Cover


Captain oder Kätzchen - Mann oder Manuela?

„Gehetzter Blick nach hinten. Ich verschaffe mir einen leichten Vorsprung. Schnell um die Ecke, rechts, links, geradeaus. Sie dürfen mich nicht erwischen. Plötzlich eine eigenartige Stille hinter mir, ich höre keine Schritte mehr, nur noch das Knirschen meiner Schuhe auf dem Kiesboden und meine röchelnde Atmung. Ausdauer-Training wäre vielleicht doch keine so schlechte Idee. Doch gerade scheint es mir ein sehr ungünstiger Zeitpunkt, darüber nachzudenken, in was für einer körperlichen Verfassung ich mich befinde. Immerhin sind Leute hinter mir her, die mich tot sehen wollen. Nur um mich zu vergewissern, dass da wirklich niemand mehr hinter mir ist, drehe ich mich wieder um. Keine Menschenseele. Ich laufe langsamer. Doch ich bleibe nicht stehen. Ich traue dieser Stadt nicht, ich traue diesen Menschen nicht. New York, die Stadt, die niemals schläft, die Stadt, die niemals stillsteht. Wie kann ich dann stehenbleiben? Also tue ich es nicht. Ich laufe weiter, nicht mehr so schnell wie vorher, doch ich will entfliehen. Mein Blick ist wieder auf die Straße vor mir geheftet. Sie scheint unendlich zu sein. Keine Ahnung, wo sie hinführt. Ich kenne mich hier nicht aus. Das einzige, was ich hier wollte, war, meinen Auftrag auszuführen. Dass der nicht reibungslos ablaufen würde, hätte ich mir von vornherein schon denken können. Mit den Leuten, die hinter mir her waren, war nicht zu spaßen.
Plötzlich zehn Meter vor mir baute sich ein Koloss von Mann vor mir auf der Straße auf. Ich konnte nur die Umrisse erkennen, es war Nacht und die Straßenlaternen erleuchteten den Weg nicht wirklich. Ich wollte weiterlaufen, den Passant ignorieren. Ich kam näher. Okay, das mit dem Ignorieren war vielleicht doch nicht so eine gute Idee. Der Kerl hatte eine Pistole auf mich gerichtet. Jetzt erkannte ich ihn. Pedro. Ihr Anführer, ein harter Kerl. Ich musste stehen bleiben, sonst hätte er mich auf der Stelle erschossen. Ich hob meine Hände in die Luft und ging langsam auf ihn zu.
»Eres tan bien como está muerta.« Das war nicht wirklich eine freundliche Art, begrüßt zu werden, wenn der Gegenüber einem mitteilte, dass man so gut wie tot sei.
»¿Qué espera usted?« Was wollen Sie?
»Mi dinero.« Er wollte also sein Geld. Nun ja, das hatte ich nicht. Aber das wusste er ja schon. Doch wie gesagt, mit Pedro war nicht zu scherzen.
»Ya les he dicho que yo con la causa no tiene nada que ver.« Und ob ich mit der Sache was zu tun hatte, doch das konnte ich ihm ja nicht sagen, er würde mich töten, wenn er sein Geld nicht bekäme. Ich saß also ziemlich in der Falle. Pedro brummelte noch einige unverständliche Sachen vor sich hin, nahm die Waffe runter, packte mich am Arm und zog mich unsanft mit sich. Wie gesagt, ich hätte es ahnen können. Es hörte sich vielleicht so an, als würde ich diese Leute schon lange kennen und als hätte ich keine Angst mehr, doch ich hatte unglaubliche Angst und Pedro und seine Komplizen kannte ich seit genau einer halben Stunde. Das war die Zeit, zu der ich angefangen hatte, vor ihnen wegzulaufen. Woher ich Spanisch sprach? Na ja, man braucht eben eine Sprache wie Spanisch, um sich auf dem Weltmarkt zu emanzipieren. Und mein Beruf brachte es nun mal mit sich, dass ich von Zeit zu Zeit mit aggressiven Spaniern zu tun hatte. Ich wusste schon, wo Pedro mich hinbringen würde. Schließlich kam ich dort her. Es war eine kleine verstaubte Hütte, in der gleich fünf Spanier gleichzeitig hausten. Das musste man sich mal vorstellen. Fünf Kolosse von Spaniern in einer winzigen Hütte mitten in den dunklen Straßen des niemals schlafenden New Yorks. Abstruse Vorstellung. Doch zum Glück war unter ihnen auch einer dabei, der einigermaßen Deutsch sprach. Franco. Mit ihm hatte ich mich zuvor eigentlich ganz nett unterhalten. Wenn man davon absah, dass wir mitten in einer Prügelei waren und ich ihm einen Zahn ausgeschlagen hatte, was vielleicht der Grund sein könnte, wieso er nicht wahnsinnig gut auf mich zu sprechen war. Viel geredet hatten wir auch gar nicht, um ehrlich zu sein. Er hatte sich mir nicht vorgestellt und ich mich ihm ebenso wenig. Sie hatten alle keine Ahnung von meiner Mission und die Sache, dass Pedro Geld von mir wollte, hing damit zusammen, dass mein Boss ihm Geld versprochen hatte, bevor er gestorben war und somit konnte er ihm das Geld nicht geben. Und ich hatte kein Geld. Ich war sozusagen pleite. Ein Superheld und pleite. Na ja, ich mochte es eigentlich nicht, mich als Superheld zu bezeichnen und ich hatte auch nicht wirklich irgendwelche tollen Fähigkeiten, wie Spiderman. Doch ich hatte die Aufgabe bekommen, die Welt ein Stückchen besser zu machen. Das bedeutete, für einige Menschen wurde die Welt durch mich ein Stückchen besser, für andere eher das Gegenteil. Die Frage, um welche Art von Menschen es sich bei Pedro und seinen Jungs handelte, war wohl überflüssig.
Wir waren inzwischen bei der Hütte angekommen und ich spürte meinen linken Arm nicht mehr, da Pedro mir das Blut abgedrückt hatte, während er mich mit sich gezogen hatte. In der Hütte standen die anderen Kolosse schon jeder in einer Ecke des Raumes um einen Stuhl in der Mitte. Claudio, Marcello, Rafael und Franco. Woher ich ihre Namen kannte? Mein Boss hatte mir eine Akte hinterlegt. Immerhin war es sein Verdienst, dass ich in dieser brenzligen Situation war, da wollte er mich wenigstens darauf vorbereiten. Wenn er noch unter den Lebenden wandeln würde, würde ich ihn dafür verfluchen. Pedro schubste mich unsanft auf den Stuhl in der Mitte. Claudio band mir hinter meinem Rücken die Hände zusammen, sodass ich sie nicht mehr bewegen konnte und Rafael machte das gleiche mit meinen Füßen. Es wurde ernst.
