Als ich am Abend unsere WG-Wohnung betrat erbot sich vor meinen Augen ein ordentliches Schlachtfeld; Selbst eine abgehärtete Seele wie ich geriet beim Anglbick der Scherben, Federn und zerrissenen Gemälden in Atemnot.
"Johanna, du hast dich diesmal ehrlich selbst übertroffen.", keuchte ich, und versuchte dabei gar nicht erst an die Kosten der ganzen Neuanschaffungen - gar der Renovierung - zu denken.
Der wahre Schock folgte jedoch erst, als ich die Tür hinter mir ins Schloss fallen ließ und den schmalen Flur entlangging. Anton, die unschuldige Porzelanente, die gelb und pflichtbewusst unser Bad gehütet hatte, lag jetzt Kopf - und Fußlos mitten auf dem kalten Laminatboden. Ich wusste wo ich ihren Mörder finden würde. Ohne die Schuhe auszuziehen schritt ich über die Reste unserer Einrichtung, quer durch das recht große Wohnzimmer und strebte sogleich die kleine Abstellkammer an. Zielsicher öffnete ich die Tür um Johanna - meine Mitbewohnerin - in zerrissenen Klamotten zu einem praktischen Häufchen zusamengekauert in der hintersten Ecke des kleinen Raumes vorzufinden.
Soblad sie mein diskretes Räuspern hörte, hob sie den Kopf und lächelte mich an: "Hey, wie war dein Tag?"
"Gut, bis ich Anton tot im Flur vorfand."
Sie war so schnell auf den Füßen, und an mir vorbeigestürmt, dass mir nichteinmal die Zeit blieb zu erwähnen, wie sehr ich mich freute sie zu sehen.
"Ich bin eine verdammte Entenmörderin!", erschütterte plötzlich ihr schriller Aufschrei die komplette Dreizimmerwohnung. Es überraschte mich immer wieder, wie aus einer so grazielen Frau, solche Energie herausspringen konnte.
"Alles ist Gut, Johanna!", rief ich, während ich durch das Chaos im Wohnzimmer watete, "Ich kann versuchen ihn nachher noch zu kleben."
"Es ist doch immer das Gleiche mit mir!", hörte ich meine Mitbewohnerin aus der Küche klagen, und peilte daher die Tür der Küche an.
"Ich komme nichtsahnend nach Hause, freue mich auf eine entspannte Dusche und - BAMM - ",ich kam gerade rechtzeitig um zu sehen, wie Johanna mit der flachen Hand gegen die wehrlose Küchentheke klatschte, "entscheiden sich meine Flügel doch just in dem Moment wieder herausfahren zu wollen!", während sie tobte, wütete ihr langes, blondes Haar wie ein richtiger Brand um ihr zierliches Gesicht herum.
"Jeder Idiot kann doch ein paar Flügel kontrollieren, Robin! Ehrlich! Nur mein Kopf scheint mal wieder einen auf Urlaub zu machen, wenn ich ihn brauchen würde.", sie hielt kurz eine Pause um tief Luft zu holen. Ich nutzte das aus, um unsere Einrichtung zu verteidigen:
"Erstens meine Liebe: lass die arme Theke leben! Sie kann für nichts. Und zweitens ist die Sache mit den Flügeln noch völlig in Ordnung. Es gibt auch Schlimmeres."
Johanna warf mir einen missmutigen Blick zu, worauf ich all meine Fantasie sammelte um ihr ein wahrhaftig furchtbares Szenario aus zu malen, während ich unseren kleinen Wasserkocher mit Wasser füllte.
"Stell dir zum Beispiel vor du bist ein junger Werwolf mit Heuschupfen, der sich aber jedes mal verwandelt, wenn er niesen muss."
Oh ja, Robin. Werwolf mit Heuschnupfen; welch wunderbarer Einfall. Das war ja fast so gut wie ein Zwerg mit Minderwertigkeitskomplexen oder ein Geist, der Angst vor Toten hat.
Da Johanna jedoch die Gütigkeit in Person war, lies sie meine armselige Geschichte gelten und kicherte sogar gnädig.
Ich entschloss mich die etwas gelockerte Atmosphäre aus zu nutzen um ein Ablenkungsmanöver zu starten, während ich verzweifelt nach Gläsern suchte.
"Wie war eigentlich dein Tab bevor du - ehm - Nachhause gekommen bist?"
"Ah ja, stimmt! Ich muss dir eine - nein - gleich zwei tolle Sachen erzählen!", ich sah es zwar nicht, jedoch war ich mir sicher, dass die Augen meiner hübschen Mitbewohnerin gerade aufleuchteten.
"Übrigens, im obersten Schrank, in der hintersten Ecke sind noch zwei Tassen, die nur leicht angesprungen sind.", damit lies sie sich erschöpft auf einen unserer Klappstühle fallen. Die schönen Holzstühle sind uns nämlich letzte Woche kaputtgegangen.
Ich lies ein kurzes, triumphierendes Kriegsgeheule von mir hören, als ich endlich die letzten Exemplare an Tassen, die in dieser Wohnung existierten in den Händen hielt. Jetzt brauchte ich nur noch Teebeutel, und der Tag hätte einen würdigen Abschluss.
"Unterste Schublade.", deutete Johanna auf eine von vier Schubladen unserer Küchengarnitur aus der Steinzeit, die wir jedoch liebevoll einfach "Vintage" nannten.
Mit zwei Teebechern ausgerüstet saßen wir also an unserem wackeligen Tisch und endlich konnte Johanna die Neuigkeiten erzählen, die sie schon schir platzen ließen:
"Nun, ich habe durch einen wunderbaren Zufall einen neuen Job als Kellnerin, im "Fortuna".", erzählte sie und rollte das "R" in "Fortuna" spielerisch, wie eine rassige Spanierin. "Aber das ist noch nicht das Beste! Pass auf! Im Supermarkt habe ich heute in den Nachrichten gehört, dass die Regierung endlich über den Anspruch von einer Krankenversicherung für Vampire abgestimmt hat."
Ich horchte interessiert auf. Diese Debatte zog sich immerhin schon seit knapp einem Jahr. Johanna lächelte plötzlich breit und zeigte mit dem Daumen nach oben:
"Sie haben den Zuspruch erhalten."
Ich boxte einmal in die Luft: "Hah! Da hast du es! Das ist eben Deutschland meine Damen und Herren."
Zwar konnten wir uns beide nicht so recht vorstellen wozu jemals ein Vampir die Krankenversicherung beanspruchen könnte, jedoch ging es hierbei einfach um das Prinzip.
"Vielleicht machen sie von der Zahnzusatzversicherung irgendwan gebrauch." - kam mir der flüchtige Gedanke.
"Oh Gott Robin, weißt du was das heißt?"
Natürlich wusste ich es, allerdings wollte ich Johanna den Spaß gönnen es mir nocheinmal aus zu legen. Das war nämlich ihr großer Moment.
"Wenn Deutschland - und bestimmt bald ganz Europa, wenn nicht die ganze Welt - Vampire als Gleichberechtigte anerkennt, dann muss ich mich auch nicht mehr lange verstecken."
Ihre himmelblauen Augen leuchteten vor Euphorie. Vergessen war der ganze Mist mit den Flügeln, und auch die Tatsache, dass unsere Wohnung im Augenblick einer Bruchbude glich.
"Ich könnte endlich arbeiten gehen, ohne mir über diese Dinger auf meinen Rücken Gedanken zu machen."
"Wir könnten die Versicherung vielleicht darum bitten das ganze Porzellan für uns zu erstatten.", überlegte ich mit, "Und die Löcher in den Wänden auch."
Johanna schaute mich kurz mit einem skeptischen Ausdruck in ihrem feinen Gesicht an:
"Aber die sind nicht von mir."
"Ich weiß.", antworete ich achselzuckend und trank einen tiefen Schluck, während ich ein finsteres Grinsen aufsetzte, "Aber das muss die Versicherung nicht wissen."
Gerade als Johanna mir mit einem breiten Grinsen im Gesicht die Leviten lesen wollte, hörte ich mein Handy im Flur klingeln. Ich ließ also meine Mitbewohnerin mit ihrer Freude und ihrem Tee zurück, hechtete zu meiner abgenutzten, braunen Ledertasche und kramte mein kleines Smartphone heraus. Bevor ich abnahm erhaschte ich einen Blick auf die Anzeige.
"Hallo, Sarah was ist denn los?"
