Gefühle sind nichts als Nebelschwaden in der Landschaft.
Man weiß gar nichts, alles ist kaschiert. Verstehen, wie soll man klare Bilder sehen.
Es gibt nicht den Hauch einer Ahnung, wenn auch ein Lächeln trügen kann und die Augen nicht einmal Warnung sprechen.
Worte können so unwirklich sein, Taten verrinnen in der Zeit. Wie kann etwas passieren, ohne, dass es bemerkt wird?
Geheimnisse und das, was uns im Stillen widerfährt. Keiner weiß irgendwas und selbst, wenn wir es wissen, reicht es nicht. Und woher weiß man, dass es nicht zu viel Wissen ist, was man mit sich trägt? Was der andere mit sich trägt.
„Dina...?“, eine verwirrte Stimme brach die unheimliche Stille, die mich umgab und beinahe erdrückte. Aber ich realisierte es nicht, ich realisierte gar nichts. Keinen Atemzug, keinen Schritt, keinen einzigen Windstoß. Ich stand einfach nur da und starrte in das Nichts. Schritte kamen wohl auf mich zu, denn ich konnte die Vibration des Bodens wahrnehmen. „Hey...?“, Eine Stimme. Oder war es doch nur das reine Jaulen des Windes? Ich reagierte nicht. Es war, als würde mich irgendetwas in mir stoppen, etwas, dass mich nicht mehr entscheiden ließ, was ich tat. Ich war von purer Kälte umgeben, und langsam spürte ich, wie diese sich einen Weg durch meinen Leib bahnte, ich bekam Gänsehaut am ganzen Körper. Wie eine Eisskulptur fühlte ich mich, erstarrt und innerlich so leer, als sei ich kein Mensch, als könne man durch mich durchsehen. Es schien, als sei der sichtbare Teil meines Körpers nur die bittere Hülle eines Nichts. Denn so fühlte ich mich gerade, wie nichts. Die Schritte kamen näher und stoppten kurz hinter mir, ich konnte die Wärme spüren, die diese Person mit sich brachte. Es wurde nun wärmer und wärmer. Raus wollte ich hier, aber ich konnte mich nicht aus dieser Trance befreien. Mit aller Kraft kämpfte ich dagegen an. Plötzlich spürte ich eine Hand auf meiner Schulter, und auf einmal fühlte es sich an, als würde ein Blitz durch meinen ganzen Körper fahren, als würde diese Person mich mit ihrer Wärme erfüllen. Das Eis schmolz. Nun konnte ich wieder alles um mich herum wahrnehmen, meine Sinne waren wieder zurück, ich hatte endlich wieder die Kontrolle über mich, auch, wenn dieses Eis etwas zurückließ - Kälte und Verwirrung.
„Dina, ist alles..?“, schlagartig drehte ich mich um, gleichzeitig kam ein großer Windstoß auf mich zu und wirbelte mein Haar herum. Verwirrt sah ich in zwei Augen, zwei Augen die wegen der Dunkelheit ebenfalls so dunkel wirkten, es aber höchstwahrscheinlich nicht waren, denn etwas helles spiegelte sich in ihnen wider. Man hätte sich darin verlieren können, während man nach dem Ende suchte. Noch nie sah ich eine solche Art von Augen, oder lag dieses Empfinden gerade daran, dass ich für kurze Zeit weg war? Das geschmolzene Eis schien meine Seekraft irgendwie zu beinträchtigen. Ich war fasziniert, dieser helle Schleier legte sich um die ganze Iris, sodass eine helle Umrandung wie eine Schutzwand, wie Nebel, wirkte um das Verborgene nicht erspähen zu können. Geheimnisvoll. Für einen kurzen Moment war ich vollkommen in diesen Augen verloren, konnte mich aber nach ein paar Sekunden wieder fangen. Langsam wurde die Hand wieder von meiner Schulter genommen und der kühle Wind bekam wieder seine Angriffsfläche zurück. Leicht wurde ich dabei am Arm gestriffen. „Dina, du bist ja eiskalt!“, hörte ich eine tiefe und zugleich sanfte Stimme schockiert feststellen, als Beweis dafür strich mir die Person noch einmal über den ganzen Arm.
