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Ich habe dir eine Blume gepflückt. Weißt du das? Nein, natürlich weißt du das nicht. Du siehst mich ja nicht einmal. Aber du bist halt auch nur ein Mensch. Und ihr Menschen habt mich schon immer übersehen. Es liegt einfach in eurer Natur. Ihr Menschen nehmt mich einfach nicht mehr wahr. Früher, da war meinesgleichen bekannt. Da haben sich die Menschen vor uns gefürchtet. Auch wenn sie uns oft unrecht getan haben. Genauso wie sie unschuldige Erdbewohner für unsereins gehalten haben. Ihr Menschen seid so kurzsichtig, was diese Dinge angeht. Früher nannte man jemanden wie mich 'Nachtalb', auch wenn dies meist mit weiblichen Geschöpfen in Verbindung gebracht wurde. Aber es gab auch männliche Nachtalben, und davon nicht zu wenig. Nur haben sich die männlichen Nachtalben eher im Hintergrund gehalten, während sich unsere weiblichen Mahren gerne unter das Volk mischten. Sie haben schon immer menschliche Männer unsereins vorgezogen und sich lieber mit ihnen vergnügt. Es war für sie auch ein leichtes, ihr Menschen habt euch ja so leicht blenden lassen. Wenn eine Mahr wollte, konnte sie ihre Gestalt in die eines atemberaubend schönen Mädchens verwandeln und jeden Mann somit um den Finger wickeln. Jedem Nachtalb war diese Fähigkeit zu eigen. Ja, wir konnten uns wandeln und Angst und Schrecken verbreiten. Oder aber die größte Lust und Leidenschaft. Das einzige, wozu wir nie fähig waren, war die Liebe. Sie war uns gänzlich fremd. Damals hätten wir sie auch nie gebraucht, da unsere einzige Lebensaufgabe darin bestand, Verwirrung unter euch Menschen zu stiften. Doch die Zeiten haben sich inzwischen geändert. Ihr Menschen glaubt nicht mehr an uns. Ihr versucht, alles durch eure heißgeliebte Wissenschaft zu erklären, für alles einen rationalen Grund zu finden. Und doch seid ihr so blind dabei, dass ihr das Wesentliche überseht. Und da ihr uns genauso überseht, weil ihr nicht mehr an uns glaubt, haben wir uns verändert. Nicht unsere Gestalt, die ist im Prinzip so wandelbar wie eh und je. Aber unser Wesen. Es hat sich angepasst. Es ist verletzend, festzustellen, dass man nicht mehr wahrgenommen wird und es ist gefährlich. Wir verblassten mit der Zeit und spürten unseren nahenden Untergang. Das wollte natürlich keiner von uns und so fingen wir an, uns euch Menschen anzugleichen, damit ihr uns wieder wahrnehmen würdet. Wir verloren unsere ureigene Beschaffenheit und entwickelten menschliche Gefühle. Wir wurden menschlich. Das war wohl das Schlimmste daran. Wir verloren unsere wahre Identität völlig und konnten doch niemals vollkommen menschlich werden. Wir wurden unzulängliche Zwischenwesen. Ein solches bin auch ich. Und die Verwirrung, die wir einst verbreiteten, hat nun mich erfasst und lässt mich nicht mehr klar denken. Ich habe mich immer mit Händen und Füßen dagegen gesträubt und gewehrt, aber ich war machtlos. Und nun ist es endgültig um mich geschehen. Ich habe mich in dich, in ein Menschenkind, verliebt. Ich, der nie auch nur geahnt hat, was Liebe sein könnte, bin ihr nun gänzlich erlegen. Aber du, meine Auserwählte, siehst mich nicht einmal. Siehst durch mich hindurch. Und selbst, wenn du mich sehen könntest, so würdest du mich doch nicht wahrnehmen. Ein so wundervolles Geschöpf, gleich einem Engel, würde so einem niederen Wesen wie mir höchstens mit Argwohn und Abscheu begegnen. Und ich kann es dir nicht einmal verdenken. Es war niemals vorgesehen, dass wir Nachtalben menschlich werden und durch diese Absonderlichkeit haben wir es beinahe verlernt -oder