Sarah war meine Mitarbeiterin im Laden, indem ich fleißig meine Brötchen verdiente. Klein, mit roten Locken und so vielen Sommersprossen, dass man ihre Haut kaum mehr darunter sehen konnte.
"Robin, es - es ist etwas furchtbares passiert...", krächzte sie ins Telefon. Ihre Stimme war so unglaublich schwach, dass ich erschauderte.
"Hey Robin, mit wem sprichst du denn?", rief Johanna neugierig aus der Küche.
Ich konnte mich jedoch nicht durchringen ihr zu antworten. Diese lange Pause, in der Sarah nur schluchzte und schniefte wirkte wie eine gnadenlose Folter, und beförderte mein Herz in die Hosentasche meiner abgetragenen Jeans.
"Komm schon Sarah, raus mit der Sprache!"
"Nana wurde im Laufe des Nachmittages ins Krankenhaus eingeliefert.", vermittelte sie die Neuigkeit kurz und knapp, um daraufhin wieder schmerzvoll zu wimmern. Es ist wirklich faszinierend wie nur ein einziger Satz die Umgebung so prägnant beeinflussen kann. Der zerkratzte Laminatboden schwankte unter meinen Füßen wie ein Schiff im Sturm auf hoher See. Nana war nämlich nicht nur seit fast zwei Jahren mein Mentor, sondern auch Teil meiner kleinen Familie in dieser sonst zu großen Stadt. Wenn ich an sie dachte, erschien sie mir immer als schillernde, junggebliebene Oma, die immer genau wusste was zu tun war. Dass sie nun matt und still im Krankenhaus liegen sollte war für mich unbegreiflich.
"Aber - aber... war sie denn heute nicht im Laden gewesen?", hackte ich verzweifelt nach, und ließ mich wie ein Sack Kartoffeln auf den Boden fallen.
"Nein. Ich dachte, sie macht heute Hausbesuche und hat einfach vergessen mir Bescheid zu sagen. Ich wollte gegen sieben bei ihr vorbeischauen."
Ich schaute auf meine Armbanduhr. Kurz nach sechs.
"Ich mache mich gleich auf den Weg in die Uniklinik. Sie haben sie angeblich schon stabilisiert.", erklärte Sarah zwischen zwei tiefen Seuftzer. Ich nickte vor mich hin und überlegte, ob ich denn auch hingehen sollte. Nana umringt von Schläuchen und piepsenden Geräten zu sehen, war nämlich das Letzte was ich wollte.
"Du musst nicht kommen Robin.", drang plötzlich die Stimme von Sarah zu mir durch, "Es reicht wenn ich da bin. Schlaf dich lieber aus, und gehe morgen in den Laden."
"Sollen wir wirklich aufmachen?", fragte ich mit gewissen Zweifeln im Hinterkopf.
Schließlich war das Nanas Laden. Und ohne dem Wissen, dass ich sie jeder Zeit anrufen konnte, wenn ich Fragen hatte, bekam ich Angst.
"Weißt du wie enttäuscht sie wäre, wenn sie wieder zu sich kommt, und erfahren muss, dass wir geschlossen haben?" Ich grinste etwas. In solchen Momenten merkte ich diese gewissen acht Jahre, die mir Sarah vorraus hatte.
"Gut. Dann gehe ich also morgen."
"Und ich halte dich auf den Laufenden. Pass auf dich auf Liebes."
Gerade als ich auflegte kam Johanna in den Flur, und sobald ich mich umdrehte verzog sie ihre hübsche Stirn in Falten: "Du siehst aus als sei jemand gestorben."
Ich überlegte für einen Augenblick, ob ich es ihr denn erzählen sollte, jedoch war ich immer der Überzeugung, dass etwas erst dann wahr wurde, wenn man darüber redete.
"Nein, es ist alles in Ordnung. Ich mache mir nur Gedanken darüber, wie wir dieses Chaos wieder beseitigen wollen, das uns so eine Irre mit Flügeln eingebrockt hat."
Johanna lachte schallend und stemmte dann die Hände in die Hüften: "Nun, so wie immer. Mit Müllsäcken, und einer zweiten Irren, die dumm genug ist zu helfen." Hach ja, deswegen mochte ich meine Mitbewohnerin, immer den richtigen Spruch auf den Lippen. "Dann mal los."
Am nächsten Tag erlebte ich die ganze Busfahrt zum Laden wie in einer kleinen, nebeligen Seifenblase. Kein Gespräch, kein Lachen, kein Gegrummel der anderen Mitfahrer drang zu mir durch. Und als mich jemand fragte, ob der Platz neben mir frei sei, schaute ich nur mit einem debilen Gesichtsausdruck in die Richtung der Stimme. lm Nachhinein hoffe ich, dass ich nicht gesabbert habe, so gelähmt wie ich war.
Vielleicht wäre ich besser drauf gewesen, hätte ich nicht noch beim Frühstück mit Johanna über Nana gesprochen. Jedoch hatte sie ein Recht darauf zu erfahren was passiert ist, da sie ebenfalls mit der schrillen aber liebenswürdigen Frau befreundet war.
Die kalte, frische Morgenluft weckte jedoch sowohl meine Gesichtsmuskeln, als auch meinen Geist, als ich aus dem Bus stieg. Der Neckar glitzerte so unschuldig im Licht der aufgehenden Sonne, als wolle sie mir weis machen, dass die Welt pefekt sei.
Gerade, als ich anfangen wollte grimmig die Passanten auf der Straße anzuschauen, klingelte mein Handy, in den Tiefen meiner Tasche.
Eine Frauentasche ist zwar meist überfüllt mit den unterschiedlichsten Dingen für den alltäglichen Gebrauch, meine war jedoch auch mit Sachen vollgestopft, die man wohl als Müll bezeichnen könnte; ich war eben nicht so der Typ zum Ausmisten.
"Sarah? Bist du das?", schrie ich aufgeregt neben dem Stadtlärm, als ich endlich mein Handy fand.
"Nein Liebes, versuchs nochmal."
Ich hätte diesen kocketten Ton überall widererkannt. Meine Laune hob sich automatisch, als ich die Stimme von Patrick erkannte.
"Hey Kleiner, wie gehts?"
Ich hörte für einige Augenblicke nichts, als eine lange Pause; wohl die Art und Weise von meinem Sandkastenfreund sein Missfallen über meine Wortwahl auszudrücken.
"Ich habe vorhin Sarah einen Kaffee samt Frühstück im Krankenhaus vorbeigebracht."
Nun war ich daran eine Pause zu machen, in der ich die Neckarbrücke an der Ampel überquerte. "Du hast also von Nana gehört.", stellte ich nüchtern fest, traute mich aber nicht nachzufragen wie es ihr denn ging.
"Nicht nur das. Ich weiß sogar mehr."
Ich stolperte vor Überraschung über den Bordstein, konnte mich allerdings noch gerade fangen, bevor schlimmeres passierte.
"Wie - was - ?"
"Bis gleich!", rief Patrick fröhlich, und legte dann ohne weiteres auf.
"So ein Blödmann.", seufzte ich kurz, und verschnellerte meine Schritte, während ich die Straße am Neckar entlangeilte. Der Laden lag nämlich nur eine Häuserreihe hinter dem Fluss, in einer ruhigen Wohngegend. Von Außen wirkte er mit seinen blassgrünen Fensterrahmen und dem verschnörkelten Schriftzug, der den Namen "Hannahs" zu lesen gab, wie ein Antiquariat.
"Du bist aber so viel mehr als das.", meinte ich laut, als ich vor der Ladentür stand. Kaum hatte ich den Schlüssel im leicht angerosteten Schloss umgedreht, spürte ich einen eisigen Windzug im Nacken.
"Guten Morgen Robin.", hauchte mir Jemand ins Ohr und ich zuckte prompt zusammen. Die Tatsache, dass mir die Kälte bis in die Knochen zog, und ich niemanden sah, war Beweis genug, dass hier ein Geist seine Späßchen mit mir getrieben hatte. Und ich kannte nur einen, der mit Geistern verkehrte:
"Patrick! Lass das!", rief ich verärgert und drehte mich einmal um meine eigene Achse, auf der Suche nach dem Übeltäter.
Da kam er auch schon lachend aus seinem Versteck hinter einer Werbetafel hervor; mit einem kleinen Mädchen an seiner Rechten und einem etwas älteren Jungen an seiner Linken. "Geister für Streiche zu missbrauchen ist eine böse Sache.", wandte ich mich gleich an seine zwei neuen Schützlinge, in der Hoffnung gegen den Einfluss dieses Kindskopfes noch anpaddeln zu können.
