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Die Mission

 

Das Rauschen des fließenden Straßenverkehrs drang durch das gekippte Hotelfenster. Hin und wieder wurde es von Hupen und dem Lärm von Einsatzfahrzeugen in der Ferne durchbrochen.

Durch die geöffnete Verbindungstür unserer Zimmer, hörte ich Rimmer telefonieren: „Dann droht ihnen mit Lieferschwierigkeiten von Alkeran!", donnerte seine Stimme drohend bis zu mir.

Erpressungen mit Lieferunfähigkeit wichtiger Medikamente an Apotheken und Krankenhäuser, waren nur ein Teil der miesen Machenschaften dieses Verbrechers. Lieferengpässe konnten Menschenleben gefährden. Doch was interessierte das Rimmer? Er erhöhte bei Bedarf Medikamentenpreise um den zehnfachen Wert und zwang Politiker dafür zu stimmen, eine Bevorratungsverpflichtung abzulehnen. Neue Medikamente waren für die Pharmaindustrie ein Riesengeschäft. Also für Rimmer und seinesgleichen. Patienten bekamen das am besten beworbene Pharmazeutikum, nicht das wirksamste. Nebenwirkungen waren oft noch gar nicht bekannt. Es kam immer wieder zu tödlich verlaufende Immunreaktionen bei neuen Präparaten. Die Industrie versuchte dennoch auf Kongressen, systematisch Ärzte zu beeinflussen.

Ich brauchte frische Luft. Auf den Überwachungskameras tat sich derzeit nichts. Ich stand auf und gab Rimmer ein Zeichen, dass ich kurz nach unten ging. Er hielt sein schwarzes Notizbuch in der Hand. Zu seinen Errungenschaften zählte ein großes Netzwerk an Informanten. Sie saßen in Gerichten, Zeitungsredaktionen, an Unis und in der Industrie. Sie bekamen Geld dafür, ihn am Laufenden zu halten. Er war gut organisiert. Die wichtigsten Namen standen in diesem Notizbuch. Längst hatte ich die Informationen daraus kopiert.

Noch immer fühlte es sich seltsam an, ständig von deutschsprachigen Menschen umgeben zu sein. Es rief Erinnerungen an meine Kindheit hervor. Bevor uns mein Dad verließ, hatten wir zu Hause nur Deutsch gesprochen. Danach hatte ich eine Zeit lang nur das Nötigste mit meiner Mutter kommuniziert. Ich trat aus der Hotellobby und lehnte mich im Schatten eines Kastanienbaumes an eine betonierte Mauer.

„Hey, Pratt du Hurensohn!" Kirchner trat aus dem Aufzug, der aus der Tiefgarage bis vor das Hotelgebäude führte. Der hatte mir gerade gefehlt. Ich war hierher geflüchtet, um dem einen Scheusal zu entgehen, schon tauchte das nächste auf.

Wohnung und Transportmittel zu wechseln, war in unseren Kreisen ein Muss, um allfällige Verfolger abzuschütteln. Rimmer hatte ihn deshalb losgeschickt, den Van auszutauschen. Außerdem sollte er Schalldämpfer für unsere Waffen besorgen.

„Wann hat dich der Chef eigentlich rekrutiert?", er hatte eine Packung Zigaretten in der Hand und hielt sie mir jovial hin.

„Ich rauche nicht." Seine Frage ließ ich unbeantwortet. Es ging diesen Scheißkerl einen Dreck an. Los wurde ich ihn dadurch nicht.

„Warst wohl noch nicht lange genug im Häfen." Stolz erzählte er mir, er hätte mehr als die Hälfte seines Lebens im Gefängnis verbracht. Manche sahen im Knast ihre Fehler ein. Klug war er also nicht, sonst wäre er nach der Freilassung untergetaucht. Stattdessen hatte er sich von Rimmer, der rechten Hand des Pharma-Mafia-Generals anheuern lassen. Ich fragte ihn nach dem Grund.