Pedro wandte sich an Franco und sagte ihm etwas, dass dieser mir übersetzte.
»Was du hier wollen?« Nun ja, ich wollte meine Mission erfüllen. Das, was mir mein Boss aufgetragen hatte, bevor er grausamerweise ermordet wurde. Leider wusste ich nicht, wer genau für den Tod meines Bosses verantwortlich war, doch ich wusste, dass es einer von diesen fünf Spaniern war, mit denen ich mir gerade eine Hütte teilte.
Okay, unsanfter Schlag gegen meine rechte Schulter, ich hatte noch nicht geantwortet.
»Das hab ich euch doch schon gesagt, ich musste Ariana befreien.« Kurzes Gemurmel.
»Wer Ariana?« Um Himmels Willen, wieso musste ich denn alles viermal erklären.
»Ariana ist die Tochter von Carter.« Brian Carter war der Name von meinem Boss.
»¡No sabemos una Ariana!« Rafael schaltete sich ein. Daraufhin wurde er sofort von Pedro zurechtgewiesen und er ging wieder zurück in seine Ecke. Sie kannten also keine Ariana. Das hatte ich aber anders erfahren. Pedro gab Franco wieder Anweisung zum Übersetzen.
»Was du hier machen?« Vermutlich wollte er wissen, wieso ich in ihrer Hütte war, wenn sie doch nicht einmal eine Ariana kannten. Nun ja, Pedro und seine Jungs waren im Besitz eines Computer-Chips, den sie von Carter geklaut hatten. Dieser Chip enthielt Insider-Informationen über den amerikanischen Aktienmarkt. Er durfte auf keinen Fall in die falschen Hände geraten, wo er allerdings schon war. Mein Boss kam durch einen sogenannten Maulwurf an der Börse an diese Informationen und irgendwie hatten die falschen Leute von diesem Chip Wind gekriegt, sodass plötzlich alle hinter Carter her waren. Der Rest war irgendwie wie in einem Actionfilm, kurzer Flashback. Zwei verschiedene Gruppen von Schwerverbrechern, die von der Regierung gesucht wurden, waren hinter Carter her. Die eine Gruppierung wollte den Chip gegen eine Geisel, in diesem Falle seine Tochter Ariana, tauschen, worauf er allerdings keine Zeit mehr hatte, sich einzulassen, da die zweite Gruppe, nämlich Pedro und seine Jungs, ihn ausfindig gemacht, den Chip geklaut und ihn getötet hatte. Das einzige, was mein Boss allerdings nicht gewusst hatte, war, dass es zwei Gruppen gab. Denn er hatte mir nur eine Akte hinterlassen, die von den Spaniern. Doch die hatten mit der Sache nichts zu tun. Also war ich unwissend, wie ich vorhin noch war, in ihre Hütte eingebrochen, um den Chip und Ariana zu finden. Doch nichts von beidem war da. Plötzlich kamen dann Franco und die anderen und die Situation endete in einer Prügelei, wo sie mir sagten, dass sie keinen Chip und keine Ariana hätten. Das glaubte ich ihnen nicht. Allerdings fand ich beim Fliehen aus der Hütte einen Brief, eine Drohung. Auf Französisch. Die zweite Gruppe bestand also aus Franzosen. »On veut le chip ou on va tuer la fille du chef!« Sie wollten den Chip oder sie würden Ariana töten. Das war mal eine klare Ansage.
Okay, Ende des Flashbacks, die Spanier warteten auf eine Antwort.
»Der Chip, die Franzosen wollen ihn haben um Ariana freizulassen. Ich wollte den Chip!«
»¿Por qué?« Franco hatte nur die Hälfte verstanden.
»Der Brief!« Ich versuchte mit dem Kopf hinzudeuten, wo der Drohbrief der Franzosen lag.
Franco verstand und übersetzte für seinen Boss. Pedro ging zu dem Brief, wo ich hingedeutet hatte und brachte ihn zu mir. Er murmelte noch etwas zu Franco und dieser fragte mich: »Was er sagen?«
»Wer, der Brief?«
»Sì.« Na super, die Spanier bekommen einen Drohbrief von Franzosen und sprechen kein Französisch. Sie hatten also keine Ahnung, was auf dem Brief stand.
»Sie wollen Ariana töten, wenn ihr ihnen nicht den Chip bringt.« Franco übersetzte und Pedro runzelte die Stirn.
»Wieso wir das tun sollen? Wir wissen nicht Ariana.« Natürlich, das hatte ich mich auch schon gefragt. Wieso sollten sie den Franzosen einen Chip bringen, um ein Mädchen zu befreien, dass sie nicht einmal kannten. Und es war ja auch nicht so, dass Pedro und die anderen die Liebe in Person waren und jede Menschenseele beschützen wollten. Es konnte ihnen also egal sein. Mir allerdings nicht, doch das konnte ich so nicht sagen. Immerhin hatte ich noch einiges mit ihnen vor und konnte mir nicht jetzt schon die Tour vermasseln. Es war mir klar, dass sie den Chip nicht rausrücken würden. Also musste ich abwarten, bis ich ihn suchen konnte. Dann musste ich herausfinden, wo Ariana festgehalten wurde und wer Carter getötet hatte um seinen Tod rächen zu können. Das war es auch schon. Dafür hatte ich aber vermutlich nicht allzu lange Zeit, da ich nicht abschätzen konnte, wie geduldig die Franzosen noch sein würden. Plötzlich schien Pedro etwas einzufallen.
»¿Qué es tu nombre?« Wieso wollte er denn wissen, wie ich heiße? Aus gutem Ton beschloss ich, zu antworten.
»Captain Kitty.«
»¿Qué?« Ja, ich konnte mir vorstellen, dass das etwas verwirrend war. Es war ja auch nicht mein richtiger Name, sondern eher mein Agentenname. Wie ich zu diesem gekommen bin, war auch eher eine längere Geschichte.
»Captain Kitty.« Ich wiederholte meinen Namen nochmal, in der Hoffnung, dass sie jetzt mehr damit anfangen konnten. Vergebens. Ich konnte mit meinen Händen auch keine Gesten machen, die meinen Namen vielleicht etwas erklärten. Also miaute ich.
»¡Ah, gato!« Pedro hatte es verstanden, glaubte ich zumindest.
»Kätzchen!« Bei Franco hatte es ebenfalls Klick gemacht.