vergessen- uns zu verwandeln. Und das ist gefährlich, denn wir Nachtalben haben keine definierte Form, sie war niemals von Nöten. Denn meistens zeigten wir uns euch Menschen genau so, wie ihr uns sehen wolltet oder wie wir euch uns sehen lassen wollten. Und daher haben die meisten von uns nun eine dieser Formen angenommen. Entweder eine menschenähnliche oder aber eine der Gestalten, die uns die Menschen angedichtet haben. Meist teufelsgleich mit Hörnern, Hufen und einem langen Schwanz. Wirklich einfallsreich, diese Menschen. Sehen wir es doch realistisch. Fabelwesen gab es schon immer in der Menschenwelt und ihnen gab man schon immer die seltsamsten, ausschweifensten und buntesten Gestalten, dichtete ihnen tierische Merkmale an, auch menschliche, oder aber völlig neu erdachte Formen. Ihr hattet damit eine Artenvielfalt erschaffen, die ihresgleichen suchte. Und für uns Nachtalben fiel euch dann nichts besseres mehr ein, als uns dieses typisch teuflische Aussehen zu geben, diese schon längst abgetragene Kostümierung, dieses „Second Hand“-Gewandt, um es neumodisch auszudrücken. Und damit habt ihr uns auch gleichermaßen zur zweiten Wahl in der Dämonenwelt gemacht. Wir hatten es nie leicht, aber damals habt ihr Menschen wenigstens überhaupt an uns geglaubt. Der einzige Trost dabei war, dass ihr dann auch an keines der anderen mythischen Geschöpfe mehr geglaubt habt. Und wir hatten zumindest die Möglichkeit, weiter zu existieren. Dieser Vorteil war vielen anderen Wesen nicht gegeben. Um genau zu sein, eben allen, die ihre Gestalt nicht ändern und sich euch Menschen nicht anpassen konnten. Oh, und sie starben nicht einfach, wie du vielleicht annehmen könntest. Oh nein. Sie entschwanden, lösten sich in Luft auf, vergingen. Sie verschwanden ins Nichts. Sie verloren ihre Existenz, verblassten nach und nach und wurden nie mehr gesehen. Und sie wurden zu Legenden, Mythen, zu etwas Vergangenem. Vielleicht sollte ich mich also über mein Schicksal glücklich schätzen. Immerhin hatte ich die Chance, weiter zu existieren. Aber was würde es mir bringen? Dieses Leben...wenn man es denn Leben nennen wollte. Kannst du dir vorstellen, was für ein Gefühl das ist, wenn man plötzlich spürt, wie sich etwas in der Brust zu regen beginnt? Wenn da plötzlich etwas von innen mit aller Kraft gegen deine Rippen schlägt, als wolle dieses Ding einfach aus dir ausbrechen? Wenn du denkst, das wäre nun doch endgültig das Ende und nun würdest auch du einfach ins Nichts verschwinden? Weißt du überhaupt, wovon ich rede? Dieser elende Verräter in meinem Brustkorb. Dieses sich windende und pochende und pulsierende Etwas, dem plötzlich die Idee gekommen ist, heißes Blut durch meine erkalteten Venen zu pumpen, meinen gerade erst entstandenen Körper mit Leben zu erfüllen und -vor allem und noch schlimmer- mit Gefühlen. Weißt du, was das für ein Schock ist? Ich wette, du kannst es dir nicht vorstellen. Nein, keinen blassen Schimmer hast du! In deiner Brust schlug ja schon von Anbeginn der Zeit dein Herz. Es hat schon seit jeher deine Adern mit Blut versorgt und dich am Leben erhalten. Du bist daran gewöhnt, wütend, traurig, fröhlich, verstört oder sonst was zu sein. Eben Gefühle zu haben. Doch mich hielt immer der pure Glaube der Menschen am Leben, nicht mehr und nicht weniger. Und von hier auf jetzt war ich plötzlich auf das Schlagen dieses verkümmerten Muskels in meinem Torso angewiesen. Wie viel Kraft mochte schon in einem solchen Winzling stecken? Wie lange könnte mich dieses pochende Ding schon am Leben erhalten? Was meinst du? Ich weiß es nicht...