„Untertauchen? Das ist nicht mein Stil. Das ist was für Weicheier."

In seinem zweifelhaften Umkreis war er ein Star. Offenkundig hatte er eine Schwäche für schlechte Gesellschaft. Zumindest behauptete er das von sich selbst. Für mich war er ein dreckiger Auftragsmörder. Nichts anderes. Gemeinsam mit Rimmer ergab sich ein skrupelloses Gespann. Mit dem kleinen Unterschied, dass unser Boss immer einen Weg fand, seine Taten zu rechtfertigen. Ein Streifenwagen fuhr langsam am Hotel vorbei.

„Ich wollte als Kind immer Polizist werden und eine Waffe tragen. Wenn du mit einer Pistole ankommst und die Tür eintrittst, sind immer alle nett", erzählte er mir ungefragt.

„Du hast dich dann aber doch für die kriminelle Unterwelt entschieden." Ich ließ den Satz in der Luft schweben.

Kirchner verstand es als Aufforderung, weiterzuerzählen. Ich seufzte innerlich. Seine Verbindungen interessierten mich nicht. Ich machte hier meinen Job und nach getaner Arbeit würde ich den Kerl hoffentlich nie mehr wiedersehen. Offensichtlich fing er als Bodyguard eines Politikers an. Von dort war es nicht weit, ein echter Profikiller zu werden.

„Stimmt es, dass der Chef überall in den Staaten Luxusdomizile besitzt?", versuchte er, mich auszuhorchen. Es stimmte. Jedes Einzelne davon war eine Festung. Ich traf Rimmer das erste Mal auf seiner Hacienda in New Mexico. Sie war riesig. Er hatte einen eigenen Helicopter-Landeplatz. Kirchner gegenüber antwortete ich mit einem Schulterzucken.

Rimmer kam aus der Lobby. Sein Blick streifte uns. Im Vorbeigehen sagte er unauffällig: „Wenn euch was Verdächtiges auffällt, informiert ihr mich!" Darüber, wo er hin wollte, ließ er uns im Unklaren. Der Typ wollte alles kontrollieren und vertraute keinem. Nicht einmal seinem eigenen Schatten.

Er beherrschte einen gigantischen Markt. Bei ihm musste man auf alles gefasst bleiben. Im letzten Moment änderte er seine Pläne. Ich wusste, Rimmer ließ Geschäftspartner umbringen, nur auf den Verdacht hinauf, sie würden ihn bestehlen.

Kirchner sah ihm ehrfürchtig hinterher. „Seine Klamotten sehen ganz schön teuer aus." Rimmer trug einen sommerlichen Hut, den er sich, wie ein Gangsterboss, etwas schief aufgesetzt hatte.

„In den Staaten trägt er meist eine Perücke und billige unauffällige Sachen", stieß ich schnaubend hervor. Warum erzählte ich ihm das? Hier, in einer fremden Stadt, war für jemanden wie ihn das beste Versteck.

Nachdem Rimmer das Hotel verlassen hatte, konnte ich genauso gut wieder nach oben gehen und mich vor den Laptop setzen. Kirchner hatte ich vor der Lobby zurückgelassen. Er wollte dort die Augen offen halten. Was das bringen sollte, erschloss sich mir nicht, aber es kam mir sehr gelegen, weshalb ich es dabei beließ. Ich konnte in Ruhe die letzten Anrufe von Rimmer zurückverfolgen. Wem galt wohl seine Drohung von vorhin? Auch wenn es nicht direkt mit meiner Mission zu tun hatte, konnte es nicht schaden hier etwas tiefer zu graben. Meinen Boss beim FBI würde das sicher interessieren. Dem Syndikat war mit den üblichen Razzien nicht beizukommen. Verdeckte Ermittlungen und Observationen waren hingegen gefährlich. Diese Verbrecher waren skrupellos. Ich hatte selbst oft genug Angst, Rimmer würde hinter meine wahre Identität kommen. Schon aus diesem Grund durfte ich niemandem trauen. Ich checkte die letzte Telefonnummer mit den Daten aus seinem Notizbuch gegen. Er hatte mit einem gewissen Doktor Klein gesprochen. Bei dem Namen klingelte etwas bei mir. Ich würde nicht mögen, was sich unter diesem Namen alles finden ließe. Den Kerl rief er immer an, wenn es um hohe Bargeldbeträge ging. Bisher fehlten uns die wichtigen Beweise zur Geldwäsche. Es war ein Fass ohne Boden. Wie schafften sie es, immer wieder Geld in die legale Wirtschaft zu pumpen?

