. Es fühlte sich gut an, wie selbstverständlich er mir gerade seine Zuneigung zeigte.
Eine Stunde später, die anderen hatten sich schon verabschiedet, saßen wir allein noch dort und sonnten uns.
All meinen Mut zusammen nehmend wandte ich den Kopf, um Marco anzusehen, der immer noch hinter mir saß.
»Du, Schatz, ich wollte dich etwas fragen. Es geht um den Abschlussball.«
Ich spürte wie sich Marco hinter mir anspannte und gab in diesem Moment auch schon die Hoffnung auf, sah meine Felle davonschwimmen. Trotz allem wollte ich nun aber keinen Rückzieher mehr machen und stellte ihm meine Frage.
»Bald ist ja der Ball. Ich würde gern hingehen. Aber nicht ohne dich. Und damit meine ich nicht, dass wir uns dort sehen. Ich möchte gern mit dir als meinem Partner dorthin gehen. Würdest du mein Abschlussball Date sein wollen?«, fragte ich leise, sah ihn dabei aber nicht an.
Nun würde das kommen, was ich befürchtet hatte. Marco würde nein sagen und damit wäre es für mich gelaufen.
Weil mein Engel nicht antwortete drehte ich mich ganz zu ihm um, damit ich ihm ins Gesicht schauen konnte.
»Du willst wirklich mit mir da hin? Ganz offiziell als Paar?« Fragend sah er mich an.
Ich nickte und rechnete schon damit, dass er mich für verrückt erklären würde. In den letzten Monaten hatten wir so viel daran gesetzt, das es niemand merkte, wieso sollte er nun diesen Schritt gehen wollen. Wahrscheinlich hatte er zu viel Angst, dass die anderen so reagieren könnten wie die Leute an seiner alten Schule.
»Schon okay...war eine dumme Idee. Du musst nicht antworten«, sagte ich und wollte aufstehen.
Marco hielt mich aber am Arm fest, zog mich zu sich zurück.
»Das ist keine dumme Idee. Seit Wochen überlege ich, ob ich dich fragen soll, hatte aber zu viel Schiss. Ich dachte, du würdest wohl eher eines der Mädchen fragen...was mir nicht wirklich gefallen hätte. Dies ist unser Abschluss, den möchte ich würdig begehen und dazu gehört, mit dir zu feiern, als meinem Freund. Es soll nun jeder wissen. Ab jetzt geht der Ernst des Lebens los, unsere Zukunft. Die möchte ich nicht mit einer Lüge beginnen. Ja, ich möchte dein Date für den Abschlussball sein«, erklärte er und dann küsste er mich innig. Ich erwiderte den Kuss ebenso.
Ungläubig starrte ich ihn an, nachdem er den Kuss löste. Hatte Marco das wirklich gerade gesagt?
»Du gehst mit mir hin?«, fragte ich deshalb nach.
»Ja, ich geh mit dir hin! Und wir werden miteinander tanzen. Mir egal was irgendwer dazu meint, wir werden die meisten unserer Klassenkameraden eh nie wieder sehen, ihre Meinungen sind nun nicht mehr wichtig. Aber das mit uns ist von Bedeutung. Einen so wichtigen Tag will ich nicht mit Heimlichtuerei verplempern.«
Langsam breitete sich die Erkenntnis darüber, was Marco gesagt hatte, in meinem Kopf aus und ich konnte nicht anders, als ihn überschwänglich zu umarmen und an mich zu ziehen.
Lachend legte er seine Lippen auf meine und verwickelte mich in einen sehr intensiven Kuss.
»Ich liebe es wenn du dich so freust. Dann strahlst du so von innen heraus«, sagte Marco und sah mir tief in die Augen.
Er vergrub seine Hand in meinen Haaren und zog mich daran sanft aber bestimmt zu sich heran.
»Wenn du mich lässt, werde ich dich noch sehr lange so zum Strahlen bringen.« Er beugte sich vor und hauchte mir einen Kuss auf die Wange.
»Die Vorstellung mit dir zusammen zu sein macht mich so glücklich...wenn es nach mir geht, dann werde ich dich nie davon abhalten, mich zum Strahlen zu bringen.«
Liebevoll lächelnd sah ich ihn an. Selbstverständlich wusste ich, dass niemand wissen konnte was die Zukunft brachte. Und ich war rational genug, um zu wissen, dass viele Paare, die sich in unserem Alter kennen und lieben gelernt hatten, irgendwann getrennte Wege gingen. Doch das hieß nicht, dass ich nun schon die Flinte ins Korn werfen würde. Nein, um Marco und seine Liebe, unsere Zukunft, würde ich kämpfen solange es ging.
»Ich liebe dich, Timo. Ich liebe dich so sehr, dass es mich manchmal erschreckt. Ohne dich bin ich nur noch ein halber Mensch. Um glücklich zu sein, brauche ich dich.«
»Mir geht es genauso. Du bist mir das wichtigste in meinem Leben. Es macht mir Angst, daran zu denken, dass es irgendwann anders sein, das ich dich womöglich verlieren könnte. Doch von diesen Gedanken werde ich mir das Leben, das wir haben, nicht zerstören lassen. Keiner kann das was kommt beeinflussen. Deshalb werde ich dich jeden Tag so lieben wie du es verdienst. Ich möchte nichts bereuen.« Meine Finger glitten durch das blonde Haar meines Engels. »Ich liebe dich so sehr.«
Den restlichen Tag verbrachten wir im Park, ließen uns von der Sonne braten und waren dankbar für diese Zeit nur für uns.
Die Dämmerung setzte ein und wir genossen den Anblick des wundervollsten Sonnenuntergangs denn ich je gesehen hatte. Der ganze Himmel schien zu glühen.
Marco griff nach meiner Hand und hauchte einen Kuss auf die Handinnenfläche.
»Ich habe eine Überraschung für dich.«
Immer noch ganz ergriffen von dem Naturschauspiel das sich uns bot, drehte ich den Kopf zur Seite. Nervös sah mich Marco an, kaute auf seiner Unterlippe herum.
»Was für eine Überraschung? Was ist los? Du siehst aus, als würdest du dich nicht wohl fühlen. Ist alles okay?« Besorgt musterte ich ihn, konnte aber nichts feststellen.
»Ich fühle mich gut, es ist nichts mit mir. Es ist nur, das ich mir die Freiheit genommen und uns für das Wochenende ein Hotelzimmer gemietet habe. Also ich habe Milos gebeten es zu tun, da sie an Minderjährige nicht vermieten.« Seine Ohren glühten im selben Ton wie seine Wangen und das lag nicht am Schein der untergehenden Sonne.
Nun begriff ich was los war.
»Du...wir...«, stammelte ich zuerst und räusperte mich mehrmals, bevor ich weitersprechen konnte. »Wir werden ein ganzes Wochenende nur für uns haben und können all das tun, was wir wollen?!«
Aufregung überrollte mich, in meinem Bauch starteten Horden von Schmetterlingen und mein Herz begann heftig zu schlagen. Mann, ich wusste gar nicht, dass man von einer Sekunde auf die andere so nervös werden konnte. Aber es ging. Mit großen Augen sah ich Marco an und erkannte in seinen dieselbe Nervosität, die ich spürte.
»Das Zimmer hat einen eigenen Whirlpool, eine riesige Dusche, ein Kingsize-Bett, einfach alles, damit es perfekt wird«, erklärte Marco aufgeregt.
»Zimmer? Meinst du nicht eher Suite? Das ist doch viel zu teuer.«
Ich freute mich, dass er sich so viel Mühe mit der Vorbereitung gegeben hatte, doch unter keinen Umständen wollte ich, dass er sich deswegen verschuldete.
»Ja, es ist eine Suite«, gab er etwas zerknirscht zu. »Aber so teuer war sie gar nicht. Milos kennt den Sohn des Besitzers und so haben sie ihm einen guten Preis gemacht. Ich kann mir das ohne Probleme leisten, wirklich. Meine Großeltern überweisen mir jedes Jahr immer wieder Geld und das spare ich. Du glaubst nicht, was da mit der Zeit zusammenkommt.« Fröhlich lächelnd sah er mich an.
Nun konnte ich mich nicht mehr zurückhalten und küsste ihn leidenschaftlich. Alle Bedenken waren wie weggeblasen.
Wir würden das ganze Wochenende miteinander verbringen, ohne Hektik und Druck, nur wir beide. Es würde wundervoll werden, da war ich mir sicher.
»Jetzt bin ich froh, dass ich vor zwei Wochen all das besorgt habe, was wir so brauchen könnten.« Zweideutig grinsend sah ich Marco an und wackelte mit den Augenbrauen, was ihn zum Lachen brachte.
