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Alex & Ella

 

 

„Kinn runter! Ellenbogen knapp am Körper!“, kommandierte ich Flo, während ich ihm die Trainingspratzen abwechselnd hinhielt. „Nimm den kürzesten Weg für deinen Schlag! Schön aus der Mitte!“

Flo war Manager bei einer Personalfirma und ein alter Freund. Seit ich hier als Fitnesscoach arbeitete, sahen wir uns wieder öfter. Ich hatte ihm das Boxtraining empfohlen, als er von mir wissen wollte, was ihm helfen konnte, besser mit dem Stress umzugehen. Wir trainierten jetzt seit drei Wochen. Vorhin, nach dem Aufwärmtraining, hatte er mir erzählt, das Boxen unterstütze ihn dabei, belastbarer zu werden. Er fand es toll, hier seine Aggressionen abzubauen. Mit der Zeit würde er merken, dass es ihn selbstbewusster machte, wenn er wusste, wie man sich im Notfall verteidigte. Ein richtiger Mann sollte wissen, wie er seine Fäuste zu gebrauchen hatte.

„Komm schon! Achte auf deine Hüftarbeit!“ Ich war dabei, ihm die richtige Technik beizubringen. „Immer schön locker bleiben, in den Schultern! Den Oberkörper vorne lassen! Schau mir nicht in die Augen! Deine Augen sind immer auf meine Brust gerichtet!“ Ich zeigte ihm, wie man eine saubere Gerade ausführte. Meine Schulter knallte gegen meine Schläfe. „Siehst Du? So machst du es richtig!“

Plötzlich fühlte ich mich beobachtet. Das war keine neue Erfahrung für mich. Wenn die Mädels zum Yogaraum gingen, mussten sie an unserem Sparringbereich vorbei und in zehn Minuten startete dort eine Unterrichtseinheit. Es war nichts Ungewohntes für mich, von der weiblichen Klientel des Fitnesscenters, angestarrt zu werden. Immerhin arbeitete ich seit Jahren hart an meinem Körper. Trotzdem veranlasste mich dieses Gefühl, den Blick kurz von Flo abzuwenden und neugierig nach der Quelle zu suchen. Ella!

Zack! Ich hatte eine Sekunde nicht auf meine Distanz geachtet und Flo hatte mich mit einem Punch voll auf die Schläfe getroffen. Kurz tanzten Sterne vor meinen Augen. Benommen schloss ich sie einen Moment.

„Sorry! Ich hab auf deine Brust geschaut, wie du es wolltest“, entschuldigte er sich keuchend.

„War mein Fehler.“ Ich öffnete die Augen und suchte sofort wieder nach dem Grund meiner Unaufmerksamkeit, doch Ella war weg. Hatte ich mir nur eingebildet, sie gesehen zu haben? Sie war seit fast zwei Monaten nicht im Gym gewesen. Deshalb hatte ich so überrascht reagiert.

 

Im Anschluss an das Boxtraining ging ich ein wenig durchs Studio. Füllte Handtücher nach und korrigierte da und dort die Haltung einiger Anfänger. Ich selbst trainierte nur mit meinem Eigengewicht. Das brauchte hier niemand zu wissen. Ich würde nur meinen eigenen Job wegrationalisieren.

„Hi Alex!“ Die Stimme kam mir bekannt vor. Statt eines Namens, präsentierte mir mein Gedächtnis zehn pink lackierte Zehennägel, die sich vor zwei Tagen freudig in Richtung Zimmerdecke gereckt hatten, während ich versucht hatte, die Besitzerin jener Zehen, in noch luftigere Gefilde zu bumsen. Ich ließ mir Zeit damit, mich umzudrehen, und hoffte auf eine Eingebung. Die Namen meiner Eroberungen kamen mir mitunter durcheinander. Kein Wunder, es verging kaum eine Woche, in der sich nicht aus einem heißen Flirt leidenschaftlicher Matratzensport entwickelt hätte. Ich würde gerne behaupten, ich hätte diese Schönheiten alle verführt, doch so war es nicht. Sie sind mir wie reifes Obst praktisch direkt ins Bett geplumpst. Ich setzte an und wollte schon Hi Süße, sagen, da fiel mir endlich der richtige Namen zu besagten Zehen ein.