Auf dem Ausschnitt auf meinem Bildschirm, der das überwachte Arbeitszimmer unserer Zielperson zeigte, tat sich etwas. Doktor Adler setzte sich soeben hinter seinen Schreibtisch und blätterte in einer Fachzeitschrift.

Ich ertappte mich dabei, wie ich jede kleinste Regung und Geste des Mannes studierte.

Eine weitere Person betrat das observierte Zimmer.

„Na Liebes? Du bist heute früh da", begrüßte Doktor Adler seine Frau. Ich hatte keine Ahnung, ob er von ihrer Affäre wusste. Seine Stimme klang frei von Vorurteilen und verriet nichts über irgendwelche Zweifel. Möglicherweise hatte sich dieses Thema auch schon wieder von selbst erledigt. Derzeit gab es keine Hinweise mehr auf Verabredungen zu irgendwelchen heimlichen Treffen.

„Störe ich dich?"

Ihr Mann schüttelte den Kopf. „Du siehst blass aus. Komm her!" Er legte die Zeitschrift vor sich auf dem Schreibtisch ab und streckte ihr den Arm entgegen, wie man es bei einem Kind machen würde. Die Frau folgte der Geste und setzte sich auf seinen Schoß. Die beiden wirkten nicht wie ein Ehepaar. Mehr wie Vater und Tochter. Würde sie ihm ihr Verhältnis beichten? Fasziniert beobachtete ich ihren vertrauensvollen Umgang. Mit einem Seufzer ließ die hübsche rothaarige Frau ihren Kopf an die Schulter ihres Mannes sinken. Einfühlsam strich der ihr eine Strähne aus dem Gesicht.

Ein Vater sollte die Familie beschützen und ernähren. Verantwortungsvoll handeln. Mein Vater hatte diese Eigenschaften, wenn es nach meiner Mutter ging, nicht erfüllt. Stattdessen hatte er, wie sie ihm vorgeworfen hatte, uns Jungs Wind unter die Flügel geblasen und uns, wann immer es ging, hinaus geschickt, in den Garten, in die Natur, auf die Straße. Er kannte unsere inneren Welten und Träume, doch alles, was mit Pflicht zu tun hatte, verursachte ihm Atembeschwerden. Ich kam nicht umhin, den Mann auf dem Monitor mit dem gedanklichen Bild, das ich von meinem Vater hatte, zu vergleichen.

„Also. Was ist los? Irgendetwas bedrückt dich doch?"

„Ach. Ich weiß auch nicht." Sie seufzte noch einmal leise. Nach einer Weile redete sie weiter: „Da ist eine Frau in etwa in meinem Alter in meinem Yogakurs. Sie hat Magenkrebs. Anfangsstadium, aber trotzdem. Sie hat drei Kinder. Es ist einfach manchmal alles ungerecht."

„Das sagst ausgerechnet du? Die am liebsten Tag und Nacht die Menschen aufrütteln möchte um sie anzuschreien Wacht auf!?"

„Ich möchte ihr helfen und habe ihr angeboten, zu uns zu kommen."

„Das versteht sich von selbst." Doktor Adler nahm die Zeitschrift mit einer Hand wieder hoch und begann den Artikel weiterzulesen. Einige Minuten geschah weiters nichts. Seine Frau schien mitzulesen. Ihr Kopf ruhte noch immer an seiner Schulter.