Ich weiß auch nicht, ob es von Vorteil ist, von nun an in menschlicher Gestalt auf Erden zu wandeln. Zwar würde ich als dämonisches Wesen keine großen Überlebenschancen haben (man würde mich entweder zu einer dieser Kuriositätensammlungen stecken oder mich schlicht und ergreifend ins Jenseits befördern, um mich dann auseinander zu rupfen wie einen Fisch, den man ausnimmt. Nur, um mich zu erforschen und zu untersuchen. Toller Abgang, wenn man auf große Abgänge steht. Das ist allerdings eher weniger für mich.) Allerdings frage ich mich auch, ob es mir in dieser menschlichen Hülle wirklich besser ergeht. Zwar laufe ich weniger Gefahr, ein allzu frühes Ableben in Kauf nehmen zu müssen, aber was bietet mir dieses Leben schon? Ich gebe einen miserablen Homo Sapiens ab, schließlich habe ich keine Übung darin. Und euch Menschen zu beobachten oder selbst einer von euch zu sein, darin besteht ein gewaltiger Unterschied. Und dann ist da ja auch noch diese leidige Geschichte mit der Liebe. Sie hat mich einfach überfallen, hinterrücks überrumpelt und mich niedergeschlagen. Denn genauso fühlte es sich an. Wie ein Schlag in die Magengrube. Als ich dich das erste mal sah -es war tatsächlich an einem sonnigen Frühlingstag, dass ist doch wirklich beinahe zu viel des Kitschs- war es sofort um mich geschehen. Ich liebte die Art, wie du dein haselnussbraunes Haar mit deinen schlanken Fingern zwirbeltest, wie du deine rechte Augenbraue lasziv hochzogst und dabei verschmitzt lächeltest, wie du deine grünen Katzenaugen gespielt genervt rolltest, wie du deine zarten Hände vor dein Gesicht hieltest und verhalten kichertest, wie du beim Gehen die Hüften schwingen ließest, ich liebte einfach alles an dir. Vor allem aber deinen Duft. Du hast immer so herrlich geduftet. So verführerisch und anmutig und gleichzeitig so unschuldig und verspielt. Ich habe diesen Duft immer noch in der Nase und ich sehe deine faszinierenden Augen immer noch vor mir, wenn ich die meinen schließe. Du verfolgst mich bis in meine Träume und auch im Wachsein denke ich nur an dich. Oh, was hast du nur mit mir gemacht, elendes Teufelsweib? Was ist das nur für ein grausamer Zauber, der mich gefangen hält? Und dabei bin ich dir doch völlig gleichgültig. Dabei hast du keine Ahnung von meiner Existenz. Dabei triffst du dich immer wieder mit diesem schmierigen Anwalt. Was kann dieser Kerl dir schon bieten? Ich würde dir mein Herz zu Füßen legen, würde dich auf Händen tragen, für dich durch die Hölle gehen und für dich sterben. Würde dein sauberer Anwalts-Freund das auch für dich tun? Hast du denn den Ring an seinem Finger nicht gesehen? Oder willst du ihn nur nicht sehen? Oh, mein Engel, warum gibst du dich ihm nur hin? Hast du denn gar keinen Stolz? Wenn du mich schon verschmähst, so könntest du dir wenigstens einen Freund suchen, der deiner angemessen ist. Einer, der dich zu schätzen weiß. Aber ich werde dir schon die Augen öffnen. Weißt du, dein Winkeladvokat hat inzwischen keinen Ring mehr am Finger. Obwohl, dass ist so nicht richtig. Der Ring befindet sich schon noch an dem Finger...nur der Finger befindet sich nicht mehr an seiner Hand. Ich habe ihn abgetrennt. Ich hätte es gerne professioneller erledigt, aber leider hatte ich nur eine Gartenschere zur Hand. Aber der Vorteil daran war, das die Schere auch groß genug war, eines seiner anderen Körperteile zu entfernen. Das einzige Körperteil, dass du anscheinend an ihm interessant fandest. Ich schätze, du hast keine Ahnung, dass dein toller Anwalt auch wunderbar winseln und betteln kann, oder? Oh ja, er hat mich angefleht, ihm nichts zu tun, ihn am Leben zu lassen. Nun, am Leben habe ich ihn gelassen, sofern er inzwischen nicht verblutet ist. Doch ich könnte mir vorstellen, dass er sich inzwischen wünscht, ich hätte auch diese Bitte ignoriert. Ich glaube nämlich nicht, dass er mit dieser Beeinträchtigung leben könnte. Nicht ein Mann wie er einer ist. Männern wie ihm geht es immer nur um das Eine und dazu wird er definitiv keine Möglichkeit mehr haben. Und ich schätze