Die Person? Welche Person? Noch ein Blitz. Auch die wässrigen Rückstände des Eises schienen langsam zu schwinden, ich war nicht mehr benebelt, ich war in diesem Moment wieder bei Verstand. Diese Person, ich kannte diese Person doch. „Kim!“, schrie ich ungewollt total schrill, so schrill, dass der Schrei immer noch in meinen eigenen Ohren schmerzte. Ich wollte mir nicht ausmalen, wie sehr er in seine Ohren drang. Verärgert schlug ich seine Hand von meinem Arm und sah mich hektisch um, ich musste wissen wo ich war und stellte erleichtert fest, dass ich nur im Vorgarten meines Hauses stand. Bibbernd vor Kälte verschränkte ich die Arme vor meiner Brust. Kein Wunder, dass ich fror, ich stand auch in einer frischen Mainacht im knappen Nachthemd hier draußen. Leicht eingeschüchtert sah ich ihn an. „W-was machst du … hier?“, stotterte ich ungewollt. Man konnte ihm ansehen, dass er in diesem Moment nicht recht wusste, was er sagen sollte, oder vielleicht wusste er auch ganz einfach selbst nicht, was er hier tat. Mit wackeligem Gang machte ich mich auf den Weg zur Haustür, doch hielt für einen Moment inne. Wie im Rückblick kam mir alles was vorhin passierte wieder vor Augen. Kim, Kim, Kim. Warum Kim? Nachdenklich drehte ich mich noch einmal nach hinten um und erkannte, dass er sich bisher noch keinen Millimeter bewegt hatte und mir die ganze Zeit nachsah. Als er bemerkte, dass ich ihn ansah und unsere Blicke sich trafen, blickte er schnell Weg. Und schon sah ich das typische Verhalten Kims, was ich traurigerweise gewohnt war. Vollidiot, er war einfach der größte Vollidiot den ich kannte. Kim war so unglaublich cool, er dachte in erster Linie nur an sich selbst, so überheblich, dass man ihn nie von seiner Selbstüberzeugung abbekam, der die Menschen so abwertete, als seien sie einfach nur irgendwelche Figuren in einem Spiel und er der Mittelpunkt. Der einzigartige Mittelpunkt, an den nie jemand herankommen würde. Also die Sonne. Genau, besser hätte ich es nicht beschreiben können. Kim war die Sonne. Aber dann ohne Sonnenstrahlen, viel mehr mit dunklen ätzenden Strahlen, alles andere würde nicht zu ihm passen. Ich weiß nicht warum, aber ein leichtes Lächeln schmückte meine Lippen. Unglaubwürdig schüttelte ich den Kopf. War es wirklich möglich, dass sich Kim gerade um mich gesorgt hatte? Es war ihm doch sonst auch immer gleichgültig, was mit den anderen Menschen geschah, was mir geschah. Ich dachte an alle Gemeinheiten die er schon ausheckte und ich war sichtlich verwirrt. Ich glaubte, er merkte es. Er konnte mir nämlich in dieser Nacht nicht mehr in die Augen sehen, dabei war er sonst doch immer so stark. Hektisch rannte er an mir vorbei und rief mir noch „Ich hoffe du schläfst schlecht, Bambi“, zu. Ja, so Sprüche wurden schon zur Gewohnheit, aber es tat mir sehr ... Hm wenn ich genau darüber nachdachte, eigentlich nicht Leid, dass ich in diesem Satz einen Funken Scham erkannte. Zudem sah er mich dabei nicht an. Dann sah ich ihn in das Haus links nebenan hereingehen. Nun bemerkte ich wieder, wie doll ich doch fror und ging durch die Hintertür des Wohnzimmers ins Haus.
Als ich hereintrat, schauderte ich ein wenig, denn ich konnte diese Totenstille überhaupt nicht ertragen. Der volle Mond leuchtete hell durch die Verandatüren und erfüllte den Raum mit ausreichend Licht, um einen Blick auf die an der Wand hängende Uhr zu wagen. 02 : 30. Angestrengt überlegte ich, was für ein Wochentag war und nach langem Nachdenken kam ich darauf. Es war Samstag in der Früh. Luca hätte jetzt wahrscheinlich „Freitag Nacht“ gesagt, denn für ihn fing der nächste Tag erst immer um 06:00 Uhr morgens an. Oh Luca, wie ich ihn jetzt in diesem Moment einfach nur hier haben wollte. Ich brauchte jetzt unbedingt jemanden, der mich in seine starken Arme nahm und so lange ganz fest drückte, bis ich nicht mehr fror und beruhigt einschlafen konnte. Immer noch etwas bibbernd vor Kälte tapste ich die Treppen zur zweiten Etage hoch. Dabei fiel mir auf, dass ich nicht mal Schuhe trug, als ich da draußen in der Kälte stand. Was mich aber noch viel mehr beunruhigte war die Ungewissheit darüber, was ich dort überhaupt zu suchen hatte. Wäre Luca da gewesen, hätte ich nie aus dem Bett kriechen können, da er mich jedes Mal so stark im Schlaf umschlung, dass ich mich kaum hätte bewegen können. Ich vermisste ihn gerade so. Als ich den Korridor entlanglief und ins Schlafzimmer kam, ertappte ich mich dabei, wie ich ganz leise durchs Zimmer schlich, um ja niemanden aufzuwecken. Doch leider lag mein Freund nicht in unserem großen Bett, was mir aber eigentlich bewusst war. Gewohnheiten waren manchmal wirklich belästigend und schwer loszuwerden.