„Hi Moni!“, grüßte ich die Frau mit dem blonden Wuschelkopf, die mich kurz ins Schwitzen gebracht hatte. Ihre Zehen steckten heute in weißen Sneakers.

„Ich gehe nachher noch auf einen Drink ins Bismarck!“ Die Art und Weise, wie sie die letzte Silbe eine Oktave höher aussprach, als den Rest, fasste ich als eindeutige Einladung auf, dort weiterzumachen, wo wir vor zwei Tagen aufgehört hatten. Doch das würde meinem ungeschriebenen Kodex widersprechen, nicht zwei Mal hintereinander mit derselben Frau zu schlafen. Am Ende würde sie denken, ich verfolgte irgendwelche Absichten. Was ich nicht tat. Deshalb beantwortete ich ihre nicht eindeutig formulierte Frage mit einem ebenso zwanglosen Zwinkern und brachte sie damit zum Strahlen. Eine hübsche Frau wie sie, würde dort ohnehin nicht lange nach einem Flirt suchen müssen. Puh, das hätte peinlicher enden können. Erleichtert ging ich in den Spinning-Raum und schaltete dort die Ventilatoren ein. Surrend verteilten die Rotorblätter die stickige Luft und machten den penetranten Schweißgeruch erträglich. Hinter mir strömten sofort die ersten Indoor-Cycling-Begeisterten in den Raum. Die Plätze waren stets begehrt und gerade die Mädchen wollten ein Rad so nahe wie möglich an meinem ergattern. Ich bückte mich, um die Stoppuhr aus der Kiste in der Ecke zu fischen und als ich wieder aufsah, ging Ella knapp an mir vorbei und suchte sich ein freies Bike. Ich erstarrte unweigerlich und fühlte, wie sich mein Puls beschleunigte. Sie war es also doch gewesen. Ich sah ihr zu, wie sie sich in der zweiten Reihe ihr Rad einrichtete. Sie war keine Anfängerin, es würde blöd aussehen, wenn ich ihr ungefragt meine Hilfe anbieten würde. Andere Frauen hingegen riefen meinen Namen, weil sie sich meine Assistenz und mehr erhofften.

 

Nachdem ich auf der Musikanlage meine Playlist mit den Motivationssongs angestellt hatte, begann ich mit dem Warm-up. In gemäßigtem Tempo gingen wir die einzelnen Haltungen durch. „Lasst eure Schultern locker!“, forderte ich die Gruppe auf, als sie sich, den Kopf nach vorne über den Lenker gebeugt, aus dem Sattel hoben. Immer wieder wanderte mein Blick zu Ella. Ihr Busen bewegte sich im Takt ihrer Bewegung. Ich bekam davon eine kratzige Stimme. Mit Hilfe der Stoppuhr gab ich die Intervalle vor. Fünfzehn Sekunden Tempo, dann fünfzehn Sekunden relaxen. Das Ganze für drei Minuten. Dann steigerte ich die Intervalle auf dreißig und fünfundvierzig Sekunden.

Die Musik schraubte sich hoch auf 135 Beats in der Minute. „Los! Hoch mit Euch! Aus dem Sattel! Kopf nach oben!“, trieb ich die Gruppe an. „Durch die Nase atmen, durch den Mund ausatmen!“, schrie ich gegen die Musik an.

Alle hingen an meinen Lippen, wollten von mir gedrillt werden. Auch Ella. Ich ertappte mich dabei, nur noch sie anzusehen, und musste mich dazu zwingen, wenigstens hin und wieder den Blickkontakt mit anderen zu suchen.

Die nächste halbe Stunde verbrachte ich damit, meine Befehle zu erteilen. „Raufschalten! Relax! Trinkt etwas! Schultern entspannen! Los, gebt Gas!“ Ich animierte die Leute dazu, ihr Bestes zu geben: „Denkt daran, ihr wollt als erstes durchs Ziel!“

 

Die Musik pushte uns in schwindelerregende Höhen. Auf Ellas Stirn klebten winzige Löckchen, die sich aus ihrer Hochsteckfrisur gelöst hatten. Ihre Wangen waren gerötet. Ich stellte mir vor, sie läge so unter mir im Bett. Keine gute Idee. Hoffentlich bemerkte niemand die Beule in meiner Sporthose.