»Sì.« Ich war glücklich, sofern man in meiner Situation hätte glücklich sein können.
»Entonces, Kätzchen Kitty…«
»Nein! Nicht Kätzchen, Captain!« Sie hatten doch nicht verstanden, was ich ihnen sagen wollte. Franco teilte Pedro verwirrt mit, was ich gerade gesagt hatte. Claudio, Marcello und Rafael hatten zu diesem Gespräch noch nichts beigetragen und man konnte an ihren Gesichtern sehen, dass sie das auch nicht gekonnt hätten, da sie genauso wenig durchblickten, wie die anderen zwei.
»Aber miau, miau.« Es war schon auf eine Art und Weise ein Genuss, Franco beim Stammeln zuzusehen.
»Sì, Kitty ist miau, miau. Captain ist …« Und um zu verdeutlichen, was Captain bedeuten sollte, knurrte ich, wie die Piraten in den schlechten alten Spielfilmen.
»Captain oder Kätzchen?« Franco war echt nicht die hellste Birne im Leuchter.
»Beides, Captain Kitty!« Langsam hatte ich aber wirklich die Nase voll.
»So, du Mann oder Frau?« Franco lachte dreckig vor Schadenfreude, übersetzte stolz, was er mir grade gesagt hatte und die anderen stimmten in sein Gelächter ein. Es war nicht das erste Mal, dass sich Menschen über meinen Decknamen gewundert hatten. Und die Tatsache, dass Kitty darin vorkam, so wie in Hello Kitty, machte es auch nicht besser. Doch mir war das eigentlich egal. Der Name kam dadurch zustande, dass meine zwei Kinder, Lilli und Joe, beide fünf Jahre alt, an einem Abend wollten, dass ich ihnen was vorlas. Ich sagte ihnen, sie sollten sich für ein Buch entscheiden, doch das konnten sie nicht. Lilli kam mit einer Geschichte von Hello Kitty und Joe wollte unbedingt etwas von Captain Blaubär hören. Da ich keinen von ihnen traurig machen wollte, dachte ich mir einfach eine eigene Geschichte aus, von einem Superhelden namens Captain Kitty. Das einzige Problem war, dass ich kurze Zeit später meinen Boss traf, der mich immer mehr in diesen Agentenkram hineinzog. So wurde ich langsam mein eigener Superheld, also der, den ich erschaffen hatte. Und da alle Superhelden einen Namen hatten und ich meine Kinder über alles liebte, nannte ich mich Captain Kitty. Das einzige Problem war, dass irgendwann meine Frau mitbekommen hatte, was ich in meiner Freizeit so trieb, woraufhin sie mich verließ, mitsamt unseren Kindern. Leider konnte sie auch das alleinige Sorgerecht durchsetzen, weswegen ich meine Kinder nun gar nicht mehr zu Gesicht bekam.
Nachdem die Spanier endlich fertig gelacht hatten, besprachen sie irgendwas, was ich allerdings nicht verstand, da es zu schnell war. Dann sagte Franco zu mir:
»Wir gehen, du bleiben.« Na super, das war ja höchst informativ. Ich nickte nur mit dem Kopf. Marcello, von dem ich noch nichts gehört hatte, wurde mir auf einen Schlag unsympathisch, da er von einem Schränkchen Klebeband holte und es mir dreist über den Mund klebte.
»Damit du nicht kannst schreien und Leute dir helfen. Du noch da sein, wenn wir kommen.« Danke Franco für diese Erklärung, da wäre ich niemals drauf gekommen, dass ihr mir aus dem Grund den Mund zuklebt, damit ich nichts mehr sagen kann. Wahnsinn! Claudio schmiss die Tür hinter sich zu, sodass die ganze Hütte wackelte. Ich konnte noch so viel sarkastisch sein, wie ich wollte, doch erst mal musste ich mich hier los machen, den Chip finden und Ariana aus den Pranken von irgendwelchen minderbemittelten Franzosen retten. Eine Tatsache, die ich vielleicht noch erwähnen sollte, was auch ein wichtiger Grund war, wieso ich Ariana unbedingt retten wollte. Sie war meine Schwester. Also, um genauer zu sein, meine Halbschwester. Ihre Mum war meine Mum, aber ihr Dad war nicht mein Dad. Immerhin war ihr Dad Brian Carter, mein Boss, mein Dad war nur George O’Pherrel. Aus diesem Grund musste ich ihr unbedingt helfen. Ich versuchte, meine Hände zu lösen und meine Füße von den Stuhlbeinen, doch es schien aussichtslos. Plötzlich piepste meine Uhr. Stimmt, ich hatte mir einen Wecker gestellt, eine Erinnerung. Heute hatten meine Kinder Geburtstag. Vielleicht war es eine gute Idee von meiner Frau gewesen, abzuhauen, immerhin hatte ich den Geburtstag meiner eigenen Kinder vergessen. Jetzt waren sie sechs. Ich musste das Piepsen irgendwie abstellen, da es nicht von alleine aufhören würde. Hände hatte ich keine frei und Füße auch nicht. Also beugte ich mich so weit nach hinten unten zu meiner Uhr, bis ich das Gefühl hatte, mein Rückgrat würde zerspringen. Geradeso erwischte ich mit meiner Nase den Knopf und stellte das nervende Geräusch ab. Trotzdem, ich saß hier immer noch fest. Ich war ja schon in vielen aussichtslosen Situationen und hatte sie alle gemeistert, aber das hier war ein neues Abenteuer und ich war mir nicht sicher, ob es zu meinen Gunsten enden würde. Da fiel mir plötzlich etwas ein. Ich war ja schließlich Geheimagent, das konnte man auch an meiner Ausrüstung erkennen. Carter hatte mir in seinem Testament neben den Akten der Spanier auch noch seine Geheimwaffen vererbt. Dazu gehörte seine Armbanduhr, die ich gerade trug. Sie hatte extra einen kleinen Laser eingebaut. Natürlich hatte ich ihn noch nie benutzt. Doch Laser müssten doch auch Seile trennen können, oder? Also bückte ich mich ein wiederholtes Mal zu meinem linken Handgelenk und schaffte es, die Uhr zu lösen, sodass sie auf den Boden fiel. Da ich keine andere Möglichkeit sah, an die Uhr ranzukommen, wackelte ich so lange mit dem Stuhl nach links und rechts, bis ich schließlich unsanft auf den Boden schlug. In meiner rechten Schulter spürte ich einen stechenden Schmerz und mein Knöchel pochte. Doch alles war egal, wenn ich hier rauskam. Ich robbte so gut es ging in Richtung Uhr und drehte mich so, dass ich die Uhr hinter meinem Rücken fassen konnte. Das konnte ja jetzt nur noch eine Frage von Stunden sein, bis ich endlich den Knopf finden würde, der einen Laser