»Wir sind schon zwei Spezialisten«, sagte Marco immer noch lachend.
»Oh ja, das sind wir. Wir denken viel zu viel, aber am Ende wird sich das sicher auszahlen. So haben wir für alle Eventualitäten vorgesorgt und erleben keine bösen Überraschungen.«
Zugegebener Maßen gab es niemanden, den ich kannte, der sich um sein erstes Mal solche Gedanken machte wie wir. Aber ich hatte irgendwie Bammel davor und die Planung beruhigte mich. Das war schon immer so gewesen. Wenn ich mir wegen irgendwas Sorgen machte, versuchte ich alles genau zu planen, so dass die Anspannung nachließ.
Und wie es aussah, ging es Marco da ähnlich. Das war ein Meilenstein in unserer Beziehung, es sollte nichts schief gehen.
Jeder durfte doch eine seltsame Eigenart haben, das war eben meine. Es brachte ja auch niemandem etwas, wenn ich vor lauter Aufregung einfach umkippte.
Nach einem gemeinsamen Frühstück, bei dem wir unseren Eltern erklärt hatten, dass wir dieses Wochenende die abgeschlossenen Prüfungen feiern wollten, machten wir uns fertig.
Immer noch hatte ich den Blick meines Vaters vor Augen, der mich so wissend angesehen hatte. Das ich dabei rot angelaufen war, hatte ihn sicher noch in seinen Vermutungen bestärkt.
Weder Marcos noch meine Eltern hatten etwas dagegen einzuwenden, dass wir die Zeit alleine verbringen würden. Sie wussten, dass wir verantwortungsbewusst waren und keinen Blödsinn anstellten.
Als ich mit meiner Zahnbürste aus dem Badezimmer kam, stand mein Dad im Flur und sah mich an. In seinem Gesicht lag etwas Ernstes.
»Wann bist du nur so erwachsen geworden, mein Junge?«, fragte er und Sekunden später fand ich mich in einer festen Umarmung wieder, die ich erwiderte. »Ich wünsche dir und Marco ein schönes Wochenende. Versprich mir nur, das ihr...na ja, das ihr euch schützt.«
Augenblicklich schoss mir Hitze in den Kopf und auch die Wangen meines Vaters färbten sich rot.
Auch wenn die Situation peinlich war, fand ich es schön, dass er sich so um mich sorgte.
»Das werden wir«, erwiderte ich leise.
»Gut, dann mach dich fertig, damit ihr loskommt.« Bevor er sich abwandte, drückte er mir noch etwas in die Hand. Ich hatte keine Gelegenheit etwas zu sagen, da er schon in der Küche verschwunden war.
Mein Blick wanderte zu meiner Hand. Nun glühte mein Körper, wahrscheinlich würde ich bald vor lauter erröten in Ohnmacht fallen.
Er hatte mir doch tatsächlich eine Packung Kondome in die Hand gedrückt.
Den Blick darauf gerichtet ging ich in mein Zimmer, wo Marco auf dem Bett saß, seine gepackte Tasche neben sich und auf mich wartete.
»Du glaubst nicht was gerade passiert ist«, stieß ich heiser hervor und reichte ihm die Verpackung.
Seine Gesichtsfarbe passte sich meiner an.
»Deine Mom oder dein Dad?«, fragte er und grinste schief.
»Von meinem Dad.« Ich ließ mich neben ihm nieder. »Man sieht mir wohl an der Nasenspitze an, das wir etwas tun wollen, was wir vorher noch nie getan haben. Vielleicht kennt er mich auch einfach nur zu gut.« Meinen Kopf auf seine Schulter gelegt schmiegte ich mich an ihn.
»Wir sind wohl beide ein offenes Buch für unsere Eltern. Aber mir ist das egal. Sie wussten auch vorher, das wir beide keine Heiligen und vor allem alt genug sind. Andere in unserem Alter sind nicht vernünftig, schützen sich nicht oder überstürzen alles. Nicht ohne Grund gibt es so viele sehr junge Mütter. Zwar möchte ich nicht, das unsere Eltern alles wissen, aber es ist etwas natürliches, vollkommen normal, dafür werde ich mich nicht schämen.«
»Ich auch nicht. Unsere Eltern sind cool drauf, nicht prüde, das können sicher nicht viele von ihren behaupten.«
Eine Stunde später lud uns mein Vater vor dem Hotel ab.
Mit wild pochendem Herzen ging ich neben Marco her ins Gebäude. An der Rezeption erhielten wir unsere Schlüsselkarten.
Im Aufzug, der uns nach oben brachte, zitterten meine Hände so sehr, das mir fast meine Tasche aus der Hand geglitten wäre.
Vor unserem Zimmer blieben wir stehen und Marco sah mich liebevoll lächelnd an.
»Wir lassen uns Zeit, okay? Keiner drängt uns dazu. Wenn es nicht funktioniert, dann ist es auch gut. Es sollen einfach zwei schöne, unvergessliche Tage werden.«
Ich nickte und atmete tief durch.
Er hielt meine Hand fest in seiner, als er die Tür öffnete.
Wir traten ein und mir blieb erst einmal der Mund offen stehen.
Der Raum war riesig. Eine gemütliche Couchlandschaft lud zum kuscheln ein, an der Wand hing ein riesiger Flachbildfernseher. Vom Wohnraum ging eine Türe ab, die ins Schlafzimmer führte, wo wir unsere Taschen abstellten. Das Bett sah unglaublich bequem aus.
Von dort aus gelangte man in ein Badezimmer, das mehr ein Wellnesslandschaft war.
In einer Ecke sah ich den Whirlpool und konnte es nicht erwarten, ihn mit Marco zusammen auszuprobieren.
Marco trat hinter mich, schlang mir die Arme um die Brust und legte sein Kinn auf meiner Schulter ab. Augenblicklich kuschelte ich mich an seine breite Brust.
»Du bist schon irre...aber dafür liebe ich dich ja auch so sehr.«
Diese Suite übertraf all meine Vorstellungen. Seine Lippen legten sich auf die empfindliche Haut meines Halses als er mich dort küsste.
Sanft knabberte er an meinem Ohrläppchen, was mir ein Stöhnen entlockte. Marco wusste, was mir gefiel.
In seinen Armen drehte ich mich um.
Sogleich senkten sich seine Lippen auf meine.
Vorfreude flutete mich, verdrängte alles andere.
Bei Marco musste ich mir keine Gedanken machen, er war der zärtlichste Mann den ich kannte. Noch nie hatte er mich zu irgendetwas gedrängt. Selbst wenn wir beide bis in die Haarspitzen erregt waren, achtete er noch darauf, dass ich mich mit all dem, was er tat, auch wohlfühlte.
Konnte man sich für sein erstes Mal jemand besseren wünschen?
Ohne den Kuss zu unterbrechen schob er mich zurück ins Schlafzimmer. Mit den Kniekehlen stieß ich gegen die Matratze und ließ mich nach hinten fallen, zog ihn mit mir.
Schwer kam er auf mir zu liegen. Ich genoss dieses Gefühl sehr und schob meine Hände unter sein T-Shirt.
Forschend glitten sie über seine heiße Haut, strichen seine trainierte Brust entlang und spielten an den kleinen Knospen, die sich unter meiner Berührung aufrichteten. Leise stöhnte er in meinen Mund. Er liebte es wenn ich ihn dort berührt, seine Brustwarzen waren sehr empfindlich.
Auch er blieb nicht untätig. Marco schob mir den störenden Stoff nach oben, wanderte mit einer Hand über meine Brust und den Bauch nach unten.
Kurz lösten wir uns voneinander, um uns gegenseitig die T-Shirts auszuziehen, dann lag er schon wieder auf mir und rieb sich an meinem Unterleib.
Seine nackte Haut fühlte sich auf meiner unglaublich gut an. Mit jeder Berührung sehnte ich mich nach mehr, stöhnte leise auf.
Mit zitternden Fingern öffnete ich seine Jeans und schob sie ihm nach unten.
Gierig krallte ich mich in seinen perfekten Knackarsch, was ihm ein Geräusch entlockte, das einem knurren glich. Scheinbar gefiel es ihm, wenn ich etwas fordernder war.
Nach einer Weile lagen unsere Hosen am Boden und leisteten den T-Shirts Gesellschaft.
Immer wieder streifte Marco wie zufällig die Beule in meiner Hose, brachte mich zum keuchen. Ich wollte spüren, wie er ihn in die Hand nahm und ich sehnte mich danach, ihn ebenso zu berühren.
Mit einer schnellen Drehung kam ich über ihm zum Liegen.
Leidenschaftlich küsste ich ihn, ließ meine Zunge in seinen Mund und meine Hand in seine Boxershorts gleiten.