Ich spürte plötzlich eine Sehnsucht, mich einem anderen Menschen so nahe zu fühlen, wie es dieses Ehepaar mir in diesem Augenblick vermittelte. Bisher hatte ich keine Beziehungen gehabt, in denen ich mich zur Gänze geöffnet hätte. Meist verschwanden die Frauen, auf die ich ein Auge hatte, im Nirgendwo, sobald ich mich nur einmal umdrehte, oder fragten mich morgens, nachdem sie im Bett neben mir aufwachten: „Wie heißt'n du überhaupt?". Ich war wohl nicht der Mensch für eine vertrauensvolle, stabile Partnerschaft. Oder hatte ich nur Angst davor, enttäuscht zu werden? Wie damals, als kleiner Junge. Wo fand ein Mann wie ich jemanden, demgegenüber er sich derart öffnen könnte, ohne Geheimnisse? An einem Tag gab ich vor, ein Verbrecher zu sein. An einem anderen riskierte ich mein Leben, um Menschen zu beschützen. Es müsste jemand sein, den ich nicht darum bitten musste, mich so zu akzeptieren, wie ich nun mal war. Meine Eltern hatten weiß Gott nicht als Vorbilder für das Führen einer gelungenen Ehe getaugt. Die Rahmenbedingungen sprachen also eine eindeutige Sprache. Eher würde jemand mit einem Motorrad zum Mond fliegen. So wie ich mich als Kind von dem Glauben an den Weihnachtsmann verabschiedet hatte, tat ich das als Mann, wenn es darum ging, auf eine glückliche Beziehung zu hoffen.

Kirchner hatte offensichtlich einen Schlüssel für Rimmers Zimmer. Ich hörte, wie er im Nebenzimmer die Tür öffnete. Sehr lange hatte er seinen Beobachtungsposten vor der Hotellobby nicht gehalten. Argwöhnisch beobachtete ich, wie er die zwei Schalldämpfer auf Rimmers Anrichte legte. „Ich hoffe, die lässt du nicht so offen hier herumliegen?" Der Mann war ein Idiot. Hoffentlich verschwand er gleich wieder.

Dieses Glück war mir nicht beschieden. Gelangweilt kam er, nachdem er die Schalldämpfer im Schrank verstaut hatte, zu mir rüber und stellte sich hinter mich.

„Holst du dir einen runter, oder was?" Doktor Adlers Frau saß immer noch auf dessen Schoß. Kirchner beobachtete jetzt wie ich, die im Grunde langweilige Szene. Allerdings schienen ihm gänzlich andere Gedanken durch den Kopf zu gehen: „Von der Fotze lasse ich mir noch einen blasen, das sage ich dir. Ihre Titten sind nicht von schlechten Eltern."

Halte einfach deine verfluchte Fresse! Der Kerl war sowas von unter meinem Niveau. „Geh mir nicht auf den Sack. Hast du nichts anderes zu tun?", versuchte ich, ihn loszuwerden.

„Oh. Entschuldigung der Herr. Ich habe ganz vergessen, ihr Amis seid ja immer so unsagbar prüde." Er lachte dreckig. „Wenn wir uns das Weib erst geschnappt haben, wirst du deine Meinung schon ändern."

Ich sah ernsthafte Probleme auf mich zukommen. Im Moment begnügte Rimmer sich damit, Doktor Adler zu nötigen und auszuspionieren. So wie ich den Arzt allerdings einschätzte, würde das nicht zum erwünschten Erfolg führen. Und dann trat Plan B in Kraft. Ich schluckte die abwertende Antwort, die mir auf der Zunge lag, hinunter. Ich dachte an einen Ratschlag meines Ausbildners. Werde zum Beobachter. Du bekommst so mehr Abstand zu deiner eigenen Wut und bist ihr nicht mehr so ausgeliefert. Dieses kriminelle Arschloch war es nicht wert, dass ich mich von ihm herausfordern ließ.