"Ach komm schon Robin, hier und da muss doch ein Späßchen erlaubt sein.", zwinkerte mir der Traum einer jeden Frau zu. Groß, sportlich und mit grünen Augen, voller Leben sowie endloser Neugier. Zu schade nur, dass ich als langjährige Freundin seinen Fehlern gegenüber nicht blind sein konnte.
"Spaß ist gut. Unverantwortliches Benehmen in der Anwesenheit von Minderjährigen, schon weniger.", erwiederte ich also schroff und öffnete die Tür um die Kinder schon einmal in den Laden zu lassen. Diese schienen noch etwas verunsichert und schauten mit großen Augen auf meinen Cousin hoch, der sie mit seinem gewohnten Grinsen versicherte: hier brauchten sie nichts zu fürchten.
"Auf der Ladentheke sind Süßigkeiten.", rief ich ihnen hinterher, "Nimmt euch ruhig welche. Aber denkt daran, dass sie Karies verursachen und ihr Bauchschmerzen kriegen könnt, wenn es zu viel wird." - Kinder sollten gewarnt sein. Meine Devise.
"Du kannst die Kindheit ja schmackhaft machen.", verzog Patrick das Gesicht, und sah dann über meine Schulter in den Laden um sich zu vergewissern, dass die Kinder außer Hörweite waren.
"Was die Sache mit Nana betrifft; der Angreifer war wahrscheinlich ein Vampir."
Ich seufzte eimal laut und schüttelte ungläubig den Kopf.
"Bist du dir da sicher? Ich meine, irgendwie scheinen die Vampire in letzter Zeit wunderbare Buhmänner zu sein, wenn ein schwieriger Fall vorliegt.", erklärte ich, mit ehrlicher Skepsis.
"Ich weiß, ich weiß. Aber habe doch ein bisschen Vertrauen in der Kompetenz der Ärzte, wenn du Polizisten schon für inkompetet hältst."
Er hatte zwar Recht, jedoch schien sich Patrick genau so ungemütlich bei diesem Gespräch zu fühlen wie ich. Wir hatten beide mit besonderen Menschen zu tun, und wir beide waren Sympatisanten sowie Unterstützer der Vampire. Da kamen wir uns etwas wie Hypokraten vor. Um uns aus dieser Situation hinauszumanövrieren, wechselte Patrick nach einer tiefen Stille das Thema.
"Das sind übrigens Julia und Jonas.", damit ging er durch die Tür und stand auch schon gleich neben dem gold gelockten, kleinen Mädchen. Sie trug einen rosa-rot gestrickten Pulover, dazu ausgewaschene Jeans und diese tollen Sportschuhe, in denen kleine Ledlämpchen bei jedem Schritt aufleuchteten. Als ich sie fragte wie alt sie denn war, zeigte sie mir stolz all ihre fünf, gespreizten Finger. Wie ich von Patrick jedoch erfuhr, war sie erst vier. Der Junge, Jonas, schien um einiges älter; vielleicht um die neun oder zehn. Seine Haare strahlten einen Ton dunkler, als die seiner Schwester und er bevorzugte offensichtlich Sportschuhe ohne Ledleuchten. Seine Klamotten wirkten jedoch auch schon abgetragen und ich machte mir eine kleine Notiz ihm zwei-drei tolle, neue Hemden zu schenken.
"Und? Wie gefällt es euch bei Patrick?", fragte ich neugierig, natürlich in der Hoffnung auch neue Peinlichkeiten über meinen guten Freund zu erfahren.
"Toll!", kreischte die kleine Julia, "Er macht uns viel Frühstück."
"Wenn er es nicht vergiss.", grummelte Jonas.
"Und - und wir können das hier machen!", um zu demonstrieren, was "das" genau war, schloss Julia die Augen und verzog die Stirn in Falten. Nach nur kurzer Konzentration wuchsen ihr auf dem Kopf zwei äußerst süße, kleine Hasenohren. Ihr Gesicht hatte sich auch leicht verändert. Ihre Stupsnase wurde noch keiner und rundlicher, ihre Vorderzähne wuchsen ihr über die Lippen; woraufhin sich ihre Oberlippe auch schon spaltete. Aber da hörte es auch schon auf. Plötzlich stand ein Hasenmenschhybrid an der Theke des kleinen Ladens. Und da das keine Seltenheit war, klatschte ich begeistert in die Hände.
"Das ist aber auch alles was sie schafft.", erklärte Jonas mit einem abwertenden Ton, "Sie muss noch viel üben. Sehr, sehr viel."
"Gar nicht wahr! Ich kann es fast schon!", verteidigte sich Julia mit Tränen in den Augen. Es schien mir, dass sie viel Wert auf die Meinung ihres großen Bruders legte. Bevor sie ganz zu weinen anfing, nahm Patrick sie in den Arm und warf Jonas noch ein-zwei mahnende Blicke zu.
"Wir mussten sogar von Zuhause weg, weil sie ihre Kräfte nicht im Griff hatte.", zwischte der Junge.
"Jonas, das reicht.", warnte Patrick, doch der Junge ignorierte ihn eis kalt.
"Ich habe immer darauf geachtet sowas nie vor Mama, Papa oder anderen Leuten zu tun, nachdem mir das verboten wurde. Aber sie konnte es nicht lassen!"
Julia weinte schon aus ganzer Kraft und schmiegte sich in die schützende Umarmung ihres neuen Paten. Mir schnürte die Situation langsam den Hals zu, und ich spürte wie sich mein Körper selbstständig machte.
"Wäre sie nie auf die Welt gekommen, dann -"
Ich weiß nicht, wann ich ausholte. Ich fühlte jedoch das Kribbeln in meiner rechten Handfläche, noch bevor überhaupt der widerliche Klang der Ohrfeige in meinen Ohren hallte. Warum ich das getan hatte, war mir aber klar:
"Egal wie du den Satz beenden wolltest, du hättest ihn bereut.", erklärte ich überraschend ruhig, "Was wenn du jetzt etwas böses sagst und deine Schwester wird gleich darauf von einem Auto überfahren, ohne dass du die Möglichkeit gehabt hättest dich zu entschuldigen?"
Jonas senkte seinen entsetzten Blick zu Boden, sodass ich keine Chance hatte auch nur zu erraten was er dachte. Tu nichts, was du bereuen könntest. Eine schwierige aber umso wichtigere Regel, die Jonas und Julia in ihrer harten Welt noch schätzen werden. Im Augenblick jedoch - und das war mehr als verständlich - schien sie ihnen beiden egal zu sein. Es zählte nur, dass Julia traurig war und Jonas gerade von einer wildfremden Frau geschlagen wurde. Ich hätte mir vor Scham meinen Kopf am liebsten in die Ladentheke gerammt. Anstatt dessen gab ich aber lieber Patrick zwei kleine Tüten, die Nana vorgestern schon für ihn hergerichtet hatte. Jeweils mit folgender Beschriftung:
"Zum leichteren Unterdrücken der Kräfte - Für Gestaltenwandler."
Als die kleine Glocke über der Ladentür mit hohem Geklimper sich von den dreien verabschiedet hatte, fühlte ich immer noch die Anspannung von der Situation vorhin. Erschöpft lies ich mich auf den kleinen Hocker hinter der Ladentheke fallen. Mit einem kaum hörbaren Wimmern lies ich die Finger über das alte, abgenutzte Holz wandern. Irgendwann war es wahrscheinlich mal ein tiefes Bordeaux gewesen. Heute nannte ich die Farbe "blasses rosa". Es passte aber ausgesprochen gut zu den Regalen, und den ganzen Kristall - sowie Glasfbehältern auf und in diversen Schränken. Ein staubiger Traumfänger hing mit farbigen Tüchern von der Decke, und Walter, der ausgestopfte Wellensittich wachte über die zwei Reihen Schmuck hinter der Glasvitrine neben mir. Seit ich mich erinnern konnte starte er die Ketten, Ringe und Talismane an. Das Besondere an diesem Vogel war: er bewegte sich. Jeden Tag suchte er sich einen neuen Platz im Laden. Heute saß er auf dem obersten Regal, der sich die ganze, linke Wand entlangzog.
"Du hast alles gesehen, was hier passiert ist.", überlegte ich laut und schaute den gelben Vogel an, "Weißt du Walter - ich sage das wahrscheinlich schon zum tausendsen mal aber - ich wünschte du könntest reden."
