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Vaterland

 

 

Kaum waren die Triebwerke der kleinen Turboprop-Maschine zum Stillstand gekommen, wurden die beiden Flugzeugtüren geöffnet und der Innenraum mit heißer Luft geflutet. Ich stand auf und nahm meinen Rucksack aus dem Gepäckfach. Rimmer rief Nachrichten auf seinem iPhone ab.

„Wir können aussteigen, Boss!" Ich hielt ihm seine Aktentasche entgegen.

Die übrigen Passagiere, hauptsächlich irgendwelche Anzugträger, verließen die Maschine. Ich stand im Weg. Rimmer machte keine Anstalten, sich zu erheben. Ich ließ seine Tasche auf den Mittelsitz fallen. Sollte er doch tun, was er wollte. Ich war nicht sein Butler!

„Ich warte draußen!", informierte ich ihn und registrierte aus den Augenwinkeln seinen sauren Blick. Gut. Offiziell war ich sein Bodyguard, doch wir beide wussten genau, dass er mich nicht dabei hatte, um sein Leben zu beschützen.

Eine steile kurze Rolltreppe führte direkt aufs Rollfeld. Ein Flughafenbus stand zwar vor dem Flughafengebäude, es sah aber nicht danach aus, als würde er extra wegen einer Handvoll Passagiere seine Parkposition verlassen. Die Anzugträger marschierten bereits zielstrebig zu Fuß auf das Ankunftsgebäude zu.

Ich wartete am Fuß der Rolltreppe. Von einer Dachterrasse winkten zwei Kinder. Die Sonne brannte vom Himmel.

Ich sah mich um. Das war also das Geburtsland meines Dads. Ich hatte ihn mit acht Jahren das letzte Mal gesehen. Also war es keinesfalls mein Vaterland. Ich fühlte mich durch und durch als Amerikaner. Hatte in mehreren Kriegen für mein Heimatland mein Leben riskiert und war auch bei dieser Mission nur dem Stars and Stripes-Banner verpflichtet.

"I pledge allegiance to the flag of the United States of America, and to the republic for which it stands, one Nation under God, indivisible, with liberty and justice for all." - Dieser Schwur wurde jedem Amerikaner von Kindesbeinen an eingetrichtert. Auch wenn er strenggenommen nicht mit den amerikanischen Grundwerten nach Demokratie und Freiheit vereinbar war .

Ich fühlte, wie sich Schweißperlen auf meiner Stirn bildeten. Von Rimmer war noch immer nichts zu sehen. Ich sah mich weiter um. Österreich hatte ich mir anders vorgestellt. Schneebedeckte Berge. Eindeutig mildere Temperaturen. Rund um den Flughafen war die Gegend flach. Ostseitig befand sich der Kontrollturm. Eine Herculesmaschine donnerte über die Runway, eine C-130 . Ich hatte schon bei der Landung bemerkt, dass das hier eigentlich ein Militärflughafen war, der auch zivil genutzt wurde.

Endlich tauchte Rimmer auf der Rolltreppe auf. Er registrierte wie ich erstaunt, dass kein Bus auf ihn wartete. Schadenfroh bemerkte ich die nassen Flecken auf seinem hellblauen Hemd. Was musste er auch als letzter aus der Blechdose klettern?

Wir waren die einzigen Passagiere, die, nachdem wir unser einsames Gepäck vom Förderband genommen hatten, durch die Passkontrolle gehen mussten. Internationale Fluggäste wurden hier aufgefordert, ihren Ausweis vorzuzeigen.

Ich machte mir deswegen keine Sorgen. In meinem Pass stand, ich wäre Ryan Pratt. Ein frei erfundener Name. Allerdings hatten ihn Spezialisten des FBI erfunden. Rimmer hatte davon natürlich keinen Schimmer. Nicht auszudenken, was passieren würde, wenn er das herausbekäme.

Der Beamte winkte mich erwartungsgemäß weiter.