Am nächsten Tag, wünschte ich mir Kirchners hässliche Visage zurück. Er und König hatten die Plätze getauscht. Jetzt beschattete Kirchner die Ehefrau und König hockte mir auf der Pelle. Zwar redete der nicht pausenlos irgendwelchen Blödsinn, mir war seine Anwesenheit aber dennoch unangenehm, weil ich ihn nicht einschätzen konnte. Dass Kirchner sich vor diesem Söldner anschiss, bedeutete aber nichts Gutes. Offensichtlich hatte er bei den gemeinsamen Beschattungen einiges erfahren, das ihn dazu bewogen hatte. „Der Typ schießt dir auf 1.200 Meter den Arsch weg. Außerdem trifft er im Schlaf mit der Panzerfaust jedes Ziel", hatte er mich über seinen Partner belehrt. Von Rimmer wusste ich darüber hinaus, dass König auch mit Sprengstoff umgehen konnte. Wenn er wirklich zwölf Jahre bei der Fremdenlegion gewesen war, machte so jemand wie er keine Fehler. Sonst wäre er längst tot. Sicher hatte er in dieser Zeit nicht nur irgendwelche Raffinerien in Zentralafrika bewacht. Ich wusste, es handelte sich bei der Fremdenlegion um die bestausgerüstetste Privatarmee Europas. Söldner, die derart lange dort gedient hatten, waren ein ganz eigener Schlag. Die meisten galten nach so langer Zeit dort, als total durchgeknallt. Ich kannte einen Legionär, der in N'Djamena im Bürgerkrieg gedient hatte. Dort wurde wahllos durcheinander geschossen. Da wurde man irgendwann weich in der Birne. Von diesem Typen wusste ich, dass viele Verbrecher bei der Fremdenlegion eine zweite Chance bekamen. Den Werdegang traute ich König durchaus zu. Sicher war er kein kompletter Idiot wie Kirchner. Es gab ein hartes Auswahlverfahren, inklusive Psychotests. Nur die diszipliniertesten schafften es, sich für fünf Jahre bei der Legion zu verpflichten. Jedenfalls würde ich ihn nicht unterschätzen.

Er putzte seine Pistole hingebungsvoll.

„Hast du eine Lieblingswaffe?", versuchte ich, ihn aus der Reserve zu locken. Teamgeist war für jemanden wie ihn von höchster Priorität. Sicher war auch er nicht glücklich über Kirchner. Vielleicht fand ich so einen gemeinsamen Nenner mit ihm. Wie er hatte ich in der Army gelernt, dass Kameradschaft für einen Soldaten über alles ging.

„FRF2", kam die knappe Antwort. Ein Standard Scharfschützen-Gewehr. Gerne hätte ich herausgefunden, wie er zu den Machenschaften Rimmers stand, doch so verschlossen, wie der Kerl sich gab, sah ich da keine Angriffsfläche.

Als Rimmer ihn am Nachmittag mitnahm, um eine Lagerhalle zu besichtigen, die er mieten wollte, atmete ich befreit auf.

„Hören Sie, Doktor Adler, ich verstehe die Vehemenz, mit der Sie Ihr Patent verteidigen, durchaus. Wir wollen Ihnen nicht schaden. Unser Angebot ist überaus großzügig bemessen, wie Sie zugeben müssen. Sie hatten vierzehn Tage Zeit, es sich zu überlegen. Meine Geschäftspartner werden schön langsam ungeduldig."

Rimmers Stimme war laut und deutlich. Er stand neben mir und beobachtete seinen Gesprächspartner über die Überwachungskamera, deren Bilder an meinen Laptop gesendet wurden. Über den Knopf im Ohr konnte ich verfolgen, was Doktor Adler am anderen Ende der Leitung antwortete, Rimmer hörte es direkt über sein Handy.