auch, dass sein kleines Frauchen nicht allzu begeistert sein wird. Ich habe mir nämlich die Freiheit herausgenommen, ihr eine kleine Nachricht zukommen zu lassen, was ihr angetrauter Gatte denn so hinter ihrem Rücken treibt. Aber keine Angst, ich habe deinen Namen nicht erwähnt. Alles muss die arme Frau ja nun auch nicht wissen. Doch ich bin noch nicht fertig. Noch nicht ganz. Meinen Nebenbuhler habe ich vielleicht aus dem Rennen geworfen, aber inzwischen habe ich begriffen, dass er niemals der einzige sein würde. Du würdest wahrscheinlich jedes männliche Wesen mir vorziehen. Und ich kann sie schlecht alle entmannen. Das wäre zu viel des Aufwands und auch nicht Sinn und Zweck der Sache. Und ich habe überlegt, dass es nur eine Lösung gibt. Wenn ich dich nicht haben kann, dann soll dich eben niemand haben. Doch dann fand ich etwas anderes heraus. Es gibt nämlich doch eine Möglichkeit, dich ewig an mich zu binden. Keine Sorge, ich will dir nichts tun, ich könnte dir niemals wehtun. Ich verspreche dir, dass es nicht wehtun wird. Ich habe Morphium besorgt, viel Morphium. Ich würde dir lieber einige Narkotika verabreichen, damit du nichts von der Prozedur mitzubekommen brauchst, nur leider musst du dabei bei Bewusstsein sein. Daher muss das Morphium genügen. Das Ganze wird ein wenig dauern, der Vorgang ist recht aufwendig, aber es wird sich lohnen. Du wirst dein neues Leben genießen und wir beide werden auf ewig glücklich sein. Was hältst du davon? Klingt das nicht wunderbar? Gut, ich werde dir kurz erklären, was ich tun werde. Du wirst es zwar sowieso miterleben, aber ich möchte, dass du vorbereitet bist und weißt, was auf dich zukommt. Denk immer daran, dass du keine Schmerzen spüren wirst, es ist also alles halb so schlimm.
Zuerst schneide ich dir den Brustkorb direkt neben deinem Herzen auf, denn an genau dieses Organ muss ich heran, wenn ich alles genau durchführen will. Ich lege also dein Herz frei und werde auch selbiges durch einen weiteren Schnitt öffnen. In dein offenes Herz werde ich dann einige Tropfen von meinem Blut träufeln und danach meinen Samen hinein pflanzen. Im Anschluss entferne ich dir einige kleine Teile deiner anderen Organe. Leber, Nieren und so weiter. Diese Teile werden zusammen mit einigen anderen Zutaten sowie deinem Blut vermischt, am offenen Feuer erhitzt und den daraus entstandenen Sud werde ich trinken. Zu guter Letzt werde ich mir deine gekochten Organteile einverleiben. Wenn dies geschehen ist, nähe ich deinen Brustkorb wieder zusammen und versetze dich in einen künstlichen Schlaf. Wenn du wieder erwachst, sind unsere Seelen untrennbar miteinander vereint und mein Blut wird durch deine Adern fließen und auch umgekehrt. Doch du wirst kein Mensch mehr sein. Zumindest nicht mehr im üblichen Sinne. Die Prozedur wird dich verändern und zu einem Zwischenwesen wie mir machen. Du wirst dein vorheriges Leben vollständig vergessen und wir werden den Rest der Ewigkeit gemeinsam verbringen und uns bis ans Ende der Zeit lieben. Nichts wird uns dann jemals wieder trennen können. Ich hoffe, du bist bereit. Nein, schrei nicht, ich tu dir doch nicht weh. Das habe ich dir versprochen. Wehr dich nicht länger, es hat doch keinen Zweck. Wehre dich nicht gegen dein Schicksal. Oh, wie schön dein Gesicht im Mondlicht aussieht. Dieser Glanz in deinen Augen, gilt er mir? Sieh nur, da entweicht eine Träne deinem Auge. Warte, ich wische sie dir weg. Sei ganz ruhig, meine Prinzessin, gleich fängt das Morphium an zu wirken. Dann werde ich dir auch die Fesseln abnehmen, sie sind dann überflüssig. Ich will nicht, dass sie deine zarte Haut verletzen, aber solange du dich noch wehrst, sind sie von Nöten. Du wirst endlich ruhiger, immer ruhiger und dann liegst du still. Ja, ich glaube, das Morphium hat nun seine Wirkung vollständig entfaltet. Endlich kann ich mit der Prozedur beginnen. Fürchte dich nicht, Liebste...

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Tag der Veröffentlichung: 19.12.2008

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