Ein kleiner unsympathischer Mann mit schütterem hellen Haar erwartete uns am Ausgang. Er konnte nur auf uns warten. Wir waren die letzten Reisenden. Die Ankunftshalle war gähnend leer.

„Hatte mir schon Sorgen gemacht, Sie hätten den Flug verpasst", wandte er sich an Rimmer und übernahm dessen Rollkoffer. „Der Wagen steht vor dem Gebäude."

Am Steuer der schwarzen Mercedes-Limousine saß ein derber Glatzkopf in einem kurzärmeligen T-Shirt. Zahlreiche Tattoos wiesen ihn als ehemaligen Legionär aus . Ich arbeitete jetzt seit drei Monaten für Rimmer und wusste inzwischen, dass er ein Freund von radikalen Lösungen war. Nur deshalb hatte er jemanden wie mich für diesen Job angeheuert - und auch diese beiden Vögel wirkten nicht so, als hätten sie irgendwelche Skrupel.

Als ich mich schwer neben Rimmer im Fond der Limousine niederließ, ergriff ein erwartungsvolles Zittern, wie vor dem Genuss eines gruseligen Filmes, von mir Besitz. Ich war in einer geheimen FBI-Mission hier. Aber nicht nur. Ich wollte mich außerdem um eine alte Familiensache kümmern. Das Kartell, für das ich undercover arbeitete, war darin verwickelt gewesen.

Mit meiner Mutter und meinem Bruder hatte ich als Kind ein paar Mal in den Sommerferien meine Großeltern mütterlicherseits in München besucht. Ich sprach deshalb leidlich gutes Deutsch. Meine Mutter ist eine anerkannte Psychologin, die uns von klein auf geschickt manipuliert hatte und den Kontakt zu unserem Vater unterbunden hatte. Weiß der Teufel warum.

In meinen Augen war sie eine böse Hexe. Wie eine Spinne in ihrem Netz hatte sie über uns Kinder gewacht. Wir waren ohnmächtig darin gefangen gewesen und hatten an ihren Fäden gebaumelt.

In meiner Zeit in West Point hatte ich selbst Psychologie studiert, doch nie einen Abschluss gemacht. Das war ich meiner Mutter nicht vergönnt. So viel zu meiner sadistischen Schonungslosigkeit.

Ich wollte wegen ihr nie mehr erreichen, als ein einfacher Trooper zu sein. Bei der Army hatte man dann trotzdem irgendwann erkannt, dass ich gut darin war, schnell und präzise Schwachstellen aufzudecken. Ich war ein bestens ausgebildeter Cavalry Scout für verdeckte Operationen. Ich nutzte meine spezielle Ausbildung, um wichtige Kampf- und Schlachtfeldinformationen über den Feind sowie über die Kampfumstände und Umgebungsbedingungen zu erhalten und weiterzugeben. Ich folgte der geringsten Spur aufmerksam, war zäh und wusste immer, wann der richtige Moment zum Zuschlagen war.

Meine mangelnde Nachsichtigkeit mit dem Feind war bei der Army kritisch beobachtet worden. Auch, dass ich gerne provozierte und gerne Probleme herausforderte. Irgendwann war ich für die Army zu anstrengend, zu problematisch, zu instabil geworden.

Ich brauchte immer gefährlichere Kicks um mich lebendig zu fühlen. Mich lebendig zu fühlen, war mein Antidepressivum. Ich war prädestiniert dafür gewesen, eines Tages von meinem Vorgesetzten aufgefordert zu werden, die Army so rasch wie möglich zu verlassen und für das FBI zu arbeiten.

Dort würdigte und schätzte man meinen großen Einfallsreichtum und meine kämpferische Einstellung. Mein Chef wusste, auf meinen kritischen, klaren Verstand kann man sich verlassen. Ich drang schnell zum Kern einer Sache vor.

Zielstrebig hatte ich aber in den letzten Jahren immer nur eines verfolgt. Ich wollte an dieses Pharma-Kartell rankommen. Ich hatte tief gegraben und die Monster, die ich dabei aufgescheucht hatte, waren dieselben wie damals.