Leise fluchte Marco in den Kuss hinein, wand sich und drängte sich mir gleichzeitig entgegen. Langsam ließ ich seine Härte durch meine Finger gleiten, spürte, wie sie immer weiter anschwoll.
Ich spürte, wie seine Hand einen Weg unter den letzten Rest Stoff fand den ich trug und sich um meinen Schwanz legte. All die vielen intensiven Empfindungen ließen mich erbeben.
Das ich nur Minuten später laut stöhnend kam, ist demnach nicht verwunderlich.
Kurz darauf brachte ich Marco ebenfalls zum Höhepunkt.
Schwer atmend lagen wir nebeneinander und grinsten uns an.
»Ich glaube, das wird ein sehr anstrengendes Wochenende«, sagte er leise, während seine Hand über meinen Oberkörper glitt und dort die Spuren meines Orgasmus verteilte.
»Damit habe ich kein Problem, das Zimmer ist perfekt zum Erholen geeignet«, gab ich zurück und lachte leise.
Mit diesen Worten erhob ich mich und zog ihn mit mir ins Badezimmer.
Auf dem Weg dahin entledigte ich mich meiner Boxershorts und schaltete den Whirlpool ein, als ich diesen erreichte.
Meinen Blick nicht von Marco nehmend stieg ich hinein und ließ mich ins Wasser sinken.
Nackt wie Gott ihn geschaffen hatte, begab sich mein Engel zu mir.
Während sein Körper ins warme Wasser glitt, konnte ich meinen Blick nicht von ihm nehmen. Okay, ich starrte ihn an, so ungeniert wie noch nie zuvor.
»Du siehst aus, als würdest du mich fressen wollen«, raunte Marco mir ins Ohr, als er sich zu mir beugte und seine Hände unter Wasser auf Wanderschaft schickte.
»Genau das will ich auch...du bist so verdammt lecker...«, stieß ich atemlos hervor. Dieser Kerl würde mich irgendwann noch meinen Verstand kosten, da war ich mir sicher.
Wir verbrachten eine gefühlte Ewigkeit im Wasser, nutzen die Zeit, um ums gegenseitig mit Mund und Händen auf alle möglichen Arten zu verwöhnen. Mein Kopf hatte sich vollkommen ausgeschaltet, ich bestand nur noch aus Erregung, Lust und tiefer Liebe, fühlte mich, als würde ich auf Wolken schweben, die mich davontrugen.
Während ich mich schließlich abtrocknete eilte Marco schon ins Schlafzimmer. Ich hörte ihn etwas aus seiner Tasche kramen. Was hatte er vor?
Etwas unsicher geworden lugte ich um die Ecke und mir entkam, bei dem was ich da erkannte, ein leises Stöhnen, das Marco hörte und aufsah.
Vor sich auf dem Bett hatte er einige Utensilien verteilt, darunter Gleitgel, Kondome und einige Sextoys.
Mit rosa Wangen sah er mich an.
»Ich dachte, ich lege die Sachen lieber bereit...nicht das wir...also... .« Er unterbrach sich selbst und sah beschämt zu Boden.
Schnell war ich bei ihm und hob sein Kinn an.
»Das war eine wunderbare Idee. Wir brauchen all das. Nachher möchte ich nicht nach den Kondomen oder so suchen müssen, das würde die Stimmung zerstören.«
Ich drehte mich um und betrachtete die Dinge auf dem Bett. Marco presste sich von hinten an mich, sein halbsteifes Glied drückte sich an meinen Hintern.
In diesem Moment traf ich eine Entscheidung. Das Herz schlug mir bis zum Hals, als ich nach einem kleinen Buttplug griff und mich zu ihm umwandte.
»Bereitest du mich vor?«
Marcos Augen weiteten sich, als er begriff, was ich ihm damit sagen wollte.
»Bist du dir sicher?«, fragte er leise. »Ich kann auch...du musst es nicht tun.«
»Ich möchte es aber. Dich zu spüren ist etwas, das ich mir schon lange wünsche. Und wir haben ja dieses Wochenende genügend Zeit. Dieses Mal wird sicher nicht unser letztes Mal sein.«
Wortlos, aber mit einem Blick der mir durch und durch ging, hob er mich hoch und legte mich sanft auf dem Bett ab. Mindestens eine Minute stand er über mir und betrachtete mich, als sei ich das begehrenswerteste auf dieser Welt. Noch nie war ich mir so attraktiv vorgekommen
Ich griff nach seinem Arm und zog ihn zu mir herunter. Unsere Münder trafen sich zu einem Kuss, der so viel mehr war als das. So zärtlich wie sich Marcos Lippen auf meinen bewegten war es wie ein Versprechen.
Obwohl ich tierisch nervös war und mein Puls raste wie verrückt, entspannte ich mich schnell unter den sanften Berührungen meines Freundes.
Er war ein sehr gewissenhafter Mensch und das ließ er mich nun auch hier spüren. Jedem Millimeter meines Körpers widmete er sich mit einer Engelsgeduld, ließ mich vor Lust wimmern.
Nach einer Weile hörte ich, wie er eine Tube öffnete und hob den Blick. Ich sah ihm zu, wie er Gleitgel auf dem kleinsten Plug verteilte. Danach träufelte er etwas auf seinen Finger, den er anschließend ganz behutsam über meinen Muskel gleiten ließ. Es fühlte sich im ersten Moment kühl und etwas seltsam an, doch als er den Druck verstärkte, begann mich dort zu massieren, war es einfach nur noch unglaublich.
Ihm vollkommen vertrauend schloss ich die Augen, überließ mich ganz meinen Sinnen.
Seine Fingerspitze glitt immer wieder leicht in mich und bald war ich so entspannt, das er ganz hineingleiten konnte.
Als er das Spielzeug zur Hand nahm, verspürte ich zuerst einen Druck, der jedoch nicht unangenehm war, sich immer mehr steigerte, bis es vollkommen in mir war.
Langgezogen stöhnte ich auf.
»Wow...«, stieß ich hervor und verdrehte die Augen.
Sacht begann Marco, das Toy in mir zu bewegen. Die Reibung und der Druck waren so intensiv, das ich unkontrolliert erzitterte.
Meine Beine klappten noch weiter auf, boten ihm so mehr Platz.
Mit der Zeit bewegte er den Plug in mir intensiver, weitete mich damit langsam aber sicher immer mehr.
Ich streckte meine Hände nach ihm aus, berührte ihn dort wo ich ihn erreichen konnte.
Sein Schwanz stand steif von seinem Körper ab. Immer wieder strichen meine Finger über das heiße Fleisch.
»Bist du...bereit?« Seine Stimme war rau, man hörte ihm an, wie erregt er war.
»Ja...ich will dich spüren...muss dich spüren«, erwiderte ich und war mir bewusst, wie sehnsüchtig ich mich anhörte.
Als er das Spielzeug aus mir herauszog, fühlte ich mich kurz seltsam leer und verlassen.
Während ich ihm das Kondom überstreifte bebten meine Finger.
Ich wollte das so sehr, konnte mich auf nichts anderes als auf Marco konzentrieren. Dieser rieb sein steifes Glied noch mit einer großzügigen Portion Gleitgel ein, bevor er sich langsam über mich schob und mir tief in die Augen sah.
»Bitte sag mir, wenn es zu sehr wehtut...ich will nicht das du Schmerzen hast.«
Marco war so besorgt, was mir unendlich viel bedeutete.
So geduldig und rücksichtsvoll wie er waren sicher nicht viele. Zusammen hatten wir schon so viel ausprobiert und nun würde es soweit sein. Endlich würde ich ihn in mir spüren.
»Das werde ich, keine Sorge.«
Ein Lächeln erhellte sein Gesicht, als er meine Beine etwas nach oben drückte. Wir waren uns einig, dass wir uns dabei in die Augen schauen wollten und diese Stellung war dafür am besten geeignet.
Vorsichtig setzte er die Spitze seines Schwanzes an meinen weichen Muskel und begann, sich langsam und leise keuchend in mich zu schieben. Er ließ sich Zeit, achtete genau darauf, wie ich reagierte.
Der Druck wurde immer stärker, je weiter er in mich glitt. Kurz dachte ich, es wäre zu viel, spannte mich an weil es wehtat, doch dann fühlte es sich einfach nur noch gut an. Der Schmerz verwandelte sich in pure Lust.
Laut stöhnend vergrub ich meine Hände in seinen Haaren, hielt ihn bei mir. Als er ganz in mir war, bwegte sich Marco nicht, sah mich einfach nur mit verklärtem Blick an, bevor er seinen Mund auf meinen senkte und begann, langsam in mich zu stoßen.