Der Vogel schwieg. Und selbst wenn er mir hätte etwas sagen können, er wäre nicht mehr zu Wort gekommen. Denn der nächste Kunde kam - Herr August; Gedankenleser sowie Anwalt - und nach ihm ging der Betrieb richtig los, sodass mir keine Zeit mehr blieb über unangenehmes nach zu denken.
Meine letzte Kundin würde heute Frau Heber sein; Sie kam kurz nach Sechs, in der frühen Dunkelheit des Aprils. Ich mochte diese laute, selbstlose Frau sehr gerne. Sie hatte drei Söhne, allesamt Werwölfe, die sie trotz ihres besonderen Zustandes liebte und hütete.
"Es wird bald Vollmond und Joschua leidet besonders darunter. Einmal Mensch, dann plötzlich Wolf - ganz ohne Kontrolle.", plapperte sie, während ich Zutaten abwog. Einen Mix für Werwölfe herzustellen gehörte inzwischen zu meiner Routinearbeit. Anspruchsvollere Medizin stellte Nana zwar noch selbst her, heute war ich zum Glück aber gut alleine zurechtgekommen. In solchen Momenten dankte ich meiner mäßigen Selbstständigkeit, die ich mir die Jahre erarbeitet habe.
"Markus und Dennis machen ihm aber auch das Leben schwer. Du weißt ja wie sie sind, die Zwillinge.", sie verdrehte die Augen und stemmte die Hände in großer Geste in die Hüften.
Oh ja, ich erinnerte mich noch lebhaft an ihren ersten und bisweil letzten Besuch vor rund einem Jahr, als ich naiver Weise für einen Nachmittag mich bereit erklärt habe sie in den Beruf hieinschnuppern zu lassen. Danach war ich ein kaputtes Wrack, auf der verzweifelten Suche nach neuen Nerven.
"Nur weil sie bald Sechzehn werden denken sie, ihnen gehöre die Welt, und die Herren dürften sich alles erlauben. Sie haben nichts als wirres Zeug im Kopf."
Was ich noch sehr an Frau Heber schätzte war der ungetrübte Blick, mit dem sie ihre Jungs betrachtete. Ihr konnte niemand etwas vormachen wenn es um Erziehung und den Charakter ihrer Kinder ging. Sie mochte zwar kein Wolf sein, ihre Instinkte waren dennoch übermenschlich.
"Ich glaube einfach, dass Joschua mehr von mir hat, als von seinem Vater. Ich war in seinem alter genau wie er. Still, sensibel und eher der Stubenhocker. Da ist nichts falsch daran."
Ich nickte mit einem Lächeln und schob die drei separaten Tüten über die Theke.
"Joschua wird bestimmt irgendwann genauso ein Wolf wie seine Brüder.", meinte ich aufmunternd, woraufhin Frau Heber schallend loslachte.
"Gott behüte! Mir reicht es, dass zwei Wölfe meine Gardinen hinunterreißen und das Laminat zerkratzen; oder durch die Felder rennen ohne mir auch nur eine Nachricht da zu lassen, weil sie meinen ja so erwachsen zu sein! Jeder Abend ein Herzinfarkt? Nein danke. Ich hätte nichts dagegen wenn Joschua ein feiner Schoßwolf wird.", und das Lächeln in ihrem Gesicht strotzte nur so vor Liebe, was mich denken ließ, dass es ihr eigentlich ganz gleich war, was für Wölfe sie daheim hatte.
Wenn Jonas und Julia blos auch so eine Mutter oder einen Vater hätten, bestünde wenigstens der Funken einer Hoffnung, dass sie irgendwann wie durchschnittliche Kinder aufwachsen könnten. Patrick ist und bleibt nämlich nur eine Übergangslösung. Zu mehr war er in Angesicht seiner finanziellen und emotionalen Lage nicht fähig. Wenn man mich fragte war er nämlich unreif und emotional unterentwickelt - was aber nur zum Teil seine Schuld war.
"Robin Liebes, ist denn alles in Ordung?"
Oh je, ich musste mich wirklich zusammenreißen.
"Ja.", kam die knappe Antwort meinerseits, was Frau Heber nur ansporte mehr zu sagen:
"Es ist verständlich, dass du etwas mitgenommen bist; jetzt wo Hannah im Krankenhaus liegt. Und das auch noch wegen einem Vampir."
Nein, nein nein. Ich wusste genau was jetzt kommen würde.
"Diese Vampire; sie machen nichts als Ärger! Jetzt wo sie auch noch öffentlich anerkannt und geduldet werden, sind sie mehr als überheblich geworden! Öffnen Bars und diese - diese Vamp-Clubs um ihre Opfer zu sich zu locken und sich kunterbunt durch die Gegend zu beißen.", diese süße, kleine aber umso energischere Frau bewies mir wieder wie plötzlich sie zum feuerspeienden Hausdrachen werden konnte. Genau das Letzte, was mein - inzwischen pochender Kopf - gebrauchen konnte.
"Frau Huber, es wird langsam Zeit, dass ich zumache. Der Tag war etwas lang."
Sie schaute mich kurz mit spitzen, olivgrünen Augen unentschlossen an, als wolle sie entscheiden ob sie beleidigt oder verständlich über den Rausschmiss sein sollte. Doch bevor sie zu Wort kam unterbrach uns das Glöckchen. Mit einem tiefen Seuftzer wollte ich die neue Kundschaft gerade darauf hinweisen, dass sie doch bitte morgen wieder vorbeischauen sollte, als mir der Gast zuvor kam.
Er war ungefähr so groß wie ich und begrüßte uns äußerst höflich. Trotz dessen fühlte ich mich angegriffen. Als könnte mich alleine die Anwesenheit dieses Mannes in Stücke zerreißen, wenn er denn nur wollte. Dieses Gefühl war so prägnant, dass er es gar nicht hätte abstreiten können: er war ein Vampir.
Frau Heber fühlte sich in seiner Gegenwart offensichtlich genau so unwohl wie ich, denn in Begleitung eines leisen Knurrens - das sie ihren Jungs gegenüber mehr als oft benutzen musste - machte sie einen Schritt vorwärts und richtete sich stramm zu ihrer vollen Größe von geschätzten 160cm auf.
"Ich bin hier um mit einer Frau Robin Schwarz zu sprechen."
Mein Magen rumorte und meine Knie verwandelten sich in etwas Gummi-artiges, nur um mich daran zu hindern hinter der Theke hervorzukommen. Vielleicht auch besser so. Man halte einen ordentlichen Abstand zu einem Vampir, wenn er ein potentieller Verbrecher sein könnte.
Und kaum hatte ich das gedacht, schon fühlte ich mich schlecht. Daher riss ich mich zusammen und meldete mich zu Wort:
"Ich - ich bin Robin.", unsere Blicke trafen sich sogleich und es schmerzte. Als könnten seine Augen meine Pupillen entzünden. Vielleicht, weil sie zu seiner blassen Haut so im Kontrast standen.
"Was wollen Sie von ihr?", bellte Frau Heber plötzlich.
"Mich nur etwas mit ihr unterhalten.", grinste er breit. Obwohl er seine Hände ganz leger in den Taschen seiner Anzugshose versenkte, konnte ich mich nicht entspannen.
"Lassen Sie nur Frau Heber. Es ist alles in Ordnung.", versuchte ich die Wogen zu glätten. Da ich allerdings Angst hatte, kam meine Stimme seltsam piepsig und foglich unüberzeugend rüber. Weshalb mich wohl beide ignorierten.
"Pha! Als ob ich einem Vampir glauben würde. Raus hier.", zischte die kleine Frau, all ihre Nachteile ignorierend. Wenn es nur Mut gebraucht hätte, wäre sie schon längst die alleinige Besitzerin der ganzen Welt. Jedoch bewies die Situation, dass leider ungleiche Machtverhältnisse alles zu Bruch bingen konnten.
"Meine Dame, ich wünschte, ich hätte mehr Zeit. Heute Abend bin ich allerdings äußerst beschäftigt.", aus den dunklen, tiefen Augen des Vampirs schoss daraufhin eine Portion von dem, was weder Frau Heber, noch ich besaßen: Macht.
"Éva, Gyula.", kaum sprach er die Namen, schon erschienen auch die dazugehörigen Personen. In Éva vermutete ich die wunderschöne Frau zu seiner Rechten, die mich gleich mit ihren dunklen Augen ins Visier nahm. Gyula stellte sich als ein muskulöser Mann heraus, der zwar ein gutes Stück kleiner war, als der Vampir in der Mitte, dennoch ziemlich furchteinflößend wirkte. Besonders mit den buschigen Augenbrauen, und dem stämmigen Hals, den ich sonst nur bei Boxern sah. Der Anzug, der bei Vampiren die Tage in Mode schien, spannte sich so stark an seinen Muskeln, dass ich gern gelacht hätte, wäre mir nur danach zu Mute gewesen.