auslöste. Ich hatte die Uhr erst seit drei Tagen und hatte noch nicht wirklich viel Zeit gehabt, mich mit ihr auseinanderzusetzen und ihre Komplexität zu verstehen. Also einfach mal alle Knöpfe auf gut Glück drücken. Den einen Knopf kannte ich, den hatte ich gerade schon gedrückt, um den Ton auszumachen. Das war einer der zwei auf der rechten Seite. Ich drückte den anderen, nicht passierte. Oben waren auch noch drei, die ich der Reihe nach drückte. Wieder passierte nichts, wahrscheinlich verstellte ich gerade Datum und Uhrzeit. Doch das war mir jetzt eigentlich relativ egal. Auf der rechten Seite war nur einer. Ich drückte. Kurz wurde der Raum rot erleuchtet, es tat einen kleinen Knall. Ich robbte herum, so dass ich sehen konnte, das hinter mir passiert war. Da war ein Loch in der Wand! Okay, ich hatte den Laser gefunden. Jetzt musste ich nur noch aufpassen, dass das Loch, was ich in die Wand geschossen hatte, auch durch das Seil und nicht durch meine Organe ging. Ich erfühlte die Stelle, wo eine kleine Kuhle in der Uhr war, durch die der Strahl ausgetreten sein könnte. Dann richtete ich diese Kuhle so, dass sie genau auf das Seil zwischen meinen Händen zeigte und drückte ab. Volltreffer! Das Seil fiel schlaff auf den Boden und ich konnte meine blutigen Hände endlich frei bewegen. Ich riss mir das Klebeband vom Mund und zwang mich, nicht zu schreien, obwohl es höllisch weh tat. Als nächstes waren meine Füße dran. Dieses Ding war wirklich Gold wert. Nun musste ich nur noch diesen winzigen Chip finden. Wo konnte er nur sein? Vielleicht hatte Pedro oder einer seiner Jungs ihn ja bei sich. Dann hatte ich ein Problem. Aber wieso sollte jemand einen so wertvollen Chip immer mit sich herumtragen. Andererseits, warum sollten sie ihn zu Hause liegen lassen? Allerdings kam mir da noch ein anderer Gedanke. Vielleicht hatten die Spanier den Chip ja auch gar nicht. Ich meine, Pedro hatte gesagt, dass er nur sein Geld wolle. Und wieso sollte Carter ihm Geld versprochen haben, wenn sie doch schon seinen Chip bekommen hatten? Vielleicht hatte er sie bestechen wollen, dass sie den Chip da ließen, wenn er ihnen nur genug bezahlte. Doch das waren alles Spekulationen. Ich beschloss, trotzdem noch weiterzusuchen. Ich durchwühlte alle Schränke, schaute in jeden Spalt auf dem Boden. Danach sah die Hütte aus, als hätte ein Tornado gewütet. Nichts, kein Chip. Ich schaute betrübt auf den Boden. Dabei hatte ich doch so gehofft, Ariana retten zu können, wenn ich nur diesen Chip hätte. Der Boden war nur dürftig von einer losen Glühbirne an der Decke erleuchtet. Und nicht mal die funktionierte. In der Mitte des Raumes zeichnete sich ein schattiges Viereck ab. Wie konnte denn eine Glühbirne so kaputt sein, dass sie nur einen viereckigen Teil des Zimmers nicht erleuchtete? Moment mal. Viereckig? Ich sah nach oben. An der Unterseite der Glühbirne war etwas Schwarzes. Ich stieg auf den Stuhl um mir das mal genauer anzusehen, doch das war nicht außen befestigt. Außerdem war die Glühbirne kochend heiß. Die Spanier konnten doch nicht wirklich so dumm sein, den Chip in einer Glühbirne zu verstecken? Wie lange die wohl schon brannte und wie viele Informationen auf dem Chip schon gelöscht waren? Wenn ich die Birne nun abschraubte, saß ich im Dunkeln. Das konnte doch alles nicht wahr sein. Doch zum Glück hatte ich meine voll ausgestattete Uhr. Laut Carter hatte die nämlich auch eine winzige Taschenlampe eingebaut. Also ging ich zum Lichtschalter, knipste das Licht aus, schaltete sogar schon mit dem zweiten Versuch die Taschenlampe an, kletterte wieder auf den Stuhl und schraubte die Glühbirne ab. Ich musste sie komplett mitnehmen, da ich im Dunkeln keine Ahnung hatte, wie ich den Chip da herausbekommen sollte. Gerade wollte ich erleichtert seufzen, als ich vor der Tür Stimmen hörte, die auf Spanisch aufeinander einschrien. Oh nein, sie kamen zurück. Was sollte ich jetzt machen? Ich beschloss, dass ich im Dunkeln mehr Chancen hatte. Also schaltete ich meine Taschenlampe wieder aus. Leider wusste ich nicht, wie ich die Glühbirne möglichst unauffällig verstecken sollte. Okay, ich hatte keine andere Wahl, ich schlug sie gegen die Wand und hielt die Hand darunter, um die Scherben und vor allem den Chip aufzufangen. Wie ich schon vermutet hatte, machte sie einen fürchterlichen Lärm, als sie gegen das dünne Holz der Hütte schlug und sofort verstummten die Spanier vor der Tür. Ich hatte gerade noch Zeit, mir den Stuhl zu schnappen, auf den ich zuvor angekettet war und mich hinter die Tür zu stellen. Ich hob den Stuhl über den Kopf und wartete. Doch ich musste nicht allzu lange warten, denn sofort wurde die Tür aufgerissen. Der erste Griff ging natürlich zum Lichtschalter. Dann hörte man verwirrtes spanisches Fluchen direkt neben mir. Der Mann ging allerdings weiter in den Raum hinein, zu meiner Erleichterung. Dann kam der zweite, ging ihm hinterher, der dritte. Der Vierte war nicht so schnell unterwegs, vermutlich weil er einer der Schlaueren von ihnen war. Er ging langsam in den Raum hinein und tastete alles ab. Er war mit seinen Händen schon fast bei mir, also musste ich reagieren. Ich bretterte ihm eins mit dem Stuhl über und er ging zu Boden. Der fünfte von draußen stürmte herein, doch auch das war ein Fehler von ihm, er war gleich mein nächstes Opfer. Ich hatte Glück, dass es dunkel war, sonst wäre ich schon längst erschossen worden, doch so hatten Pedro und die anderen vermutlich Angst, sich gegenseitig zu erschießen. Da ich zwei von ihnen wenigstens für eine kurze Zeit außer Gefecht gesetzt hatte und die anderen drei jetzt schließlich auch auf mich zukamen, wie ich ihren vorsichtigen Schritten anhörte, musste ich endlich hier raus. Ich warf den Stuhl in die Runde und dem Gestöhne