Sein Stöhnen jagte mir Schauer über den Rücken, machten mich noch mehr an.
Bei jeder Bewegung seines Körpers reizte er meine Härte.
So etwas Intensives hatte ich noch nie zuvor gespürt und würde mich daran sicher ewig erinnern.
Immer schneller und fahriger wurden seine Stöße, unsere Küsse immer leidenschaftlicher.
Alles in mir zog sich zusammen, schoss in meine Körpermitte.
Marcos nächster Stoß ließ mich Sternchen sehen.
Mit einem Aufschrei kam ich heftig, mein Körper vibrierte förmlich.
Nach einigen weiteren Stößen folgte mir mein Engel.
Stoßweise atmend sank er auf mich.
Wir brauchten beide eine Weile, um wieder klar denken und sprechen zu können.
Das Kondom ließ Marco neben das Bett fallen, nachdem er sich aus mir zurückgezogen hatte und legte sich dann eng an meinen Rücken gekuschelt zu mir.
»Wie fühlst du dich, mein Schatz?« Ich drehte den Kopf und begegnete seinem fragenden Blick.
»Ich habe mich in meinem ganzen Leben noch nicht so gut gefühlt wie gerade. Es war...unglaublich.« Strahlend sah ich meinen Freund an. Es war die richtige Entscheidung, ins Hotel zu gehen. Manche würden es wahrscheinlich für übertrieben halten, doch so hatten wir Ruhe, konnten uns spielerisch herantasten und uns die Zeit lassen, die wir brauchten.
So viele Horrorgeschichten darüber, wie es war das erste Mal genommen zu werden, hatte ich im Internet gelesen und mir deshalb den totalen Kopf gemacht. Okay, es war kurz unangenehm gewesen, aber das war nichts im Vergleich zu den Empfindungen, die ich danach gefühlt hatte. Und es fühlte sich immer noch an, als wäre er in mir, was mir sehr gefiel.
Für uns würden diese beiden Tage immer etwas Schönes sein, ohne den schalen Beigeschmack der Enttäuschung oder der Erinnerung an Schmerzen.
»Oh ja, mir geht es genauso. Mit dir so verbunden zu sein ist mit nichts vergleichbar.« Marco küsste mich zärtlich in den Nacken. »Noch näher kann man sich niemals sein. Du und ich, wir gehören zusammen.«
Daran wie seine Stimme brach erkannte ich, wie bewegt er von all dem war. Es spiegelte meine Gefühle wieder. Meine Emotionen waren ein einziges Chaos, gleichzeitig lachen und weinen zu wollen war sicher nicht alltäglich.
Liebe war etwas Wunderschönes und langsam begriff ich, wie innig man lieben konnte, wenn man den richtigen Partner an seiner Seite hatte.
Nervenaufreibende Wochen lagen hinter uns. Nun endlich stand fest, dass alle aus unserer Clique den Abschluss geschafft hatten.
Zur Feier des Tages hatte ich Marco spontan zu einem romantischen Essen eingeladen.
Nun saßen wir in einem gemütlichen Restaurant, im Hintergrund spielte leise Musik, die das gemütliche Ambiente noch untermalte.
Marcos Bein berührte hin und wieder wie zufällig meines, was mir Schauer durch den Körper jagte. Seinem Grinsen nach zu urteilen, wusste er ganz genau, was er bei mir auslöste.
Seit unserem gemeinsamen Wochenende im Hotel war ich noch versessener als zuvor, mit ihm allein zu sein oder auch nur berührt zu werden.
Nicht, dass ich die ganze Zeit nur Sex wollte, es ging mir viel mehr um seine Nähe und die Art und Weise, wie er mich an sich drückte und in seinen Armen hielt.
Wenn ich mich an ihn schmiegte oder er sich an mich, dann war die Welt in Ordnung.
»Was möchtest du?«, fragte ich ihn und schenkte ihm einen verliebten Blick, den er ebenso erwiderte.
»Ich denke, dass ich die Tortellini alla panna nehme. Und du?«
»Auch Tortellini, aber alla forno.« Ich konnte nicht anders, ich stand einfach auf alles was überbacken war.
»Die sind hier auch sehr lecker.«
Kurz darauf kam der Kellner und nahm unsere Bestellung entgegen.
Nach einem Schluck eisgekühlter Cola griff ich nach seiner Hand und verschränkte unsere Finger miteinander.
»Bist du dir noch sicher wegen dem Abschlussball? Danach gibt es kein Zurück mehr.«
Auch wenn wir es schon besprochen hatten, wollte ich sicher gehen. Es wäre ja möglich, dass er es sich in den vergangenen Wochen doch anders überlegt hatte.
Daraus würde ich ihm niemals einen Vorwurf machen. Dieser Schritt aus dem Verborgenen ins Licht der Öffentlichkeit war ein großer, der wohl überlegt sein wollte.
»Absolut sicher. Ich möchte, dass sie es alles wissen. Du gehörst mir.«
Leise lachte ich auf.
»Du bist ja überhaupt nicht besitzergreifend.«
Er stimmte in mein Lachen mit ein.
»Na ja, ein bisschen vielleicht schon. Aber ich gehöre ja auch dir, mit Haut und Haaren«, erwiderte Marco und lächelte mich mit seinem süßen Lächeln an. Sein Daumen strich zärtlich über meinen.
Mann, ich hatte schon unverschämtes Glück, das dieser Kerl mich liebte.
Ich beugte mich zu ihm.
»Wir gehören einander«, raunte ich leise nah an seinem Ohr und merke, wie er erschauderte.
Ohne Vorwarnung legte sich seine Hand in meinen Nacken, zog mich nach vorne und schon lagen seine weichen Lippen auf meinen.
Mich umhüllte sein unglaublicher Duft, den ich tief einatmete.
Sein Kuss war sanft und doch löste er in mir den Wunsch nach mehr aus. Widerwillig löste ich schließlich den Kuss, da ich nicht wollte, das die anderen Gäste mehr zu sehen bekamen als unbedingt nötig.
»Verdammt...ich kann kam die Finger von dir lassen wenn du mich so ansiehst und deine Lippen rot sind vom küssen«, stieß Marco atemlos hervor.
»Du solltest mich nicht so küssen mein Schatz, du bist selbst schuld.« Ich zwinkerte frech, doch er kam nicht mehr dazu etwas zu sagen, da man uns unser Essen brachte.
Das Essen gab uns beiden die Möglichkeit, ein wenig abzukühlen, wobei es mir sehr gefiel, dass er mich so selbstverständlich und ohne Angst an diesem öffentlichen Ort küsste. Es fühlte sich so gut an, sich nicht mehr zu verstecken.
Marco war die Liebe meines Lebens, mit ihm wollte ich mir eine gemeinsame Zukunft aufbauen, jeder sollte sehen, wie sehr ich ihn liebte. Wir waren kein Paar, das sich außerhalb der eignen vier Wände andauernd anspringen musste, doch es tat sehr gut, nun Zärtlichkeiten austauschen zu können, seine Hand zu halten, ohne in Panik zu geraten beim Gedanken daran, wer es sehen könnte.
Nachdem die Teller geleert waren, bestellte Marco uns noch ein Tiramisu, mit dem wir uns gegenseitig fütterten.
Ich bemerkte gar nicht, wie sehr ich Marco anschmachtete.
Erst als neben uns eine Stimme erklang, sah ich leicht verwirrt auf.
»Oh Anton, schau, die beiden sind zu herzig. Das muss wahre Liebe sein. Ich hoffe das unser Enkel auch so einen jungen Mann finden wird.«
Am Tisch neben uns hatte sich ein älteres Paar niedergelassen und die Frau sah uns beide mit einem strahlenden Lächeln an. Ihr Mann war etwas zurückhaltender, doch auch sein Blick war offen und freundlich.
Marco drückte meine Hand und zeigte unverhohlen seine Freude darüber, wie das Paar auf uns reagierte. Gerade in deren Generation war das Verständnis dafür, dass sich zwei Männer liebten, nicht selbstverständlich.
Natürlich war noch nicht alles perfekt, das würde noch seine Zeit brauchen, aber die Akzeptanz in der Gesellschaft nahm zu, sie waren also auf einem guten Weg.
Draußen wurde es langsam dunkel, die untergehende Sonne tauchte alles in ein sanftes rot.
Marco legte den Arm um mich, ich kuschelte mich im Gehen an seine Seite. Immer wieder hauchte er mir hauchzarte Küsse auf die Schläfe.
Mein glückliches Grinsen würde ich sobald wohl nicht loswerden.