"Geleitet doch bitte Frau Heber zur Tür."
Éva verdrehte die Augen und kreuzte die Arme vor der Brust, bevor sie Gyula mit einem Nicken in unsere Richtung klar machte, dass sie nicht vor hatte auch nur einen Finger zu rühren.
"Das schafft der gute Gyula auch alleine, nicht wahr?"
Gyula grummelte zwar etwas unter der Nase, jedoch führte er den Auftrag aus, und bevor ich bis zwei zählen konnte, war Frau Heber mitte empörter Laute aus dem Laden befördert worden. Da es vor der Ladentür schon pech schwarz war, sah ich zu meinem Entsetzen nicht, was mit der lieben Frau geschah.
"Wir sind keine Monster, Frau Schwarz. Gyula bringt die nette Dame nur nach Hause."
Ich runzelte zweifelnd die Stirn, woraufhin Éva seufzte, eine Hand auf ihre Hüfte stemmte und auf einer fremden Sprache dem Vampir etwas sagte. Zwar schätzte ich sie auf Ende dreißig, trotzdem war ihre Haut um einiges hübscher und ihre Gaderobe - eine, gewagte, metallgraue Bluse mit einem kurzen, grauen Strickrock - um Meilen jugendlicher als meine. Das war also eine "Frau mit Klasse".
"Kommen wir also gleich auf den Punkt.", meinte der Vampir, und mir fiel auf, dass ich seine Anwesenheit für einige Augenblicke ganz ausgeblendet hatte.
Er überschwemmte mein Bewusstsein, sodass ich kurz zu ertränken drohte. Schnell prüfte ich den Abstand zwischen uns. Groß. Aber nicht groß genug.
Mein Stolz hielt mich allerdings davon ab weiter zurück zu weichen.
"Wir möchten, dass du mitkommst.", fasste Éva die Angelegenheit in einem genervten Ton kurz zusammen.
"Waren Sie schon gestern hier?", fragte ich vorsichtig nach. Bei Gott, ich hoffte, dass das nicht so war.
"Ja.", meinte Éva, "Und ja, wir haben auch die alte Frau mitgenommen."
Stolz hin oder her; ich stolperte einige Schritte nach hinten. Gleichzeitig fühlte ich jedoch eine unbeschreibliche Wut in meinem Magen aufbrodeln, die blitzartig in meine Lungen hinüberschwappte, woraufhin das Atmen mir um einiges schwerer fiel.
"Kommt mir nicht zu nahe.", warnte ich, als der Vampir mir direkt in die Augen blickte.
Und dann spuckte ich die Lüge aus, die mich wie der Teibsand schnell und gnadenlos in den tiefen Schlamassel ziehen würde:
"Passt gut auf Leute, ich bin eine Hexe."
Èva drehte sich prompt auf den Absatz um und für den Bruchteil einer Sekunde dachte ich tatsächlich etwas bewirkt zu haben.
Der Vampir grinste jedoch wie ein fetter Kater, der nun endlich die Butter probieren durfte: "Das haben wir gehofft."
Ich saß auf dem wohl bequemsten Stuhl der Welt, und fühlte mich dennoch unbequemer denn je. Vielleicht lag das an Éva, und den gerade dazugekommenen Gyula. Oder an den Vampir im herrlichen Anzug, der mich nun hinter seinem Schreibtisch musterte. Als er meinte genug mit seinem Blick auf mir herumgestochert zu haben, stand er auf, und kam hinter seinen Tisch hervor.
"Mein Name ist Gregor Báró; erfreut Ihre Bekanntschaft zu machen Frau Schwarz."
Dass die Freude sich auf meiner Seite in Grenzen hielt, las er bestimmt meinem Gesichtsausdruck ab, denn er fuhr nach einer kurzen Pause fort:
"Ich habe Sie in mein Büro gebeten, um Ihnen ein Angebot zu unterbreiten. Wir hoffen in einem - etwas schwierigen - Fall auf ihre bereitwillige Kooperation.", oh ja, hoffen durften sie gerne. Ich wünschte innigst dass ich noch in absehbarer Zeit den Mut aufbringen könnte das diesem unverschämten Möchtegern-Buisnessmann auch ins Gesicht zu sagen.
"Da Sie ihrem eigenen Geständniss nach eine Hexe sind -"
"Das war eine Lüge.", unterbrach ich ihn schnell, um Missverständnisse zu vermeiden.
"Ich war nur plötzlich so überfordert mit der Situation, dass ich einen Ausweg gesucht habe.", dieses Geständniss hatte mir mehr Kraft gekostet, als ich dachte. Ich war ganz außer Atem. Wo war die mutige, "ich-schlag-dich-tot" Robin, wenn man sie mal brauchte?
Herr Báró verzog die Lippen zu einem breiten Grinsen, das ich als bedrohlich auslegte. Vorallem weil er seine Fangzähne demonstrativ zeigte.
"Wissen Sie was ich hier auf meinem Bürotisch liegen habe, Frau Schwarz?"
Ich schüttelte vorischtig den Kopf. Wollte ich es denn wissen?
"Ihren Familienstammbaum."
Oh, verdammt. Als er nach den Papieren griff, und sie geschwind überflog, nur um dabei immer weiter und unmenschlicher zu grinsen, vermutete ich langsam worauf er hinaus wollte.
"Das ist ein sehr interessanter Stammbaum, meine Liebe."
"Dankeschön.", murmelte ich höflich, im verzweifelten Versuch weiterhin die Ahnungslose zu spielen. Mit runden Augen und einem improvisierten, naiven Blick schaute ich Herrn Báró offen ins Gesicht. Er nahm mir die Show jedoch nicht ab, denn sein Grinsen zog sich weiterhin böse und breit von Ohr zu Ohr.
"Laut dieser Papiere war ihre Großmutter Mütterlicher seits eine recht bekannte Hexe."
Er traf damit voll ins Schwarze. Man sagte zwar oft genug, dass die Wahrheit schmerzte, diese tat jedoch so weh, dass ich sie in der Magengegend als Krampf spürte.
"Ja, meine Großmutter war eine wirklich - ehm - herausragende Persönlichkeit.", gab ich röchelnd zu, "Aber sie können mir gerne glauben, dass ich nichts - und damit meine ich wirklich nichts - von ihr geerbt habe.", beteuerte ich abermals.
"Streiten sie also ab, dass einmal ein ganzes Familienhaus wegen Ihnen abgebrannt ist?"
Ich fühlte, wie mir all mein Blut in die Beingegend absackte. Woher wusste er von dem Haus?
"Das - das war ein unglückliches Versehen. Wir haben mit meiner Schwester an Halloween gespielt und ein Teelicht - "
"Das Feuer war magischen Urpsrungs.", entgegnete Herr Báró, mit leiser, aber umso schärferen Stimme. Sein Grinsen war nun Vergangenheit, und obwohl er recht jung aussah, wirkte er plötzlich wie ein alter, barmloser König.
"Sagen Sie mir doch meine Liebe, für wie dumm halten Sie mich eigentlich?", während er fragte, ging er vor mir in die Knie und diese plötzliche Nähe brachte mich fast um das letzte bisschen klaren Verstandes, das ich panisch versuchte fest zu halten.
"Ich - ich bin mir sicher, dass Sie sehr intelligent sind.", plapperte ich drauf los, "Es liegt nicht an Ihnen, dass ihre Informationen nicht stimmen."
"Oh nein nein, Frau Schwarz. Das Feuer war ganz klar magisch.", hauchte er, "Die Frage ist nur, sind Sie die Hexe, oder ist es vielleicht doch Ihre Schwester?"
"Nein!", erwiderte ich etwas zu schnell, was auch dem geehrten Báró auch nicht entging:
"Oh-ho. Habe ich vielleicht den Nagel auf den Kopf getroffen?"
"Keines Wegs! Meine Schwester ist eine durchscnittliche Zwanzigjährige, die eine Ausbildung zum Tierpfleger in der Wilhelma macht. Sie möchte bald heiraten und in einem kleinen Dörfchen in Ruhe ihre Kinder großziehen. Klingt das etwa nach einer Hexe mit den Superkräften meiner Großmutter?", und das erste mal seit dieses Verhörs in diesem stickigen Büro, hatte ich wirklich Mut bewiesen. Denn nicht nur, dass ich noch vor meinem Monolog aufgesprungen war; nein, ich gestikulierte auch wild mit den Armen und schaffte es sogar selbstbewusst die Hände in die Hüften zu stemmen.