zufolge hatte ich mindestens zwei von drei getroffen. Ich rannte hinaus und schlug die Tür hinter mir zu. Schon wieder musste ich rennen. Doch dieses Mal musste ich wirklich aufpassen. Ich durfte den Chip nicht verlieren und wenn sie mich dieses Mal erwischen würden, dann wäre ich wirklich tot. Also rannte ich um mein Leben. Ein zweites Mal innerhalb von einer Stunde. Zwei Straßen hatte ich mich schon von dem Haus entfernt, war einige Male abgebogen und war weiter gelaufen. Ich war auf jeden Fall nicht da, wo ich vor einer guten halben Stunde schon einmal gelaufen war. Noch einmal links und die nächste gleich wieder. Da kam es mir vor wie eine Fata Morgana in der Wüste, ein Diner direkt vor meinen Augen. Zwar war es total runtergekommen, aber es brannte Licht und es waren Leute drin. Ich stürmte hinein und fragte gehetzt, wo die Toiletten seien. Die verwirrte Bedienung deutete mir den Weg und ich sagte ihr, dass sie niemandem sagen sollte, dass ich hier war, wenn jemand fragte. Die Gäste schauten auch leicht verdutzt, doch das war mir egal. Ich wollte nur nicht, dass sie mich fanden. Ich stürmte zu den Toiletten und entschied mich für die Damentoilette, da mich dort sicherlich niemand vermuten würde. Dort schloss ich mich in eine Kabine und atmete erst einmal durch. Geschafft. Also nein, nicht geschafft, aber wenigstens war ich noch am Leben, das zählte doch schon einmal etwas.
Doch wie lange sollte ich jetzt hier warten? Was, wenn sie die ganze Nacht auf den Straßen verbrachten und mich suchten, dann saß ich hier ewig fest. Nein, sie würden mich nicht kriegen, nicht noch einmal.
»We’re closing.« Na super, das Diner musste ja auch gerade jetzt schließen. Die Bedienung marschierte durch die Gänge und die Stimme kam immer näher. Schließlich stand sie vor der Toilettentür um mich vermutlich noch einmal persönlich darauf hinzuweisen, dass es angebracht sei, das Diner jetzt zu verlassen. Also gut, es blieb mir nichts anderes übrig. Der Blick der Bedienung war auch leicht verwirrt, da sie vor der Herrentoilette auf mich gewartet hatte. Alles nur Tarnung.

Ich öffnete die Augen, mein Schädel brummte. Ich wollte stöhnen, weil meine Hände mir unglaubliche Schmerzen bereiteten, doch wieso denn das? Und wieso kam kein Ton heraus? Um die zweite Frage zuerst zu beantworten, ich hatte wieder ein Klebeband auf dem Mund kleben. Um auf die erste Frage genauer eingehen zu können, hätte ich meine Hände zumindest sehen müssen, was ich allerdings nicht tat. Und ich konnte sie auch nicht bewegen. Falls es noch nicht deutlich klar geworden sein sollte, ich war wieder gefesselt. Doch diesmal saß ich nicht auf einem Stuhl, sondern auf kaltem Lehmboden und meine Hände waren um eine Art Laterne gefesselt. Ich konnte mich also theoretisch aufrichten, doch wieso hätte ich das wollen sollen, immerhin war ich viel zu schwach. Also, ich befand mich nicht in der Hütte der Spanier. Was war hier eigentlich passiert? Ich wusste nur noch, dass ich aus dem Diner herauskam und auf die menschenleere Straße blickte. Und jetzt wachte ich plötzlich in einer heruntergekommenen Schabracke auf, die vermutlich mal eine Lagerhalle gewesen war und es war weit und breit kein Mensch zu sehen. Doch Moment, ich konnte eine Silhouette erkennen, ungefähr zwanzig Meter von mir entfernt. Ein Mädchen, sie hatte lange Haare. Sie saß ebenfalls auf dem Boden an eine andere Stange gefesselt. Entweder sie schlief oder sie war ohnmächtig oder tot. Es gab nur diese drei Möglichkeiten. Ich hoffte darauf, dass die letzte Möglichkeit nicht zutraf. Meine Augen waren zu müde und wollten mir gleich wieder zufallen. Doch die Stimmen, die sich langsam näherten, verboten es mir.
»Bleib wach, das Betäubungsmittel verliert gleich seine Wirkung.« Perfektes Deutsch mit französischen Akzent. Oh nein, ich ahnte schlimmes. Doch, Moment. Wenn ich wirklich bei den Franzosen sein sollte, dann konnte das da vorne doch eigentlich nur Ariana sein! Sie rufen konnte ich nicht, weil mir der Mund zugeklebt worden war. Das Mädchen hatte mittlerweile die Augen geöffnet. Kein Zweifel, es war meine Schwester. Doch was machte ich denn dann hier? Und wieso hatten sie mich betäubt und wie um alles in der Welt hatten sie mich überhaupt gefunden? Bis vor Kurzem wusste ich noch nicht einmal, dass es noch eine Gruppe gab, die in diese Situation verwickelt war und jetzt hatten sie mich schon gefangen genommen? Und wo waren wir überhaupt? Vielleicht war das hier ja gar nicht mehr New York, vielleicht wurde ich ans andere Ende der Welt verschleppt. Doch wieso hätten sie das denn tun sollen? Immerhin war Ariana hier und die hatten sie ja auch aus New York geholt und es schien mir ziemlich unwahrscheinlich, dass sie erst sie hier weggebracht hatten um dann irgendwann wieder zu kommen und mich zu holen. Vor allem hatte ich ja eigentlich nicht viel mit der Sache zu tun. Oh nein, der Chip. Mann, wieso waren denn meine Hände hinter meinem Rücken? Okay, blöde Frage, natürlich damit ich mich nicht sonderlich bewegen konnte. Doch ich wollte wissen, ob sie den Chip schon gefunden hatten, oder ob er noch in Sicherheit war. Allerdings konnte mir der Chip gerade eigentlich egal sein, immerhin war ich so etwas wie eine Geisel, vermutete ich mal, allerdings wusste ich nicht wofür. Doch ich hatte Ariana gefunden. Also doch ein Triumph. Doch immer noch wusste ich nicht, wie ich hierhin gekommen war und wo ich hier überhaupt war. Es waren zwei Franzosen, die mir gerade gegenüberstanden. Was sie wohl von mir wollten? Ich vermutete, dass ich das gleich erfahren würde. Der eine riss mir das Klebeband vom Mund und ich zwang mich, nicht laut aufzuschreien, da die Tatsache, dass diese Situation heute schon zum zweiten Mal passierte, es nicht weniger schmerzhaft sein ließ.