Gerade war alles perfekt. Wir hatten den Abschluss in der Tasche, in groben Zügen wussten wir, wohin uns unsere Zukunft führen würde, unsere Freunden ging es gut. Selbst Thomas hatte sich von seinen Verletzungen vollständig erholt, was wohl sehr an der liebevollen Pflege von Milos gelegen haben dürfte. Und in ein paar Tagen würden sie zusammen ihre Klassenkameraden schocken, wenn sie Hand in Hand bei der Feier erschienen. Sie wollten beide, dass dieser Abend allen noch lange im Gedächtnis blieb.
»Worüber grübelst du schon wieder nach mein Schatz?«, fragte Marco. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass wir stehengeblieben waren.
»Ach, nur darüber, wie die Leute wohl reagieren werden, wenn wir beide als Paar auftauchen. Ich hätte Zugern eine Kamera dabei, um die dummen Gesichter für die Ewigkeit festhalten zu können«, erklärte ich und lachte leise.
Jetzt erkannte ich auch, wo wir uns befanden. Das war unser Platz, hier hielten wir uns allein oder als Clique so gern auf. Nun schob sich aber noch ein anderes Bild in meine Erinnerungen, verdrängte die lustigen und schönen Ereignisse.
Marco, wie er hier lag, ohne Bewusstsein und so verdammt kalt.
»Du zitterst ja, frierst du?« Mit besorgter Miene musterte mein Freund mich und drückte mich enger an sich.
Sofort spürte ich unter dem Stoff seines T-Shirts seine warme Haut. Diese übertrug sich auf mich und verdrängte alles andere.
»Ach, ich musste an diesen Abend denken...als du... . Mach so was nur nie wieder, hörst du! Das war ein Schreck, den ich wohl nie vergessen werde«, sagte ich leise und sah ihm dabei tief in die Augen.
In seinen blitzte die Erkenntnis auf.
»Oh Süßer. Du musst keine Angst haben, sowas dummes werde ich niemals wieder tun. Ich liebe dich und möchte dich und deine Liebe unter keinen Umständen mehr verlieren.«
Seine sanften Hände legten sich an meine Wangen, seine Daumen glitten zärtlich darüber.
»Das will ich dir auch geraten haben. Ohne dich will ich nämlich nicht mehr sein.«
Meine Lippen senkten sich liebevoll auf seine, meine Zunge drang behutsam in seinen Mund ein und umspielte ihr Gegenstück. Gemächlich, ganz ohne Hast, küssten wir uns.
Auch jetzt noch wollte ich mich hin und wieder kneifen, um sicher zu gehen, dass ich das alles nicht träumte. Mein Engel war wirklich bei mir, brachte mich allein mit seiner Nähe um den Verstand.
Zu gern würde ich diesen Augenblick einfangen, um ihn für die Ewigkeit zu konservieren.
Keiner konnte uns sagen, was die Zukunft mit sich brachte, aber Momente wie diese konnte uns nichts und niemand mehr nehmen.
Heute war der große Tag. Vormittags würden wir in einer kleinen Zeremonie unsere Zeugnisse erhalten und abends sollte der Ball stattfinden.
Manche würden wohl weniger elegant auftauchen, doch wir hatten beschlossen, uns so richtig herauszuputzen.
Gestern hatte ich Marco in seinem Anzug gesehen. Meine Selbstbeherrschung war auf eine harte Probe gestellt worden, da er in dem edlen Zwirn einfach hammermäßig aussah.
Mit meinem Outfit war ich auch sehr zufrieden. Nicht zu übertrieben, aber doch auffällig genug.
Thomas, Ben, Jay und Sarah würden wir vor dem Schulgebäude treffen und gemeinsam hineingehen.
Ob Jay und Thomas Milos und Richie mitbringen würden, stand noch nicht fest. Ich hoffe es, denn ich wollte, dass meine Freunde an diesem Abend ebenso viel Spaß hatten wie Marco und ich und dazu gehörten ihre Partner auf jeden Fall dazu.
Die beiden gehörten schon fest zu unserer Clique.
Sie taten meinen Freunden unwahrscheinlich gut. Erst in den letzten Wochen war mir bewusst geworden, wie sehr. Jay war so ausgeglichen und in sich ruhend, das es jemandem, der ihn kannte, sofort auffiel. Klar war er auch noch immer aufgedreht und ein bisschen verrückt, doch man merkte, dass er langsam seine Mitte fand.
Thomas Wandlung war noch tiefgreifender. Zuvor war er oft aufbrausend und unsicher gewesen. Milos hatte ihm viel von seiner Unsicherheit genommen und seit sein Vater nicht mehr Teil seines Lebens war, gab er sich so, wie er wirklich war, konnte auch seine sanfte Seite zeigen, ohne dafür von seinem Erzeuger oder seinen ehemaligen Freunden fertiggemacht zu werden. Er lachte mehr und selbst ein Blinder sah ihm an, wie glücklich er war.
Um 10 Uhr erreichten die Wagen der Teuberts und unserer gleichzeitig den Parkplatz.
Unsere Eltern waren sehr stolz auf uns und zeigten das auch.
Lisa und Alexander konnten leider nicht dabei sein, da sie noch Schule hatten.
»Lasst uns reingehen«, sagte mein Vater und ging Hand in Hand mit meiner Mutter vor.
Marcos Eltern folgten ihnen. Wir bleiben etwas zurück, da wir noch auf die anderen warteten, die nach und nach eintrafen.
In der Aula waren Stühle aufgebaut worden. Fast jeder Schüler hatte zumindest einen Elternteil dabei, so dass es nur noch wenige freie Plätze gab.
Als alle saßen, trat der Direktor auf die kleine Bühne ans Mikrofon und begrüßte alle Anwesenden.
Seine Rede war überschaubar. Dafür waren ihm alle dankbar, da es kaum etwas Schlimmeres gab, als bei einer solchen Veranstaltung ins Koma geredet zu werden.
Der Schulchor gab ein paar Lieder zum Besten, bevor wir nacheinander aufgerufen und uns die Zeugnisse überreicht wurden.
Endlich dieses Stück Papier in den Händen zu halten, das für den weiteren Weg im Leben so wichtig war, fühlte sich gut an. Mit einem breiten Lächeln ließ ich mich neben Marco auf meinen Stuhl sinken. Er würde etwas später aufgerufen werden.
Sein Knie schmiegte sich an meines.
Oh man, ich konnte den Abend kaum erwarten. Dann würde ich ihn vor allen um den Verstand küssen.
Bis alle dran waren zog es sich noch etwas, doch dann war es endlich vorbei.
Grinsend gingen wir nach draußen.
»Na, wie sieht es aus bei euch?« Ich sah Thomas und Jay interessiert an.
»Milos wird mitkommen. Gestern waren wir dafür extra shoppen«, antwortete er zwinkernd. »Mit ihm macht mir sogar das Spaß.«
Leise lachend stupste Jay ihn mit dem Ellenbogen an.
»Du nimmst mir das Wort aus dem Mund, mein Freund. Richie und ich kommen auch zusammen. Man, ich bin schon so gespannt darauf, wie die ganzen Leute schauen werden. Damit rechnet sicher keiner.«
»Ihr vier werdet einige Mädchenherzen brechen, soviel steht fest.« Sarah gesellte sich zu uns und schmunzelte. »Auch wenn ihr es mir nie glauben wollt, ihr seid begehrt unter der holden Weiblichkeit unseres Jahrgangs.«
»Damit müssen sie nun leben. Wir haben den Richtigen schon gefunden.« Jay strahlte übers ganze Gesicht und man wusste, wo er mit seinen Gedanken gerade war.
»Drückt mir die Daumen, das ich auch bald in diesem Club landen werde. So allein macht es mir keinen Spaß mehr.« Sie und Ben blödelten daraufhin etwas herum, was mich zum Schmunzeln brachte. Diese beiden würden sich wohl nie ändern.
Eine Weile später kamen unsere Eltern und wir verabschiedeten uns bis zum Abend von unseren Freunden.
Wir holten noch Alexander und Lisa von der Schule ab und fuhren dann in die Innenstadt.
Dort hatte mein Vater für uns alle beim besten Asiaten am Platz einen Tisch reserviert.
Noch Stunden später hatte ich das Gefühl, man müsste mich rollen. Okay, ich hatte es wohl etwas übertrieben, aber was sollte ich auch tun, es war zu lecker. Und, dass mich Marco immer wieder mit etwas fütterte, machte die Sache auch nicht besser.
Aufgeregt wie selten zuvor stand ich vor dem Spiegel und betrachtete mich.
Eigentlich war ich zufrieden, strich aber immer wieder nicht vorhandene Falten glatt.
»Ich muss schon sagen, mein Bruder sieht richtig gut aus.« Lisa lehnte in der Tür und ließ ihren anerkennenden Blick über mich wandern.