Jedoch war mir klar, dass ich noch eine Sache tun musste, um wirklich überzeugend zu sein, damit auch kein Zweifel übrig blieb:
"Sie hatten von Anfang an Recht. Ich bin die Hexe in unserer Familie. Deswegen hat mich auch Hannah bei sich als Aushilfe vor zwei Jahren aufgenommen."
Herr Báró stand ebenfalls auf, legte die Papiere zurück auf seinen großen Schreibtisch und klatschte anschließend grinsend in die Hände.
"Wunderbar! Na, bitte. War es denn wirklich so schwer?"
Ich verbiss mir meinen bösen Kommentar und schaute statt dessen lieber trotzig drein. Das schien mir etwas ungefährlicher.
"Jetzt wo wir das also geklärt hätten, möchte ich Ihnen ein wirklich unwiderstehliches Angebot unterbreiten."
"Da bin ich aber gespannt.", gestand ich, setzte mich jedoch nicht hin, um mit meiner Größe ein wenig die Selbstsicherheit vorzutäuschen, die ich ehrlich nicht verspürte. Ganz im Gegenteil. Meine Finger zitterten nervös, und mir war etwas schwindelig. Ich hoffte darauf, dass die ganze Angelegenheit doch bald vorbei sei. Johanna machte sich bestimmt auch schon Sorgen.
"Ich habe ihnen hier eine Akte zusammenstellen lassen, aber ich erläutere Ihnen das Ganze kurz und knapp: Sie sollen einen meiner verlorenen Schafe wieder in die Herde treiben.", wie er das sagte ließ er wieder seine Fangzähne hervorscheinen, und ich fragte mich ungewollt wie schnell er damit jemanden die Kehle aufreißen konnte.
"Ein - ein Vampir finden, also? Ehm, ich - ich glaube kaum, dass ich dazu fähig bin.", gab ich zu, während er mir die Akte in die Hand drückte. Sie war überraschend dünn. Vampire waren wohl nicht besonders groß darin zu informieren.
"Och, da bin ich ganz anderer Meinung.", sein Blick wurde plötzlich weich, fast liebkosend, woraufhin ich mich brav wie ein Schulmädchen hinsetzte. Erst als ich wieder den bequemen, reichlich gepolsterten Stuhl unter mir spürte kamen mir meine Gedanken erneut in den Sinn.
War er etwa gerade in meinem Kopf gewesen? Bei der Erkenntnis erschauderte ich.
"Ich weiß wozu Hexen fähig sind, weil ich vor einigen Jahrhunderten selbst von einer gefunden wurde. Sie hatte damals knappe zwei Tage gebraucht."
Zwei Tage? Ach du heiliger Kuhmist!
Mein Entsetzen entging ihm nicht, woraufhin er kurz lachte.
"Keine Sorge Frau Schwarz; Ich bin kein Unmensch.", er überlegte kurz und lachte dann abermals, "Na ja, gewisser Maßen doch. Allerdings weiß ich mich wie ein fairer Mann zu verhalten und gebe Ihnen daher eine komplette Woche."
Eine Woche kam ihm wohl äußerst großzügig vor, denn er grinste selbstgefällig.
"Aber einen Vampir zu etwas zwingen, was er nicht tun will - ist das nicht eine Sache der Unmöglichkeit?", versuchte ich vorsichtig ihm beizubringen, dass ich ihn enttäuschen musste.
Der gute Herr machte mit der Hand eine abfällige Bewegung.
"Nun unterschätzen Sie sich nicht Frau Schwarz. Wenn Sie nur ein Zehntel der Kraft ihrer Großmutter geerbt haben, sind Sie bestens gerüstet. Allerdings lasse ich natürlich eine Dame nicht ohne Begleitung reisen."
Begleitung? Wohl eher Beobachtung. Dass die Göre sich auch ja in die Höhle des Löwen begibt, um sich als Vampirfutter aufzuopfern. Ich hätte mir äußerst gerne die Haare gerauft!
Gerade als mir zum Schreien und Heulen gleichzeitig zu Mute war, klopfte es kurz an der Tür.
"Ah, das wird Wolfgang sein.", murmelte der Vampir, bat den Neuankömmling herei und wandte sich dann an mich:
"Ihre Begleitung Frau Schwarz."
Doch als meine Begleitung in das Zimmer trat, zog Herr Báró seine Stirn in Falten.
"Leon, wo ist Wolfgang?"
Ich spickte neugierig über meine Schulter. Es stand ein schlanker Mann mit rabenschwarzem Haar und stechendblauen Augen in der Tür, und grinste gerissen.
"Kleine Familienkrise. Hat sich mit dem Alpha angelegt und ist daher leider für unbestimmte Zeit verhindert."
"Idiot.", murrte Báró genervt.
"Ich würde mich aber als Alternative anbieten. Habe gehört die Bezahlung sei gut."
Meine Augen mussten inzwischen mindestens Tellergroß sein vor Entsetzen. Denn was ich durch den täglichen Verkehr mit Wewölfen gelernt habe, war ihre Mentalität aus ihrem Blick abzulesen. Nana hatte mir geholfen diese Technik zu verfeinern. Die Augen dieses Wolfes waren abweisend, kalt und leer. Ein Soziopath?
Der Vampir schien nicht ganz begeistert, jedoch nickte er nach kurzem Überlegen.
"Sei´s drum. Aber vergiss nicht, dass sie deine Geldquelle und nicht dein Spielzeug ist."
Nein! Bitte lieber böser Vampir im Anzug! Mach dass ich von einem anderen Wächter zum Schafott geführt werden darf!
"Komm in einer halben Stunde nochmal vorbei.", schloss der liebe böse Vampir die Diskusion ab, und ich fühlte mich plötzlich wie ein Stück Fleisch das man in der Savanne ausgehängt hatte.
"Bis dann.", nickte der Werwolf uns zu, leckte sich dann noch in Vorfreude auf eine Reise mit seinem Mittagessen über die Lippen, und verschwand genau so schnell wie er gekommen war.
Ich versuchte all das, was ich vorhin gefühlt und gehört hatte von mir abzuschütteln, um mein panisches Gehirn wieder funktionstüchtig zu machen, als Herr Báró in seiner Anzugstasche nach etwas kramte.
Kurz darauf hatte er sein Handy auch schon am Ohr und führte auf einer fremden Sprache ein längeres Telefonat, was mir die Möglichkeit gab Fuß zu fassen, und meine Aussichten auf die Zukunft etwas zu verdauen.
Als er auflegte, ergriff ich auch gleich das Wort:
"Sie sprachen von einem Angebot. Im Moment sieht mir das aber nach einem Gefallen aus.", meinte ich, während ich mich zur Sicherheit hinter der Akte versteckte.
"Gut, dass Sie mich erinnern!", klatschte Herr Báró kurz in die Hände, "Es wäre tatsächlich ein Gefallen, wenn dabei nichts für Sie rausspringen würde. Machen Sie doch eine kurze Tour durch das Gebäude."
Damit winkte er Éva zu uns hinüber, die ihm mit einem missfälligen Schnalzen der Zunge gehorchte.
Sie packte mich grob am Unterarm, zog mich aus dem Stuhl und meinte anschließend:
"Benimm dich Mädchen. Ich habe heute einen äußerst schlechten Tag."
Ich konnte mir nach einem kurzen Blick auf ihren genervten Gesichtsausdruck kaum vorstellen, dass sie jemals gute Tage hatte.
"Bis dann Frau Schwarz.", nickte mir Herr Báró zu, während Éva mich aus dem Zimmer zog.
Etwas zögernd fragte ich über meine Schulter: "Was wenn Ihr Angebot mir nicht gefällt?"
"Glauben Sie mir, es wird Ihnen gefallen."
Die steinerne Miene des Vampirs im Anzug verpasste mir eine ordentliche Gänsehaut. Mit Vampiren war einfach generell nicht gut Kirschen essen; dieser Mann hatte mir aber so eben einen ganzen Kirschbaum angeboten und ich musste ihn annehmen. Komme was wolle.
"So eine Scheiße.", zischte ich böse.
"Wem sagst du das?", entgegnete Éva in ihrem gewohnten Ton, und ich warf ihr einen kurzen Blick von der Seite zu. Für den Bruchteil einer Sekunde dachte ich soetwas wie Sorge über ihr hübsches Gesicht huschen zu sehen. Da sie mich jedoch weiterhin erbarmungslos durch die Gegend schleifte, ingorierte ich es.