„Ich habe Ihnen bereits zwei Mal gesagt, Sie brauchen mich nicht mehr anzurufen. Ich habe kein Interesse daran, mit Ihnen zusammenzuarbeiten."

„Ich will Ihnen nicht Ihre Illusionen rauben, aber sicher ist Ihnen klar, dass wir jederzeit ein Nachahmerpräparat auf den Markt bringen können ..."

„Sie können sich sicher sein, dass ich Sie dann verklage", fiel Doktor Adler Rimmer ins Wort.

Ich wusste, er stellte sich absichtlich dumm. Natürlich wusste er, dass die großen Hersteller andauernd enorme Summen dafür bezahlten, Prozesse wegen Arzneimittelbetrugs zu beenden.

„Meine Auftraggeber sind finanziell sehr gut ausgestattet." Rimmer sprach den Satz unaufgeregt aus und nahm so der Drohung, die darin mitschwang, etwas die Schärfe.

„Wie schon gesagt: Rufen Sie mich nicht mehr an." Doktor Adler schien das Gespräch mit diesem Satz beenden zu wollen.

„Eines noch!", sagte Rimmer schnell. „Was würden Sie sagen, wenn wir beweisen können, dass die Daten über die Studie Ihres Präparats gefälscht sind?"

„Ich lasse mich von Ihnen nicht einschüchtern! Richten Sie das Ihrem Godfather aus! Sie legen sich mit dem Falschen an. Ich kenne Ihre Machenschaften und Taktiken, mich können Sie nicht täuschen. Ich weiß sehr gut, wer hinter Ihnen steht!" Doktor Adler hatte die letzten Sätze gebrüllt und knallte den Hörer zurück aufs Telefon.

„Arschloch!", hörte ich ihn über meinen Knopf im Ohr weiterfluchen und musste mir ein Grinsen verkneifen.

„Behalte ihn im Auge. Ich will wissen, ob er jemanden einweiht. Verstanden?"

Kirchner, der mit seinen Schuhen auf dem Bett lag und mit dem Handy hantierte, sah herüber und verzog gönnerhaft den Mund.

Ich nickte kurz zur Bestätigung, dass Rimmers Befehl bei mir angekommen war. Die Entscheidung, was im Falle des Falles geschah, lag aber bei mir alleine. Ich hoffte, der Doktor würde, wie bei den letzten Anrufen nichts unternehmen.

Trotzdem machte es mir Sorgen, dass jetzt immer einer der zwei K's hier herumlungerte und mir das Leben schwer machte.

Rimmer verzog sich in seine Suite und schloss die Verbindungstür hinter sich. Ich beobachtete Doktor Adler weiterhin. Still vor sich hinbrütend saß er an seinem Schreibtisch und starrte noch immer das Telefon an. Nach einer Weile suchte er in seinem E-Mail-Adressbuch nach einem Kontakt. Nervös beobachtete ich sein Tun. Unauffällig sah ich immer wieder zu Kirchner. Es schien ihn nicht zu interessieren, was geschah. Von seiner Position konnte er nicht sehen, was ich auf dem Laptop verfolgte.