Langsam drehte ich mich ganz zu ihr.
»Danke Schwesterherz. Ich will heute so gut wie möglich aussehen, schließlich soll sich Marco mit mir nicht blamieren.«
»Das wird er sich sicher nicht. Ihr werdet die Feier rocken, da bin ich mir sicher. Die werden Augen machen.«
Leise lachte ich auf.
»Diesen Abschlussball wird die Schule so schnell nicht vergessen, soviel steht fest. Schließlich sind es mit Marco und mir gleich drei schwule Paare. Ich bin froh, dass die Schule das nicht so eng sieht. Wenn wir in den Staaten leben würden, müssten wir Angst haben, das sie uns rausschmeißen oder erst gar nicht kommen lassen.«
Lisa kam herein und machte es sich auf dem Bett gemütlich.
»Die sollen da auch ja nichts sagen. Es ist eure Feier und dazu solltet ihr auch den mitnehmen, den ihr wollt und nicht die, die der Schule in den Kram passen«, sagte sie und verschränkte die Arme vor der Brust. Für sie war das alles ganz normal, sie machte keinen Unterschied, liebte mich noch genauso wie vorher. Aber ihr Sinn für Gerechtigkeit hatte sich im letzten Jahr erheblich weiterentwickelt. Wie eine Löwin setzte sie sich ein, wenn sie meinte, dass jemand ungerecht behandelt wurde. Man konnte mit Fug und Recht behaupten, das ich auf meine kleine Schwester unglaublich stolz war.
»Da hast du vollkommen Recht. Wir werden uns von keinem den Abend vermiesen lassen.«
Um 19 Uhr klingelte es und kurz darauf stand Marco in all seiner Pracht in meinem Zimmer.
»Hi mein Schatz.« Zur Begrüßung küsste er mich gleich so heftig, das ich irgendwann atemlos nach Luft schnappte.
Kichernd sah ich ihn an.
»Hi Süßer, ich habe dich auch vermisst.« Eine Strähne, die ihm ins Gesicht fiel, strich ich ihm liebevoll hinters Ohr. »Kann es sein das du etwas aufgeregt bist?«
Sein schiefes Grinsen war mir Antwort genug.
»Ich bin auch aufgeregt. Aber das wird alles super werden. Wir werden diesen Abend genießen, tanzen und es uns gut gehen lassen.«
Marco zog mich an sich und atmete tief durch.
»Du hast Recht. Diesen Tag werden wir nie vergessen.«
Meine Mutter fuhr uns hin. Im Auto hielt ich Marcos Hand in meiner und war froh, dass er bei mir war.
Nachdem wir uns von ihr verabschiedet hatten fuhr sie vom Hof und wir gingen zu Ben, Sarah, Jay, Richie, Thomas und Milos hinüber, die auf uns warteten. Aus dem Gebäude hörte man schon die Musik. Ein paar aus unserer Klasse liefen an uns vorbei und grüßten uns kurz.
»Auf in den Kampf.« Thomas schluckte schwer und griff nach Milos Hand. Dieser hob sie an seine Lippen und hauchte einen Kuss darauf.
»Keine Angst, okay? Ich bin bei dir.«
Ich verstand, dass Thomas sehr unsicher war, vor allem nachdem, was ihm geschehen war. Doch Milos schien ihn beruhigen zu können.
»Genau, lasst uns die Party aufmischen.« Jay wirkte eigentlich ruhig. Wenn man ihn jedoch so gut kannte wie ich, fiel einem auf, wie hibbelig er war. Richie zog ihn in eine innige Umarmung und küsste ihn.
»Beruhige dich Sweetheart. Sonst kippst du mir noch um«, erklärte er grinsend, nachdem er den Kuss gelöst hatte.
»Das sagt sich so leicht.« Er schmiegte sich leicht an seinen Freund. Richie legte sofort die Arme um ihn.
»Bevor das hier noch zur Kuschelrunde wird, scheuche ich euch mal rein.«
Sarah bugsierte uns in Richtung Haupteingang, Ben half ihr dabei.
Mein Herz schlug nun wie wild und mein Magen führte halsbrecherische Manöver durch.
Haltsuchend griff ich nach Marcos Hand. Unsere Finger verschränkten sich miteinander.
Mit etwas zu viel Schwung öffnete ich die Tür, die krachend gegen die Wand schlug. Nun hatten wir wirklich die ungeteilte Aufmerksamkeit aller, die im Flur standen.
Mit großen Augen starrten sie uns an, alle Gespräche erstarben nach und nach.
Den Kopf erhoben ging ich an ihnen vorbei, grüßte die, die ich kannte und ignorierte das Gemurmel, das bald darauf einsetzte.
Mit einem Blick auf die anderen wusste ich, da sie es ebenso hielten.
Das hier war ja auch erst der Anfang. Gleich würden wir den Saal betreten.
Noch einmal atmete ich durch.
Der große Raum war elegant geschmückt. Die Gruppe, die dafür zuständig war, hatte ganze Arbeit geleistet.
Etwas unsicher ließ ich meinen Blick schweifen. Fast in der Mitte entdeckte ich einen freien Tisch, der uns allen Platz bieten würde.
Die Blicke der anderen spürte ich auf mir, als wären es Berührungen, als wir den Saal durchquerten, um zu unserem Tisch zu gelangen.
Von Staunen über Verwunderung bis hin zu Ablehnung konnte ich alle möglichen Gefühlsregungen entdecken.
Doch davon würden wir uns diesen Abend nicht verderben lassen. Wer es nicht sehen wollte, sich daran störte, musste ja nicht hinschauen.
Die anderen setzten sich, während Sarah und ich für alle Getränke holten.
Auf dem Weg zurück zu unserem Platz hielt mich jemand am Arm fest. Innerlich spannte ich mich an, rechnete mit dem Schlimmsten.
Doch dann sah ich hoch in das Gesicht eines Jungen, der in meine Parallelklasse ging.
»Coole Aktion von euch, Respekt.« Mit der Hand fuhr er sich durchs Haar. »Ihr passt gut zusammen...also ich meine...oh man. Ich hoffe ich traue mich das auch irgendwann mal, so mutig wie ihr bin ich nicht«, fügte er etwas leiser hinzu. Da begriff ich was er mir damit sagen wollte.
»Wenn die richtige Zeit gekommen ist, wirst du es merken. Bis dahin brauchst du nichts zu überstürzen. Jeder braucht seine Zeit, um zu sich selbst stehen zu können«, antwortete ich ebenso leise.
»Danke«, sagte er, bevor er sich verabschiedete und in der Menge verschwand.
Seinen Wunsch, jemanden zu haben und sich öffentlich zu sich selbst zu bekennen, verstand ich sehr gut. Es war Teil des Lebens. Natürlich hoffte ich für ihn, dass er so glücklich werden würde, wie es Marco und ich waren.
»Was wollte Basti von dir?« Jay musterte mich skeptisch. »Hat er dich dumm angemacht?«
»Er meinte nur, dass er unsere Aktion cool fand. Und er hofft, dass er auch den Mut finden wird, irgendwann auch so offen zu sein. Wie es aussieht, spielt er in unserem Team.«
Ich ließ mich auf meinem Platz nieder, stellte die Flaschen ab und Marco griff sofort nach meiner Hand.
»Das hätte ich nicht gedacht. Aber, ganz ehrlich, so wie er dich am Arm gepackt hat, dachte ich schon, er will Ärger machen. Noch ne Minute länger und ich wäre wohl aufgestanden und zu euch gekommen.« In seinem Ton schwang ehrliche Sorge mit.
»Es ist süß das du dir Sorgen machst und mich beschützen willst, aber hier, vor all den Leuten, hätte er mir sicher nichts getan.« Meine Hand legte ich an seine Wange und strich zärtlich darüber.
Er beugte sich zu mir und küsste mich besitzergreifend.
»Ich werde immer alles tun um dich zu beschützen«, flüsterte er an meinen Lippen.
Tiefe Zuneigung schwang in seinen leisen Worten mit, berührte mich unglaublich tief.
Glücklich kuschelte ich mich an ihn.
Einige Zeit hörten wir zu, was der DJ so auflegte und unterhielten uns mit unseren Freunden.
Wir alle wurden mit jeder Minute, die verstrich, entspannter.
Was mir nach einer Weile auffiel war, das sich Ben und Sarah immer wieder Blick zuwarfen, die Sarah erröten ließen.
Was war da los? Sarah kannte ich eigentlich nur taff, schüchtern war kein Wort, das ich mit ihr in Verbindung brachte.
»Siehst du das auch?«, fragte ich leise, stupste Marco unauffällig an und wies mit dem Kopf in Richtung der beiden.