Ich war leicht verdattert, sobald ich erkannte wo wir genau waren. Als mich Éva vorhin durch eine schwere Eisentür gestoßen hatte vermutete ich dahinter noch alles Mögliche. Unter anderem auch eine sehr gut ausgestattete Folterkammer. Was ich jedoch nicht erwartete war laute Musik, wunderschöne rote, graue, schwarze Ledersessel um hübsche Mamortische sowie ausgelassene Tanzfreudige. Die warme, feuchte Luft entzog mir langsam den Sauerstoff aus der Lunge und in nur wenigen Augenblicken spürte ich die ersten Schweißtropfen an Stirn und Rücken.
Éva ließ zum Glück endlich von meinem Arm ab, um vor mir herlaufend den Weg zu weisen. Wir schlängelten uns an einigen, herumstehenden und herumknutschenden Gästen vorbei, bis zur rot erleuchteten Bar hinüber. Bevor ich mich jedoch auch nur fragen konnte, was wir hier denn vorhatten zu tun, stach mir eine mehr als bekannte Person ins Auge.
Ihr sonst blondes Haar schimmerte im tiefroten Licht der Bar orange, und die schwarze Corsage, sowie der knappe Lederrock verfremdeten das Gesamtbild zwar so stark, dass ich zwei mal hinsehen musste, jedoch bestand danach kein Zweifel mehr.
"Johanna?!", formte ich verdattert die Frage, meine Stimme wurde allerdings von der Musik verschluckt.
Éva stellte sich an die Theke um die drei Barkeeperinnen - inklusive meiner lieben Mitbewohnerin - kurz zu sich zu rufen. Aus ihren Handbewegungen zu urteilen gab sie einige Anweisungen, woraufhin die Mädchen nickten und wieder schnell ihre Arbeit aufnahmen.
Das war also das Angebot.
Ich war vielleicht nicht gerade die Mutigste oder die Intelligenteste. Aber ich war schlau genug einen Wink mit dem Zaumpfahl zu erkennen, wenn ich einen sah.
Sie hatten meine Schwester; sie hatten auch meine Mitbewohnerin. Und selbst wenn sie beide nicht schon zwei kräftige Argumente gewesen wären, hatten sie noch Nana als Beispiel für verweigerte Kooperation.
Ich spürte die Mäuseklappe zuschnappen. Es tat verdammt weh.
Sobald Éva meine Reakton sah, und verstand, dass ich helle genug war meine Situation zu erkennen, lies sie mich alleine zurück. Mit der Akte in der Hand sah ich zu, dass ich aus diesem Vamp-Club hinausfand. Und zwar schnell.
Das Anfänglich nur leichte Pochen in meinem Kopf, das ich schon seit Stunden spürte, hatte sich zu wahren Hamerschlägen hinausgewachsen, und meine Laune befand sich inzwischen im Keller.
Komme mir jetzt jemand auch nur ungewollt dumm, und ich würde ihn wie eine Furie anspringen.
Das hätte ich mir wohl besser auf die Stirn schreiben sollen, denn kaum hatte ich von einer netten Vampirin eine Wegbeschreibung zum Ausgang bekommen, schon stand ein mutiger Suzidanwerter vor mir:
"Hübsches Mädchen! Hast du Lust?"
Der Vampir war etwa um die Vierzig gewesen als er verwandelt wurde, und verfügte offensichtlich über asiatische Wurzeln. Normalerweise wäre ich von einem Annäherungsversuch wirklich angetan gewesen; jetzt jedoch hatte ich keinen Nerv mehr:
"Pass auf mein Guter. Ich bin nicht hübsch, das weiß sogar ich. Noch bin ich ein Mädchen, ich bin eine Frau. Und nein, ich habe keine Lust - zu was du auch immer mich einladen möchtest. Einen schönen Abend aber noch.", damit nickte ich ihm höflich zu und dachte darüber nach, ob wir Zuhause noch Parazettamol hatten.
"Ach komm schon sexy Frau! Riechst so gut!", als er seine Hände um meinen Hals legte um meinen Kopf still zu halten, während er ungehindert herumschnüffeln konnte, sah ich vor Schreck nur einen Ausweg.
Ohne groß nachzudenken biss ich ihm so fest ich konnte ins rechte Ohr.
Kurz hielt er inne und schob mich dann am Hals etwas von sich um anschließend in ein lautes Gelächter aus zu brechen.
"Verbissen, verbissen!", rief er begeistert. Oh, Mist. Robin, lass dir etwas besseres einfallen!
Ich sehnte mich ehrlich nach diesen sagenhaften Zauberkräften, die ich doch meiner eigenen Aussage nach besaß. Obwohl ich aus erster Hand erfahren hatte was für Folgen diese haben konnten, hätte ich alles um sie gegeben.
Vorallem, weil der draufgängerische Asiate seine Fangzähne zeigte und ihm schon das Wasser im Mund zusammenlief. Das wusste ich, weil er mit weit aufgerissenem Maul eine kleine Stelle unter meinem Kiefer fixierte. Zwar versuchte ich mich mit all der Kraft, die mir meine beachtliche Körpergröße verlieh zu wehren, trotzdem erwies sich der Griff um meinem Hals zu eisern.
"Könnte ich dir nicht einfach irgendwann die Wochen Blut spenden?", röchelte ich panisch, "Komm schon! Lass uns doch erst reden - uns gegenseitig kennenlernen!"
Ich würde hier sterben. Wenn nicht durch den Biss, dann vor Angst. Eigentlich war das ja egal, da ich die nächste Woche ohnehin irgendwann umkommen würde.
"Bitte.", winselte ich und im nächsten Augenblick bekam ich keine Luft mehr.
"Kenji, mein Guter.", hörte ich eine Männerstimme dicht hinter mir, woraufhin sich die Hände von dem Vampir lösten. Ich hüstelte kurz, während Kenjis Gesicht glücklich aufleuchtete.
"Leon der Streuner!"
Mir fiel auf, dass Leon ebenfalls lächelte, als er sich neben mich stellte.
"Wo hast du Aimi gelassen?"
Kenji schaute nun kurz besorgt durch die Gegend.
"Ist da. Weiß nicht wo."
"Solltest du vielleicht suchen gehen. Jungvampire vergehen sich sehr leicht an sechtzehnjährigen Kindern, die sich anbieten."
Ich war fasziniert von der Tatsache, dass Leon als Werwolf so gelassen in einem solchen Vampirnest sein konnte. Müsste sich sein Fell denn nicht schon sträuben? Und wo blieb das Zähnefletschen? Zudem schien er die Gegenwart von Kenji ehrlich zu genießen.
"Richte ihr liebe Grüße aus, wenn du sie siehst.", meinte er und klopfte dem Vampir noch auf die Schulter.
Kenji nickte, schien dann aber etwas niedergeschlagen: "Willst du schon gehen?"
"Habe heute noch etwas zu erledigen. Außerdem muss ich die ganze nächste Woche arbeiten.", erklärte er knapp, packte mich dann so stark am Oberarm, dass ich mir sicher war morgen ein-zwei blaue Flecken zu finden, und zerrte mich davon.
"Bis dann Leon!", rief uns Kenji noch hinterher.
"Er war eigentlich wirklich nett.", bemerkte ich nachdenklich.
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Kurze Zeit später standen wir endlich vor der Eingangstür, unter dem roten Neonschriftzug "Fortuna". Ich schaute mich etwas desorientiert um, denn in der Dunkelheit erkannte ich nur einen schmalen Weg bergab zu meiner Rechten und einen schmalen Weg bergauf zu meiner Linken. Vor uns ragten die jahrhundertalten Häuser in die Höhe und engten uns ein.
Als ich endlich die frische Nachtluft im Gesicht spürte und meine Lungen mit Sauerstoff verwöhnen konnte, sah ich es an der Zeit Anstalten zu machen meinen misshandelten Arm zu befreien:
"Ehm, entschuldigen Sie, Herr - ehm...", mir fiel ein, dass ich den Nachnamen von Leon gar nicht wusste, weshalb ich die Anrede einfach übersprang und gleich zum Punkt kam:
"Ich spüre langsam meine Finger nicht mehr."
Daraufhin blieb der Werwolf stehen, schaute erst mich, dann seine Hand an und als hätte er just in dem Moment bemerkt, dass er mich fest umklammert hielt, lies er blitzartig von mir ab.