»Du bist also der berüchtigte Captain Kitty.« Woher kannten sie meinen Namen?
»Woher kennen Sie meinen Namen?«
»Wir haben eben gründlich recherchiert. Carter war im Grunde ein netter Mann und seine Zusammenarbeit mit uns war anfangs auch wirklich informativ. Doch als er dann nicht mehr so kooperativ war als am Anfang, mussten wir zu anderen Mitteln greifen.« Der andere trat einen Schritt zur Seite und deutete auf das Mädchen am anderen Ende des Raumes. Nun ja, jetzt stand fest, dass es Ariana war, wobei ich eigentlich keinen Zweifel mehr daran hatte.
»Lasst sie gehen!« Ich befand mich zwar gerade nicht in der Lage, mich mit diesen Klotzköpfen anzulegen, aber einen Versuch war es wert. Immerhin war ich mir sicher, dass sie den Chip schon gefunden hatten, sonst hätten sie mich schon längst darauf angesprochen.
»Eigentlich hast du Recht, wir haben ja jetzt, was wir die ganze Zeit wollten, du warst uns wirklich eine große Hilfe, doch wo bliebe da der Spaß, wenn wir sie jetzt gehen ließen?«
»Was wollt ihr denn mit ihr anfangen? Ihr Vater kann euch kein Geld oder etwas anderes besorgen, schließlich ist er tot. Und ich könnte auch nichts mehr ausrichten, immerhin habt ihr mich ja auch gefangen genommen. Also, was wollt ihr?«
»Nun ja, wir können euch ja jetzt nicht einfach wieder freilassen, dann würdet ihr zur Polizei rennen und uns verraten, das Risiko können wir nicht eingehen.«
»Aber ich weiß doch noch nicht einmal, wer ihr seid.«
»Das musst du auch nicht wissen, solange wir wissen, wer ihr seid, Kätzchen.« Dreckige Lache seitens der Franzosen. Was hatten nur alle mit dem Namen um Gottes Willen?
»Und was wollen Sie jetzt machen, uns töten?«
»Das wäre eine Möglichkeit!« Und schon flog eine Faust in mein Gesicht und alles wurde schwarz. Ich wurde wieder wach von dem Geschreie auf französisch.
»Pourquoi as-tu fais ça?!« Ja, ich hätte auch gerne gewusst, wieso er das getan hatte !
»Il m’a énervé.« Das sollte doch jetzt wohl ein schlechter Scherz sein. Er hatte mich geschlagen, weil ich ihn genervt hatte? Ich war mir nicht sicher, ob mir die Spanier nicht doch lieber gewesen waren. Die zwei Herren, mit denen ich es hier zu tun hatte, schienen erbarmungslos zu sein. Obwohl es doch die Spanier waren, die Carter umgebracht hatten. Eine Sache stand allerdings fest, Ariana und ich mussten hier schleunigst raus, egal wie. Ich schloss wieder die Augen, damit sie nicht merkten, dass ich wach war.
»T’as le chip?«
»Sûrement. Tu penses que j’suis stupide, hein?« Okay, jetzt stand es fest, dass sie den Chip hatten, aber wieso reagierten sie denn die ganze Zeit so patzig. Nur weil der eine gefragt hatte, ob der andere den Chip bei sich hatte, musste der ihn gleich anfahren, ob er denken würde, dass er blöd sei. Und das ganze auch noch in einem nicht gerade schönen französisch. Doch wieso sollten Kriminelle auch Wert auf Artikulation und Grammatik legen? Sie liefen irgendwohin, ich hörte die Schritte. Sie wurden leiser, also entfernten sie sich. Ich machte vorsichtig die Augen auf. Sie standen bei Ariana. Schauten nur auf sie runter. Sie hatte ebenfalls die Augen zu. Der eine trat ihr unsanft gegen den Fuß. Schmerzverzerrt öffnete sie die Augen.
»Mach keine Dummheiten!« Sie nickte leicht und schloss wieder die Augen. Dann gingen die zwei weg. Hinter ihnen fiel eine schwere Tür zu, man hörte Schlösser knacken. Na toll, wir waren auch noch eingesperrt.
»Hey, Ariana.«
»Ha-hallo.« Ihr Stimme war schwach und sie musste sich räuspern.