„So, können wir jetzt endlich einmal richtig Gas geben?“, unternahm ich den Versuch mich selbst abzulenken. Ich ließ den Widerstand erhöhen. „Position zwei!“ „Position drei!“ Die war mir am liebsten. Ellas Busen schaukelte dann wie verrückt in ihrem Trikot.

Der Schweiß rann mir in Bächen den Rücken runter. In der nächsten Pause rissen alle die Handtücher hoch. Ella grinste mich an. Verdammt! Was war ihre Magie? Ich fühlte mich, wie ein schüchterner kleiner Junge, wenn sie mich so ansah. Bekam weiche Knie und feine Härchen stellten sich in meinem Nacken auf.

„Los! Weiter geht´s!“, überspielte ich meine Unsicherheit, indem ich die ganze Gruppe büßen ließ. Ich erhöhte den Widerstand Stufe für Stufe. Ellas Nasenflügel bebten unter ihren stoßartigen Atemzügen. Die Lippen kräuselten sich. Noch immer lächelte sie mich auf diese besondere Art direkt an. Ihre Zungenspitze berührte ihre Oberlippe. Das Stöhnen und Ächzen im Raum untermalte meine verrückten Fantasien.

Andreas strampelte in der ersten Reihe. Von seiner Nasenspitze tropfte der Schweiß auf den Boden. Eine Pfütze hatte sich unter seinem Rad gebildet. „Hey Alter. Mein Puls ist auf Tausend! Willst Du uns umbringen? Ich krieg gleich einen Herzinfarkt“, keuchte er außer Atem. Ein Blick in die Runde zeigte, auch die anderen waren am Limit.

Ich zählte runter: „Zehn, neun, acht, sieben, sechs, fünf, vier, drei, zwei, eins, relax! Trinken! Die Beine bleiben schön in Bewegung!“

Nach dem Stretching schaltete ich die Musik leiser. „Gut gemacht, Leute! Eine Runde Applaus!“ Irgendetwas sagte mir, dass Ella mich beobachtete. Ich drehte mich um. Während sie, wie die anderen, in die Hände klatschte, wanderten ihre Augenbrauen schelmisch nach oben. Ihre Lippen pressten sich anerkennend aufeinander. Offensichtlich hatte ihr mein Tempo gefallen. Ob sie in meinem Gesicht ablesen konnte, wie viel mehr ich ihr bieten wollte? Meine Schicht dauerte noch eine Stunde. Sie wäre dann längst über alle Berge. Schnell schnappte ich mir die Sprühflasche mit dem Desinfektionsspray aus meiner Box und ging mit ein paar Blättern Handtuchpapier zu ihr. „Kann ich dir aushelfen?“ Sie wartete, um beim Spender neben der Tür an die Reihe zu kommen. Ihr Kopf neigte sich abschätzend leicht zur Seite. Sie grinste. Ihre Zähne glänzten wie polierte Perlen. Es war mir egal, dass mich in diesem Moment gefühlte tausend Blicke durchbohrten. Ich war nur an dieser einen Frau interessiert, die zwar meilenweit über meiner Kragenweite lag, mir aber in den letzten dreißig Minuten eindeutige Signale gesendet hatte. Wenn ich nicht verrückt war. Nein! Sie leckte sich deutlich die Lippen, musterte die Utensilien in meinen Händen und blickte unter gesenkten Lidern zu ihrem Rad. Gefügig ging ich hinüber und begann ihr Trainingsgerät zu reinigen. Sie griff nach ihrer Trinkflasche und dem Handtuch. „Wenn du ein wenig nachschwitzen möchtest? Die Sauna ist noch heiß. Ich könnte kurz vorbeischauen und dir einen Aufguss machen.“ Eigentlich war heute kein Saunatag, doch mein Boss hatte sie für ein paar Freunde eingeschaltet und mich gebeten, sie am Ende meines Dienstes wieder abzudrehen.