Ich legte mich schnell ins Bett und wollte mich in die die Decke einmummeln, wieder wurde ich traurig, als ich die kühle Decke um meinen Körper schlung. Ich war es gewohnt, dass sie warm war, wenn ich ins Bett kam. Luca ging meistens schon aufgrund seines frühen Aufstehens eher ins Bett als ich. Da war ich es gewohnt, mich später in das von ihm aufgewärmte Bett zu legen und ihn für ein paar Sekunden beim schlafen zu beobachten. Bei diesem Gedanken rollte ich genervt mit den Augen, meine Gedanken gingen mir manchmal echt auf den Geist. „Chill doch du Bambi, dein Freund kommt doch schon morgen von seiner Geschäftsreise zurück, da brauchst du jetzt nicht einen auf trauernde Widwe machen!“, sprach mir meine inneres, total coole Stimme zu. Ich hasste sie, denn sie sprach genau wie Kim.
Konzentriert warf er sich die schwarze Robe über, gleich würde es losgehen, gleich würde er entgültig zu ihnen gehören. Gleich würde er sein Leben in fremde Hände geben. Vor einigen Tagen noch machte er sich durchweg Gedanken darüber, ob dies wirklich der richtige Weg für ihn sei. Ob er es überhaupt schaffen würde, dieses Weg zu gehen. Dann wurde es ihm klar, es war unbedeutend zu welchem Entschluss er käme, es gäbe so oder so kein zurück mehr. „Alter, du sitzt zu tief in der Scheiße“, hätte Timo jetzt festgestellt. Sein bester Freund fehlte ihm in manchen Moment. Er war der gute Teil seiner Seele, allerdings hielten sie ihn davon ab, sich von dieser Sehnsucht umstimmen zu lassen, denn sie waren jetzt seine engsten Freunde, Verwandten – schlicht und einfach seine Familie.
„Bist du bereit?“, eine großegewachsene und schlanke Frau betrat das Umkleidezimmer. Sie hatte sich ihre dunkelbraune Mähne zu einem Zopf zusammengebunden und betonte ihre attraktiven Kurven mit einer schwarzen Corsage aus Satin, dessen Saum mit einer roten Spitzenbordüre versehen war.
„Ich denke...“, fing er, doch sie unterbach ihn und kam einen Schritt näher.
„Meinst du nicht, es wäre ein bisschen zu spät um zu „denken“´? Es ist nun alles vorbereitet, die Jungfrau ist da.“
„Sag ihnen, dass ich in 2 Minuten da bin, Allekto“, er wollte sie auf keinen Fall verärgern, sie war uneberechenbar und schlug sofort zu, wenn ihr etwas gegen den Strich ging. Fatalerweise war sie nicht die einzige mit einem ausgeprägten Temperament, einer hohen Impulsivität, er würde sich vermutlich nie wieder von ihnen lossagen können. Glücklicherweise konnte er sie mit seinem nächsten Satz beruhigen, ihre Stirn glättete sich wieder, als ihre Augenbrauen schließlich auf ihre ursprüngliche Position zurückwanderten.
„2 Minuten, dann müssen wir aber wirklich beginnen.“, ermahnte sie ihn, bevor sie sich dann gekonnt auf dem Absatz ihrer knielangen Latexstiefel umdrehte. Das letzte was sie ihm nach diesem madamigen Abgang hinterließ war ein Luftzug, welcher ihm eine Gänsehaut hinterließ, als er an seinem Gesicht vorbeizog.