Eine idyllische Vorstadtgegend zog an uns vorbei. Alles wirkte sehr europäisch. Die Häuser hatten Gartenzäune. Es gab fast nur deutsche und japanische Autos auf der zweispurigen Straße. Dann fuhren wir auf eine Art Highway auf. Immerhin vierspurig! Ich nahm mein Telefon zur Hand und startete die Navi-Funktion. Konnte nicht schaden, wenn ich mir so schnell wie möglich einen Überblick über die Gegend verschaffte.

Salzburger Straße, las ich am Display. In Salzburg war ich als Kind einmal mit meinen Großeltern gewesen.

Wir wechselten auf eine Autobahn. Nach wie vor vierspurig, aber keine Ampeln und Kreuzungen mehr. Irgendwie niedlich, die Straßen und Autos. Nach einer knappen halben Stunde erreichten wir unser Hotel.

Rimmer hatte eine Business-Suite mit Arbeitstisch und Internetanschluss in einem Hafenviertel gebucht. Mein Zimmer war durch eine Tür mit seiner Suite verbunden. Ich checkte kurz durch, ob ich irgendwelche Spezialstecker benötigen würde. Kirchner, der kleine Blonde, bekam von mir den Auftrag, diverses EDV-Zubehör zu besorgen. König, der Glatzkopf, hatte mich nur dämlich angeglotzt, als ich ihn gefragt hatte, wo der nächste Laden dafür sei. Dann legte ich mich eine Runde aufs Ohr. Der Jetlag saß mir unbarmherzig im Nacken.

Es war dunkel, als ich wieder aufwachte. Ich stellte mich unter die Dusche, um die Verwirrung wegen der Zeitverschiebung abzuschütteln. Als ich wieder angezogen war, öffnete ich die Tür zu Rimmers Suite. Ich hörte ihn aus dem Schlafzimmer schnarchen und setzte mich mit meinem Laptop an den Arbeitstisch. Das verlangte Zubehör lag noch in seiner Verpackung in einer Ecke. Es ging also los!

Ich begann damit, mich in das Handy unserer Zielperson zu hacken. Dann folgte das seiner Frau. Dafür musste man die Geräte noch nicht einmal mit einem Chip versehen. Telefonate sind nichts anderes als elektromagnetische Wellen. Die waren zwar verschlüsselt, doch das stellte für meine Software kein Problem dar. In fünf Minuten hatte ich die beiden Nummern lokalisiert und angezapft. Schließlich kam das Klinik-Netzwerk an die Reihe, samt Rechner und Festnetz-Telefon unserer Zielperson.

Ich stieß auf keine nennenswerten Schwierigkeiten. Außer einer gewöhnlichen Firewall stand mir nichts im Weg. Mein Alter Ego, Ryan Pratt, war von Rimmer wegen dieser Kompetenzen überhaupt erst angeheuert worden.

Offiziell war ich infolge diverser IT-Vergehen unehrenhaft aus der Army entlassen worden und schlug mich seither mit zwielichtigen Jobs von noch zwielichtigeren Auftraggebern durchs Leben. Rimmer hatte mich ausführlich instruiert, was er von mir erwartete.

Ich hatte Zugriff auf alle Nachrichten der letzten Zeit. Auf dem einen Mobiltelefon tat sich überraschend wenig. Es gab also noch immer Menschen aus der Generation Festnetz. Ich nahm mir den E-Mail-Verkehr vor. Rege Kontakte mit Personen aus der ganzen Welt fanden sich darunter.

„Sind Sie drinnen?" Ich war so vertieft in meine Arbeit gewesen, dass ich nicht bemerkt hatte, dass Rimmer in den Raum gekommen war.

„Ja, Boss. War kein Problem. Habe ich Ihnen ja gesagt."

„Ich will, dass Sie mir einen genauen Plan erstellen. Ich will alles wissen. Wann er aufsteht, wann er schlafen geht, wann er auf dem Scheißhaus sitzt. Verstanden?"

„Alles klar. Wird aber seine Zeit brauchen, bis ich alles durchgecheckt habe."