„Wie könnte ich da widerstehen? Du hast bewiesen, dass du einer Frau einheizen kannst.“ Sie stand neben mir. Ich musste gut zehn Zentimeter zu ihr hinab sehen und trotzdem hatte ich das Gefühl, es wäre umgekehrt. Es war unmöglich für mich, einzuschätzen wie alt sie war. Vielleicht zehn Jahre älter als ich. Vielleicht mehr. Es waren ihre Augen, die es mir unmöglich machten, ihr Alter zu schätzen. Rein körperlich war sie in Topform. Auf ihrem Registrierungsformular war das Geburtsdatum nicht angegeben. Ich hatte das längst gecheckt. Keine Ahnung, wie sie es mit den spärlichen Angaben geschafft hatte, einen Vertrag zu bekommen? Überhaupt verhielt sie sich, wie ein Geist. Für sämtliche Suchmaschinen war sie ein unbeschriebenes Blatt Papier. Sie tauchte plötzlich auf, so wie heute, um dann wieder wochenlang von der Bildfläche zu verschwinden. Sie war ein Rätsel und ich wollte es unbedingt entschlüsseln.

 

Eine halbe Stunde später, öffnete ich, ausgerüstet mit einem Eimer Wasser und einem Handtuch die Saunatür. Ella lag alleine, entspannt, mit geschlossenen Augen, auf der mittleren Stufe. Schlief sie? Sie blinzelte nicht einmal.

Sie hatte den Körper einer Göttin. Das gedämpfte Licht der Salzlampe ließ ihn wirken, wie ein Gemälde. Ich musste mich von diesem Anblick losreißen und wandte mich zum Ofen. Langsam schöpfte ich mit der Kelle nach Lemongras duftendes Wasser und verteilte es gleichmäßig auf den erhitzten Steinen. Als ich mich umdrehte, sah Ella mich an. Eine verwirrende Sehnsucht spiegelte sich in ihrem Gesicht. Ich fächerte ihr mit dem Handtuch heiße Luft zu und veranlasste sie so, wieder die Augen zu schließen. Schweiß glänzte auf ihrer makellosen Haut. „Du wirkst hungrig?“, unternahm ich einen Versuch, mit ihr ins Gespräch zu kommen. Vielleicht gelang es mir so, sie dazu zu animieren, mit mir einen Happen Essen zu gehen?

„Du bist ein guter Beobachter“, antwortete sie mit geschlossenen Augen.

Ihre Stimme klang samtig und ermutigte mich weiterzusprechen: „Nachdem ich nicht ganz unschuldig an deinem Hunger bin, fühle ich mich verpflichtet, dich einzuladen?“

Sie öffnete überrascht die Augen und lachte leise. „Ist das so?“

„Also ich rede vom Spinning. Ich habe euch heute ganz schön ausgepowert.“

„Eigentlich müsste ich dich einladen. Du bist vorhin fast k.o. gegangen, weil ich dich abgelenkt habe.“

 „Du könntest es wieder gut machen, wenn du mit mir was Essen gehst.“ Ich beobachtete ihre Reaktion, die auf sich warten ließ. „Du warst lange nicht da“, setzte ich nach.

„Du hast mich vermisst?“

Jeder einzelne Atemzug, ohne ihre Nähe, war verschwendete Lebenszeit. Zumindest empfand ich das genau jetzt, in diesem Augenblick, so. „Ich höre um acht auf und wollte mir etwas beim Inder holen“, umging ich ihre Frage. Ich könnte ihr ohnehin nicht erklären, wo diese Sehnsucht nach ihr herkam. Wir hatten nie mehr als zwei, drei Sätze miteinander gewechselt und doch schlich sie sich seit geraumer Zeit in meine Träume.

Sie ließ mich schmoren. Der Dampf des Aufgusses legte sich in jede einzelne meiner Poren. Kurzer Hand goss ich den gesamten verbliebenen Inhalt des Eimers auf die Steine. Zischend stieg eine heiße Dunstglocke auf und verteilte sich sofort in dem kleinen Raum. Das war wenig elegant gewesen. Ella sprang wie von der Tarantel gestochen auf und drängte an mir vorbei zur Saunatüre. Sanft stoppte ich ihre überhastete Flucht und machte sie darauf aufmerksam, dass sie mir eine Antwort schuldig geblieben war. „Treffen wir uns am Ausgang?“ Meine Hand lag auf ihrem Oberarm. Unsere schwitzenden Körper berührten sich beinahe.