Nachdem er sie eine Weile beobachtet hatte, sah er mich wieder an und grinste.
»Ja, ich sehe es auch. Da bahnt sich etwas an wenn du mich fragst.«
Es freute mich für beide. Sie hatten eher wenig Glück in Liebesdingen und verdienten beide jemanden, der sie glücklich machte.
Sarah und Ben kannten sich schon ewig, was meiner Meinung nach nur von Vorteil war. Es würde keine bösen Überraschungen geben, da sie die Eigenarten des jeweils anderen kannten.
In diesem Moment ertönten die ersten Töne von Ed Sheerans Song „Perfect".
Ich sprang auf und hielt Marco meine Hand hin.
»Schatz, tanzt du mit mir?«
Mein Engel ergriff meine Hand und ließ sich von mir auf die Tanzfläche ziehen.
Eng aneinander geschmiegt begannen wir zu tanzen. Seine Hände schlangen sich um meinen Körper, glitten sanft über meinen Rücken.
Ich fühlte mich so wohl, genoss seine Nähe und die Berührungen, die mir eine leichte Gänsehaut bescherten.
Ein Seitenblick zeigte mir, dass sich auch die anderen dazu entschlossen hatten, zu tanzen.
Sogar Ben und Sarah tanzten eng umschlungen neben uns, hatten aber nur Augen füreinander, schienen alles andere ausgeblendet zu haben.
Da flogen förmlich die Herzchen.
Irgendwann in den nächsten Tagen würde ich sie fragen, wie es dazu gekommen war, doch heute wollte ich einfach den Abend in vollen Zügen genießen und auch ihnen diese Zeit lassen. Schließlich wusste ich wie es war, frisch verliebt zu sein.
Anhand der Gespräche die wir im Laufe des Abends immer wieder mit anderen aus unserer Klassenstufe führten wurde deutlich, dass die meisten, nach dem ersten Schreck, kein Problem mit uns drei Pärchen hatten. Im Gegenteil, viele kamen auf uns zu, waren neugierig und stellten Fragen.
Es kam für sie unerwartet, doch die meisten freuten sich ehrlich für uns.
Dumme Kommentare kamen auch, was mich da aber sehr verblüffte war, das nicht wir sondern unsere Klassenkameraden diese Idioten in die Schranken wiesen.
Das zeigte mir deutlich, dass sich zumindest in unserer Generation schon einiges verändert hatte.
Nach dem Abschlussball beschlossen Marco und ich, noch ein wenig durch die angenehm warme Nacht zu spazieren. Hand in Hand liefen wir durch ruhige, menschenleere Straßen, genossen den lauen Wind, der uns etwas abkühlte und waren einfach nur froh, zusammen zu sein.
»Es ist echt super gelaufen. Ich bin froh, dass es keine Probleme gab, das hätte uns sicher den ganzen Abend verdorben. Nun wissen es alle und das ist gut so. Nie wieder will ich mich verstecken«, sagte Marco und warf mir einen Seitenblick zu.
»Mir geht es da ebenso. Zeigen zu können was du mir bedeutest ist unglaublich schön. Ab heute leben wir so, wie wir es wollen.«
Marco blieb stehen, zog mich eng an sich und küsste mich sehr zärtlich.
Seine Hand wanderte in meinen Nacken und kraulte mich sanft.
Dieser Moment fühlte sich perfekt an und hätte, wenn es nach mir gegangen wäre, nie zu enden gehen müssen.
»Ich hoffe sehr, dass es noch lange ein wir geben wird«, murmelte ich leise an seinen Lippen.
»Wieso sollte es das nicht geben?«, fragte mein Engel und wirkte dabei leicht verunsichert. »Fehlt dir...ich meine, bist du unzufrieden mit unserer Beziehung?«
Energisch schüttelte ich den Kopf.
»Um Himmels willen, nein, mir fehlt absolut nichts und ich könnte nicht glücklicher sein. Aber ich mache mir meine Gedanken. Marco, meine größte Angst ist es, dich zu verlieren. Keiner kann uns sagen, wann wir möglicherweise einen Punkt erreichen, an dem wir nicht mehr zusammen sein wollen. Der Gedanke daran, dass es irgendwann einen Tag geben wird, an dem du nicht mehr bei mir sein willst, mich nicht mehr liebst, vielleicht sogar hasst...., verursacht mir ein Gefühl, als würde man mir das Herz in der Brust zerquetschen«, erklärte ich Marco leise und konnte nicht vermeiden, das mir Tränen in die Augen stiegen. Verlegen drückte ich mein Gesicht an seine Brust und versuchte, mich zusammen zu reißen.
Marcos sanfte Finger legten sich unter mein Kinn und hoben es an, so dass ich ihn ansehen musste.
»Ich bin kein Hellseher und kann dir nicht sagen, wie lange wir zusammen sein werden, ob nun ein Jahr, ein Jahrzehnt oder vielleicht sogar ein ganzes Leben. Aber ich kann dir hier und heute sagen, dass ich nicht vorhabe dich zu verlassen. Hier und heute bist du das, was ich will und nicht mehr hergeben möchte. Wir beiden werden alles tun, damit diese Beziehung funktioniert, wächst und sich entwickelt. Dann ist die Chance groß, dass wir sehr lange zusammen sein werden. Wir dürfen nur nie aufhören miteinander zu reden. Wenn zu vieles ungesagt ist, gibt es Missverständnisse und daraus entwickelt sich meist mehr. Also hör auf dir um Dinge Gedanken zu machen, die wir nicht wirklich beeinflussen können. Lass uns die Zeit, die wir haben, genießen.«
Leise schniefend schlang ich meine Arme noch enger um ihn. Seine Worte bewegten mich sehr, beruhigen aber auch meine aufgewühlten Emotionen.
Seine weichen Lippen wandern von meinem Ohr über meine Schläfe bis zu meinem Mund, erobern diesen und beweisen mir auf ihre Weise, das mein Freund, mein Engel, der wundervollste Mann auf Erden war.
Seit dem Abschlussball sind nun einige Monate vergangen. Den Sommer mit all seinen Annehmlichkeiten haben wir in vollen Zügen genossen.
Meine Wenigkeit drückte nun wieder die Schulbank, um mein Abitur zu machen und wer lümmelt da neben mir herum? Genau, mein Engel!
Marco hatte sich dazu entschlossen, ebenfalls studieren zu wollen und dafür braucht er wie ich den höheren Bildungsabschluss.
Ich freute mich sehr darüber, dass wir zusammen diesen Weg gehen würden.
Meinen Traum vor Augen tat ich alles, um auch ans Ziel zu kommen.
Bei allem was wir in Angriff nahmen, unterstützten wir uns gegenseitig und das machte uns vieles einfacher.
Für die Zeit nach der Schule und während des Studiums hatten wir auch schon Pläne geschmiedet.
Diese beinhalteten, dass Marco und ich zusammenziehen würden.
Ehrlich, ich liebte meine Familie sehr, doch manchmal wurde es mir auch zu viel.
Immer war jemand um einen herum, wir hatten nie wirklich Ruhe.
Bei meinem Schatz war es ebenso. Wir sehnten uns nach Zweisamkeit und einem Rückzugsort, wo wir nicht immer Gefahr liefen, dass jemand ohne anzuklopfen ins Zimmer platzte.
Unsere Beziehung war immer noch wunderschön, entwickelte sich und wurde mit jedem Tag stärker.
Bei unseren Freunden lief es auch gut, sie waren ebenfalls glücklich und genossen ihr Leben in vollen Zügen.
Ben war im positiven Sinne kaum wiederzuerkennen seit er mit Sarah zusammen war. Sie passten perfekt zueinander.
Sarah hatte mir erzählt, dass sie schon eine Weile immer mal wieder für Ben geschwärmt hatte, es aber verdrängt habe, da sie die bestehende Freundschaft nicht kaputt machen wollte.
Doch an einem Abend trafen sie sich zufällig in einem Café, unterhielten sie sich lange und es funkte gewaltig. Schnell war für beide klar, dass sie mehr füreinander empfanden und so kamen sie schließlich in der Woche nach dem Abschlussball ganz offiziell zusammen. Ich freute mich so sehr für die beiden und wünschte ihnen alles Glück der Welt.
Es ist schon unglaublich, was sich in einem Jahr alles verändern kann.
Für mich war es das Beste in meinem ganzen Leben, hauptsächlich wegen Marco.
Er machte mich komplett, forderte mich jeden Tag aufs Neue heraus und bewies mir jeden Tag, wie sehr er mich liebte. Auch heute noch habe ich jedes Mal, wenn ich ihn ansehe und berühre Herzklopfen und in meinem Bauch kribbelt es wie verrückt.