„Wir haben Zeit. Sorgfalt ist hier wichtiger, als etwas zu übersehen. Rufen Sie König an! Er soll uns abholen. Ich habe Hunger."

Ich sah auf meine Uhr. Es war halb zwölf in der Nacht. Wohl etwas spät für einen Restaurantbesuch. Ich rief den Glatzkopf trotzdem an. Auch mir knurrte der Magen. In den vergangenen drei Monaten hatte ich mich hauptsächlich von Lebensmitteln aus irgendwelchen Tankstellenshops ernährt. So etwas würde sich notfalls sogar hier finden.

Rimmer kam im Anzug zurück. Er sah mich abschätzig an. Ich trug eine Trainingshose und ein Shirt. „Ziehen Sie sich etwas anderes an. Wir fahren ins Casino."

Im Casino erhielten wir tatsächlich noch etwas zu Essen. Sie nannten es eine Kleinigkeit, doch es war das Beste, das ich in der letzten Zeit zwischen die Zähne bekommen hatte.

Rimmer spielte Roulette, ich versuchte mein Glück beim Black Jack. Es gab ein Glas Champagner zur Begrüßung. Seither hielt ich mich mit alkoholfreiem Bier bei klarem Verstand.

Mein Auftraggeber war da sorgloser. Er hatte schon etliche Wodka-Martinis intus und der Chipsstapel vor ihm war ganz schön geschrumpft. Geld spielte für jemanden wie ihn ohnehin keine Rolle. Diesem Menschen ging es um Macht und Einfluss. Davon besaß er genug. Und deshalb hatte er auch keine Geldsorgen.

Ich gewann bei weitem nicht so viel, wie er verlor. Neben seiner Karriere als Pharmamagnat engagierte er sich auch immer wieder auf anderen Gebieten. Man wusste nie, was ihm als Nächstes einfiel. Er war ein Arschloch.

Vor zwei Wochen war er uneingeladen bei einer Aids-Wohltätigkeitsgala aufgetaucht, obwohl er nachgewiesenermaßen nichts gespendet hatte. Ich hatte ihn als Personenschutz begleitet. Er war wortlos auf das Podium gegangen und hatte sich auf den Platz gesetzt, der eigentlich für den Hauptspender, einen Filmregisseur, vorgesehen gewesen war. Der hatte deshalb keinen Platz auf der Bühne gefunden und war verärgert gewesen.

Niemand hatte Rimmer von der Bühne geschickt. Vom Publikum wurde er für einen der Spender gehalten. Im Anschluss an die Veranstaltung bediente er sich am Buffet. Als er aufgegessen hatte, stand er auf und ging, ohne sich irgendwie zu erklären.

Ich und das FBI hatten jede Menge Verdachtsfälle gegen ihn gesammelt. Bisher konnte ihm aber kein Verbrechen nachgewiesen werden. Das würde sich nun ändern!

Ich wusste, was er plante. Einen Patentrechts-Diebstahl. Es lag an mir, die Beweise dafür zu sichern. Es ging dabei auch um mehrere Kapitalverbrechen. Für Nötigung, erpresserischen Menschenraub, Patentrechtsverletzung und noch einige Delikte würde er für eine lange Zeit ins Gefängnis wandern. In seinem Alter hieß das hoffentlich lebenslang.


Die nächsten drei Tage verbrachte ich damit, den von Rimmer geforderten Tagesablaufplan zu erstellen. Das war nicht schwer. Die Zielperson war kein Freund von Improvisation. Tatsächlich konnte man die Uhr nach seinen Gewohnheiten stellen. Jeden Tag pünktlich um 08:00 Uhr loggte er sich in seinem Computer ein. Meist zwischen 01:00 Uhr und 02:00 Uhr wieder aus.

Bei seiner Frau war die Sachlage anders. Sie verhielt sich unberechenbar. Außerdem hatte sie eine Affäre. Auf ihrem Telefon gingen immer wieder eindeutige Nachrichten ein. Sie versuchte diese immer sofort zu löschen, doch im Browserverlauf fand ich eine schöne Übersicht ihrer geheimen Verabredungen. Es war immer dieselbe Nummer.