Er sah in den Spiegel und fand diese Augen, die nichts mehr mit denen zutun hatte, in die er sah, bevor er sie kennenlernte. Sie hatten etwas verbittertes, seine frechen Gesichtszüge, die ihn damals so liebenswert machten, wichen einem nun starren Blick und hinterließen nicht die geringste Spuren.
Er war bereit, fühlte sich zwar nicht so, musste es aber sein. Folglich verließ er mit langsamen Schritten das Umkleidezimmer, machte sich auf in das schwarze Kabinett, in dem er sonst immer nur Zuschauer war, mit der Rolle des Akteurs konnte er sich wahrlich noch nicht richtig identifizieren.
Das Kabinett war so leise, dass das Klacken seiner Absätze den ganzen Raum erfülten. Dieses Szenario erinnerte ihn an etliche Horrorfime, bei denen sich die Opfer meistens unter dem Bett oder im Schrank versteckten und aufgrund der Stille sich einzig und allein auf diese besagten Absätze konzentrierten. Obwohl er nun der Täter war, fühlte er sich eher eingeengt, als säße er in diesem Schrank und hoffte darauf, verschont zu bleiben.
Er versuchte beim Betreten des Eingangs bloß nicht auf den Altar zu blicken, damit ihn seine Kräfte nicht vorzeitig verließen. Er war der starke, er musste ja schließlich zu ihnen gehören, doch nun fühlte es sich an, als würde er „in der Scheiße“ ertrinken. Timos derber Slang war manchmal so widerlich, aber es passte. Er war widerlich, nichts anderes als das. Auf den schwarzen Satintüchern, die an der Wand und der Decke angebracht waren, tanzten die Lichtstrahlen für ihre überlebenswichtige Quelle, der Kerze, auch in schwarz gehalten. Diese im Kabinett vorherrschende Ruhe erdrückte ihn förmlich, jetzt wusste er auch, woher das Sprichwort „die Ruhe vor dem Sturm“ kam. Es war wohl der Lauf der Dinge, dass die friedliche Stille von einer Katastrophe überrollt wird. War er nicht doch nur eine Figur in ihrem Spiel? War er nicht doch nur Mittel zum Zweck? Insgeheim kannte er die schreckliche Antwort.
Mit starrem Blick ging er auf das Rudel Tiere zu, die schon sehnsüchtig auf ihre Beute warteten.
Als er ankam, legte ein dickbäuchiger Mann, mit schwarzer Kapuzenrobe und Baphomentsigel als Kettenanhänger, ihm die Hand auf die Schulter. Die flackernden Kerzenstrahlen malten ihm einen Schatten aufs Gesicht, als habe er zwei Gesichter, ein gutes und ein schlechtes. Leider müssten sich die Kerzen da geirrt haben, Adze hatte nur ein Gesicht, um es in Timos Worten zu sagen, „ein Arschgesicht“. Je verbitterter er wurde, desto derber wurde auch sein Sprachgebrauch. Aber er hatte recht, von allen Tieren hier, war Adze der Schlimmste, der Widerlichste und der Skrupelloste. Er machte diesem Verbund hier alle Ehren.
„Alles ist vorbereitet, mein Junge. Wir können beginnen.“, sagte er mit freudiger Miene und in seinen Augen spiegelte sich die barbarische Lust eines Psychopathen wider. Er nahm es für selbstverständlich, dass er nun keinen Rückzieher mehr machen würde. Adze war sich sicher, dass er wusste, was dann auf ihn zukäme. Als Adze nun am Altar stand, hatte er keine Chance mehr, diesen Teil des fürchterlich finsteren Raumes aus dem Blickfeld zu lassen. Er wünschte sich, ein Schleier würde um seine Augen fallen, sodass ihm erspart bliebe, was er nun sehen musste.
„Ist sie nicht bildhübsch?“, mit seinen dicken und kurzen Wurstfingern strich er dem am Altar gefesselten Mädchen vom Hals, über die kleinen Brüste, bis hin zum Bauchnabel. Er versuchte den Würgereiz zu unterdrücken, der in ihm aufkam. Neben dem Mädchen lag ein Seziermesser, dessen Kante ihm schon allein beim Anblick die Kehle aufschnitt. Ebenso konnte man einen silberglänzenden Kelch entdecken, mit der er schon vertraut war, den er schon aus etlichen Zeremonien kannte. Dessen Inhalt ihm jedoch erspart blieb, da er noch kein Mitglied des Ordens war. Dies sollte sich jedoch in den Nächsten Minuten ändern. „Bloß keine Schwäche zeigen“, dachte er sich und näherte sich nun dem Altar.