„Ja!“, japste sie und sauste aus der Sauna.

Ich schaltete den Ofen ab und öffnete die Türe weit. Ella stand dampfend auf der Terrasse und sah in den Sonnenuntergang. Sie hatte das Handtuch um ihren Körper geschlungen. Als hätte sie meinen Blick gespürt, drehte sie sich zu mir um und erwiderte durch die Glastür mein Grinsen. Zwei kleine Grübchen zeigten sich auf ihren Wangen. Sie würde auf mich warten. Der Gedanke machte mich nervös.

 

Ausgerechnet heute wollte meine Kollegin mit mir den Dienstplan der kommenden Woche besprechen. Ich saß auf Nadeln. „Mach einfach und schicke mir den Plan dann aufs Handy. Mir ist alles recht“, versuchte ich, die Diskussion schließlich abzukürzen.

Es war acht nach acht, als ich endlich aus dem Gebäude stürmte. Ella lehnte schmunzelnd an einer der Säulen davor. „Entschuldige bitte! Ich wollte dich nicht warten lassen.“ Ratlos sah ich zum Radständer, an dem mein Bike geparkt war. Es zeigte sich, dass meine Pläne für den weiteren Verlauf des Abends nicht ausgereift waren. Was jetzt?

Ella folgte meinem Blick und erkannte mein Dilemma. „Ich schlage vor, wir nehmen meinen Wagen.“ Klimpernd hielt sie ihren Autoschlüssel hoch. Sie hob ihre Sporttasche auf und drehte sich um.

Mit drei schnellen Schritten war ich bei ihr und nahm ihr die Tasche ab. „Sorry. Lass mich wenigstens deine Sachen tragen.“

Zielstrebig steuerte sie auf das coolste Fahrzeug auf dem Parkplatz zu. Ein schwarzes, sportliches Coupé öffnete, während wir darauf zugingen, automatisch die Heckklappe. Ich warf die Sporttasche hinein und schlug den Kofferraumdeckel zu. Ein Jaguar! Beeindruckt ließ ich mich auf den Beifahrersitz fallen. „Nett!“, kommentierte ich das Wageninnere und legte den Kopf in den Nacken, um aus dem Panoramadach in den Himmel zu schauen. Das einzige Fahrzeug, das ich mein Eigen nennen konnte, war mein Mountainbike.

„Dir gefällt mein Jag?“ Sie sprach von ihrem Wagen, wie von einem Freund.

Der Wagen rollte geräuschlos aus der Parklücke. „Elektro?“, fragte ich überrascht.

„Jep! Allrad. 400 PS. Links? Rechts?“ Sie sah mich abwartend an.

„Wow! Links. Richtung Innenstadt“, wies ich ihr den Weg. Der Wagen beschleunigte rasant und drückte mich in den Ledersitz. Ich drehte den Kopf zu Ella und beobachtete sie beim Fahren. Sie genoss es sichtlich. Ein leichtes Lächeln umspielte ihre Lippen.

Viel zu rasch erreichten wir unser Ziel. Mit dieser Luxuskarosse würde ich gerne länger in der Gegend herumcruisen. Gekonnt schlüpfte sie in eine Parklücke. Sie schien eine versierte Fahrerin zu sein. Wir stiegen aus. „Was machst du eigentlich beruflich?“, unternahm ich einen Versuch, das Rätsel um Ella zu lösen.

„Ich sammle und handle mit Antiquitäten“, gab sie bereitwillig Auskunft. „Das ist auch der Grund, weshalb ich viel im Ausland unterwegs bin“, ergänzte sie erklärend.

„Du warst lange weg.“

„Ich war in Kolumbien. Ciudad Perdida. Die verlorene Stadt.“ Sie wandte mir fragend das Gesicht zu, als würde sie darauf warten, dass da bei mir etwas klingelt.

