Ereignisreicher Besuch
Sivera signalisierte der Bediensteten mit einem energischen Absetzen ihrer Tasse, dass sie diese erneut aufgefüllt wünschte. Es hatte einiges an Zeit und strengen Worten gekostet, bis die Diener ein Gefühl für sie bekommen hatten und ihre Befehle erkannten, ohne dass sie ein Wort an diese richten musste. Sie blickte auf, als die Türen des Salons, in dem sie saß, geöffnet wurden und ihr Gatte eintrat. Sivera erhob sich und legte das Buch, das sie vorgab zu lesen, auf einen nahestehenden Sekretär.
,,Du bist früh. Ich habe erst im Verlauf des Nachmittages mit deiner Rückkehr gerechnet.”
Tamir lächelte. Sie stockte, als er vornehm hielt und darauf verzichtete sie mit einem Kuss zu beglücken.
,,Verzeih, wenn ich deine Ruhe störe.”
Sivera bemerkte auf einmal die Person, die hinter ihm eingetreten war: ein Mann von schmächtiger Gestalt, gekleidet in eine förmliche Uniform. Ihr Blick wanderte von seiner schlanken Figur zu seinem Gesicht, als er aus dem Schatten ihres Ehemannes trat. Fassungslos stockte ihr Atem. ,Wie kann das sein?’, dachte sie in einem Aufkeimen von Panik, als die Betäubung des Schreckens nachzulassen schien. Der Mann betrachtete sie. Er trug einen Bart, der sein Gesicht bedeckte, jedoch nicht die Verwunderung seiner Miene verbarg.
,Ist er hier, um es zu Ende zu führen? Nein… er wäre nicht überrascht.’, rasten ihre Gedanken.
,,Liebes, geht es dir gut? Du wirkst auf einmal so blass.”, äußerte Tamir besorgt und berührte sie, gegen die Etikette am Arm.
,,Ich… Mir ist ein wenig schwindelig.”
,,Soll ich dich hinaus an die frische Luft begleiten?”
Sivera klaubte ihre Selbstbeherrschung wieder zusammen und hob das Kinn, um eine sicherere Haltung anzunehmen. Er durfte ihre Verunsicherung nicht wahrnehmen.
,,Nein. Wer ist der Gast, den du mitgebracht hast?”, fragte sie und sah Tarrock in seiner lächerlichen Verkleidung an. Sein Überraschen war verflogen und in seinen Mundwinkeln war der Ansatz eines Lächelns zu erkennen. Dass es guter Natur war, bezweifelte sie.
,,Darf ich vorstellen? Botschafter Corwin. Er ist aus Sakarya angereist, um im Auftrag seines Königs Handelsabkommen zu schließen. Ich habe angeboten ihm bei uns Unterkunft zu gewähren.”
,,Wie aufmerksam von dir. Soll ich das Gästezimmer herrichten lassen?”, fragte sie, obwohl der Gedanke, diesen Mann in ihrem Heim zu haben, ihr Unwohlsein bereitete. Es war viel Arbeit gewesen, ihr Leben auf der Straße gegen jenes, das sie nun im Reichtum genoss, zu tauschen. Sie hatte sogar fremde Männer unterhalten müssen, um an Geld zu gelangen und sich teure Kleider zu kaufen. Erfolgreicher als jede andere Frau, hatte sie Tamir den Hof gemacht. Ihr wurde schlecht, denn Calebs Auftauchen hätte alles zerstören können.
,,Ich habe es bereits in Auftrag gegeben. Wollen wir uns nicht setzen?”
,,Wollt Ihr mir Eure Frau nicht vorstellen?”, funkte Botschafter Corwin ihrem Gemahl dazwischen.
,,Verzeiht, wo sind nur meine Manieren? Das ist Sivera.”
Tarrock neigte sich vor, ergriff ihre Hand und begrüßte sie mit einem Handkuss. Alles in ihr sträubte sich und sie war versucht ihn fortzuschlagen. Sein Atem strich über ihre Haut und die Stoppeln seines dunklen Bartes kratzten sie.
,,Freut mich, Eure Bekanntschaft zu machen.”, heuchelte er im förmlichsten Ton und gab ihre Hand wieder frei.
,,Die Freude ist ganz meinerseits.”, bewies sie ihm, dass nicht nur er die überflüssigen Floskeln der höheren Gesellschaft erlernt hatte. Er begegnete ihr mit einem Lächeln. So freundlich ihr Mann diese Miene auch finden mochte, sie kannte die wahre Gefahr hinter dieser Maskerade. Ein Klopfen an der Salontür und deren Öffnen riss sie aus ihrer Konzentration; sie versuchte keine verräterischen Gefühle in ihre Mimik schleichen zu lassen. Ein Diener trat ein und verbeugte sich.
,,Ihr habt Besuch, mein Herr. Es ist dringend.”
Der Bedienstete verharrte in seiner Haltung. Tamir wandte sich an sie und sprach: ,,Würdest du dich um unseren Besucher kümmern? Es wird nicht lange dauern.”
,,Natürlich.”, lächelte sie und Tamir verließ den Raum. Der Diener schloss die Türen und Sivera kämpfte gegen ihr Unwohlsein an. Wenn ihr Mann wüsste, welch ein Leben sie geführt hatte, dann würde er sie von sich stoßen. Niemand seines Standes wollte ein ehemaliges Gossenkind zur Frau.
,,Was zur Hölle tust du hier?”, ergriff sie das Wort, bevor er dies tun konnte.
,,Na, wo sind denn auf einmal deine Manieren hin?”