„Sie ist gerade erst 13 geworden“, das Mädchen zitterte und spannte bei jeder Berührung Adzes ihren kleinen und zierlichen Körper an, als würde sie versuchen, kraftvoll mit ihrer Seele aus dem Leib fliehen zu können, um nichts mehr zu fühlen, um unbeschwert, in keiner Gewalt, zu sein.
Tatsächlich war dies einigen Menschen angeblich möglich, er wünschte sich sehr, dass sie auch die Fähigkeit dazu besäße, den Körper zu verlassen. Er wusste nicht, ob er es durchhalten würde, er konnte ihr nicht in die aufgequollenden, tränenden Augen sehen. Die Schrie nicht einmal mehr, resigniert lag sie nur da und wimmerte. Er bildete sich ein ihre salzigen Tränen riechen zu können und wünschte sich nur, sie hier rausbringen zu können, aber es war zu spät.
„Du hast Glück mit diesem Exemplar. Deine Seele wird sehr gut gereinigt werden.“, der Dicke lachte, „Exemplar“, dachte er verärgert, für diesen abwertenden Begriff hätte er ihm am liebsten eine reingehauen. Adze kam ihm jetzt näher. „Du weißt, was du zutun hast?“, sein eindringlicher Blick machte ihm Angst, er hoffte, dass er seine Gedanken nicht lesen konnte.
„Absolut.“, seine Stimme wirkte tough, das erfreute ihn.
Azde nickte ihm anerkennend zu und reichte ihm dann das Seziermesser. Nun musste alles schnell gehen, er musste sie so schnell wie möglich erlösen.
„Freunde, seid ihr bereit?“, rief der Dicke den anderen Mitgliedern des Ordens zu und so kam es, dass sie sich alle in einem Kreis um ihn stellten und anfingen, vor sich hin zu säuseln. Alle, ganz unabhängig voneinander, sprachen in unterschiedlichen Geschwindigkeiten ein und das selbe Gebet.
Jetzt wusste er, dass er beginnen konnte. Adze, welcher wie gewöhnlich bei Ritualen und Zeremonien als Zelebrant fungierte, läutete die goldene, mittelgroße Glocke, die über dem Altar baumelte, und fing ebenfalls an das Gebet zu sprechen. Anders als die Schar um ihn herum allerdings laut und langsam.
Er beugte sich über das Mädchen, vermied es in ihr Gesicht zu sehen, konzentrierte sich stattdessen nur auf das, was er nun zu tun hat. So fuhr er mit der rechten Hand vorsichtig über ihre linke Brust, er musste die Stelle finden, an der er ihren Herzschlag am dollsten spüren konnte. Er stoppte er, ihr kleines Herz schlug so schnell, dass es ihr aus der Brust zu hüpfen schien, er fühlte sich so unmenschlich. Dann nahm er all seine Kraft zusammen und rammte ihr schließlich das Messer in die Brust. Ein qualvoller Schrei erlöste sie von ihren Qualen, ihr Puls dämpfte ab, er hatte ihr das Leben aus dem Leib getrieben. Angewidert von sich selbst, zog er das Messer wieder aus ihrer Brust und schnitt ihr im nächsten Schritt die Halsschlagader auf. Unbeholfen bekam er die ersten Blutspritzer ins Gesicht, Adze kam ihm zur Hilfe und reichte ihm schnell den Kelch, mit dem er letzendlich das Blut abfing. Als er halb voll war, entfernte er sich von dem Mädchen, dessen blondes Haar nun rot verfärbt war. „Ich hab einen unschuldigen Engel ermordert“, dachte er panisch, während er versuchte, seine Gefühle im Zaum zu behalten, um sich nichts anmerken zu lassen. Er war stark. Eine Zeit lang blickte er nur gedankenverloren auf den Inhalt des Kelchs, die Tiere um ihn herum warteten ungeduldig und gierig darauf, dass er das Ritual nun endlich beendete. Je länger er sich Zeit ließ, desto lauter wurden sie mit ihrem Gesäusel. Er hielt es nicht mehr aus, er musste weg, er konnte nicht mehr. Aber es gab keinen Weg zurück. Also kippte er sich den Inhalt des Kelchs in den Hals.
„Ich heiße dich willkommen, Adriel“, sprach Adze, als er den nun leeren Kelch auf den Boden fallen ließ.
Tag der Veröffentlichung: 05.08.2014
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