"Dankeschön.", meinte ich etwas pampig und befühlte meinen Arm. Ich würde ihn später genauer unter die Lupe nehmen, wenn ich nicht mehr mit einem einschüchternden Werwolf vor einem Vamp-Club stehen würde. All meine Sinne waren nämlich gerade damit beschäftigt meine Umgebung auf potentielle Gefahrenquellen zu scannen. Ich fühlte, wie ich langsam aber sicher paranoid wurde.
Leon zündete sich während dessen bequem eine Zigarette, zog kurz daran und meinte dann mit einem süffisanten Lächeln in meine Richtung:
"Für eine Hexe hast du dich aber recht hilfsbedürftig angestellt."
Wahrscheinlich wollte er mich nur ein bisschen provozieren um meine Grenzen zu testen, für mich war dieses Thema jedoch ein wunder punkt; meine Reaktion fiel auch dementsprechend böse aus:
"Ich hätte diese ganze verdammte Bude dem Erdboden gleichmachen können, wenn ich nur gewollt hätte.", zischte ich und gestikulierte dazu ausgiebig, um auch ja bedrohlich zu wirken, "Ein Spruch, eine Handbewegung und das Fortuna wäre Vergangenheit."
Ich imitierte zum krönenden Abschluss eine selbstbewusste Pose, die ich irgendeiner draufgängerischen Serienpolizistin abgeguckt hatte, in der Hoffnung den Part der mächtigen Hexe überzeugend über die Bühne zu bringen.
Leon gluckste leicht, zog wieder an seiner Zigarette und meinte dann mit listig funkelnden, blauen Augen:
"Wenn du eine Hexe bist, wie wäre es dann mit einem kleinen Zaubertrick?"
Das Entsetzen saß mir tief im Magen:
"Ich - ich verschwende keine wertvolle Energie für kindliche Kunststückchen.", plapperte ich aufgeregt. Vorsichtig schielte ich zu Leon, der mich inzwischen genau im Visier hatte.
Meine Organe hüpften daraufhin allesamt wie Flummibälle durch meinen Körper.
Erst als Leon seine Zigarette auf den Boden schmiss, sie ausdrückte und mit gekreuzten Armen meinte:
"Dann eben nicht.", fühlte ich mich etwas besser.
Doch damit sollte der Abend noch nicht vorbei sein:
"Wenn die werte Hexe mir kein Zaubertrick zeigt, könnte ich ihr einen zeigen?"
War er Hobbyzauberer, oder was? Ich wandte mich ihm voll zu und legte den Kopf missmutig schief.
"Und du versprichst mir weder Körperteile oder Organe verschwinden zu lassen, noch in meinem Kopf herumzuwühlen?"
Leon verzog angewidert das Gesicht: "Also, wer würde denn soetwas tun?"
Ich musste etwas lächeln und fühlte mich etwas entspannter, woraufhin auch der Werwolf wieder grinste.
"Nun gut. Hier kommt also mein kleiner Zauber.", kündigte er an und zeigte dann auf mich, "Schließ deine Augen."
"Was?", hielt er mich für völlig bescheuert? Ich wurde heute schon von einem Vampir gekidnapt, danach erpresst und schließlich fast gegessen. Das Letzte was ich heute tun würde, wäre in einer verlassenen Gasse der stillen Altstadt in der Anwesenheit eines Werwolfes - der mir immer noch suspekt war - die Augen schließen!
"Der Zaubertrick funktioniert nur, wenn du das machst, was ich dir sage.", ermahnte mich Leon in einem seltsam weichen Ton, "Er ist auch wirklich harmlos. Ich möchte nur wissen, ob ich als Zauberer etwas hermache; schließlich muss so ein armer Schlucker wie ich viele Alternativen zur Hand haben."
Ich glaubte ihm kein Wort. Aber seine Argumentation war ehrlich lustig, was ihn weniger angsteinflößend wirken lies. Und da ich ihm für seinen Einsatz vorhin etwas schuldig war, gab ich schließlich nach:
"Na gut. Aber sei gewarnt: wenn ich wegen dir gleich sterben sollte, wird dich mein Geist jede Nacht heimsuchen um dich in den Wahnsinn zu treiben."
"Das merke ich mir.", nickte der junge Mann und wiederholte dann seine Anweisung: "Schließ die Augen."
"Ich werde es bereuen.", dachte ich noch laut, tat jedoch trotzdem brav was er sagte.
Kaum hatte ich die Augen zu, hörte ich schon Schritte auf den alten Backsteinen.
"Ich komme jetzt zu dir und lege meine Hände auf deine Schultern."
"Oh nein, mein Guter! Du wirst deine Hände schön bei dir - "
"Bitte, mach den Trick doch nicht kaputt."
Ich grummelte leise vor mich hin und fühlte mich immer unwohler in dieser Dunkelheit. Vielleicht sollte ich doch lieber kurz spicken um mich von seinen guten Absichten zu überzeugen? Nein, Robin. Lass das! Du bist ihm etwas schuldig, also sei gefälligst kein Spielverderber.
Ich spürte plötzlich zwei große, warme Hände auf meinen breiten Schultern, und roch gleichzeitig noch die Zigarette, die er vorhin geraucht hatte.
"Du solltest mit dem Rauchen aufhören.", bemerkte ich kleinlaut, weil ich den Geruch wirklich nicht leiden konnte.
"Und du solltest eigentlich still sein, meine Gute."
Okay, dann halte ich eben die Klappe. Aber er sollte sich lieber nicht daran gewöhnen, dass ich nachgab. Bis zum nächsten Mal würde ich mir Mut antrainieren und das letzte Wort haben. Ein herrlicher Plan, wenn ich anmerken darf.
"Nun gut. Ich erkläre dir kurz worum es geht.", begann er, und sein Atem strich dabei wohlig meine linke Backe, woraufhin ich kurz zusammenzuckte. Ich hatte nicht bemerkt, dass er so nah war!
"Sobald du die Augen öffnest, wirst du weder Angst vor mir haben - ", ich spürte, wie die Röte in mein Gesicht schoss. Er hatte es also bemerkt.
" - noch vor der ganzen restlichen Welt. Aber vor allen Dingen wirst du nicht mehr ganz die Alte sein."
Das klang vielversprechend. Wenn ich in der Lage gewesen wäre einen Ton herauszubringen, hätte ich ihn gerne gefragt, wie er all das schaffen wollte. Hatte er etwa vor mir mit irgendeinem geheimen Werwolfvoodo Superkräfte zu verleihen? Oder verriet er mir ein magisches Zauberwort, das mich denken lies, ich sei stark?
"Bist du bereit?", flüsterte er in mein Ohr, woraufhin ich erschauderte. Wer hätte gedacht, dass die Nähe eines wildfremden Menschen so angenehm sein konnte?
Ich nickte etwas benommen und wartete einige, harte Herzschläge in wilder Aufregung auf das, was kommen würde.
Gerade als ich den Mund zu einer Bemerkung öffnete, raubte mir etwas den Atem.
Es waren ganz klar die Lippen von Jemanden, die sich auf meine pressten und ehe ich mich versah, dominierte schon eine fremde Zunge meinen Mund, was meine Gedanken komplett aus der Bahn warf. Die Welt drehte sich gefühlte fünfzigmal, bis ich nicht mehr wusste wo oben und wo unten war. Ich taumelte kurz und wollte dann dem Kuss entweichen um mich wieder zu fangen, jedoch hielt mich Leon mit einer unvorstellbaren Kraft and Ort und Stelle, sodass es kein Entkommen gab. Als er den Kuss schließlich von selbst abbrach und von mir abließ hatte ich das Gefühl mich ersteinmal setzen zu müssen.
Als ich die Augen wieder öffnete bemerkte ich, dass sich Tränen angestaut hatten. Ein Zeichen dafür wie wütend ich war.
"Ein super Trick, nicht wahr?", grinste er selbstgefällig, und wandte sich dann zum Gehen.
"Du verdammter Mistkerl.", keuchte ich böse, noch etwas außer Atem. Das war das Beste zu dem ich in der Verfassung imstande war.
Er lachte nur und verschwand mit kaum hörbaren Schritten in der Dunkelheit der langen Gasse.
Ich ging in die Hocke und vergrub mein Gesicht in meinen gekreuzten Armen.
An diesem einen einzigen Tag war ich gefühlte zwanzig Jahre gealtert. Und der Geschmack von Zigaretten und Minze in meinem Mund erinnerte mich noch die ganze Nacht daran.
Fortsetzung folgt...
Tag der Veröffentlichung: 01.04.2013
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Für meine Schwester,
und alle, die gerne lachen!