»Wir müssen hier raus, die werden uns umbringen.«
»Wir können hier nicht weg. Es gibt nur einen Ausgang und der ist bestimmt dreimal gesichert. Außerdem, wenn sie uns erwischen, werden sie uns auf der Stelle erschießen.«
»Willst du lieber hier bleiben und darauf warten zu sterben? Sie haben den Chip und somit kein Druckmittel mehr.«
»Wieso bist du denn überhaupt hier?«
»Erstens wollte ich dir helfen, doch ich habe keine Ahnung, wie ich hierher gekommen bin. Ich kann mich nur noch daran erinnern, dass ich aus einem Diner in einer Seitengasse gekommen bin und plötzlich wache ich hier auf.«
»Sie haben dich betäubt. Und der eine hat irgendetwas von einem GPS-Sender geredet.«
»Na klar, der Chip! Da hätte ich aber auch drauf kommen können.«
»Was denn?«
»Na ja, wer lässt schon einen so wertvollen Gegenstand, an dem offenbar so viele Leute interessiert sind, einfach unbewacht irgendwo liegen. War ja irgendwie logisch, dass da ein Sender eingebaut war, nur wie sind die Franzosen da dran gekommen?«
»Ich hab keine Ahnung. Und wie kommst du überhaupt an den Chip?«
»Ich war bei den Spaniern, die hatten ihn. Und ich wollte ihn als Druckmittel einsetzen, damit die Franzosen dich gehen lassen.«
»Was?! Aber das war total sinnlos, die Spanier arbeiteten für meinen Vater.«
»Wie bitte?! Woher weißt du das denn?«
»Der Drohbrief, denn sie den Spaniern geschrieben haben, da klebte doch eine Haarsträhne von mir drauf, damit deutlich wurde, dass sie es auch ernst meinten.«
»Wirklich, da habe ich nichts gesehen. Und was hat das damit zu tun, dass sie füreinander arbeiten?«
»Nun ja, ich habe sie gefragt, wieso sie ihnen einen Drohbrief schicken, wenn die mich doch gar nicht kennen. Und sie haben gesagt, dass sie für Carter arbeiteten und deswegen dafür sorgen mussten, dass es seiner Tochter gut geht.«
»Das kann doch wohl nicht wahr sein, dann haben die mich angelogen und Carter hat mich auch angelogen.«
»Wieso, was hat mein Vater damit zu tun‘?«
»Er hat in der Akte, die er mir hinterlassen hat, geschrieben, dass die Spanier dich haben und dass ich ihnen auf die Schliche kommen muss. Außerdem bin ich die ganze Zeit davon ausgegangen, dass die Carter getötet haben.«
»Das haben sie ja auch.«
»Ich verstehe absolut nichts mehr.«
»Das ist auch etwas kompliziert. Einiges wusste ich schon von meinem Vater und die Franzosen haben mir den Rest erzählt, da sie ja felsenfest davon überzeugt waren, dass ich mit den Informationen nichts weiter anfangen könnte, weil ich bald sterben würde.«
»Ja, und was weißt du jetzt darüber?«
»Also mein Vater hatte mir von dem Chip erzählt mit diesen Insider-Informationen. Und davon, dass eine Gruppe hinter ihm her war, allerdings sagte er nicht, wer diese Gruppe war. Dann hatte ich eines Tages einmal Pedro und Franco in seinem Büro getroffen und mitbekommen, wie sie sich über ein Versteck unterhalten hatten. Ich fragte meinen Vater, um was für ein Versteck es sich bei dem Gespräch gehandelt hatte. Er sagte, dass er den Spaniern seinen Chip anvertrauen wollte, weil niemand ihn dort vermuten würde, immerhin war er sehr wertvoll.«
»Wenn er doch so wertvoll war, wieso hatte er ihn denn dann gerade Pedro und seinen Jungs gegeben?«
»Nun ja, er sagte, die könnten sowieso nichts damit anfangen, weil sie, gelinde ausgedrückt, dumm waren.«
»Okay, das habe ich auch miterlebt. Sie haben den Chip in einer Glühbirne versteckt.«
»Alles klar. Na ja, auf jeden Fall hatten sie dann den Chip. Und dann kam der erste Drohbrief von den Franzosen an meinen Vater. Da wusste ich dann, wer die Gruppe war, die hinter dem Chip her war. Mein Vater reagierte nicht darauf und eines Nachts kam ich aus einem Club heraus und wachte hier auf. Es war ähnlich, wie bei dir jetzt, ich habe auch keine Erinnerung daran, was mit mir passiert war. Na ja und als mein Vater bemerkte, dass ich weg war, teilte er den Franzosen mit, dass die Spanier den Chip hatten. Diese schickten den Drohbrief mit meinen Haaren und aus irgendeinem Grund war es dann endlich zu den Spaniern durchgedrungen, dass der Chip wertvoll war und sie sahen keinen Sinn darin, ihn den Franzosen oder meinem Vater zu bringen. Also brachten sie meinen Vater um und versteckten den Chip. Und seitdem sitze ich hier.«
»Oh mein Gott. Das bedeutet, dass mich die Spanier nach Strich und Faden belogen haben.«
»Ja, das wundert mich gar nicht. Nachdem sie selbst meinen Vater so hintergangen haben, traue ich ihnen vieles zu.«
Es wunderte mich allerdings, dass Ariana so gelassen über alles sprechen konnte, immerhin hatten diese Leute ihren Vater umgebracht. Doch wir hatten keine Zeit mehr, uns darüber den Kopf zu zerbrechen, denn die Franzosen schienen wieder zu kommen. Und sie schienen nicht wirklich die beste Laune zu haben. Der eine stürmte vorneweg auf mich zu und als er bei mir angekommen war, trat er heftig gegen mein Knie.
»Der Chip geht nicht!«
»Was meinen sie denn damit?« Gerne hätte ich mir mein Knie gehalten, doch das funktionierte leider nicht, also presste ich schmerzverzerrt meine verwirrte Antwort heraus.
»Was soll ich schon damit meinen, es ist nichts drauf!« Okay, okay, kein Grund ausfallend zu werden.
»Aber das kann nicht sein, ich habe den Chip doch von Pedro und seinen Jungs geholt.«
»Dann haben sie dich beschissen!«
»Das wage ich zu bezweifeln, immerhin war es ja nicht so, dass sie ihn mir freiwillig gegeben haben.« Erneut ein Tritt gegen mein anderes Knie. Und zwar von dem anderen Franzosen. Langsam schienen sie wirklich sauer zu werden.
»Dann hast du einen falschen mitgenommen, dieser hier ist leer!« So viel Intelligenz traute ich Pedro und seinen Jungs allerdings nicht zu, dass sie vorsichtshalber noch einen zweiten Chip in ihrer Hütte versteckt hatten, falls ihn jemand suchen sollte. Immerhin hatten sie diesen in einer heißen Glühbirne aufbewahrt..- Moment. Die Glühbirne! Natürlich. Ich hatte ja schon vermutet, dass vielleicht Informationen durch die Hitze auf dem Metall verloren gegangen sein könnten, aber ich hatte nicht erwartet, dass alles weg sein würde.
»Ich schätze, die Informationen sind gelöscht.«
»Was meinst du mit gelöscht? Dann bring sie uns wieder!«
»Aber…« Doch der Franzose hatte seinem Komplizen schon ein Zeichen gemacht, dass er mich losmachen sollte. Dagegen hatte ich allerdings auch nichts einzuwenden. Dummerweise band er mir die Hände allerdings noch fester hinter dem Rücken zusammen und hielt sich daran fest, sodass ich auch ja nicht entwischen könnte. Sie zogen mich unsanft mit sich, aus dem Lagerraum hinaus. Ich erhaschte noch einen letzten Blick auf Ariana, sie sah hoffnungsvoll aus. Ich hatte gerade auch nicht unbedingt die schlechtesten Chancen, uns hier raus zu holen, das musste ich irgendwie nutzen. Ich war es Carter und Ariana schuldig. Wir waren inzwischen in einem anderen Raum angekommen, der sich nicht wirklich von dem unterschied, wo wir gerade hergekommen waren. Nur, dass in der hinteren Ecke ein Computer stand, auf den wir zusteuerten.