„Hört sich gefährlich an. Hast Du gefunden, was du dort gesucht hast?“

Sie schüttelte den Kopf. In ihren Augen stand eine unergründliche Art von Traurigkeit. Ich hatte das Gefühl, sie mit irgendetwas aufheitern zu müssen. „Auf einer Skala von eins bis zehn. Wie sehr magst du Mango-Lassi?“

„Zehn!“

„Das trifft sich gut. Gleich wirst du das beste Mango-Lassi deines Lebens bekommen.“ Ich schob sie in den kleinen Imbiss, der mir längst zu einem der unverzichtbarsten Orte der Stadt geworden war. Der intensive Duft von Curry hing in der Luft.

„Alex! Mein Freund!“, begrüßte mich Avtar, der Inhaber des Lokals. „Wer ist diese bezaubernde Lady?“

Ich stellte die beiden einander vor und bestellte das versprochene Getränk. „Was möchtest du?“, fragte ich Ella, die stirnrunzelnd vor der handgeschriebenen Schiefertafel stand, die an einer der Wände hing.

„Ich glaube, ich nehme dasselbe wie du. Ich liebe Überraschungen.“

„Zwei Mal Butter-Chicken mit Cashew-Curry. Kommt sofort“, verkündete Avtar, ohne auf meine Ansage zu warten. Er kannte mich gut genug, um Ella mein Lieblingsgericht vorzusetzen. „Wollt ihr etwas frisches Nan, während ihr wartet?“

„Gute Idee. Ich bin am Verhungern“, gestand ich dem Koch. Wir setzten uns an einen der winzigen Tische des Imbisses.

Ella nippte an ihrem Mango-Lassi. „Du hast nicht zu viel versprochen.“ Sie leckte genüsslich über ihre Lippen.

„Sollen wir hier essen, oder gehen wir runter zum Flussufer?“, fragte ich meine Traumfrau, als Avtar wissen wollte, ob wir zum Essen bleiben würden.

„Flussufer klingt super.“

Avtar richtete das Essen in den netten kupfernen Schalen an, die man normalerweise nur bekam, wenn man im Lokal aß und stellte sie in einen Korb. Außerdem gab er uns das gute Besteck mit und zwinkerte mir verschwörerisch zu, als er mir alles überreichte. „Guten Appetit!“, wünschte er uns. Es kam nicht oft vor, dass ich in weiblicher Begleitung bei ihm aufkreuzte.

 

Die Nacht war lau und der Platz auf der Treppe zum Flussufer, in der Nähe der Straßenbeleuchtung, frei. Perfekter hätte ich mir das erste Date mit Ella nicht vorstellen können. Forschend versuchte ich, ihre Körpersprache zu lesen, um herauszufinden, ob sie sich genauso wohl fühlte, wie ich mich. Das Ergebnis fiel positiv aus. Bei jedem Bissen geriet sie in begeistertes Schwärmen. Das Plätschern des Wassers untermalte unser Dinner mit dem Flair eines lauschigen Urlaubsabends. Wir hatten uns ein wenig über meine Zukunftspläne unterhalten. Ich studierte Medizin und wollte mich in Richtung Sportchirurgie spezialisieren. Doch wie sollte das hier weitergehen? Ich hatte Hemmungen, Ella in meine winzige Bude in unserer Männer-WG mitzunehmen. Das ging mit den Mädchen in meinem Alter. Eine Frau wie sie, konnte ich mir in dieser legeren Umgebung schwer vorstellen.

Als hätte sie meine Gedanken erraten, sagte Ella: „Was hältst du von einem Nachtisch bei mir?“

Etwas am Timbre ihrer Stimme erregte mich derart, dass ich auf der Stelle hart wurde. „Einverstanden.“ Beinahe hätte ich mich an diesem einen Wort verhaspelt. Ich konnte die leeren Schalen gar nicht schnell genug in den Korb zurück räumen. Dann half ich Ella beim Aufstehen und zog sie dabei, wie versehentlich an meinen Körper. Ihr Busen drückte gegen meine Brust. Ihr Duft erfüllte meine Sinne und ließ mich zittern. Sie musste meine Erregung gespürt haben. Ihre Zähne bissen leicht auf ihre Unterlippe. Ihre Mundwinkel wanderten in Richtung der Ohren.