Gut, ihr Mann war dreißig Jahre älter als sie. Vielleicht wusste er sogar davon und sie hatten ein Abkommen getroffen. Gutheißen konnte ich es dennoch nicht. Ich befahl den zwei K's, Kirchner und König, sie unauffällig zu beschatten. Das Wochenende würde sie mit ihrem Liebhaber verbringen. Ich hatte eine entsprechende Verabredung dazu entdeckt. Selbst legte ich mich nahe der Klinik auf die Lauer.

In einem geeigneten Moment verwanzte ich das Arbeitszimmer des Arztes und brachte eine Überwachungskamera an. Ich wusste, dass er gemeinsam mit allen Patienten und Mitarbeitern der kleinen Privatklinik beim Mittagessen war. Niemand würde mich bei meiner Arbeit stören.

Ich sah mich in Ruhe um. Nahm einzelne Bücher aus dem Bücherregal. Eines davon hatte er selbst geschrieben. Ich las mir den Klappentext durch. Sein Foto fand sich mit einer Kurzbiografie am hinteren Einband. Ich überflog sie, obwohl mir sein Werdegang bestens bekannt war. Ich hatte meine Hausaufgaben gemacht. Genauso, wie ich alles über Rimmer wusste. Ein Gegner, den man kennt, lässt sich besser einstufen und fassen.

Der Mann, in dessen Arbeitszimmer ich nun stand, war in Wien aufgewachsen. Studium der Medizin an der Universität Wien, Promotion zum Doktor der Onkologie. Danach hatte er eine Ausbildung in Psychotherapie am Carl-Gustav-Jung-Institut in Zürich absolviert. Es folgte eine weitere Ausbildung an der Harvard University im Fach Psychologie. Später hatte er sich einen Ruf als Spezialist für Naturheilwesen gemacht und zusammen mit seiner Frau diese Klinik gegründet.

Neugierig setzte ich mich in den bequemen Arbeitsstuhl und öffnete die Laden des antiken Schreibtisches. Das Stöbern lag mir im Blut. Schon als Kind hatten meine Eltern mit mir geschimpft, wenn ich wieder einmal im Keller oder am Dachboden in den dort verstauten Sachen herumgewühlt hatte und sie mich im ganzen Haus nicht finden konnten. Ich hatte das Zwielicht und das Gerümpel geliebt. Stellte mir vor, es wäre irgendein Pharaonengrab und irgendwo wäre ein geheimer Schatz versteckt.

Nachdem ich zurück in unserem Hotel war, konnte ich unsere Zielperson bei einem Großteil seiner Arbeit beobachten. Eine Aufgabe, die ich bei früheren Fällen wegen ihrer Eintönigkeit, gehasst hatte. Diesmal fiel sie mir leicht. Es war die wichtigste Mission meines bisherigen Lebens. Ich würde Rimmer, diesen Dreckskerl, und seine Organisation drankriegen.

Eben dieser Dreckskerl traf immer wieder Geschäftspartner oder ging zum Golf. Meist kombinierte er beides miteinander.

Mit der Zeit fand ich heraus, dass der Mann, den ich jetzt fast Tag und Nacht beobachtete und seine Frau einen liebevollen Umgang miteinander pflegten. Immer wenn sie das Haus verließ, begleitete er sie aufmerksam zum Auto, küsste sie vor dem Einsteigen und schloss für sie die Wagentüre. Er wartete, bis der Wagen aus seinem Blickwinkel verschwunden war, und ging erst dann zurück.

Er war groß und hatte trotz seines fortgeschrittenen Alters eine tadellose Körperhaltung. Sein ehemals schwarzes Haar war weiß geworden. Er arbeitete meist bis 16:00 Uhr in der Klinik. Danach schrieb er in seinem Arbeitszimmer an einem neuen Buch. Nachts führte er Videokonferenzen mit Bekannten aus der ganzen Welt. Seine Frau versorgte ihn an seinem Schreibtisch mit Tee, mundgerecht geschnittenem Obst und Studentenfutter. Er bedankte sich meist mit einem Kuss auf ihre Lippen oder tätschelte ihren Arm.