»Da, nichts!« Okay, da war wirklich eine leere Datei. Ich musste mir ein Lachen verkneifen, weil ich mich insgeheim darüber freute. Doch ich machte eine ernste und verwunderte Miene.
»Ich weiß auch nicht, was da passiert sein könnte, aber ich habe nichts damit zu tun. Außerdem, wieso sollte ich denn absichtlich einen falschen Chip mitnehmen, ich konnte doch nicht ahnen, dass ich hierher gebracht werden würde.« Auf meine logische Erklärung folgte französisches Getuschel.
»Bring ihn weg!« Und schon wurde ich wieder mitgezogen. Hinter mir hörte ich den anderen Franzosen, der gerade den Befehl erteilt hatte, wütend auf irgendetwas einschlagen. Ich hatte so die Vermutung, dass er der Chef und dieser, der mich hier zog, nur sein Handlanger war und seine Drecksarbeit machen musste. Gegen ihn hatte ich vielleicht sogar noch eine Chance.
Wieder zurück im Lagerraum gingen wir wieder auf den Pfahl zu, an dem ich schon vorher angebunden war. Der Franzose trat hinter mich, um den Knoten zu lösen, den er um meine Hände gemacht hatte. Das dauerte seine Zeit und als er offen war, zog er mich so weit, dass er mich wieder anbinden konnte. Da sah ich meine Chance. Ich war eigentlich frei, denn er Franzose war irgendwie etwas minderbemittelt, weil er mich gerade von meinen Fesseln befreit hatte. Ich holte mit meinem Fuß aus und trat nach hinten aus. Volltreffer, voll in die Magengrube. Er ging ächzend zu Boden.
»Sehr gut!«, meinte Ariana.
Ich rannte zu ihr und machte sie ebenfalls frei. Sie stand auf und wollte mir gerade um den Hals fallen, als der andere Franzose in den Lagerraum hereinkam und erst mal nicht recht verstand, was hier vor sich ging. Er rannte auf uns zu, tastete nach seinem Gürtel. Wahrscheinlich vermutete er dort seine Pistole, doch da war keine. Er sah sich um, dann stockte er. Ariana hatte sie und richtete sie auf ihn. Ich war ebenso verwundert, wie der Franzose selbst. Wie war sie an die Pistole gekommen? Sie machte einen Schritt auf mich zu und flüsterte: »Hier nimm, ich hab keine Ahnung, wie man dieses Ding bedient!«
»Aber ich doch auch nicht.« Das war schon irgendwie abstrus. Ich war Geheimagent und hatte noch nie eine Pistole benutzt, aber ich hatte grundsätzlich etwas gegen Schusswaffen.
»Na los, was bist du, Mann oder Manuela?«
Ich nahm ihr die Pistole aus der Hand und richtete sie auf den Franzosen. Dieser nahm die Hände über den Kopf.
»Los, auf den Boden!« Das war der Satz, den ich noch aus den alten Krimiserien in Erinnerung hatte. Zu meiner Begeisterung tat er auch noch, was ich sagte.
»Und jetzt lassen Sie uns gehen, kapiert?«
»Oui, allez!« Das war unser Stichwort. Wir gingen langsam auf ihn zu, immer mit der Waffe in seine Richtung zeigend, dann drehten wir uns um und liefen rückwärts hinaus, damit er nicht noch auf die Idee kommen konnte, etwas Dummes zu machen. Der andere Franzose hatte sich inzwischen wieder erhoben, doch seinem Gesicht war anzumerken, dass er Schmerzen hatte und als er die Waffe in meiner Hand sah, legte er sich gleich wieder auf den Boden. Der hatte anscheinend weder Mut noch Verstand. Als wir draußen waren, warf Ariana die Lagertür zu und ich schmiss die Waffe ins nächstgelegene Gestrüpp.
Jetzt fiel sie mir um den Hals, wir waren frei. Doch wo um alles in der Welt waren wir?
»Na los, hier lang!« Okay, Ariana wusste offensichtlich, wo wir hinmussten.
»Woher hattest du die Waffe?«
»Ach, dieser minderbemittelte Franzose hatte die Waffe einmal, als er bei mir Nachtwache halten musste. Er schlief ein und ich konnte sie mir mit den Füßen angeln, seitdem habe ich sie.«
»Oh mann, die hellsten sind das aber wirklich nicht gerade.«
»Da hast du allerdings recht.«
»Und zu vorhin. Die Frage, ob ich Mann oder Manuela bin, hat sich hiermit wohl erübrigt.«
»Ei, ei, Captain!« Wir liefen lachend weiter, bis wir noch ein paar Stunden endlich in einer Straße ankamen, die ich kannte. Das war die, in der Carter gewohnt hatte.“

Joe klappte mein Tagebuch zu und sah mich verwirrt an. Okay, die Verwirrung konnte ich nachvollziehen, immerhin war diese Geschichte schon ziemlich unglaublich, wenn man sie nicht selbst erlebt hatte so wie ich, vor 45 Jahren. Mittlerweile hatte ich meine Identität als Captain Kitty abgelegt und war einfach nur noch Luca O’Pherrel. Ich war auch nicht mehr auf der Jagd nach dem Bösen und nach Verbrechern. Meine Freizeit bestand darin, mit meinen Freunden aus dem Altersheim Mühle und Schach zu spielen. Doch ab und an überkam mich die Erinnerung und meine Kinder fanden es besonders spannend zu erfahren, dass hinter den Geschichten, die ich ihnen immer von Captain Kitty erzählt hatte, ein wahrer Kern steckte.
Pedro und seine Jungs hatten ihre gerechte Strafe erhalten und die Franzosen ebenfalls. Nachdem Ariana und ich entkommen waren, suchten die Franzosen Pedro und sein Gefolge auf, wegen der Pleite mit dem Chip. Das artete in eine riesige Schießerei aus, wobei Pedro starb. Die anderen Spanier und die beiden Franzosen wurden kurze Zeit später gefasst und festgenommen. Ariana gründete mithilfe des Erbes ihres Vaters ein riesiges Unternehmen, an dem ich Teilhaber war.

‚Du kannst tagsüber die Welt retten; wenn du am Abend nach Hause kommst und deine Kinder lachen, hast du eine viel größere Heldentat vollbracht.‘

Impressum

Texte: Copyright by whateverbaby.
Tag der Veröffentlichung: 13.06.2012

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
'Das was du tust, ist im Endeffekt komplett unwichtig. Es ist nur wichtig, dass du es tust, weil es kein anderer macht.' an alle, die wie ich noch lernen müssen, was wirklich wichtig im Leben ist.

Nächste Seite
Seite 1 /