 

Alles an dieser Frau schien eine Nummer zu groß für mich zu sein. Ihre Ausstrahlung, ihr Wagen, ihre Geldbörse, ihre Erfahrungen und nun auch noch ihre Wohnung. Von Wohnung konnte fast nicht die Rede sein. Sie wohnte in einem beeindruckenden Altstadtpalais. Im Erdgeschoß befand sich ihr Antiquitäten-Laden. Sie steuerte den Wagen durch ein sich automatisch öffnendes Tor in den Innenhof und dort in eine private Tiefgarage. Verschiedene Fahrzeuge aus allen Epochen glänzten hier um die Wette.

„Gehören die alle dir?“ Eigentlich war es eine rhetorische Frage. Ich ahnte die Antwort, die folgte schon vorab.

„Ich habe dir ja gesagt, dass ich alte Sachen sammle.“

Beeindruckt schluckte ich meine Ehrfurcht hinunter. Was erwartete diese Frau von mir? Ich konnte ihr eigentlich nur eines geben.

Ein gläserner Aufzug brachte uns direkt aus der Tiefgarage in ihre Wohnung. Der Ausdruck Vintage kam mir in den Sinn. Alles wirkte in ausgewogener Art und Weise sowohl alt, als auch modern. „Lebst du alleine hier?“ Bisher hatte ich keinen Gedanken daran verschwendet, sie könnte einen Freund haben, oder gar verheiratet sein.

„Natürlich nicht. Ich habe drei Katzen.“

Sie ging zu einer riesigen runden Anrichte. Erst auf den zweiten Blick dämmerte es bei mir, dass es ihre Küche sein musste. Alles war so modern und die Geräte gut versteckt, dass es wirkte, wie man sich einen Raum in ferner Zukunft vorstellen würde. Sie öffnete einen Schrank und entnahm ihm eine Dose Katzenfutter. Noch ehe sie die Dose auf der Anrichte vollständig geöffnet hatte, kamen zwei riesige getigerte Katzen mit kurzem Fell herbeigeschossen.

„Und was magst Du? Alkohol? Etwas Süßes?“

Dich! „Darf ich kurz dein Badezimmer benutzen?“ Ich brauchte einen kurzen Moment, um das Alles hier erst mal zu verdauen.

Sie erklärte mir den Weg und versorgte die Katzen.

Vor dem Waschbecken im wohl größten Badezimmer, das ich je zu Gesicht bekommen hatte, musterte ich mein Spiegelbild. Seit ich im Fitness-Studio arbeitete, hatte ich kurze Haare. Der Military-Haircut erleichterten das häufige Duschen enorm. Die fehlende Behaarung am Kopf kompensierte mein Dreitagebart wieder etwas. Meine Gesichtszüge kamen durch den Schnitt ziemlich gut zur Geltung. Eine helle Narbe seitlich am Kopf verlieh mir eine gewisse Verwegenheit, die bei den Frauen ganz gut ankam. Zugezogen hatte ich sie mir als Kind beim Sturz vom Dreirad. Ich hatte dunkle Augenbrauen und braune Augen. Fragend starrte ich mich selbst an. Versau das hier nicht! Bevor du der Frau dort draußen nicht zumindest zwei Orgasmen beschert hast, brauchst du deinen Schwanz gar nicht erst auszupacken! Gewappnet mit diesen Vorsätzen ging ich zurück zu Ella und die Wirklichkeit holte mich ein. Sie sah mich an und zog ihr Shirt aus. So schnell ich konnte, ließ auch ich mein T-Shirt in hohem Bogen auf den Boden segeln. Sie erwartete mich mit leicht geöffneten Lippen. Leidenschaftlich zog ich sie an mich und verschloss ihren Mund mit meinem. Dann hob ich sie hoch. Da war eine große antike Ledercouch, auf der ich sie sanft absetzte. Ihr BH landete auf dem Boden. Ihre leichte Sommerhose samt Spitzen-String-Tanga folgte auf die Sekunde. Ich fing an, den ersten Schritt zu tun.