Hin und wieder nahm ich Kontakt zu meinem Vorgesetzten beim FBI auf und gab den aktuellen Status durch. Beim letzten Gespräch hatte er mir mitgeteilt, dass Rimmer von der New Yorker Börsenaufsicht dazu verdonnert worden war, einem Analysten eine Entschädigung von 750.000 US-Dollar zu zahlen. Der Fachmann hatte einem Unternehmen, an dem Rimmer beteiligt war, vor einem dreiviertel Jahr den Bankrott angekündigt, und der hatte ihn daraufhin gefeuert. Nachdem der Konzern vor einigen Monaten Insolvenz angemeldet hatte, hatte der Mann geklagt und nun Recht bekommen.

Rimmer würde schäumen. Ich würde ihm aus dem Weg gehen, bis sich die Wogen wieder geglättet hatten.

„Was soll das?" Ich fuhr Kirchner scharf an. Er saß an meinem Laptop, als ich zurück in die Suite kam.

„Du hättest besser ein paar Kameras im Schlafzimmer und Badezimmer der scharfen Rothaarigen anbringen sollen. Glaub mir, da verpasst du was." Er grinste dreckig.

Die beiden K's wurden mir immer lästiger. Normalerweise beschatteten sie die Ehefrau unserer Zielperson. Da diese aber für ein paar Tage weggefahren war, hingen sie in meiner Nähe herum. Ich kam mir von ihnen beobachtet vor. Es war nicht auszuschließen, dass Rimmer ihnen aufgetragen hatte, ein Auge auf mich zu haben.

Ich war unruhig und ungeduldig, aber es lag längst nicht mehr am Jetlag. Ich stand meinen Kollegen mit wachsender Abneigung gegenüber. Ich wusste, dass Rimmer nicht den geringsten Skrupel hatte, sich fremdes Eigentum einzuverleiben - doch diese beiden Verbrecher waren schlichtweg dumm und brutal. Ich traute ihnen alles zu.

Ein geringschätziges Lächeln umspielte Kirchners Lippen. Er wusste genau, dass ich ihn verachtete. Nervös spielte er mit seiner Waffe.

„Warum fällt es dir so schwer, dich in Geduld zu üben? Hat man dir das beim Militär nicht beigebracht?"

Er zuckte mit den Schultern. „War nie beim Heer. Untauglich."

Das hätte ich mir denken können. Er hatte keine militärische Haltung, im Gegensatz zu König.

„Wie hast du es dann in Rimmers Team geschafft?"

„Ich habe Beziehungen. Es gibt nichts, was ich dir nicht auftreiben könnte. Freunde an den richtigen Stellen sind Goldes wert", prahlte er.

Ich wollte eigentlich nur, dass er sich verpisste.

„Wenn du so gute Freunde hast, warum hängst du dann bei mir herum? Ich brauche keinen Aufpasser."

„Glaub mir, mir macht das auch keinen Spaß, deine hässliche Visage zu sehen. Ein paar Titten wären mir jetzt lieber. Also, warum zum Geier, hast du keine Kameras in den Umkleideräumen aufgehängt?"

Ich ließ mich von ihm nicht provozieren. Ich wusste, dass ich nicht hässlich war. Bei Frauen kam ich stets sehr gut an. Es ergab sich halt aufgrund meines Jobs nie etwas Dauerhaftes.

„In meinem Zimmer steht ein Fernseher. Rimmer fällt es sicher nicht auf, wenn du dir ein paar versaute Filme auf PayTV reinziehst", sagte ich.

Es wäre sicher keine gute Entscheidung, es sich ganz mit Kirchner zu vertun. Es war nicht gut, vor und hinter sich Feinde zu haben.

 

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Bildmaterialien: Pixabay
Tag der Veröffentlichung: 22.02.2022

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