Er blieb ruhig, um sie zu provozieren und besaß auch noch die Dreistigkeit in dem Raum umherzuspazieren, um sich die noble Einrichtung genauer anzusehen. Mit den Fingern strich er über das Silberservice, das auf einer Anrichte stand.
,,Welchen Köder musstest du auslegen, damit du an seinen Reichtum gelangen konntest? Deine Fähigkeiten im Schlafzimmer können es nicht sein. Die haben schon immer etwas zu wünschen übrig gelassen.”
Sivera ballte ihre Hände zu Fäusten, die sie in den Falten ihres Rockes verbarg. Den Gefallen, die Beherrschung zu verlieren oder gar rot anzulaufen, würde sie ihm nicht tun.
,,Wenn ich mich recht entsinne, dann warst du damals noch anderer Meinung.”, sprach sie beherrscht und fixierte seinen Rücken, während er sich weiterhin umsah. Trotz der rund zehn Jahre, die vergangen waren, hatte er sich äußerlich nur wenig verändert. Seine dunklen Augen stachen jeden, auf die er sie richtete und seine markante Nase, deren Knick er einer Schlägerei zu verdanken hatte, erinnerte sie an den Tag, an dem auch sie ihm diese gebrochen hatte.
,,Ich würde behaupten, wir waren beide nicht ganz ehrlich zueinander.”
,,Du hast versucht mich zu töten.”
Tarrock durchschritt den Raum und entdeckte das Buch, das sie zuvor noch gehalten hatte.
,,Du bist doch nicht etwa nachtragend?”
Er nahm die Lektüre auf und blätterte darin.
,,Wäre ich nachtragend, hätte ich nicht das Land verlassen, sondern mich an dir gerächt.”
,,Wofür? Du warst es doch, die mein Geschäft ruiniert hat. Deinetwegen musste ich mir ein neues Leben in einer völlig fremden Stadt aufbauen.”
,,Denkst du, ich weiß nicht, dass du mich damals um meinen wahren Anteil betrogen hast? Deine Einnahmen aus unseren Raubzügen waren größer, als du mir gesagt hast. Du hast nicht das Recht verwundert zu sein, wenn ich einige deiner Pläne vereitelt habe, um Geld zu kassieren.”
Er klappte das Buch wieder zu und lächelte sie an. Sie erinnerte sich daran, wie oft sie dieser Anblick in die Knie gezwungen hatte.
,,Ich nehme an dein Gemahl weiß nicht, dass du nicht lesen kannst?”, lenkte er das Gespräch in eine andere Richtung. Sivera schluckte, behielt dennoch ihre kühle Miene bei. Tarrock schmunzelte und fuhr fort: ,,Ach, Siva. Du brauchst dir keine Sorgen machen, dass ich dich verrate. Wir sind doch Freunde, nicht wahr?”
,,Deine Auffassung von Freundschaft war schon immer fragwürdig.”
,,Dann lass mich das Missverständnis zwischen uns wieder bereinigen. Ich habe Informationen bezüglich deines Mannes, die dich interessieren könnten.”
Sivera verschränkte die Arme. Was auch immer er im Schilde führte, sie würde sich nicht mehr auf seine Spielchen einlassen.
,,Was für Informationen sollen das sein? Du bist hier wegen gewisser Handelsverträge.”
,,Nein. Ich bin kein Botschafter.”
,,Was dann?”
,,Ich bin Auftragsmörder. Der König von Sakarya hat mich engagiert, damit ich mich um ein kleines Problemchen kümmere.”
Sivera erstarrte. Ihr war klar, dass er niemals den Posten eines Botschafters hätte ausführen können.
,,Was für ein Problem?”
,,Nun ja… Ich soll den König Calatyas töten.”
,,Was? Warum?”
,,Vertrauenswürdige Informanten haben herausgefunden, dass er einen Angriff auf Sakaryas plant, um Bodenschätze auszubeuten und an ein größeres Herrschaftsgebiet zu gelangen.”
,,Und was hat das mit Tamir zu tun?”
Tarrock machte einige Schritte auf sie zu.
,,Du bist nicht die einzige gewesen, die Geheimnisse hat. Dass du ihn allerdings nicht besser überprüft hast, finde ich durchaus genugtuend. Sein Reichtum hätte dich skeptisch machen müssen.”
,,Was? Du willst mir ernsthaft weismachen, dass er König ist?”, fragte Sivera ungläubig.
,,Ja. Seine Familie regiert schon seit Jahrzehnten aus dem Hintergrund. Spione sind hinter das Geheimnis gekommen. Bedauerlicherweise wird ihn das nicht vor einem Anschlag bewahren.”
Plötzlich wurde die Tür aufgeschlagen. Tamir erschien und etwas zischte an ihr vorbei. Erschrocken sah sie Tarrock mit einem Wurfmesser in der Brust zu Boden sinken. Er fiel und rührte sich nicht mehr. Sivera war geschockt und erstarrte.
,,Liebes. Hat er dir etwas getan?”
,,Er… er sagte, dass… du bist König? Ist das wahr?”
Tamir nickte. Sivera fiel ihm in den Arm und er drückte sie an sich. Sie ließ ihre Hände unter sein Jackett wandern und erfasste den Dolch, den er immer bei sich trug. Bevor er etwas tun konnte, hatte sie die Waffe aus dem Halfter gelöst und ihm zwischen die Rippen gestoßen. Mit aufgerissenen Augen japste er nach Luft und stolperte zu Boden. Er bewegte sich nicht mehr.
,Ich bin Königin.’, dachte sie und rannte aus dem Salon, um Hilfe zu holen.
Texte: Alle Rechte vorbehalten
Tag der Veröffentlichung: 26.07.2012
Alle Rechte vorbehalten