Ich hatte es befürchtet. Doktor Adler klickte die E-Mail-Adresse eines Anwalts an. Ich musste etwas unternehmen. Nicht, weil ich Rimmer decken wollte, sondern, weil ich auch das Ziel meiner Undercover-Mission im Auge hatte. Wir waren so weit gekommen. Endlich hatten wir die Chance, diesem Syndikat einen schweren Schlag zuzufügen. Würde Doktor Adler jetzt den Anwalt einschalten, könnte das alle Mühen zunichtemachen. Ich brauchte erst handfeste Beweise dafür, dass er auch vor Gewaltdelikten nicht zurückschreckte. Schnell öffnete ich die Schreibtischlade, in der die Burner-Phones lagen, die Rimmer über Kirchner besorgen hatte lassen. Hier in Europa lief das zwar etwas anders ab, als bei uns in den Staaten, aber es gab immer genug Wege, Gesetze zu umgehen. Wollte man hierzulande ein Prepaid-Handy ohne Akku, Display und SIM-Karte kaufen, musste man sich offiziell ausweisen und seine Identität offen legen. In den Nachbarländern war es aber ziemlich leicht, anonym an ein Prepaid-Handy zu gelangen und es hierzulande zu nutzen. Ich hoffte, Kirchner hatte nichts davon bemerkt. Leise schloss ich die Lade wieder und steckte das Gerät unauffällig in meine Hose. Doktor Adler saß zögerlich vor der angeklickten E-Mail-Adresse. Ich stand auf und ging Richtung Badezimmer. Kirchner sah mir fragend hinterher. „Ich geh nur kurz pinkeln", sagte ich und verschwand mit dem Telefon ins Bad. Schnell tippte ich eine Nachricht ein und schickte sie an die Nummer von Dr. Adlers Mobiltelefon. „Tun Sie das nicht! Sie stehen unter Beobachtung. Ein Freund."

Nachdem ich alle Spuren gelöscht hatte, drückte ich die Klospülung und ging zurück ins Zimmer. Ich wartete etwas. Nach einiger Zeit legte ich das Handy zurück in die Lade. Gespannt beobachtete ich, was Doktor Adler tat. Er hielt noch immer sein Mobilgerät in der Hand und blickte auf das Display. Dann schloss er die geöffnete Nachricht an den Anwalt und sah sich misstrauisch um. Ich beobachtete, wie er die Kamera von seinem Bildschirm schraubte und im Schreibtisch verstaute. Wenn er wüsste, wo ich überall versteckte Kameras und Mikros angebracht hatte. Noch eine Weile saß er nachdenklich da, dann begann er, seine zuvor unterbrochene Arbeit wieder aufzunehmen.

Kirchner stand auf und griff nach seiner Waffe, die neben ihm am Bett gelegen hatte. Dann klopfte er, ohne mich dabei aus dem Blick zu lassen, an Rimmers Zimmertür. Nach einigen Sekunden wurde sie von innen ungehalten aufgerissen. Kirchner flüsterte unserem Boss etwas zu das ich nicht verstand. Ohne Erklärung verschwand er in Rimmers Zimmer und schloss die Tür hinter sich. Was sollte das? Hatte er etwas mitbekommen?

Undeutlich hörte ich die beiden im Nebenzimmer reden. Dann kamen sie gemeinsam zurück. Kirchner grinste mich schäbig an, kam auf mich zu, schob mich etwas beiseite und öffnete die Lade mit den Burner-Phones. „Ich weiß nicht, welches es war." Er nahm alle Geräte heraus und legte sie auf den Schreibtisch. Der Reihe nach überprüfte er sie. „Hier ist was ..." Er warf mir einen triumphierenden Blick zu.

Ich hatte diesen Idioten eindeutig unterschätzt.

Rimmer sah mich ausdruckslos an. Ich zuckte mit den Schultern und versuchte ruhig zu bleiben.

„Was?", drängte unser Boss ungeduldig.

„Moment. Hier steht: Dear Grandma! Happy Birthday! XXXOOO Ryan."

Kirchner sah mich wütend an.

Sorry. Sie hätte mir nie verziehen, wenn ich mich nicht gemeldet hätte", sagte ich. „Ich habe die Rufnummer unterdrückt."

„Keine Privathandys, Anrufe oder Nachrichten! Das hatte ich euch gesagt. Wenn so etwas noch mal vorkommt, bist du raus." Rimmer wandte sich um und verschwand wieder in seinem Zimmer.

Kirchner kochte innerlich vor Wut. Das war offensichtlich. Wir zwei würden keine Freunde mehr werden.

 

 

Impressum

Texte: T.S. Noir
Bildmaterialien: Pixabay
Tag der Veröffentlichung: 22.02.2022

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