Meine Hände und Lippen wanderten lustvoll über ihre Hügel und Täler. Ihr Körper entfachte eine nie gekannte Begeisterung in mir. Meine Finger zitterten und ihr Duft vernebelte mir die Sinne. Noch war ich nicht überall, doch ich genoss diese Erkundung zu sehr um den nächsten Schritt zu machen. Ihr Körper war so vollkommen. Meine Lust übertrug sich auf Ella. Sinnlich rekelte sie sich unter meinen Berührungen. Die Luft knisterte rund um uns vor lauter erregter Spannung. Immer wieder trafen sich unsere Lippen in einem leidenschaftlichen Kuss. Sie gab sich mir ganz hin. Ließ mich an ihren Nippeln saugen und spreizte erwartungsvoll die Beine, als ich mich vor ihr auf den Boden kniete. Stöhnend schmiegte sie sich an die Lehne des Sofas und ich vergrub mein Gesicht zwischen ihren Schenkeln. Meine Finger kneteten sanft ihren Arsch. Ihre rissen an meinen kurzen Haaren am Oberkopf. Ich atmete ihren Duft ein. Kostete ihren Nektar und weidete mich an ihrer erwartungsvollen Erstarrung. In kreisenden Bewegungen schickte meine Zunge immer wieder schauerartige Wellen durch ihren Körper. Ich hatte den richtigen Weg gewählt. Sie erreichte alleine den Gipfel der Erregung und keuchte laut, während ihre Arme und Beine wild umher schlugen. Ich geilte mich an ihrer Reaktion noch mehr auf und schickte meine Finger auf Erkundungstour in ihre heiße Grotte. Sie schrie auf, als ich gleichzeitig meinen Mund auf ihr Lustzentrum senkte und an ihrer Perle saugte. Komm! Komm schon! Ich wollte sie endlich überholen. Sie besteigen. Ebenfalls den Gipfel erreichen. Die Sehnsucht dieses Moments ließ sich nicht mehr in Worte fassen. Meine Erleichterung über das hemmungslose Pulsieren ihres Körpers, ließ mich aufstöhnen. Ich legte sie auf der Couch ab und zog rasch meine Hose aus. Schob mich über sie. Zwischen ihre Beine. Spürte ihre festen Schenkel an meiner Seite. Heiß und hart wie Stein stieß ich in sie. Ella bäumte sich auf und vergrub ihre Zähne in meiner Schulter. Ein unbeschreiblicher Schmerz durchfuhr diese Stelle meines Körpers. Es fühlte sich an, wie man sich den Biss einer Schlange vorstellte. Doch anstatt ihr Gift in mich zu speien, sog sie heftig an mir. Nahm meine Lebensenergie in sich auf. Wie festgefroren erstarrte ich über ihr. Blitzartige Halluzinationen durchfluteten meinen Geist. Bilder, von unvorstellbaren Schauplätzen entstanden in meinem Gehirn. Wie in einem Strudel rissen sie mich mit in Sphären, die mir vage bekannt vorkamen. War ich im Begriff zu sterben? Fühlte sich das so an? War Ella, meine große Liebe, zugleich meine letzte?

 

Hitzewallungen strömten durch meinen Körper. Ella! Ein lautes Brüllen dröhnte in meinen Ohren. Mein Brüllen!

Dann kam die Erkenntnis! Ella! Eleonora von Langenstein! Meine unsterbliche Gebieterin. Seit eintausendundvierhundert Jahren war ich ihr verfallen. Immer und immer wieder aufs Neue. In unzähligen Reinkarnationen, männlichen wie weiblichen, war ich ihr ausgeliefert gewesen. Ergeben. Es geschah während der Phantomzeit. Als Fantasie und Täuschung die Erde heimgesucht hatten. Gemeinsam versuchten wir seit damals, den Fluch zu besiegen. La Ciudad Perdido, der Ort meines letzten Todes. Erschöpft senkte sich mein Kopf in Ellas Halsbeuge.

Ihre Stimme flüsterte an meinem Ohr. „Willkommen zu Hause!“

 

 

 

 

 

 

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Tag der Veröffentlichung: 30.04.2021

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