Ich war mir sicher, dass es auf der ganzen Welt keinen zweiten wie ihn gab.
Er ist mein Grund, wieso ich jeden Morgen mit einem Lächeln erwache.
Mein Engel ist mein Leben und das wird sich hoffentlich nie ändern.
Ein paar Jahre später.
Marco und ich befanden uns mitten im Studium und würden nun schlussendlich zusammenziehen.
Eigentlich war es schon früher geplant, doch es kam immer wieder etwas dazwischen.
Die Suche nach einer bezahlbaren Wohnung gestaltete sich eher schwierige, doch wir hatten Glück und fanden eine.
Wir bewarben uns für eine gemütliche, nicht zu kleine, Zweizimmerwohnung und bekamen diese dann auch. Mit der Hilfe unserer Freunde würden wir die Kisten und Möbel sicher innerhalb kürzester Zeit in den zweiten Stock bekommen.
Mit einem kleinen, geliehenen Lieferwagen brachten wir unsere Sachen zur neuen Adresse.
»Wohin kommt das?« Milos und Thomas trugen gemeinsam ein Regal in die Wohnung und sahen schon etwas fertig aus. Kein Wunder, wir hatten um 9 Uhr angefangen und nun war es noch 14 Uhr.
»Das kommt ins Wohnzimmer an die Wand neben dem Fenster«, erklärte Marco, während ich mich mit einigen schweren Bücherkisten abmühte. In diesem Moment verfluchte ich zum ersten Mal, das sowohl mein Engel als auch ich so gerne und viel lasen.
»Wird gemacht«, entgegnete Thomas und schon waren die beiden verschwunden.
»Wollt ihr Jungs nicht mal eine Pause machen und was essen?« Sarah erschien in der Küchentür und strich mit einer Hand über ihren Babybauch.
Sie konnte beim Umzug aufgrund der schon fortgeschrittenen Schwangerschaft nicht helfen, aber zuhause sitzen wollte sie auch nicht und so war sie für das leibliche Wohl aller Helfer zuständig.
»Meine Süße hat Recht, lasst uns etwas essen, danach geht es sicher besser weiter«, rief Ben von der Wohnungstür her, ging zu seiner Freundin und legte eine Hand liebevoll auf ihren Bauch.
Obwohl das Kind zu diesem Zeitpunkt noch nicht geplant gewesen war, freuten sich die beiden schon sehr auf ihren kleinen Sohn, der in gut zwei Monaten zur Welt kommen sollte.
Ben würde ein guter Vater werden, schon jetzt tat er alles, um Sarah zu helfen, besuchte mit ihr den Geburtsvorbereitungskurs und las unzählige Bücher über alles was man über Babys wissen sollte.
Haltsuchend schmiegte sich Sarah an ihn. Sie wirkte vollkommen in sich ruhend.
Auch wenn es sich klischeehaft anhörte, die Schwangerschaft stand ihr.
»Essen?! Hab ich richtig gehört? Da sind wir natürlich auch dabei.« Jay tauchte mit einer Umzugskiste im Arm auf, ihm folgte Richie auf dem Fuße.
Sie stellten sie zu den anderen, die im Wohnzimmer an einer Wand gestapelt standen. Augenblicklich lehnte sich Richie an seinen Partner, der die Arme um dessen Brust schloss.
Es war schön zu sehen, dass sie wieder so glücklich miteinander waren. Etwa ein Jahr nachdem sie zusammen gekommen waren, hatte ein längerer Aufenthalt von Richie in England die Beziehung der beiden auf eine harte Probe gestellt. Alles stand auf der Kippe und keiner hatte daran geglaubt, dass sie die Kurve bekommen würden. Vor allem nicht nachdem sich der junge Engländer dazu entschieden hatte, seine kranke Mutter, die in London in einem Privatkrankenhaus behandelt wurde, dort nicht allein zu lassen.
Jay hatte dann alle damit überrascht, dass er seine Koffer gepackt und auf gut Glück nach England gereist war. Diese Entscheidung stellte sich als die bestmögliche heraus. Seitdem lebten und studierten beide dort, hatten ihren Lebensmittelpunkt auf die Insel verlegt und waren glücklicher als jemals zuvor. Sie kamen aber regelmäßig zu Besuch, was mich natürlich freute, die beiden gehörten schließlich zu meinen besten Freunden.
Thomas zog Milos mit sich in die Küche.
»Kommt schon Leute, ich muss doch dafür sorgen, dass mein Verlobter regelmäßig etwas isst, das vergisst er nämlich gern mal.« Bevor Milos protestieren konnte, küsste ihn Thomas innig und unterdrückte damit jegliche Äußerung.
Vor gut einem halben Jahr hatte Milos seinem Schatz einen Antrag gemacht. Unterm Weihnachtsbaum, im Kreise ihrer Freunde. Vor Rührung war Thomas in Tränen ausgebrochen.
So betrachtet waren alle, die heute hier waren, zufrieden mit ihrem Leben und auf dem besten Weg das es noch schöner wurde.
Ben und Sarah würden bald Eltern sein, Thomas und Milos hatten beschlossen, sich im Dezember diesen Jahres da Ja-Wort zu geben, Jay und Richie starteten mit ihrem eigenen kleinen Unternehmen langsam durch und würden wohl auch bald den Bund fürs Leben schließen, so wie ich sie einschätzte und Marco und ich gingen den nächsten Schritt in unsere gemeinsame Zukunft. Sobald wir das Studium beendeten und alles in trockenen Tüchern war, würde es auch bei uns etwas zu feiern geben, doch bis dahin war noch Zeit, wir wollten nichts überstürzen sondern es auf uns zukommen lassen.
Denn wir beide hatten in den letzten Jahren auch mal Phasen, in denen es nicht so gut lief, aber am Ende war die Liebe zwischen uns stärker als jeder Streit und die Versöhnung umso schöner. Wir konnten und würden alles überstehen.
Grinsend nahm Marco meine Hand, küsste mich liebevoll und bugsierte mich dann in die Küche, wo die anderen schon um den großen Esstisch versammelt waren.
Wir ließen uns die Sandwiches, die Sarah zubereitet hatte schmecken und gingen danach frisch gestärkt wieder ans Werk.
Nachdem die Möbel aufgebaut und die meisten Kartons ausgepackt waren, verabschiedeten sich unsere Freunde. In ein paar Tagen würden wir uns zu einer kleinen Einweihungsfeier wiedersehen.
Gegen Mitternacht räumte ich das letzte Buch ins Regal und war froh, das wird endlich fertig waren.
Herzhaft gähnend zog mich Marco auf die breite Couch, legte sich zur Seite, so dass ich vor ihm lag und er mich in seinen Armen halten konnte.
Ich liebte es, so mit ihm zu kuscheln und seufzte wohlig.
»Kaum zu glauben, endlich haben wir unser eigenes Reich. Wenn ich nicht so fertig wäre, würde ich es gleich zu richtig einweihen wollen. Doch das muss bis morgen warten, jetzt würde ich dabei wohl einschlafen.« Marco klang schon sehr schläfrig, was mir ein leises Lachen entlockte.
»Wir haben alle Zeit der Welt. Morgen ist auch noch ein Tag und ich bin mir sicher, wir genießen es beide mehr wenn wir fit sind und uns nicht alle Knochen dabei wehtun«, erwiderte ich grinsend.
»Da hast du Recht«, murmelte er leise in mein Ohr.
»Sollen wir nicht lieber ins Bett gehen, das ist sicher bequemer?«, fragte ich und wandte mich zu ihm um.
Schon halb schlafend blinzelte er mich an.
»Ja...ist besser... .«
Schmunzelnd stand ich auf, zog ihn hoch und schaffte es, uns ohne größere Schwierigkeiten ins Schlafzimmer zu bringen.
Ich half ihm dabei, sich bis auf die Boxershorts auszuziehen, ehe ich ihn dazu brachte, sich hinzulegen. Dann zog ich mich selbst bis auf die Unterwäsche aus, krabbelte zu ihm ins Bett und kuschelte mich an ihn. Sein Arm legte sich über mich. Das war so typisch Marco. Egal wie müde er war, ob er wach war oder schlief, sobald ich bei ihm lag, zog er mich an sich und wollte mich kaum mehr loslassen.
So fühlte sich Zuhause an. Geborgenheit und das Wissen, das ich nie allein sein würde.
Egal was das Leben noch für uns bereithielt, gemeinsam würden wir es meistern.
Mit einem Lächeln schloss ich die Augen und schlief bald darauf an meinen Engel gekuschelt ein.
Texte: © Ann Salomon
Bildmaterialien: Pixabay
Cover: Harpyie_Sandwina
Tag der Veröffentlichung: 22.10.2017
Alle Rechte vorbehalten